L 3 AL 106/02

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Schleswig (SHS)
Aktenzeichen
S 3 AL 109/01
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 106/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
7 AL 24/03 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 20. November 2002 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen die im Schriftsatz der Beklagten vom 2. Juli 2003 aufgeführten Folgebescheide wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) ohne Berücksichtigung eines Kirchensteuer-Hebesatzes.

Die am geborene Klägerin ist ausgebildete Restaurantfachfrau. Vom 26. August 1989 bis 31. März 1992 war sie als Stewardess bei der Förde-Reederei, F , versicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend bezog sie bis zum 30. März 1993 Arbeitslosengeld und anschließend - unterbrochen durch kürzere Tätigkeiten als Servicekraft sowie durch Zeiten des Bezuges von Mutterschaftsgeld - Alhi. Vor dem hier strittigen Zeitraum hatte die Beklagte zuletzt bis zum Ablauf des Bewilligungsabschnitts am 19. März 2001 Alhi bewilligt. Auf der Grundlage eines Bemessungsentgelts von 770,00 DM betrug die Leistung nach der Leistungsgruppe D, Kindermerkmal 1, 214,27 DM wöchentlich.

Die Klägerin ist verheiratet und hat ein Kind; ihr Ehemann steht in einem Beschäftigungsverhältnis.

Am 16. Februar 2001 stellte die Klägerin einen Fortzahlungsantrag. Sie gab an, dass für sie zu Beginn des Kalenderjahres die Steuerklasse V eingetragen war, und machte Angaben zu vorhandenem Vermögen sowie zu den Einkünften ihres Ehegatten. Auf den Leistungsantrag vom 16. Februar 2001 nebst Anlagen wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 30. März 2001 bewilligte die Beklagte Alhi ab 20. März 2001 für den Bewilligungsabschnitt bis 19. März 2002. Auf der Grundlage eines Bemessungsentgelts von 760,00 DM und einer Nettolohnersatzquote von 57 v. H. betrug die Höhe der Leistung nach der Leistungsgruppe D 214,27 DM wöchentlich. Wegen der Berücksichtigung von Werbungskosten und weiteren gesetzlichen Abzügen erfolgte keine Anrechnung von Ehegatteneinkommen; auch eine Anrechnung des vorhandenen Vermögens erfolgte nicht.

Am 20. April 2001 legte die Klägerin gegen den Bescheid vom 30. März 2001 Widerspruch ein und beanstandete zur Begründung die Abführung von Kirchensteuer, obwohl sie noch nie einer Religionsgemeinschaft angehört habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Mai 2001 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Sie führte aus, dass nach § 136 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) Leistungsentgelt das um die gesetzlichen Entgeltabzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfielen, verminderte Bemessungsentgelt sei. Entgeltabzüge seien Steuern, Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung sowie die sonstig gewöhnlich anfallenden Abzüge, die zu Beginn des Kalenderjahres maßgeblich seien, soweit die Vorschrift nichts Abweichendes bestimme. Dabei sei zu Grunde zu legen u. a. für die Kirchensteuer die Steuer nach dem im Vorjahr in den Ländern geltenden niedrigsten Kirchensteuer-Hebesatz (§ 136 Abs. 2 Nr. 2 SGB III). Das Leistungsentgelt stelle als pauschalierte Rechengröße auf den gewöhnlichen Arbeitnehmer ab; individuell geringere, höhere oder - wie etwa in Bezug auf die Kirchensteuer - überhaupt nicht angefallene Abzüge gingen in die Berechnung des Leistungsentgelts nicht ein. Aus § 136 SGB III ergebe sich die allgemeine Aussage, dass die Entgeltabzüge, die das Herunterrechnen von Bemessungsentgelt zum Leistungsentgelt bewirkten, gewöhnlich anfallen müssten. Im Anschluss an eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahre 1994 habe das Bundessozialgericht (BSG) wiederholt die Verfassungsmäßigkeit eines pauschalen Kirchensteuerabzugs bejaht. Solange die Kirchensteuer bei einer deutlichen Mehrheit der Arbeitnehmer anfalle, sei sie pauschal bei der Gewährung von Alhi zu berücksichtigen. Nach allem entspreche der angefochtene Bescheid geltendem Recht.

