L 8 SB 1727/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 3913/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 1727/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
für Recht erkannt: Tenor: Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 13. März 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) streitig.

Der 1966 geborene Kläger zog sich am 09.08.2002 eine Verletzung am rechten Handgelenk und bei einem Dienstunfall am 21.12.2011 eine Verletzung am linken Ellenbogen zu.

Am 20.12.2012 beantragte der Kläger beim Landratsamt E. (LRA) erstmals die Feststellung einer Behinderung rückwirkend ab dem 01.09.2003. Der Kläger legte medizinische Befundunterlagen vor (Bericht Dr. W. vom 12.10.2012, Diagnosen insbesondere: Dystrophie rechte Hand und Unterarm, Zustand nach CRPS rechte Hand, chronisches Schmerzsyndrom, Handwurzelarthrose rechts, osteochondraler defekt capitulum humeri links und chronische Tendovaginitis rechts; Bericht Dr. H. vom 02.02.2012, Diagnosen: Leichte EB-Steife und Instabilitätsarthrose links, chronische Subluxationsstellung humeroulnar links; Berichte des Radiologen H. vom 29.12.2011 und 22.12.2011; Bericht S. Rheumazentrum B. W. vom 07.01.2003, Diagnose: Reflexdystrophie rechte Hand). Das LRA holte hierzu die gutachtliche Stellungnahme der Versorgungsärztin D. vom 03.05.2013 ein, die wegen einer Gebrauchseinschränkung der rechten Hand (GdB 20) sowie einer Funktionsbehinderung des linken Ellenbogengelenks (GdB 20) den Gesamt-GdB mit 30 vorschlug.

Mit Bescheid vom 13.05.2013 stellte das LRA beim Kläger den GdB mit 30 sowie das Vorliegen einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit im Sinne des § 33b Einkommensteuergesetz jeweils seit dem 21.11.2011 sowie für die Zeit ab 01.09.2003 bis 20.11.2011 den GdB mit 20 fest.

Hiergegen legte der Kläger am 05.06.2013 Widerspruch ein. Er machte zur Begründung unter Darstellung der Beschwerden und Behinderungen im Alltag hinsichtlich der rechten Hand für die Zeit vom 09.08.2002 bis 20.11.2011 einen GdB von 40 und hinsichtlich des Ellenbogens ebenfalls einen GdB von mindestens 40 sowie einen Gesamt-GdB von 60 ab 21.12.2011 geltend (Schreiben vom 02.07.2013). Zusammenfassend führte der Kläger aus, für die am 09.08.2002 erfolgte Verletzung der rechten Hand sei der GdB ab diesem Tag festzustellen. Der anerkannte GdB von 20 berücksichtige nicht die nach wie vor vorhandenen starken Schmerzen und die erhebliche Bewegungseinschränkung der Finger/Hand, wodurch Tätigkeiten des Alltags teilweise nicht erledigt werden könnten. Er fordere die Feststellung eines höheren GdB. Zu berücksichtigen seien insbesondere die Bewegungsbehinderung, die Minderbelastbarkeit sowie die außergewöhnlichen Schmerzen. Schmerzhafte Bewegungseinschränkungen der Gelenke seien dabei schwerwiegender zu berücksichtigen als eine Versteifung des Gelenkes. Da bei ihm vier Finger der rechten Hand betroffen seien, sei als Vergleichsmaßstab mindestens der Verlust von vier Fingern heranzuziehen. Beim Verlust von vier Fingern ergäbe sich ein GdB von 40. Unberücksichtigt sei dabei die Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenkes. Hinsichtlich des rechten Ellenbogens seien außergewöhnliche Schmerzen, die Bewegungseinschränkung und die damit einhergehende starke Funktionseinschränkung, insbesondere die geringe Belastbarkeit, unberücksichtigt geblieben. Es bestehe eine chronische Subluxationsstellung. Bei einer Bewegungseinschränkung im Ellenbogengelenk stärkeren Grades sei der GdB zwischen 20 und 30 festzustellen. Bei einem Ellenbogen-Schlottergelenk ergebe sich bereits für sich betrachtet ein GdB von mindestens 40. Aufgrund der starken Einschränkungen an beiden Armen, könne er viele Tätigkeiten, insbesondere im Sport und Freizeitbereich, nicht mehr ausüben. Dies gelte auch für die beruflichen Aktivitäten und für Tätigkeiten im normalen Alltag.

