Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 1 AS 3055/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 4450/15 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Verfahren L 3 AS 4449/15 ER-B und L 3 AS 4450/15 B werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
2. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 22. Oktober 2015 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt A., B., bewilligt.
3. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim teilweise aufgehoben: Der Antragsgegner wird durch einstweilige Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit vom 9. Oktober 2015 bis zum 6. Februar 2016, längstens jedoch bis zur Bestandskraft des Ablehnungsbescheids vom 30. Juli 2015 oder bis zu einer Ausreise der Antragstellerin aus dem Bundesgebiet, Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch in Höhe von 80 % des Regelbedarfs für Alleinstehende sowie des vollen Mehrbedarfs für Schwangere abzüglich etwa anrechenbaren Einkommens zu bewilligen.
4. Im Übrigen wird die Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen.
5. Der Antragsgegner erstattet der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens. Im Übrigen verbleibt es bei der Kostenregelung aus dem Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 22. Oktober 2015.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin (Ast.) begehrt mit ihrer Beschwerde im Eilverfahren Arbeitslosengeld II (Alg II) von dem Antragsgegner (Ag.), einer Gemeinsamen Einrichtung nach § 44b Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Für dieses Beschwerdeverfahren begehrt sie auch Prozesskostenhilfe (PKH). Ferner wendet sie sich gegen die Versagung von PKH in der ersten Instanz.
Die 1989 geborene Ast. ist Staatsbürgerin Rumäniens. Am 17.07.2015 beantragte sie bei dem Ag. Leistungen nach dem SGB II. Sie gab an, sie sei im Juni 2015 aus Spanien kommend nach Deutschland eingereist und arbeite in einem Bordell in der L.straße im Bezirk des Ag. als Prostituierte an allen Tagen der Woche von 11 Uhr morgens bis 3 Uhr nachts. Sie habe bereits in Spanien als Prostituierte gearbeitet und habe dort gehört, dass die Verdienstmöglichkeiten in Deutschland besser seien. Sie sei schwanger. Ferner gab sie an, zwei Tage vor der Antragstellung habe die Polizei sie in dem Bordell kontrolliert. Sie habe sich nunmehr in die Betreuung einer diakonischen Einrichtung begeben, weil sie ihre Tätigkeit aufgeben wolle.
Im weiteren Verlauf des Antragsverfahrens legte die Ast. eine Anmeldebestätigung für eine (eigene) Wohnung im Bezirk des Ag. vom 21.07.2015 vor, die ihr die diakonische Einrichtung vermittelt hatte. Ferner reichte sie die ärztliche Bescheinigung von Dr. H. vom 17.07.2015 ein, wonach sie sich in der 19. Schwangerschaftswoche befinde und der errechnete Entbindungstermin der 12.12.2015 sei. Die Polizei teilte dem Ag. am 27.07.2015 mit, es habe tatsächlich eine Kontrolle gegeben, jedoch sei die Ast. dabei nicht registriert worden.
Mit Bescheid vom 30.07.2015 lehnte der Ag. den Antrag ab. Die Ast. sei nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II vom Bezug von Alg II ausgeschlossen, da sie sich allein zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland aufhalte. Es habe nicht nachgewiesen werden können, dass ein Status als Arbeitnehmerin bestehe.
Am 19.08.2015 erhob die Ast. Widerspruch. Sie gab an, sie habe vom 01.06. bis zum 31.07.2015 als Prostituierte gearbeitet und diese Tätigkeit dann im Hinblick auf ihre Schwangerschaft aufgegeben. Ihre Tätigkeit sei dem zuständigen Finanzamt (FA) gemeldet worden. Hierzu legte sie ein Schreiben des FA vom 29.07.2015 vor, wonach die Bordelle die Abrechnungen nach dem "Düsseldorfer Modell" quartalsmäßig nachträglich einreichten. Ferner legte die Ast. eidesstattliche Versicherungen von sich und einer Bekannten, die ebenfalls in der L.straße gearbeitet hatte, über ihre Tätigkeit als Prostituierte vor. Die Ast. verwies darauf, dass sie ihren Lebensunterhalt mit Zuwendungen der diakonischen Einrichtung bestreite.
Der Ag. wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.08.2015 zurück. Er verwies auf die Mitteilungen der Polizei und des FA. Danach sei der Status als Arbeitnehmerin nach wie vor nicht nachgewiesen.
Die Ast. erhob Klage vor dem Sozialgericht (SG) Mannheim (S 1 AS 2663/15).
Ferner hat sie dort am 09.10.2015 um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht (S 1 AS 3055/15 ER). Sie hat vorgetragen, sie habe durch ihre Tätigkeit als Prostituierte den Status einer Arbeitnehmerin erworben und diese Arbeit schwangerschafts- und krankheitsbedingt aufgegeben. Sie hat mitgeteilt, das FA habe mit Schreiben vom 08.09.2015 bestätigt, dass das Bordell in der L.straße für Juni 2015 eine Steuerpauschale von EUR 75,00 für ihre – der Ast. – Tätigkeit abgeführt habe, was einer Tätigkeitsdauer von drei Tagen entspreche. Dieses Schreiben hatte sie ihrer Antragsschrift jedoch nicht beigefügt. Dies hat der Ag. mit Schriftsatz vom 20.10.2015 bemängelt. Diesen Schriftsatz hat das SG dem Vertreter der Ast. am 21.10.2015 per Telefax zur Kenntnis übermittelt.
Mit Beschluss vom 22.10.2015 hat das SG den Antrag und die ebenfalls begehrte Gewährung von PKH abgelehnt. Es fehle an dem notwendigen Anordnungsanspruch. Der Leistungsausschluss für Ausländer, die sich nur zur Arbeitsuche in Deutschland aufhalten dürften, sei auch für EU-Bürger zulässig. Voraussetzung sei jedoch (in jedem Falle), dass den Betroffenen überhaupt ein Aufenthaltsrecht in Deutschland zustehe. Dies sei hier nicht der Fall. Das allgemeine Aufenthaltsrecht der EU-Bürger bestehe nur, solange Sozialhilfeleistungen nicht unangemessen in Anspruch genommen würden. Ansonsten könne sich ein Aufenthaltsrecht nur aus dem Status als Arbeitnehmer oder Selbstständiger ergeben. Die Ast. sei jedoch nicht Arbeitnehmerin. Auch bestehe ein etwa erworbener Status als Arbeiternehmerin nicht fort, auch nicht vorübergehend. Dies setze voraus, dass der Unionsbürger von der Agentur für Arbeit bestätigt unfreiwillig arbeitslos geworden sei. Die Ast. habe zwar angegeben, als Prostituierte gearbeitet zu haben. Aus ihrem Hinweis, sie habe die Tätigkeit wegen ihrer Schwangerschaft aufgegeben, ergebe sich jedoch keine unfreiwillige Arbeitslosigkeit. Nach der Bescheinigung des behandelnden Frauenarztes beginne die achtwöchige Schutzfrist vor der Entbindung erst am 31.10.2015. Eine Gefährdung von Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung bis zu diesem Zeitpunkt sei nicht durch ärztliches Zeugnis belegt. Es komme daher nicht darauf an, ob sich die Ast. der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt habe.
