S 19 SO 54/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
19
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 19 SO 54/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 SO 20/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung unter Einstufung in die Regelbedarfsstufe 1 statt in die Regelbedarfsstufe 3.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger leidet seit seiner Geburt an einer Hirnschädigung mit einem Krampfleiden und geistiger Behinderung. Bei ihm sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen "G", "aG" und "H" anerkannt. Er steht unter Betreuung seiner Eltern und erhält von seiner Pflegekasse Leistungen nach der Pflegestufe III. Er wohnt mit seinen Eltern unter einem Dach in einem ge-meinsamen Haushalt zusammen und bezieht seit 2005 von der Beklagten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, wobei die Beklagte Leistungen in Höhe der Regelbedarfsstufe 3 gewährte sowie einen Mehrbedarf für schwerbehinderte Menschen in Höhe von 17 vom Hundert des Betrages der Regelbedarfsstufe 3 (Bescheide vom 15.06.2011, 13.12.2012 und 03.12.2013). Mit Bescheid vom 09.12.2014 gewährte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 01.01.2015 bis 31.12.2015 erneut Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung unter Einstufung in die Regelbedarfsstufe 3. Der Kläger legte am 16.12.2014 Widerspruch ein und verwies auf die Entscheidungen des 8. Senats des Bundessozialgerichts vom 23.07.2014 (Az. B 8 SO 14/13 R, B 8 SO 31/12 R und B 8 SO 12/13 R). Er beteilige sich im Rahmen der ihm angesichts seiner Behinderung zustehenden Möglichkeiten an der gemeinsamen Haushaltsführung.

Mit "Widerspruchsbescheid" vom 04.05.2015 (richtig: Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheid) half die Städteregion Aachen dem Widerspruch teilweise ab und bewilligte dem Kläger unter Zugrundelegung der Regelbedarfsstufe 3 eine abweichende Regelsatzfestsetzung in Höhe des Betrages der Regelbedarfsstufe 1 sowie einen Mehrbedarf für schwerbehinderte Menschen in entsprechender Höhe. Zur Begründung verwies sie auf die im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung erlassene Weisung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) vom 31.03.2015 (Weisung 2015/1).

Hiergegen richtet sich die am 13.05.2015 erhobene Klage.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 09.12.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.05.2015 zu verpflichten, ihm für die Zeit vom 01.01.2015 bis 31.12.2015 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung unter Zugrundelegung der Regelbedarfsstufe 1 sowie eines Mehrbedarfs für schwerbehinderte Menschen in Höhe von 17 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung die gesetzliche Vertreterin des Klägers in ausführlicher Weise zu den Verhältnissen im gemeinsamen Haushalt mit dem Kläger angehört. Zum Ergebnis der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, insbesondere fehlt es nach Auffassung der Kammer nicht deshalb am Rechtsschutzbedürfnis des Klägers, weil dieser auf der Grundlage des Widerspruchsbescheides vom 04.05.2015 Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung erhalten hat, deren Höhe Leistungen der Regelbedarfsstufe 1 entspricht. Angesichts der stetigen Fortschreibung der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben (§ 7 des Gesetzes zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch [Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz – RBEG vom 24. März 201]) sowie der in § 10 RBEG festgeschriebenen Weiterentwicklung der Regelbedarfs-Ermittlung hat der Kläger ein rechtliches Interesse daran, ob die Höhe seiner Leistungen unmittelbar aus dem Gesetz folgt oder sich (erst) aus einer im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung ergangenen Weisung ergibt.

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Er hat keinen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung unter Zugrundelegung der Regelbedarfsstufe 1 und auch keinen Anspruch auf einen Mehrbedarf für schwerbehinderte Menschen entsprechend der Regelbedarfsstufe 1.

