Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 1 KR 416/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3638/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 28.07.2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Zugehörigkeit der Klägerin zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR) gemäß § 5 Abs 1 Nr 11 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).
Die am 08.07.1949 geborene Klägerin nahm am 01.04.1965 erstmals eine Erwerbstätigkeit auf. Vom 12.09.1972 bis 31.07.2003 war sie bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert, vom 01.08.2003 bis 31.01.2008 war sie privat krankenversichert. Seit 01.02.2008 ist sie wieder bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert, durchgehend bis 31.01.2015 als versicherungspflichtig Beschäftigte. Seit 05.10.2015 übt die Klägerin erneut eine versicherungspflichtige Beschäftigung aus.
Am 06.11.2014 beantragte die Klägerin bei der beigeladenen Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg die Gewährung von Regelaltersrente, die beginnend ab 01.11.2014 bewilligt wurde (Rentenbescheid vom 07.01.2015). Mit dem Antrag reichte sie eine Meldung zur KVdR ein, welche die Beigeladene an die Beklagte weiterleitete.
Die Beklagte lehnte die Aufnahme der Klägerin in die KVdR mit Bescheid vom 14.11.2014 ab, da die Klägerin die Vorversicherungszeiten nicht erfüllt habe.
Mit ihrem Widerspruch vom 13.12.2014 machte die Klägerin geltend, sie habe insgesamt 49 Jahre, 7 Monate und 6 Tage Versicherungsbeiträge an die Beklagte gezahlt. Nun solle die Zeit vom 01.04.1965 bis 15.01.1990 aufgrund einer Gesetzesänderung von 1990 infolge des Solidaritätsausgleichs wegfallen. Es könne nicht sein, dass Versicherte der ehemaligen DDR mehr Rechte hätten als Versicherte, die jahrelang einbezahlt hätten, obwohl sie keinen Cent dazu beigetragen hätten. In der ehemaligen DDR sei Vollbeschäftigung bei kostenlosen Kita-Plätzen auch möglich gewesen, wenn mehrere Kinder zu versorgen gewesen seien. Hier im Westen sei es unmöglich gewesen, mit drei Kleinkindern voll berufstätig zu sein. Maximal ein Teilzeitjob sei möglich gewesen, dafür werde man dann in der Rente bestraft.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10.02.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Krankenversicherungspflichtig seien Rentner, wenn sie 9/10 der zweiten Hälfte des Zeitraums, der zwischen der Aufnahme der ersten Erwerbstätigkeit und der Rentenantragstellung liege (Rahmenfrist), bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung versichert gewesen seien. Die maßgebliche Rahmenfrist laufe vom 01.04.1965 bis zum 06.11.2014, in der zweiten Hälfte der Rahmenfrist vom 15.01.1990 bis zum 06.11.2014 (9048 Tage) müssten 8144 Tage Zugehörigkeitszeiten zur gesetzlichen Krankenversicherung vorliegen. Für die Klägerin seien nur Zeiten im Umfang von 7398 Tagen der Zugehörigkeit zur gesetzlichen Krankenversicherung festzustellen. Die Aufnahme in die Krankenversicherung der Rentner könne nicht erfolgen.
Hiergegen richtet sich die am 19.02.2015 zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobene Klage. Es gehe um die Gerechtigkeit. Es könne nicht angehen, dass 25 Jahre Vorversicherung (also 1. Hälfte) nicht zugrunde gelegt würden. Sei dies Gesetz, müsse es geändert werden und dafür werde sie kämpfen.
