L 6 SB 196/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 17 SB 3762/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 196/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 5. Dezember 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt im Wege der Neufeststellung einen Grad der Behinderung (GdB) von 50.

Bei dem 1947 geborenen Kläger wurde mit letztem bindendem Bescheid vom 17.12.2009 in Ausführung eines am 03.12.2009 geschlossenen Vergleichs ein GdB von 40 seit 05.12.2006 festgestellt. Nach der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 15.12.2009 lagen dem folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:

- depressive Verstimmung, seelische Störung GdB 30 - degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen, Kalksalzminderung der Knochen (Osteoporose) GdB 20 - Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen GdB 20 - Nierensteinleiden GdB 20 - Bluthochdruck GdB 10 - Knorpelschaden am Kniegelenk GdB 10 - Schulter-Arm-Syndrom GdB 10

Am 10.12.2010 beantragte er die Erhöhung des GdB. Die Befundanfragen des Beklagten ergaben HNO-ärztlich regelrechte Befunde (Arztbrief Dr. W. vom 11.09.2010) mit der Verdachtsdiagnose einer Trigeminusneuralgie, neurologisch unauffällige Befunde bei geklagtem Gesichtsschmerz und hohen Blutdruck (Arztbrief Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. vom 23.11.2010), einen Mittelwert des Knochenmineralsalzgehalts des Achsenskeletts von 28,8+-4,0 mg/ccm, Z-Score -2,78, T-Score -5,50 und somit eine Osteoporose mit der Gefahr von Spontanfrakturen (Bericht über Osteodensometrie mittels quantitativer Computertomografie – QCT – vom 03.12.2010, Facharzt für Diagnostische Radiologie Dr. H.), Exazerbation der Rückenschmerzen im Lendenwirbelsäulen(LWS)bereich nach Gartenarbeiten bei vorbekannter Muskeltonusstörung in allen Abschnitten der Wirbelsäule (Befundbericht Chefarzt des Ambulanten OP-Zentrums und der Zentralen Notaufnahme des Klinikums Mittelbaden Dr. H. vom 08.02.2011).

Der Kläger bezieht seit dem 01.05.2011 Altersrente und hat ab diesem Zeitpunkt Altersrente für schwerbehinderte Menschen beantragt.

Bereits mit Bescheid vom 18.03.2011 hatte der Beklagte die Neufeststellung des GdB abgelehnt. Der versorgungsärztlichen Stellungnahme zufolge erkannte der Beklagte keine wesentliche Verschlechterung. Es bestünden jeweils zeitweilige u. a. nach stärkerer Belastung (Gartenarbeit offenbar möglich) auftretende Beschwerden, mal in der Halswirbelsäule (HWS) mal in der LWS, ohne weitergehende strukturelle Veränderungen und ohne sensomotorisches Dezfizit.