Grundlage für den Anspruch des Klägers sind die §§ 41 Abs. 1 Satz 1, 42 Nr. 1 und 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe (SGB XII). Danach erhalten dauerhaft voll erwerbsgeminderte Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen oder Vermögen bestreiten können, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Diese Voraussetzungen liegen – was zwischen den Beteiligen nicht streitig ist – in der Person des Klägers vor. Er ist angesichts der bei ihm vorliegenden Hirnschädigung mit Krampfleiden und geistiger Behinderung dauerhaft vollerwerbsgemindert und er kann seinen notwendigen Lebensunterhalt weder aus seinem Einkommen (§ 82 Abs. 1 SGB XII), noch aus seinem Vermögen (§ 90 Abs. 1 SGB XII) bestreiten. Er hat ferner im streitgegenständlichen Zeitraum seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt.

Die Höhe der dem Kläger zustehenden Leistungen richtet sich nach § 42 Nr. 1 SGB XII i.V.m. der Anlage zu § 28 SGB XII sowie nach § 42 Nr. 2 SGB XII i.V.m. § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII. Nach diesen Vorschriften umfassen die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei voller Erwerbsminderung die Regelsätze nach den Regelbedarfsstufen der Anlage zu § 28 SGB XII sowie einen Mehrbedarf von 17 vom Hundert der maßgeblichen Regelbedarfsstufe. Die sich aus der Anlage zu § 28 SGB XII für erwachsene Leistungsberechtigte ergebenden Regelbedarfsstufen lauten:

"Regelbedarfsstufe 1: Für eine erwachsene leistungsberechtigte Person, die als alleinstehende oder alleinerziehende Person einen eigenen Haushalt führt; dies gilt auch dann, wenn in diesem Haushalt eine oder mehrere weitere erwachsene Personen leben, die der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen sind.

Regelbedarfsstufe 2: Für jeweils zwei erwachsene Leistungsberechtigte, die als Ehegatten, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führen.

Regelbedarfsstufe 3: Für eine erwachsene leistungsberechtigte Person, die weder einen eigenen Haushalt führt, noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führt."

Unter Zugrundelegung jener gesetzlichen Vorgaben ist der Kläger der Regelbedarfsstufe 3 und nicht der Regelbedarfsstufe 1 zuzuordnen. Für volljährige Personen ohne eigene Kinder, die nicht mit einem verschieden- oder gleichgeschlechtlichen Partner zusammen leben, kommt es für die Abgrenzung der Regelbedarfsstufen 1 oder 3 allein darauf an, ob sie einen "eigenen Haushalt" führen (ausführlich LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.01.2014 – L 9 SO 469/13 WA = juris, Rdnr. 80 ff.). Der Kläger indessen führt nicht als alleinstehende oder alleinerziehende Person einen eigenen Haushalt, sondern er lebt zusammen mit seinen Eltern (also nicht als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft) gemeinsam in einem Haushalt. Zur Führung eines eigenen Haushalts ist der Kläger angesichts der bei ihm vorliegenden gesundheitlichen Einschränkungen nicht in der Lage. So hat die zur Betreuerin bestellte Mutter des volljährigen Klägers im Rahmen ihrer Anhörung in der mündlichen Verhandlung erklärt, der Kläger könne sich zwar allein aus dem Bett bewegen, benötige indessen Hilfestellungen bei hygienischen Maßnahmen und dem Ankleiden. Er helfe, sein Zimmer, wieder in einem Zustand zu verlassen, dass man es anschließend wieder betreten könne, wenn er sich in seinem Zimmer beschäftigt habe. Er helfe, Wäsche für die Waschmaschine zu sortieren und er könne unter Aufsicht den Wäschetrockner betätigen. Er bezahle seine Kleidung von den ihm zustehenden Grundsicherungsleistungen und komme auch dafür auf, wenn ihm etwas kaputt gehe. Auch beteilige er sich an der Rückzahlung des zur Finanzierung des gemeinsam bewohnten Eigenheims aufgenommenen Annuitätendarlehens. An allgemeinen Instandhaltungs- oder Wartungskosten beteilige er sich nicht, wohl aber z.B. am gemeinschaftlich verbrauchten Haushaltsstrom.