Mit Gerichtsbescheid vom 28.07.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Ungeachtet geringfügiger Abweichungen habe die Beklagte zutreffend festgestellt, dass die Klägerin nicht 9/10 der zweiten Hälfte der Rahmenfrist Mitglied bei der Beklagten gewesen sei. Die Rahmenfrist laufe vom 01.04.1954 bis 06.11.2014, die zweite Hälfte vom 15.01.1990 bis 06.11.2014. Letztere umfasse einen Zeitraum von 24 Jahren, 9 Monaten und 17 Tagen, umgerechnet unter Berücksichtigung der Vorschrift des § 191 Bürgerliches Gesetzbuch 9.050 Tage. Davon müsse die Klägerin zumindest an 8.145 Tagen Mitglied bei der Beklagten gewesen sein, tatsächlich sei sie jedoch nur an 7406 Tagen Mitglied gewesen (15.01.1990 – 31.07.2003: 4.941 Tage und 01.02.2008 bis 06.11.2014: 2.465 Tage). Die für die Aufnahme in die KVdR erforderliche Mindestmitgliedschaft sei daher nicht erfüllt. Das Erfordernis der Vorversicherungszeit begegne auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Soweit die Klägerin eine Ungleichbehandlung iSv Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) darin sehe, dass Rentner, die zwar die Vorversicherungszeit erfüllten, insgesamt aber weniger Beiträge als die Klägerin geleistet hätten, in die KVdR kämen, sei diese Ungleichbehandlung durch sachliche Gründe gerechtfertigt. Durch die Zugangsverschärfung in § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V habe der Gesetzgeber den Gedanken der Solidarität stärker betonen und vermeiden wollen, dass die Versichertengemeinschaft mit Krankheitskosten von Personen belastet werde, die während der zweiten Phase ihres Erwerbslebens der gesetzlichen Krankenversicherung nicht längere Zeit angehört hätten (unter Hinweis auf BT-Drucks 11/2237). Der Gesetzgeber habe verschiedene Möglichkeiten gehabt, den Zugang zur KVdR zur Stabilisierung der finanziellen Situation der gesetzlichen Krankenversicherung zu verschärfen. Er habe auf die individuelle Erwerbsbiographie und die zweite Hälfte des Erwerbslebens abgestellt. Dies erscheine sachgerecht, weil die zweite Hälfte näher an den Leistungsfall heranreiche und Mitnahmeeffekte vermieden werden sollten. Hinsichtlich des Erfordernisses der Halbbelegung habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) keine verfassungsrechtlichen Bedenken erhoben (unter Hinweis auf BVerfG 16.07.1985, BVerfGE 69, 272 und 25.03.1986, BVerfGE 72, 84).
Gegen den am 31.07.2015 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 27.08.2015 eingelegte Berufung der Klägerin. Sie sei in der Zeit ihrer Beurlaubung (01.08.2003 bis 31.01.2008) "hauptberuflich Oma" gewesen und habe sich privat versichert, weil die Beiträge der gesetzlichen Krankenkasse für sie zu hoch gewesen seien, da sie in dieser Zeit kaum Einkünfte gehabt habe. Sie sei weiterhin der Meinung, dass sie Anspruch auf die KVdR habe.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 28.07.2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2015 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin seit 01.11.2014 versicherungspflichtig in der Krankenversicherung der Rentner der Beklagten ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die angefochtenen Bescheide und die Gründe des Gerichtsbescheids des SG.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der Beigeladenen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten nach §§ 153 Abs 1 und 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat keinen Erfolg.
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 14.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.02.2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung der Versicherungspflicht in der KVdR gemäß § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V.
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs 1 Satz 1, 55 Abs 1 Nr 1 SGG zulässig, da die Aufhebung der angefochtenen Bescheide und die Feststellung der Erfüllung der Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zur KVdR begehrt wird.
Einer Versicherungspflicht in der KVdR steht für die Zeit vom 01.11.2014 bis 31.01.2015 und ab 05.10.2015 entgegen, dass die Klägerin als gegen Arbeitsentgelt Beschäftigte nach § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V versicherungspflichtig ist. Die Versicherungspflicht als Beschäftigte geht nach § 5 Abs 8 SGB V der Versicherungspflicht als Rentner vor, denn nach dieser Vorschrift ist nicht nach § 5 Abs 1 Nr 11 versicherungspflichtig, wer nach Abs 1 Nr 1 bis 7 oder 8 versicherungspflichtig ist. Aber auch für den danach nur noch verbleibenden Zeitraum vom 01.02. bis 04.10.2015 besteht keine Versicherungspflicht in der KVdR.
Gemäß § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V (idF vom 21.07.2014, BGBl I 1133) sind versicherungspflichtig Personen, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen und diese Rente beantragt haben, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte des Zeitraums Mitglied oder nach § 10 versichert waren.
