Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Itzehoe (SHS)
Aktenzeichen
S 33 KR 56/15 ER
Datum
-
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 209/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Einstweiliger Rechtsschutz ist auch gegen die Vollstreckung bestandskräftiger Verwaltungsakte durch einstweilige Anordnung unter der Voraussetzung möglich, dass die Prüfung des Anordnungsanspruchs einen materiell unzweifelhaften Anspruch ergibt.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozial- gerichts Itzehoe vom 28. Oktober 2015 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege der einstweiligen Anordnung gegen die Voll-ziehung von Beitragsbescheiden.
Der Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin krankenversichert. Bis März 2014 war er als freiwilliges Mitglied bei ihr versichert und ist es derzeit aufgrund einer Versiche-rungspflicht als Beschäftigter. Seine freiwilligen Beiträge bis März 2014 zahlte der Antragsteller nicht bzw. unvollständig. Die Beitragsrückstände stellte die Antrags-gegnerin mit Beitragsbescheiden, wie im bisherigen Verfahren genannt, fest. Zum Teil setzte sie dabei Höchstbeiträge fest, da der Antragsteller nicht oder verspätet ih-rer Bitte auf Vorlage von Einkommensbescheiden nachkam. Mit Bescheid vom 9. Februar 2015 unterrichtete die Antragsgegnerin den Antragsteller über derzeit of-fene Beiträge von 11.295,39 EUR einschließlich Säumniszuschlägen und Nebenkos-ten. Hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch mit der Begründung, dass das am 1. August 2013 in Kraft getretene Gesetz mit § 256a SGB V gerade Mitglieder wie ihn vor sozialer Überforderung durch hohe Beitragsschulden schützen solle. Da-rauf sei er von der Antragsgegnerin nicht hingewiesen worden. Den Antrag auf Er-lass stelle er jetzt. Er habe zwei Kinder und seine Ehefrau sei nur geringfügig be-schäftigt. Vor diesem Hintergrund stellten die geltend gemachten Beiträge eine wirt-schaftliche Überforderung dar. Außerdem beantrage er die Aussetzung der Vollzie-hung, bis über seinen Erlassantrag entschieden worden sei. Einen Erlass lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 21. April 2015 ab. Auch eine Aussetzung der Vollziehung sei nicht möglich. Ein Erlass nach § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB IV komme ebenfalls nicht in Betracht. Dazu übersandte die Antragsgegnerin Kontoaus-züge einschließlich Säumniszuschlägen über 11.544,39 EUR (Stand 8. Mai 2015). Mit Bescheid vom 5. Juni 2015 lehnte die Antragsgegnerin eine Reduzierung der Bei-träge gemäß § 44 SGB X ab. Dazu erläuterte sie im Einzelnen, wie es zu den ent-standenen festgesetzten Beiträgen insgesamt gekommen war. Auch hiergegen er-hob der Antragsteller Widerspruch und beantragte erneut die Aussetzung der Voll-streckung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Überprüfungsantrag. Die Antragsgegnerin wies auf ihren Bescheid vom 21. April 2015 hin, wonach eine Aus-setzung der Vollziehung nicht möglich sei. Der Antragsteller beanstandete daraufhin, dass ihm keine Versicherungskarte ausgestellt werde, obwohl er derzeit laufend Bei-träge entrichte. Die Antragsgegnerin wies auf § 16 Abs. 3a SGB V hin, wonach der Leistungsanspruch bei angemahnten Beiträgen von mehr als einem Monatsbeitrag eingeschränkt sei.
Der Antragsteller hat am 13. August 2015 die Aussetzung der Vollziehung der Bei-tragsbescheide bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Überprüfungsantrag beantragt. Zur Begründung hat er sein bisheriges Vorbringen wiederholt. Es sei der Antragsgegnerin vorzuwerfen, jetzt erst nach Aufgabe der selbstständigen Tätigkeit die Vollstreckung betrieben zu haben. Eine Entscheidung über seinen Überprüfungs-antrag der Beitragsbescheide sei bis jetzt nicht erfolgt. Die Vollstreckung stelle eine unbillige Härte aufgrund seiner familiären Situation und lediglich Bruttoeinnahmen von 2.300,00 EUR monatlich dar. Zudem habe er noch weitere Kredite zu bedienen Dazu hat der Antragsteller Unterlagen vorgelegt. Die unbillige Härte folge auch dar-aus, dass sich die Beitragsbescheide noch im Überprüfungsverfahren befänden. § 256a SGB V gelte uneingeschränkt für freiwillige Mitglieder.
Die Antragsgegnerin hat erwidert, § 256a SGB V komme nicht in Betracht, da der Antragsteller zu keinem Zeitpunkt nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V versichert gewesen sei. § 256a SGB V finde lediglich in seinem Absatz 3 auf freiwillig Versicherte An-wendung, und zwar dort auf Erlass von Säumniszuschlägen. Diese Vorschrift habe sie, die Antragsgegnerin, berücksichtigt und in Höhe von 1.557,56 EUR dem Antrag-steller Säumniszuschläge bereits im Dezember 2013 erlassen. Die in den seither er-stellten Kontoübersichten enthaltenen Säumniszuschläge seien also einheitlich nach § 24 Abs. 1 SGB IV (ein Prozent) berechnet. Ein Erlass nach § 76 SGB IV komme ebenfalls nicht in Betracht, da es an der unbilligen Härte fehle. Vor dem Hintergrund seiner wirtschaftlichen Situation könne der Antragsteller im Übrigen einen Antrag auf Ratenzahlung stellen.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 28. Oktober 2015 den Antrag abgelehnt und zur Begründung ausgeführt:
"Der Antragsteller hat bereits das Vorliegen eines Anordnungsanspruches nicht glaubhaft gemacht. Streitgegenständlich sind die Beitragsbescheide vom 23.02.2012, 29.11.2012, 17.04.2013, 10.06.2013, 18.02.2014 sowie 23.04.2014. Eine gerichtliche Anordnung auf Einstellung der Vollstreckung aus diesen Bescheiden kommt nur in Betracht, wenn die Vollstreckung hie-raus offensichtlich rechtswidrig wäre, denn nur bei entsprechend engen Aus-legung wird auch dem Umstand hinreichend Rechnung getan, dass die (be-standskräftigen) Bescheide schon kraft Gesetzes nach § 86a Absatz 2 Nr. 1 SGG sofort vollziehbar sind und die Aussetzung der Vollziehung ein Aus-nahmefall darstellt.
An einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit der Vollstreckung fehlt es hier. Ein Fall, in dem die Rechtswidrigkeit eines Beitragsbescheides in diesem Sinne evident ist, weil sie schon im vorläufigen Rechtsschutzverfahren so eindeutig auf der Hand liegt, dass eine Fortsetzung der Vollstreckung für den Betroffe-nen sich als klares Unrecht erweisen würde, ist nur dann gegeben, wenn entweder der geltend gemachte materiell-rechtliche Anspruch auf Einstellung der Vollstreckung völlig unzweifelhaft besteht (Variante 1) oder die Interes-senlage zugunsten des Antragstellers so eindeutig ist, dass eine Fortsetzung der Vollstreckung nicht in Betracht kommt (Variante 2) (vgl. Landessozialge-richt Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. November 2013 - L 9 KR 254/13 B ER -, juris Rdnr. 4).
Beides ist zu verneinen. Die Beitragsbescheide sind schon nicht evident rechtswidrig und auch die Interessenlage gebietet es nicht objektiv zuguns-ten des Antragstellers die Vollstre¬ckung einstweilen auszusetzen.
Der AntragssteIler hat sich zur Begründung allein auf die Möglichkeit des Er-lasses von Beitragsschulden und Säumniszuschlägen berufen und ist der Ansicht, dass zu seinen Gunsten ein Erlass der Beitragsforderungen oder zumindest der angefallenen Säumniszuschläge vorzunehmen sei. Ein bereits gestellter Antrag auf Erlass einer Forderung - wie hier - kann zwar der Fort-setzung der Vollstreckung entgegenstehen, setzt aber gleichzeitig voraus, dass die Voraussetzungen für den begehrten Erlass mit hinreichender Wahr-scheinlichkeit vorliegen. Daran fehlt es hier jedoch.
Nach der zum 01.08.2013 eingeführten Regelung des § 256a Abs. 1 bis 2 SGB V können Beitragsschulden und Säumniszuschläge erlassen werden für den Personenkreis der Auffangversicherten nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V. Die Vorschrift trägt insoweit dem Umstand Rechnung, dass das Vorliegen der Voraussetzungen für die mit dem 01.04.2007 eingeführte Auffang-Ver-sicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V häufig nicht oder verspätet angezeigt wurde und daher im Falle einer nachträglichen Erfassung solcher Mitgliedschaften hohe Beitragsrückstände und Säumniszuschläge aufgelau-fen sind. Der Antragsteller gehört ausweislich des Versicherungsverlaufs als langjähriges freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung (jedenfalls bis zum Ende seiner Selbstständigkeit Anfang 2014) schon nicht zu dem Kreis derjenigen, für welche nach dem Willen des Gesetzgebers die Möglichkeit des Beitragserlasses nach § 256a Abs. 1 SGB V konzipiert wur-de. Für ihn käme daher lediglich die Möglichkeit des Erlasses noch nicht ge-zahlter Säumniszuschläge nach § 256a Abs. 3 SGB V in Betracht. Danach sind die Säumniszuschläge, welche aufgrund des bisherigen, aber mit Wir-kung vom 01.08.2013 durch Art. 2 des Gesetzes vom 15.7.2013 aufgehobe-nen Abs. 1 a des 24 SGB IV (i.d.R. 5 % der Forderung pro Monat) für die Zeit bis zum 31.07.2013 angefallen sind und den Säumniszuschlag des Abs. 1 des § 24 SGB IV (i.d.R. 1 % der Forderung pro Monat) überstiegen, entsprechend zu erlassen. Der Antragsgegner hat diese Regelung jedoch bereits berücksichtigt und die überhöht geforderten Säumniszuschläge für den maßgeblichen Zeitraum in Höhe von 1.557,66 Euro bereits erlassen und nachfolgend die Säumniszuschläge entsprechend berechnet (vgl. S. 2 des Kontoauszugs vom 14.08.2015).