Die Klägerin hat am 6. Juni 2001 bei dem Sozialgericht Schleswig Klage erhoben. Während des erstinstanzlichen Verfahrens erging der Änderungsbescheid vom 28. Januar 2002 (Änderung der Leistungshöhe durch Leistungsentgeltverordnung 2002, Änderung des Bemessungsentgelts). Mit Fortzahlungsbewilligung vom 25. März 2002 bewilligte die Beklagte Alhi für den Bewilligungs¬abschnitt bis 19. März 2003. Dabei erfolgte auf Grund eines Anrechnungsbetrages eine Änderung der Leistungshöhe; das Bemessungsentgelt wurde gemäß § 201 Abs. 1 SGB III geändert. Mit weiterem Bescheid vom 25. Juni 2002 erfolgte eine Änderung des Anrechnungsbetrages; mit Bescheid vom 27. August 2002 fiel der Anrechnungsbetrag weg.

Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin der von der Beklagten im Widerspruchsbescheid beschriebenen Rechtsauffassung widersprochen. Insbesondere gebe es keine deutliche Mehrheit von Menschen, die in der Kirche seien. Laut Auskunft des statistischen Bundesamtes sei diese deutliche Mehrheit nicht gegeben. Weniger als 60 % seien Mitglieder einer Kirche; die Tendenz sei fallend.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid vom 30. März 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. Mai 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, höhere Arbeitslosenhilfe ab dem 20. März 2001 zu gewähren.

Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht hat eine Auskunft des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit vom 19. November 2002 eingeholt, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird.

Nach mündlicher Verhandlung am 20. November 2002 hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom selben Tage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf höhere Alhi ohne Berücksichtigung eines Kirchensteuer-Hebe¬satzes. Nach § 195 Satz 1 Nr. 1 SGB III betrage die Alhi für Arbeitslose, die mindestens ein Kind im Sinne des Einkommenssteuerrechts haben, 57 v. H. des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt §§ 198 Satz 2 Nr. 4, 136, 137 SGB III), das sich aus dem Bruttoarbeitsentgelt ergebe, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt habe (Bemessungsentgelt unter Berücksichtigung der §§ 200, 201 SGB III), sofern sie unter Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensanrechnung bedürftig seien. Dabei könne der Kirchensteuer-Hebesatz als Berechnungsfaktor nicht unberücksichtigt bleiben. Denn bei der Bestimmung der pauschalierten Entgeltabzüge, "die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen", sei für die Kirchensteuer die Steuer nach dem im Vorjahr in den Ländern geltenden niedrigsten Kirchensteuer-Hebesatz zu Grunde zu legen. Die Kammer folge den von der Klägerin geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken an dieser Regelung nicht. Auf der Grundlage der eingeholten Auskunft des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) vom 19. November 2002 habe die Kammer sich nicht davon überzeugen können, dass § 136 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III verfassungswidrig sei. Insoweit schließe die Kammer sich der jüngeren Rechtsprechung des BSG an. Zwar habe das BVerfG dem Gesetzgeber aufgetragen, hinsichtlich des Anteils der kirchenzugehörigen Arbeitnehmer die weitere Entwicklung zu beobachten, um wesentlichen Veränderungen rechtzeitig Rechnung tragen zu können. Das BMWA habe jedoch in der Auskunft vom 19. November 2002 mitgeteilt, dass der Anteil der kirchensteuerzahlenden Arbeitnehmer nur über die Auswertung der in einem dreijährigen Turnus erstellten Lohn- und Einkommenssteuerstatistik ermittelt werden könne. Bisher liege erst die im Sommer 1999 erstellte Statistik für 1995 vor; mit den Ergebnissen für 1998 könne frühestens Ende 2002 gerechnet werden. Für die jeweilige Zwischenzeit werde der Anteil der Arbeitnehmer, die Kirchensteuer zahlten, in Anlehnung an den Anteil der Kirchenmitglieder in der Bevölkerung ermittelt, wobei der Anteil des Differenzbetrages zwischen den Anteilen der Kirchenmitglieder an der Bevölkerung und an den Arbeitnehmern näherungsweise als konstant angesehen werde. Unter Zugrundelegung eines Differenzbetrages von acht Prozentpunkten zum Jahresende 1995 und einem Anteil von 64,9 % Kirchenmitgliedern an der Gesamtbevölkerung zum Jahresende 2000 errechne sich ein Anteil von 56,9 % kirchensteuerpflichtiger Arbeitnehmer. Auf der Grundlage dieses Zahlenmaterials könne die Kammer nicht feststellen, dass der Gesetzgeber die ihm auferlegte Beobachtungs- und Handlungspflicht verletzt habe. Vielmehr gehe die Kammer noch von der Verfassungsmäßigkeit der letztlich angegriffenen Norm aus.