Anrechenbar sind alle Zeiten der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Klägerin hat – was sie einräumt - die erforderliche 9/10-Belegung mit Zeiten in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung nicht erfüllt. Insoweit wird auf die zutreffende und ausführliche Darlegung im angefochtenen Gerichtsbescheid Bezug genommen und die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückgewiesen (§ 153 Abs 2 SGG).
Entgegen der Auffassung der Klägerin bestehen gegen die Regelung des § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die mit der Versicherung in der KVdR einhergehenden beitragsrechtlichen Vorteile sollen nur solchen Rentnern zukommen, die in jüngeren Jahren in besonders enger Weise der gesetzlichen Krankenversicherung verbunden waren. Die Klägerin wird hierdurch nicht in verfassungswidriger Weise belastet. Hinsichtlich des Erfordernisses der sog Halbbelegung hat das BVerfG unter dem Gesichtspunkt des Art 14 GG keine verfassungsrechtlichen Bedenken erhoben (vgl hierzu BVerfG 25.03.1986, 1 BvL 5/80, SozR 2200 § 165 Nr 87 = BVerfGE 72, 84 sowie 16.07.1985, 1 BvL 5/80, SozR 2200 § 165 Nr 81 = BVerfGE 69, 272). Das BVerfG hat in seiner Rechtsprechung ausgeführt, dass für die verfassungsrechtliche Bewertung von Gewicht sei, dass Personengruppen wie die Klägerin beim Ausschluss von der KVdR nicht ohne Krankenversicherungsschutz seien, sondern den Versicherungsschutz im Rahmen des freiwilligen Beitrittsrechts fortführen könnten. Zwar werde eine Gruppe von Mitgliedern der Krankenversicherung der Rentner gegenüber der anderen benachteiligt, welche die Halbbelegung durch Beitragszeiten erfüllt habe. Dafür gebe es jedoch rechtfertigende Gründe. Das Ziel des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes, mit welchem die Halbbelegung als Voraussetzung für die beitragsfreie Krankenversicherung der Rentner eingeführt worden ist, bestehe vor allem darin, den ständig steigenden Ausgaben im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung zu begegnen (vgl BT-Drucks 8/166, S 22). Im Rahmen dieser Zielsetzung liege auch die Einschränkung der vordem für alle Rentner beitragsfreien Krankenversicherung. Sie gehe von dem Grundsatz aus, dass nur Personen, die eine angemessene Zeit in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert und damit am Solidarausgleich für die Krankenversicherung der Rentner ausreichend beteiligt waren, in dieser versichert werden sollten (vgl dazu BT-Drucks 8/166, S 24, zu Art 1 § 1 Nr 1). Diese Zielsetzung sei grundsätzlich als verfassungsgemäß zu billigen.
Die Nichterfüllung der Zugangsvoraussetzungen für die KVdR führt auch nicht zum Verlust des Krankenversicherungsschutzes insgesamt. Die Klägerin hat die Möglichkeit der freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung, welche eine gleichwertige Absicherung im Krankheitsfall beinhaltet. Hinzu kommt, dass bezüglich der beitragsrechtlichen Vorteile der KVdR in den letzten Jahren eine zunehmende Angleichung an die freiwillige Krankenversicherung erfolgte (vgl Landesozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, 22.03.2011, L 1 KR 353/09, juris unter Verweis auf Bundessozialgericht (BSG) 18.07.2007, B 12 R 21/06 R, SozR 4-2500 § 241a Nr 1 sowie 10.05.2006, B 12 KR 7/05 R, juris). Das Bundessozialgericht hat sich wiederholt in unterschiedlichen Zusammenhängen mit den Zugangsvoraussetzungen zur KVdR befasst, diese am Maßstab des Gleichheitssatzes geprüft und für verfassungsgemäß befunden (BSG 04.06.2009, B 12 KR 26/07 R, BSGE 103, 235 = SozR 4-2500 § 5 Nr 8 mwN). Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber bei der zugrunde liegenden, verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässigen Systemabgrenzung der gesetzlichen Krankenversicherung nach der Zugehörigkeit während des Berufslebens generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen darf, ohne allein wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen Art 3 Abs 1 GG zu verstoßen. Der Senat sieht daher keine Anhaltspunkte, die Verfassungsmäßigkeit des Zugangs zur KVdR nach § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V in Zweifel zu ziehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Zugehörigkeit der Klägerin zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR) gemäß § 5 Abs 1 Nr 11 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).
