S 5 KR 2089/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Freiburg (BWB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 2089/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 8.1.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9.4.2015 wird aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der bei Frau Dr. D. durchgeführten ambulanten Hyperthermien zwischen dem 23.1.2014 und dem 11.2.2015 in Höhe von insgesamt 778,50 EUR der Klägerin zu erstatten. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand:

Bei der 1963 geborenen Klägerin wurde 2013 ein metastasierendes Mammakarzinoms links mit mehreren histologisch unterschiedlichen Tumornachweisen festgestellt, welches die Klägerin komplementär-onkologisch bei der Internistin Dr. D. behandeln ließ. Sie entschied sich gegen Operation, Bestrahlung und Chemotherapie und stellte am 28.11.2013 Antrag auf Kostenübernahme für eine von Frau Dr. D. zusätzlich zu ihren sonstigen Behandlungsmethoden empfohlene ambulante Ganzkörperhyperthermie. Im Attest der Frau hieß es hierzu, eine zusätzliche moderate systemische Ganzkörperhyperthermie sei bei der Klägerin höchst sinnvoll und dies könne ambulant unter kontinuierlicher Überwachung aller lebenswichtigen Parameter durchgeführt werden. Über die heilende Wirkung der Hyperthermie gebe es unzählige wissenschaftliche Untersuchungen. Frau Dr. D. betreibe die einzige Praxis in Südbaden, die diese Behandlung ohne Chemotherapie ambulant anbiete.

Die Beklagte hörte den MDK (MDK-Stellungnahme vom 11.12.2013), der eine ungewöhnliche Befundkonstellation und eine lebensbedrohliche Erkrankung bei der Klägerin bejahte. Auch sei die Hyperthermie, die der gemeinsame Bundesausschuss (GBA) 2005 in der Liste der nicht zugelassenen Behandlungsmethoden aufgenommen habe, doch weiterhin Gegenstand der medizinischen Wissenschaft und laufender kontrollierter klinischer Studien, etwa auch an der Universitätsklinik Tübingen. Dort erfolge im Rahmen der Qualitätssicherung unter kontrollierten Bedingungen unter anderem eine Temperaturmessung im Tumorgebiet während der Hyperthermiebehandlung. Für eine Wirksamkeit der bei der Klägerin vorgesehen Behandlung (ambulante Hyperthermie) aber gebe es keine Hinweise in der medizinischen Wissenschaft.

Erst mit Bescheid vom 8.1.2014, zur Post am 9.1. (zuvor telefonisch bereits am 7.1.2014 bekannt gegeben), lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme für die beantragte ambulante Hyperthermie ab, und zwar unter Hinweis auf den Ausschluss der Methode durch den GBA.

Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin dar, dass zwischen Dezember 2013 und August 2014 insgesamt 5 Mal jeweils mehrtägige stationäre Ganzkörperhyperthermien durchgeführt worden seien, die auch von der Beklagten bezahlt worden seien. Ambulante Hyperthermiebehandlungen hätten am 23.1.2014, 12.3.2014, 22.5.2014, 9.10.2014, 3.12.2014 und - nach einer Brustoperation vom 15.1.2014 - nochmals am 11.2.2015 stattgefunden; diese hätten insgesamt 778,50 EUR gekostet. Die entsprechenden Honorarrechnungen legte die Klägerin vor.

Mit Widerspruchsbescheid vom 9.4.2015 hielt die Beklagte an ihrer ablehnenden Haltung fest.

Die Klägerin hat deshalb am 6.5.2015 Klage erhoben. In der mündlichen Verhandlung hat sie vorgetragen, die stationären Hyperthermien seien von der Kasse nur im Abstand von 8 Wochen bewilligt worden. Ihre Ärztin habe jedoch eine Hyperthermiebehandlung jedenfalls im Abstand von 4 Wochen für unbedingt notwendig erklärt, weshalb zwischen den von der Kasse übernommenen stationären Hyperthermien die ambulante Hyperthermiebehandlungen bei Frau Dr. D. durchgeführt worden seien. Momentan fänden stationäre Hyperthermiebehandlungen nur noch alle 3 Monate statt; ihr Zustand habe sich stabilisiert.

