Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
15
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 RF 32/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Kostenbeschluss
Leitsätze
1. Fehlen sowohl eine Anordnung des persönlichen Erscheinens als auch die Gebotenheit des persönlichen Erscheinens, kommt eine Entschädigung für das Erscheinen bei Gericht nicht in Betracht.
2. Die Festlegung des Gerichts der Hauptsache bezüglich der Frage der Gebotenheit des persönlichen Erscheinens ist für das Kostenverfahren grundsätzlich bindend.
3. Die Festlegung des Gerichts der Hauptsache bezüglich der Frage der Gebotenheit des persönlichen Erscheinens hat keines gerichtlichen Beschlusses bedurft. Vielmehr konnte die Ablehnung der Gebotenheit des persönlichen Erscheinens in Form einer prozessleitenden Verfügung erfolgen.
2. Die Festlegung des Gerichts der Hauptsache bezüglich der Frage der Gebotenheit des persönlichen Erscheinens ist für das Kostenverfahren grundsätzlich bindend.
3. Die Festlegung des Gerichts der Hauptsache bezüglich der Frage der Gebotenheit des persönlichen Erscheinens hat keines gerichtlichen Beschlusses bedurft. Vielmehr konnte die Ablehnung der Gebotenheit des persönlichen Erscheinens in Form einer prozessleitenden Verfügung erfolgen.
Dem Antragsteller steht keine Entschädigung für das Erscheinen bei der mündlichen Verhandlung am 30.04.2015 zu.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt eine Entschädigung nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) wegen einer mündlichen Verhandlung, bei der er erschienen ist, ohne dass sein persönliches Erscheinen angeordnet gewesen wäre.
In dem am Bayer. Landessozialgericht (LSG) unter dem Aktenzeichen L 18 AS 83/15 geführten Rechtsstreit des Antragstellers wurde auf den 30.04.2015 eine mündliche Verhandlung terminiert. Das persönliche Erscheinen des Antragstellers wurde nicht angeordnet; der Antragsteller wurde lediglich mit Terminsmitteilung vom 31.03.2015 über den Termin zur mündlichen Verhandlung in Kenntnis gesetzt.
An der mündlichen Verhandlung am 30.04.2015 nahm der Antragsteller teil. Das persönliche Erscheinen wurde auch im Termin nicht angeordnet.
Mit Schreiben vom 22.05.2015 beantragte der Antragsteller eine Entschädigung wegen des Gerichtstermins am 30.04.2015, da er knapp 300 km gefahren sei, um der "Ladung folge zu leisten".
Die Kostenbeamtin des LSG lehnte mit Schreiben vom 08.06.2015 eine Entschädigung ab, da das persönliche Erscheinen nicht angeordnet und auch nicht vom Gericht nachträglich für geboten erachtet worden sei.
Mit Schreiben vom 23.06.2015 hat sich der Antragsteller unter Androhung einer Strafanzeige gegen die Ablehnung der Entschädigung gewandt und anschließend mit Schreiben vom 01.07.2015 nochmals an die Erstattung der ihm entstandenen Fahrtkosten erinnert.
Auf Nachfrage des Kostensenats hat der Vorsitzende des 18. Senats am 09.09.2015 mitgeteilt, "dass das Erscheinen des Klägers bei der mündlichen Verhandlung am 30.04.2015 nicht im Sinne des § 191 SGG geboten war."
II.
Die Festsetzung der Entschädigung erfolgt gemäß § 4 Abs. 1 JVEG durch gerichtlichen Beschluss, wenn wie hier der Berechtigte mit Schreiben vom 23.06.2015 (und 01.07.2015) sinngemäß die gerichtliche Festsetzung dadurch beantragt, dass er die Ablehnung der Entschädigung durch die Kostenbeamtin beanstandet.
Für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 30.04.2015 steht dem Antragsteller keine Entschädigung zu, weil weder sein persönliches Erscheinen zur mündlichen Verhandlung am 30.04.2015 angeordnet worden ist noch das Gericht der Hauptsache sein Erscheinen für geboten gehalten hat.