Weitere Rechtsgrundlagen, welche den Antragsgegner zu dem begehrten Erlass verpflichten würden, sind nicht erfüllt. Die Vorschrift des § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV), wonach der Antragsgegner ein Erlass der zu er¬hebenden Einnahmen vor-nehmen kann, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbil-lig wäre, räumt dem Antragsgegner Ermessen ein. Nur im Falle einer Ermes-sensreduktion könnte der AntragssteIler daher einen Erlass beanspruchen. Hierfür bestehen je¬doch keine Anhaltspunkte. Der verwandte Begriff der Un-billigkeit wurde erst im Jahr 1994 eingeführt und ersetzte jenen der "beson-dere Härte". Während die besondere Härte, als Steigerung gegenüber der für die Stundung erforderlichen erheblichen Härte allein auf die individuelle Situation des Schuldners ausgerichtet war und nur bei Beitragsansprüchen die versicherungsrechtlichen Interessen der Versicherten gewahrt bleiben mussten, erfordert der unbestimmte Rechtsbegriff der Unbilligkeit stets eine Abwägung der schutzwürdigen Interessen der Versichertengemeinschaft mit denen des Anspruchsgegners. Es ist insoweit zwischen persönlicher und sachlicher Unbilligkeit zu unterscheiden. Persönliche Unbilligkeit stellt auf Unbilligkeitsgründe ab, die in der Person des Verpflichteten liegen, und ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn bei juristischen Personen der wirtschaft-liche Fortbestand und bei natürlichen Personen der notwendige Lebensun-terhalt durch die Realisierung des Anspruchs in Existenz bedrohender Weise gefährdet würde. In die Abwägung sind die Umstände des Einzelfalls einzu-beziehen, insbesondere die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners. Aus Sicht der Versichertengemeinschaft hängt es vor allem von der Art und Höhe des Anspruchs (Beitrags-, Erstattungs- oder Scha-densersatzforderung) sowie davon ab, ob eine Überzahlung, der Verlust oder ein sonstiger Vermögensschaden vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht worden ist. Auch der Grad des Verschuldens des Anspruchsgegners an sei-ner jeweiligen wirtschaftlichen Zwangslage wird bei der Abwägung zu be-rücksichtigen sein. Allein der Umstand, dass im Falle einer Insolvenz die Ge-samtvollstreckungsmasse nicht zur Befriedigung aller Forderungen ausreicht, gebietet noch nicht den vollständigen Erlass von Säumniszuschlägen. Eine sachliche Unbilligkeit der Geltendmachung offener Forderungen kann sich aber auch daraus ergeben, dass die Geltendmachung der Forderung zwar dem Wortlaut einer Vorschrift entspricht, aber nach dem Zweck des zugrun-de liegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist, weil es dessen Wer-tungen zuwiderläuft. Die Änderung einer Verwaltungspraxis vermag allein für sich genommen eine sachliche Unbilligkeit nicht zu begründen (von Boetti-cher in: Schlegel/Voelzke, jurisPK SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 76 SGB IV Rdnr. 30-35).
Der Antragsteller hat zur Begründung einer unbilligen Härte ausgeführt, dass sein bis Anfang 2014 geführter Gewerbetrieb nicht kostendeckend gewesen sei und er nunmehr im Falle der Vollstreckung durch verbliebene Schulden aus der Zeit der Selbstständigkeit und Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seiner Familie wirtschaftlich nicht mehr in der Lage sei, die zwangsweise gel-tend gemachten Beiträge zu erbringen. Diese Ausführungen führen jedoch nach Überzeugung des Gerichts nicht zu einer Ermessensreduktion auf Null. Der Antragsteller hat sich trotz der fehlenden Kostendeckung dazu ent-schlossen, seinen Gewerbebetrieb über einen längeren Zeitraum fortzufüh-ren und hatte aufgrund der erheblichen Zeitspanne hinreichend Gelegenheit, sich mit den aufgelaufenen Beitragsforderungen, welche der Antragsgegner auch regelmäßig angemahnt hat, auseinanderzusetzen und eine Lösung mit dem Antragsgegner zu finden (z.B. durch Stellung eines Antrags auf Raten-zahlung). Auch bestehen für den Antragsteller im Rahmen der Zwangsvoll-streckung hinreichend Schutzmechanismen, um sowohl seinen notwendigen Lebensunterhalt als auch seine gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen si-cherzustellen (vgl. Möglichkeit der Erhöhung der Pfändungsfreigrenzen ge-mäß § 202 SGG i.V.m. § 850 f Zivilprozessordnung (ZPO))
Angesichts des Fehlens eines Anordnungsanspruchs kann grundsätzlich da-hinstehen, ob ein Anordnungsgrund vorliegt. Das Gericht hält es jedoch unter Berücksichtigung des Vorstehenden zur Entstehung der Forderungen, insbesondere auch dem langen Zeitablauf seit Fälligkeit und der Schutzmöglichkeiten im Rahmen der Zwangsvollstreckung und der noch nicht ausgeschöpften Abmilderungen (z.B. Vereinbarung einer Ratenzahlung) für zumutbar, dass der Antragsteller eine Entscheidung in der Hauptsache abwartet."
Gegen den ihm am 28. Oktober und 2. November 2015 zugestellten Beschluss rich-tet sich die Beschwerde des Antragstellers, eingegangen beim Sozialgericht Itzehoe am 5. November 2015. Zur Begründung wiederholt er sein Vorbringen hinsichtlich der Anwendbarkeit von § 256a SGB V und § 76 SGB IV. Der Vollstreckungsauftrag enthalte einen überhöhten Betrag. Es sei unbillig, dass ihm von der Antragsgegnerin keinerlei Versicherungsschutz trotz aktueller Beitragszahlung bewilligt werde. Seine Familie habe zu wenig zum Leben und könne daher keine Raten zahlen. Die An-tragsgegnerin hat nicht weiter vorgetragen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Zu-treffend hat das Sozialgericht die beantragte einstweilige Anordnung abgelehnt. In-soweit nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die Begrün-dung in dem angefochtenen Beschluss (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG) und weist ergän-zend noch auf Folgendes hin:
Zutreffend ist das Sozialgericht bei seiner Prüfung von § 86b Abs. 2 SGG ausgegan-gen. Zwar hat der Antragsteller seinen Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollzie-hung der Beitragsbescheide gerichtet, dabei jedoch verkannt, dass der im Rahmen eines an die Behörde gerichteten Begehrens auf Rücknahme eines Verwaltungsak-tes gemäß § 44 SGB X gestellten Antrags auf sofortigen gerichtlichen Vollstre-ckungsschutz als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu verstehen ist (vgl. etwa OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. Januar 2004 – 16 B 260/03). Insoweit verkennt der Antragsteller nämlich, dass Rechtsmittel gegen einen bestands-/rechtskräftigen Verwaltungsakt keine aufschiebende Wirkung haben (vgl. Keller in Meyer-Ladewig u. a., SGG-Kommentar, § 86b Rz. 7; Bayerisches LSG, Be-schluss vom 25. Januar 2010 – L 11 AS 796/09 B ER). In solchen Fällen geht es nicht um eine Eilentscheidung in Anfechtungsverfahren, sondern in Vornahmesa-chen, gerichtet auf die Rücknahme eines nicht begünstigenden Verwaltungsaktes.
