L 8 SB 399/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SB 726/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 399/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 12.01.2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin ein Drittel ihrer außergerichtlichen Kosten des Klageverfahrens zu erstatten. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist das Vorliegen der gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs (Merkzeichen) "G" (erhebliche Gehbehinderung) streitig.

Das Landratsamt Z. – Versorgungsamt – hatte in Ausführung eines vor dem Sozialgericht Reutlingen erklärten Anerkenntnisses vom 04.07.2008 (Az.: S 7 SB 4861/06) mit Bescheid vom 10.07.2008 bei der am 01.05.1958 geborenen Klägerin einen Grad der Behinderung (GdB) von 60 seit 28.03.2006 festgestellt (Blatt 75 der Verwaltungsakten). Dem lagen folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:

- Kopfschmerzsyndrom, Migräne, Depression - Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, - Diabetes mellitus (mit Diät und oralen Antidiabetika einstellbar), - Bluthochdruck.

Am 19.05.2010 beantragte die Klägerin unter Verweis auf ein Schlafapnoe-Syndron, eine Belastungsdyspnoe und ein Dysästhesie im Bereich der Extremitäten die Erhöhung des GdB. Dazu zog das Versorgungsamt vom Hausarzt der Klägerin, Dr. S., medizinische Befundunterlagen bei (Blatt 83/98 der Verwaltungsakten). Darin sind im Wesentlichen folgende Diagnosen aufgeführt: vorwiegend Zwangsgedanken oder Grübelzwang, kombinierte Kopfschmerzen (Migräne mit Aura und Spannungskopfscherzen), Diabetes mellitus ohne Komplikationen, essentielle (primäre) Hypertonie, Cervikalsyndrom, Schlafapnoe-Syndrom (gute Einstellung mit CPAP-Gerät). Ergänzend führte Dr. S. im Schreiben vom 05.07.2010 aus, bezüglich eines Herzleidens klage die Klägerin gelegentlich über Herzrasen, wobei ein objektiver Befund nicht feststellbar sei. Bezüglich des orthopädischen Systemkomplexes habe sich seit 2009 nichts Wesentliches verändert.

Im Anschluss an das gegen den ablehnenden Bescheid vom 11.08.2010 (Blatt 102 der Verwaltungsakten) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.11.2010 geführte Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Reutlingen (Az.: S 7 SB 3907/10) stellte das Versorgungsamt bei der Klägerin in Ausführung eines geschlossenen Vergleichs vom 24.05.2011 mit Bescheid vom 22.08.2011 einen GdB von 70 seit 19.05.2010 fest (Blatt 117 der Verwaltungsakten). Dem lagen folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde (Blatt 131):

- Depression, seelische Störung, chronisches Schmerzsyndrom (Teil-GdB 40), - Kopfschmerzsyndrom (Teil-GdB 30), - Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Teil-GdB 20), - Diabetes mellitus (Teil-GdB 20), - Schlafapnoe-Syndrom (Teil-GdB 20), - Bluthochdruck (Teil-GdB 20).

Am 03.08.2011 beantragte die Klägerin die Feststellung des Merkzeichens "G". Zur Begründung führte sie ein chronisches Schmerzsyndrom, ein Schlafapnoe-Syndrom, eine Depression, Spannungskopfschmerz und Migräne, einen zervikalen Bandscheibenvorfall mit Radikulopathie, Diabetes mellitus, Fettleber und Hypertonie an.

Dr. S. teilte mit Schreiben vom 13.09.2011 auf die Befundanfrage des Versorgungsamtes mit, es könne keine wesentliche Befundänderung zum letzten Mal festgestellt werden, und verwies auf seine vorangegangenen Schreiben. Bezüglich der Gehstrecke der Klägerin meine er, dass sie auf zwei Kilometer zu beschränken sei (Blatt 130 der Verwaltungsakten).

Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme bei Dr. Niebling, welche unter dem 24.07.2012 die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin wie bereits im Bescheid vom 22.08.2011 vorgenommen bewertete und die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "G" verneinte, lehnte das Landratsamt Z. - Versorgungsamt - den Antrag der Klägerin "auf Neufeststellung des GdB und Feststellung von gesundheitlichen Merkmalen" mit Bescheid vom 26.07.2012 ab (Blatt 132/133 der Verwaltungsakten). Die Voraussetzungen für eine höhere Bewertung lägen nicht vor. Die Voraussetzungen für das geltend gemachte Merkzeichen "G" lägen nicht vor.

Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 08.12.2012 Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie sich auf eine Verschlimmerung der seelischen Störung und eine Störung der Orientierungsfähigkeit im Straßenverkehr berief (Blatt 135 der Verwaltungsakten).

Nach Beiziehung eines Befundberichts des Neurologen und Psychiaters Dr. M. vom 12.10.2012 (Blatt 140 der Verwaltungsakten), wonach die Klägerin nach fremdanamnestischen Angaben der Tochter außerstande sei, ihren eigenen Haushalt ausreichend zu bewältigen, und Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme bei Dr. A.-F., welcher unter dem 14.01.2013 eine Ablehnung der Erhöhung des GdB und einer Zuerkennung des Merkzeichens "G" vorschlug, wies das Regierungspräsidium Stuttgart – Landesversorgungsamt – den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.2013 als unbegründet zurück (Blatt 143/145 der Verwaltungsakten).

Dagegen erhob die Klägerin anwaltlich vertreten Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG), zu deren Begründung sie weiterhin das Vorliegen einer Orientierungsstörung sowie eine Unterbewertung der depressiven Erkrankung anführte.

Das SG befragte die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen. Wegen des Inhalts und Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 21, 22/23, 24/26, 28/37 der SG-Akten verwiesen.

Der Arzt für Anästhesiologie/Spezielle Schmerztherapie Dr. M. teilte dem SG unter dem 22.04.2013 mit, die Klägerin habe sich am 19.07.2011 zum letzten Mal vorgestellt.