Gegen diesen Beschluss hat die Ast. am 26.10.2015 zwei Beschwerden zum Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben, zum einen gegen die Ablehnung des Eilantrags (L 3 AS 4449/15 ER-B), zum anderen gegen die Versagung von PKH für die erste Instanz (L 3 AS 4450/15 B). Ferner sucht sie um PKH für die Beschwerde in dem Eilverfahren nach. Die Ast. legt eine Bescheinigung des Arztes Dr. H. vom 23.10.2015 vor, wonach dieser ein Beschäftigungsverbot als Prostituierte rückwirkend ab dem 07.07.2015 angeordnet hat. Ferner legt die Ast. die Bescheinigung des zuständigen FA vom 03.11.2015 vor, wonach das Bordell in der L.straße für Tätigkeiten der Ast. dort im Juli 2015 EUR 225,00 (neun Tagespauschalen zu EUR 25,00) entrichtet habe. In rechtlicher Hinsicht trägt die Ast. vor, aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 19.06.2014 (C-507/12) ergebe sich, dass die Eigenschaft als Arbeitnehmerin auch bei einer vorübergehenden Aufgabe der Beschäftigung wegen Schwangerschaft sowie einer gewissen Zeit nach der Entbindung bestehen bleibe.
Die Antragstellerin beantragt in den Beschwerdeverfahren,
den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 22. Oktober 2015 aufzuheben und - den Antragsgegner durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie Mehrbedarf für werdende Mütter nach der zwölften Schwangerschaftswoche nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ab Rechtshängigkeit zu gewähren, - ihr für das Verfahren erster Instanz Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten zu bewilligen, sowie ihr Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten für die Beschwerde gegen die Ablehnung des Eilantrags zu bewilligen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerden zurückzuweisen.
Hinsichtlich der Arbeitnehmereigenschaft verweist er darauf, dass die Ast. bei der von ihr angegebenen Polizeikontrolle nicht angetroffen worden sei.
Mit Schriftsatz vom 04.11.2015 trägt der Ag. vor, sein kommunaler Träger als Ausländerbehörde habe gegen die Ast. unter dem 22.09.2015 eine für sofort vollziehbar erklärte Ausreiseverfügung erlassen.
Hierzu teilt die Ast. unter dem 10.11.2015 mit, sie habe gegen die genannte Ausweisungsverfügung Widerspruch erhoben und beabsichtige, nach Einsicht in die Akten der Ausländerbehörde einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung vor dem zuständigen Verwaltungsgericht zu stellen. Sie legt ferner eine Kopie der genannten Verfügung vor, die auf den 02.09.2015 datiert.
II.
1. Die beiden Beschwerden gegen die Ablehnung des Eilantrags und gegen die Versagung von PKH durch das SG verbindet der Senat in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur gemeinsamen Entscheidung.
2. Auf die Beschwerde in der Eilsache war der Beschluss des SG abzuändern. Der Ag. war durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, der Ast. die begehrten Leistungen - Regelbedarf und Schwangerenmehrbedarf nach §§ 20 Abs. 1, 21 Abs. 2 SGB II - zu gewähren, der Regelbedarf jedoch auf 80 % vermindert. Einen Bedarf für Unterkunft und Heizung (§ 22 Abs. 1 SGB II) hat die Ast. ausdrücklich nicht geltend gemacht, sodass Leistungen dafür nicht zuzusprechen waren. Diese Verpflichtungen waren bis zum 06.02.2016 auszusprechen.
a) Die rechtlichen Voraussetzungen für eine einstweilige Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Sätze 2 bis 4 SGG hat das SG in dem angegriffenen Beschluss zutreffend dargelegt, darauf wird in entsprechender Anwendung von § 153 Abs. 2 SGG verwiesen. In gleicher Weise tritt der Senat den Erwägungen des SG bei, dass der Anspruchsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auch für EU-Ausländer erst recht gilt, wenn nicht nur allein ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche besteht, sondern überhaupt kein Aufenthaltsrecht mehr (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 28.11.2014, L 12 AS 3227/14, Juris Rn. 33 ff.). Diese Auslegung hat der EuGH in dem auch vom SG genannten Urteil vom 15.09.2015 (C-67/14, Rs. Alimanovic, Juris Rn. 49) für europarechtskonform erklärt, dem schließt sich der Senat an.
b) Der Senat bejaht hier jedoch anders als das SG den nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG notwendigen Anordnungsanspruch der Ast., am Ende auf Grund einer Folgenabwägung:
aa) Zunächst kann der Senat - anders als das SG - bei der hier gebotenen summarischen Prüfung nicht ausschließen, dass der Ast. bis zum 31.01.2016 bereits nach den allgemeinen Regelungen ein Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs. 3 Satz 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) zusteht:
Es erscheint überwiegend wahrscheinlich, wenn auch nicht nachgewiesen, dass die Ast. im Juni und Juli in dem Bordell in der L.straße gearbeitet hat. Ihre eigene Angabe, sie habe sechs Tage die Woche bis zu 16 Stunden gearbeitet, ist bislang nicht widerlegt. Mindestens hat die Ast. im Juni 2015 an drei und im Juli 2015 an neun Tagen gearbeitet: Die Bescheinigung über die Abführung der steuerrechtlichen Tagespauschalen durch den Bordellbetreiber für Juli hat die Ast. im Beschwerdeverfahren vorgelegt. Die entsprechende Bescheinigung für Juni hat sie zwar - in erster Instanz - nur behauptet, aber nicht vorgelegt. Der Senat hat jedoch keinen Anlass, an ihrem Vortrag zu zweifeln, dass diese Bestätigung existiert. Für die Tätigkeit der Ast. sprechen ferner die bei der Akte des Ag. befindlichen e-mails der diakonischen Beratungsstelle. Diese sowie die eidesstattlichen Versicherungen der Ast. selbst und einer ihrer Bekannten reichen als Mittel der Glaubhaftmachung (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG, §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung [ZPO]). Gegen das glaubhaft gemachte Vorbringen der Ast. spricht zurzeit - nur -, dass die Ast. bei der von ihr selbst angegebenen Polizeikontrolle nicht in dem Bordell angetroffen worden war. Dies wiegt jedoch bei der Entscheidung über die überwiegende Wahrscheinlichkeit weniger schwer, weil es kaum nachvollziehbar wäre, dass für die Ast. Steuerpauschalen gezahlt worden sind, wenn sie in dem Bordell tatsächlich gar nicht tätig war.
