S 2 SO 295/13

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 2 SO 295/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger unter Abänderung des Bescheids vom 02.01.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.09.2013 Eingliederungshilfe in Form zweier weiterer Autismustherapieeinheiten wöchentlich zu gewähren. Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung zweier weiterer Autismustherapieeinheiten wöchentlich.

Der am 00.00.2009 geborene Kläger leidet unter einem frühkindlichen Autismus.

Am 01.10.2012 beantrage er die weitere Gewährung von vier Autismustherapieeinheiten wöchentlich ab dem 01.02.2013 unter Bezugnahme auf die vom Autismustherapiezentrum in H abgegebene Empfehlung vom 26.09.2012 und den bisherigen Therapiebericht vom 31.10.2012. Mit Bescheid vom 02.01.2013 bewilligte der Beklagte die beantragte Autismustherapie in einem Umfang von zwei statt vier Einheiten wöchentlich. Zu beachten sei, dass der Kläger zusätzlich eine Integrationskraft im Kindergarten zur Verfügung habe, durch die eine 1:1-Betreuung dort gewährleistet sei. Daher sei eine weitergehende Förderung als die bewilligte nicht erforderlich. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch. Der Bericht des Autismustherapiezentrums in H vom 31.10.2012 empfehle einen Therapieumfang von vier Stunden wöchentlich. Im Kindergarten werde der Kläger zwar betreut, eine spezielle therapeutische Förderung finde dort im Hinblick auf den Autismus nicht statt. Daher seien die vier Therapiestunden je Woche erforderlich. Mit Widerspruchsbescheid vom 16.09.2013 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger habe sich durch die bewilligten zwei Therapiestunden wöchentlich bereits positiv entwickelt. Ferner bestehe eine 1:1-Betreuung im Kindergarten. Dem Kindergarten stünden für die Betreuung des Klägers 20.000 Euro zur Verfügung. Es bestehe kein weiterer Förderbedarf.

Mit der dagegen erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter und verweist erneut auf die Ausführungen des Therapiezentrums in H.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 02.01.2013 sowie den Widerspruchsbescheid vom 16.09.2013 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über die bereits bewilligten zwei Fördereinheiten wöchentlich hinaus weitere zwei Fördereinheiten, somit insgesamt vier Fördereinheiten wöchentlich zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf seine bisherigen Ausführungen. Ferner seien inzwischen die Richtlinien zur Förderung von Kindern mit Behinderung in Kindertageseinrichtungen der beiden Landschaftsverbände, LWL und LVR, in NRW aktualisiert worden. Der LWL habe eine Beschlussvorlage eingebracht, wonach zur Förderung von Kindern mit Behinderung in Kindertageseinrichtungen pauschale Geldbeträge an die jeweilige Kindertageseinrichtungen geleistet würden.

Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes ein medizinisches Sachverständigengutachten des Nervenfacharztes H1 eingeholt.

Im Übrigen wird für die Einzelheiten Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Akte des Verwaltungsverfahrens.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger ist im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beschwert. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 02.01.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.09.2013 ist hinsichtlich der Versagung der zwei weiteren Therapiestunden je Woche rechtswidrig und der Kläger in-soweit in seinen Rechten verletzt.

Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, erhalten gemäß § 53 Abs. 1 SGB XII Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung können Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten. Von einer Behinderung bedroht sind gemäß § 53 Abs. 2 SGB XII Personen, bei denen der Eintritt der Behinderung nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Dies gilt für Personen, für die vorbeugende Gesundheitshilfe und Hilfe bei Krankheit nach den §§ 47 und 48 erforderlich ist, nur, wenn auch bei Durchführung dieser Leistungen eine Behinderung einzutreten droht. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es gemäß § 53 Abs. 3 SGB XII, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen. Für die Leistungen zur Teilhabe gelten gemäß § 53 Abs. 4 SGB XII die Vorschriften des Neunten Buches, soweit sich aus diesem Buch und den auf Grund dieses Buches erlassenen Rechtsverordnungen nichts Abweichendes ergibt. Die Zuständigkeit und die Vo-raussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe richten sich nach diesem Buch.

Leistungen der Eingliederungshilfe sind neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 des Neunten Buches gemäß § 54 Abs. 1 SGB XII insbesondere 1. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt, 2. Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule, 3. Hilfe zur Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit, 4. Hilfe in vergleichbaren sonstigen Beschäftigungsstätten nach § 56, 5. nachgehende Hilfe zur Sicherung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen und zur Sicherung der Teilhabe der behinderten Menschen am Arbeitsleben.

Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben entsprechen jeweils den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit.

Zur Überzeugung der Kammer aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme hat der Kläger einen Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form von zwei weiteren Autismustherapiestunden wöchentlich. Dies ergibt sich aus dem eingeholten Sachverständigengutachten des Nervenfacharztes H1. Der Sachverständige hat sich eindeutig mit den erhobenen medizinischen Befunden, mit den aktenkundigen Befunden und dem Vorbringen der Beteiligten auseinandergesetzt. Insbesondere bestätigt der Sachverständige, dass der Kläger unter einem frühkindlichen Autismus leidet. Um auf die Erfordernisse des Kindes eingehen zu können, bedürfe es einer Einzeltherapie. Die Therapie im Autismismuszentrum sei geeignet. Selbst wenn im Kindergarten ein Integrationshelfer bereit stehe, könne diese Maßnahme die spezifische Autismustherapie nicht ersetzen. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Gutachtens des Sachverständigen H1 Bezug genommen.

Soweit der Beklagte auf die Neuausrichtung des Vergabeverfahrens für Kinder in Kindertageseinrichtungen durch den LWL und den LVR hinweist, handelt es sich bei dieser Einigung über das Förderungsverfahren lediglich um eine Harmonisierung verwaltungsinterner Vorgänge. Dem gemeinsamen Beschluss kommt kein Gesetzescharakter zu. Inhaltlich geht der Beschluss dahin, dass pro Kind mit Behinderungen der Einrichtung eine Pauschale zur Verfügung gestellt wird. Die Ansprüche auf Eingliederungshilfe nach § 53 ff. SGB XII lassen sich jedoch nicht abschließend pauschalieren. Die gesetzlichen Bestimmungen über die Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII sind im Rahmen der Einführung der Inklusion nicht modifiziert worden. Der behinderte Mensch hat nach wie vor einen individuellen Anspruch auf Eingliederungshilfe. Dieser richtet sich nach seinem individuellen Unterstützungsbedarf. Insoweit kann die Bereitstellung von Geldmitteln für die Tageseinrichtungen im Sinne einer Objektförderung nur dazu beitragen, dass ein individueller Förderbedarf jenseits der Leistungen in der Einrichtung erst gar nicht entsteht, indem schon die Einrichtung selbst hinreichende Eingliederungsmaßnahmen erbringen kann. Eine formale Abschaffung der Eingliederungshilfe im Sinne der Subjektförderung stellt dies jedoch nicht dar. Auch ist die Ermessensausübung über die Art und Weise der Förderung durch diesen Beschluss über das Förderverfahren nicht abschließend erbracht worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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