L 3 AS 4828/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AS 835/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 4828/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 8. Oktober 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Der Antrag, dem Kläger für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird abgelehnt.

Gründe:

( I )

Der Kläger wendet sich gegen die Versagung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab dem 5.10.2010.

Der im Jahr 1983 geborene Kläger beantragte erstmals am 6.8.2010 beim Jobcenter A. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Er gab hierzu u.a. an, von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) zu leben, die er wegen seines Studiums an der Universität B., Österreich, bis zum 31.7.2010 erhalten habe. Nachdem der Kläger, einer Aufforderung, beim Jobcenter persönlich zu erscheinen, nicht nachgekommen war, versagte das Jobcenter die Leistungsgewährung mit Bescheid vom 19.8.2010, der dem Kläger am 5.10.2010 persönlich ausgehändigt wurde, nach §§ 60, 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) bestandskräftig wegen fehlender Mitwirkung.

Am 5.10.2010 beantragte der Kläger beim Jobcenter A. abermals Leistungen nach dem SGB II. Diesen Antrag leitete das Jobcenter A. zuständigkeitshalber an den Beklagten weiter. Der Beklagte forderte den Kläger mit Schreiben vom 18.10.2010 dazu auf, einen Nachweis der Exmatrikulation sowie der geltend gemachten Kosten für Unterkunft und Heizung vorzulegen und mitzuteilen, bei welcher Krankenkasse er versichert sei. Der Beklagte wies darauf hin, dass, wenn bis zum 4.11.2010 eine Vorlage der angeforderten Nachweise nicht erfolge, die Leistungen versagt werden könnten. Mit Schreiben vom 5.11.2010 forderte der Beklagte den Kläger dazu auf, einen Nachweis zum Zeitpunkt der Exmatrikulation vorzulegen. Der vom Kläger vorgelegte Einlieferungsbeleg vom 6.8.2010 sei nicht ausreichend. Ferner wurde der Kläger aufgefordert, vollständige Kontoauszüge der Monate August - Oktober 2010 betr. seine Konten bei der C.-Bank und der D.-Bank. sowie einen Nachweis über den Vermögensstand der Spareinlage bei der C.-Bank vorzulegen. Schließlich wurde der Kläger aufgefordert, mitzuteilen, wie die Kosten der Unterkunft seit August 2010 bestritten worden seien. Der Beklagte wies darauf hin, dass, wenn bis zum 22.11.2010 eine Vorlage der angeforderten Nachweise nicht erfolge, die Leistungen versagt werden könnten.

Nachdem der Kläger der Aufforderung des Beklagten keine Folge leistete, versagte dieser mit Bescheid vom 20.12.2010 die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab dem 5.10.2010 in ganzer Höhe. Der Kläger habe dadurch, dass er der Mitwirkungsverpflichtung nicht nachgekommen sei, die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert. Er, der Beklagte, sei im Rahmen seiner Ermessensentscheidung verpflichtet, wirtschaftlich zu handeln und Leistungen nur bei nachgewiesener Hilfebedürftigkeit zu erbringen. Ermessensgesichtspunkte, die gegen eine Versagung sprächen, seien nicht vorgetragen worden oder anderweitig ersichtlich.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.1.2011 zurück.

Die hiergegen am 24.1.2011 zum Sozialgericht Berlin erhobene Klage wurde mit Beschluss vom 15.2.2011 wegen des (zwischenzeitlich genommenen) Wohnsitzes des Klägers in E. an das Sozialgericht Ulm (SG) verwiesen. Eine inhaltliche Begründung seiner Klage hat der Kläger nicht vorgelegt.

Der Beklagte ist der Klage entgegen getreten.