Diese - überwiegend wahrscheinliche - Tätigkeit war eher als selbstständige Tätigkeit (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU) einzustufen denn als Beschäftigung, also als Tätigkeit als Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU. Für eine selbstständige Tätigkeit spricht die Teilnahme am "Düsseldorfer Verfahren" der Steuerverwaltung, das eine pauschale Zahlung von Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer umfasst. Als Arbeitnehmerin hätte die Ast. z.B. eine Lohnsteuerkarte führen müssen. Dieser Punkt ist für die Entscheidung jedoch irrelevant, denn nach § 2 Abs. 3 Sätze 1 und 2 FreizügG/EU besteht das Aufenthaltsrecht in beiden Fällen, also für Selbstständige und für Arbeitnehmer, fort, wenn sie unfreiwillig arbeitslos geworden sind.
Sofern eine Beschäftigung angenommen wird, erfüllt diese auch die weiteren Anforderungen der Rechtsprechung des EuGH an den Erwerb des Arbeitnehmerstatus. Der Begriff des Arbeitnehmers ist ein Begriff des Gemeinschaftsrechts, der nicht eng auszulegen ist. Arbeitnehmer ist jeder, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen (Urt. v. 08.06.1999, C-337/97, Rs. Meeusen, Juris Rn. 13). Hiernach reichen Tätigkeiten von 10 bis 12 Stunden pro Woche aus (Urt. v. 14.12.1995, C-444/93, Megner, Juris Rn. 18). Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht vielmehr darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Diese Vergütung muss nicht existenzsichernd sein, es reicht aus, dass sie einen wesentlichen Teil der Existenzsicherung erbringt (EuGH, Rs. Megner, a.a.O.).
Nach diesen Maßstäben wäre in jedem Falle von einer Tätigkeit als Arbeitnehmer auszugehen, wenn die Beschäftigungszeiten zutreffen, die die Ast. selbst angegeben hat. Aber selbst die Zeiten allein, die durch die Bescheinigungen des FA mit erhöhter Wahrscheinlichkeit anzunehmen sind, reichen ggfs. aus. Sie wären zwar als zeitlich geringfügig einzustufen, jedoch ist es überwiegend wahrscheinlich, dass die Ast. weitgehend von den Einnahmen aus dieser Tätigkeit gelebt hat, denn andere Einkünfte sind nicht ersichtlich. Dass die Ast. eventuell - nur - Naturalleistungen von dem Inhaber des Bordells erhalten hat, schließt die Arbeitnehmereigenschaft nicht aus; der Lohn muss nicht in Geld bestehen.
Es lässt sich ferner nicht ausschließen, dass die Tätigkeit der Ast. legal war. Als Rumänin bedurfte sie seit dem Erreichen der vollen Freizügigkeit Anfang 2014 keiner Arbeitserlaubnis der Bundesagentur für Arbeit mehr (vgl. heute § 13 FreizügG/EU n.F.). Eine Tätigkeit als Prostituierte ist nicht verboten, vielmehr bestehen sogar Privilegien, z.B. bei der Anmeldung zur Sozialversicherung (vgl. § 3 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten [ProstG]) und bei der steuerlichen Veranlagung, wie hier. Der Senat vermag sich auch nicht der Erwägung der Ausländerbehörde in der Verfügung vom 02.09.2015 anschließen, die Tätigkeit der Ast. sei als "Zwangsprostitution" einzustufen und könne daher den Arbeitnehmerstatus nicht begründen. Dies steht nicht fest, die Abführung der Steuerpauschalen durch den Bordellbetreiber spricht eher gegen eine illegale Tätigkeit.
Wenn also die Ast. im Juni und Juli für wenige Tage - und damit für weniger als 1 Jahr - Arbeitnehmerin oder Selbstständige war, so bleibt ihr dieser Status gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Satz 3 FreizügG/EU für sechs Monate, also bis zum 31.01.2016, erhalten, wenn sie die Arbeit unfreiwillig verloren hat. Diesen Punkt bejaht der Senat. Der behandelnde Frauenarzt hat rückwirkend ein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 des Gesetzes zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (MuSchG) festgestellt. Auch wenn dieses Verbot mutterschutzrechtlich nicht rückwirkend gilt ("nach ärztlichem Zeugnis"), so meint der Senat gleichwohl, dass die Ast. ihre Tätigkeit als Prostituierte wegen der Schwangerschaft unfreiwillig aufgegeben hat. Es ist davon auszugehen, dass mehrere der - ohne ärztliche Bescheinigung zu beachtenden - Beschäftigungsverbote des § 4 MuSchG vorlagen. Im Übrigen hält der Senat die weitere Ausübung der Prostitution bei einer Schwangerschaft für unzumutbar. Dieselben Erwägungen gelten auch für die Frage, ob die Entstehung der Schwangerschaft selbst als freiwillig gesetzte Ursache für die spätere Aufgabe der Tätigkeit angesehen werden kann.
Der Senat muss nicht klären, ob sich die Ast. im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 FreizügG/EU der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt hat. Als Agentur für Arbeit im Sinne jener Vorschrift wäre jedenfalls auch der Ag. einzustufen, bei dem sich die Ast. gemeldet hat. Im Übrigen besteht der Status als Arbeitnehmer bei Schwangeren auch dann fort, wenn sie sich - wegen der Schwangerschaft - nicht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stellen können (EuGH, Urt. v. 19.06.2014, a.a.O.).
bb) Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass der Ast. auf Grund besonderer Umstände über den 31.01.2016 hinaus ein Aufenthaltsrecht zustehen wird, und zwar bis zum 06.02.2016. Die Eigenschaft als Erwerbstätige einer EU-Bürgerin bleibt auch nach der Geburt eines Kindes für weitere 8 Wochen erhalten. Dies ergibt sich aus der Entscheidung des EuGH vom 19.06.2014 (Rs. Saint Prix, Juris Rn. 41 m.w.N.), wonach Frauen nach der Niederkunft die Erwerbstätigeneigenschaft nicht abgesprochen werden kann, sofern sie innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens ihre bisherige Beschäftigung wieder aufnehmen oder eine andere Beschäftigung finden. Die Bemessung dieses Zeitrahmens bestimmt sich dabei nach den für die Dauer des Mutterschaftsurlaubs geltenden nationalen Vorschriften, d.h. vorliegend nach § 6 Abs. 1 MuSchG, der ein Beschäftigungsverbot für 8 Wochen nach der Entbindung vorsieht. Ausgehend von einem voraussichtlichen Entbindungstermin am 12.12.2015 bleibt der Ast. die Erwerbstätigeneigenschaft daher bis zum 06.02.2016 erhalten.
