Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 R 808/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 213/13 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 09.11.2012 gegen den Bescheid vom 06.07.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2012 wird angeordnet. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 20.843,44 EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage vom 09.11.2012 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 06.07.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2012, mit dem diese Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 83.373,76 EUR nachgefordert hat.
Die Antragstellerin ist ein in der Rechtsform der GmbH betriebenes Personaldienstleis-tungsunternehmen, das im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung tätig ist. Sie verfügt über eine Erlaubnis nach § 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG). In der Zeit vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2009 verwies die Antragstellerin in den Arbeitsverträgen von ihr entliehener Arbeitnehmer auf zwischen der Tarifgemeinschaft Christliche Gewerkschaften Zeitarbeit (CGZP) und dem Arbeitnehmerverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) geschlossene Tarifverträge. Auf Basis der dort vorgesehenen Vergütungen erbrachte die Antragstellerin die Sozialversicherungsbeiträge für die beschäftigten Leiharbeitnehmer.
Auf Antrag der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (Ver.di) und des Landes Berlin stellten im Jahr 2009 zunächst das Arbeitsgericht Berlin und sodann das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg die Tarifunfähigkeit der CGZP fest. Diese Entscheidungen bestätigte das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 14.12.2010 (1 ABR 19/10), indem es ausführte, dass die CGZP im zeitlichen Geltungsbereich ihrer am 08.10.2009 geänderten Satzung nicht als Spitzenorganisation tariffähig gewesen sei. Mit Beschluss vom 09.01.2012 stellte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg die fehlende Tariffähigkeit der CGZP auch für die Zeitpunkte 29.11.2004, 19.06.2006 und 09.07.2008 unter Zugrundelegung der CGZP-Satzungen vom 15.01.2003 und vom 05.12.2005 fest. Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wies das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 22.05.2012 (1 ABN 27/12) zurück. Zur Begründung führte es aus, das Gericht habe die Wirkung der Rechtssätze aus seiner Entscheidung vom 14.12.2010 nicht auf die Zukunft beschränkt, sondern diese entsprechend dem Verfahrensgegenstand für die Beurteilung der Tariffähigkeit der CGZP herangezogen.
Im Nachgang zu dieser Entscheidung führte die Antragsgegnerin am 25.05.2012 bei der Antragstellerin eine Betriebsprüfung durch.
Mit Bescheid vom 06.07.2012 machte die Antragsgegnerin eine Nachforderung in Höhe von 83.373,76 EUR für den Prüfzeitraum vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2009 geltend. Wegen der zwischenzeitlich festgestellten Tarifunfähigkeit der CGZP seien die Sozialversicherungsbeiträge rückwirkend unter Berücksichtigung des in § 10 Abs. 4 AÜG niedergelegten "equal-pay"-Grundsatzes neu zu berechnen. Sozialversicherungsbeiträge seien auf der Grundlage der Differenz zwischen dem von der Antragstellerin gemeldeten und dem Beitragsanspruch zugrunde gelegten Arbeitsentgelt und dem vergleichbaren Arbeitsentgelt eines Stammarbeitnehmers in dem jeweiligen Entleihbetrieb und Überlassungszeitraum für jeden Arbeitnehmer individuell nachzuerheben. Aufgrund der großen Anzahl der zu prüfenden Beschäftigungsverhältnisse und ihrer zum Teil sehr kurzen Dauer, der Anzahl der Entleiher und der Dauer der jeweiligen Überlassungszeiträume sei die personen-bezogene Ermittlung der geschuldeten Arbeitsentgelte – wenn überhaupt – nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand möglich. Daher sei die Höhe der maßgeblichen Arbeitsentgelte im Wege der Schätzung gemäß § 28f Abs. 2 Satz 3 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) ermittelt worden.
Gegen den Bescheid erhob die Antragstellerin mit Schreiben vom 13.07.2012 Wider-spruch. Für eine rückwirkende Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen bestehe keine Rechtsgrundlage. Der Tarifvertrag der CGZP sei bei Geschäftsbeginn im Jahr 2001 in gutem Glauben gewählt worden. Das Landesarbeitsamt habe den Tarifvertrag genehmigt und bei keiner Prüfung beanstandet. Darüber hinaus erhob die An-tragstellerin die Einrede der Verjährung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.10.2012 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Nachforderung sei zu Recht erfolgt. Die für die Zeit vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2009 geltend gemachten Beitragsansprüche seien auch nicht verjährt. Denn spätestens seit Verkündung des Beschlusses des Bundesarbeitsgerichts vom 14.12.2010 habe die Antragstellerin die Nichtabführung der Beiträge billigend in Kauf genommen. Es sei damit die Vorschrift des § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV anzuwenden, wonach vorsätzlich vorenthaltene Beiträge erst 30 Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden seien, verjähren würden.