Die Klage beantragt:

Der Bescheid vom 8.1.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9.4.2015 wird aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der bei Frau Dr. D. durchgeführten ambulanten Hyperthermien zwischen dem 23.1.2014 und dem 11.2.2015 in Höhe von insgesamt 778,50 EUR der Klägerin zu erstatten

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat sich auf die Frage des Gerichts, ob die Klägerin nicht einen Anspruch auf Kostenerstattung für die selbstbeschafften ambulanten Hyperthermiebehandlungen im Hinblick auf § 13 Abs. 3 a SGB V habe, mit ausführlichem Schriftsatz vom 03.06.2015 verneinend geäußert.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die weiteren Schriftsätze der Beteiligten und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die angefochtene ablehnende Entscheidung der Beklagten vom 8.1.2014 ist schon deshalb rechtswidrig, weil sie der zuvor eingetretenen Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3 a S. 6 SGB V widerspricht und allein deshalb aufzuheben ist. Die eingetretene Genehmigungsfiktion hätte die Beklagte nur dadurch beseitigen können, dass sie einen Rücknahmebescheid gem. § 45 SGB X erlassen hätte, was jedoch vorliegend nicht geschehen ist. Allein der Erlass eines ablehnenden Bescheides unter dem 8.1.2014 stellt in keiner Weise eine im Sinne des § 45 SGB X denkbare Rücknahmeentscheidung dar, denn weder war der Beklagten bewusst, dass hier bereits eine Genehmigung infolge des § 13 Abs. 3 a S. 6 zu fingieren war, noch hat sie in irgendeiner Weise ein nach § 45 SGB X zwingend notwendiges Rücknahmeermessen ausgeübt.

Auf Grund der hier eingetretenen Fiktion der Genehmigung des Antrags der Klägerin auf ambulante Hyperthermiebehandlungen, war deshalb dem mit der Klage verfolgten Kostenerstattungsantrag stattzugeben.

Ansprüche gesetzlich versicherter Patienten auf Kostenerstattung für selbstbeschaffte Leistungen sind in der Vorschrift des § 13 SGB V geregelt:

Seit jeher konnten Versicherte, sofern die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hatte, die dadurch für eine selbstbeschaffte Leistung entstandenen Kosten von der Krankenkasse erstattet verlangen, soweit die Leistung notwendig war (Absatz 3 der Vorschrift).

Inzwischen hat der Gesetzgeber durch Gesetz vom 20.2.2013 (BGBl. I S. 277) einen neuen Absatz 3a in die Vorschrift eingefügt. Nach Absatz 3a Satz 1 hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von 3 Wochen nach Antragseingang, bzw. in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme etwa des MDK eingeholt wird, innerhalb von 5 Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Diese 5-Wochen-Frist war im vorliegenden Fall am 02.01.2014 abgelaufen. Die beklagte Krankenkasse hat jedoch innerhalb dieser Frist nicht über den Antrag auf Übernahme der ambulanten Hyperthermie entschieden, offenbar wegen der zwischen Eingang des MDK-Gutachtens (16.12.2013) bzw. einer zusätzlichen Nachfrage bei der Universitätsklinik Tübingen vom 23.12.2013 und der Entscheidung der Kasse liegenden Weihnachts- und Neujahrstage. Die Beklagte hatte jedoch in diesem Zusammenhang die Klägerin nicht etwa zwischenzeitlich darüber unterrichtet, dass sie die Fristen nach Satz 1 der Vorschrift nicht werde einhalten können, wie dies Satz 5 des Absatzes 3a vorsieht. Damit erfolgte keine Mitteilung eines unter Umständen hinreichenden Grundes für eine Fristverzögerung, so dass die beantragte Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt galt (Satz 6).

Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, so ist die Krankenkasse nach Abs. 3a Satz 7 zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Im Fall der Klägerin bedeutet dies, dass die Beklagte zur Erstattung der durch die beantragte ambulante Hyperthermie entstandenen Kosten verpflichtet ist.