Die Voraussetzungen der einstweiligen Anordnung bestimmt § 86b Abs. 2 SGG. Da-nach kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Absatzes 1 der Vorschrift vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die – summarische – Prüfung der Erfolgsaussicht in der Hauptsache sowie der Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgs-aussicht der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstreb-ten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Zwar schließt die Bestandskraft eines Bescheides, wie § 44 SGB X verdeutlicht, nicht generell aus, dass dieser auf Rechtsfehler hin untersucht und dann ggf. zurückge-nommen werden kann. Für den einstweiligen Rechtsschutz im Rahmen eines sol-chen Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X hat das jedoch, worauf das Sozial-gericht unter Bezugnahme auf den Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 13. November 2013 zutreffend hinweist, zur Folge, dass im Anordnungsanspruch eine offensichtliche Rechtswidrigkeit des belastenden Bescheides mit der Folge zu fordern ist, dass der geltend gemachte materiell rechtliche Anspruch unzweifelhaft besteht. Solche offensichtliche Rechtswidrigkeit vermag der Senat, ebenso wie das So-zialgericht, hinsichtlich der Beitragsbescheide nicht zu erkennen.
Insoweit wendet sich der Antragsteller auch nicht gegen die Beitragspflicht oder die festgestellte Beitragshöhe, sondern vertritt vielmehr die Auffassung, dass die Voraus¬setzungen eines zwingenden Erlasses der Beitragsschulden vorgelegen haben. Dies hat das Sozialgericht jedoch zutreffend unter Hinweis auf die zugrunde gelegten Vorschriften des § 256a SGB V und des § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV verneint. Hinsichtlich § 256a SGB V verkennt der Antragsteller weiterhin, dass diese Vorschrift in ihren Absätzen 1 und 2 allein im Zusammenhang mit § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V steht und auf den Erlass bzw. die Ermäßigung von Beitragsschulden und Säumniszu-schlägen im Zusammenhang mit der daraus resultierenden Versicherungspflicht beschränkt ist (Felix in jurisPK SGB V, § 256a Rz. 4). Der Gesetzeswortlaut ist insoweit eindeutig und nicht auslegungsfähig. Allein Absatz 3 der Vorschrift bezieht, worauf die Antragsgegnerin zutreffend hinweist, freiwillige Mitglieder in die Regelung mit ein, insoweit jedoch nur hinsichtlich der noch nicht gezahlten Säumniszuschläge. Diese Vorschrift hat, was von dem Antragsteller auch nicht bestritten wird, die Antragsgegnerin berücksichtigt.
Auch hinsichtlich eines Erlasses nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV schließt sich der Se-nat den Ausführungen des Sozialgerichts an. Dass der Behörde bei der begehrten Leistung Ermessen eingeräumt ist, steht dem Vorliegen eines Anordnungsgrundes zwar grundsätzlich nicht entgegen. Allerdings bedarf dieser Umstand der Berücksich-tigung bei einer zusprechenden Entscheidung dergestalt, dass das Ermessen so weit reduziert ist, dass ein Anordnungsanspruch besteht (LSG Berlin-Bran¬denburg, Be-schluss vom 13. Oktober 2011 – L 14 AL 174/11 B). Das vermag der Senat in Über-einstimmung mit dem Sozialgericht nicht zu erkennen. Soweit der Antragsteller in der Beschwerdebegründung vorbringt, er sei aufgrund seiner finanziellen Situation nicht in der Lage, Beitragszahlungen zu erbringen, überzeugt dies schon deshalb nicht, weil er, worauf die Antragsgegnerin zutreffend hinweist, von seinen Einnahmen Kre-dite bedient, und zwar nicht nur Zinszahlungen erbringt, sondern auch Tilgungsleis-tungen. So bestätigt der von ihm vorgelegte Kontoauszug Tilgungszahlungen von 332,65 EUR auf die Quartalsraten in Höhe von 555,69 EUR. Einen Antrag auf Ra-tenzahlung hat der Antragsteller offensichtlich bisher bei der Antragsgegnerin nicht gestellt.
Der Hinweis darauf, er erhalte keinerlei Versicherungsschutz von der Antragsgegne-rin, ist unzutreffend. Insoweit sieht § 16 Abs. 3a Satz 2 SGB V, der nach summari-scher Prüfung von der Antragsgegnerin zutreffend angewendet wird, bestimmte Leis-tungen weiterhin vor. Diese Vorschrift bezieht sich auf sämtliche Mitglieder, also auch auf versicherungspflichtige Mitglieder nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V. Das dort bestimmte Ruhen endet nach dem zweiten Halbsatz der Vorschrift dann, wenn alle rückständigen und die auf die Zeit des Ruhens entfallenden Beitragsanteile gezahlt sind oder wenn Versicherte hilfebedürftig im Sinne des Zweiten oder Zwölften Bu-ches Sozialgesetzbuch werden. Diese Voraussetzungen liegen erkennbar nicht vor, ebenso wie die des Satzes 3, worauf bereits hingewiesen wurde, wonach eine wirk-samen Ratenzahlungsvereinbarung bewirkt, dass das Mitglied ab diesem Zeitpunkt wieder Anspruch auf Leistungen hat, solange die Raten vertragsgemäß entrichtet werden.
Fehlt es mithin bereits an einem Anordnungsanspruch, bedarf es keiner Prüfung des Anordnungsgrundes.
Vor diesem Hintergrund war, wie erkannt, zu entscheiden. Soweit der Antragsteller in der Beschwerdebegründung, erkennbar erstmalig, darauf hinweist, dass in der Voll-streckung die Antragsgegnerin einen überhöhten Betrag begehrt, stellt dies einen neuen Streitgegenstand dar, der gegebenenfalls in einem eigenständigen (Vollstre-ckungs-)Verfahren zu prüfen wäre.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG analog.
