L 4 R 3543/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 874/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 3543/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 13. Juli 2015 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Rechtsstreit betrifft die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die Klägerin beantragte am 5. Juni 2013 bei der Beklagten die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Die Beklagte lehnte dies nach Einholung mehrerer ärztlicher Gutachten mit Bescheid vom 22. Oktober 2013 ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch der Klägerin vom 4. November 2013 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 2014 zurück.

Hiergegen erhob die Klägerin am 14. März 2014 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG). Während der erstinstanzlichen Verfahrens übernahm die VdK Sozialrechtschutz gGmbH (im Folgenden: VdK) die Vertretung der Klägerin. Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13. Juli 2015 ab. Der Gerichtsbescheid wurde dem VdK ausweislich seines Empfangsbekenntnisses vom 15. Juli 2015 am 15. Juli 2015 zugestellt.

Mit Schreiben vom 11. August 2015 teilte die Klägerin dem VdK mit, sie lege gegen das "Urteil" des SG vom 13. Juli 2015 "Widerspruch (Berufung)" beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg ein. Der VdK antwortete der Klägerin unter dem 18. August 2015, dass er ihr Schreiben vom 11. August 2015 am 18. August 2015 erhalten hätte. Auf Grund des verspäteten Eingangs des Schreibens könne keine Berufung mehr beim LSG eingelegt werden. Die Berufungsfrist sei am 17. August 2015 abgelaufen.

Am 21. August 2015 hat die Klägerin beim LSG Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Sie trägt sinngemäß vor, die Berufungseinlegung sei durch die Absendung des Schreibens vom 11. August 2015 am 14. August 2015 an den VdK fristgerecht erfolgt. Der VdK habe ihr Berufungsschreiben nicht weitergeleitet, obwohl sie die Monatsfrist eingehalten habe.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgericht Ulm vom 13. Juli 2015 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 22. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2014 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Dezember 2016 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Berufung nicht fristgerecht eingelegt und daher unzulässig sei.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht form- und fristgerecht eingelegt wurde.

a) Gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Nach § 151 Abs. 2 SGG ist die Berufungsfrist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Der Gerichtsbescheid des SG – mit zutreffender Rechtsmittelbelehrung (§ 66 SGG) – ist den Bevollmächtigten der Klägerin ausweislich des Empfangsbekenntnisses vom 15. Juli 2015 am 15. Juli 2015 zugestellt worden. Die einmonatige Berufungsfrist wäre eigentlich am 15. August 2015 abgelaufen (§ 64 Abs. 2 Satz 1 SGG). Da dies ein Samstag war, endete die Frist erst am darauffolgenden Montag, dem 17. August 2015 (§ 64 Abs. 3 SGG). Das Berufungsschreiben der Klägerin ist beim LSG erst am 21. August 2015 und damit nach Fristablauf eingegangen. Das Schreiben der Klägerin an ihre Bevollmächtigten 11. August 2015, das dort am 18. August 2015 einging, war schon deshalb nicht geeignet, die Berufungsfrist zu wahren, weil die Einlegung der Berufung beim LSG oder beim SG erfolgen muss. Im Übrigen ist auch dieses Schreiben erst nach Ablauf der Berufungseinlegungsfrist dort eingegangen.

b) Der Klägerin ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Gemäß § 67 Abs. 1 SGG ist einem Beteiligten auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung sollen glaubhaft gemacht werden (§ 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGG). Ist dies geschehen, kann die Wiedereinsetzung nach § 67 Abs. 2 Satz 4 SGG auch ohne Antrag gewährt werden.

Gründe für eine Wiedereinsetzung liegen nicht vor. Insbesondere ist es kein Wiedereinsetzungsgrund, dass das Schreiben der Klägerin vom 11. August 2015 an den VdK trotz Absendung am 14. August 2015 dort erst am 18. August 2015 eingegangen ist. Ein Verschulden liegt grundsätzlich vor, wenn die von einem gewissenhaften Prozessführenden im prozessualen Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen ist (Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 11. November 2003 – B 2 U 293/03 B – in juris, Rn. 9 m.w.N.). Die Kommunikation zwischen Klägerin und Bevollmächtigten fällt in die Sphäre der Klägerin; Mängel in dieser Kommunikation hat sie in der Regel zu vertreten, so dass dann das Tatbestandsmerkmal des fehlenden Verschuldens grundsätzlich nicht erfüllt ist. Dies gilt auch dann, wenn die Kommunikation unter Zuhilfenahme Dritter – hier eines Postdienstleisters – erfolgt.