Auf das Widerspruchsvorbringen des Klägers hin erteilte Internist/Allgemeinmediziner Dr. Sch. einen Befundbericht vom 22.06.2011, demzufolge beim Kläger hypertone Blutdruckwerte in wechselndem Ausmaß seit vielen Jahren bekannt seien, auch abhängig von der aktuellen Belastung. Es erfolge eine medikamentöse Therapie. Am 23.02.2011 sei ein Wert von 155/95 mmHg gemessen worden. Folgeschäden seien nicht bekannt. Des Weiteren bestünden Beschwerden seitens der Wirbelsäule, insbesondere HWS und LWS, anamnestisch bei lumbalem Bandscheiben(BS)vorfall, sowie eine depressive Störung mit wechselndem Verlauf ohne medikamentöse Therapie. Eine Psychotherapie sei über viele Jahre erfolgt. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.08.2011 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 07.09.2011 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben, mit dem Ziel der Feststellung eines GdB von 50. Das SG hat zunächst schriftliche Auskünfte der Behandler eingeholt. Der Hausarzt Dr. Sch. hat Blutdruckwerte von 155/95 mm/Hg am 23.02.2011 und 220/120 mm/Hg am 12.04.2011, Therapieempfehlung Atacand 16 mg ½ Tablette und Nifdedin Tropfen bei Bedarf berichtet (Auskunft vom 19.04.2012). Seit September 2010 bestehe eine Osteoporose. Wegen der weiteren Gesundheitsstörungen sei der Kläger in fachärztlicher Behandlung. An der LWS wurde am 24.08.2011 ein T-Score von -2,3 gemessen, an der Hüfte von -2,7 (Messinformation Acura Kliniken Baden-Baden GmbH). Nach der Auskunft und den Arztbriefen des Dr. S. kränke sich der Kläger weiterhin mit der Altersteilzeit, die er mit Vehemenz angestrebt habe und die ihn nun belaste. Er habe weniger Geld und fühle sich nicht wohl – alles Dinge, die er vorher habe absehen können. Er suche erfolglos eine Nebenerwerbsstelle. Die versuchsweise eingenommene Medikation mit Nortrilen habe er wieder abgesetzt, nun Behandlung mit Opipramol. Der psychische Befund zeige sensibel-sensitiv vermehrte Selbstbeobachtung, ein etwas dysthym-depressiv unterlegter zäher Affekt, inhaltlich haftend, dabei auch wieder süßlich, nicht produktiv oder suizidal. In seiner Auskunft an das SG hat Dr. S. angegeben, den Kläger 1992 wegen Tinnitus und Cephalgien, 1996, 1998, 1999, und seit 2008 regelmäßig zu behandeln. Es bestehe eine mittelgradige Anpassungsstörung. Dipl.-Psych. M. hat von Psychotherapien 2003 bis 2005, 2008/2009, Notfallbehandlungen im Juni 2010 und Januar 2011 sowie laufender Psychotherapie seit Februar 2011 berichtet (Auskunft an das SG vom 26.11.2011 mit handschriftlichen Ergänzungen vom 20.07.2012). Es bestehe eine mittelgradige depressive Episode schwerer Ausprägung mit Suizidgefährdung, sich ständig verschlimmernde Krebsangst wegen einer festgestellten Prostatahyperplasie. Seine Optik sei dem Befinden diametral entgegengesetzt wegen sozialer Erwünschtheit und Anpassung. Hautarzt Dr. K. hat von Naevi am Integument, nicht suspekt für Dysplasie oder Malignität sowie seborrhoischen Keratosen berichtet (Arztbrief vom 29.03.2011). Orthopäde Dr. G. hat LWS-Syndrom, HWS-Syndrom, rezidivierende Beschwerden berichtet, neuerdings auch am linken Knie und rechten Ellenbogen sowie einen seit Jahren bestehenden Tinnitus geschildert. An HWS/LWS bestünden paravertebrale Verspannungen, keine neurologischen Defizite, Ellenbogen- und Kniegelenksbeweglichkeit seien frei, kein Meniskuszeichen, kein Anhalt für Bandinsuffizienz, keine nennenswerte Kapselschwellung (Arztbriefe vom 14.02.2011, 12.10.2011). HNO-Arzt Dr. W. hat die Diagnosen Tinnitus, Schwerhörigkeit und Pollenallergie gestellt. Der Tinnitus habe sich subjektiv seit Dezember 2009 verstärkt (Auskunft vom 24.1.2011). Das vorgelegte Tonaudiogramm weist eine Normalhörigkeit aus. Ein Magnetresonanztomogramm (MRT) des Schädels ist - abgesehen von Zeichen einer chronischen Sinusitis - ohne pathologischen Befund gewesen (Arztbrief Dr. K. vom 16.11.2011).

Die aktenkundigen Befunde aus dem Zeitraum vor 2010 habe einen paramedialen BS-Vorfall links mit Kompression der Nervenwurzel S 1 ergeben (Arztbrief Arzt für Radiologie Dr. G. 27.02.2006), ein Impingement der Supraspinatussehne links (Arzt für Radiologie Dr. Z. Kernspintomografie vom 16.05.2008), eine ausgeprägte AC-Gelenksarthrose mit Bursitis subacromialis (Arztbrief Dr. H., Klinikum Mittelbaden 26.06.2008), multisegmentale BS-Protrusionen mit leicht- bis mäßiggradigen neuroforaminären Einengungen, hypertrophe Spondylarthrose, partiell mit Zeichen eines leichten Reizzustandes (Arztbrief Dr. K. über MRT der LWS vom 03.12.2009), einen Knochenmineralsalzgehalt von 51,6 mg/ccm bei einem T-Score von -4,63 (Arztbrief Dr. G. vom 17.02.2006), ein radikuläres Schmerzsyndrom der Wurzel L 5 links bei bekanntem NPP (Arztbrief Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. 23.01.2008), ein psychovegetatives Syndrom mit zunehmender Somatisierung, Spannungskopfschmerzen bei HWS-Syndrom und arterieller Hypertonie (Arztbrief Facharzt für Neurologie Dr. D. 29.10.2002, 21.02.2003), ein radikuläres S 1-Syndrom links mit neurologischen Ausfällen. Der Kläger werde am Arbeitsplatz gemobbt, die Stimmung sei gedrückt, teilweise frustriert und resignativ, wegen Tinnitus und psychischer Situation sei eine Reha angeraten (Arztbriefe des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. vom 08.03.2006, 27.10.2006, 23.04.2007). Die Behandlung bei Dr. S. hat 2009 einen Blutdruck von 200/110 mmHg ergeben, im psychischen Befund vermehrte Selbstbeobachtung, ängstlich, angespannt, etwas freudlos, depressiv unterlegter Affekt, Diagnose: depressives Syndrom, Somatisierungsstörung, Hypertonie, eine Medikation mit Busp 5 mg und Mirtazapin 30 mg ½ Tablette. Der Reha-Entlassungsbericht der Th.-klinik Bad Krozingen vom 23.07.2007 hat die Diagnosen chronisch dysfunktionelles Cervicalsyndrom, BS-Vorfall lumbal ohne radikuläre Ausfälle, psychophysische Erschöpfung, Verdacht auf (V. a.) Entwicklung eines sekundären Fibromyalgiesyndroms, rezidivierende depressive Störung gestellt. Dr. S., psychologischer Psychotherapeut, hat im psychologischen Bericht vom 26.07.2007 die Angaben des Klägers referiert. Er habe Schlafstörungen, nächtliche Schweißausbrüche, Tinnitus, Bluthochdruck, Erbrechen am Morgen vor Arbeitsbeginn und gelegentliche Suizidgedanken angegeben. Die 2004 begonnene Psychotherapie sei hilfreich gewesen, habe aber das Grundproblem der leichten Erschöpfbarkeit und depressiven Grundstimmung nicht lösen können. Dr. S. hat eine rezidivierende depressive Störung diagnostiziert.