Soweit die Beklagte die neue gesetzliche Regelung enger auslegen will, vermag ihr die Kammer nicht zu folgen.

Die Auslegung durch die Beklagte läuft darauf hinaus, dass der Gesetzgeber in Satz 6 der neuen Vorschrift nichts anderen geregelt hätte, als dass die Leistungen nach Ablauf der Frist als abgelehnt gälten. Nach einer derartigen Ablehnung, so regelt dies schon § 13 Abs. 3 SGB V seit jeher, kann sich der Versicherte die Leistung selbst beschaffen und die Kosten für die Selbstbeschaffung sodann von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, sofern die Leistungsablehnung zu Unrecht erfolgt war. Der Versicherte trägt hierbei das Risiko, dass sich seine Einschätzung, die Ablehnung durch die Krankenkasse sei zu Unrecht erfolgt, als richtig erweist, und er dann einen Kostenerstattungsanspruch gegen die Kasse hat.

Demgegenüber ist der Wortlaut des § 13 Abs. 3 a Satz 6 SGB V jedoch ein anderer. Der Gesetzgeber hat hier nicht geregelt, dass die Leistungen nach Ablauf der 5-Wochen-Frist als abgelehnt gelten würden, sondern er hat ausdrücklich geregelt, dass die Leistungen nach Ablauf der Frist als genehmigt gelten. Der klare Wortlaut dieser Vorschrift verbietet es, die Begrifflichkeit "als genehmigt gelten" so auszulegen, als bedeute sie nichts weiter als "abgelehnt gelten". Können die Gerichte sich jedoch bei ihrer Auslegung der neuen Vorschrift sich nicht über den klaren Wortlaut des Satzes 6, dass nämlich die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt gelte, hinwegsetzen, so ist im Lichte dieser Vorschrift auch § 13 Abs. 3 a Satz 7 auszulegen, wo davon die Rede ist, dass die Krankenkasse zur Erstattung der Kosten verpflichtet sei, wenn sich der Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist (also nach Eintritt der Genehmigungsfiktion) eine erforderliche Leistung selbst beschaffe. Der Begriff der erforderlichen Leistung kann im Hinblick auf die vorher schon eingetretene Genehmigungsfiktion nicht so verstanden werden, als dass hier die Gerichte nochmals in vollem Umfang zu prüfen hätten, ob die genehmigte Leistung eine im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung erforderliche Leistung war. Wäre das "erforderlich" in diesem Sinne zu verstehen, würde damit die Fiktion einer Genehmigung der Leistung wieder ad absurdum geführt. Der Begriff der erforderlichen Leistung im Sinne des Satzes 7 kann hier nur so verstanden werden, dass der Leistungsberechtigte sich die genehmigte Leistung nicht verschaffen darf, wenn sie inzwischen, etwa wegen Heilung der Erkrankung, wegen inzwischen erfolgter Amputation einer zuvor verletzen Gliedmaße oder ähnlicher Umstände überhaupt nicht mehr erforderlich ist. Außerdem ist der Begriff der erforderlichen Leistung aus systematischen Gründen selbstverständlich dahingehend zu verstehen, dass es sich um generell im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung überhaupt denkbare medizinisch erforderliche Leistungen handeln muss. Dies bedeutet, dass beispielsweise ein Antrag des Versicherten, die Krankenkasse möge ihn mit einem gesundheitsgemäßen Haus, einem gesundheitsgemäßen Auto oder ähnlichen Gegenständen versorgen, auch nach Ablauf der 3- bzw. 5-Wochenfrist nicht als genehmigt gilt, weil es sich insofern schon im allgemeinen Rahmen des SGB V um systemfremde Leistungen handelt (gleichartige Auslegung: LSG für das Saarland, Urteil vom 17.6.2015, L 2 KR 180/14; Revision beim Bundessozialgericht anhängig unter B 1 KR 25/15 R).

Nach alledem war wie erkannt zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung war nach § 193 SGG zu treffen.
Rechtskraft
Aus
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