Die am 08.07.1949 geborene Klägerin nahm am 01.04.1965 erstmals eine Erwerbstätigkeit auf. Vom 12.09.1972 bis 31.07.2003 war sie bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert, vom 01.08.2003 bis 31.01.2008 war sie privat krankenversichert. Seit 01.02.2008 ist sie wieder bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert, durchgehend bis 31.01.2015 als versicherungspflichtig Beschäftigte. Seit 05.10.2015 übt die Klägerin erneut eine versicherungspflichtige Beschäftigung aus.
Am 06.11.2014 beantragte die Klägerin bei der beigeladenen Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg die Gewährung von Regelaltersrente, die beginnend ab 01.11.2014 bewilligt wurde (Rentenbescheid vom 07.01.2015). Mit dem Antrag reichte sie eine Meldung zur KVdR ein, welche die Beigeladene an die Beklagte weiterleitete.
Die Beklagte lehnte die Aufnahme der Klägerin in die KVdR mit Bescheid vom 14.11.2014 ab, da die Klägerin die Vorversicherungszeiten nicht erfüllt habe.
Mit ihrem Widerspruch vom 13.12.2014 machte die Klägerin geltend, sie habe insgesamt 49 Jahre, 7 Monate und 6 Tage Versicherungsbeiträge an die Beklagte gezahlt. Nun solle die Zeit vom 01.04.1965 bis 15.01.1990 aufgrund einer Gesetzesänderung von 1990 infolge des Solidaritätsausgleichs wegfallen. Es könne nicht sein, dass Versicherte der ehemaligen DDR mehr Rechte hätten als Versicherte, die jahrelang einbezahlt hätten, obwohl sie keinen Cent dazu beigetragen hätten. In der ehemaligen DDR sei Vollbeschäftigung bei kostenlosen Kita-Plätzen auch möglich gewesen, wenn mehrere Kinder zu versorgen gewesen seien. Hier im Westen sei es unmöglich gewesen, mit drei Kleinkindern voll berufstätig zu sein. Maximal ein Teilzeitjob sei möglich gewesen, dafür werde man dann in der Rente bestraft.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10.02.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Krankenversicherungspflichtig seien Rentner, wenn sie 9/10 der zweiten Hälfte des Zeitraums, der zwischen der Aufnahme der ersten Erwerbstätigkeit und der Rentenantragstellung liege (Rahmenfrist), bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung versichert gewesen seien. Die maßgebliche Rahmenfrist laufe vom 01.04.1965 bis zum 06.11.2014, in der zweiten Hälfte der Rahmenfrist vom 15.01.1990 bis zum 06.11.2014 (9048 Tage) müssten 8144 Tage Zugehörigkeitszeiten zur gesetzlichen Krankenversicherung vorliegen. Für die Klägerin seien nur Zeiten im Umfang von 7398 Tagen der Zugehörigkeit zur gesetzlichen Krankenversicherung festzustellen. Die Aufnahme in die Krankenversicherung der Rentner könne nicht erfolgen.
Hiergegen richtet sich die am 19.02.2015 zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobene Klage. Es gehe um die Gerechtigkeit. Es könne nicht angehen, dass 25 Jahre Vorversicherung (also 1. Hälfte) nicht zugrunde gelegt würden. Sei dies Gesetz, müsse es geändert werden und dafür werde sie kämpfen.
