S 20 KR 128/12

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 20 KR 128/12
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid der Beklagten vom 08.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2012 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin die Kosten für die Anschaffung des Kombi-Verdecks mit Sichtfenster und integrierten Regencape in Höhe von 349,90 EUR zu erstatten.
Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beklagte.
Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Verfahren streiten die Beteiligten um die Kostenerstattung für ein Kombiverdeck mit integriertem Regencape für den von der Beklagten bewilligten Reha-Buggy.

Die am ... 2009 geborene Klägerin ist bei der Beklagten über ihre gesetzliche Vertreterin familienversichert. Sie leidet an einer Gangliosidose, die zu einer Störung im zentralen Nervensystem, insbesondere zu Gangstörungen führt. Seit Februar 2012 ist die Klägerin durch die Beklagte mit einem Reha-Buggy "TOM 5 Streeter" versorgt worden.

Mit Antrag vom 19.04.2012 wurde ein Kostenvoranschlag des Leistungserbringers S. GmbH M. bei der Beklagten eingereicht. Hierbei wurde als Zubehör für den Reha-Buggy für die Klägerin sowohl ein Kombiverdeck Größe 1 mit Sichtfenster und integriertem Regencape sowie eine Kopfstütze, ein Sommer- und ein Winterschlupfssack beantragt. Die Beklagte hat zwar einen Schlupfsack und die Kopfstütze bewilligt, jedoch mit Bescheid vom 08.05.2012 die Versorgung mit einem Kombiverdeck mit Regencape abgelehnt, da es sich um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handeln würde.

Mit Widerspruch vom 17.05.2012, bei der Beklagten am 21.05.2012 eingegangen, haben die gesetzlichen Vertreter der Klägerin mitgeteilt, dass das Verdeck für die Klägerin von essentieller Wichtigkeit sei, da es bei direkter Sonneneinstrahlung zu epileptischen Anfällen kommen könne, so dass das Verdeck zur Nutzung des Reha-Buggys notwendig sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.07.2012 hat die Beklagte die Kostenübernahme bzw. die Gewährung als Sachleistung nach § 33 Abs. 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) abgelehnt. Es handele sich vorliegend um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, den auch Nichtbehinderte bzw. Gesunde benutzen würden und ohne Weiteres gegen einen demselben Zweck dienenden handelsüblichen Gegenstand ausgetauscht werden könne.

Die Klägerin hat das Kombiverdeck bestellt und zu einem Preis von 349,90 EUR (Rechnung vom 14.09.2012) geliefert bekommen.

Mit der Klage vom 09.08.2012 zunächst unter dem Aktenzeichen S 12 R 399/12 erfasst und sodann an die 20. Kammer abgegeben, hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt.

Die Klägerin trägt vor, dass der Reha-Buggy ohne das zusätzliche Kombiverdeck nicht zweckentsprechend genutzt werden könne. Vielmehr sei dann der Reha-Buggy nur in Innenräumen verwendbar. Für die Klägerin bestünden erhebliche Beeinträchtigungen im Hinblick auf die Verwendung des Reha-Buggys mit direkter Sonneneinstrahlung, da dann epileptische Anfälle drohten. Zudem sei auch die jüngere Schwester der Klägerin mit einem entsprechenden Reha-Buggy versorgt worden, zu dem auch das Kombiverdeck gleich als Teil mitgeliefert worden sei, so dass nicht nachvollziehbar sei, wieso das Kombiverdeck bei der Klägerin nicht bewilligt werde.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 08.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die Kosten für die Anschaffung des Kombiverdecks mit Sichtfenster und integriertem Regencape in Höhe von 349,90 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist darauf, dass es sich bei dem Kombiverdeck um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handeln würde. Insoweit sei eine Versorgung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Das Verdeck sei auch als Zubehörteil nicht zwingend erforderlich, da der Reha-Buggy auch ohne Verdeck nutzbar sei.