Im vorangegangenen Klageverfahren S 10 SB 5389/07 erstattete Dr. J. ein orthopädisches Gutachten vom 08.12.2008. Er fand eine leichte Fehlstatik der Wirbelsäule, eine vermehrte BWS-Kyphose, teilfixiert, altersentsprechende Beweglichkeit in allen drei Abschnitten bei regelrechter Entfaltung der Dornfortsätze. Die Funktionseinschränkung der Wirbelsäule sei leicht, die Nervenwurzelreizerscheinungen hätten sich zurückgebildet, nur der Achillessehnenreflex sei links gegenüber rechts abgeschwächt. Für das Wirbelsäulenleiden betrage der GdB 30 in Abweichung von der versorgungsärztlichen Stellungnahme wegen einer Erhöhung aufgrund der messtechnisch nachgewiesenen Osteoporose. An den oberen Extremitäten fand der Sachverständige eine aktivierte Schultereckgelenksarthrose links mit leichten bis mäßig positiven Impingementzeichen ohne relevante Bewegungseinschränkung, am rechten Ellenbogengelenk einen wiederkehrenden leichten Reizzustand entsprechend einem Tennisarm bei seitengleich freier Beweglichkeit. An den unteren Extremitäten fand er die Hüftgelenksbeweglichkeit seitengleich ausreichend frei bei angegebenen Leistendruck- und Trochanterklopfschmerzen sowie röntgenologisch nachgewiesenen degenerativen Hüftgelenksveränderungen. An den Kniegelenken fand er bei freier Beweglichkeit keinen Reizzustand. Er vergab für Knie- und Schultergelenke jeweils einen GdB von 10. Dr. N. erstattete ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten vom 10.03.2009. Er brachte auf diesem Fachgebiet einen GdB von 30 bestehend aus drei GdB von je 20 für Dysthymie auf dem Boden einer anankastischen und dependenten Persönlichkeit, eine undifferenzierte Somatisierungsstörung und eine rezidivierende depressive Störung, derzeit remittiert, in Ansatz. Unter Einbeziehung der orthopädischen Gesundheitsstörungen, sei der Gesamt-GdB mit 40 zu bewerten. Die seelische Störung fand er zum damaligen Gutachtenzeitpunkt nicht so erheblich, dass sie zu einer wesentlichen Einschränkung der Gestaltungsfähigkeit führe, zum einen aufgrund des psychopathologischen Befundes mit nur themenabhängiger depressiver Stimmungsauslenkung, zum anderen wegen der erhaltenen Tagesstruktur mit Eigeninitiative, Mobilität und hinreichendem psychosozialen Funktionsniveau. Der Schweregrad einer depressiven Episode sei derzeit nicht erreicht. Das Klageverfahren wurde mit einem Vergleich dergestalt beeendet, dass der Beklagte beim Kläger einen GdB von 40 ab 04.12.2006 feststellte.

Das SG hat im vorliegenden Verfahren den Arzt für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Sch. mit der Erstattung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 14.09.2012 hat er zunächst die Beschwerdeschilderung des Klägers wiedergegeben. Dieser habe angegeben, seit fünf bis sechs Jahren gehe es ihm im Wesentlichen so wie heute. Früher habe er Lebensüberdrussgedanken gehabt. Er habe ständig Tinnitus auf beiden Ohren, der seine Psyche belaste. Er leide an Schlafstörungen, knirsche nachts mit den Zähnen. In Gesellschaft habe er Angst umzukippen. An Medikamenten nehme er nur ein Antihypertensivum und Nahrungsergänzungsmittel. Er sei in nervenärztlicher und psychotherapeutischer Behandlung. Er stehe um 7:30/8:00 Uhr auf. Tagsüber beschäftige er sich im Gemüsegarten, lese, gehe in die Natur und kümmere sich um seine 90jährige Mutter. Er habe gute soziale Kontakte, einen sehr guten Freund. Abends erzähle er mit der Ehefrau, man nehme soziale Kontakte wahr, es komme jemand vorbei. Selten schaue man fern. Um 22/22.30 Uhr gehe er zu Bett, werde um 2.00 Uhr wach und lege sich um 4/4.30 Uhr noch einmal hin. Manchmal sei er tagsüber müde. Seine Laune sei schlecht, er freue sich aber über ein gutes Essen oder wenn bei der Familie alles klar sei. Mittags sei die Stimmung am besten. Es gebe auch stimmungsmäßig gute Tage, wenn gutes Wetter sei. Auf Nachfrage gebe er Gedächtnisstörungen an.