Gegen das ihr am 28. November 2002 zugestellte Urteil richtet sich die am 12. Dezember 2002 bei dem Sozialgericht Schleswig eingegangene Berufung der Klägerin.

Während des Berufungsverfahrens erfolgte mit Bescheid vom 28. Januar 2003 eine Änderung der Leistungshöhe durch Anpassung an die Leistungsentgeltverordnung 2003. Mit Bescheid vom 1. Ap-ril 2003 erging eine Fortzahlungsbewilligung für den Leistungsabschnitt bis 19. März 2004. Nach dem zwischenzeitlich erfolgten Umzug der Klägerin von K nach M erfolgte mit Bescheid vom 23. April 2003 anstelle der bisherigen Leistungsgewährung durch die Dienststelle N des Arbeitsamts F die Weiterbewilligung durch das Arbeitsamt Bad O.

Zur Begründung der Berufung macht die Klägerin geltend, dass die vom Sozialgericht zur Grundlage seiner Entscheidung gemachten Zahlen nicht auf dem neuesten Stand gewesen seien. Soweit sie für den vorliegenden Fall relevant seien, seien diese Zahlen noch gar nicht veröffentlicht. Die neuen Zahlen würden zeigen, dass nicht einmal mehr die Hälfte der Menschen in der Kirche seien.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Schleswig aufzuheben, den Bescheid vom 30. März 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. Mai 2001 sowie die seither ergangenen Folgebescheide zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 20. März 2001 höhere Arbeitslosenhilfe ohne Berücksichtigung eines Kirchensteuer-Hebesatzes zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie stützt das angefochtene Urteil.

Die vom Senat in einer anderen Streitsache eingeholte Stellungnahme des BMWA vom 17. April 2003, auf deren Inhalt Bezug genommen wird, ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Gleiches gilt für die vom Senat ergänzend eingeholte Stellungnahme des BMWA vom 3. Juli 2003. Auch auf den Inhalt dieser Stellungnahme einschließlich der zu Grunde liegenden Anfrage vom 1. Juli 2003 wird verwiesen.

Dem Senat haben die die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Bl. 162 - 367 der Leistungsakten) und die Gerichtsakten vorgelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird hierauf Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Insbesondere ist die Berufung gesetzlich nicht beschränkt; die Beteiligten streiten um laufende Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

In formaler Hinsicht ist zu beachten, dass nach Erlass der mit der Klage angefochtenen Bescheide eine Reihe von Folgebescheiden ergangen ist, die gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden sind. Soweit diese Bescheide bereits Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens geworden sind, fehlt hierüber eine ausdrückliche Entscheidung des Sozialgerichts. Dies hindert den Senat indessen nicht an einer Entscheidung auch über diese Bescheide, weil das Begehren der Klägerin dahin auszulegen ist, dass auch insoweit eine Entscheidung des Senats beantragt wird. Die Beklagte hat der Einbeziehung dieser Folgebescheide nicht widersprochen (vgl. allgemein: Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl., § 96 Rz. 12 und § 157 Rz. 2b). Über die Bescheide, die während des Berufungsverfahrens ergangen sind, hat der Senat auf Klage zu entscheiden (vgl. Meyer-La¬dewig, a.a.O., § 96 Rz. 7 und § 153 Rz. 2). Nach diesen Maßstäben sind auch die Änderungs- bzw. Folgebescheide vom 28. Ja¬nuar und 25. März 2002 sowie vom 1. und 23. April 2003 Gegen¬stand des Berufungsverfahrens. Die Bescheide vom 25. Juni und 27. August 2002, die einen anderen Streitgegenstand (Anrech¬nungs¬betrag) betreffen, sind hiervon nicht erfasst.

In der Sache ist die Berufung jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht und aus zutreffenden Gründen entscheiden, dass die angefochtenen Bescheide vom 30. März und 16. Mai 2001 rechtsfehlerfrei sind. Die nach Erlass dieser Bescheide ergangenen, vorstehend erwähnten Folgebescheide sind ebenfalls rechtmäßig.