Der Neurologe und Psychiater Dr. M. führte im Schreiben vom 24.04.2013 an das SG aus, er habe die Klägerin von Januar 2012 bis 23.04.2013 insgesamt 11 Mal untersucht. Während des Behandlungsverlaufs sei im Gesundheitszustand der Klägerin keine wesentliche Veränderung festzustellen. Sie erscheine auf die Unterstützung der Tochter in jeder Lebenssituation angewiesen. Die chronische depressive Störung sei mit einem GdB von 50 zu bewerten, wodurch sich der Gesamt-GdB auf 80 erhöhe.

Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. S. schrieb dem SG unter dem 07.05.2013, in den letzten drei Jahren habe sich keine Besserung im Gesundheitszustand der Klägerin gezeigt, höchstens eine schleichende Verschlechterung. Der GdB sei mit 70 ausreichend bewertet. Allerdings habe die Klägerin das Merkzeichen "G" zu beanspruchen, da sie auf ebener Strecke zum einen wegen der Schmerzen, zum anderen wegen fehlender Kraft (Belastungsdyspnoe bei Adipositas) nur eine Strecke von 50 Metern zurücklegen könne ohne stehenbleiben zu müssen. Bergauf könne sie 10 Stufen bewältigen und müssen dann ebenfalls stehenbleiben.

Ferner zog das SG aus dem Klageverfahren S 5 R 2810/10 das nervenärztliche Gutachten des Dr. Stärk vom 20.05.2011, wegen dessen Inhalt auf Blatt 44/53 der SG-Akten Bezug genommen wird, das psychiatrisch-psychotherapeutische Gutachten des Dr. Ö. vom 28.09.2011, wegen dessen Inhalt auf Blatt 54/72 der SG-Akten Bezug genommen wird, sowie aus dem Verfahren S 5 R 2875/12 das nervenärztliche Gutachten des Dr. H. vom 04.12.2012, - mit Ergänzung vom 24.01.2013 - wegen dessen Inhalt auf Blatt 73/83 der SG-Akten Bezug genommen wird, bei.

Nach dem Gutachten des Dr. S. war psychiatrisch Angst und depressive Störung gemischt festgestellt worden. Neurologisch sei von einem Kombinationskopfschmerz bestehend aus Migräne und Spannungskopfschmerz auszugehen. Allgemein-körperlich bestehe eine Zucker-Krankheit sowie ein Schlafapnoe-Syndrom. Die Klägerin sei in der Lage, vier mal 500 Meter arbeitstäglich in zumutbarem Zeitaufwand zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.

Im Gutachten des Dr. Ö. war eine mittelgradige bis schwere depressive Episode diagnostiziert worden. In der durchgeführten Laufprobe sei ein hinkendes Gangbild aufgefallen. Es komme zu strahlenden Schmerzen in die linke Hüfte. Im Rahmen der körperlichen Untersuchung falle eine Fußheberschwäche links auf, der Lasègue-Test sei links positiv, weshalb der Verdacht auf eine Bandscheibenproblematik der Lendenwirbelsäule bestehe. Ferner sei eine ödematöse Schwellung des linken Fußes und Unterschenkels vorhanden, welche weiterer Abklärung bedürfe. Eine von der Klägerin beklagte und in der Untersuchungssituation beobachtete Schwindelsymptomatik sei sowohl somatogen als auch psychogen zu erklären. Somatogene Ursache dürften Verspannungen im Schulter- und Nackenbereich bzw. die Kreislauflaufregulation sein. Die Klägerin könne keine vier mal 500 Meter arbeitstäglich in zumutbarem Zeitaufwand zurücklegen.

Nach dem Gutachten des Dr. H. wurde ein Kombinationskopfschmerz und eine leichte depressive Episode diagnostiziert. Hinsichtlich der depressiven Erkrankung habe sich kein phasenhafter Krankheitsverlauf im Sinne einer depressiven Störung herausarbeiten lassen. Eine Erkrankung aus dem Spektrum der somatoformen Störungen, eine Angsterkrankung oder eine posttraumatische Belastungsstörung liege nicht vor.

Auf Antrag der Klägerin erstattete Dr. B. unter dem 14.04.2014 ein psychiatrisches Gutachten aufgrund einer Untersuchung der Klägerin am 12.03.2014. Wegen des Inhalts und Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 98/112 der SG-Akten Bezug genommen. Der Gutachter stellte folgende Diagnosen:

- Mittelschwere depressive Störung, - Chronisches Schmerzsyndrom, - Kopfschmerzsyndrom, - Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, - Diabetes mellitus, - Bluthochdruck, - Adipositas, - Schlafapnoe-Syndrom.

Unter Berücksichtigung der mittelschweren depressiven Störung und der nachweisbaren Veränderung sei die Einschätzung eines GdB von 30 nicht aufrecht zu erhalten. Es sei mindestens ein GdB von 50 anzusetzen. Der Gesamt-GdB müsse bei mindestens 80 liegen, was seit August 2011 gerechtfertigt sei. Die Klägerin sei aufgrund ihrer Antriebsdefizite, Schwindelsensationen und ihres Vermeidungsverhaltens nicht in der Lage, eine Wegstrecke von zwei Kilometern zurückzulegen. Anfallsleiden oder Orientierungsstörungen lägen nicht vor. Das Gehvermögen sei behindert durch Übergewicht, chronisches Schmerzsyndrom, Antriebsmangel, Vermeidungsverhalten, Herz- und Kreislaufsituation, mangelndes Training infolge der jahrelangen Inaktivität und medikamentöse Polypragmasie mit einem ungünstigen Nebenwirkungsspektrum.

In der mündlichen Verhandlung des SG am 12.01.2015 anerkannte der Beklagte einen GdB von 80 ab 01.03.2014. Die Klägerin nahm das Teilanerkenntnis an. Darüber hinaus beantragte sie weiterhin die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens "G", beschränkt auf die Zeit ab 12.03.2014.