Mit Gerichtsbescheid vom 28.07.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Ungeachtet geringfügiger Abweichungen habe die Beklagte zutreffend festgestellt, dass die Klägerin nicht 9/10 der zweiten Hälfte der Rahmenfrist Mitglied bei der Beklagten gewesen sei. Die Rahmenfrist laufe vom 01.04.1954 bis 06.11.2014, die zweite Hälfte vom 15.01.1990 bis 06.11.2014. Letztere umfasse einen Zeitraum von 24 Jahren, 9 Monaten und 17 Tagen, umgerechnet unter Berücksichtigung der Vorschrift des § 191 Bürgerliches Gesetzbuch 9.050 Tage. Davon müsse die Klägerin zumindest an 8.145 Tagen Mitglied bei der Beklagten gewesen sein, tatsächlich sei sie jedoch nur an 7406 Tagen Mitglied gewesen (15.01.1990 – 31.07.2003: 4.941 Tage und 01.02.2008 bis 06.11.2014: 2.465 Tage). Die für die Aufnahme in die KVdR erforderliche Mindestmitgliedschaft sei daher nicht erfüllt. Das Erfordernis der Vorversicherungszeit begegne auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Soweit die Klägerin eine Ungleichbehandlung iSv Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) darin sehe, dass Rentner, die zwar die Vorversicherungszeit erfüllten, insgesamt aber weniger Beiträge als die Klägerin geleistet hätten, in die KVdR kämen, sei diese Ungleichbehandlung durch sachliche Gründe gerechtfertigt. Durch die Zugangsverschärfung in § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V habe der Gesetzgeber den Gedanken der Solidarität stärker betonen und vermeiden wollen, dass die Versichertengemeinschaft mit Krankheitskosten von Personen belastet werde, die während der zweiten Phase ihres Erwerbslebens der gesetzlichen Krankenversicherung nicht längere Zeit angehört hätten (unter Hinweis auf BT-Drucks 11/2237). Der Gesetzgeber habe verschiedene Möglichkeiten gehabt, den Zugang zur KVdR zur Stabilisierung der finanziellen Situation der gesetzlichen Krankenversicherung zu verschärfen. Er habe auf die individuelle Erwerbsbiographie und die zweite Hälfte des Erwerbslebens abgestellt. Dies erscheine sachgerecht, weil die zweite Hälfte näher an den Leistungsfall heranreiche und Mitnahmeeffekte vermieden werden sollten. Hinsichtlich des Erfordernisses der Halbbelegung habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) keine verfassungsrechtlichen Bedenken erhoben (unter Hinweis auf BVerfG 16.07.1985, BVerfGE 69, 272 und 25.03.1986, BVerfGE 72, 84).
Gegen den am 31.07.2015 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 27.08.2015 eingelegte Berufung der Klägerin. Sie sei in der Zeit ihrer Beurlaubung (01.08.2003 bis 31.01.2008) "hauptberuflich Oma" gewesen und habe sich privat versichert, weil die Beiträge der gesetzlichen Krankenkasse für sie zu hoch gewesen seien, da sie in dieser Zeit kaum Einkünfte gehabt habe. Sie sei weiterhin der Meinung, dass sie Anspruch auf die KVdR habe.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 28.07.2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2015 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin seit 01.11.2014 versicherungspflichtig in der Krankenversicherung der Rentner der Beklagten ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die angefochtenen Bescheide und die Gründe des Gerichtsbescheids des SG.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der Beigeladenen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten nach §§ 153 Abs 1 und 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat keinen Erfolg.
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 14.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.02.2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung der Versicherungspflicht in der KVdR gemäß § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V.
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs 1 Satz 1, 55 Abs 1 Nr 1 SGG zulässig, da die Aufhebung der angefochtenen Bescheide und die Feststellung der Erfüllung der Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zur KVdR begehrt wird.
Einer Versicherungspflicht in der KVdR steht für die Zeit vom 01.11.2014 bis 31.01.2015 und ab 05.10.2015 entgegen, dass die Klägerin als gegen Arbeitsentgelt Beschäftigte nach § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V versicherungspflichtig ist. Die Versicherungspflicht als Beschäftigte geht nach § 5 Abs 8 SGB V der Versicherungspflicht als Rentner vor, denn nach dieser Vorschrift ist nicht nach § 5 Abs 1 Nr 11 versicherungspflichtig, wer nach Abs 1 Nr 1 bis 7 oder 8 versicherungspflichtig ist. Aber auch für den danach nur noch verbleibenden Zeitraum vom 01.02. bis 04.10.2015 besteht keine Versicherungspflicht in der KVdR.
Gemäß § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V (idF vom 21.07.2014, BGBl I 1133) sind versicherungspflichtig Personen, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen und diese Rente beantragt haben, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte des Zeitraums Mitglied oder nach § 10 versichert waren.