Diese Entscheidung ist endgültig (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege der einstweiligen Anordnung gegen die Voll-ziehung von Beitragsbescheiden.
Der Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin krankenversichert. Bis März 2014 war er als freiwilliges Mitglied bei ihr versichert und ist es derzeit aufgrund einer Versiche-rungspflicht als Beschäftigter. Seine freiwilligen Beiträge bis März 2014 zahlte der Antragsteller nicht bzw. unvollständig. Die Beitragsrückstände stellte die Antrags-gegnerin mit Beitragsbescheiden, wie im bisherigen Verfahren genannt, fest. Zum Teil setzte sie dabei Höchstbeiträge fest, da der Antragsteller nicht oder verspätet ih-rer Bitte auf Vorlage von Einkommensbescheiden nachkam. Mit Bescheid vom 9. Februar 2015 unterrichtete die Antragsgegnerin den Antragsteller über derzeit of-fene Beiträge von 11.295,39 EUR einschließlich Säumniszuschlägen und Nebenkos-ten. Hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch mit der Begründung, dass das am 1. August 2013 in Kraft getretene Gesetz mit § 256a SGB V gerade Mitglieder wie ihn vor sozialer Überforderung durch hohe Beitragsschulden schützen solle. Da-rauf sei er von der Antragsgegnerin nicht hingewiesen worden. Den Antrag auf Er-lass stelle er jetzt. Er habe zwei Kinder und seine Ehefrau sei nur geringfügig be-schäftigt. Vor diesem Hintergrund stellten die geltend gemachten Beiträge eine wirt-schaftliche Überforderung dar. Außerdem beantrage er die Aussetzung der Vollzie-hung, bis über seinen Erlassantrag entschieden worden sei. Einen Erlass lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 21. April 2015 ab. Auch eine Aussetzung der Vollziehung sei nicht möglich. Ein Erlass nach § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB IV komme ebenfalls nicht in Betracht. Dazu übersandte die Antragsgegnerin Kontoaus-züge einschließlich Säumniszuschlägen über 11.544,39 EUR (Stand 8. Mai 2015). Mit Bescheid vom 5. Juni 2015 lehnte die Antragsgegnerin eine Reduzierung der Bei-träge gemäß § 44 SGB X ab. Dazu erläuterte sie im Einzelnen, wie es zu den ent-standenen festgesetzten Beiträgen insgesamt gekommen war. Auch hiergegen er-hob der Antragsteller Widerspruch und beantragte erneut die Aussetzung der Voll-streckung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Überprüfungsantrag. Die Antragsgegnerin wies auf ihren Bescheid vom 21. April 2015 hin, wonach eine Aus-setzung der Vollziehung nicht möglich sei. Der Antragsteller beanstandete daraufhin, dass ihm keine Versicherungskarte ausgestellt werde, obwohl er derzeit laufend Bei-träge entrichte. Die Antragsgegnerin wies auf § 16 Abs. 3a SGB V hin, wonach der Leistungsanspruch bei angemahnten Beiträgen von mehr als einem Monatsbeitrag eingeschränkt sei.
Der Antragsteller hat am 13. August 2015 die Aussetzung der Vollziehung der Bei-tragsbescheide bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Überprüfungsantrag beantragt. Zur Begründung hat er sein bisheriges Vorbringen wiederholt. Es sei der Antragsgegnerin vorzuwerfen, jetzt erst nach Aufgabe der selbstständigen Tätigkeit die Vollstreckung betrieben zu haben. Eine Entscheidung über seinen Überprüfungs-antrag der Beitragsbescheide sei bis jetzt nicht erfolgt. Die Vollstreckung stelle eine unbillige Härte aufgrund seiner familiären Situation und lediglich Bruttoeinnahmen von 2.300,00 EUR monatlich dar. Zudem habe er noch weitere Kredite zu bedienen Dazu hat der Antragsteller Unterlagen vorgelegt. Die unbillige Härte folge auch dar-aus, dass sich die Beitragsbescheide noch im Überprüfungsverfahren befänden. § 256a SGB V gelte uneingeschränkt für freiwillige Mitglieder.
Die Antragsgegnerin hat erwidert, § 256a SGB V komme nicht in Betracht, da der Antragsteller zu keinem Zeitpunkt nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V versichert gewesen sei. § 256a SGB V finde lediglich in seinem Absatz 3 auf freiwillig Versicherte An-wendung, und zwar dort auf Erlass von Säumniszuschlägen. Diese Vorschrift habe sie, die Antragsgegnerin, berücksichtigt und in Höhe von 1.557,56 EUR dem Antrag-steller Säumniszuschläge bereits im Dezember 2013 erlassen. Die in den seither er-stellten Kontoübersichten enthaltenen Säumniszuschläge seien also einheitlich nach § 24 Abs. 1 SGB IV (ein Prozent) berechnet. Ein Erlass nach § 76 SGB IV komme ebenfalls nicht in Betracht, da es an der unbilligen Härte fehle. Vor dem Hintergrund seiner wirtschaftlichen Situation könne der Antragsteller im Übrigen einen Antrag auf Ratenzahlung stellen.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 28. Oktober 2015 den Antrag abgelehnt und zur Begründung ausgeführt:
"Der Antragsteller hat bereits das Vorliegen eines Anordnungsanspruches nicht glaubhaft gemacht. Streitgegenständlich sind die Beitragsbescheide vom 23.02.2012, 29.11.2012, 17.04.2013, 10.06.2013, 18.02.2014 sowie 23.04.2014. Eine gerichtliche Anordnung auf Einstellung der Vollstreckung aus diesen Bescheiden kommt nur in Betracht, wenn die Vollstreckung hie-raus offensichtlich rechtswidrig wäre, denn nur bei entsprechend engen Aus-legung wird auch dem Umstand hinreichend Rechnung getan, dass die (be-standskräftigen) Bescheide schon kraft Gesetzes nach § 86a Absatz 2 Nr. 1 SGG sofort vollziehbar sind und die Aussetzung der Vollziehung ein Aus-nahmefall darstellt.
An einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit der Vollstreckung fehlt es hier. Ein Fall, in dem die Rechtswidrigkeit eines Beitragsbescheides in diesem Sinne evident ist, weil sie schon im vorläufigen Rechtsschutzverfahren so eindeutig auf der Hand liegt, dass eine Fortsetzung der Vollstreckung für den Betroffe-nen sich als klares Unrecht erweisen würde, ist nur dann gegeben, wenn entweder der geltend gemachte materiell-rechtliche Anspruch auf Einstellung der Vollstreckung völlig unzweifelhaft besteht (Variante 1) oder die Interes-senlage zugunsten des Antragstellers so eindeutig ist, dass eine Fortsetzung der Vollstreckung nicht in Betracht kommt (Variante 2) (vgl. Landessozialge-richt Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. November 2013 - L 9 KR 254/13 B ER -, juris Rdnr. 4).
Beides ist zu verneinen. Die Beitragsbescheide sind schon nicht evident rechtswidrig und auch die Interessenlage gebietet es nicht objektiv zuguns-ten des Antragstellers die Vollstre¬ckung einstweilen auszusetzen.
Der AntragssteIler hat sich zur Begründung allein auf die Möglichkeit des Er-lasses von Beitragsschulden und Säumniszuschlägen berufen und ist der Ansicht, dass zu seinen Gunsten ein Erlass der Beitragsforderungen oder zumindest der angefallenen Säumniszuschläge vorzunehmen sei. Ein bereits gestellter Antrag auf Erlass einer Forderung - wie hier - kann zwar der Fort-setzung der Vollstreckung entgegenstehen, setzt aber gleichzeitig voraus, dass die Voraussetzungen für den begehrten Erlass mit hinreichender Wahr-scheinlichkeit vorliegen. Daran fehlt es hier jedoch.
Nach der zum 01.08.2013 eingeführten Regelung des § 256a Abs. 1 bis 2 SGB V können Beitragsschulden und Säumniszuschläge erlassen werden für den Personenkreis der Auffangversicherten nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V. Die Vorschrift trägt insoweit dem Umstand Rechnung, dass das Vorliegen der Voraussetzungen für die mit dem 01.04.2007 eingeführte Auffang-Ver-sicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V häufig nicht oder verspätet angezeigt wurde und daher im Falle einer nachträglichen Erfassung solcher Mitgliedschaften hohe Beitragsrückstände und Säumniszuschläge aufgelau-fen sind. Der Antragsteller gehört ausweislich des Versicherungsverlaufs als langjähriges freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung (jedenfalls bis zum Ende seiner Selbstständigkeit Anfang 2014) schon nicht zu dem Kreis derjenigen, für welche nach dem Willen des Gesetzgebers die Möglichkeit des Beitragserlasses nach § 256a Abs. 1 SGB V konzipiert wur-de. Für ihn käme daher lediglich die Möglichkeit des Erlasses noch nicht ge-zahlter Säumniszuschläge nach § 256a Abs. 3 SGB V in Betracht. Danach sind die Säumniszuschläge, welche aufgrund des bisherigen, aber mit Wir-kung vom 01.08.2013 durch Art. 2 des Gesetzes vom 15.7.2013 aufgehobe-nen Abs. 1 a des 24 SGB IV (i.d.R. 5 % der Forderung pro Monat) für die Zeit bis zum 31.07.2013 angefallen sind und den Säumniszuschlag des Abs. 1 des § 24 SGB IV (i.d.R. 1 % der Forderung pro Monat) überstiegen, entsprechend zu erlassen. Der Antragsgegner hat diese Regelung jedoch bereits berücksichtigt und die überhöht geforderten Säumniszuschläge für den maßgeblichen Zeitraum in Höhe von 1.557,66 Euro bereits erlassen und nachfolgend die Säumniszuschläge entsprechend berechnet (vgl. S. 2 des Kontoauszugs vom 14.08.2015).
Weitere Rechtsgrundlagen, welche den Antragsgegner zu dem begehrten Erlass verpflichten würden, sind nicht erfüllt. Die Vorschrift des § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV), wonach der Antragsgegner ein Erlass der zu er¬hebenden Einnahmen vor-nehmen kann, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbil-lig wäre, räumt dem Antragsgegner Ermessen ein. Nur im Falle einer Ermes-sensreduktion könnte der AntragssteIler daher einen Erlass beanspruchen. Hierfür bestehen je¬doch keine Anhaltspunkte. Der verwandte Begriff der Un-billigkeit wurde erst im Jahr 1994 eingeführt und ersetzte jenen der "beson-dere Härte". Während die besondere Härte, als Steigerung gegenüber der für die Stundung erforderlichen erheblichen Härte allein auf die individuelle Situation des Schuldners ausgerichtet war und nur bei Beitragsansprüchen die versicherungsrechtlichen Interessen der Versicherten gewahrt bleiben mussten, erfordert der unbestimmte Rechtsbegriff der Unbilligkeit stets eine Abwägung der schutzwürdigen Interessen der Versichertengemeinschaft mit denen des Anspruchsgegners. Es ist insoweit zwischen persönlicher und sachlicher Unbilligkeit zu unterscheiden. Persönliche Unbilligkeit stellt auf Unbilligkeitsgründe ab, die in der Person des Verpflichteten liegen, und ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn bei juristischen Personen der wirtschaft-liche Fortbestand und bei natürlichen Personen der notwendige Lebensun-terhalt durch die Realisierung des Anspruchs in Existenz bedrohender Weise gefährdet würde. In die Abwägung sind die Umstände des Einzelfalls einzu-beziehen, insbesondere die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners. Aus Sicht der Versichertengemeinschaft hängt es vor allem von der Art und Höhe des Anspruchs (Beitrags-, Erstattungs- oder Scha-densersatzforderung) sowie davon ab, ob eine Überzahlung, der Verlust oder ein sonstiger Vermögensschaden vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht worden ist. Auch der Grad des Verschuldens des Anspruchsgegners an sei-ner jeweiligen wirtschaftlichen Zwangslage wird bei der Abwägung zu be-rücksichtigen sein. Allein der Umstand, dass im Falle einer Insolvenz die Ge-samtvollstreckungsmasse nicht zur Befriedigung aller Forderungen ausreicht, gebietet noch nicht den vollständigen Erlass von Säumniszuschlägen. Eine sachliche Unbilligkeit der Geltendmachung offener Forderungen kann sich aber auch daraus ergeben, dass die Geltendmachung der Forderung zwar dem Wortlaut einer Vorschrift entspricht, aber nach dem Zweck des zugrun-de liegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist, weil es dessen Wer-tungen zuwiderläuft. Die Änderung einer Verwaltungspraxis vermag allein für sich genommen eine sachliche Unbilligkeit nicht zu begründen (von Boetti-cher in: Schlegel/Voelzke, jurisPK SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 76 SGB IV Rdnr. 30-35).