Mit Urteil vom 12.01.2015 hob das SG den Bescheid vom 26.07.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2013 über das Teilanerkenntnis vom 12.01.2015 hinaus auf und verurteilte den Beklagten, ab 12.03.2014 die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "G" festzustellen. Es sei der Überzeugung, dass die Klägerin infolge ihrer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens nicht ohne Gefahr für sich Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermöge, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt würden. Die orthopädischen und internistischen Leiden seien allein noch nicht geeignet, dieses Ergebnis herbeizuführen. Bei der Klägerin bestehe jedoch die Besonderheit, dass zusätzlich noch ein psychogen verursachter, behinderungsbedingter Schwindel hinzutrete, der als psychogene Gangstörung zu bewerten sei. Psychogener Natur und das Gehvermögen weiter einschränkend seien auch die Antriebsminderung und das Vermeidungsverhalten der Klägerin, was Dr. B. überzeugend herausgearbeitet habe. Auch die Nebenwirkungen der Medikamentenversorgung schränkten das Gehvermögen weiter ein. Des Weiteren weise das erhebliche Übergewicht einen Bezug zu einer Behinderung auf und müsse daher bei der Beurteilung des Gehvermögens Berücksichtigung finden. Dass die psychogene Gangstörung und die Adipositas weder als hirnorganische Anfälle noch als Störungen der Orientierungsfähigkeit anzusehen seien, ändere an der Einschätzung nichts, da die in Teil D Nr. 1 lit. e) und f) VG genannten Beispiele lediglich als Regelfälle, bei denen die Voraussetzungen des Merkzeichens G als erfüllt anzusehen seien, darstellten.

Gegen das dem Beklagten am 22.01.2015 zugestellte Urteil hat dieser am 03.02.2015 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Aus der sich aus dem Gutachten des Dr. B. ergebenden Aussage, dass von der Klägerin eine Wegstrecke von zwei Kilometern nicht zurückgelegt werden könne, könne kein Nachweis abgeleitet werden, dass die Voraussetzungen des Merkzeichens "G" vorliegen würden, zumal keines der Anerkennungskriterien nach Teil D Nr. 1 VG erfüllt sei. Insbesondere ließen sich weder Orientierungsstörungen noch Störungen der Ausgleichfunktionen objektivieren. Psychische Angstzustände allein rechtfertigten nach dem Urteil des LSG vom 12.10.2011 (L 6 SB 3032/11) nicht die Annahme des Merkzeichens "G". Ergänzend legte der Beklagte die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. W. vom 27.01.2015 (Blatt 12/13 der Senatsakten) vor, wonach es nicht einer objektiven Gleichbehandlung aller behinderten Menschen entspräche, wenn im konkreten Fall nur auf die subjektiv dargebotenen Symptomatik ohne Nachweis entsprechender objektiver Kriterien das Merkzeichen "G" zuerkannt würde.

Der Beklagte beantragt ,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 12.01.2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass sich der Sachverhalt im vorliegenden Fall anders als im vom Beklagten zitierten Urteil darstelle. Die Klägerin leide unter behandlungsbedürften Schwindelanfällen, was der Sachverständige Dr. B. dargestellt habe. Dieser möglicherweise psychogen verursachte Schwindel sei von der Klägerin nicht willentlich zu beeinflussen. Er trete plötzlich und ohne erkennbaren Anzeichen auf. Im Übrigen verkenne die Beklagte, dass dem Urteil des SG eine Gesamtschau der die Klägerin beeinträchtigenden Behinderungen zugrunde liege. Neben dem behinderungsbedingten Schwindel lägen noch weitere orthopädische und organische Behinderungen vor, die in ihrer Gesamtheit dazu führten, dass die Klägern in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr beeinträchtigt sei.

Der Senat hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung der Kardiologin Dr. Blessing als sachverständige Zeugin. Mit Schreiben vom 16.06.2015 (Blatt 23/26 der Senatsakten) teilte sie mit, sie habe die Klägerin insbesondere im Juni 2013 und Juli 2014 untersucht. Die Klägerin habe im Juli 2014 über persistierende linksthorakale Beschwerden geklagt. Sie habe die Diagnosen vertebragene Thoraxschmerzen, arterielle Hypertonie, NIDDM, Migräne und Z. n. Zwangsgedanken/Depressionen gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten (Band I und II) sowie die Akten des Sozialgerichts Konstanz und des Senats verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig und begründet.

Streitgegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens ist allein die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" ab 12.03.2014. Hinsichtlich der Erhöhung des GdB hat sich das Klageverfahren nach Annahme des vom Beklagten erklärten Teilanerkenntnisses vom 12.01.2015 durch die Klägerin erledigt. Dementsprechend hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ihren Klageantrag auf die Zuerkennung des Merkzeichens "G" ab 12.03.2014 beschränkt, so dass das SG im Urteil vom 12.01.2015 zutreffend auch nur über das Vorliegen der Voraussetzungen des Merkzeichens "G" entschieden hat.

Die so verstandene zulässige Berufung ist begründet. Das SG hat mit dem angefochtenen Urteil vom 12.01.2015 den Beklagten zu Unrecht zur Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "G" verurteilt. Der Bescheid des Landratsamts Z. - Versorgungsamt – vom 26.07.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums S. - Landesversorgungsamt – vom 14.03.2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, soweit darin die Feststellung des Merkzeichens "G" abgelehnt wird. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens "G".

Gemäß § 145 Abs. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs. 5 im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 SGB IX unentgeltlich befördert. In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr ist erheblich beeinträchtigt nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.

Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 9/9a RVs 1/91 BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 9 RVs 4/95 SozR 3 3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 B 9 SB 3/02 R BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 9a/9 RVs 7/89 BSG SozR 3 3870 § 4 Nr. 1). Die AHP besaßen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhten. Sie waren vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirkten, und deshalb normähnliche Auswirkungen hatten. Auch waren sie im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (vgl. BSGE 72, 285, 286; BSG SozR 3 3870 a.a.O.).

Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 BVG (jetzt: § 30 Abs. 16 BVG) zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB.

Bislang konnte sich der Beklagte hinsichtlich der Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "G" nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht auf die VG (Teil D Ziff. 1) berufen. Eine gesetzliche Ermächtigung für den Verordnungsgeber, die Grundsätze für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche durch Verordnung regeln zu können, enthielten nach Auffassung des Senats weder § 30 Abs. 17 BVG in der Fassung bis 30.06.2011 bzw. § 30 Abs. 16 BVG in der ab 01.07.2011 gültigen Fassung, der nicht auf die im Schwerbehindertenrecht im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, Juris PR-SozR 4/2009), noch andere Regelungen des BVG. Eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer Verordnung über Nachteilsausgleiche war bislang auch nicht in den einschlägigen Vorschriften des SGB IX vorhanden. Die Regelungen der VG zum Nachteilsausgleich "G" (und "aG") waren damit nach ständiger Rechtsprechung des Senats mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig (vgl. Urteile des Senats vom 23.07.2010 - L 8 SB 3119/08 - und vom 14.08.2009 - L 8 SB 1691/08 -, beide veröffentlicht in juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de; so auch der 6. Senat des LSG Baden-Württemberg, vgl. stellvertretend Urteil vom 04.11.2010 - L 6 SB 2556/09 -, unveröffentlicht; offenlassend der 3. Senat, vgl. Urteil vom 17.07.2012 - L 3 SB 523/12 - unveröffentlicht). Rechtsgrundlage waren daher bislang allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen und die hierzu in ständiger Rechtsprechung anzuwendenden Grundsätze.

Das Tatbestandsmerkmal der im Ortsverkehr üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegten Wegstrecke des § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nach ständiger Rechtsprechung der Sozialgerichte (grundlegend BSG Urt. vom 10.12.1987 9a RVs 11/87 , SozR 3870 § 60 Nr. 2; BSG Urteil vom 13.08.1997 9 RVS 1/96 , SozR 3 3870 § 60 Nr. 2) die Bewältigung von Wegstrecken von zwei Kilometern in einer halben Stunde ohne Berücksichtigung von geographischen Besonderheiten im Einzelfall. Sowohl die Gesetzesmaterialien zur gleichlautenden Vorgängervorschrift des § 58 Abs. 1 Satz 1 SchwbG 1979 als auch die AHP 1983 (Seite 123, 127f) enthielten keine Festlegung zur Konkretisierung des Begriffs der im Ortsverkehr üblichen Wegstrecke. Diese Festlegung geht auf eine in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis gegriffene Größe von zwei Kilometern zurück, die als allgemeine Tatsache, welche zur allgemeingültigen Auslegung der genannten Gesetzesvorschrift herangezogen wurde, durch verschiedene Studien (vgl. die Nachweise in BSG, Urt. vom 10.12.1987 a.a.O.) bestätigt worden ist. Der außerdem hinzukommende Zeitfaktor enthält den in ständiger Rechtsprechung bestätigten Ansatz einer geringeren Durchschnittsgeschwindigkeit als die von fünf bis sechs Kilometern pro Stunde zu erwartende Gehgeschwindigkeit rüstiger Wanderer, da im Ortsverkehr in der Vergleichsgruppe auch langsam Gehende, die noch nicht so erheblich behindert sind wie die Schwerbehinderten, denen das Recht auf unentgeltliche Beförderung zukommt, zu berücksichtigen sind (vgl. BSG Urteil vom 10.12.1987, a.a.O.). Anhaltspunkte dafür, dass infolge des Zeitablaufs sich die Tatsachengrundlage geändert haben könnte, hat der Senat nicht. Der Senat legt daher in ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteil des Senats vom 02.10.2012 – L 8 SB 1914/10, juris, www.sozialgerichtsbarkeit.de) diese Erkenntnisse weiter der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der ortsüblichen Wegstrecken im Sinne von § 146 Abs. 1 SGB IX zugrunde, auch wenn die entsprechenden Regelungen der VG zu dem Nachteilsausgleich "G" wie oben ausgeführt nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats unwirksam waren (ebenso der 3. und 6. Senat des LSG Baden Württemberg, Urteile vom 17.07.2012 a.a.O. und vom 04.11.2010 a.a.O.).

Zwischenzeitlich hat jedoch der Gesetzgeber mit Wirkung zum 15.01.2015 in § 70 Abs. 2 SGB IX eine Verordnungsermächtigung eingeführt und in § 159 Abs. 7 SGB IX eine Übergangsregelung getroffen (eingefügt durch Art. 1a des am 15.01.2015 in Kraft getretenen Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 07.01.2015; BGBl. II S. 15).

§ 70 Abs. 2 SGB IX in der Fassung vom 07.01.2015 lautet nunmehr: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des Grades der Behinderung und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Von der Verordnungsermächtigung ist bislang kein Gebrauch gemacht worden.

Nach der ebenfalls am 15.01.2015 in Kraft getretenen Übergangsregelung des § 159 Abs. 7 SGB IX in der Fassung vom 07.01.2015 gelten, soweit noch keine Verordnung nach § 70 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des Bundesversorgungsgesetzes erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend.