Das Gericht hat noch zusätzliche Informationen bei dem Leistungserbringer (S. GmbH) eingeholt. Diese hat mit Schreiben vom 22.11.2011 mitgeteilt, dass das Regenverdeck ein Zubehörteil ausschließlich für den Reha-Buggy "TOM 5 Streeter" sei und an einen anderen Reha-Buggy nicht angebaut werden könne. Zudem sei ein anderes Verdeck eines anderen Herstellers an dem Reha-Buggy nicht anzubringen.

Weiterhin hat die Klägerin Lichtbilder des Reha-Buggys mit und ohne Verdeck bei Gericht eingereicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen. Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand mündlichen Verhandlung und Beratung der Kammer.

Entscheidungsgründe:

1. Die Klage ist als Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig. Nachdem die Klägerin ursprünglich die Bereitstellung eines Kombiverdecks mit Regencape als Zubehörteil für den Reha-Buggy als Sachleistung beantragt hatte, hat sie dieses zwischenzeitlich erworben, so dass das Verfahren auf Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V gerichtet ist. Insoweit handelt es sich hier um eine zulässige Änderung des Streitgegenstandes, ohne dass eine Klageänderung vorliegen würde (§ 99 Abs. 3 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

2. Die Klage ist begründet. Die Ablehnung der Gewährung eines Kombiverdecks als Kassenleistung durch die Beklagte mit Bescheid vom 08.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2012 war rechtswidrig. Der Klägerin stand ein entsprechender Sachleistungsanspruch zu, so dass nunmehr durch die Beklagte die entstandenen Kosten in Höhe von 349,90 EUR zu erstatten sind.

Im Einzelnen:

a) Grundlage des Kostenerstattungsanspruchs ist § 13 Abs. 3 Alternative 2 SGB V. Danach hat die Krankenkasse, wenn sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch den Versicherten Kosten für eine selbst beschaffte Leistung entstanden sind, die Kosten für die selbst beschaffte Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit diese notwendig war. Die zweite Alternative des § 13 Abs. 3 SGB V ist einschlägig, wenn die Beschaffung der Leistung gerade auf der Ablehnung eines Antrages des Versicherten beruhte (BSG, Urteil vom 03.08.2006, Az.: B 3 KR 24/05 R und Urteil vom 24.09.1996, Az.: 1 R K 33/95, zitiert nach juris).

Der Klägerin bzw. deren gesetzliche Vertreterin sind hier Kosten für die Anschaffung des Kombiverdecks mit integriertem Regencape Größe 1 für den Reha-Buggy "TOM 5 Streeter" ausweislich der Rechnung vom 14.09.2012 in Höhe von 349,90 EUR entstanden. Die Beschaffung des Zubehörteils für den Reha-Buggy erfolgte nach Ablehnung durch die Beklagte mit Bescheid vom 08.05.2012. Damit ist hier nicht ersichtlich, dass eine unzulässige Selbstbeschaffung in der Form vorliegen würde, dass das Hilfsmittel bereits vor der ablehnenden Entscheidung der Beklagten über den Leistungsantrag beschafft wurde, so dass das Sachleistungsprinzip nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V umgangen worden wäre.

b) Die Beklagte hat die Versorgung der Klägerin mit dem Kombiverdeck mit integriertem Regencape zu Unrecht abgelehnt. Der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse. Er setzt voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes, vgl. Urteil vom 14.12.2006, Az.: B 1 KR 12/06 R, Urteil vom 27.03.2007, Az.: B 1 KR 17/06 R, jeweils zit. nach juris). Die Klägerin hatte einen Primäranspruch auf Versorgung mit dem Hilfsmittel als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung, der sich aufgrund der fehlerhaften Ablehnung und Selbstbeschaffung in einen Kostenerstattungsanspruch gewandelt hat.

aa) Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V i.V.m. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, eine drohende Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit das Hilfsmittel nicht als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen ist. Darüber hinaus müssen Leistungen bei der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 12 Abs. 1 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein, sie dürften das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.