Bei der körperlichen Untersuchung gebe er einen Klopfschmerz über HWS und LWS an. Hinsichtlich der Motorik sei das Gangbild etwas linksschonend bei regelrechtem Abrollen der Fußsohlen ohne Anhalt auf eine neurogene Gangstörung. In der Bewertung des psychischen Befundes lasse sich keine Gedächtnisstörung nachweisen, der Antrieb sei nur leicht verhalten ohne signifikante Antriebsminderung oder psychomotorische Hemmung. Die Grundstimmung sei subdepressiv, eine vitale depressive Stimmungslage liege nicht vor. Die Resonanzfähigkeit sei nicht eingeschränkt. Der Kläger habe authentisch lächeln und lachen können. Das formale Denken sei folgerichtig und nicht verlangsamt gewesen. Es bestehe eine vegetative Labilität. Es ergäben sich Hinweise auf asthenische bzw. sensible, hypochondrische und zwanghafte Persönlichkeitszüge ohne ausreichenden Hinweis auf eine Persönlichkeitsstörung. Er sei sozial integriert. Das Freiburger Persönlichkeitsinventar revidierte Form (FPI-R) korreliere mit diesen Befunden. Die neurologischen Befunde seinen regelrecht.

Neurologisch-psychiatrisch bestünden beim Kläger depressive Verstimmungen im Sinne einer Dysthymia mit Somatisierungstendenzen und akzentuierten Persönlichkeitszügen. An sonstigen Diagnosen lägen ein Wirbelsäulensyndrom ohne motorische Ausfälle, Osteoporose; eine angegebene Hörminderung bds. mit Ohrgeräuschen; arterielle Hypertonie ohne kardiopulmonale Dekompensationszeichen; Z. n. Nierensteinleiden 2002 ohne fortbestehende Beschwerden vor. Das seelische Leiden sei in der Längsschnittbetrachtung als leicht einzustufen und mit einem GdB von 20 zu bewerten. Es erfolge keine Pharmakotherapie. Anhaltspunkte für eine Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit entsprechend einer durchgehenden mittelgradigen depressiven Symptomatik fänden sich nicht. Er habe gute soziale Kontakte und nehme Interessen wahr. Der Bluthochdruck und das 2002 erlittene Nierensteinleiden seien nicht anerkennungswürdig. Das Wirbelsäulenleiden sei mit einem GdB von 20 zu bewerten, die Schwerhörigkeit mit einem GdB von 20, Knorpelschäden am Kniegelenk und das Schulter-Arm-Syndrom jeweils mit einem GdB von 10. Der Gesamt-GdB liege bei 30. Die Höherbewertungen durch Dr. S. und Dipl.-Psych. M. seien nicht nachzuvollziehen, denn sie entsprächen einer tiefgehenden depressiven Symptomatik, die auch von den Behandlern nicht beschrieben werde.

Das SG hat auf Antrag des Klägers ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten bei dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. N. vom 08.02.2013 eingeholt. Dort habe der Kläger angegeben, Dr. Sch. habe ihn falsch verstanden. Er habe durchaus Suizidgedanken und habe auch schon mehrfach Medikamente gegen Depression genommen. Er fühle sich durch die Pflege seiner Mutter belastet, seit seiner Berentung gehe es ihm nicht besser. Er fühle sich stimmungsmäßig sehr schlecht, habe Existenzängste, Platzangst, müsse sich ständig überwinden, etwas zu tun, sei lustlos. Er könne sich nicht freuen. Es falle ihm schwer, ein Buch oder die Zeitung zu lesen, er sei vergesslicher geworden. Seit drei bis vier Jahren sei seine Ehe durch seine Lustlosigkeit belastet. Er habe sich zurückgezogen. Er schäme sich seiner finanziellen Probleme. Der Sachverständige fand den Kläger eingeengt und unflexibel im Kontaktverhalten. Kognitiv bestünden leichte Störungen. Der Gedankengang sei etwas verlangsamt, es komme zu Antwortlatenzen. Phobische Ängste klängen an. Es bestehe eine affektive Stimmungsauslenkung, er sei nicht aufheiterbar, nicht ablenkbar. Die Mitschwingungsfähigkeit sei teilweise eingeengt. Die Grundstimmung sei deutlich verbittert, resignativ, latent aggressiv mit deutlichen Selbstwertstörungen. Suizidgedanken klängen an. Bei der körperlichen Untersuchung liege erhöhte psychosomatische Anspannung vor. Beim N. tibialis bestehe eine leichtgradige Latenzverzögerung. Das Beck´sche Selbstbeurteilungsinventar spreche mit einem Score von 49 für ein stärker ausgeprägtes depressives Erleben. Die Symptomcheckliste nach Derogatis zeige eine sehr starke psychische Belastung. Der Deutsche Schmerzfragebogen zeige hohe Werte. Der Kläger äußere wiederholt Suizidgedanken. Der Kläger nehme das Antidepressivum Nortrilen und bei Bedarf Busp ein. Nach seinen Angaben sei der Medikation aber durch seine Leberwerterhöhung Grenzen gesetzt. Seit der letzten Untersuchung durch den Sachverständigen 2009 seien weitere biografische Belastungen durch den Ehekonflikt und die Pflegebedürftigkeit der Mutter eingetreten.