Nach Auffassung des Senats hat der Gesetzgeber mit der Übergangsregelung des § 159 Abs. 7 SGB IX ab dem 15.01.2015 wirksam und mit hinreichend bestimmtem Gesetzeswortlaut eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "G" geschaffen (insoweit offen lassend der 3. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg, Urteil vom 13.05.2015 - L 3 SB 1100/14 -). Soweit eine entsprechende Anwendung der Maßstäbe der VersMV durch das Gesetz angeordnet ist, lässt sich dem Wortlaut hinreichend deutlich die Regelung für Merkzeichen entnehmen, dass die Bewertungsmaßstäbe der VG Teil D unmittelbar anzuwenden sind. Der Regelung der mit Wirkung zum 01.01.2009 erlassenen VersMV ist bis zum Erlass einer neuen Verordnung nach § 70 Abs. 2 SGB IX damit praktisch Gesetzescharakter verliehen worden (so auch der 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg, Urteil vom 21.04.2015 - L 6 SB 3121/14 - unter Verweis auf BT-Drs. 18/3190, S. 5, - mittlerweile veröffentlicht in juris, www.sozialgerichtsbarkeit.de). Die so geschaffene Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "G" entfaltet nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsurteil vom 22.05.2015 – L 8 SB 70/13, juris, www.sozialgerichtsbarkeit.de) jedoch keine Rückwirkung, sondern ist erst ab dem Datum des Inkrafttretens am 15.01.2015 wirksam. Eine Rückwirkung ist in der Übergangsbestimmung gesetzlich nicht geregelt worden, weshalb die gesetzliche Neuregelung erst am Tag des Inkrafttretens Gültigkeit erlangt. Dies ergibt sich auch aus der Begründung zu der Neufassung von § 70 Abs. 2 und § 159 Abs. 7 SGB IX, mit der der Gesetzgeber die Zweifel, ob § 30 Abs. 16 BVG eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die medizinische Bewertung des Grades der Behinderung (zusätzlich gemeint wohl: für die Feststellung von Merkzeichen) darstellt, ausräumen will, so dass die Versorgungsmedizinverordnung "künftig auf beide Ermächtigungsnormen" gestützt werden kann (BT-Drs. 18/3190, S. 5 zu Nummer 2), also eine Regelung für die Zukunft beabsichtigt. Zudem geht der Gesetzgeber mit der Schaffung der Übergangsregelung davon aus, dass "in der Übergangszeit das derzeitige Recht weiter Anwendung findet" (BT-Drs. 18/3190, S. 5 zu Nummer 3).

Folglich stellt der Senat für die Zeit bis zum 14.01.2015 auf die von der Rechtsprechung für die Feststellung des Merkzeichens "G" entwickelten Kriterien und für die Zeit ab dem 15.01.2015 auf die in den VG geregelten Kriterien ab. Vorliegend führt ein Abstellen auf die VG indes zu keinem anderen Ergebnis für die Klägerin. So heißt es in Teil D Nr. 1 lit. b) VG: In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Bei der Prüfung der Frage, ob diese Voraussetzungen vorliegen, kommt es nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalls an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein – d.h. altersunabhängig von nicht behinderten Menschen – noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunden zurückgelegt wird. Unter Teil D Nr. 1 lit. d) VG heißt es weiter: Die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens sind als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z.B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Auch bei inneren Leiden kommt es bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, z.B. chronische Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen. Bei hirnorganischen Anfällen ist die Beurteilung von der Art und Häufigkeit der Anfälle sowie von der Tageszeit des Auftretens abhängig. Im Allgemeinen ist auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit mit einem GdB von wenigstens 70 zu schließen, wenn die Anfälle überwiegend am Tage auftreten. Analoges gilt beim Diabetes mellitus mit häufigen hypoglykämischen Schocks. Störungen der Orientierungsfähigkeit, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen, sind bei allen Sehbehinderungen mit einem GdB von wenigstens 70 und bei Sehbehinderungen, die einen GdB von 50 oder 60 bedingen, nur in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit beiderseits, geistige Behinderung) anzunehmen. Bei Hörbehinderungen ist die Annahme solcher Störungen nur bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit im Kindesalter (in der Regel bis zum 16. Lebensjahr) oder im Erwachsenenalter bei diesen Hörstörungen in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. Sehbehinderung, geistige Behinderung) gerechtfertigt. Bei geistig behinderten Menschen sind entsprechende Störungen der Orientierungsfähigkeit vorauszusetzen, wenn die behinderten Menschen sich im Straßenverkehr auf Wegen, die sie nicht täglich benutzen, nur schwer zurechtfinden können. Unter diesen Umständen ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit bei geistigen Behinderungen mit einem GdB von 100 immer und mit einem GdB von 80 oder 90 in den meisten Fällen zu bejahen. Bei einem GdB unter 80 kommt eine solche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit nur in besonders gelagerten Einzelfällen in Betracht.

Der Senat konnte aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht feststellen, dass bei der Klägerin eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens vorliegt.

Weder ist ein für sich festzustellender GdB 50 für Lendenwirbelsäulenbeeinträchtigungen und/oder Funktionsbehinderungen der unteren Extremitäten gegeben noch finden sich besonders auf die Gehfähigkeit auswirkende Funktionseinschränkungen.