Inhaltlich streiten die Beteiligten allein über die Gewährung von Alhi ohne Berücksichtigung eines Kirchensteuer-Hebesatzes. Dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Alhi im Übrigen vorgelegen haben und dass die Beklagte die Leistungshöhe - von dem hier noch zu erörternden Streitpunkt abgesehen - rechtsfehlerfrei ermittelt hat, ist zwischen den Beteiligten auch zu Recht unstreitig. Die jeweilige Leistungshöhe entsprach - was die Klägerin nie bestritten hat - den gesetzlichen Bestimmungen; insbesondere hat die Beklagte die jeweiligen Bemessungsentgelte unter Einbeziehung gesetzlich gebotener Änderungen (§ 201 SGB III) zutreffend ermittelt.

Die Klägerin kann nicht verlangen, dass die Beklagte ihr Leistungen ohne Berücksichtigung des Kirchensteuer-Hebesatzes als Berechnungsfaktor gewährt. Denn die seit dem 1. Januar 1998 geltende Vorschrift des § 136 Abs. 2 Nr. 2 SGB III schreibt dies ebenso vor wie die bis 31. Dezember 1997 geltende Bestimmung des § 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Danach ist nämlich bei der Bestimmung der pauschalierten Entgeltabzüge, "die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen", für die Kirchensteuer die Steuer nach dem im Vorjahr in den Ländern geltenden niedrigsten Kirchensteuer-Hebesatz zu Grunde zu legen. Den von der Klägerin gegen diese Vorschriften geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken folgt der Senat nicht. Vielmehr schließt er sich - wie bereits in früheren Entscheidungen - ausdrücklich der Rechtsprechung des BSG an, wonach die genannten Vorschriften nicht verfassungswidrig sind. Hierzu hat das BSG zuletzt mit Urteil vom 25. Juni 2002 - B 11 AL 55/01 R -, SozR 3-4300 § 136 Nr. 1 folgendes ausgeführt:

