L 3 AL 4366/14 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AL 2602/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 4366/14 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 19. September 2014 wird zurückgewiesen.

2. Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens beträgt EUR 2.625,00.

Gründe:

1. Die Beschwerde der Antragstellerin (Ast.), der A. GmbH, gegen den im Tenor genannten Beschluss ist nach § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Insbesondere war sie nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen. Die Ast. begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage (SG Ulm, S 6 AL 2603/14) gegen insgesamt neun Bescheide der Antragsgegnerin (Ag.), der Bundesagentur für Arbeit. Mit jenen Bescheiden hatte die Ag. für die 42 Monate von Februar 2009 bis Juli 2012 Winterbeschäftigungsumlagen nach § 354 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in Höhe von insgesamt EUR 10.500,00 (ausgehend von EUR 250,00 monatlich, die auf einer Schätzung beruhten) zuzüglich Mahnkosten von insgesamt EUR 55,20 gegen sie festgesetzt. Danach wäre eine Berufung der Ast. gegen ein klagabweisendes Urteil in der Hauptsache nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig.

2. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht nach § 173 Satz 1 SGG erhoben. Der angegriffene Beschluss ist der Ast. am 26.09.2014 zugestellt worden, die Beschwerde am 21.10.2014 bei dem Landessozialgericht eingegangen.

3. Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG abgelehnt.

a) Allerdings war jener Antrag statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Klage der Ast. hatte keine aufschiebende Wirkung von Gesetzes wegen. Nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung unter anderem bei der Anforderung von Umlagen einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Zu diesen Umlagen gehört auch die hier streitige Winterbeschäftigungs-Umlage (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 86a Rn. 13). Die von der Ast. angegriffenen Bescheide vom 20.11.2013 in Gestalt des (einheitlichen) Widerspruchsbescheids vom 14.07.2014 sind auch noch nicht bestandskräftig (§ 77 SGG), weil nach Aktenlage die Klage vom 15.08.2014 fristgerecht erhoben ist.

b) Der Eilantrag ist aber nicht begründet. Die aufschiebende Wirkung ist nicht anzuordnen.

aa) Die rechtlichen Voraussetzungen einer solchen Anordnung hat das SG in dem angegriffenen Beschluss zutreffend dargelegt. Darauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Insbesondere hat das SG zu Recht darauf hingewiesen, dass nach dem Rechtsgedanken des § 86b Abs. 3 Satz 2 SGG das Anordnungsinteresse des Betroffenen das Vollziehungsinteresse der Behörde dann überwiegt, wenn entweder ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgabenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

bb) Anhaltspunkte für eine unbillige, besondere Härte sind nicht ersichtlich. Sowohl das SG unter dem 08.09.2014 als auch der erkennende Senat unter dem 24.10.2014 haben die Ast. aufgefordert, zu ihren finanziellen und wirtschaftlichen Verhältnissen vorzutragen. Dies hat die Ast. - zuletzt mit Schriftsatz vom 14.11.2014 - ausdrücklich verweigert. In den vorliegenden Akten haben sich keine Hinweise dafür gefunden, dass die Ast., wenn sie vorläufig die angeforderten EUR 10.555,20 zahlte, in wirtschaftliche Not geriete. Aus dem Unternehmensregister des Bundesanzeigers (http://www.unternehmensregister.de, abgerufen am 15.12.2014) ergibt sich, dass die Ast. im Geschäftsjahr 2012 - Geschäftsabschlüsse für jüngere Jahre liegen nicht vor - auf Aktivseite über Sachanlagen von EUR 16.987,00, Vorräte von EUR 214.000,00 und Forderungen von EUR 140.382,54 verfügte und der Jahresüberschuss EUR 146.413,15 betrug. Vor diesem Hintergrund oblag es der Ast. (vgl. § 103 Satz 1 Halbsatz 2 SGG), auf die Aufforderungen der Gerichte hin substanziiert zu ihrer finanziellen Lage vorzutragen; zu Ermittlungen von Amts wegen waren weder das SG noch der Senat verpflichtet, da diese ins Blaue hinein hätten geführt werden müssen.

cc) Ebenso wie das SG meint auch der Senat, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide nicht bestehen. Bei der summarischen Prüfung vor allem der Sachlage, die allein in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes möglich und geboten ist, spricht keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die angegriffenen Bescheide auf die anhängige Anfechtungsklage hin aufgehoben werden.