Das LRA holte den Befundschein des Dr. W. vom 11.07.2013 ein, der die am 21.06.2013 erhobenen Untersuchungsbefunde und die Diagnosen mitteilte und den Befundbericht des Radiologischen Zentrums P. vom 01.07.2011 vorlegte. In der hierzu eingeholten Stellungnahme des ärztlichen Dienstes vom 05.09.2013 schlug Dr. D.-L. den Gesamt-GdB weiterhin mit 30 vor.

Mit Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart - Landesversorgungsamt - vom 10.10.2013 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Die beim Kläger vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen seien in vollem Umfang erfasst und mit einem GdB von 30 angemessen bewertet und könnten in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen keinen höheren GdB begründen.

Hiergegen erhob der Kläger am 11.11.2013 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG), mit dem Ziel, den GdB mit mindestens 60 zu bemessen. Er wiederholte zur Begründung sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren und merkte ergänzend an, dass das Regierungspräsidium Stuttgart beim Verfassen des Widerspruchsbescheids sich nicht mit den Argumenten seines Widerspruches auseinander gesetzt habe. Das Regierungspräsidium sei der Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen weiter aufzuklären, zumindest nicht voll umfänglich nachgekommen. Der Kläger legte den Bericht des Dr. H. vom 07.02.2014 vor.

Das SG hörte den vom Kläger benannten Facharzt für Orthopädie Dr. W. - unter Übersendung der gutachtlichen Stellungnahme von Dr. D.-L. vom 05.09.2013 - schriftlich als sachverständigen Zeugen an. Dr. W. teilte in seiner Stellungnahme vom 09.01.2014 - unter Vorlage eines Auszugs aus den medizinischen Daten für den Zeitraum vom 01.12.2012 bis 09.01.2014 sowie dem radiologischen Befundbericht des Dr. F. vom 18.01.2013 - mit, er gehe mit der Auffassung des versorgungsärztlichen Dienstes konform, dass die Störung an beiden Armen zusammen einen GdB von 30 bedingten, wobei die Gebrauchseinschränkung der rechten Hand etwas über, die Funktionsbehinderung des linken Ellenbogengelenks etwas unter 20 anzusetzen seien. Auf orthopädischem Gebiet schätzte er den GdB auf 30 ein. Hiergegen wandte der Kläger ein, die zentrale Frage, wie sich beide Funktionsbeeinträchtigungen wechselseitig auswirkten, sei nicht beantwortet worden (Schreiben vom 10.02.2014).

Mit richterlicher Verfügung vom 14.02.2014 wurde der Kläger auf die Absicht einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid hingewiesen. Der Kläger trat dieser Absicht entgegen und beantragte eine mündliche Verhandlung (Schreiben vom 10.03.2014).

Mit Gerichtsbescheid vom 13.03.2014 verurteilte das SG den Beklagten, den GdB auch für die Zeit vom 09.08.2002 bis 31.08.2003 mit 20 festzustellen. Im Übrigen wies das SG die Klage ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die angefochtenen Bescheide seien nur insoweit rechtswidrig, als der GdB auch für die Zeit vom 09.08.2002 bis 31.08.2003 mit 20 festzusetzen sei. Dagegen bestehe kein Anspruch auf die Festsetzung eines höheren GdB, und zwar weder eines solchen von 40 rückwirkend ab dem 09.08.2002 für die Gesundheitsstörungen an der rechten Hand noch gar von 60 ab 21.12.2011. Das SG stützte seine Überzeugung auf die Beurteilungen des Dr. W. und der Versorgungsärzte D. und Dr. D.-L ... Der GdB wegen der Verletzung der rechten Hand am 09.08.2002 sei ab diesem Zeitpunkt mit 20 festzustellen. Zwar habe der Kläger die Feststellung des GdB rückwirkend erst ab dem 01.09.2003 beantragt. Er habe jedoch in der Widerspruchsbegründung beantragt, den GdB ab dem 09.08.2002 festzustellen.