Soweit der 8. Senat des Bundessozialgerichts im Rahmen seiner Entscheidung vom 24.03.2015 (Az. B 8 SO 5/14 R, juris, Rdnr. 17) ausführt, die Sozialgerichte dürften in Ermittlungen, ob angesichts der bei den Leistungsberechtigten bestehenden Behinderungen überhaupt die Fähigkeit zur Beteiligung an der Haushaltsführung gegeben ist, erst eintreten, wenn ein qualifizierter Vortrag des beklagten Sozialhilfeträgers hierzu Anlass gibt, vermag die Kammer sich dieser Auslegung nicht anzuschließen. Für eine solche Einschränkung des prozessrechtlichen Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 103 Satz 1 SGG) fehlen in den gesetzlichen Vorgaben jegliche Anhaltspunkte, zumal hier Vorschriften des materiellen Sozialhilferechts in Frage stehen.

Aus diesem Grund hat die Kammer keine Bedenken, ihre in Ausübung der Amtsermittlungspflicht durch Anhörung der gesetzlichen Vertreterin des Klägers gewonnenen Erkenntnisse zu Grunde zu legen. Unter Zugrundelegung dieser Ausführungen führt der Kläger jedoch keinen eigenen Haushalt, sondern er beteiligt sich im Rahmen der ihm angesichts seiner Behinderungen gegebenen Möglichkeiten am gemeinschaftlichen Haushalt seiner Eltern. Hierbei leistet er in Ansehung seiner gravierenden Behinderung – die Ausführungen seiner gesetzlichen Vertreterin, an denen die Kammer nicht zweifelt, belegen dies – eindrucksvolle Beiträge. Gleichwohl ist die Beteiligung des Klägers am gemeinsamen Haushalt, gemessen an den Beiträgen seiner gesetzlichen Vertreter, von untergeordneter Bedeutung. Keinesfalls indessen kann davon gesprochen werden, dass der Kläger einen eigenen Haushalt führt.

Soweit der 8. Senat des Bundessozialgerichts demgegenüber in den Entscheidungen vom 23.07.2014 (Az. B 8 SO 14/13 R, B 8 SO 31/12 R und B 8 SO 12/13 R, alle abrufbar unter juris) ausgeführt hat, der Bedarf einer erwachsenen leistungsberech-tigten Person richte sich auch dann nach der Regelbedarfsstufe 1, wenn eine erwachsene leistungsberechtigte Person mit ihren Eltern in einer Haushaltsgemeinschaft lebt, so vermag sich die Kammer dem ebenfalls nicht anzuschließen. Denn diese Auslegung missachtet aus ihrer Sicht den eindeutigen Wortlaut der Anlage zu § 28 SGB XII, ist mit der Binnensystematik der Regelbedarfsstufen nicht in Einklang zu bringen und widerspricht auch der Begründung des Gesetzgebers.

Bereits der Wortlaut der Anlage zu § 28 SGB XII dokumentiert, dass Abgrenzungsmerkmal für die Zuordnung zur Regelbedarfsstufe 1 oder 3 allein die Führung eines "eigenen" Haushalts ist. Der Gesetzgeber hat mit der zum 01.04.2011 eingeführten Neuregelung in den Regelbedarfsstufen 1 bis 3 für erwachsene Leistungsberechtigte das Begriffspaar "gemeinsamer Haushalt" und "eigener Haushalt" eingeführt. Führt eine erwachsene leistungsberechtigte Person (als alleinstehend oder alleinerziehend) einen eigenen Haushalt, ist sie der Regelbedarfsstufe 1 zuzuordnen. Führt sie keinen eigenen Haushalt, und auch nicht als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt, ist sie der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen. Auch aus dem zweiten Halbsatzes der gesetzlichen Umschreibung der Regelbedarfsstufe 3 in der Anlage zu § 28 SGB XII ist somit klar und eindeutig zu folgern, dass erwachsene leistungsberechtigte Personen, die einen gemeinsamen Haushalt führen, indessen dies nicht als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft zusammen lebend tun, der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen sind.