Mit Urteil vom 8.10.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Klage sei, soweit der Kläger die Gewährung von Leistungen vom 6.8. - 4.10.2010 begehre, bereits unzulässig. Der Kläger habe sich (gerichtlich) zunächst nur gegen die Versagung im Bescheid vom 20.12.2010 gewandt und erst in einem Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 28.10.2011 auch einen Leistungsantrag gestellt. Hierdurch habe er seine Klage i.S.d. § 99 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geändert. Diese Klageänderung sei jedoch nicht zulässig, da der Beklagte nicht eingewilligt habe und die Klageänderung auch nicht sachdienlich sei. Auch soweit der Kläger Leistungen ab dem 5.10.2010 begehre, sei die Klage, weil der Beklagte im angefochtenen Bescheid nicht inhaltlich über den geltend gemachten Leistungsanspruch entschieden, sondern diesen lediglich versagt habe, bereits unzulässig. Unter Verweis auf den Inhalt des angefochtenen Widerspruchsbescheides vom 18.1.2010 sei die Klage, soweit sie sich gegen den Versagungsbescheid richte, zwar zulässig, jedoch unbegründet.

Gegen das ihm am 23.10.2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23.11.2014 Berufung eingelegt. Er bringt vor, er habe das Studium an der Universität B. ohne Abschluss am 30.6.2010 krankheitsbedingt abgebrochen und im Anschluss hieran in Berlin wegen seiner Mittellosigkeit Grundsicherungsleistungen beantragt.

Der Kläger beantragt (zweckdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 8. Oktober 2014 und den Bescheid des Beklagten vom 20. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 18. Januar 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm ab dem 6. August 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren,

hilfsweise,

die Universität B. zum Verfahren beizuladen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist der Beklagte auf sein erstinstanzliches Vorbringen und die aus seiner Sicht zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 14.10.2015 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg verspreche und der Senat erwäge, nach § 153 Abs. 4 SGG über die Berufung durch Beschluss zu entscheiden. Ihnen ist Gelegenheit eingeräumt worden, sich hierzu zu äußern.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insb. des Vorbringens der Beteiligten, wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die beim Beklagten für den Kläger geführten Verwaltungsakten verwiesen.

( II )

Die form - und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung führt für den Kläger nicht zum Erfolg.

Der Senat konnte die Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurückweisen, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Gründe für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurden nicht vorgebracht und sind dem Senat auch anderweitig nicht ersichtlich.

Soweit die Klage auf die Aufhebung des Versagungsbescheides vom 20.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.1.2011 gerichtet ist, ist sie als Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage gegen den streitgegenständlichen Versagungsbescheid des Beklagten vom 20.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 18.1.2011 zu Recht abgewiesen. Dieser ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Beklagte ist berechtigt gewesen, aufgrund der Nichtvorlage der geforderten Unterlagen die Leistungen vollständig zu versagen. § 66 Abs. 1 SGB I bestimmt, dass, wenn derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird, der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen kann, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Sozialleistungen dürfen wegen fehlender Mitwirkung nach § 66 Abs. 3 SGB I nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist.

Der Beklagte war berechtigt, einen Nachweis der Exmatrikulation sowie vollständige Kontoauszüge der Monate August - Oktober 2010 betr. die bekannten Konten des Klägers zu verlangen. Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 SGB I hat derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen. Diese Regelung hat vor allem die Funktion, den Leistungsträger überhaupt in die Lage zu versetzen, seiner Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen nachkommen zu können. Da nur der Kläger die näheren Umstände, die ihn zur Antragstellung veranlasst haben, kennt, war der Beklagte zur Prüfung, ob ein Leistungsanspruch gegeben ist und dessen etwaiger Höhe nicht nur ermächtigt, sondern auch verpflichtet, alle für die Entscheidung wesentlichen Umstände zu ermitteln, d.h. die maßgebenden Tatsachen festzustellen.