Gegen den dem Kläger am 15.03.2014 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die vom Kläger am 16.04.2014 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegte Berufung. Auf ein Hinweisschreiben des Berichterstatters vom 05.05.2014, dass die Berufungsfrist nicht gewahrt sei, hatte der Kläger am 21.05.2014 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zur Begründung ausgeführt, er sei der Auffassung gewesen, dass Briefe innerhalb Baden-Württembergs binnen eines Arbeitstages beim Empfänger ankämen, weshalb er davon überzeugt gewesen sei, dass seine Berufung rechtzeitig beim Landessozialgericht angekommen sei. Zur Begründung der Berufung hat der Kläger sein bisheriges Vorbringen wiederholt und ergänzend vorgetragen, aufgrund des noch nicht aufgeklärten Sachverhaltes und der Tatsache, dass der Gerichtsbescheid teilweise rechtswidrig und auch teilweise offenbar der falsche Sachverhalt zugrunde gelegt worden sei, werde Berufung eingelegt. Der Kläger hat eine Aufstellung erfolgter Behandlungen im Zeitraum vom 09.08.2002 bis 23.08.2005 vorgelegt. Seine Anregung, den Rechtsstreit bis zur Vorlage eines von seinem Dienstherrn in Auftrag gegebenen Gutachtens ruhen zu lassen, sei nicht beachtet worden. Die Anregung, das Verfahren ruhen zu lassen, hat der Kläger im Verlauf des Berufungsverfahrens nicht aufrechterhalten (Schreiben vom 25.04.2014).

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 13.03.2014 sowie den Bescheid des Beklagten vom 13.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2013 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den Grad der Behinderung für die Zeit vom 01.09.2003 bis 20.11.2011 mit 40 und ab 21.11.2011 mit 60 festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hat zur Begründung vorgetragen, die Einwände des Klägers beinhalteten im Ergebnis keine neuen Gesichtspunkte zum Streitgegenstand. Das Berufungsbegehren finde im medizinischen Sachverhalt keine Stütze.

Der Senat hat Dr. W. schriftlich als sachverständigen Zeugen zu erhobenen Befunden und Funktionseinschränkungen insbesondere hinsichtlich der rechten Hand des Klägers bzw. eines außergewöhnlichen Schmerzsyndroms sowie eingetretener Veränderungen angehört. Dr. W. hat in seiner Stellungnahme vom 30.09.2014 - unter Vorlage von medizinischen Befundberichten - den Behandlungsverlauf für die Zeit vom 13.09.2012 bis 22.09.2014, die erhobenen Diagnosen und Befunde mitgeteilt. Insgesamt sei eine anhaltende Beugekontraktur des linken Ellenbogens eingetreten. Von einer Besserung sei nicht auszugehen. Die Beschwerden von Seiten der rechten Hand nach CRPS hätten sich in den letzten Jahren gebessert, jedoch sei die rechte Hand weiterhin belastungseingeschränkt, im Seitenvergleich dystroph und der Faustschluss anhaltend nicht möglich. Rezidivierend träten Sehnenscheidenentzündungen auf. Es sei von einem Endzustand auszugehen.

Der Beklagte ist der Berufung unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. G. vom 22.01.2015 weiter entgegengetreten.

Der Rechtsstreit ist durch den Berichterstatter in der nichtöffentlichen Sitzung am 06.11.2015 mit den Beteiligten erörtert worden. Hierzu wird auf die Niederschrift vom 06.11.2015 Bezug genommen.

Im Anschluss an den Termin vom 06.11.2011 hat sich der Kläger zur Begründung seiner Berufung weiter geäußert (Schreiben vom 06.11.2015).

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten, insbesondere des Klägers, wird auf die angefallenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf einen Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die formgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs. 2 SGG), ist statthaft und insgesamt zulässig.