cc) Dieses mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bis zum 06.02.2016 bestehende fortwirkende Aufenthaltsreche der Ast. ist nicht auf Grund der Verfügung der Ausländerbehörde vom 02.09.2015 erloschen, mit der ein Verlust des Aufenthaltsrechts festgestellt und die Ast. ausgewiesen worden ist. Zumindest hindert diese Verfügung - die noch vor Stellung des Eilantrags bei dem SG ergangen ist - den Senat nicht, im Rahmen dieses sozialgerichtlichen Eilverfahrens Leistungen zuzusprechen:
Die Verfügung ist noch nicht bestandskräftig, denn die Ast. hat sie mit Widerspruch angefochten. Mindestens vor der Bestandskraft kann der Verfügung keine Tatbestandswirkung für ein Verfahren in einer anderen Gerichtsbarkeit zukommen. Zumindest jetzt kann der Senat noch eigenständig über das Aufenthaltsrecht der Ast. entscheiden, wobei - wie ausgeführt - der Senat im Falle der Klägerin ein solches Recht nur nicht ausschließt.
Auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]) in der genannten Verfügung führt nicht dazu, dass der Aufenthalt der Ast. in Deutschland bereits jetzt als illegal einzustufen wäre. Eine solche verfahrensrechtliche Anordnung hat keinen Einfluss auf die materielle Rechtslage, das Aufenthaltsrecht eines EU-Bürgers hängt rechtlich nicht davon ab, ob er ausgewiesen ist oder gar abgeschoben wird. Außerdem ist hier eine verfahrensrechtliche Privilegierung zu beachten: Zwar hat der Widerspruch der Ast. keine aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 1 VwGO, jedoch muss die Ast. andererseits auch nicht eine positive Entscheidung des zuständigen Verwaltungsgerichts nach § 80 Abs. 5 VwGO erstreiten, um vorläufig in Deutschland bleiben zu können: § 7 Abs. 1 Satz 4 FreizügG/EU bestimmt, dass dann, wenn ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt wird, eine Abschiebung nicht erfolgen darf, bevor über diesen Antrag (negativ) entschieden worden ist. Die Ast. hat mit Schriftsatz vom 10.11.2015 mitgeteilt, dass sie einen solchen Antrag unverzüglich nach Akteneinsicht bei der Ausländerbehörde stellen wird.
dd) Da der Senat, wie ausgeführt, nicht abschließend einen Anordnungsanspruch der Ast. auf Alg II ausschließen kann, ist hier an Hand einer Folgenabwägung zu entscheiden (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschl. v. 12.05.2005, 1 BvR 569/05, Juris). Zu beachten ist dabei, dass die begehrten Leistungen der Grundsicherung der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen, was bereits nach Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) Pflicht des Staates ist (BVerfG, a.a.O.). Bei der Ast. dieses Verfahrens kommen die Schwangerschaft und der bevorstehende Entbindungstermin am 12.12.2015 als Belange hinzu. Vor diesem Hintergrund erscheint es in Abwägung dieses Interesses mit dem Interesse des Ag., der eine eventuelle spätere Rückforderung vermutlich nicht wird durchsetzen können, angemessen, der Ast. Leistungen zuzusprechen.
ee) Jedoch ist unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze die vorläufig zuzusprechende Leistung auf 80 % zu beschränken. Damit wird der Antragstellerin jedenfalls das zum Lebensunterhalt Unerlässliche zur Verfügung gestellt, während gleichzeitig die Belastung des Ag. reduziert wird (LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 06.10.2014, L 7 AS 3951/14 ER-B). Eine solche Absenkung - sogar bis auf 70 % - verletzt nicht das grundrechtlich geschützte Existenzminimum der Ast., wie die Höhe der existenzsichernden Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) oder bei einer Absenkung nach § 31a SGB II zeigt. Ferner ist zu berücksichtigen, dass in den Leistungen Ansparbeträge enthalten sind, die nicht zur unmittelbaren Existenzsicherung erforderlich sind. Diese Erwägungen gelten nach Ansicht des Senats allerdings nicht für den Mehrbedarf nach § 21 Abs. 2 SGB II, der mittelbar Auswirkungen auf das ungeborene Kind hat.
c) Ein Anordnungsgrund nach § 86b Abs. 2 SGG, also die notwendige Eilbedürftigkeit, liegt vor. Dies gilt zumindest für die Zeit ab Rechtshängigkeit des Eilantrags, also die Einreichung bei dem SG. Auf diesen Zeitpunkt hat die Ast. ihren Antrag auch beschränkt.
d) Wie bereits ausgeführt, würde ein eventuelles fortbestehendes Aufenthaltsrecht der Ast. auf Grund der kurzzeitigen Tätigkeit als Selbstständige oder Arbeitnehmerin und als Mutter 8 Wochen nach der Geburt ihres Kindes, also am 06.02.2016, erlöschen. Daher war die Geltungsdauer dieser einstweiligen Anordnung auf diesen Zeitraum zu befristen. Sofern der Anordnungsanspruch vorher endet, kann der Ag. die ausgeführten Leistungen ebenfalls einstellen.
3. Die Beschwerde der Ast. wegen der Ablehnung der PKH in erster Instanz weist der Senat jedoch zurück. Das SG durfte nach § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO die hinreichenden Erfolgsaussichten verneinen. Zum Zeitpunkt seiner Entscheidung lagen weder die ärztliche Bescheinigung vom 23.10.2015 noch die Bestätigung des FA für Juli vom 03.11.2015 vor, daher konnte davon ausgegangen werden, dass zu jenem Zeitpunkt noch keine ausreichende Glaubhaftmachung vorlag.
4. Für das Beschwerdeverfahren war dagegen PKH zu bewilligen. Die Ast. ist bedürftig, wie sich ohne Weiteres aus dem Verfahren ergibt. Erfolgsaussichten waren nicht zu verneinen, nachdem die genannten Unterlagen eingereicht worden waren.
5. Die Entscheidung über die Kostenerstattung durch den Ag. beruht auf § 193 SGG und folgt den Erwägungen unter Nrn. 3 und 4.
6. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG). Er kann entsprechend § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG jederzeit geändert oder aufgehoben werden.
2. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 22. Oktober 2015 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt A., B., bewilligt.
3. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim teilweise aufgehoben: Der Antragsgegner wird durch einstweilige Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit vom 9. Oktober 2015 bis zum 6. Februar 2016, längstens jedoch bis zur Bestandskraft des Ablehnungsbescheids vom 30. Juli 2015 oder bis zu einer Ausreise der Antragstellerin aus dem Bundesgebiet, Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch in Höhe von 80 % des Regelbedarfs für Alleinstehende sowie des vollen Mehrbedarfs für Schwangere abzüglich etwa anrechenbaren Einkommens zu bewilligen.
4. Im Übrigen wird die Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen.
5. Der Antragsgegner erstattet der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens. Im Übrigen verbleibt es bei der Kostenregelung aus dem Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 22. Oktober 2015.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin (Ast.) begehrt mit ihrer Beschwerde im Eilverfahren Arbeitslosengeld II (Alg II) von dem Antragsgegner (Ag.), einer Gemeinsamen Einrichtung nach § 44b Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Für dieses Beschwerdeverfahren begehrt sie auch Prozesskostenhilfe (PKH). Ferner wendet sie sich gegen die Versagung von PKH in der ersten Instanz.
Die 1989 geborene Ast. ist Staatsbürgerin Rumäniens. Am 17.07.2015 beantragte sie bei dem Ag. Leistungen nach dem SGB II. Sie gab an, sie sei im Juni 2015 aus Spanien kommend nach Deutschland eingereist und arbeite in einem Bordell in der L.straße im Bezirk des Ag. als Prostituierte an allen Tagen der Woche von 11 Uhr morgens bis 3 Uhr nachts. Sie habe bereits in Spanien als Prostituierte gearbeitet und habe dort gehört, dass die Verdienstmöglichkeiten in Deutschland besser seien. Sie sei schwanger. Ferner gab sie an, zwei Tage vor der Antragstellung habe die Polizei sie in dem Bordell kontrolliert. Sie habe sich nunmehr in die Betreuung einer diakonischen Einrichtung begeben, weil sie ihre Tätigkeit aufgeben wolle.
Im weiteren Verlauf des Antragsverfahrens legte die Ast. eine Anmeldebestätigung für eine (eigene) Wohnung im Bezirk des Ag. vom 21.07.2015 vor, die ihr die diakonische Einrichtung vermittelt hatte. Ferner reichte sie die ärztliche Bescheinigung von Dr. H. vom 17.07.2015 ein, wonach sie sich in der 19. Schwangerschaftswoche befinde und der errechnete Entbindungstermin der 12.12.2015 sei. Die Polizei teilte dem Ag. am 27.07.2015 mit, es habe tatsächlich eine Kontrolle gegeben, jedoch sei die Ast. dabei nicht registriert worden.
Mit Bescheid vom 30.07.2015 lehnte der Ag. den Antrag ab. Die Ast. sei nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II vom Bezug von Alg II ausgeschlossen, da sie sich allein zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland aufhalte. Es habe nicht nachgewiesen werden können, dass ein Status als Arbeitnehmerin bestehe.
Am 19.08.2015 erhob die Ast. Widerspruch. Sie gab an, sie habe vom 01.06. bis zum 31.07.2015 als Prostituierte gearbeitet und diese Tätigkeit dann im Hinblick auf ihre Schwangerschaft aufgegeben. Ihre Tätigkeit sei dem zuständigen Finanzamt (FA) gemeldet worden. Hierzu legte sie ein Schreiben des FA vom 29.07.2015 vor, wonach die Bordelle die Abrechnungen nach dem "Düsseldorfer Modell" quartalsmäßig nachträglich einreichten. Ferner legte die Ast. eidesstattliche Versicherungen von sich und einer Bekannten, die ebenfalls in der L.straße gearbeitet hatte, über ihre Tätigkeit als Prostituierte vor. Die Ast. verwies darauf, dass sie ihren Lebensunterhalt mit Zuwendungen der diakonischen Einrichtung bestreite.
Der Ag. wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.08.2015 zurück. Er verwies auf die Mitteilungen der Polizei und des FA. Danach sei der Status als Arbeitnehmerin nach wie vor nicht nachgewiesen.
Die Ast. erhob Klage vor dem Sozialgericht (SG) Mannheim (S 1 AS 2663/15).
Ferner hat sie dort am 09.10.2015 um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht (S 1 AS 3055/15 ER). Sie hat vorgetragen, sie habe durch ihre Tätigkeit als Prostituierte den Status einer Arbeitnehmerin erworben und diese Arbeit schwangerschafts- und krankheitsbedingt aufgegeben. Sie hat mitgeteilt, das FA habe mit Schreiben vom 08.09.2015 bestätigt, dass das Bordell in der L.straße für Juni 2015 eine Steuerpauschale von EUR 75,00 für ihre – der Ast. – Tätigkeit abgeführt habe, was einer Tätigkeitsdauer von drei Tagen entspreche. Dieses Schreiben hatte sie ihrer Antragsschrift jedoch nicht beigefügt. Dies hat der Ag. mit Schriftsatz vom 20.10.2015 bemängelt. Diesen Schriftsatz hat das SG dem Vertreter der Ast. am 21.10.2015 per Telefax zur Kenntnis übermittelt.
Mit Beschluss vom 22.10.2015 hat das SG den Antrag und die ebenfalls begehrte Gewährung von PKH abgelehnt. Es fehle an dem notwendigen Anordnungsanspruch. Der Leistungsausschluss für Ausländer, die sich nur zur Arbeitsuche in Deutschland aufhalten dürften, sei auch für EU-Bürger zulässig. Voraussetzung sei jedoch (in jedem Falle), dass den Betroffenen überhaupt ein Aufenthaltsrecht in Deutschland zustehe. Dies sei hier nicht der Fall. Das allgemeine Aufenthaltsrecht der EU-Bürger bestehe nur, solange Sozialhilfeleistungen nicht unangemessen in Anspruch genommen würden. Ansonsten könne sich ein Aufenthaltsrecht nur aus dem Status als Arbeitnehmer oder Selbstständiger ergeben. Die Ast. sei jedoch nicht Arbeitnehmerin. Auch bestehe ein etwa erworbener Status als Arbeiternehmerin nicht fort, auch nicht vorübergehend. Dies setze voraus, dass der Unionsbürger von der Agentur für Arbeit bestätigt unfreiwillig arbeitslos geworden sei. Die Ast. habe zwar angegeben, als Prostituierte gearbeitet zu haben. Aus ihrem Hinweis, sie habe die Tätigkeit wegen ihrer Schwangerschaft aufgegeben, ergebe sich jedoch keine unfreiwillige Arbeitslosigkeit. Nach der Bescheinigung des behandelnden Frauenarztes beginne die achtwöchige Schutzfrist vor der Entbindung erst am 31.10.2015. Eine Gefährdung von Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung bis zu diesem Zeitpunkt sei nicht durch ärztliches Zeugnis belegt. Es komme daher nicht darauf an, ob sich die Ast. der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt habe.