Auch die Binnensystematik der ab dem 01.04.2011 eingeführten Regelbedarfsstufen spricht für diese Auslegung. Die gesetzliche Regelung stellt sich als abgestuftes System der Leistungsgewährung dar, wobei derjenige erwachsene Leistungsberechtigte, der einen Haushalt allein führt, Anspruch auf den vollen Regelsatz hat, derjenige erwachsene Leistungsberechtigte, der gemeinsam mit einem Ehegatten, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft gemeinsam einen Haushalt führt, Anspruch auf 90% des vollen Regelsatzes hat und derjenige erwachsene Leistungsberechtigte, der weder einen eigenen Haushalt (allein) führt, noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führt, Anspruch auf 80% des vollen Regelsatzes hat.

Hintergrund dieses abgestuften Systems ist die Überlegung, dass eine alleinstehende oder alleinerziehende erwachsene Person neben Ernährung und Kleidung auch sämtliche für ihren Haushalt anfallenden Kosten allein finanzieren muss, während bei Ehepaaren und Lebenspartnerschaften davon auszugehen ist, dass zusammen lebende Partner auch in wirtschaftlicher Hinsicht eine Gemeinschaft bilden und ihren gemeinsamen Haushalt gemeinsam führen. Dies bedeutet, dass die für die Lebensführung anfallenden Ausgaben gemeinsam getragen werden und sich nicht auf 200 Prozent der Ausgaben eines Einpersonenhaushalts belaufen, sondern aufgrund der gemeinsamen Nutzung von Geräten wie etwa Fernseher, Computer, Kühlschrank oder Herd geringer ausfallen (siehe den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch BT-Drs. 17/4095, Seite 39). Der Unterschied von der Regelbedarfsstufe 2 zur Regelbedarfsstufe 3 besteht darin, dass bei der für Paare geltenden Regelbedarfsstufe 2 von der gemeinsamen Tragung der anfallenden Ausgaben auszugehen ist, weshalb die gesetzliche Kon-zeption eine Aufteilung der Regelbedarfe auf beide Partner zu gleichen Teilen vorsieht. Von der Regelbedarfsstufe 3 werden hingegen Personenkonstellationen umfasst, in denen es keine gemeinsame Tragung von Ausgaben zu gleichen Teilen gibt. Deshalb wird der bisherige Regelsatzanteil von 80 Prozent für einen Haushaltsangehörigen mit der Regelbedarfsstufe 3 beibehalten (Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch BT-Drs. 17/4095, Seite 40).

Überdies ist der Gesetzesbegründung zu entnehmen, dass sich der Bedarf von erwachsenen, nicht erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die zusammen mit ihren Eltern in einem Haushalt leben, nach der Regelbedarfsstufe 3 richtet (siehe die Begründung im Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, BT-Drs. 17/3404, Seite 130: "Die Regelbedarfsstufe 3 bestimmt die Höhe des Regelbedarfs für eine erwachsene Person, die keinen eigenen Haushalt führt, weil sie im Haushalt anderer Personen lebt und die haushaltsgebundenen Kosten durch diese anderen Personen bereits abgedeckt sind", ferner den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, BT-Drs. 17/4095, Seiten 27 f. und 40 f.: "Damit war seitens des Gesetzgebers beabsichtigt, insbesondere von Geburt und früher Kindheit dauerhaft voll erwerbsgeminderten Personen einen elternunabhängigen Anspruch auf ein Mindesteinkommen zu ermöglichen. Die Einsatzgemeinschaft zwischen Eltern und erwachsenem Kind wurde in diesen Fällen also weitestgehend aufgehoben. Allerdings war mit der Einführung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nicht die Absicht verbunden, diesen im Haushaltszusammenhang lebenden Personen einen Anspruch einzuräumen, wie er Alleinstehenden in Höhe des Eckregelsatzes oder Paaren in Höhe des später eingeführten Partnerregelsatzes zusteht, sondern einen Anspruch in Höhe des Regelsatzanteils eines erwachsenen Haushaltsangehörigen [80 Prozent des Eckregelsatzes]").