1. Prüfungsumfang im Verfahren der gerichtlichen Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG
Die gerichtliche Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG stellt keine Überprüfung der vom Kostenbeamten vorgenommenen Ermittlung der Entschädigung oder Vergütung dar, sondern ist eine davon unabhängige erstmalige Festsetzung. Bei der Festsetzung durch den Kostenbeamten handelt es sich um eine lediglich vorläufige Regelung, die durch den Antrag auf gerichtliche Festsetzung hinfällig wird (vgl. Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.11.1968, Az.: RiZ (R) 4/68). Damit wird eine vorherige Berechnung der Beträge im Verwaltungsweg sowohl bei den Einzelpositionen als auch im Gesamtergebnis gegenstandslos. Das Gericht hat daher eine vollumfassende Prüfung des Entschädigungs- oder Vergütungsanspruchs vorzunehmen, ohne auf Einwände gegen die im Verwaltungsweg erfolgte Festsetzung beschränkt zu sein. Die vom Gericht festgesetzte Entschädigung oder Vergütung kann daher auch niedriger ausfallen, als sie zuvor vom Kostenbeamten festgesetzt worden ist; das Verbot der reformatio in peius gilt nicht (h.M., vgl. z.B. Beschluss des Senats vom 08.05.2014, Az.: L 15 SF 42/12; Meyer/Höver/Bach/Oberlack, JVEG, 26. Aufl. 2014, § 4, Rdnr. 12 - m.w.N.).
2. Grundvoraussetzung einer Entschädigung: Anordnung oder Gebotenheit des persönlichen Erscheinens
2.1. Allgemeines
Beteiligte eines gerichtskostenfreien sozialgerichtlichen Verfahrens im Sinn des § 183 SGG sind gemäß § 191 SGG wie Zeugen, d.h. nach den Vorschriften des JVEG, zu entschädigen, wenn ihr persönliches Erscheinen angeordnet worden ist. Ist das persönliche Erscheinen nicht angeordnet und erscheint der Beteiligte gleichwohl, steht eine Entschädigung im Ermessen des Gerichts, wenn das Gericht der Hauptsache das Erscheinen für geboten hält. Bejaht das Gericht der Hauptsache die Gebotenheit des Erscheinens nicht, kommt eine Entschädigung nicht in Betracht.
Die vom Gericht der Hauptsache als gesetzlicher Richter getroffenen Festlegungen sind für den Kostenbeamten bzw. das Gericht der Kostensache unabhängig von deren materiellen Richtigkeit grundsätzlich bindend (allgemeiner Grundsatz im Kostenrecht, vgl. zum JVEG: Beschlüsse des Senats vom 16.02.2012, Az.: L 15 SF 204/11, vom 24.07.2014, Az.: L 15 SF 200/14 [explizit zur Frage des Gebotenseins des Erscheinens i.S.d. § 191 SGG], und vom 11.08.2015, Az.: L 15 RF 29/15; zum Gerichtskostengesetz - GKG -: Beschluss des Senats vom 10.04.2015, Az.: L 15 SF 83/15 E). Eine Bindungswirkung besteht lediglich dann nicht, wenn eine erfolgte Festlegung rechtlich als nullum zu betrachten ist (vgl. zum GKG: Beschluss des Senats vom 07.10.2014, Az.: L 15 SF 61/14 E).
2.2. Keine Anordnung oder Gebotenheit des persönlichen Erscheinens im Fall des Antragstellers
Die Grundvoraussetzung der Anordnung oder Gebotenheit des persönlichen Erscheinens ist bei der Teilnahme des Antragstellers an der mündlichen Verhandlung am 30.04.2015 nicht erfüllt. Weder hat das Gericht der Hauptsache, der 18. Senat, das persönliche Erscheinen des Antragstellers für die mündliche Verhandlung am 30.04.2015 angeordnet noch hat das Gericht der Hauptsache das Erscheinen für geboten erachtet.
2.2.1. Keine Anordnung des persönlichen Erscheinens
In der Terminsmitteilung vom 31.03.2015 ist der Antragsteller lediglich über den Termin zur mündlichen Verhandlung informiert, nicht aber sein persönliches Erscheinen angeordnet worden.
So ist in diesem Schreiben ausdrücklich darauf hingewiesen worden: "Es steht Ihnen frei, zu der Verhandlung zu erscheinen." Sofern der Antragsteller, worauf sein Schreiben vom 22.05.2015 hindeuten könnte, die gerichtliche Terminsmitteilung dahingehend missverstanden haben sollte, dass er darin eine Ladung im Sinn einer Aufforderung zum persönlichen Erscheinen gesehen habe, ist dies rechtlich unerheblich. Die gerichtliche Terminsmitteilung ist eindeutig und zweifelsfrei so formuliert, dass es im Belieben des Antragstellers steht, ob er zur mündlichen Verhandlung erscheint oder nicht. Sofern der Antragsteller aufgrund von Sprachschwierigkeiten - der Antragsteller ist Italiener - den Text des gerichtlichen Schreibens nicht richtig verstanden haben sollte, würde dies in seinen eigenen Risikobereich, nicht den des Gerichts fallen und wäre daher rechtlich ohne Relevanz (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Beschluss vom 11.08.1989, Az.: 2 BU 72/89); denn die Gerichtssprache ist gemäß § 61 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 184 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz deutsch.