Selbst wenn man aber auch Versäumnisse in der Kommunikation zwischen Beteiligtem und Bevollmächtigtem als grundsätzlich geeignet ansieht, Wiedereinsetzung zu gewähren, liegen die Voraussetzungen hierfür vorliegend nicht vor, denn die Klägerin hat die nicht rechtzeitige Einlegung der Berufung dadurch verschuldet, dass sie ihren Bevollmächtigten zu spät den Auftrag zur Berufungseinlegung erteilt hat. Zwar darf ein Beteiligter gegenüber dem Gericht eine Rechtsmittelfrist ausschöpfen. Dies gilt aber nicht in gleicher Weise für die Kommunikation zwischen Beteiligtem und Bevollmächtigtem (vgl. Bundesgerichtshof [BGH], Beschluss vom 23. Mai 2007 – IV ZB 48/05 – in juris, Rn. 7 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 1. Oktober 1992 – IX ZB 41/92 – in juris, Rn. 7). Die Klägerin handelte daher schuldhaft, weil sie ihren Auftrag an ihre Bevollmächtigten, Berufung einzulegen, erst am Freitag, dem 14. August 2015, zur Post gab. Denn diese Mitteilung konnte ihre Bevollmächtigten frühestens am nächsten Werktag, nämlich am Montag, dem 17. August 2015, erreichen und damit am letzten Tag der Berufungsfrist. Dies war zu knapp bemessen, und der nicht rechtzeitige Zugang des Rechtsmittelauftrages daher verschuldet. Dabei kann der Senat offen lassen, ob man bei Einlegung eines Rechtsmittels tatsächlich auf eine Postlaufzeit lediglich von ein oder zwei Tagen vertrauen darf (so etwa BSG, Beschluss vom 11. November 2003 – B 2 U 293/03 B – in juris, Rn. 12; BGH, Beschluss vom 13. Mai 2004 – V ZB 62/03 – in juris, Rn. 11) oder ob dem nicht sowohl die gerichtliche Empirie als auch die gesetzlichen Wertungen (vgl. § 37 Abs. 2 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X], wonach ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe der Post als bekannt gegeben gilt; § 2 Nr. 3 Satz 1 Post-Universaldienstleistungsverordnung verlangt [lediglich], dass von den an einem Werktag eingelieferten inländischen Briefsendungen im Jahresdurchschnitt mindestens 80 Prozent an dem ersten auf den Einlieferungstag folgenden Werktag und 95 Prozent bis zum zweiten auf den Einlieferungstag folgenden Werktag ausgeliefert werden) entgegenstehen (kritisch etwa auch Wolff-Dellen, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl. 2014, § 67 Rn. 16 m.w.N.). Denn anders als bei der Absendung einer Rechtsmittelschrift an das Gericht sind bei der Erteilung eines Rechtsmittelauftrages an einen Bevollmächtigten weitere Zwischenschritte notwendig, um letztlich das Rechtsmittel tatsächlich einzulegen: Der Bevollmächtigte muss am Tag des Eingangs des Rechtsmittelauftrages in seiner Kanzlei auch tatsächlich erreichbar sein; er muss über hinreichende Zeit und Gelegenheit verfügen, den Rechtsmittelauftrag zu prüfen – ggf. auch mit einer Rechtsschutzversicherung Rücksprache halten – und die Rechtsmittelschrift zu fertigen. Ein Beteiligter kann nicht darauf vertrauen, dass dies regelmäßig der Fall ist, zumal auch Briefpost häufig erst nachmittags ausgeliefert wird und das Zeitfenster damit auf wenige Stunden reduziert sein kann, selbst wenn man nicht nur die üblichen Bürozeiten einer Kanzlei berücksichtigt. Die Absendung eines Rechtsmittelauftrages in der Weise, dass der Rechtsmittelauftrag frühestens am letzten Tag der Rechtsmittelfrist dem Bevollmächtigten zugehen kann, führt damit in aller Regel – und so auch hier – zur verschuldeten Versäumung der Rechtsmittelfrist.

Abgesehen davon wäre die Klägerin ohnehin verpflichtet gewesen, sich beim VdK telefonisch zu vergewissern, dass ihr Rechtsmittelauftrag dort noch innerhalb der Berufungsfrist eingegangen ist. Dem Absender eines Rechtsmittelauftrages obliegt es, sich dessen rechtzeitigen Eingang bestätigen zu lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. September 1994 – II ZB 7/94 – in juris, Rn. 4; BGH, Beschluss vom 11. Juli 1988 – II ZB 5/88 – in juris, Rn. 6). Dies hat die Klägerin im vorliegenden Verfahren nicht getan.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

3. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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