Gegen diesen Beschluss hat die Ast. am 26.10.2015 zwei Beschwerden zum Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben, zum einen gegen die Ablehnung des Eilantrags (L 3 AS 4449/15 ER-B), zum anderen gegen die Versagung von PKH für die erste Instanz (L 3 AS 4450/15 B). Ferner sucht sie um PKH für die Beschwerde in dem Eilverfahren nach. Die Ast. legt eine Bescheinigung des Arztes Dr. H. vom 23.10.2015 vor, wonach dieser ein Beschäftigungsverbot als Prostituierte rückwirkend ab dem 07.07.2015 angeordnet hat. Ferner legt die Ast. die Bescheinigung des zuständigen FA vom 03.11.2015 vor, wonach das Bordell in der L.straße für Tätigkeiten der Ast. dort im Juli 2015 EUR 225,00 (neun Tagespauschalen zu EUR 25,00) entrichtet habe. In rechtlicher Hinsicht trägt die Ast. vor, aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 19.06.2014 (C-507/12) ergebe sich, dass die Eigenschaft als Arbeitnehmerin auch bei einer vorübergehenden Aufgabe der Beschäftigung wegen Schwangerschaft sowie einer gewissen Zeit nach der Entbindung bestehen bleibe.
Die Antragstellerin beantragt in den Beschwerdeverfahren,
den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 22. Oktober 2015 aufzuheben und - den Antragsgegner durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie Mehrbedarf für werdende Mütter nach der zwölften Schwangerschaftswoche nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ab Rechtshängigkeit zu gewähren, - ihr für das Verfahren erster Instanz Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten zu bewilligen, sowie ihr Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten für die Beschwerde gegen die Ablehnung des Eilantrags zu bewilligen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerden zurückzuweisen.
Hinsichtlich der Arbeitnehmereigenschaft verweist er darauf, dass die Ast. bei der von ihr angegebenen Polizeikontrolle nicht angetroffen worden sei.
Mit Schriftsatz vom 04.11.2015 trägt der Ag. vor, sein kommunaler Träger als Ausländerbehörde habe gegen die Ast. unter dem 22.09.2015 eine für sofort vollziehbar erklärte Ausreiseverfügung erlassen.
Hierzu teilt die Ast. unter dem 10.11.2015 mit, sie habe gegen die genannte Ausweisungsverfügung Widerspruch erhoben und beabsichtige, nach Einsicht in die Akten der Ausländerbehörde einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung vor dem zuständigen Verwaltungsgericht zu stellen. Sie legt ferner eine Kopie der genannten Verfügung vor, die auf den 02.09.2015 datiert.
II.
1. Die beiden Beschwerden gegen die Ablehnung des Eilantrags und gegen die Versagung von PKH durch das SG verbindet der Senat in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur gemeinsamen Entscheidung.
2. Auf die Beschwerde in der Eilsache war der Beschluss des SG abzuändern. Der Ag. war durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, der Ast. die begehrten Leistungen - Regelbedarf und Schwangerenmehrbedarf nach §§ 20 Abs. 1, 21 Abs. 2 SGB II - zu gewähren, der Regelbedarf jedoch auf 80 % vermindert. Einen Bedarf für Unterkunft und Heizung (§ 22 Abs. 1 SGB II) hat die Ast. ausdrücklich nicht geltend gemacht, sodass Leistungen dafür nicht zuzusprechen waren. Diese Verpflichtungen waren bis zum 06.02.2016 auszusprechen.
a) Die rechtlichen Voraussetzungen für eine einstweilige Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Sätze 2 bis 4 SGG hat das SG in dem angegriffenen Beschluss zutreffend dargelegt, darauf wird in entsprechender Anwendung von § 153 Abs. 2 SGG verwiesen. In gleicher Weise tritt der Senat den Erwägungen des SG bei, dass der Anspruchsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auch für EU-Ausländer erst recht gilt, wenn nicht nur allein ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche besteht, sondern überhaupt kein Aufenthaltsrecht mehr (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 28.11.2014, L 12 AS 3227/14, Juris Rn. 33 ff.). Diese Auslegung hat der EuGH in dem auch vom SG genannten Urteil vom 15.09.2015 (C-67/14, Rs. Alimanovic, Juris Rn. 49) für europarechtskonform erklärt, dem schließt sich der Senat an.
b) Der Senat bejaht hier jedoch anders als das SG den nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG notwendigen Anordnungsanspruch der Ast., am Ende auf Grund einer Folgenabwägung:
aa) Zunächst kann der Senat - anders als das SG - bei der hier gebotenen summarischen Prüfung nicht ausschließen, dass der Ast. bis zum 31.01.2016 bereits nach den allgemeinen Regelungen ein Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs. 3 Satz 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) zusteht:
Es erscheint überwiegend wahrscheinlich, wenn auch nicht nachgewiesen, dass die Ast. im Juni und Juli in dem Bordell in der L.straße gearbeitet hat. Ihre eigene Angabe, sie habe sechs Tage die Woche bis zu 16 Stunden gearbeitet, ist bislang nicht widerlegt. Mindestens hat die Ast. im Juni 2015 an drei und im Juli 2015 an neun Tagen gearbeitet: Die Bescheinigung über die Abführung der steuerrechtlichen Tagespauschalen durch den Bordellbetreiber für Juli hat die Ast. im Beschwerdeverfahren vorgelegt. Die entsprechende Bescheinigung für Juni hat sie zwar - in erster Instanz - nur behauptet, aber nicht vorgelegt. Der Senat hat jedoch keinen Anlass, an ihrem Vortrag zu zweifeln, dass diese Bestätigung existiert. Für die Tätigkeit der Ast. sprechen ferner die bei der Akte des Ag. befindlichen e-mails der diakonischen Beratungsstelle. Diese sowie die eidesstattlichen Versicherungen der Ast. selbst und einer ihrer Bekannten reichen als Mittel der Glaubhaftmachung (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG, §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung [ZPO]). Gegen das glaubhaft gemachte Vorbringen der Ast. spricht zurzeit - nur -, dass die Ast. bei der von ihr selbst angegebenen Polizeikontrolle nicht in dem Bordell angetroffen worden war. Dies wiegt jedoch bei der Entscheidung über die überwiegende Wahrscheinlichkeit weniger schwer, weil es kaum nachvollziehbar wäre, dass für die Ast. Steuerpauschalen gezahlt worden sind, wenn sie in dem Bordell tatsächlich gar nicht tätig war.