Im Bereich der Lendenwirbelsäule besteht eine Fehlhaltung in Form einer verstärkten Lordose. Dies entnimmt der Senat dem ärztlichen Entlassungsbericht der M.-B.-Klinik K. vom 29.06.2009 (Blatt 83/91 der Verwaltungsakten). Funktionsbeeinträchtigungen, die eine Gehbeeinträchtigung begründen könnten, kann der Senat nicht feststellen. Bewegungseinschränkungen bestehen nicht. Nach dem ärztlichen Entlassungsbericht der M.-B.-Klinik bestanden funktionelle Einschränkungen der Wirbelsäulenbeweglichkeit nicht. Der Finger-Boden-Abstand betrug 0 cm. Die Extremitäten waren frei beweglich. Nach dem Attest des Dr. S. vom 05.07.2010 (Blatt 98 der Verwaltungsakten) hat sich seit 2009 hinsichtlich des orthopädischen Symptomkomplexes nichts Wesentliches geändert. Medizinische Unterlagen, denen Bewegungseinschränkungen der Lendenwirbelsäule entnommen werden könnten, liegen nicht vor. Soweit der Gutachter Dr. B. Bewegungseinschränkungen im Bereich der unteren Wirbelsäule angegeben hat, hat er entsprechende Befunde dazu nicht erhoben, sondern handelt es sich um die Wiedergabe der Angaben der Klägerin zu ihren Gesundheitsstörungen. Dass aus der von Dr. S. am 17.10.2014 (Blatt 126 der SG-Akten) attestierten sturzbedingten Prellung der Lendenwirbelsäule dauerhafte Funktionsbeeinträchtigungen verblieben sind, ist nicht ersichtlich. Auch relevante funktionelle neurologische Störungen liegen im Bereich der Lendenwirbelsäule nicht vor. In den Berichten des Dr. M. vom 12.10.2012 (Blatt 140 der Verwaltungsakten), vom 05.04.2012 (Blatt 29 der SG-Akten) und vom 20.01.2011 (Blatt 31 der SG-Akten) wurden motorische Ausfälle im Bereich des Stammes und der Extremitäten und Störungen der Oberflächen- und Tiefensensibilität verneint. Der Gutachter Dr. B. hat bei der neurologischen Untersuchung keine pathologischen Befunde erhoben. Eine nach dem Gutachten des Dr. Ö. bestehende linksseitige Fußheberschwäche war nur in liegender Position vorhanden, so dass daraus eine Einschränkung des Gehvermögens nicht hergeleitet werden kann. Eine Auswirkung der ebenfalls von Dr. Ö. angegebenen linksseitigen Hypästhesie (Berührungsempfindlichkeit der Haut) und dem auf 6/8 herabgesetzten Vibrationsempfinden an den Zehengrundgelenken beidseitig auf die Bewegungsfähigkeit ist ebenfalls nicht ersichtlich. Auch kann aus dem nach dem Gutachten positiven Lasègue-Test nicht auf eine Einschränkung der Bewegungsfähigkeit geschlossen werden. Insoweit handelt es sich um einen einmalig dokumentierten Befund. Im Rahmen anderer, insbesondere nach der Untersuchung durch Dr. Ö. am 26.09.2011 erfolgten Untersuchungen der Klägerin wurden weder ein positiver Lasègue-Test noch Sensibilitätsstörungen dokumentiert.

Andere Funktionsbeeinträchtigungen der unteren Gliedmaßen, die sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, sind nicht festzustellen. Dass die von dem Gutachter Dr. B. angegebene ödematöse prätibiale Schwellung die Bewegungsfähigkeit der Klägerin beeinträchtigt, ist nicht ersichtlich. Zudem ist diese nach seinen Feststellungen nur leicht ausgeprägt, so dass eine erhebliche Auswirkung auf die Gehfähigkeit nicht resultieren kann. Auch relevante Auswirkungen einer Schmerzerkrankung kann der Senat nicht feststellen. Grundsätzlich können die Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "G" auf eine psychische, die Schwerbehinderteneigenschaft begründende Behinderung gestützt werden, wenn sich die psychische Behinderung unmittelbar auf das Gehvermögen auswirkt, wie dies bei einer somatoforme Störung und Schmerzproblematik der Fall sein kann (vgl. BSG, Urteil vom 11.08.2015 – B 9 SB 1/14 R). Im Fall der Klägerin hat zwar der Beklagte bei Feststellung des GdB zuletzt ein chronisches Schmerzsyndrom (ab März 2014) zusammen mit einer Depression und seelischen Störung mit einem Teil-GdB von 50 bewertet. Eine Auswirkung auf das Gehvermögen liegt bei der Klägerin jedoch nicht vor. Daher kann offenbleiben, ob das auch vom Versorgungsarzt Dr. G. bejahte chronische Schmerzsyndrom (Stellungnahme vom 18.09.2014) tatsächlich nachvollziehbar diagnostiziert worden ist. Diese Diagnose wird zwar vom Gutachter Dr. B. angegeben. Auf welche Befunde er sich dabei stützt, ist allerdings nicht nachvollziehbar. Er gibt das Bestehen von diversen Schmerzsyndromen in Form von Migräne-, Kreuz- und Knieschmerzen an. Bei den dargestellten körperlichen Untersuchungsbefunden findet sich lediglich ein Hinweis auf eine Schmerzangabe bei der Außenrotation der Kniegelenke. Zum psychischen Befund beschreibt der Gutachter eine Denkeinengung auf Schmerzen. Dass die Klägerin bei der Begutachtung schmerzgeplagt gewesen wäre, ist dem Gutachten nicht zu entnehmen. Im Rahmen der Anamnese hat die Klägerin angegeben, alle möglichen Schmerzen zu haben. Zu den sie beeinträchtigenden Gesundheitsstörungen hat sie jedoch lediglich Kopfschmerzen aufgeführt. Auch die geltend gemachte Gehbehinderung hat die Klägerin gegenüber Dr. B. nicht mit Schmerzen begründet. Vielmehr hat sie angegeben, nicht sagen zu können, warum es nach einer Gehstrecke von 10 bis 20 Metern "stocke". Auch im Gutachten des Dr. Ö. ist ein chronisches Schmerzsyndrom nicht genannt. Im Gutachten des Dr. H. wird das Vorliegen einer somatoformen Störung ausdrücklich verneint. Ebenso ist im Gutachten des Dr. S. ausgeführt, dass eine somatoforme Schmerzstörung nicht bestehe. Die Klägerin habe mit keinem Wort über Schmerzen geklagt und nicht schmerzgeplagt oder leidend gewirkt. Damit ist jedenfalls eine die Gehfähigkeit beeinträchtigende Schmerzstörung keinem der Gutachten mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen. Soweit im Gutachten des Dr.Ö. angegeben ist, die Klägerin könne nicht viermal täglich eine Strecke von 500 Metern in zumutbaren Zeitaufwand zurücklegen, weil die von Dr. Ö. beobachtete Wegstrecke von einem hinkenden Gangbild mit anschließender Schmerzsymptomatik der linken Hüfte gekennzeichnet gewesen sei, kann darauf eine erhebliche Einschränkung der Bewegungsfähigkeit nicht begründet werden. Die im Gutachten des Dr. Ö. angegebene Schmerzhaftigkeit der linken Hüfte, die nach einer Gehstrecke von 20 Metern auftrete, ist mangels Befunden nicht objektivierbar, worauf Dr ... überzeugend verweist (Stellungnahme vom 12.11.2013). Dem Gutachten ist schon nicht zu entnehmen, welches Ausmaß die von der Klägerin angegebenen Schmerzen haben, ob und in welcher Form diese nach außen hin erkennbar sind und wie sich diese auf das Gehvermögen auswirken. Im Gutachten ist lediglich ein hinkendes Gangbild beschrieben. Eine somatogene Ursache ist dem Gutachten weder hinsichtlich des hinkenden Gangbildes noch für die auftretenden Schmerzen zu entnehmen. In der nachfolgenden Untersuchung am 01.12.2012 war nach dem Gutachten des Dr. H.das Gangbild trotz der von der Klägerin angegebenen Schmerzen im Oberschenkel links sicher und flüssig. Auch bei der Untersuchung am 09.05.2011 durch Dr. S. waren bei der Koordinationsprüfung die Stand- und Gehversuche unauffällig, weshalb das bei der dazwischenliegenden Untersuchung am 26.09.2011 von Dr. Ö. erhobene Beschwerdebild eines durch Hüftschmerzen verursachten Hinkens nicht von Dauer war und daher einer Bewertung als Behinderung nicht zugänglich ist.