Anrechenbar sind alle Zeiten der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Klägerin hat – was sie einräumt - die erforderliche 9/10-Belegung mit Zeiten in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung nicht erfüllt. Insoweit wird auf die zutreffende und ausführliche Darlegung im angefochtenen Gerichtsbescheid Bezug genommen und die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückgewiesen (§ 153 Abs 2 SGG).
Entgegen der Auffassung der Klägerin bestehen gegen die Regelung des § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die mit der Versicherung in der KVdR einhergehenden beitragsrechtlichen Vorteile sollen nur solchen Rentnern zukommen, die in jüngeren Jahren in besonders enger Weise der gesetzlichen Krankenversicherung verbunden waren. Die Klägerin wird hierdurch nicht in verfassungswidriger Weise belastet. Hinsichtlich des Erfordernisses der sog Halbbelegung hat das BVerfG unter dem Gesichtspunkt des Art 14 GG keine verfassungsrechtlichen Bedenken erhoben (vgl hierzu BVerfG 25.03.1986, 1 BvL 5/80, SozR 2200 § 165 Nr 87 = BVerfGE 72, 84 sowie 16.07.1985, 1 BvL 5/80, SozR 2200 § 165 Nr 81 = BVerfGE 69, 272). Das BVerfG hat in seiner Rechtsprechung ausgeführt, dass für die verfassungsrechtliche Bewertung von Gewicht sei, dass Personengruppen wie die Klägerin beim Ausschluss von der KVdR nicht ohne Krankenversicherungsschutz seien, sondern den Versicherungsschutz im Rahmen des freiwilligen Beitrittsrechts fortführen könnten. Zwar werde eine Gruppe von Mitgliedern der Krankenversicherung der Rentner gegenüber der anderen benachteiligt, welche die Halbbelegung durch Beitragszeiten erfüllt habe. Dafür gebe es jedoch rechtfertigende Gründe. Das Ziel des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes, mit welchem die Halbbelegung als Voraussetzung für die beitragsfreie Krankenversicherung der Rentner eingeführt worden ist, bestehe vor allem darin, den ständig steigenden Ausgaben im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung zu begegnen (vgl BT-Drucks 8/166, S 22). Im Rahmen dieser Zielsetzung liege auch die Einschränkung der vordem für alle Rentner beitragsfreien Krankenversicherung. Sie gehe von dem Grundsatz aus, dass nur Personen, die eine angemessene Zeit in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert und damit am Solidarausgleich für die Krankenversicherung der Rentner ausreichend beteiligt waren, in dieser versichert werden sollten (vgl dazu BT-Drucks 8/166, S 24, zu Art 1 § 1 Nr 1). Diese Zielsetzung sei grundsätzlich als verfassungsgemäß zu billigen.
Die Nichterfüllung der Zugangsvoraussetzungen für die KVdR führt auch nicht zum Verlust des Krankenversicherungsschutzes insgesamt. Die Klägerin hat die Möglichkeit der freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung, welche eine gleichwertige Absicherung im Krankheitsfall beinhaltet. Hinzu kommt, dass bezüglich der beitragsrechtlichen Vorteile der KVdR in den letzten Jahren eine zunehmende Angleichung an die freiwillige Krankenversicherung erfolgte (vgl Landesozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, 22.03.2011, L 1 KR 353/09, juris unter Verweis auf Bundessozialgericht (BSG) 18.07.2007, B 12 R 21/06 R, SozR 4-2500 § 241a Nr 1 sowie 10.05.2006, B 12 KR 7/05 R, juris). Das Bundessozialgericht hat sich wiederholt in unterschiedlichen Zusammenhängen mit den Zugangsvoraussetzungen zur KVdR befasst, diese am Maßstab des Gleichheitssatzes geprüft und für verfassungsgemäß befunden (BSG 04.06.2009, B 12 KR 26/07 R, BSGE 103, 235 = SozR 4-2500 § 5 Nr 8 mwN). Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber bei der zugrunde liegenden, verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässigen Systemabgrenzung der gesetzlichen Krankenversicherung nach der Zugehörigkeit während des Berufslebens generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen darf, ohne allein wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen Art 3 Abs 1 GG zu verstoßen. Der Senat sieht daher keine Anhaltspunkte, die Verfassungsmäßigkeit des Zugangs zur KVdR nach § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V in Zweifel zu ziehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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