Die Rechtsfolge einer fehlenden Mitwirkung steht gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I im Ermessen der Behörde. Der Beklagte kann die beantragte Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen. Das Gericht darf hierbei gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG Ermessensentscheidungen nur auf Ermessensfehler hin überprüfen. Indes ist die vollständige Versagung der Leistungen nach § 66 Abs. 1 SGB I vorliegend nicht ermessenfehlerhaft. Weder hinsichtlich der Frage des "ob", also der Entscheidung über eine Versagung an sich, noch hinsichtlich der Frage des "wie", nämlich in Bezug auf eine völlige oder nur teilweise Versagung, lagen Gründe vor, die in der Abwägungsentscheidung anders gewichtet werden müssten. Dem insofern nicht unerheblichen Eingriff durch die Versagung in ein subjektiv-öffentliches Recht wird insb. durch den Umstand relativiert, dass nach Nachholung der Mitwirkungshandlung gemäß § 67 SGB I nachträglich die - tatsächlich zustehenden - Leistungen erbracht werden können. Der Beklagte hat sein Ermessen im Übrigen in ausreichender Form dahingehend ausgeübt, dass er zu erkennen gegeben hat, dass er darauf Wert legt, Leistungen nur in rechtmäßiger Höhe zu erbringen und dass ihm dies ohne Vorlage der angeforderten Unterlagen nicht möglich sei. Er hat auch geprüft, ob Umstände vorliegen, die für eine Leistungsgewährung sprechen würden und dies im Ergebnis verneint. Die Ermessensentscheidung ist mithin nicht zu beanstanden.

Schließlich wurde der Kläger durch den Beklagten auf die Möglichkeit der Versagung der Leistungen für den Fall, dass er seiner Mitwirkungspflicht nicht nachkomme, mehrfach schriftlich hingewiesen (Schreiben vom 18.10.2010 und 5.11.2010).

Der Versagungsbescheid des Beklagten vom 20.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 18.1.2011 ist mithin rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Soweit der Kläger mit der Klage auch die Gewährung von Leistungen ab dem 6.8.2010 begehrt, ist die (Leistungs-) Klage bereits unzulässig, da der Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 20.12.2010 keine Entscheidung über Leistungsansprüche des Klägers getroffen hat. Er hat vielmehr auf Grundlage von § 66 Abs. 1 SGB I die Leistungsgewährung versagt. Mit dieser Versagung hat er gerade keine Entscheidung über den geltend gemachten Leistungsanspruch getroffen. Gegenstand des gegen die Versagungsentscheidung gerichteten Rechtsstreits ist nicht der materielle Anspruch, sondern ausschließlich die Auseinandersetzung über die Rechte und Pflichten der Beteiligten im Verwaltungsverfahren (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 17.2.2004 - B 1 KR 4/02 R - veröffentlicht in juris, dort Rn. 12). Ziel der gegen einen Versagungsbescheid wegen fehlender Mitwirkung gerichteten Klage ist das Begehren, das Verwaltungsverfahren nach dessen Aufhebung fortzusetzen (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31.1.2008 - L 21 R 187/05 - veröffentlicht in juris), weswegen gegen die Versagung einer Sozialleistung grundsätzlich nur die reine Anfechtungsklage statthaft ist. Dies gilt auch, wenn die Gewährung existenzsichernder Leistungen nach dem SGB II im Streit steht (BSG, Urteil vom 1.7.2009 - B 4 AS 78/08 R - veröffentlicht in juris).

Das angefochtene Urteil des SG ist mithin nicht zu beanstanden.

Dem Hilfsantrag, die Universität B. zum Verfahren beizuladen, ist nicht stattzugeben, da die hierfür erforderlichen Voraussetzungen des § 75 SGG nicht vorliegen.

Die Berufung ist zurückzuweisen.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren ist abzulehnen, weil die Berufung nach den obigen Ausführungen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht (§ 73a SGG i.V.m. § 114 ff. Zivilprozessordnung). Dies konnte vorliegend im Rahmen der Entscheidung in der Hauptsache erfolgen, da nicht ersichtlich ist, dass bei einer zeitlich vorgelagerten Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag eine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung zu bejahen gewesen wäre (vgl. BSG, Beschluss vom 4.12.2007 - B 2 U 165/06 B - veröffentlicht in juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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