Im vorliegenden Fall geht es um die Frage eines Behinderungsausgleichs, der von der 3. Alternative des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V erfasst wird. Nach dieser Vorschrift besteht ein Anspruch auf das begehrte Hilfsmittel, wenn es erforderlich ist, um das Gebot eines möglichst weitgehenden Behinderungsausgleichs zu erfüllen. Gegenstand des Behinderungsausgleichs sind zunächst solche Hilfsmittel, die auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet sind und dem unmittelbaren Ersatz ausgefallener Funktionen dienen. Der in § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V genannte Zweck des Behinderungsausgleichs umfasst jedoch auch solche Hilfsmittel, die die direkten oder indirekten Folgen einer Behinderung ausgleichen. Ein Hilfsmittel ist von der gesetzlichen Krankenversicherung immer dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderungen im täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis betrifft. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 26.03.2003, Az.: B 3 KR 23/02 R) gehören zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrung aufnehmen, Ausscheiden, elementare Körperpflege, selbstständiges Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums im Nahbereich der Wohnung und das Bedürfnis, bei Krankheit oder Behinderung Ärzte und Therapeuten aufzusuchen.

Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V besteht zudem ein Anspruch auf das notwendige Zubehör zu einem Hilfsmittel, d.h. auf diejenigen Geräte und Gegenstände, die zum Betrieb des Hilfsmittels unentbehrlich und erforderlich sind (Kasseler Kommentar zum SGB V, 76. Ergänzungslieferung 2012, § 33 Rn. 19). Auch das Bundessozialgericht zählt generell Zubehörteile bzw. Betriebsmittel für ein Hilfsmittel zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung, selbst wenn diese für sich genommen Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens wären (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 06.02.1997, Az.: 3 RK 3/96).

bb) Im vorliegenden Fall ist die Klägerin aufgrund der bei ihr vorliegenden Erkrankung des zentralen Nervensystems und der damit einhergehenden Gangstörung durch die Beklagte mit einem Reha-Buggy versorgt worden. Dieser dient dem Behinderungsausgleich hinsichtlich der Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraumes im Nahbereich der Wohnung. Nur mit diesem Reha-Buggy ist es der gesetzlichen Vertreterin der Klägerin möglich, diese zu transportieren. Insoweit ist hier auch die entsprechende Kopfstütze zum Reha-Buggy als Zubehör durch die Beklagte übernommen worden.

Bei dem Kombiverdeck handelt es sich ebenfalls um ein Zubehörteil, welches zur bestimmungsgemäßen Nutzung des Reha-Buggys zwingend erforderlich ist. Dies ergibt sich zum einen aus dem Umstand, dass der Reha-Buggy vornehmlich außerhalb der Wohnung genutzt wird und genutzt werden soll. Insoweit ist dann bei entsprechenden Witterungsverhältnissen der Reha-Buggy sowohl hinsichtlich Sonneneinstrahlung als auch bei Regenwetter dann nicht nutzbar, wenn er nicht zumindest über ein Verdeck (ggf. auch ohne spezielles Regenverdeck) verfügt. Demgemäß kann durch die Kammer darauf verwiesen werden, dass regelmäßig Kinderwagen bereits von vornherein mit einem Verdeck ausgestattet sind und dieses daher bereits integrierter Bestandteil des Kinderwagens ist.

cc) Das Kombiverdeck ist nicht nach § 34 Abs. 4 SGB V von der Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Es handelt sich zudem auch nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens wie hier durch die Beklagte angenommen worden ist. Mit diesem Ausschluss sollen diejenigen Gegenstände von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen werden, die nicht aufgrund medizinischer Erfordernisse und einer gezielten Krankheitsbekämpfung zu übernehmen sind und allein der Eigenverantwortung des Versicherten zugeordnet werden können (Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht SGB V, 76. Ergänzungslieferung 2012, § 33 Rn. 21).

Hier bestehen bereits Bedenken, ob das Kombiverdeck insoweit als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens angesehen werden kann. Die Abgrenzung zwischen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens und Hilfsmittel erfolgt danach, welchem Zweck der Gegenstand dient. Geräte, die für spezielle Bedürfnisse kranker und behinderter Menschen entwickelt sowie hergestellt worden sind, die ausschließlich oder ganz überwiegend von diesem Personenkreis benutzt werden, sind nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände anzusehen (Bundessozialgericht, Urteil vom 16.09.1999, Az.: B 3 KR 1/99 R). Nach der hier eingeholten Stellungnahme des Leistungserbringers (S. GmbH) wird das Kombiverdeck ausschließlich für die Benutzung des Reha-Buggy "TOM 5 Streeter" hergestellt und ist nur für diesen geeignet. Dies ist insoweit nachvollziehbar als der Reha-Buggy eine besondere Konstruktion aufweist, so dass hier nicht standardmäßig jedes Kombiverdeck passen kann. Dementsprechend ist das streitige Kombiverdeck weder an normalen standardmäßigen Kinderwagen verwendbar, noch kann ein Standardverdeck eines Kinderwagens – das unzweifelhaft als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen wäre – bei dem Reha-Buggy verwendet werden.