2.2.2. Keine Gebotenheit des Erscheinens
Das Erscheinen des Antragstellers bei der mündlichen Verhandlung am 30.04.2015 war nicht geboten. Dies hat der Vorsitzende des 18. Senats, des Gerichts der Hauptsache, auf Anfrage des Kostensenats ausdrücklich am 09.09.2015 verfügt.
Die Festlegung des Gerichts der Hauptsache ist für das Kostenverfahren grundsätzlich bindend. Die Verfügung des Vorsitzenden des 18. Senats, dass das Erscheinen des Antragstellers bei der mündlichen Verhandlung nicht geboten gewesen sei, ist rechtlich maßgeblich und stellt kein nullum im Sinn der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss vom 07.10.2014, Az.: L 15 SF 61/14 E) dar.
Die Festlegung des Gerichts der Hauptsache bezüglich der Gebotenheit des Erscheinens des Antragstellers hat keines gerichtlichen Beschlusses bedurft. Vielmehr konnte die Ablehnung der Feststellung der Gebotenheit des persönlichen Erscheinens in Form einer prozessleitenden Verfügung erfolgen (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 10.03.1970, Az.: L 8 B 8/69; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.02.2011, Az.: L 12 KO 4691/10 B; Bayer. LSG, Beschluss vom 28.08.2015, Az.: L 3 SB 231/13; Knittel, in: Hennig, SGG, Stand 06/2015, § 191 SGG, Rdnr. 12).
Wenn demgegenüber die überwiegende Meinung in der Literatur (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG, 11. Aufl. 2014, § 191, Rdnr. 15; Krauß, in: Roos/Wahrendorf, Sozialgerichtsgesetz, 2014, § 191, Rdnr. 41; Breitkreuz, in: ders./Fichte, SGG, 2. Aufl. 2014, § 191, Rdnr. 7; Zeihe, SGG, Stand 04/2015, § 191, Rdnr. 12; unklar: Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Auflage, Stand 04/2015, § 191, Ziff. 2) davon ausgeht, dass die Entscheidung über die Gebotenheit des Erscheinens in Form eines Beschlusses zu ergehen habe, kann sich der Senat dem nicht anschließen. Weder wird ein Grund genannt noch wird ein solcher ersichtlich, vorliegend für die Feststellung der (Nicht-)Gebotenheit des Erscheinens einen gerichtlichen Beschluss und damit eine andere rechtliche Ausführungsform zu verlangen als für die (Nicht-)Anordnung des persönlichen Erscheinens durch den Vorsitzenden gemäß §§ 106 Abs. 3 Nr. 7, 111 Abs. 1 Satz 1 SGG. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens verlangt, sofern sie nicht in der mündlichen Verhandlung erfolgt (vgl. Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl. 2015, § 141, Rdnr. 2), unzweifelhaft als Maßnahme des Vorsitzenden, d.h. als prozessleitende und damit gemäß § 172 Abs. 2 SGG nicht beschwerdefähige Verfügung (h.M., vgl. Reichold, a.a.O., § 141, Rdnr. 1, § 136, Rdnr. 2; Bundesfinanzhof, Beschluss vom 26.03.1997, Az.: II B 2/97; Bayer. LSG, Beschluss vom 14.01.2015, Az.: L 11 AS 870/14 B) nicht der Beschlussform (h.M., vgl. z.B. Leitherer, a.a.O., § 106, Rdnr. 8, § 111, Rdnr. 4; Kühl, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl. 2014, § 111, Rdnr. 3; Müller, in: Roos/Wahrendorf, Sozialgerichtsgesetz, 2014, § 111, Rdnr. 5). Dies steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG, die auch für Maßnahmen im Sinn des § 106 Abs. 3 SGG einen Beschluss nicht für erforderlich hält (vgl. z.B. zur Frage der Beweisanordnung: BSG, Beschluss vom 27.03.2003, Az.: B 11 AL 259/02 B).