Die Berufung des Klägers ist nicht wegen Versäumung der Berufungsfrist unzulässig. Zwar hat der Kläger die Berufungsfrist von einem Monat, auf die das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid mit ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung hingewiesen hat, versäumt. Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger mit Zustellungsurkunde am 15.03.2014 ordnungsgemäß zugestellt worden. Damit endete die Berufungsfrist am 15.04.2014 (einem Dienstag). Berufung hat der Kläger erst am 16.04.2014 und damit verspätet eingelegt. Dem Kläger ist jedoch auf seinen Antrag vom 21.05.2014 gemäß § 67 Abs. 1 SGG wegen der versäumten Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Nach dieser Vorschrift ist, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Nach Absatz 2 ist der Antrag binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger hat glaubhaft gemacht, dass er wegen überlangen Postlaufs ohne Verschulden gehindert war, die Berufungsfrist einzuhalten. Die an das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit zutreffender Anschrift adressierte Berufungsschrift des Klägers vom 14.04.2014 befand sich ausweislich des Poststempels am 14.04.2014, 16:00 Uhr, im Bereich des Postamtes B ... Damit durfte der Kläger davon ausgehen, dass seine Berufungsschrift am Folgetag, dem 15.04.2014, fristwahrend dem Landessozialgericht Baden-Württemberg zugeht, wie er zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages geltend macht. Weitere Ermittlungen hierzu, insbesondere durch eine Anfrage bei der Deutschen Post, haben sich dem Senat nicht aufgedrängt. Denn dem Senat ist aus anderen Berufungsverfahren bekannt, dass die Deutsche Post regelmäßig bestätigt, dass ein Absender davon ausgehen darf, dass Briefpost den Adressaten am Folgetag nach der Postaufgabe erreicht. Der Beklagtenvertreter hat im Termin am 06.11.2015 einen überlangen Postlauf auch nicht streitig gestellt. Die Fristen des § 67 Abs. 2 SGG sind gewahrt. Die Bestätigung des Berufungseingangs wurde an den Kläger am 22.04.2014 abgesandt. Damit ist der dem Gericht am 21.05.2014 zugegangene Wiedereinsetzungsantrag des Klägers innerhalb der Frist des § 67 Abs. 2 SGG gestellt worden. Dem Kläger war deshalb wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen.

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Feststellung des GdB von 40 für die Zeit bis 20.11.2011 und des GdB mit 60 ab dem 21.11.2011 zu.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids die für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgeblichen Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze vollständig und zutreffend dargestellt. Das SG hat weiter zutreffend begründet, dass die Funktionsbeeinträchtigungen der rechten Hand und des linken Ellenbogengelenks jeweils einen Teil-GdB von 20 bedingen. Eine Höherbewertung der Teil-GdB komme auch mit Blick auf Schmerzzustände nicht in Betracht. Der Gesamt-GdB sei ab dem 21.12.2011 mit 30 festzustellen. Der Senat gelangt nach eigener Prüfung zum selben Ergebnis. Er nimmt zur Begründung seiner eigenen Entscheidung insoweit auf die Ausführungen des SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids Bezug, auf die er zur Vermeidung von Wiederholungen verweist (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend und im Hinblick auf das Berufungsverfahren bleibt auszuführen:

Im Hinblick auf das Begehren des Klägers, den GdB (wegen der Gebrauchseinschränkung der rechten Hand) rückwirkend seit 01.09.2003 festzustellen, sind bis 31.12.2008 die Anhaltspunkte für die ärztliche gutachterliche Tätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) heranzuziehen. Eine für die Entscheidung des Rechtsstreites des Klägers günstigere Entscheidung ergibt sich unter Anwendung der AHP nicht. Vielmehr haben die ab 01.01.2009 in Kraft getretenen VG die Bewertungsmaßstäbe der AHP für die Hand/Finger übernommen.

