S 2 AL 114/13

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 2 AL 114/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 125/15
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der Unmittelbarkeit in § 26 Abs. 2 SGB III wird kein rein zeitliches Erfordernis aufgestellt; es gibt auch keine abstrakte Höchstgrenze für eine unschädliche Unterbrechung. Nach Sinn und Zweck des Unmittelbarkeitserfordernisses in § 26 SGB III kommt es entscheidend auf die für die Lücke ursächlichen Umstände des Einzelfalls an.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 27.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.11.2013 wird aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 23.09.2013 bis 12.11.2013 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

2. Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung von Arbeitslosengeld für die Zeit ab 23.09.2013.

Der 1961 geborene Kläger war vom 11.02.1991 bis zum 30.11.2012 bei der Fa. C. abhängig beschäftigt, zuletzt als Produktionsmitarbeiter. Während dieser Zeit erkrankte er mehrfach arbeitsunfähig – zuletzt über einen längeren Zeitraum, was schließlich zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führte. Nach Ablauf der arbeitgeberseitigen Entgeltfortzahlung bezog der Kläger vom 08.08.2011 bis 31.10.2011 Krankengeld von seiner Krankenkasse. Im Anschluss daran absolvierte er auf Kosten seines Rentenversicherungsträgers eine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben, um seine Aussichten zur beruflichen Integration zu verbessern. Während dieser Zeit (01.11.2011 bis 31.07.2012) erhielt er Übergangsgeld. Da er ab 30.07.2012 erneut arbeitsunfähig war, zahlte ihm seine Krankenkasse in der Folgezeit bis zum 22.09.2013 wiederum Krankengeld (unterbrochen durch die Gewährung von Übergangsgeld seitens des Rentenversicherungsträgers wegen einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme vom 14.08.2013 bis 18.09.2013). Dabei ging sie davon aus, dass der Kläger während seines Leistungsbezugs vom 01.08.2012 an nicht mehr beitragspflichtig in der Arbeitslosenversicherung gewesen sei. Demgegenüber sah der Rentenversicherungsträger die Zeit vom 14.08.2013 bis 18.09.2013 insoweit als versicherungspflichtig an.

Nach der Aussteuerung meldete sich der Kläger am 19.09.2013 mit Wirkung zum 23.09.2013 persönlich bei der Beklagten arbeitslos. Seinen damit verbundenen Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27.09.2013 ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, weil er in der maßgebenden Rahmenfrist vom 24.12.2010 bis 22.09.2013 weniger als zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger, vertreten durch seine Bevollmächtigten, fristgerecht Widerspruch. Zur Begründung verwies er später auf sein Arbeitsverhältnis, das bis zum 30.11.2012 bestanden habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 22.11.2013 wurde der Widerspruch von der Beklagten als unbegründet zurückgewiesen. Der Kläger habe die Anwartschaftszeit nicht erfüllt. Die Rahmenfrist verlängere sich um die Dauer der Zeit, in der der Kläger von seinem Rentenversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten habe. Das damals bezogene Übergangsgeld begründe indes keinen Versicherungspflichttatbestand. Deshalb sei auch der nachfolgende Krankengeldbezug nicht mehr versicherungspflichtig gewesen; hierzu fehle es an dem Erfordernis der unmittelbaren Anknüpfung an einen vorangegangenen Versicherungspflichttatbestand.

Der Kläger hat am 19.12.2013 (Eingangsdatum), vertreten durch seine Prozessbevollmächtigten, Klage zum Sozialgericht Marburg erhoben. Mit Wirkung ab 01.03.2014 ist ihm von seinem Rentenversicherungsträger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zuerkannt worden (Bescheid vom 12.11.2013).

Er beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 27.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.11.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 23.09.2013 bis 12.11.2013 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands, insbesondere wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 27.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.11.2013 war aufzuheben, da er rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 23.09.2013 bis 12.11.2013 zu.

Anspruch auf Arbeitslosengeld hat gemäß §§ 136, 137 Drittes Buch Sozialgesetzbuch Arbeitsförderung (SGB III), wer das für die Regelaltersrente im Sinne des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) erforderliche Lebensalter noch nicht erreicht hat und arbeitslos ist, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Diese anspruchsbegründenden Tatbestandsvoraussetzungen hat der Kläger zur Überzeugung der Kammer zum 23.09.2013 erfüllt.

Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt erst 51 Jahre alt und konnte daher keine Altersrente nach dem SGB VI in Anspruch nehmen.

Die in § 138 SGB III definierte Anspruchsvoraussetzung der Arbeitslosigkeit wird bei dem Kläger gemäß § 145 SGB III fingiert, da es ihm zur Erfüllung der dort genannten Merkmale (Beschäftigungslosigkeit, Eigenbemühungen, Verfügbarkeit) nur an der objektiven Arbeitsfähigkeit fehlte.

Er war schon damals wegen einer mehr als sechsmonatigen Minderung seiner Leistungsfähigkeit außer Stande, eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarkts auszuüben. Insoweit stützt sich das Gericht auf die Feststellungen des Rentenversicherungsträgers, der in seinem Rentenbescheid vom 12.11.2013 den Eintritt des Leistungsfalls der vollen Erwerbsminderung auf den 14.08.2013 terminiert hat. Zu diesem Zeitpunkt bestand also bereits eine voraussichtlich mehr als sechsmonatige Minderung der Leistungsfähigkeit des Klägers. Diese stand jedoch gemäß § 145 Abs. 1 S. 1 SGB III einem Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht entgegen, weil im streitgegenständlichen Zeitraum vom 23.09.2013 bis 12.11.2013 die verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne des SGB VI noch nicht vom Rentenversicherungsträger festgestellt worden war.

Die übrigen Leistungsvoraussetzungen des § 138 SGB III wurden vom Kläger seinerzeit erfüllt. Er stand nicht mehr in einem Beschäftigungsverhältnis, da sein langjähriges Arbeitsverhältnis bei der Firma C. bereits zum 30.11.2012 beendet worden war. Aufgrund der Angaben des Klägers im amtlichen Antragsformular der Beklagten und im Termin zur mündlichen Verhandlung ist die Kammer auch zu der Überzeugung gelangt, dass sich der Kläger seinerzeit im Rahmen seiner gesundheitlichen Möglichkeiten bemüht hat, die Beschäftigungslosigkeit zu beenden, und dass er sich den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit in ausreichendem Maß zur Verfügung gestellt hat. Letzteres setzt im Fall des § 145 SGB III nur voraus, dass der Anspruchsberechtigte Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann, und dass er bereit ist, jede Beschäftigung, die ihm gesundheitlich zumutbar ist, anzunehmen und auszuüben sowie an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Erwerbsleben teilzunehmen. Diese subjektive Arbeitsbereitschaft ist bei dem Kläger nach Überzeugung der Kammer nach wie vor stark ausgeprägt, obwohl bei ihm objektiv keine hinreichende Leistungsfähigkeit mehr gegeben ist. Der Kläger war schließlich im streitgegenständlichen Zeitraum für die Beklagte auch jederzeit erreichbar.

Aufgrund eines entsprechenden Aktenvermerks auf dem Antragsformular der Beklagten ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass sich der Kläger am 19.09.2013 persönlich bei der Agentur für Arbeit Frankenberg arbeitslos gemeldet hat.

Entgegen der Ansicht der Beklagten hat der Kläger auch die Anwartschaftszeit erfüllt. Dies setzt gemäß § 142 Abs. 1 SGB III voraus, dass der Berechtigte in der Rahmenfrist des § 143 SGB III mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Diese Rahmenfrist beträgt gemäß § 143 Abs. 1 SGB III zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld; hier also am 22.09.2013. Nach § 143 Abs. 3 S. 1 SGB III werden in die Rahmenfrist Zeiten nicht eingerechnet, in denen die oder der Arbeitslose von einem Rehabilitationsträger Übergangsgeld wegen einer berufsfördernden Maßnahme bezogen hat. Der Kläger absolvierte in der Zeit vom 01.11.2011 bis 31.07.2012 eine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben und bezog währenddessen Übergangsgeld vom Rentenversicherungsträger. Diese neun Monate verlängern dadurch die Rahmenfrist. Diese läuft daher vom 24.12.2010 bis 22.09.2013.