An der der Entscheidung nach § 4 JVEG zugrunde zu legenden fehlenden Gebotenheit des Erscheinens ändert auch die Tatsache nichts, dass der Antragsteller durch die in der mündlichen Verhandlung vom 30.04.2015 erklärte Rücknahme der Berufung einen nicht unwesentlichen Beitrag zum Fortgang des Hauptsacheverfahrens geleistet hat. Zwar gehen Teile der Literatur davon aus, dass die Rücknahme eines Rechtsmittels auf ein Gebotensein des Erscheinens hindeutet (vgl. Zeihe, a.a.O., § 191, Rdnr. 12; Krauß, a.a.O., § 191, Rdnr. 12). Wegen der grundsätzlichen Bindungswirkung der Festlegung des Gerichts der Hauptsache (vgl. oben Ziff. 2.1.) ist vorliegend dem Kostensenat jedoch eine Prüfung der Erforderlichkeit und damit auch eine Berücksichtigung der Tatsache, dass der Antragsteller mit der Rücknahme der Berufung einen nicht unwesentlichen Beitrag zum Fortgang des Verfahrens geleistet hat, verwehrt.
Lediglich der Vollständigkeit halber und ohne dass dies von rechtlicher Bedeutung wäre, weist der Senat aber darauf hin, dass er die vorgenannte Ansicht in der Literatur auch nur eingeschränkt für zutreffend erachtet. Denn einen Automatismus zwischen der Erbringung eines nicht unwesentlichen Beitrags zum Fortgang des Verfahrens im Sinn einer Beendigung desselben und einer Gebotenheit des Erscheinens kann er nicht erkennen. Anderenfalls würde außer Acht gelassen, dass bei der Anordnung des persönlichen Erscheinens auch finanzielle Gesichtspunkte eine Rolle spielen können. Das Gericht (der Hauptsache) hat gemäß § 141 Abs. 1 Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO), der bei der Anordnung des persönlichen Erscheinens gemäß § 111 Abs. 1 Satz 1 SGG über § 202 SGG entsprechend heranzuziehen ist (vgl. Leitherer, a.a.O., § 111, Rdnr. 2b), bei der Anordnung des persönlichen Erscheinens eines Prozessbeteiligten neben dem Gesichtspunkt der Verfahrensförderung regelmäßig auch zu berücksichtigen, ob ein persönliches Erscheinen für den Beteiligten wegen der großen Entfernung oder aus einem anderen wichtigen Grund unzumutbar ist. Auch finanzielle Aspekte im Sinn des § 191 SGG sind in die Überlegungen einzubeziehen (vgl. Müller, a.a.O., § 111, Rdnr. 5; Leitherer, a.a.O., § 111, Rdnr. 2b). Damit spielt es für das Gericht auch eine Rolle, ob der durch eine weite Anreise entstehende Kostenaufwand in einem vertretbaren Verhältnis zu den für das Verfahren zu erwartenden Erkenntnissen (vgl. Beschluss des Senats vom 06.11.2013, Az.: L 15 SF 191/11 B E) bzw. einem möglichen Beitrag zur schnelleren Beendigung des Verfahrens steht. Es ist daher ein durchaus beachtlicher Gesichtspunkt im Rahmen der gerichtlichen Abwägung, ob auf die Anordnung des persönlichen Erscheinens verzichtet werden soll, auch wenn danach mit einer Rücknahme des Rechtsmittels in der mündlichen Verhandlung gerechnet werden kann, wenn die zu erwartende Arbeitsersparnis bei Gericht in keinem vernünftigen Verhältnis zu den Kosten steht, die im Fall des persönlichen Erscheinens zu entschädigen wären. Sollte daher der Vorsitzende wegen der mit einem persönlichen Erscheinen verbundenen Kosten von der Anordnung des persönlichen Erscheinens abgesehen haben - dafür spricht im vorliegenden Fall, dass die Berufung verfristet war und die Abfassung eines Urteils mit vergleichsweise wenig Aufwand verbunden gewesen wäre -, würde diese bewusst getroffene Entscheidung durch einen Automatismus im vorgenannten Sinn konterkariert und der Vorsitzende faktisch in eine Situation gezwungen, wie wenn er entgegen seinem erklärten Willen das persönliche Erscheinen anordnen hätte müssen. Im Übrigen - dies gesteht auch Krauß (vgl. a.a.O, § 191, Rdnr. 12) zu - soll das Gericht nicht durch ein "Winken mit der Vergütung" auf einen Beteiligten dahingehend Einfluss nehmen, dass er eine prozessbeendende Erklärung abgibt, die er ohne den Hinweis auf die Entschädigung nicht abgegeben hätte. Um einem Missbrauch entschädigungsrechtlicher gerichtlicher Hinweise vorzubeugen, erscheint es dem Senat daher fragwürdig, bei der Beurteilung der Frage des Gebotenseins des Erscheinens pauschal und undifferenziert auf einen verfahrensbeendigenden Beitrag des Beteiligten abzustellen.