Der Sachverständige hat die Diagnosen einer leichtgradigen depressiven Episode bei rezidivirender depressiver Störung, einer Dysthymia auf dem Boden einer anankastisch dependenten und ängstlich vermeidenden Persönlichkeit, einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren sowie eines Tinnitus gestellt. Die seelische Gesundheitsstörung sei erheblich chronifiziert, daher die vom Vorgutachten Dr. Sch. abweichende diagnostische Einschätzung. Aktuell bestehe eine leichtgradige depressive Episode im Sinne einer double depression wegen zusätzlichen Vorliegens einer Dysthymia, die vor dem Hintergrund der Persönlichkeitsakzentuierung zu mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten führe, mit Auswirkungen auf die allerdings mittlerweile aufgegebene berufliche Tätigkeit und die Ehe. Komorbid habe sich eine chronische Schmerzstörung gebildet. Der Kläger klage über mulitlokäre Beschwerden mit Betonung der linken Körperseite, beschreibe diese auffällig affektiv und schildere eine erhebliche Beeinträchtigung. Komorbid sei auch der mittlerweile chronifizierte Tinnitus. Die vormals durch den Arbeitsplatz reaktiv ausgelöste depressive Verstimmung habe sich nicht gebessert, vielmehr sei im Längsschnittverlauf eine Verschlimmerung eingetreten. Auch hinsichtlich der orthopädischen Gesundheitsstörungen sei von einer Verschlimmerung gegenüber der Begutachtung durch Dr. J. 2009 auszugehen. Vor einer erneuten Begutachtung solle das Ergebnis der stationären Reha abgewartet werden.

Der GdB für die psychischen Erkrankungen betrage 30. Unter Annahme eines orthopädischen GdB von 30 sowie 20 für den Tinnitus und eines GdB von 10 für die Hypertonie sei der Gesamt-GdB auf 50 zu schätzen. Gegebenenfalls sei nach der bevorstehenden Reha eine neue orthopädische Begutachtung durchzuführen.

Der Beklagte hat Einwände gegen die fachfremde Annahme eines orthopädischen GdB von 30 und gegen die Bildung des Gesamt-GdB von 50 erhoben.

Das SG hat - nach anfänglicher Weigerung des Klägers - den Reha-Entlassungsbericht des Gesundheitszentrums O. vom 30.04.2013 erhalten. Darin ist die aktuelle Medikation mit Atacand und als Bedarfsmedikation Lorazepam angegeben worden. Diagnosen sind gewesen: arterielle Hypertonie, rezidivierendes HWS-Syndrom, rezidivierendes LWS-Syndrom, Osteoporose, multisegmentale BS-Protrusion mit leicht- bis mittelgradiger Neuroforameneinengung, hypertrophe Spondylarthrose im Bereich der LWS, Tinnitus bds., psychovegetative Belastungsdyspnoe mit depressiver Komponente, Heuschnupfen. Die Psyche sei geordnet. Durch tägliche krankengymnastische Übungen und physikalische Anwendungen sei eine deutliche Steigerung der Mobilität und Ausdauerbelastung erzielt worden. Zuletzt habe er große Spaziergänge einschließlich Bergwandern durchgeführt ohne dass es dabei zu starken Beeinträchtigungen gekommen sei. Er sei gegenwärtig den Alltagsbelastungen wieder autonom gewachsen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 05.12.2013 abgewiesen. Ein höherer GdB als 40 ergebe sich nicht. Dies folge aus den Auskünften des behandelnden Orthopäden Dr. W., dem Gutachten von Dr. Sch. und hinsichtlich der psychiatrischen Funktionsbeeinträchtigungen aus dem Gutachten von Dr. N ... Ein höherer GdB für die seelische Störung sei durch die Auskünfte der behandelnden Psychiater und Psychotherapeuten nicht belegt, weil die von ihnen mitgeteilten Befunde dies nicht stützten. Eine stärker behindernde Störung liege vor, die wegen der erhaltenen Tagesstruktur jedoch nicht zu einem höheren GdB als 30 führe, zumal eine stationäre Behandlung nicht erforderlich gewesen sei und bei der Begutachtung durch Dr. Sch. keine Psychopharmakotherapie durchgeführt worden sei. Orthopädisch sei die Wirbelsäule mit einem GdB von 20 zu bewerten, entsprechend mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Abschnitt. während der Reha habe der Kläger Mobilität und Ausdauerbelastung deutlich steigern können, so dass er selbständig längere Spaziergänge habe unternehmen können, ohne dass es zu starken Beeinträchtigungen durch Rückenschmerzen gekommen sei. Dauerhafte Bewegungseinschränkungen seien auch von Dr. J. bei der Begutachtung 2009 nicht berichtet worden. Dieser habe den GdB von 30 auf die Osteoporose gestützt, was angesichts der nur messtechnisch nachgewiesenen Minderung des Knochenmineralgehalts ohne Funktionsbeeinträchtigung nicht der Versorgungsmedizinverordnung entspreche. Die Schwerhörigkeit mit Tinnitus bedinge einen GdB von 20, da nach dem vorgelegten Tonaudiogramm Normalhörigkeit vorliege und für den Tinnitus die psychovegetativen Begleiterscheinungen (leichte Einschränkung des Konzentrationsvermögens und des Schlafs) keinen höheren GdB bedingten. Für den Bluthochdruck ist ein GdB von 10 mangels Blutdruckfolgekrankheiten angemessen. Die Knorpelschäden am Kniegelenk seien nach der sachverständigen Zeugenaussage von Dr. G. in Übereinstimmung mit der im Reha-Bericht O. geschilderten freien Beweglichkeit der großen Gelenke mit einem GdB von 10 zu bewerten. Auch das Schulter-Arm-Syndrom könne nicht höher bewertet werden. Mittelgradige Bewegungseinschränkungen würden von den Behandlern nicht berichtet. Aus dem Reha-Bericht ergebe sich die freie Beweglichkeit der großen Gelenke. Das abgelaufenen Nierensteinleiden sei mit keinem GdB zu belegen. Aus den GdB-Werten sei ein Gesamt-GdB von 40 zu bilden. Die Überschneidung zwischen Tinnitus und Somatisierung bzw. Depression sei zu berücksichtigen.