Neue Gesichtspunkte die eine dem Kläger günstigere Bewertung des GdB rechtfertigen, hat der Kläger im Berufungsverfahren nicht aufgezeigt. Er hat sein Widerspruchsvorbringen (wie im Klageverfahren) wiederholt und zur Begründung seiner Berufung ergänzend vorgetragen, aufgrund des seines Erachtens nicht aufgeklärten Sachverhaltes und der Tatsache, dass der Gerichtsbescheid teilweise rechtswidrig und auch teilweise offenbar der falsche Sachverhalt zugrunde gelegt worden sei, lege er gegen den Gerichtsbescheid Berufung ein. Auch die vom Senat im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen haben keine neuen Erkenntnisse zu Gunsten des Klägers erbracht.

Dass beim Kläger hinsichtlich der rechten Hand im streitigen Zeitraum bis zur Antragstellung des Klägers auf Feststellung des GdB auch für Teilzeiträume ein GdB von über 20 gerechtfertigt ist, konnte der Senat nicht feststellen. Für diesen Zeitraum liegen keine verlässlichen ärztlichen Unterlagen vor, die die Bewertung des GdB zuließen. Zwar entwickelte sich beim Kläger aufgrund der Handverletzung ein Morbus Sudeck (CRPS). Das konkrete Ausmaß wie auch der zeitliche Verlauf des Morbus Sudeck ist jedoch ärztlich nicht dokumentiert. Damit können wegen des Morbus Sudeck keine verlässlichen Feststellungen zur Höhe des GdB getroffen werden. Hierzu hat auch Dr. W. in der vom Senat eingeholten schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 30.09.2014 zu den von ihm erhobenen Befunden insbesondere hinsichtlich der rechten Hand bzw. eines außergewöhnlichen Schmerzsyndroms keine näheren Angaben gemacht. Er hat vielmehr über die von ihm in der Zeit vom 19.09.2012 bis 22.09.2014 erhobenen Befunde berichtet und unter anderem hinsichtlich der aktuellen Leiden des Klägers lediglich einen Zustand nach CRPS der rechten Hand diagnostiziert. Auch der vom Kläger im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 16.08.2014 vorgelegten Aufstellung lässt sich zum Ausmaß der Behinderung der rechten Hand nichts feststellbares entnehmen.

Weiter hat Dr. W. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 30.09.2014 davon berichtet, dass sich in den letzten Jahren die Beschwerden von Seiten der rechten Hand des Klägers gebessert haben. Die von Dr. W. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 30.09.2014 beschriebenen Befunde hinsichtlich des rechten Handgelenkes entsprechen den vom SG im angefochtenen Gerichtsbescheid berücksichtigten Einschränkungen und lassen eine Verschlimmerung nicht erkennen. Vielmehr bestanden nach der beschriebenen Anamnese vom 22.09.2014 von Seiten der rechten Hand über den Sommer kaum Probleme. Auf Schmerzmittel (Ibu 400) ist der Kläger nur selten bei Bedarf angewiesen. Am 22.09.2014 war die Handgelenksbewegung rechts frei und nur endgradig leicht schmerzhaft. Der Faustschluss war aktiv nicht möglich, passiv aber frei.

Nach den von Dr. W. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 30.09.2014 beschriebenen Befunden wie auch nach den sonst zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen erreicht der Behinderungszustand des Klägers hinsichtlich der rechten Hand keinen Teil-GdB von 30. Hierauf weist auch Dr. G. in der vom Beklagten vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 22.01.2015 überzeugend und zutreffend hin, der sich der Senat anschließt. Dass der Behinderungszustand der rechten Hand des Klägers mindestens dem Verlust von vier Fingern entspricht und als Vergleichsmaßstab heranzuziehen ist, wie der Kläger geltend gemacht, ist nicht der Fall. Die vom Senat festgestellte Funktionsfähigkeit der rechten Hand erreicht den Zustand, wie er dem Verlust von mindestens vier Fingern entspricht, nicht, sondern ist hiervon deutlich entfernt, wie das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend ausgeführt hat.