"Auf der Grundlage der eingeholten Auskünfte konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, § 136 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III sei verfassungswidrig, weil er gegen Art 14 Abs. 1 Satz 1, Art 3 Abs. 3 oder Art 4 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verstoße. Dies haben unter Auswertung der Auskunft des BMA vom 6. November 2001 der erkennende Senat (Urteil vom 8. November 2001 - B 11 AL 43/01 R -) und der 7. Senat (Urteil vom 21. März 2002 - B 7 AL 18/01 R -) in Fortführung der bisherigen Rechtsprechung (vgl. nur BSGE 73, 195 ff = SozR 3-4100 § 249e Nr. 3; BSG SozR 3-4100 § 249e Nr. 5 und 10; BSG Urteil vom 27. Juni 1996 - 11 RAr 1/96 = DBlR Nr. 4326 zu § 111 AFG; BSG, Urteil vom 10. August 2000 - B 11 AL 37/00 R = DBlR Nr. 4638 zu § 111 AFG) ausdrücklich entschieden. Bei seiner Rechtsprechung ist das BSG von dem Beschluss des BVerfG vom 23. März 1994 (BVerfGE 90, 226 ff = SozR 3-4100 § 111 Nr. 6) ausgegangen, das entschieden hat, § 111 Abs. 2 Satz 2 AFG sei mit dem GG, insbesondere den Art 3, 4 und 14 vereinbar. In dieser Entschei-dung hatte das BVerfG dem Gesetzgeber jedoch aufgetragen, hinsichtlich des Anteils der kirchenzugehörigen Arbeitnehmer die weitere Entwicklung zu beobachten, um wesentlichen Veränderungen rechtzeitig Rechnung tragen zu können. Die Beobachtungs- und Handlungspflicht des Gesetzgebers hat das BVerfG daraus hergeleitet, dass es mit dem vom Gesetzgeber selbst gewählten Ansatz und dem Gebot der Normklarheit nicht mehr vereinbar wäre, die Kirchensteuer bei der Berechnung des Nettolohnes auch dann noch als "gewöhnlich" anfallenden gesetzlichen Abzug in Ansatz zu bringen, wenn die Zugehörigkeit zu einer Kirche, die Kirchensteuer erhebt, nicht mehr als für Arbeitnehmer typisch angesehen werden könnte, wenn also nicht mehr eine deutliche Mehrheit von Arbeitnehmern einer solchen Kirche angehörte (BVerfGE 90, 226, 238 = SozR 3-4100 § 111 Nr. 6 S 29). In seiner Auskunft vom 6. November 2001 hat das BMA auf Anfrage mitgeteilt, dass der Anteil der Arbeitnehmer, die Kirchensteuer zahlen, nur über die Auswertung der Lohn- und Einkommensteuerstatistik, die in einem dreijährigen Turnus erstellt werde, ermittelt werden könne. Da die Frist zur Abgabe der Einkommensteuererklärungen abgewartet werden müsse, liege die Lohn- und Einkommensteuerstatistik erst gut drei Jahre nach Ablauf des Jahres, auf das sie sich beziehe, vor. Die Statistik für 1995 sei im Sommer 1999 erstellt und ausgewertet wor¬den. Mit den Ergebnissen für 1998 werde für den Sommer 2002 gerechnet. Für die jeweilige Zwischenzeit werde der Anteil der Arbeitnehmer, die Kirchensteuer zahlten, in Anlehnung an den Anteil der Kirchenmitglieder in der Bevölkerung ermittelt, wobei der Anteil des Differenz¬betrages zwischen den Anteilen der Kirchenmitglieder an der Bevölkerung und an den Ar¬beitnehmern näherungsweise als konstant angesehen werde. Unter Zugrundelegung eines Differenzbetrages von 8 Prozentpunkten zum Jahresende 1995 und einem Anteil von 65,6 % Kirchenmitgliedern an der Gesamtbevölkerung zum Jahresende 1999 errechnet sich ein Anteil von 57,6 % Kirchenmitgliedern (vgl. auch im Einzelnen die Darstellung bei BSG, Urteil vom 21. März 2002 - B 7 AL 18/01 R -). Ergänzend hierzu hat das BMA auf Anfrage des Senats unter dem 3. Mai 2002 mitgeteilt, dass für den Stichtag 31. Dezember 2000 noch die Angaben der Evangelischen Kirche Deutschlands fehlten. Es könnten deshalb noch keine neuen Aussagen zum Anteil der Kirchenmitglieder in der Bevölkerung gemacht werden. Auf der Grundlage dieses vom BMA mitgeteilten Zahlenmaterials kann der Senat weiterhin nicht feststellen, dass der Gesetzgeber die ihm durch die Entscheidung des BVerfG auferlegte Beobachtungs- und Handlungspflicht verletzt hätte. Hierbei kann die Verfahrensweise, die durch Auswertung der Lohn- und Einkommensteuerstatistik gewonnenen Erkenntnisse für die Zwischenzeiträume jeweils anhand der Angaben der kirchensteuererhebenden Kirchen zu aktualisieren, nicht beanstandet werden. Dem Gesetzgeber ist durch die Entscheidung des BVerfG nicht auferlegt worden, zusätzlich weitere Ermittlungen zum Anteil der Kirchenmitglieder anzustellen, sondern er kann sich auf die Beobachtung und Auswertung des vorhandenen Zahlenmaterials beschränken. Unerheblich für die Entscheidung des Rechtsstreits ist, dass die maßgebenden Zahlen für das Jahr 2000 noch nicht vorliegen, denn die dem Gesetzgeber vom BVerfG auferlegte Handlungs-pflicht kann erst ausgelöst werden, wenn der Gesetzgeber auf Grund statistischer Erkennt¬nisse davon ausgehen muss, dass nicht mehr eine deutliche Mehrheit von Arbeitnehmern einer zur Erhebung von kirchensteuerermächtigten Kirche angehört. Allerdings entspricht der Gesetzgeber der ihm vom BVerfG auferlegten Beobachtungs- und Handlungspflicht nur, wenn er den Eintritt eines verfassungswidrigen Zustands vermeidet. Hierbei muss er auf der Grundlage der vom BMA vorgelegten Zahlen in Rechnung stellen, dass der Anteil derjenigen Arbeitnehmer, die Mitglied einer steuererhebenden Kirche sind, offenbar weiterhin kontinuierlich abnimmt. Zudem muss berücksichtigt werden, dass das maßgebende Zahlenmaterial jeweils erst mit einer mehrjährigen Verzögerung zur Verfügung steht. Vor diesem Hintergrund ist der Gesetzgeber nach Auffassung des Senats zur Vermeidung eines verfassungswidrigen Zustandes erhalten, den geänderten Verhältnissen Rechnung zu tragen, sobald ihm Zahlen vorliegen, wonach der Anteil derjenigen Arbeitnehmer, die einer steuererhebenden Kirche angehören, unter 55 % gesunken ist. Dann kann zukünftig nicht mehr von einer deutlichen Mehrheit von Arbeitnehmern gesprochen werden, die einer kirchensteuererhebenden Kirche angehören."