Darüber hinaus ist darauf zu verweisen, dass unabhängig von der Frage des Vorliegens eines Gebrauchsgegenstandes des täglichen Lebens ein Zubehörteil jedenfalls nicht dem Leistungsausschluss unterfällt, selbst wenn es sich um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handeln würde. Etwas anderes kann nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nur dann gelten, wenn das Zubehörteil für sich genommen als selbstständiger Gebrauchsgegenstand zu qualifizieren wäre und verwendet werden kann (Kasseler Kommentar, a.a.O.). Vorliegend ist das Kombiverdeck ohne den Reha-Buggy nicht eigenständig verwendbar. Es handelt sich offensichtlich und unzweideutig um ein Zubehörteil, so dass hier der Leistungsausschluss hinsichtlich eines Gebrauchsgegenstandes bereits nicht anwendbar ist, unabhängig davon, dass die Kammer auch davon ausgeht, dass ein Gebrauchsgegenstand hier nicht vorliegt, da das Kombiverdeck ausdrücklich für den Reha-Buggy hergestellt wird und nur für diesen nutzbar ist.

dd) Die Versorgung mit dem Kombiverdeck überschreitet auch nicht das Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 Abs. 1 SGB V. Dieses begrenzt den Anspruch auf Hilfsmittel einschließlich der Zubehörteile auf diejenigen Hilfsmittel die geeignet und erforderlich sind, die Betroffenen in den Stand zu versetzen oder es ihnen zu erleichtern den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens nachzukommen. Zu den Grundbedürfnissen der Klägerin gehört auch, dass der Reha-Buggy nicht nur bei schönem Wetter genutzt werden kann. Ein Verweis allein auf eine Ausstattung mit entsprechenden Kleidungsstücken kann hier nicht verhindern, dass der Buggy für die Klägerin bei entsprechenden Witterungsverhältnissen nicht nutzbar wäre. Ausweislich der Fotos in der Gerichtsakte ist ersichtlich, dass bei einer Nutzung des Reha-Buggys völlig ohne Verdeck letztlich die Klägerin ungeschützt sämtlichen Witterungsverhältnissen ausgesetzt wäre (Wind, Schnee, Regen, Sonne).

Zusätzlich kann auf die Stellungnahme der Uniklinik L. vom 25.07.2012 verwiesen werden. Danach haben die behandelnden Ärzte mitgeteilt, dass bei der Klägerin die Gefahr eines epileptischen Anfalles besteht, wenn sie direkter Sonneneinstrahlung ausgesetzt ist. Ausweislich dieser Stellungnahme ist es für die Kammer nachvollziehbar, dass die gesetzlichen Vertreter der Klägerin den Reha-Buggy nur dann nutzen, wenn ein entsprechendes Kombiverdeck vorhanden ist. Soweit dieses hier durch sie nicht selbst beschafft worden wäre, wäre letztlich der Reha-Buggy für die Klägerin kaum nutzbar gewesen, da er jedenfalls im Außenbereich nur stark eingeschränkt eingesetzt werden konnte.