Der Kostensenat des LSG trifft diese Entscheidung nach Übertragung wegen grundsätzlicher Bedeutung in voller Besetzung (§ 4 Abs. 7 Satz 2 JVEG).
Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).
Sie ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 4 Abs. 8 JVEG).
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt eine Entschädigung nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) wegen einer mündlichen Verhandlung, bei der er erschienen ist, ohne dass sein persönliches Erscheinen angeordnet gewesen wäre.
In dem am Bayer. Landessozialgericht (LSG) unter dem Aktenzeichen L 18 AS 83/15 geführten Rechtsstreit des Antragstellers wurde auf den 30.04.2015 eine mündliche Verhandlung terminiert. Das persönliche Erscheinen des Antragstellers wurde nicht angeordnet; der Antragsteller wurde lediglich mit Terminsmitteilung vom 31.03.2015 über den Termin zur mündlichen Verhandlung in Kenntnis gesetzt.
An der mündlichen Verhandlung am 30.04.2015 nahm der Antragsteller teil. Das persönliche Erscheinen wurde auch im Termin nicht angeordnet.
Mit Schreiben vom 22.05.2015 beantragte der Antragsteller eine Entschädigung wegen des Gerichtstermins am 30.04.2015, da er knapp 300 km gefahren sei, um der "Ladung folge zu leisten".
Die Kostenbeamtin des LSG lehnte mit Schreiben vom 08.06.2015 eine Entschädigung ab, da das persönliche Erscheinen nicht angeordnet und auch nicht vom Gericht nachträglich für geboten erachtet worden sei.
Mit Schreiben vom 23.06.2015 hat sich der Antragsteller unter Androhung einer Strafanzeige gegen die Ablehnung der Entschädigung gewandt und anschließend mit Schreiben vom 01.07.2015 nochmals an die Erstattung der ihm entstandenen Fahrtkosten erinnert.
Auf Nachfrage des Kostensenats hat der Vorsitzende des 18. Senats am 09.09.2015 mitgeteilt, "dass das Erscheinen des Klägers bei der mündlichen Verhandlung am 30.04.2015 nicht im Sinne des § 191 SGG geboten war."
II.
Die Festsetzung der Entschädigung erfolgt gemäß § 4 Abs. 1 JVEG durch gerichtlichen Beschluss, wenn wie hier der Berechtigte mit Schreiben vom 23.06.2015 (und 01.07.2015) sinngemäß die gerichtliche Festsetzung dadurch beantragt, dass er die Ablehnung der Entschädigung durch die Kostenbeamtin beanstandet.
Für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 30.04.2015 steht dem Antragsteller keine Entschädigung zu, weil weder sein persönliches Erscheinen zur mündlichen Verhandlung am 30.04.2015 angeordnet worden ist noch das Gericht der Hauptsache sein Erscheinen für geboten gehalten hat.
1. Prüfungsumfang im Verfahren der gerichtlichen Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG
Die gerichtliche Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG stellt keine Überprüfung der vom Kostenbeamten vorgenommenen Ermittlung der Entschädigung oder Vergütung dar, sondern ist eine davon unabhängige erstmalige Festsetzung. Bei der Festsetzung durch den Kostenbeamten handelt es sich um eine lediglich vorläufige Regelung, die durch den Antrag auf gerichtliche Festsetzung hinfällig wird (vgl. Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.11.1968, Az.: RiZ (R) 4/68). Damit wird eine vorherige Berechnung der Beträge im Verwaltungsweg sowohl bei den Einzelpositionen als auch im Gesamtergebnis gegenstandslos. Das Gericht hat daher eine vollumfassende Prüfung des Entschädigungs- oder Vergütungsanspruchs vorzunehmen, ohne auf Einwände gegen die im Verwaltungsweg erfolgte Festsetzung beschränkt zu sein. Die vom Gericht festgesetzte Entschädigung oder Vergütung kann daher auch niedriger ausfallen, als sie zuvor vom Kostenbeamten festgesetzt worden ist; das Verbot der reformatio in peius gilt nicht (h.M., vgl. z.B. Beschluss des Senats vom 08.05.2014, Az.: L 15 SF 42/12; Meyer/Höver/Bach/Oberlack, JVEG, 26. Aufl. 2014, § 4, Rdnr. 12 - m.w.N.).