Der Senat macht sich diese Rechtsprechung zu eigen und nimmt zur weiteren Begründung seiner Entscheidung in dem vorliegenden Rechtsstreit hierauf ausdrücklich Bezug.

Zahlenmaterial, das zu einer abweichenden Beurteilung führen könnte, liegt weiterhin nicht vor.

Nachdem das BMWA dem Senat mit Schreiben vom 17. April 2003 mitgeteilt hatte, dass sich die Auswertung der Lohn- und Einkommenssteuerstatistik für das Jahr 1998 durch das Statistische Bundesamt weiter verzögere, hat das Ministerium nunmehr die Ende Mai 2000 erstellte Sonderauswertung der Lohn- und Einkommens¬steuerstatistik durch das Statistische Bundesamt zum Gegenstand seiner ergänzenden Stellungnahme vom 3. Juli 2003 machen können. Wie das BMWA mitgeteilt hat, waren im Jahre 1998 von den insgesamt 29,4 Mill. in der Statistik erfassten lohn¬steuerpflichtigen Arbeitnehmer 16,7 Mill. kirchenlohnsteuerpflichtig. Dies entspreche einem Anteil von 56,8 %. Weiter hat das BMWA ausgeführt, es erfrage außerdem von der Evangelischen Kirche Deutschlands und dem Verband der Diözesen Deutschlands die Kirchenmitgliedszahlen. Zum Jahresende 1998 seien 66,1 % der Bevölkerung Mitglied einer evangelischen oder katholischen Kirche gewesen, wie sich aus einer dem Senat übersandten Aufstellung ergebe. Der Anteil der Kirchenmitglieder unter den Arbeitnehmern habe damit 1998 um 9,4 Prozentpunkte unter dem Anteil der Kirchenmitglieder an der Bevölkerung gelegen. Zum Jahresende 2001 (neuere Zahlen lägen nicht vor) seien 64,4 % der Bevölkerung Mitglied einer Kirche gewesen. Unter der Annahme, dass auch im Jahr 2001 der Anteil der Kirchenmitglieder unter den Arbeitnehmern um 9,4 Prozentpunkte unter dem Anteil der Kirchenmitglieder an der Bevölkerung gelegen habe, ergebe sich, dass im Jahr 2001 noch 55 % der Arbeitnehmer einer die kirchensteuererhebenden Kirche angehört hätten.

Vor diesem Hintergrund ergeben sich für den Senat keine Hinweise darauf, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse zwischen den nunmehr für 1998 ermittelten Zahlen bis in die jüngste Gegenwart in dem Sinne geändert hätten, dass nicht mehr eine deutliche Mehrheit von Arbeitnehmern einer kirchensteuererhebenden Kirche angehört. Dass die vom BSG in dem Urteil vom 25. Juni 2002 (a.a.O.) genannte Zahl von 55 % als Anteil der einer steuererhebenden Kirche angehörenden Arbeitnehmer nunmehr unterschritten würde, kann den jüngst vom BMWA vorgelegten Zahlen nicht entnommen werden. Zwar ergibt sich daraus weiterhin, dass der Anteil der Kirchenmitglieder an der Bevölkerung kontinuierlich abnimmt. Hat dieser Anteil 1990 noch 72,7 % betragen, so beträgt er nunmehr nur noch 64,4 %. Auch wird weiterhin davon auszugehen sein, dass der Anteil der Kirchenmitglieder unter den Arbeitnehmern deutlich unter dem Anteil der Kirchenmitglieder an der Bevölkerung lag. Es ergeben sich allerdings keine Anhaltspunkte dafür, dass die vom BMWA unterstellte Konstanz des Differenzbetrages zwischen den Anteilen der Kirchenmitglieder an der Bevölkerung und an den Arbeitnehmern unzutreffend wäre; dies entspricht den Erfahrungswerten früherer Jahre. Angesichts dessen hält der Senat die vom BMWA mitgeteilte Zahl von 55 % der Arbeitnehmer, die 2001 einer kirchensteuererhebenden Kirche angehört haben, bisher für überzeugend.