Soweit der 8. Senat des Bundessozialgerichts meint, diese gesetzgeberische Wertung werde durch die Vorschrift des § 39 Satz 1, 1. Halbsatz SGB XII sowie einem § 1626 Abs. 2 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu entnehmenden "Leitbild eines "familienhaften Zusammenlebens" relativiert (so im Ergebnis BSG, Urteil vom 23.07.2014 – B 8 SO 12/13 R = juris, Rdnr. 14 f.; BSG, Urteil vom 23.07.2014 – B 8 SO 31/12 R = juris, Rdnr. 14 f.), vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Der Hinweis auf § 1626 Abs. 2 Satz 1 BGB begegnet bereits systematischen Bedenken, zumal diese Vorschrift die elterliche Sorge minderjähriger Kinder betrifft und nicht die leistungsrechtlichen Auswirkungen des Zusammenlebens von voll erwerbsgeminderten, volljährigen Kindern mit ihren Eltern in einem gemeinsamen Haushalt. Auf § 39 Satz 1, 1. Halbsatz SGB XII kann schon deshalb nicht abgestellt werden, weil die Vorschrift im 3. Kapitel des SGB XII angesiedelt ist und für Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung keine Anwendung findet, § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB XII. Überdies zeigt schon ihre Überschrift ("Vermutung der Bedarfsdeckung"), dass der Regelungsgehalt der Vorschrift weniger in der Beschreibung eines (angeblich) zentralen Leitbild familienhaften Zusammenlebens besteht, sondern vielmehr darin, bei einem Zusammenleben im Wege widerlegbarer Vermutung auf ein gemeinsames Wirtschaften zu schließen (allgemein etwa Grube, in: ders./Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 39 Rdnr. 7). Den der Vorschrift des § 39 Satz 1, 1. Halbsatz SGB XII vom 8. Senat des Bundessozialgerichts entnommenen Regelungsgehalt des Leitbildes eines familienhaften Zusammenlebens vermag die Kammer bereits aus systematischen Gründen nicht nachzuvollziehen. In diesem Fall nämlich wäre zu fordern, dass sich ein solch zentrales Element gleichsam "vor die Klammer gezogen" im ersten oder zweiten Kapitel des SGB XII findet und nicht im 3. Kapitel angesiedelt ist und für Leistungen nach dem 4. Kapitel ausdrücklich nicht gelten soll.

Soweit der 8. Senat des Bundessozialgerichts überdies ausführt, die von ihm im Rahmen der Entscheidungen vom 23.07.2014 praktizierte Auslegung der Anlage zu § 28 SGB XII sei aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten (so BSG, Urteil vom 23.07.2014 – B 8 SO 14/13 R = juris, Rdnr. 24), stimmt die Kammer dem ebenfalls nicht zu. Denn angesichts des eindeutigen Wortlauts der Anlage zu § 28 SGB XII ist diese Vorschrift einer verfassungskonformen Auslegung nicht zugänglich (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.01.2014 – L 9 SO 469/13 WA = juris, Rdnr. 90). Wenn der 8. Senat des Bundessozialgerichts diese Auslegung aus verfassungsrechtlichen Gründen für geboten hält, hätte er die Vorschrift dem Bundesverfassungsgericht im Wege einer konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) zur Entscheidung vorlegen müssen (dazu, dass die Voraussetzungen für die Einstufung in die einzelnen Regelbedarfsstufen ungeachtet der Fortschreibung der Regelsätze im Wege der Verordnung durch formelles Gesetz getroffen wurde und den Fachgerichten somit keine Verwerfungskompetenz zusteht, LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.01.2014 – L 9 SO 469/13 WA = juris, Rdnr. 86 ff.).