2. Grundvoraussetzung einer Entschädigung: Anordnung oder Gebotenheit des persönlichen Erscheinens
2.1. Allgemeines
Beteiligte eines gerichtskostenfreien sozialgerichtlichen Verfahrens im Sinn des § 183 SGG sind gemäß § 191 SGG wie Zeugen, d.h. nach den Vorschriften des JVEG, zu entschädigen, wenn ihr persönliches Erscheinen angeordnet worden ist. Ist das persönliche Erscheinen nicht angeordnet und erscheint der Beteiligte gleichwohl, steht eine Entschädigung im Ermessen des Gerichts, wenn das Gericht der Hauptsache das Erscheinen für geboten hält. Bejaht das Gericht der Hauptsache die Gebotenheit des Erscheinens nicht, kommt eine Entschädigung nicht in Betracht.
Die vom Gericht der Hauptsache als gesetzlicher Richter getroffenen Festlegungen sind für den Kostenbeamten bzw. das Gericht der Kostensache unabhängig von deren materiellen Richtigkeit grundsätzlich bindend (allgemeiner Grundsatz im Kostenrecht, vgl. zum JVEG: Beschlüsse des Senats vom 16.02.2012, Az.: L 15 SF 204/11, vom 24.07.2014, Az.: L 15 SF 200/14 [explizit zur Frage des Gebotenseins des Erscheinens i.S.d. § 191 SGG], und vom 11.08.2015, Az.: L 15 RF 29/15; zum Gerichtskostengesetz - GKG -: Beschluss des Senats vom 10.04.2015, Az.: L 15 SF 83/15 E). Eine Bindungswirkung besteht lediglich dann nicht, wenn eine erfolgte Festlegung rechtlich als nullum zu betrachten ist (vgl. zum GKG: Beschluss des Senats vom 07.10.2014, Az.: L 15 SF 61/14 E).
2.2. Keine Anordnung oder Gebotenheit des persönlichen Erscheinens im Fall des Antragstellers
Die Grundvoraussetzung der Anordnung oder Gebotenheit des persönlichen Erscheinens ist bei der Teilnahme des Antragstellers an der mündlichen Verhandlung am 30.04.2015 nicht erfüllt. Weder hat das Gericht der Hauptsache, der 18. Senat, das persönliche Erscheinen des Antragstellers für die mündliche Verhandlung am 30.04.2015 angeordnet noch hat das Gericht der Hauptsache das Erscheinen für geboten erachtet.
2.2.1. Keine Anordnung des persönlichen Erscheinens
In der Terminsmitteilung vom 31.03.2015 ist der Antragsteller lediglich über den Termin zur mündlichen Verhandlung informiert, nicht aber sein persönliches Erscheinen angeordnet worden.
So ist in diesem Schreiben ausdrücklich darauf hingewiesen worden: "Es steht Ihnen frei, zu der Verhandlung zu erscheinen." Sofern der Antragsteller, worauf sein Schreiben vom 22.05.2015 hindeuten könnte, die gerichtliche Terminsmitteilung dahingehend missverstanden haben sollte, dass er darin eine Ladung im Sinn einer Aufforderung zum persönlichen Erscheinen gesehen habe, ist dies rechtlich unerheblich. Die gerichtliche Terminsmitteilung ist eindeutig und zweifelsfrei so formuliert, dass es im Belieben des Antragstellers steht, ob er zur mündlichen Verhandlung erscheint oder nicht. Sofern der Antragsteller aufgrund von Sprachschwierigkeiten - der Antragsteller ist Italiener - den Text des gerichtlichen Schreibens nicht richtig verstanden haben sollte, würde dies in seinen eigenen Risikobereich, nicht den des Gerichts fallen und wäre daher rechtlich ohne Relevanz (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Beschluss vom 11.08.1989, Az.: 2 BU 72/89); denn die Gerichtssprache ist gemäß § 61 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 184 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz deutsch.
2.2.2. Keine Gebotenheit des Erscheinens
Das Erscheinen des Antragstellers bei der mündlichen Verhandlung am 30.04.2015 war nicht geboten. Dies hat der Vorsitzende des 18. Senats, des Gerichts der Hauptsache, auf Anfrage des Kostensenats ausdrücklich am 09.09.2015 verfügt.