Der Antragsteller hat zur Begründung einer unbilligen Härte ausgeführt, dass sein bis Anfang 2014 geführter Gewerbetrieb nicht kostendeckend gewesen sei und er nunmehr im Falle der Vollstreckung durch verbliebene Schulden aus der Zeit der Selbstständigkeit und Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seiner Familie wirtschaftlich nicht mehr in der Lage sei, die zwangsweise gel-tend gemachten Beiträge zu erbringen. Diese Ausführungen führen jedoch nach Überzeugung des Gerichts nicht zu einer Ermessensreduktion auf Null. Der Antragsteller hat sich trotz der fehlenden Kostendeckung dazu ent-schlossen, seinen Gewerbebetrieb über einen längeren Zeitraum fortzufüh-ren und hatte aufgrund der erheblichen Zeitspanne hinreichend Gelegenheit, sich mit den aufgelaufenen Beitragsforderungen, welche der Antragsgegner auch regelmäßig angemahnt hat, auseinanderzusetzen und eine Lösung mit dem Antragsgegner zu finden (z.B. durch Stellung eines Antrags auf Raten-zahlung). Auch bestehen für den Antragsteller im Rahmen der Zwangsvoll-streckung hinreichend Schutzmechanismen, um sowohl seinen notwendigen Lebensunterhalt als auch seine gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen si-cherzustellen (vgl. Möglichkeit der Erhöhung der Pfändungsfreigrenzen ge-mäß § 202 SGG i.V.m. § 850 f Zivilprozessordnung (ZPO))
Angesichts des Fehlens eines Anordnungsanspruchs kann grundsätzlich da-hinstehen, ob ein Anordnungsgrund vorliegt. Das Gericht hält es jedoch unter Berücksichtigung des Vorstehenden zur Entstehung der Forderungen, insbesondere auch dem langen Zeitablauf seit Fälligkeit und der Schutzmöglichkeiten im Rahmen der Zwangsvollstreckung und der noch nicht ausgeschöpften Abmilderungen (z.B. Vereinbarung einer Ratenzahlung) für zumutbar, dass der Antragsteller eine Entscheidung in der Hauptsache abwartet."
Gegen den ihm am 28. Oktober und 2. November 2015 zugestellten Beschluss rich-tet sich die Beschwerde des Antragstellers, eingegangen beim Sozialgericht Itzehoe am 5. November 2015. Zur Begründung wiederholt er sein Vorbringen hinsichtlich der Anwendbarkeit von § 256a SGB V und § 76 SGB IV. Der Vollstreckungsauftrag enthalte einen überhöhten Betrag. Es sei unbillig, dass ihm von der Antragsgegnerin keinerlei Versicherungsschutz trotz aktueller Beitragszahlung bewilligt werde. Seine Familie habe zu wenig zum Leben und könne daher keine Raten zahlen. Die An-tragsgegnerin hat nicht weiter vorgetragen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Zu-treffend hat das Sozialgericht die beantragte einstweilige Anordnung abgelehnt. In-soweit nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die Begrün-dung in dem angefochtenen Beschluss (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG) und weist ergän-zend noch auf Folgendes hin:
Zutreffend ist das Sozialgericht bei seiner Prüfung von § 86b Abs. 2 SGG ausgegan-gen. Zwar hat der Antragsteller seinen Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollzie-hung der Beitragsbescheide gerichtet, dabei jedoch verkannt, dass der im Rahmen eines an die Behörde gerichteten Begehrens auf Rücknahme eines Verwaltungsak-tes gemäß § 44 SGB X gestellten Antrags auf sofortigen gerichtlichen Vollstre-ckungsschutz als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu verstehen ist (vgl. etwa OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. Januar 2004 – 16 B 260/03). Insoweit verkennt der Antragsteller nämlich, dass Rechtsmittel gegen einen bestands-/rechtskräftigen Verwaltungsakt keine aufschiebende Wirkung haben (vgl. Keller in Meyer-Ladewig u. a., SGG-Kommentar, § 86b Rz. 7; Bayerisches LSG, Be-schluss vom 25. Januar 2010 – L 11 AS 796/09 B ER). In solchen Fällen geht es nicht um eine Eilentscheidung in Anfechtungsverfahren, sondern in Vornahmesa-chen, gerichtet auf die Rücknahme eines nicht begünstigenden Verwaltungsaktes.