(1) Die Ast. ist grundsätzlich verpflichtet, die geforderte Umlage zu erbringen. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 der "Verordnung über ergänzende Leistungen zum Saison-Kurzarbeitergeld und die Aufbringung der erforderlichen Mittel zur Aufrechterhaltung der Beschäftigung in den Wintermonaten" (WinterbeschV), die nach § 109 Abs. 3 SGB III erlassen worden ist, sind "Unternehmen des Bauhauptgewerbes" i.S.v. § 1 Abs. 2 der nach § 109 Abs. 2 SGB III erlassenen "Verordnung über die Betriebe des Baugewerbes, in denen die ganzjährige Beschäftigung zu fördern ist" (BaubetriebeV) umlagepflichtig. Die Ast. ist ein Unternehmen des Bauhauptgewerbes, auch wenn Bauleistungen nach den Eintragungen in das Handelsregister (AG Ulm, HRB 7xxxx7, abgerufen über http://www.handelsregister.de am 01.12.2014) gesellschaftsvertraglich nicht zum Gegenstand ihres Unternehmens gehören. Abzustellen ist auf die tatsächliche Geschäftstätigkeit der Ast. Diese umfasst die Immobilien- und Altbausanierung. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Es ergibt sich auch daraus, dass die Ast. die Auftraggeberin derjenigen Bauarbeiter war, die bei der Baustellenprüfung auf dem Bauvorhaben Kö.str. 31 in S. G. am 26.01.2012 kontrolliert worden waren.

(2) Es ist auch überwiegend wahrscheinlich, dass die am 26.01.2012 auf der genannten Baustelle kontrollierten Bauarbeiter, die dort als "K. GbR" (im Folgenden: GbR) auftraten, sowie die weiteren Mitglieder jener GbR gewerbliche Arbeitnehmer der Ast. i.S.v. § 1 Abs. 1 WinterbeschV waren, also Beschäftigte im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 und 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV), und dass diese Beschäftigungsverhältnisse mit der Ast. bestanden: Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass alle Bauarbeiter der GbR in der fraglichen Zeit, soweit sie für die Ast. tätig waren, in der rechtlich erforderlichen Art und Weise, die das SG zutreffend beschrieben hat, in den Betrieb der Ast. eingegliedert waren.

Das SG hat bei dieser Einordnung maßgeblich darauf abgestellt, es gebe überwiegende Indizien dafür, dass die genannten Bauarbeiter kein eigenes unternehmerisches Risiko getragen hätten, weil sie insbesondere kein eigenes Kapital aufgebracht hätten, und weil sie nicht über eigene Betriebsmittel, vor allem Werkzeug, verfügt hätten; ferner, dass die Bauarbeiter dem Geschäftsführer der Ast. gegenüber weisungsunterworfen gewesen seien. Diese Bewertung macht sich der Senat zu eigen. Hierbei stützt er sich vor allem auf die Angaben der Bauarbeiter und der weiteren Zeugen, zusammengefasst in dem Abschlussbericht des Hauptzollamts U. an die Staatsanwaltschaft E. vom 14.05.2013. Hieraus ergibt sich: Die GbR, in deren Rahmen die Bauarbeiter selbstständig tätig gewesen sein sollen, hatte ihren Geschäftsraum in einem von der Ast. vermieteten Zimmer. Der Bauarbeiter I., der als einziger deutsch sprach und deshalb die anderen vermeintlichen Gesellschafter nach außen vertrat, war nach den Feststellungen im Ermittlungsverfahren der Ast. als Vollzeitkraft beschäftigt. Die Geschäftsunterlagen der GbR fand das Hauptzollamt in Geschäftsräumen der Ast. E-mails, die an die GbR gerichtet waren, wurden - zumindest in Abwesenheit der Zeugin M. - an die Zeugin E. W. weitergeleitet. Diese ist - dies ergibt sich aus dem vom Senat beigezogenen Auszug aus dem Handelsregister - Prokuristin der Ast. Die Bauarbeiter hatten bei ihren Vernehmungen angegeben, der Geschäftsführer der Ast. habe ihnen mitgeteilt, wieviel sie verdienten und welche Verdienste sie bei eventuellen Kontrollen angeben sollten. Die Entscheidung über den Verdienst ihrer Gesellschafter müsste aber eine GbR selbst treffen. Die Bauarbeiter sind auch direkt zu dem Geschäftsführer der Ast. gegangen, wenn sie Geld brauchten. Seitdem der Zeuge I. verschwunden war, erhielten die verbliebenen Bauarbeiter ihre Arbeitsanweisungen - mit Hilfe eines Dolmetschers - vom Geschäftsführer der Ast. Dem SG ist darin beizutreten, dass diese Indizien - und die weiteren, die das SG gewürdigt hat - insgesamt überwiegend für und weniger gegen ein Beschäftigungsverhältnis zwischen den Bauarbeitern und der Ast. sprechen.