Gegen das ihm über seinen Bevollmächtigten am 23.12.2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15.01.2014 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Er könne nicht nachvollziehen, dass das SG der GdB-Einschätzung von Dr. N. nicht gefolgt sei und auch nicht, wie von diesem angeregt, ein neues orthopädisches Gutachten eingeholt habe. Dies sei nachzuholen.

Er beantragt (sachgerecht gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 05.12.2013 und, den Bescheid vom 18.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.08.2011 aufzuheben sowie den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 17.12.2009 zu verpflichten, bei ihm einen Grad der Behinderung von 50 ab dem 10.12.2010, hilfsweise ab dem 01.05.2011, festzustellen, hilfsweise, ein fachorthopädisches Gutachten gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einzuholen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angegriffenen Entscheidungen für richtig und weist insbesondere auf die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 26.04.2013 hin.

Die Berichterstatterin hat den Rechtsstreit mit den Beteiligten am 22.04.2015 erörtert und darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG zurückzuweisen. Der Kläger hat im Erörterungstermin einen Arztbrief des Kardiologen Dr. M. vom 10.09.2013 vorgelegt über eine Blutdruckentgleisung, ansonsten im EKG kein pathologischer Befund, Ejektionsfraktion (EF) 77 %, einen Arztbrief der Fachärztin für Radiologie Z. vom 115,12.2010 über eine Kernspintomografie der HWS bei threrapieresistentem Cervikalsyndrom und später einen Arztbrief des Dr. N., Ortenau-Klinikum, vom 24.04.2015, über seine Vorstellung in der Schmerzambulanz vorgelegt. Der Kläger berichte, er habe "ewig und drei Tage" Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule. Eine Therapieoption sei die Einnahme von Antidepressiva.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Prozessakten beider Instanzen, die SG-Akte zu S 10 SB 5389/07 und den Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet über die Berufung nach § 153 Abs. 4 SGG ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss, weil die Berufsrichter des Senats die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halten. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu dieser Verfahrensweise gegeben worden. Zudem ist der Kläger darauf hingewiesen worden, dass die Berufung wenig aussichtsreich erscheint (vgl. BSG SozR 3-1500 § 153 Nr. 9).

Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere statthafte Berufung (§§ 143, 144 Abs. 1 SGG) ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40 in Abänderung des Bescheides vom 17.12.2009.

Rechtsgrundlage für die seitens des Klägers begehrte Neufeststellung des GdB ist § 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert (vgl. Versorgungsmedizinische Grundsätze, Teil A, Nr. 7 a, hierzu s. u.). Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG, SozR. 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m. w. N.). Dagegen ergibt sich aus der Änderung oder dem Hinzutreten weiterer Behinderungen allein keine wesentliche Änderung des ursprünglichen Bescheids. Denn weder die einzelnen Behinderungen noch die hierfür angesetzten Teil-GdB-Sätze gehören zum sogenannten Verfügungssatz des Bescheides und erwachsen daher nicht in Bindungswirkung (BSG, Urteil vom 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 -, BSGE 81, 50). Das Vorliegen einer oder mehrerer neuer Behinderungen begründet einen Anspruch auf Abänderung des ursprünglichen Bescheids nur dann, wenn sich hieraus eine Erhöhung des Gesamt-GdB ergibt. Ob eine wesentliche Änderung in diesem Sinne eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustandes mit dem bindend festgestellten - früheren - Behinderungszustand ermittelt werden. Maßgeblich ist insoweit der letzte Feststellungsbescheid, hier der Bescheid vom 17.12.2009, mit dem der Beklagte den GdB mit 40 festgestellt hatte.