Innerhalb dieses Zeitraums war der Kläger zunächst bis zum 07.08.2011 versicherungspflichtig beschäftigt und bezog Arbeitsentgelt bzw. Entgeltfortzahlung von seinem Arbeitsgeber. Vom 08.08.2011 bis 31.10.2011 stand der Kläger im Bezug von Krankengeld. Vom 01.11.2011 bis 31.07.2012 erhielt er Übergangsgeld von seinem Rentenversicherungsträger. Nach Beendigung der Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben bezog der Kläger vom 01.08.2012 bis 22.09.2013 erneut Krankengeld (unterbrochen nur durch die Gewährung von Übergangsgeld seitens des Rentenversicherungsträgers wegen einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme vom 14.08.2013 bis 18.09.2013). Diese Tatsachen stehen aufgrund der aktenkundigen Arbeitsbescheinigungen nach § 312 SGB III zur Überzeugung der Kammer fest.

Streitig ist zwischen den Beteiligten (ebenso wie zwischen der klägerischen Krankenkasse und seinem Rentenversicherungsträger) nur die rechtliche Einordnung dieser Zeiten. Nach Ansicht der Kammer handelt es sich bei allen Zeiten bis auf den Bezug von Übergangsgeld während der Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben um versicherungspflichtige Tatbestände im Sinne der §§ 24 ff. SGB III. Zunächst lag in der Zeit vom 24.12.2010 bis 07.08.2011 ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne von § 25 Abs. 1 S. 1 SGB III vor, da der Kläger in dieser Zeit gegen Arbeitsentgelt beschäftigt war. In der Zeit vom 08.08.2011 bis 31.10.2011 zählte der Kläger zu den sonstigen Versicherungspflichtigen des § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III, da er von einem Sozialleistungsträger Krankengeld bezogen hat. Auch die zusätzliche Voraussetzung des zweiten Halbsatzes des § 26 Abs. 2 SGB III ist hier unproblematisch erfüllt, da der Kläger als Beschäftigter bis unmittelbar vor Beginn des Krankengeldes versicherungspflichtig war. Diese Voraussetzung ist auch nach ihrem engstmöglichen Verständnis hier erfüllt, da beide Versicherungspflichtverhältnisse lückenlos aneinander anschließen. Eindeutig ist auch, dass der Kläger in der darauf folgenden Zeit vom 01.11.2011 bis 31.07.2012 nicht in einem Versicherungspflichtverhältnis zur Beklagten stand. Denn § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III ordnet die Versicherungspflicht während des Bezugs von Übergangsgeld nur für Fälle an, in denen diese Leistung von einem Träger der medizinischen Rehabilitation erbracht worden ist (siehe auch BSG, Urteil v. 04.12.2014 – B 5 AL 1/14 R – SozR 4-4300 § 28a Nr. 9 Rdnr. 15 f.). Dies ist hier nicht der Fall, da der Kläger in dieser Zeit an einer Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben teilgenommen hat. Auch die oben zitierte Regelung des § 143 Abs. 3 SGB III über die Verlängerung der Rahmenfrist wäre andernfalls überflüssig.