Darüber hinaus hat die Klägerin auch keine andere Möglichkeit einer zweckentsprechenden Versorgung als die Nutzung des Kombiverdecks. Dies ergibt sich aus der Stellungnahme des Leistungserbringers, da dieser nachvollziehbar mitgeteilt hat, dass die Nutzung anderweitige Anbauteile aufgrund der Konstruktion des Reha-Buggys nur schwer möglich seien. Auch die gesetzliche Vertreterin der Klägerin hat glaubhaft mitgeteilt, dass versucht worden sei, anderweitige Verdecke bzw. Schutzmöglichkeit zu installieren, allerdings diese nicht korrekt angebaut werden konnten.

ee) Ergänzend wird noch darauf verwiesen, dass die Argumentation der Beklagten dazu führen würde, dass sämtliche Gegenstände, die eine Zweckrichtung verfolgen, die auch für Nichtbehinderte sinnvoll bzw. erforderlich ist, dem Begriff des Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens unterfallen würden. Dies ist jedoch weder Sinn noch Zweck der Hilfsmittelversorgung nach dem SGB V. So kann allenfalls ein Eigenanteil dahingehend zum Abzug kommen, wenn es sich um einen Gegenstand mit Doppelfunktion handelt. Bei solchen Gegenständen, die sowohl dem täglichen Leben gebraucht werden, als auch dem medizinischen Ausgleich einer Behinderung dienen wird, insoweit ein Eigenanteil errechnet, den die Krankenkasse nicht zu übernehmen hat. Dies beruht darauf, dass die Versicherten auch ohne Behinderung einen gleichartigen Gegenstand angeschafft hätten, auch wenn der konkret beschaffte Gegenstand direkt für Behinderte oder kranke Menschen hergestellt wurde. Dies ist grundsätzlich bei der Beschaffung eines Regenverdecks der Fall, da eine Beschaffung gegebenenfalls auch bei einem nicht behinderten Kind angefallen wäre.

Allerdings ist im vorliegenden Fall nach Auffassung der Kammer kein Eigenanteil für die Klägerin zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Verdecks folgt dies daraus, dass dieses regelmäßig bei dem Erwerb eines Kinderwagens integriert ist. Darüber hinaus ist im Rahmen eines zwingend erforderlichen Zubehörteils für ein bereits bewilligtes Hilfsmittel ein entsprechender Eigenanteilsabzug nicht vorzunehmen. Insoweit handelt es sich nicht um ein Hilfsmittel mit Doppelfunktion, sondern um ein Zubehörteil, welches das eigentliche Hilfsmittel erst voll gebrauchsfertig und gebrauchsfähig macht, so dass es nicht gerechtfertigt ist, einen Eigenanteil abzusetzen.

ff) Ergänzend wird noch darauf verwiesen, dass die Argumentation der Beklagten auch insoweit widersprüchlich ist, als durch diese zumindest ein Sommer- oder Winterschlupfsack für den Reha-Buggy bewilligt wird. Nach den Einlassungen der Beklagten dürfte dieser im Hinblick auf Witterungsschutz gerade nicht als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden. Daher ist hier nicht nachvollziehbar, wieso einerseits zum Kombiverdeck eine Argumentation hinsichtlich eines Gebrauchsgegenstandes des täglichen Lebens erfolgt, andererseits jedoch ein Schlupfsack bewilligt wird.

Darüber hinaus ist für die Kammer auch nicht nachvollziehbar, wieso unwidersprochen bei der Schwester der Klägerin – gegebenenfalls auch in weiteren Fällen – ein Reha-Buggy gleich vollständig integriert mit Verdeck bewilligt wird, jedoch dies bei der Klägerin im Rahmen einer nachträglichen Beantragung verweigert wurde.

Einer Zuzahlung war hinsichtlich der Versorgung der Klägerin nach § 33 Abs. 8 SGB V nicht abzuziehen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 183 Satz 1 SGG und folgte der Entscheidung in der Sache.

4. Die Berufung ist auf Grund des Wertes des beschafften Kombiverdecks von 349,90 EUR nicht von Gesetzes wegen nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zugelassen, da der Beschwerdewert von 750 EUR nicht überschritten wird. Sie war auch nicht nach § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, da bei der vorliegenden Einzelfallentscheidung nicht ersichtlich ist, dass die Rechtsache grundsätzliche Bedeutung hat. Das Gericht ist nicht von der bisherigen ober- oder höchstrichterlichen Rechtssprechung abgewichen, sondern hat diese vielmehr bestätigt und auf den vorliegenden Fall angewandt.
Rechtskraft
Aus
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