Der Anspruch des Klägers auf Feststellung eines GdB richtet sich nach den am 01.07.2001 in Kraft getretenen Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) vom 19.06.2001 (BGBl. I S. 1046), zuletzt geändert durch Gesetz vom 07.01.2015 (BGBl. II S. 15). Nach § 69 Abs. 1 S. 1 SGB IX stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Menschen sind nach § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gem. § 69 Abs. 1 S. 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG (bis 30.06.2011 § 30 Abs. 17 BVG) erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Von dieser Ermächtigung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die am 01.01.2009 in Kraft getretene Versorgungsmedizin-Verordnung - Vers.MedV - vom 10.12.2008 (BGBl. I S. 2412) erlassen, um u.a. die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG zu regeln (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellten und fortentwickelten, Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31.12.2008 heranzuziehenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) getreten. In den VG wird ebenso wie in den AHP der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R -, SozR. 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.

Die VG enthalten sowohl Bestimmungen für die Bemessung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) als auch für die des GdB, die jedoch nach gleichen Grundsätzen bemessen werden. Beide Begriffe unterscheiden sich lediglich dadurch, dass der GdS nur auf die Schädigungsfolgen (also kausal) und der GdB auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von ihrer Ursache (also final) bezogen ist. Beide Begriffe haben die Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben zum Inhalt. GdS und GdB sind ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens (VG, Teil A Nr. 2a). Dabei sollen im Allgemeinen die folgenden Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden: Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz- Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut einschließlich blutbildendes Gewebe und Immunsystem; innere Sekretion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf (VG, Teil A Nr. 2e).

In Anwendung dieser durch den Gesetz- bzw. Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze steht zur Überzeugung des Senats fest, dass eine wesentliche Veränderung seit Erlass des letzten bindenden Bescheides vom 17.12.2009 nicht eingetreten ist, die Gesundheitsstörungen des Klägers weiterhin nicht mit Funktionsbeeinträchtigungen einhergehen, die einen höheren Gesamt-GdB als 40 bedingen. Für eine seelische Störung nach Nr. 3.7 VG Teil B ist jedenfalls ein höherer GdB als 30, entsprechend einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit im unteren Bereich, nicht zu begründen. Der Senat lässt dahingestellt, ob die von Dr. N. konstatierte Verschlechterung des psychischen Zustandes bei seiner Untersuchung im Januar 2013 gegenüber der Begutachtung durch Dr. Sch. im September 2012 tatsächlich auf einer Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse binnen weniger Monate beruht. Dagegen spricht, dass der Kläger angegeben hat, von Dr. Sch. falsch verstanden worden zu sein. Auch hat der Kläger eine medikamentöse Therapie mit Antidepressiva zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. Sch. nicht durchgeführt, bei Begutachtung durch Dr. N. eine solche angegeben, diese aber offensichtlich nur wenige Monate durchgeführt, denn während der Reha in O. hat er neben dem Blutdruckmittel Atacand nur eine Bedarfsmedikation mit Lorazepam angegeben. Eine durchgehende Psychopharmakotherapie hat er also nicht durchgeführt. Auch unter Zugrundelegung der von Dr. N. erhobenen Befunde ist in Übereinstimmung mit dessen Bewertung für eine depressive Episode, wenn auch leichteren Ausprägungsgrades, der Dysthymia bei Persönlichkeitsakzentuierung und der chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren ein höherer GdB nicht zu begründen. Der Tagesablauf zeigt nämlich, worauf der Sachverständige Dr. N. zutreffend hingewiesen hat, eine hinreichende Fähigkeit zur Strukturierung. Der Kläger steht regelmäßig auf, versorgt seine im Hause lebende hochbetagte Mutter und unternimmt täglich Spaziergänge, isst mit seiner Ehefrau zu Mittag und hält sich im Sommer gern in seinem Garten auf. Bei ihm ist auch kein für eine Depression charakteristisches Morgentief vorhanden. Eine tiefgreifende Antriebsminderung ist nicht erkennbar, da der Kläger angibt, gerne eine schöne Reise buchen zu wollen bzw. den Koffer zu packen und nach Lourdes abzuhauen, hieran aber durch Geldmangel, nämlich seine niedrige Rente bei zusätzlich finanzieller Unterstützung seines studierenden Sohnes, gehindert zu sein.

Die Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule sind allenfalls mit einem GdB von 20 zu bewerten, entsprechend Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Nr. 18.9 VG, Teil B). Der Kläger leidet unter degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, multisegmentalen BS-Protrusionen mit leicht- bis mäßiggradiger Neuroforameneinengung, hypertropher Spondylarthrose im Bereich der LWS, rezidivierenden HWS- und LWS-Syndromen und Osteoporose. Der behandelnde Orthopäde Dr. G. und im Reha-Entlassungsbericht des Gesundheitszentrums O. hat bzw. sind keine Bewegungseinschränkungen dokumentiert. Gegen das Vorliegen häufig rezidivierender und über Tage anhaltende Wirbelsäulensyndrome spricht die gegenüber dem Sachverständigen Dr. Sch. im Klageverfahren angegebene tägliche Beschäftigung im Gemüsegarten und die in der Reha im April 2013 vorgenommenen großen Spaziergänge einschließlich Bergwandern.