Anders als die Beklagte und die klägerische Krankenkasse meinen, stand der Kläger aber in der Folgezeit vom 01.08.2012 bis 22.09.2013 wegen des Bezugs von Krankengeld und wegen des Bezugs von Übergangsgeld von einem Träger der medizinischen Rehabilitation wiederum in einem Versicherungspflichtverhältnis zur Beklagten. Beide Leistungen sind in § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III aufgeführt. Ungeachtet des zwischenzeitlichen Bezugs von Übergangsgeld während der Teilnahme an einer Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben schloss sich der Bezug von Krankengeld auch unmittelbar im Sinne von § 26 Abs. 2 2. Halbsatz SGB III an die vorangegangene versicherungspflichtige Zeit wegen des Vorbezugs von Krankengeld bis zum 31.10.2011 an. Denn mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der Unmittelbarkeit wird in § 26 Abs. 2 SGB III kein rein zeitliches Erfordernis aufgestellt. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass sowohl im sozialrechtlichen Schrifttum (vgl. etwa Gagel / Fuchs, SGB III, § 26 Rdnr. 29; Scheidt in Mutschler / Schmidt-de Caluwe / Coseriu, SGB III, 5. Aufl. 2013, § 26 Rdnr. 41 f.; Timme in Hauck / Noftz, SGB III, § 26 Rdnr. 48 i.V.m. 36; Brand / Brand, SGB III, 6. Aufl. 2012, § 26 Rdnr. 20 und 24; Wagner in GK-SGB III, § 26 Rdnr. 29 a. E.; Wehrhahn, in: Schlegel / Voelzke, jurisPK-SGB III, 2014, § 26 SGB III Rdnr. 31 ff.) als auch in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung (siehe nur LSG Sachsen, Urteil v. 05.12.2013 – L 3 AL 36/11 m.w.N. – Das Hessische LSG hat sich mit Urteil v. 15.07.2011 – L 9 AL 125/10 in einem obiter dictum dafür ausgesprochen, diese Frist nicht starr anzuwenden und kurze Überschreitungen (in casu ging es um eine Unterbrechung von insgesamt 32 Tagen) als unschädlich anzusehen.) die in den Geschäftsanweisungen der Beklagten niedergelegte Verwaltungspraxis weitgehend akzeptiert wird, wonach zwischen zwei Versicherungspflichttatbeständen höchstens eine Lücke von einem Monat gegeben sein darf. Von dieser zeitlichen Obergrenze gehen auch der 5. und der 12. Senat des BSG in ihrer Rechtsprechung zu § 28a SGB III aus (siehe Urteile v. 04.12.2014 – B 5 AL 1/14 R – SozR 4-4300 § 28a Nr. 9 Rdnr. 19 unter Hinweis auf Urteil v. 30.03.2011 – B 12 AL 2/10 R – SozR 4-4300 § 28a Nr. 4 Rdnr. 22). Diese Rechtsprechung lässt sich allerdings nicht ohne weiteres auf den vorliegenden Fall übertragen. Zum einen findet sich in den Gesetzesmaterialien zu § 28a SGB III ein Hinweis auf die Ansicht des Gesetzgebers, dass ein unmittelbarer Anschluss im Sinne dieser Norm nur vorliegt, wenn die Lücke zwischen dem Bezug der Entgeltersatzleistung und der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit nicht mehr als einen Monat beträgt (BT-Drucks. 15/1515, S. 78). Zum zweiten wird die genannte Rechtsprechung vom BSG ausdrücklich mit dem Ausnahmecharakter der Antragspflichtversicherung nach § 28a SGB III begründet.

Dagegen fehlt es zum Verständnis des Unmittelbarkeitserfordernisses in den verschiedenen Versicherungspflichttatbeständen des § 26 SGB III nach wie vor an einer höchstrichterlichen Klarstellung. Allerdings hat der 11. Senat des BSG in zwei Revisionsverfahren, in denen am 02.05.2012 bzw. am 04.06.2013 mündlich verhandelt worden ist (Aktenzeichen: B 11 AL 13/11 R bzw. B 11 AL 3/12 R), rechtliche Hinweise zum Verständnis der Unmittelbarkeitsvoraussetzung in § 26 Abs. 2a SGB III erteilt, die zum Abschluss eines prozessbeendenden Vergleichs geführt haben (vgl. dazu die jeweilige Terminvorschau und den dazugehörigen Terminbericht des BSG Nr. 22/12 und Nr. 26/13, abzurufen unter www.bundessozialgericht.de). In beiden Fällen hat die Bundesagentur für Arbeit letztlich ihren Rechtsstandpunkt aufgegeben und die Versicherungspflicht der dort betroffenen Mütter trotz längerer Unterbrechungen akzeptiert (siehe zu den Sachverhalten die jeweiligen Berufungsurteile: LSG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 31.03.2011 – L 1 AL 43/10 und LSG Schleswig-Holstein, Urteil v. 16.12.2011 – L 3 AL 20/10). Nach Ansicht des 11. Senats des BSG ist eine bestimmte zeitliche Höchstdauer dem Begriff der Unmittelbarkeit nicht zu entnehmen. Entscheidend sei vielmehr der Grund der Unterbrechung (ebenso bereits LSG Rheinland-Pfalz, a.a.O.; ihm folgend B. Schmidt, SGb 2014, 242, 246 f.; ähnlich jetzt auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 22.05.2014 – L 16 AL 287/13). Dem schließt sich die erkennende Kammer an. Nach Sinn und Zweck des Unmittelbarkeitserfordernisses in § 26 SGB III kommt es entscheidend auf die für die Lücke ursächlichen Umstände des Einzelfalls an. Zu prüfen ist, ob der betreffende Arbeitnehmer bereits aus dem Kreis der Solidargemeinschaft der versicherten Beschäftigten ausgeschieden ist oder nicht (vgl. dazu Schlegel, in Eicher/Schlegel, SGB III, § 26 Rdnr. 2 f.). Allein hierin liegt ein hinreichender sachlicher Grund, dessen die gesetzliche Differenzierung vor dem Hintergrund von Art. 3 Abs. 1 GG bedarf. Im Hintergrund des normativen Rechtsbegriffs der Unmittelbarkeit steht also kein rein zeitlicher Zusammenhang, sondern der Gedanke der arbeitsförderungsrechtlichen Kontinuität (vgl. dazu Scheidt, in Mutschler / Schmidt-de Caluwe / Coseriu, SGB III, 5. Aufl. 2013, § 26 Rdnr. 49; Gagel / Fuchs, SGB III, § 26 Rdnr. 30).