Die Festlegung des Gerichts der Hauptsache ist für das Kostenverfahren grundsätzlich bindend. Die Verfügung des Vorsitzenden des 18. Senats, dass das Erscheinen des Antragstellers bei der mündlichen Verhandlung nicht geboten gewesen sei, ist rechtlich maßgeblich und stellt kein nullum im Sinn der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss vom 07.10.2014, Az.: L 15 SF 61/14 E) dar.
Die Festlegung des Gerichts der Hauptsache bezüglich der Gebotenheit des Erscheinens des Antragstellers hat keines gerichtlichen Beschlusses bedurft. Vielmehr konnte die Ablehnung der Feststellung der Gebotenheit des persönlichen Erscheinens in Form einer prozessleitenden Verfügung erfolgen (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 10.03.1970, Az.: L 8 B 8/69; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.02.2011, Az.: L 12 KO 4691/10 B; Bayer. LSG, Beschluss vom 28.08.2015, Az.: L 3 SB 231/13; Knittel, in: Hennig, SGG, Stand 06/2015, § 191 SGG, Rdnr. 12).
Wenn demgegenüber die überwiegende Meinung in der Literatur (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG, 11. Aufl. 2014, § 191, Rdnr. 15; Krauß, in: Roos/Wahrendorf, Sozialgerichtsgesetz, 2014, § 191, Rdnr. 41; Breitkreuz, in: ders./Fichte, SGG, 2. Aufl. 2014, § 191, Rdnr. 7; Zeihe, SGG, Stand 04/2015, § 191, Rdnr. 12; unklar: Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Auflage, Stand 04/2015, § 191, Ziff. 2) davon ausgeht, dass die Entscheidung über die Gebotenheit des Erscheinens in Form eines Beschlusses zu ergehen habe, kann sich der Senat dem nicht anschließen. Weder wird ein Grund genannt noch wird ein solcher ersichtlich, vorliegend für die Feststellung der (Nicht-)Gebotenheit des Erscheinens einen gerichtlichen Beschluss und damit eine andere rechtliche Ausführungsform zu verlangen als für die (Nicht-)Anordnung des persönlichen Erscheinens durch den Vorsitzenden gemäß §§ 106 Abs. 3 Nr. 7, 111 Abs. 1 Satz 1 SGG. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens verlangt, sofern sie nicht in der mündlichen Verhandlung erfolgt (vgl. Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl. 2015, § 141, Rdnr. 2), unzweifelhaft als Maßnahme des Vorsitzenden, d.h. als prozessleitende und damit gemäß § 172 Abs. 2 SGG nicht beschwerdefähige Verfügung (h.M., vgl. Reichold, a.a.O., § 141, Rdnr. 1, § 136, Rdnr. 2; Bundesfinanzhof, Beschluss vom 26.03.1997, Az.: II B 2/97; Bayer. LSG, Beschluss vom 14.01.2015, Az.: L 11 AS 870/14 B) nicht der Beschlussform (h.M., vgl. z.B. Leitherer, a.a.O., § 106, Rdnr. 8, § 111, Rdnr. 4; Kühl, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl. 2014, § 111, Rdnr. 3; Müller, in: Roos/Wahrendorf, Sozialgerichtsgesetz, 2014, § 111, Rdnr. 5). Dies steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG, die auch für Maßnahmen im Sinn des § 106 Abs. 3 SGG einen Beschluss nicht für erforderlich hält (vgl. z.B. zur Frage der Beweisanordnung: BSG, Beschluss vom 27.03.2003, Az.: B 11 AL 259/02 B).
An der der Entscheidung nach § 4 JVEG zugrunde zu legenden fehlenden Gebotenheit des Erscheinens ändert auch die Tatsache nichts, dass der Antragsteller durch die in der mündlichen Verhandlung vom 30.04.2015 erklärte Rücknahme der Berufung einen nicht unwesentlichen Beitrag zum Fortgang des Hauptsacheverfahrens geleistet hat. Zwar gehen Teile der Literatur davon aus, dass die Rücknahme eines Rechtsmittels auf ein Gebotensein des Erscheinens hindeutet (vgl. Zeihe, a.a.O., § 191, Rdnr. 12; Krauß, a.a.O., § 191, Rdnr. 12). Wegen der grundsätzlichen Bindungswirkung der Festlegung des Gerichts der Hauptsache (vgl. oben Ziff. 2.1.) ist vorliegend dem Kostensenat jedoch eine Prüfung der Erforderlichkeit und damit auch eine Berücksichtigung der Tatsache, dass der Antragsteller mit der Rücknahme der Berufung einen nicht unwesentlichen Beitrag zum Fortgang des Verfahrens geleistet hat, verwehrt.