Die Voraussetzungen der einstweiligen Anordnung bestimmt § 86b Abs. 2 SGG. Da-nach kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Absatzes 1 der Vorschrift vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die – summarische – Prüfung der Erfolgsaussicht in der Hauptsache sowie der Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgs-aussicht der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstreb-ten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Zwar schließt die Bestandskraft eines Bescheides, wie § 44 SGB X verdeutlicht, nicht generell aus, dass dieser auf Rechtsfehler hin untersucht und dann ggf. zurückge-nommen werden kann. Für den einstweiligen Rechtsschutz im Rahmen eines sol-chen Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X hat das jedoch, worauf das Sozial-gericht unter Bezugnahme auf den Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 13. November 2013 zutreffend hinweist, zur Folge, dass im Anordnungsanspruch eine offensichtliche Rechtswidrigkeit des belastenden Bescheides mit der Folge zu fordern ist, dass der geltend gemachte materiell rechtliche Anspruch unzweifelhaft besteht. Solche offensichtliche Rechtswidrigkeit vermag der Senat, ebenso wie das So-zialgericht, hinsichtlich der Beitragsbescheide nicht zu erkennen.
Insoweit wendet sich der Antragsteller auch nicht gegen die Beitragspflicht oder die festgestellte Beitragshöhe, sondern vertritt vielmehr die Auffassung, dass die Voraus¬setzungen eines zwingenden Erlasses der Beitragsschulden vorgelegen haben. Dies hat das Sozialgericht jedoch zutreffend unter Hinweis auf die zugrunde gelegten Vorschriften des § 256a SGB V und des § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV verneint. Hinsichtlich § 256a SGB V verkennt der Antragsteller weiterhin, dass diese Vorschrift in ihren Absätzen 1 und 2 allein im Zusammenhang mit § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V steht und auf den Erlass bzw. die Ermäßigung von Beitragsschulden und Säumniszu-schlägen im Zusammenhang mit der daraus resultierenden Versicherungspflicht beschränkt ist (Felix in jurisPK SGB V, § 256a Rz. 4). Der Gesetzeswortlaut ist insoweit eindeutig und nicht auslegungsfähig. Allein Absatz 3 der Vorschrift bezieht, worauf die Antragsgegnerin zutreffend hinweist, freiwillige Mitglieder in die Regelung mit ein, insoweit jedoch nur hinsichtlich der noch nicht gezahlten Säumniszuschläge. Diese Vorschrift hat, was von dem Antragsteller auch nicht bestritten wird, die Antragsgegnerin berücksichtigt.
Auch hinsichtlich eines Erlasses nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV schließt sich der Se-nat den Ausführungen des Sozialgerichts an. Dass der Behörde bei der begehrten Leistung Ermessen eingeräumt ist, steht dem Vorliegen eines Anordnungsgrundes zwar grundsätzlich nicht entgegen. Allerdings bedarf dieser Umstand der Berücksich-tigung bei einer zusprechenden Entscheidung dergestalt, dass das Ermessen so weit reduziert ist, dass ein Anordnungsanspruch besteht (LSG Berlin-Bran¬denburg, Be-schluss vom 13. Oktober 2011 – L 14 AL 174/11 B). Das vermag der Senat in Über-einstimmung mit dem Sozialgericht nicht zu erkennen. Soweit der Antragsteller in der Beschwerdebegründung vorbringt, er sei aufgrund seiner finanziellen Situation nicht in der Lage, Beitragszahlungen zu erbringen, überzeugt dies schon deshalb nicht, weil er, worauf die Antragsgegnerin zutreffend hinweist, von seinen Einnahmen Kre-dite bedient, und zwar nicht nur Zinszahlungen erbringt, sondern auch Tilgungsleis-tungen. So bestätigt der von ihm vorgelegte Kontoauszug Tilgungszahlungen von 332,65 EUR auf die Quartalsraten in Höhe von 555,69 EUR. Einen Antrag auf Ra-tenzahlung hat der Antragsteller offensichtlich bisher bei der Antragsgegnerin nicht gestellt.
Der Hinweis darauf, er erhalte keinerlei Versicherungsschutz von der Antragsgegne-rin, ist unzutreffend. Insoweit sieht § 16 Abs. 3a Satz 2 SGB V, der nach summari-scher Prüfung von der Antragsgegnerin zutreffend angewendet wird, bestimmte Leis-tungen weiterhin vor. Diese Vorschrift bezieht sich auf sämtliche Mitglieder, also auch auf versicherungspflichtige Mitglieder nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V. Das dort bestimmte Ruhen endet nach dem zweiten Halbsatz der Vorschrift dann, wenn alle rückständigen und die auf die Zeit des Ruhens entfallenden Beitragsanteile gezahlt sind oder wenn Versicherte hilfebedürftig im Sinne des Zweiten oder Zwölften Bu-ches Sozialgesetzbuch werden. Diese Voraussetzungen liegen erkennbar nicht vor, ebenso wie die des Satzes 3, worauf bereits hingewiesen wurde, wonach eine wirk-samen Ratenzahlungsvereinbarung bewirkt, dass das Mitglied ab diesem Zeitpunkt wieder Anspruch auf Leistungen hat, solange die Raten vertragsgemäß entrichtet werden.
Fehlt es mithin bereits an einem Anordnungsanspruch, bedarf es keiner Prüfung des Anordnungsgrundes.
Vor diesem Hintergrund war, wie erkannt, zu entscheiden. Soweit der Antragsteller in der Beschwerdebegründung, erkennbar erstmalig, darauf hinweist, dass in der Voll-streckung die Antragsgegnerin einen überhöhten Betrag begehrt, stellt dies einen neuen Streitgegenstand dar, der gegebenenfalls in einem eigenständigen (Vollstre-ckungs-)Verfahren zu prüfen wäre.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG analog.
Diese Entscheidung ist endgültig (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Login
SHS
Saved