Bei der danach erforderlichen wertenden Betrachtung der Gründe für die Unterbrechung im Einzelfall ergeben sich im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte für ein Ausscheiden des Klägers aus dem Kreis der Solidargemeinschaft. Denn die Unterbrechung von neun Monaten geht auf seine Teilnahme an einer Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben zurück. Diese wurde ihm vom Rentenversicherungsträger gerade bewilligt, um seine Aussichten zur beruflichen Integration zu verbessern. Der Kläger hat auch im Termin zur mündlichen Verhandlung am 26.10.2015 nochmals beteuert, dass es ihm stets darum gegangen sei, den Vorschlägen der verschiedenen Sozialleistungsträger zu folgen, um möglichst schnell wieder ein eigenes Einkommen erzielen zu können. Hinzu kommt, dass im vorliegenden Fall das bereits jahrzehntelang bestehende Arbeitsverhältnis des Klägers zum Zeitpunkt der Teilhabemaßnahme noch fortbestand. Dieser Sachverhalt bietet demzufolge nicht den geringsten Anhaltspunkt für ein mögliches Ausscheiden des Klägers aus dem Kreis der Solidargemeinschaft der Arbeitslosenversicherung.

Die gegenteilige Rechtsansicht der Beklagten würde im vorliegenden Fall auch den Sinn und Zweck der Regelung des § 143 Abs. 3 S. 1 SGB III unterlaufen. Indem der Gesetzgeber den Bezug von Arbeitslosengeld wegen einer berufsfördernden Maßnahme nicht der Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung unterstellt, jedoch eine Verlängerung der Rahmenfrist angeordnet hat, wollte er eine beitragsfreie Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes schaffen (Waltermann, Sozialrecht, 11. Aufl. 2014, Rdnr. 473). Die Teilnahme an einer Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben sollte sich nicht negativ auf eine bereits zuvor erarbeitete Anwartschaft auswirken. Genau dies ist jedoch die Folge der Rechtsansicht der Beklagten im vorliegenden Fall. Nur durch die Teilnahme an der Rehabilitationsmaßnahme würde dem Kläger der Versicherungsschutz des Krankengeldbezugs aus § 26 Abs. 2 SGB III genommen. Damit würden zugleich alle zuvor geleisteten Beitragszahlungen entwertet.

Schließlich widerspricht die Ansicht der Beklagten auch dem – in mehreren Vorschriften des Sozialgesetzbuchs zum Ausdruck kommenden – allgemeinen Rechtsgedanken, dass den Versicherten kein Nachteil durch die historisch gewachsene Aufgliederung der Sozialleistungsträger entstehen soll. Denn im vorliegenden Fall würde es dem Kläger zum Nachteil gereichen, dass er bei Eintritt in die Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben am 01.11.2011 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des SGB VI für eine Kostenübernahme der Rehabilitationsleistung durch den Rentenversicherungsträger erfüllt hat. Andernfalls wäre nämlich die Beklagte selbst der zuständige Rehabilitationsträger gewesen, so dass dem Kläger während der Teilhabeleistung Übergangsgeld nach den Vorschriften des SGB III geleistet worden wäre. In diesem Fall hätte der nachfolgende Krankengeldbezug ohne weiteres die Voraussetzung des § 26 Abs. 2 SGB III erfüllt, weil er nahtlos an eine laufende Entgeltersatzleistung nach dem SGB III angeschlossen hätte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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