Die vom 8. Senat des Bundessozialgerichts gehegten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Zuordnung erwachsener, nicht erwerbsfähiger Leistungsberechtigter, die zusammen mit ihren Eltern in einem Haushalt leben, zur Regelbedarfsstufe 3, vermag die Kammer indessen nicht zu teilen. Soweit der 8. Senat des Bundessozialgerichts davon ausgeht, "allein die von [ihm] vorgenommene Auslegung sicher[e] die sozialrechtliche Funktion der Leistungen nach dem SGB XII" (so BSG, Urteil vom 23.07.2014 – B 8 SO 14/13 R = juris, Rdnr. 24), hat er im Rahmen jener Entscheidung nähere grundrechtsdogmatische Überlegungen nicht anzustellen vermocht. Demgegenüber hat das Landesssozialgericht Nordrhein-Westfalen ausführlich und unter Anknüpfung an die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in dessen Entscheidung vom 09.02.2010 (Az. 1 BvL 1/09 u.a. = juris) dargelegt, dass der Gesetzgeber mit Einführung der Regelbedarfsstufe 3 die verfassungsrechtlichen Grenzen seines Gestaltungsspielraums nicht überschritten hat (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.01.2014 – L 9 SO 469/13 WA = juris, Rdnr. 92 ff.). Diesen ausführlichen und überzeugenden Ausführungen schließt sich das erkennende Gericht an. Soweit der 8. Senat des Bundessozialgerichts eine Verletzung des Allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) bzw. des Diskriminierungs-verbots des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG sieht (so offenbar in der Entscheidung vom 23.07.2014 – B 8 SO 14/13 R = juris, Rdnr. 17), überzeugt auch dies die Kammer nicht. Was den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG anbelangt, so wird dieser nicht dadurch verletzt, dass erwerbsfähige Personen, die das 25. Lebensjahr vollendet haben und keinen eigenen Haushalt führen, sondern im Haushalt ihrer Eltern wohnen, Leistungen entsprechend der Regelbedarfsstufe 1 und damit mehr erhalten, als nicht erwerbsfähige Personen, die das 25. Lebensjahr vollendet haben und ohne eigenen Haushalt im Haushalt ihrer Eltern leben und denen nach der gesetzlichen Konzeption lediglich Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 3 zustehen. Zwar handelt es sich insoweit um eine Ungleichbehandlung, die zudem an der vollen Erwerbsminderung des Klägers anknüpft und für die deshalb ein strenger, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter Prüfungsmaßstab gilt. Jedoch ist die Ungleichbehandlung selbst unter Beachtung jenes strengen Prüfungsmaßstabs verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Zunächst genießen nach dem 4. Kapitel des SGB XII leistungsberechtigte Personen gegenüber Leistungsempfängern nach dem SGB II Privilegien im Hinblick auf das anzurechnende Einkommen. So sieht § 43 Abs. 3 Satz 1 SGB XII vor, dass Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten gegenüber ihren Eltern unberücksichtigt bleiben, sofern deren jährliches Gesamteinkommen unter einem Betrag von 100.000,00 Euro liegt. Nach § 43 Abs. 3 Satz 2 SGB XII besteht sogar eine (widerlegbare) Vermutung, dass das Einkommen der Unterhaltspflichtigen die Grenze in § 43 Abs. 3 Satz 1 SGB XII nicht überschreitet (ausführlich hierzu LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.01.2014 – L 9 SO 469/13 WA = juris, Rdnr. 118). Überdies wendet sich das Leistungsregime des SGB II an einen grundsätzlich erwerbsfähigen Personenkreis, der nur vorübergehender Unterstützung durch steuerfinanzierte Sozialleistungen bedarf (vgl. Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BT-Drs. 17/4095, Seite 27). Hinzu kommt, dass mit der Erwerbsfähigkeit (§ 8 Abs. 1 SGB II) und der damit erfolgenden Weichenstellung zugunsten des Leistungsregimes des SGB II zahlreiche Pflichten bzw. Obliegenheiten des Leistungsempfängers einhergehen, welche bei (schuldhafter) Verletzung gravierende Sanktionen (u.U. hin bis zur Versagung der Leistungen) nach sich ziehen. Zu nennen ist etwa der allgemein in § 2 SGB II festgelegte Grundsatz des Forderns sowie der in § 10 Abs. 1 und 2 SGB II festgelegte Grundsatz, dass den Leistungsempfängern prima facie jede Arbeit zumutbar ist. Zu nennen ist weiter der in §§ 31, 32 SGB II festgelegte umfassende Pflichtenkatalog, dessen Verletzung zwingende Sanktionen nach §§ 31a, 32 SGB II zur Folge hat. Diese Pflichten verlangen vom Leistungsempfänger ein erhöhtes Maß an Eigenverantwortung und wirtschaftlicher Beweglichkeit, weshalb die Anerkennung wirtschaftlicher Eigenständigkeit durch einen höheren Regelsatz gerechtfertigt erscheint (Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BT-Drs. 17/4095, Seite 27). Demgegenüber wird der dauerhaft erwerbsgeminderte Empfänger von SGB XII-Leistungen weitestgehend "in Ruhe gelassen". Er sieht sich nicht einem permanenten Grundsatz des Forderns ausgesetzt, der ihn mehr oder weniger zwingt, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen und auch nicht Sanktionstatbeständen, wenn das Scheitern entsprechender Bemühungen ihm anzulasten ist. Folglich bedarf er wirtschaftlicher Eigenständigkeit nicht in dem Maße, wie sie dem über 25-jährigen Empfänger von SGB II-Leistungen zugestanden wird (ausführlich hierzu Urteil der Kammer vom 20.01.2012 – S 19 SO 108/11 = juris, Rdnr. 58 ff.; sich dem anschließend SG Berlin, Urteil vom 04.12.2012 – S 51 SO 2013/11 = juris, Rdnr. 73 ff.).