Diese - überwiegend wahrscheinliche - Tätigkeit war eher als selbstständige Tätigkeit (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU) einzustufen denn als Beschäftigung, also als Tätigkeit als Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU. Für eine selbstständige Tätigkeit spricht die Teilnahme am "Düsseldorfer Verfahren" der Steuerverwaltung, das eine pauschale Zahlung von Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer umfasst. Als Arbeitnehmerin hätte die Ast. z.B. eine Lohnsteuerkarte führen müssen. Dieser Punkt ist für die Entscheidung jedoch irrelevant, denn nach § 2 Abs. 3 Sätze 1 und 2 FreizügG/EU besteht das Aufenthaltsrecht in beiden Fällen, also für Selbstständige und für Arbeitnehmer, fort, wenn sie unfreiwillig arbeitslos geworden sind.
Sofern eine Beschäftigung angenommen wird, erfüllt diese auch die weiteren Anforderungen der Rechtsprechung des EuGH an den Erwerb des Arbeitnehmerstatus. Der Begriff des Arbeitnehmers ist ein Begriff des Gemeinschaftsrechts, der nicht eng auszulegen ist. Arbeitnehmer ist jeder, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen (Urt. v. 08.06.1999, C-337/97, Rs. Meeusen, Juris Rn. 13). Hiernach reichen Tätigkeiten von 10 bis 12 Stunden pro Woche aus (Urt. v. 14.12.1995, C-444/93, Megner, Juris Rn. 18). Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht vielmehr darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Diese Vergütung muss nicht existenzsichernd sein, es reicht aus, dass sie einen wesentlichen Teil der Existenzsicherung erbringt (EuGH, Rs. Megner, a.a.O.).
Nach diesen Maßstäben wäre in jedem Falle von einer Tätigkeit als Arbeitnehmer auszugehen, wenn die Beschäftigungszeiten zutreffen, die die Ast. selbst angegeben hat. Aber selbst die Zeiten allein, die durch die Bescheinigungen des FA mit erhöhter Wahrscheinlichkeit anzunehmen sind, reichen ggfs. aus. Sie wären zwar als zeitlich geringfügig einzustufen, jedoch ist es überwiegend wahrscheinlich, dass die Ast. weitgehend von den Einnahmen aus dieser Tätigkeit gelebt hat, denn andere Einkünfte sind nicht ersichtlich. Dass die Ast. eventuell - nur - Naturalleistungen von dem Inhaber des Bordells erhalten hat, schließt die Arbeitnehmereigenschaft nicht aus; der Lohn muss nicht in Geld bestehen.
Es lässt sich ferner nicht ausschließen, dass die Tätigkeit der Ast. legal war. Als Rumänin bedurfte sie seit dem Erreichen der vollen Freizügigkeit Anfang 2014 keiner Arbeitserlaubnis der Bundesagentur für Arbeit mehr (vgl. heute § 13 FreizügG/EU n.F.). Eine Tätigkeit als Prostituierte ist nicht verboten, vielmehr bestehen sogar Privilegien, z.B. bei der Anmeldung zur Sozialversicherung (vgl. § 3 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten [ProstG]) und bei der steuerlichen Veranlagung, wie hier. Der Senat vermag sich auch nicht der Erwägung der Ausländerbehörde in der Verfügung vom 02.09.2015 anschließen, die Tätigkeit der Ast. sei als "Zwangsprostitution" einzustufen und könne daher den Arbeitnehmerstatus nicht begründen. Dies steht nicht fest, die Abführung der Steuerpauschalen durch den Bordellbetreiber spricht eher gegen eine illegale Tätigkeit.
Wenn also die Ast. im Juni und Juli für wenige Tage - und damit für weniger als 1 Jahr - Arbeitnehmerin oder Selbstständige war, so bleibt ihr dieser Status gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Satz 3 FreizügG/EU für sechs Monate, also bis zum 31.01.2016, erhalten, wenn sie die Arbeit unfreiwillig verloren hat. Diesen Punkt bejaht der Senat. Der behandelnde Frauenarzt hat rückwirkend ein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 des Gesetzes zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (MuSchG) festgestellt. Auch wenn dieses Verbot mutterschutzrechtlich nicht rückwirkend gilt ("nach ärztlichem Zeugnis"), so meint der Senat gleichwohl, dass die Ast. ihre Tätigkeit als Prostituierte wegen der Schwangerschaft unfreiwillig aufgegeben hat. Es ist davon auszugehen, dass mehrere der - ohne ärztliche Bescheinigung zu beachtenden - Beschäftigungsverbote des § 4 MuSchG vorlagen. Im Übrigen hält der Senat die weitere Ausübung der Prostitution bei einer Schwangerschaft für unzumutbar. Dieselben Erwägungen gelten auch für die Frage, ob die Entstehung der Schwangerschaft selbst als freiwillig gesetzte Ursache für die spätere Aufgabe der Tätigkeit angesehen werden kann.
Der Senat muss nicht klären, ob sich die Ast. im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 FreizügG/EU der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt hat. Als Agentur für Arbeit im Sinne jener Vorschrift wäre jedenfalls auch der Ag. einzustufen, bei dem sich die Ast. gemeldet hat. Im Übrigen besteht der Status als Arbeitnehmer bei Schwangeren auch dann fort, wenn sie sich - wegen der Schwangerschaft - nicht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stellen können (EuGH, Urt. v. 19.06.2014, a.a.O.).
bb) Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass der Ast. auf Grund besonderer Umstände über den 31.01.2016 hinaus ein Aufenthaltsrecht zustehen wird, und zwar bis zum 06.02.2016. Die Eigenschaft als Erwerbstätige einer EU-Bürgerin bleibt auch nach der Geburt eines Kindes für weitere 8 Wochen erhalten. Dies ergibt sich aus der Entscheidung des EuGH vom 19.06.2014 (Rs. Saint Prix, Juris Rn. 41 m.w.N.), wonach Frauen nach der Niederkunft die Erwerbstätigeneigenschaft nicht abgesprochen werden kann, sofern sie innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens ihre bisherige Beschäftigung wieder aufnehmen oder eine andere Beschäftigung finden. Die Bemessung dieses Zeitrahmens bestimmt sich dabei nach den für die Dauer des Mutterschaftsurlaubs geltenden nationalen Vorschriften, d.h. vorliegend nach § 6 Abs. 1 MuSchG, der ein Beschäftigungsverbot für 8 Wochen nach der Entbindung vorsieht. Ausgehend von einem voraussichtlichen Entbindungstermin am 12.12.2015 bleibt der Ast. die Erwerbstätigeneigenschaft daher bis zum 06.02.2016 erhalten.