Innere Leiden, welche sich auf die Gehfähigkeit der Klägerin auswirken, kann der Senat ebenfalls nicht feststellen. Auf internistischem Fachgebiet sind ein Diabetes mellitus II und eine Hypertonie festzustellen. Eine Herzerkrankung liegt nicht vor. Nach den Berichten der Dr. B. vom 02.07.2014 (Blatt 25 der Senatsakten) und vom 19.06.2013 ist der Blutdruck normoton. Unter ungewohnter fahrradergonomischer Belastung bis 75 Watt war der Blutdruck zwar zu hoch. Einer derartigen Belastung entspricht Gehen mit einer Geschwindigkeit von vier Kilometern pro Stunde (zwei Kilometer in einer halben Stunde) jedoch nicht. Im Übrigen war die Klägerin nach dem Bericht vom 02.07.2014 bei der fahrradergometrischen Belastung bei 75 Watt bis 1,5 Minuten nicht ganz ausbelastet. Vorbestehende thorakale Beschwerde waren unter Belastung sogar regredient, es bestand nur eine mäßige Dyspnoe. Die von der Klägerin nach den Angaben als sachverständige Zeugin befragten Dr. B ...geklagten linksthorakalen Beschwerden werden von dieser als vertebragen bedingt beurteilt. Den Berichten der Dr. B. vom 02.07.2014 und vom 19.06.2013 ist auch keine Einschränkung der Herzleistung zu entnehmen. Ebenso konnte nach dem Bericht des Kardiologen Dr.R. vom 18.03.2009 (Blatt 35 der SG-Akten) kein Hinweis auf eine Belastungsischämie als Ursache für linksthorakale Schmerzen gefunden werden. Eine schwere Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit liegt danach nicht vor. Der Diabetes ist nach den Angaben des sachverständigen Zeugen Dr. S. (Blatt 24/26 der SG-Akten) mäßig eingestellt. Eine Polyneuropathie besteht nicht. Dies ist ausdrücklich dem Gutachten des Dr. S. zu entnehmen, der keine entsprechenden Nervenschäden festgestellt hat. Solche sind auch aus den vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich. Hypoglykämische Schocks, aus welchen bei einer mindestens mittleren Anfallshäufigkeit auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit zu schließen ist (vgl. Teil D Nr. 1 lit. e) VG), liegen nicht vor.

Die vorliegenden Gesundheitsstörungen führen auch nicht im Zusammenwirken der bei der Klägerin vorliegenden Adipositas, welche Dr. B. als das Gehvermögen behindernd angegeben hat, zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr. Bei der Klägerin besteht bei einem Gewicht von 92,6 kg bei einer Größe von 163 cm eine Adipositas 1. Grades. Eine Adipositas per magna liegt nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts liegen die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" auch dann vor, wenn die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erst durch ein Zusammenwirken von Gesundheitsstörungen und großem Übergewicht erheblich beeinträchtigt wird (BSG, Urteil vom 24.04.2008 – B 9/9a SB 7/06 R). Solche Gesundheitsstörungen bestehen bei der Klägerin nicht. Bei der Klägerin können im Bereich des Bewegungsapparates Bewegungseinschränkungen gerade nicht festgestellt werden, so dass eine Verstärkung durch das Übergewicht nicht gegeben sein kann. Bei der Fahrradergometrie erfolgte nach dem Bericht der Dr. B. vom 02.07.2014 &8722; trotz des Übergewichts &8722; ein Abbruch wegen allgemeiner Erschöpfung erst nach einer 1,5 minütigen Belastung mit 75 Watt. Eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit wird damit nicht durch das Übergewicht (mit-)verursacht.