Überdies besteht bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die das 25. Lebensjahr vollendet haben, die Möglichkeit, einen eigenen Hausstand zu begründen. Auch dies stellt einen sachlichen Grund dar, diese Personen anders zu behandeln, als den Kläger, der einen eigenen Hausstand nicht zu begründen vermag (allgemein LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.01.2014 – L 9 SO 469/13 WA = juris, Rdnr. 119).

Im Ergebnis beruht die unterschiedliche Ausgestaltung der beiden Leistungssysteme des SGB II und SGB XII damit auf einem sachlichen Grund. Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht gegeben (so bereits LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 24.10.2011, L 8 SO 275/11 B ER = juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.01.2014 – L 9 SO 469/13 WA = juris; SG Aachen, Urteil vom 20.01.2012 – S 19 SO 108/11 = juris; SG Berlin, Urteil vom 04.12.2012 – S 51 SO 2013/11 = juris).

Auch das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG wird durch die gesetzlichen Regelungen nicht verletzt. Zwar wird der Kläger gegenüber erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr vollendet haben, ungleich behandelt. Diese Ungleichbehandlung ist jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Fehlen einer Person nämlich gerade aufgrund ihrer Behinderung bestimmte geistige oder körperliche Fähigkeiten, die unerlässliche Voraussetzung für die Wahrnehmung eines Rechts sind, liegt in der Verweigerung dieses Rechts kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot. Eine rechtliche Schlechterstellung Behinderter ist danach jedoch nur zulässig, wenn zwingende Gründe dafür vorliegen (BVerfG, Beschluss vom 19.01.1999 – 1 BvR 2161/94 = juris, Rdnr. 56; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10.03.2004 – 2 BvR 577/01 = juris, Rdnr. 7).

Unter Zugrundelegung dieser Maßgaben liegt hier keine Verletzung des Diskriminierungsverbots vor. Denn der Kläger ist angesichts der bei ihm vorliegenden gravierenden Behinderungen nicht in der Lage, einen eigenen Haushalt zu begründen, während erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr vollendet haben dies (grundsätzlich) möglich ist. Damit liegt ein zwingender Grund für die Benachteiligung des Klägers gegenüber erwerbsfähigen Leistungsberechtigten vor, die das 25. Lebensjahr vollendet haben (allgemein LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.01.2014 – L 9 SO 469/13 WA = juris, Rdnr. 125 f.).

Zusammenfassend hatte der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum lediglich Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Höhe der Regelbedarfsstufe 3 sowie auf einen Mehrbedarf wegen Schwerbehinderung in Höhe von 17 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 3. Folglich wird der Kläger durch die Gewährung höherer Leistungen, die im Ergebnis den Leistungen der Regelbedarfsstufe 1 entsprechen, erst Recht nicht in seinen Rechten verletzt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Die Kammer hat die nach § 144 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGG nicht gegebene Berufung schon deshalb zugelassen, weil ihre Entscheidung von den o.g. Entscheidungen des 8. Senats des BSG vom 23.07.2014 sowie der o.g. Entscheidung des 8. Senats des BSG vom 24.03.2015 abweicht, § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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