Der Vortrag der Ast. im Beschwerdeverfahren führt nicht zu einer anderen Einschätzung. Dass die GbR Lieferanten hatte, spricht nicht gegen eine abhängige Beschäftigung der Bauarbeiter bei der Ast., weil nach den Ermittlungsergebnissen des Hauptzollamts solche Rechnungen zumindest zum Teil an die Ast. weitergeleitet wurden. Vorläufig nicht überzeugend ist der Vortrag, die GbR habe weitere Auftraggeber gehabt und etwa die Hälfte ihres Umsatzes aus Aufträgen jener anderen Auftraggeber erzielt. Zwar liegen insoweit Rechnungen der GbR an Dritte vor (Bl. 147 ff. der Beweismittelakte [BMA]). Es gibt jedoch Anhaltspunkte, dass zwischen den dort genannten Auftraggebern und der Ast. Verbindungen bestehen. Dies ergibt sich z.B. daraus, dass die auf den Fremdrechnungen angegebenen Leistungsorte (Baustellen) mehrfach auch auf Rechnungen an die Ast. genannt wurden oder in unmittelbarer Nähe lagen (Kö.str. 7, Kö.str. 29) und z.B. eine Rechnung an eine Versicherung offensichtlich einen Schaden des Geschäftsführers der Ast. betraf. Insoweit hatte das Hauptzollamt im Ermittlungsverfahren mehrere der Fremdauftraggeber befragt und die Auskunft erhalten, alle Aufträge seien über die Ast. oder ihren Geschäftsführer gelaufen (S. 12 Ermittlungsakte). Dass die GbR formal eigene Mitarbeiter als geringfügig Beschäftigte bzw. freiberuflich Beauftragte hatte, spricht ebenfalls für eine Selbstständigkeit, allerdings nicht ausschlaggebend, nachdem zumindest eine Beschäftigte (Zeugin M.) und die freiberufliche Buchhalterin (Zeugin K.) zugleich für die Ast. tätig waren und ihre Arbeiten für die GbR von dort aus erledigten. Dass die Ast. direkt Zahlungen an die vermeintlichen Gesellschafter der GbR leistete, wie das SG ausgeführt hat, ergibt sich aus den Kontoauszügen der Ast. (Volksbank S.G., Kto. Nr. xxxxx1007) und den entsprechenden Buchungslisten (vgl. Bl. 1 bis 140 BMA). Den weiteren Ausführungen der Ast. in der Beschwerdebegründung zum Unternehmerrisiko der Mitglieder der GbR folgt der Senat ebenfalls nicht. Insbesondere fehlten den Bauarbeitern - auch mangels eigener Arbeitsmittel in größerem Umfang (vgl. hierzu die Übersicht über die Entwicklung des Anlagevermögens in Anlage 10 zum Eilantrag vor dem SG) - die korrespondierenden unternehmerischen Chancen. Dass eine Tätigkeit im Bauhauptgewerbe betriebsmittelarm sei, dem kann der Senat nicht beitreten.

Das Gleiche gilt für die weiteren Ermittlungen des Senats. Aus den beigezogenen Handelsregisterauszügen (hier HRB 7xxxx5 des AG Ulm, zum Abruf s. o.) ergibt sich, dass der Zeuge I., der "Geschäftsführer" der GbR, bis zum 26.09.2012 Geschäftsführer der G.-Bau GmbH war und sein Nachfolger dort der Geschäftsführer der Ast. ist. Auch dies deutet auf eine enge Verflechtung der GbR und der Ast. hin.

(3) Gegen die Berechnung der Umlage in den angegriffenen Bescheiden ist nichts einzuwenden. Die Ag. durfte nach § 5 Abs. 5 WinterbeschV i.V.m. § 28f Abs. 3 SGB IV die zu Grunde liegenden umlagepflichtigen Bruttoarbeitsentgelte schätzen, nachdem Meldungen durch die Ast. nicht erfolgt waren. Dass die Ag. bei - nach Aktenlage - zehn Mitgliedern der GbR im fraglichen Zeitraum, die auch auf der Baustelle der Ast. tätig waren, anscheinend von einer Lohnsumme von EUR 12.500,00 brutto im Monat ausgegangen ist, erscheint nicht übersetzt. Sofern sich im weiteren Verfahren niedrigere Entlohnungen herausstellen, wären die Beträge entsprechend abzusenken.

(4) Die Mahnkosten hat die Ag. als bundesunmittelbare Körperschaft nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 19 Abs. 2 Satz 2 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) zu Recht auf ein halbes Prozent der Hauptforderung, mithin EUR 1,25 je EUR 250,00, festgesetzt, wobei diese Kosten nach § 19 Abs. 2 Satz 3 VwVG auf den nächsten vollen Euro hätten aufgerundet werden können.

4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

5. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren war nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 52 ff. Gerichtskostengesetz (GKG) auf EUR 2.625,00 festzusetzen. Der Senat folgt der Ansicht des SG, für ein Eilverfahren sei ein Viertel des Werts der Hauptsache anzusetzen, er geht dabei aber nach Teil A Nr. 2 lit. f des Streitwertkatalogs für die Sozialgerichtsbarkeit i.V.m. § 43 Abs. 1 GKG nur von der streitigen Hauptforderung aus, die hier EUR 10.500,00 betrug.

6. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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