Zur Überzeugung des Senats sind bei der Klägerin &8722; entgegen der Auffassung des SG &8722; auch keine (psychogenen) Schwindelerscheinungen festzustellen, die die Annahme einer Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit rechtfertigen. Objektivierbare Befunde bezüglich des Schwindels liegen nicht vor. Nach den Berichten des Dr. M. vom 12.10.2012 (Blatt 140 der Verwaltungsakten), vom 05.04.2012 (Blatt 29 der SG-Akten) und vom 20.01.2011 (Blatt 31 der SG-Akten) bestanden keine Koordinationsstörungen. Ebenso wenig sind dem Gutachten des Dr. S. Koordinationsstörungen zu entnehmen. Ziel- und Wechselbewegungen sowie Stand- und Gangversuche waren nach dem Gutachten unauffällig. Die in dem Gutachten des Dr. Ö. dargestellten Schwindelerscheinungen sind nicht geeignet, eine Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit zu begründen. Denn Dr. Ö. hat zwar in seinem Gutachten ausgeführt, dass eine Schwindelsymptomatik in der Untersuchungssituation beobachtet worden sei und die Klägerin sich an Gegenständen festgehalten habe. Nach den Untersuchungsbefunden ist das Auftreten von Schwindel jedoch nur bei untersuchungsbedingten (Bewegungs-)Richtungsänderungen, insbesondere bei zu raschem Aufstehen und bei der Vorwärtsbeugung beschrieben worden. Aus dem Attest des Dr. S. vom 17.10.2014, auf welches sich die Klägerin zuletzt berufen hat, folgt nichts anderes. Demnach hat die Klägerin selbst angegeben, dass der Schwindel hauptsächlich dann auftrete, wenn sie sich aus vornübergeneigter Haltung in die Gerade bewege, weshalb der Schwindel am ehesten kreislaufbedingt sei. Derartige Bewegungen und Belastungen sind aber für die Fortbewegung im Straßenverkehr weitgehend vermeidbar und folglich nicht relevant und schon daher nicht geeignet, eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit anzunehmen. Im Übrigen ist zwar eine Hypertonie diagnostiziert, doch die Belastungsfähigkeit war nach den ergometrischen Untersuchungen bis 75 W gegeben, ohne dass Schwindelerscheinungen aufgetreten wären (vergleiche Arztbrief Dr. R. vom 18.03.2009, Bl. 35 der SG-Akte). Daraus, dass die Klägerin nach den Angaben im Attest des Dr. S. vom 17.10.2014 nach dem Sturz Schwindel beklagt hat, kann für die Bewegungsfähigkeit der Klägerin nichts hergeleitet werden. Soweit der Gutachter Dr. B. Schwindelsensationen zur Begründung dafür angeführt hat, dass die Klägerin nicht in der Lage sei, eine Wegstrecke von zwei Kilometern zurückzulegen, überzeugt dies nicht. Seine Annahme stützt sich allein auf die Angaben der Klägerin, unter Schwindel zu leiden. Der Gutachter hat Befunde, welche für das Bestehen von Schwindelerscheinungen sprechen, nicht erhoben. Er hat auch keinen psychogenen Schwindel diagnostiziert.

Auch die diagnostizierte depressive Erkrankung, die nach dem Gutachten des Dr. B. mit deutlichen Antriebsdefiziten verbunden ist und ein Vermeidungsverhalten begünstigt, worauf er - neben Schwindelsensationen - eine herabgesetzte Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr stützt, ist nicht geeignet, eine für das Merkmal "G" erforderliche Beeinträchtigung der Gehfähigkeit zu begründen. Psychische Beeinträchtigungen, durch welche die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sein kann, ohne dass das Gehvermögen betroffen ist, sind auf eine Vergleichbarkeit mit den Regelfällen bei Anfällen und Störungen der Orientierungsfähigkeit beschränkt (BSG, Urteil vom 11.08.2015 – B 9 SB 1/14 R und Beschluss vom 10.05.1994 &8722; 9 BVs 45/93). Als nicht in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt gelten daher psychisch erkrankte Personen, deren Leiden mit sonstigen Beeinträchtigungen oder Störungen einhergehen, wie etwa Verstimmungen, Antriebsminderung, Angstzuständen (vgl. BSG, Beschluss vom 10.05.1994, a. a. O). Mangels unmittelbarer Auswirkung auf das Gehvermögen können derartige Störungen auch nicht im Zusammenwirken mit anderen, auf das Gehvermögen unmittelbar einwirkende Gesundheitsstörungen eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr begründen.

Auswirkungen einer medikamentösen Polypragmasie (Überdiagnostik und -behandlung) auf das Gehvermögen der Klägerin sind nicht feststellbar. Die Angaben des Dr. B., eine medikamentösen Polypragmasie mit einem ungünstigen Nebenwirkungsspektrum wirke sich auf das Gehvermögen ist, ist nicht nachvollziehbar. Dem Gutachten sind insoweit keinerlei Darlegungen zu entnehmen, welche Medikamente bzw. Arzneiwirkstoffe im Zusammenwirken funktionelle Gehbeeinträchtigen verursachen; vielmehr wirft Dr. B. in seinem Gutachten zunächst nur die Frage auf, inwieweit die Symptomatik dadurch unterhalten wird (Seite 11 seines Gutachtens, Blatt 108 der SG Akte), um sie dann doch als Mitursache der Gehbeeinträchtigung aufzuzählen (Seite 14 des Gutachtens, Blatt 111 der SG-Akte).

Soweit sich die Klägerin zur Begründung der Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "G" Störungen der Orientierungsfähigkeit berufen hat, liegen solche nicht vor. Orientierungsstörungen sind in den medizinischen Unterlagen nicht dokumentiert und wurden von den sachverständigen Zeugen und Gutachtern nicht bestätigt bzw. festgestellt. Im Übrigen sind Störungen der Orientierungsfähigkeit, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen, nach Teil D Nr. 1 lit. f) der VG nur anzunehmen, wenn eine Sehbehinderung mit einem GdB von wenigstens 70 oder eine Sehbehinderung mit einem GdB von 50 oder 60 bzw. eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit jeweils in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z.B. hochgradige Schwerhörigkeit beiderseits bzw. Sehbehinderung oder geistige Behinderung) oder eine mindestens mit einem GdB von 80/90 bewertete geistige Behinderung vorliegt. Diese Voraussetzungen für entsprechende Störungen der Orientierungsfähigkeit sind bei der Klägerin offensichtlich nicht erfüllt. Darüber hinaus hat kein Arzt eine Gesundheitsstörung diagnostiziert, auf die eine Orientierungsstörung zurückgeführt werden könnte.

Der Senat konnte sich danach nicht davon überzeugen, dass die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen für sich allein oder in ihrer Gesamtheit das Gehvermögen der Klägerin erheblich beeinträchtigen. Die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "G" sind somit zur Überzeugung des Senats nicht gegeben.

Nach alledem war die Berufung begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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