Hinsichtlich des linken Ellenbogengelenks hat das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend begründet, dass ein Teil-GdB von über 20 (nach den zuletzt festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen) nicht gerechtfertigt ist. Der aus der Diagnose einer Subluxationsstellung humeroulnar links (Befundbericht Dr. H. vom 02.02.2012) abgeleiteten Ansicht des Klägers, bei ihm liege einen Ellenbogen-Schlottergelenk vor, das nach den VG mit einem GdB von 40 zu bewerten sei, kann nicht gefolgt werden. Dass beim Kläger ein Ellenbogen-Schlottergelenk (= abnorm loses Gelenk, vgl. Pschyrembel) vorliegt, lässt sich allein aus der Diagnose einer Subluxationsstellung (= unvollständige Verrenkung, vgl. Pschyrembel) noch nicht ableiten. Der Facharzt für Chirurgie und Orthopädie Dr. W. hat in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 30.09.2014 das Vorliegen eines Ellenbogen-Schlottergelenkes nicht nennen können, sondern vielmehr hinsichtlich des Schweregrads der Leiden des Klägers nur eine Beugekontraktur (40°) des Ellenbogengelenks links genannt. Die Ansicht des Klägers entspricht zudem nicht den rechtlichen Vorgaben der VG. Nach den VG Teil B 18.13 ist der GdB bei einer isolierten Aufhebung der Unterarmdrehbeweglichkeit in günstiger Stellung (mittlere Pronationsstellung) mit 10, in ungünstiger Stellung mit 20, in extremer Supinationsstellung mit 30 und bei einem Ellenbogen-Schlottergelenk mit 40 zu bewerten. Eine relevante Aufhebung der Unterarmdrehbeweglichkeit besteht beim Kläger nach den von Dr. W. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 30.09.2014 dargestellten Befunde des Ellenbogengelenks links indes nicht. Vielmehr beschreibt Dr. W. die Unterarmdrehung auswärts/einwärts (Pronation/Supination) als normgerecht (90-0-90° bzw. 90-0-80°; Norm: 80/90 - 80/90°). Entsprechendes gilt für die von Dr. W. im Befundbericht vom 02.10.2012 sowie im Befundschein an das LRA vom 11.06.2013 beschriebenen Bewegungsmaße des linken Ellenbogengelenks. Auch in den sonst zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen wird allenfalls eine endgradige Einschränkung der Unterarmdrehung von 75-0-75° beschrieben (Befundbericht Dr. H. vom 02.02.2012). Danach erachtet auch der Senat hinsichtlich der Funktionsbehinderung des linken Ellenbogengelenks des Klägers ein Teil-GdB von 20 für ausreichend und angemessen.

Auch Dr. W. hat in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 09.01.2014 an das SG für die Gebrauchseinschränkung der rechten Hand den GdB auf etwas über 20 und für die Funktionsbehinderung des linken Ellenbogens den GdB auf etwas unter 20 eingeschätzt. Dass im Verlaufe des Rechtsstreites beim Kläger eine relevante Verschlimmerung eingetreten ist, konnte der Senat nicht feststellen. Vielmehr hat Dr. W. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 30.09.2014 über eine wesentliche Verschlimmerung nicht berichtet. Im Übrigen hat auch der Kläger eine wesentliche Verschlimmerung nicht geltend gemacht.

Sonstige mit einem Teil- oder Einzel-GdB zu berücksichtigende Gesundheitsstörungen, liegen beim Kläger nicht vor, und werden vom Kläger im Übrigen auch nicht geltend gemacht.

Hiervon ausgehend ist die Feststellung des Gesamt-GdB von über 30 seit 21.11.2011 und für die Zeit davor von über 20 nicht gerechtfertigt. Die Bemessung des Gesamt-GdB erfolgt nach § 69 Abs. 3 SGB IX. Danach ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. A Nr. 3 VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der AHP bzw. der VersMedV einschließlich der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP). Es ist also eine Prüfung vorzunehmen, wie die einzelnen Behinderungen sich zueinander verhalten und ob die Behinderungen in ihrer Gesamtheit ein Ausmaß erreichen, das die vom Kläger geltend gemachte Schwerbehinderung bedingt.