In diesem Zusammenhang kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die dem Gesetzgeber vom BVerfG auferlegte Beobachtungs- und Handlungspflicht das Vorhandensein aktuelleren Zahlenmaterials voraussetzt; die Handlungspflicht wird erst durch entsprechende statistische Erkenntnisse ausgelöst. Dass die Lohn- und Einkommenssteuerstatistiken, aus denen sich entsprechende Erkenntnisse ergeben, wegen der Frist zur Abgabe der Einkommenssteuererklärung regelmäßig erst gut drei Jahre nach Ablauf des Jahres vorliegen, auf das sie sich beziehen, muss dabei hingenommen werden.

Nach allem kann die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Angesichts der vorliegenden BSG-Rechtsprechung besteht kein Anlass, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen.

Rechtsmittelbelehrung:

Dieses Urteil kann nur dann mit der Revision angefochten werden, wenn sie nachträglich vom Bundessozialgericht zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der Revision durch das Landessozialgericht mit der Beschwerde angefochten werden.

Die Beschwerde ist von einem bei dem Bundessozialgericht zugelassenen Prozessbevollmäch-tigten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich beim

Bundessozialgericht Graf-Bernadotte-Platz 5

34119 Kassel,

einzulegen. Die Beschwerdeschrift muss bis zum Ablauf der Monatsfrist bei dem Bundessozialgericht eingegangen sein.

Als Prozessbevollmächtigte sind zugelassen

• die Mitglieder und Angestellten von Gewerkschaften, von selbstständigen Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung, von Vereinigungen von Arbeitgebern, von berufsständischen Vereinigungen der Landwirtschaft und von Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer bisherigen Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Erfüllung dieser Aufgaben bieten,

• Personen, die als Angestellte juristischer Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der vorgenannten Organisationen stehen, handeln, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder der Organisation entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die Vereinigung für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet,

• jeder bei einem deutschen Gericht zugelassene Rechtsanwalt.

Behörden sowie Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts brauchen sich nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten zu lassen.

Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils schriftlich zu begründen.

In der Begründung muss

• die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder

• die Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der das Urteil abweicht, oder

• ein Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, bezeichnet werden. Als Verfahrensmangel kann eine Verletzung der §§ 109 und 128 I Satz 1 Sozialgerichtsgesetz nicht und eine Verletzung des § 103 Sozialgerichtsgesetz nur gerügt werden, soweit das Landessozialgericht einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision kann ein Beteiligter, der nicht schon durch einen Bevollmächtigten aus dem Kreis der oben genannten Gewerkschaften oder Vereinigungen vertreten ist, Prozesskostenhilfe zum Zwecke der Beiordnung eines Rechtsanwaltes beantragen.

Der Beteiligte kann die Prozesskostenhilfe selbst beantragen. Der Antrag ist beim Bundessozialgericht entweder schriftlich oder mündlich vor dessen Geschäftsstelle zu Protokoll zu erklären.

Dem Antrag sind eine Erklärung des Beteiligten über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten) sowie entsprechende Belege beizufügen. Hierzu ist der für die Abgabe der Erklärung vorgeschriebene Vordruck zu benutzen. Der Vordruck kann von allen Gerichten oder durch den Schreibwarenhandel bezogen werden.

Wird Prozesskostenhilfe bereits für die Einlegung der Beschwerde begehrt, so müssen der Antrag und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse - gegebenenfalls nebst entsprechenden Belegen - bis zum Ablauf der Frist für die Einlegung der Beschwerde (ein Monat nach Zustellung des Urteils) beim Bundessozialgericht eingegangen sein.

Mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe kann ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt benannt werden.

Ist dem Beteiligten Prozesskostenhilfe bewilligt worden und macht er von seinem Recht, einen Anwalt zu wählen, keinen Gebrauch, wird auf seinen Antrag der beizuordnende Rechtsanwalt vom Bundessozialgericht ausgewählt.

Der Beschwerdeschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

Das Bundessozialgericht bittet darüber hinaus um je zwei weitere Abschriften.
Rechtskraft
Aus
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