Die Osteoporose begründet nach Nr. 18.1 VG, Teil B keinen GdB, da hierfür allein Funktionsbeeinträchtigungen und Schmerzen entscheidend sind, während eine ausschließlich messtechnisch nachgewiesenen Minderung des Kalksalzgehalts nicht die Annahme eines GdB rechtfertigt. Beim Kläger liegt von der Osteoporose ausgehend keine Funktionsbeeinträchtigung vor. Angesichts dessen ist auch keine Erhöhung des GdB für die Wirbelsäule vorzunehmen.

Für die Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen ist ein höherer GdB als 20 nicht anzunehmen (Nrn. 5.2 und 5.3 VG, Teil B). Eine Schwerhörigkeit besteht nicht, vielmehr ergibt die Auswertung des Tonaudiogramms vom 13.10.2011 anhand der 4-Frequenz-Tabelle nach Röser (1973) einen Hörverlust von 10 % für das rechte Ohr und von 16 % für das linke Ohr, was nach den VG Normalhörigkeit mit einem GdB von 0 - 10 bedeutet. Dies hat das SG zutreffend ausgeführt. Für den Tinnitus setzt ein GdB von 20 bereits erhebliche psychovegetative Begleiterscheinungen in Form von leichter Einschränkung der Konzentration und des Schlafes voraus. Die Ohrgeräusche bestehen nach Angaben des Klägers gegenüber Dr. N. seit 15 Jahren in Form eines ständigen beidseitigen hohen Pfeiftons, den er vor allem in Ruhe wahrnimmt. Eine Verschlechterung hat er nicht angegeben. Auch hat er die geklagten Beschwerden Schlafstörungen und Konzentrationsstörungen nicht auf den Tinnitus zurückgeführt, sondern vielmehr Angstgefühle in Gesellschaft als Folgen des Tinnitus genannt.

Die arterielle Hypertonie ist nicht höher als mit einem GdB von 10 zu bewerten. Nach Nr. 9.3 VG Teil B liegt ein Bluthochdruck in leichter Form vor, wenn keine oder geringe Leistungsbeeinträchtigungen (höchstens leichte Augenhintergrundveränderungen) bestehen. Ein GdB von 20 erfordert neben einem diastolischen Blutdruck von mehrfach über 100 mmHg trotz Behandlung eine Organbeteiligung leichten bis mittleren Grades (Augenhintergrundveränderungen – Fundus hypertonicus I-II - und/oder Linkshypertrophie des Herzens und/oder Proteinurie). Eine solche Organbeteiligung liegt nicht vor, was zuletzt der Sachverständige Dr. Sch. aufgrund des Befundberichts des Dr. Sch. zur Überzeugung des Senats zutreffend referiert hat.

Die Knorpelschäden am Kniegelenk und das Schulter-Arm-Syndrom können nicht mit einem höheren GdB als 10 bewertet werden, weil die hierzu erforderliche Bewegungseinschränkung nicht vorliegt, Aus dem Reha-Entlassungsbericht des Gesundheitszentrums O. ergibt sich die freie Beweglichkeit der großen Gelenke.

Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der Versorgungsmedizinverordnung in freier richterlicher Beweiswürdigung aufgrund richterlicher Erfahrung zu bilden. Eine Bindung an die Einschätzung von Sachverständigen besteht nicht. Hier kann in Erhöhung des GdB von 30 für die seelische Störung unter Beachtung der starken Überschneidungen zwischen der seelischen Störung mit depressiver Episode und somatoformer Schmerzstörung und dem Wirbelsäulenleiden sowie dem Tinnitus kein höherer Gesamt-GdB als 40 festgestellt werden. Die anderen Einzel-GdB von jeweils 10 führen nicht zu einer weiteren Erhöhung.

Ein weiteres Gutachten auf Antrag des Klägers war nicht einzuholen, weil das Antragsrecht des Klägers durch Einholung des Gutachtens im Klageverfahren bei Dr. N. verbraucht ist. Das Antragsrecht nach § 109 SGG steht grundsätzlich nur einmal in beiden Tatsacheninstanzen zur Verfügung (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.10.2013 - L 6 SB 5267/11 Juris; zu einem wiederholten Antrag auf demselben Fachgebiet: BSG, Beschluss vom 17.03.2010 - B 3 P 33/09 B - Juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 01.02.2011 - L 11 R 221/09; Hessisches LSG, Urteil vom 13.08.2008 - L 4 V 12/07 - Juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 06.02.2006 - L 1 U 2572/05 - Juris; zu einem wiederholten Antrag für die Beurteilung von Schmerzen: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.10.2009 - L 11 R 4832/08). Es entspricht dem Beweisrecht, dass das Gericht nicht verpflichtet ist, einem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis einer bestimmten Tatsache beliebig oft nachzukommen (BSG, Urteil vom 15.04.1991 - 5 RJ 32/90 - juris; Kolmetz, SGb 2004, S. 83, 86). Außerdem ist § 109 SGG als Ausnahmevorschrift zu der Regelung des § 103 Satz 2 SGG, wonach das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen erforscht, eng auszulegen (BSG, Beschluss vom 17.03.2010 - B 3 P 33/09 B - Juris).

Die Berufung ist daher zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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