Lediglich der Vollständigkeit halber und ohne dass dies von rechtlicher Bedeutung wäre, weist der Senat aber darauf hin, dass er die vorgenannte Ansicht in der Literatur auch nur eingeschränkt für zutreffend erachtet. Denn einen Automatismus zwischen der Erbringung eines nicht unwesentlichen Beitrags zum Fortgang des Verfahrens im Sinn einer Beendigung desselben und einer Gebotenheit des Erscheinens kann er nicht erkennen. Anderenfalls würde außer Acht gelassen, dass bei der Anordnung des persönlichen Erscheinens auch finanzielle Gesichtspunkte eine Rolle spielen können. Das Gericht (der Hauptsache) hat gemäß § 141 Abs. 1 Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO), der bei der Anordnung des persönlichen Erscheinens gemäß § 111 Abs. 1 Satz 1 SGG über § 202 SGG entsprechend heranzuziehen ist (vgl. Leitherer, a.a.O., § 111, Rdnr. 2b), bei der Anordnung des persönlichen Erscheinens eines Prozessbeteiligten neben dem Gesichtspunkt der Verfahrensförderung regelmäßig auch zu berücksichtigen, ob ein persönliches Erscheinen für den Beteiligten wegen der großen Entfernung oder aus einem anderen wichtigen Grund unzumutbar ist. Auch finanzielle Aspekte im Sinn des § 191 SGG sind in die Überlegungen einzubeziehen (vgl. Müller, a.a.O., § 111, Rdnr. 5; Leitherer, a.a.O., § 111, Rdnr. 2b). Damit spielt es für das Gericht auch eine Rolle, ob der durch eine weite Anreise entstehende Kostenaufwand in einem vertretbaren Verhältnis zu den für das Verfahren zu erwartenden Erkenntnissen (vgl. Beschluss des Senats vom 06.11.2013, Az.: L 15 SF 191/11 B E) bzw. einem möglichen Beitrag zur schnelleren Beendigung des Verfahrens steht. Es ist daher ein durchaus beachtlicher Gesichtspunkt im Rahmen der gerichtlichen Abwägung, ob auf die Anordnung des persönlichen Erscheinens verzichtet werden soll, auch wenn danach mit einer Rücknahme des Rechtsmittels in der mündlichen Verhandlung gerechnet werden kann, wenn die zu erwartende Arbeitsersparnis bei Gericht in keinem vernünftigen Verhältnis zu den Kosten steht, die im Fall des persönlichen Erscheinens zu entschädigen wären. Sollte daher der Vorsitzende wegen der mit einem persönlichen Erscheinen verbundenen Kosten von der Anordnung des persönlichen Erscheinens abgesehen haben - dafür spricht im vorliegenden Fall, dass die Berufung verfristet war und die Abfassung eines Urteils mit vergleichsweise wenig Aufwand verbunden gewesen wäre -, würde diese bewusst getroffene Entscheidung durch einen Automatismus im vorgenannten Sinn konterkariert und der Vorsitzende faktisch in eine Situation gezwungen, wie wenn er entgegen seinem erklärten Willen das persönliche Erscheinen anordnen hätte müssen. Im Übrigen - dies gesteht auch Krauß (vgl. a.a.O, § 191, Rdnr. 12) zu - soll das Gericht nicht durch ein "Winken mit der Vergütung" auf einen Beteiligten dahingehend Einfluss nehmen, dass er eine prozessbeendende Erklärung abgibt, die er ohne den Hinweis auf die Entschädigung nicht abgegeben hätte. Um einem Missbrauch entschädigungsrechtlicher gerichtlicher Hinweise vorzubeugen, erscheint es dem Senat daher fragwürdig, bei der Beurteilung der Frage des Gebotenseins des Erscheinens pauschal und undifferenziert auf einen verfahrensbeendigenden Beitrag des Beteiligten abzustellen.
Der Kostensenat des LSG trifft diese Entscheidung nach Übertragung wegen grundsätzlicher Bedeutung in voller Besetzung (§ 4 Abs. 7 Satz 2 JVEG).
Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).
Sie ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 4 Abs. 8 JVEG).
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