cc) Dieses mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bis zum 06.02.2016 bestehende fortwirkende Aufenthaltsreche der Ast. ist nicht auf Grund der Verfügung der Ausländerbehörde vom 02.09.2015 erloschen, mit der ein Verlust des Aufenthaltsrechts festgestellt und die Ast. ausgewiesen worden ist. Zumindest hindert diese Verfügung - die noch vor Stellung des Eilantrags bei dem SG ergangen ist - den Senat nicht, im Rahmen dieses sozialgerichtlichen Eilverfahrens Leistungen zuzusprechen:
Die Verfügung ist noch nicht bestandskräftig, denn die Ast. hat sie mit Widerspruch angefochten. Mindestens vor der Bestandskraft kann der Verfügung keine Tatbestandswirkung für ein Verfahren in einer anderen Gerichtsbarkeit zukommen. Zumindest jetzt kann der Senat noch eigenständig über das Aufenthaltsrecht der Ast. entscheiden, wobei - wie ausgeführt - der Senat im Falle der Klägerin ein solches Recht nur nicht ausschließt.
Auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]) in der genannten Verfügung führt nicht dazu, dass der Aufenthalt der Ast. in Deutschland bereits jetzt als illegal einzustufen wäre. Eine solche verfahrensrechtliche Anordnung hat keinen Einfluss auf die materielle Rechtslage, das Aufenthaltsrecht eines EU-Bürgers hängt rechtlich nicht davon ab, ob er ausgewiesen ist oder gar abgeschoben wird. Außerdem ist hier eine verfahrensrechtliche Privilegierung zu beachten: Zwar hat der Widerspruch der Ast. keine aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 1 VwGO, jedoch muss die Ast. andererseits auch nicht eine positive Entscheidung des zuständigen Verwaltungsgerichts nach § 80 Abs. 5 VwGO erstreiten, um vorläufig in Deutschland bleiben zu können: § 7 Abs. 1 Satz 4 FreizügG/EU bestimmt, dass dann, wenn ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt wird, eine Abschiebung nicht erfolgen darf, bevor über diesen Antrag (negativ) entschieden worden ist. Die Ast. hat mit Schriftsatz vom 10.11.2015 mitgeteilt, dass sie einen solchen Antrag unverzüglich nach Akteneinsicht bei der Ausländerbehörde stellen wird.
dd) Da der Senat, wie ausgeführt, nicht abschließend einen Anordnungsanspruch der Ast. auf Alg II ausschließen kann, ist hier an Hand einer Folgenabwägung zu entscheiden (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschl. v. 12.05.2005, 1 BvR 569/05, Juris). Zu beachten ist dabei, dass die begehrten Leistungen der Grundsicherung der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen, was bereits nach Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) Pflicht des Staates ist (BVerfG, a.a.O.). Bei der Ast. dieses Verfahrens kommen die Schwangerschaft und der bevorstehende Entbindungstermin am 12.12.2015 als Belange hinzu. Vor diesem Hintergrund erscheint es in Abwägung dieses Interesses mit dem Interesse des Ag., der eine eventuelle spätere Rückforderung vermutlich nicht wird durchsetzen können, angemessen, der Ast. Leistungen zuzusprechen.
ee) Jedoch ist unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze die vorläufig zuzusprechende Leistung auf 80 % zu beschränken. Damit wird der Antragstellerin jedenfalls das zum Lebensunterhalt Unerlässliche zur Verfügung gestellt, während gleichzeitig die Belastung des Ag. reduziert wird (LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 06.10.2014, L 7 AS 3951/14 ER-B). Eine solche Absenkung - sogar bis auf 70 % - verletzt nicht das grundrechtlich geschützte Existenzminimum der Ast., wie die Höhe der existenzsichernden Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) oder bei einer Absenkung nach § 31a SGB II zeigt. Ferner ist zu berücksichtigen, dass in den Leistungen Ansparbeträge enthalten sind, die nicht zur unmittelbaren Existenzsicherung erforderlich sind. Diese Erwägungen gelten nach Ansicht des Senats allerdings nicht für den Mehrbedarf nach § 21 Abs. 2 SGB II, der mittelbar Auswirkungen auf das ungeborene Kind hat.
c) Ein Anordnungsgrund nach § 86b Abs. 2 SGG, also die notwendige Eilbedürftigkeit, liegt vor. Dies gilt zumindest für die Zeit ab Rechtshängigkeit des Eilantrags, also die Einreichung bei dem SG. Auf diesen Zeitpunkt hat die Ast. ihren Antrag auch beschränkt.
d) Wie bereits ausgeführt, würde ein eventuelles fortbestehendes Aufenthaltsrecht der Ast. auf Grund der kurzzeitigen Tätigkeit als Selbstständige oder Arbeitnehmerin und als Mutter 8 Wochen nach der Geburt ihres Kindes, also am 06.02.2016, erlöschen. Daher war die Geltungsdauer dieser einstweiligen Anordnung auf diesen Zeitraum zu befristen. Sofern der Anordnungsanspruch vorher endet, kann der Ag. die ausgeführten Leistungen ebenfalls einstellen.
3. Die Beschwerde der Ast. wegen der Ablehnung der PKH in erster Instanz weist der Senat jedoch zurück. Das SG durfte nach § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO die hinreichenden Erfolgsaussichten verneinen. Zum Zeitpunkt seiner Entscheidung lagen weder die ärztliche Bescheinigung vom 23.10.2015 noch die Bestätigung des FA für Juli vom 03.11.2015 vor, daher konnte davon ausgegangen werden, dass zu jenem Zeitpunkt noch keine ausreichende Glaubhaftmachung vorlag.
4. Für das Beschwerdeverfahren war dagegen PKH zu bewilligen. Die Ast. ist bedürftig, wie sich ohne Weiteres aus dem Verfahren ergibt. Erfolgsaussichten waren nicht zu verneinen, nachdem die genannten Unterlagen eingereicht worden waren.
5. Die Entscheidung über die Kostenerstattung durch den Ag. beruht auf § 193 SGG und folgt den Erwägungen unter Nrn. 3 und 4.
6. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG). Er kann entsprechend § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG jederzeit geändert oder aufgehoben werden.
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