Ausgehend von einem Teil-GdB von jeweils 20 für die Funktionsbehinderung der rechten Hand sowie des linken Ellenbogengelenks ergibt sich für die oberen Extremitäten ein zeitlich gestaffelter Gesamt-GdB von 20 bzw. 30. Soweit der Beklagte den Gesamt-GdB von 30 bereits ab dem 21.11.2011 - und nicht später - festgestellt hat, wird der Kläger hierdurch nicht in seinen Rechten verletzt, weshalb es hierzu keiner Erwägungen durch den Senat bedarf. Ein höherer Gesamt-GdB, wie der Kläger geltend macht, ist nicht gerechtfertigt. Sonstige den Gesamt-GdB erhöhende Behinderungen liegen beim Kläger nicht vor. Eine Addition der Teil-GdB für die Funktionsbehinderung der rechten Hand und des linken Ellenbogengelenks wegen besonders nachteiliger Auswirkungen [VG Teil A 3 d) bb)] ist nach den Feststellungen des Senats nicht geboten. Zwar sind die rechte Hand sowie der linke Ellenbogen des Klägers als paarige Organe betroffen. Besonders nachteilige Auswirkungen hierdurch lassen sich den zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen jedoch nicht entnehmen. Insbesondere ergeben sich weder aus den Darlegungen des Klägers noch aus den aktenkundigen ärztlichen Befunden wechselseitige belastende Auswirkungen, z. B. in Form einer besonderen Beeinträchtigung der Kompensationsfähigkeit bei Funktionsstörungen paarige Organe. Auch Dr. W. geht in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage an das SG vom 09.01.2014 nicht davon aus, dass beim Kläger besonders nachteilige Auswirkungen vorliegen, die eine Addition der Teil-GdB Werte rechtfertigen. Vielmehr hatte Dr. W. - unter Berücksichtigung der erst später hinzugetretenen Funktionsbehinderung des linken Ellenbogengelenks - auf seinem Fachgebiet den GdB auf 30 eingeschätzt. Auch der Kläger selbst geht nicht davon aus, dass eine Addition der Teil-GdB-Werte gerechtfertigt ist, sondern macht auf der Grundlage seiner GdB-Einschätzungen (Funktionsbehinderung der rechten Hand GdB 40 und Funktionsbehinderung des linken Ellenbogens GdB 40) einen Gesamt-GdB von 60 geltend.

Es kommt nicht darauf an, ob der im Termin am 06.11.2015 vom Kläger gestellte Antrag, einen GdB von 40 (erst) ab dem 01.09.2003 festzustellen, bindend ist. Selbst wenn im Rahmen einer zulässigen Klageänderung (§ 99 Abs. 1 SGG) bzw. einer zulässigen Erweiterung des Klageantrages (§ 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG) zugunsten des Klägers davon ausgegangen wird, den Berufungsantrag sachdienlich dahin zu fassen, den GdB mit 40 bereits seit dem 09.08.2002 festzustellen, ändert dies nichts, da die materiell rechtlichen Voraussetzungen für die Feststellung des GdB über 20 für die Zeit bis 20.11.2011 beim Kläger nach dem oben Ausgeführten nicht vorliegen.

Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht nicht. Der Sachverhalt ist durch die vom SG sowie vom Senat durchgeführten Ermittlungen und die zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen vollständig aufgeklärt und vermitteln dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Der medizinische festgestellte Sachverhalt bietet die Basis für die alleine vom Senat vorzunehmende rechtliche Bewertung des GdB unter Einschluss der Bewertung der sich zwischen den einzelnen Erkrankungen und Funktionsbehinderungen ergebenden Überschneidungen und Wechselwirkungen. Der vom Kläger (im Klageverfahren) für erforderlich erachteten Frage an Dr. W. , wie sich die beiden Funktionsbeeinträchtigungen des rechten Hand und des linken Ellenbogens wechselseitig auswirkten, bedurfte es daher nicht, zumal dies bereits ausreichend geklärt ist. Auch sonst hat der Kläger keine Gesichtspunkte aufgezeigt, durch die sich der Senat zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen müsste.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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