Gegen den Widerspruchsbescheid hat die Antragstellerin am 09.11.2012 Klage erhoben. Das Klageverfahren ist bei dem Sozialgericht unter dem Aktenzeichen S 8 R 810/12 an-hängig. Am 15.11.2012 hat die Antragstellerin zudem um gerichtlichen Eilrechtsschutz nachgesucht.
Die Antragstellerin nimmt Bezug auf eine Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 02.05.2012 (L 1 KR 121/12 B ER) sowie auf ihr Vorbringen im Rahmen des sozialgerichtlichen Klageverfahrens.
Die Antragstellerin beantragt schriftsätzlich,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 09.11.2012 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 06.07.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2012 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt schriftsätzlich,
den Antrag abzulehnen.
Sie verweist auf verschiedene Entscheidungen des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen, in denen über Kernfragen der beitragsrechtlichen Konsequenzen aus der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts entschieden worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist zulässig und begründet.
Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise auf entsprechenden Antrag hin anordnen. Die am 09.11.2012 erhobene Klage hatte keine aufschiebende Wirkung, da diese bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG entfällt. Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung abweichend hiervon durch das Gericht angeordnet wird, erfordert eine Abwägung des Aufschubinteresses der Antragstellerin auf der einen Seite und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsaktes auf der anderen Seite. In Anlehnung an § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG ist im Rahmen dieser Interessenabwägung zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Lässt sich schon bei summarischer Prüfung eindeutig feststellen, dass die Klage im Hauptsacheverfahren Erfolg haben wird, so kann kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts bestehen. Umgekehrt kann die Antragstellerin kein schutzwürdiges privates Interesse haben, von der Vollziehung eines offen-sichtlich rechtmäßigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 10. Auflage 2012, Rn. 12f zu § 86b SGG). Sind die Erfolgsaussichten nicht in dieser Weise abschätzbar, ist eine allgemeine Interessenabwägung durchzuführen, wobei der Grad der Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen ist (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 10. Auflage 2012, Rn. 12f zu § 86b SGG). Darüber hinaus kann eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG auch dann erfolgen, wenn die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes von einer Mehrzahl von Voraussetzungen abhängt, deren Prüfung die Klärung schwieriger Rechtsfragen beinhaltet (Landessozialgericht (LSG) Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20.04.2012, L 5 KR 20/12 B ER).
Nach der im sozialgerichtlichen Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen zu beurteilen. Denn es sind zunächst weitere Ermittlungen, insbesondere zur Frage der Rechtsmäßigkeit der von der Antragsgegnerin nach § 28f Abs. 2 Satz 3 SGB IV vorgenommenen Schätzung, durchzuführen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigten, dass die Frage der Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen infolge der Tarifunfähigkeit der CGZP in den bislang vorliegenden sozialgerichtlichen Entscheidungen uneinheitlich beurteilt. Bei Abwägung der widerstreitenden Interessen hält die Kammer die Anordnung der aufschiebenden Wirkung für geboten.
Rechtsgrundlage für die Nachforderung der Sozialversicherungsbeiträge ist § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV. Danach erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prü-fung bei den Arbeitgebern Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern. Nach § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag, d.h. die für einen versicherungspflichtigen Beschäftigten zu zahlenden Beiträge zur Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung (§ 28d Satz 1 und 2 SGB IV) zu entrichten. Bei ver-sicherungspflichtig Beschäftigten wird der Beitragsbemessung in allen Zweigen der Sozialversicherung das Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung zugrunde gelegt (§ 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch i.V.m. § 57 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch, § 162 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch, § 342 Drittes Buch Sozialgesetzbuch). Arbeitsentgelt sind nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG ist der Verleiher verpflichtet, dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsent-gelts zu gewähren ("equal-pay-Grundsatz"). Im Einklang hiermit ordnet § 9 Nr. 2 AÜG die Unwirksamkeit von Vereinbarungen an, die für den Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an einen Entleiher schlechtere als die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedin-gungen einschließlich des Arbeitsentgelts vorsehen. Allerdings enthält § 9 Nr. 2 AÜG zugleich eine Ausnahme. Danach kann ein Tarifvertrag abweichende Regelungen zulassen, soweit er nicht die in einer Rechtsverordnung nach § 3a Absatz 2 festgesetzten Mindeststundenentgelte unterschreitet. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer also die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren. Von dieser grundsätzlichen Möglichkeit haben die Antragstellerin und ihre Arbeitnehmer Gebrauch gemacht, indem sie in ihren Arbeitsverträgen auf die zwischen der CGZP und dem AMP geschlossenen Tarifverträge verwiesen haben. Eine wirksame tarifliche Regelung mit Vereinbarungen im Sinne des § 9 Nr. 2 AÜG lag hierin aber nicht. Denn unter Berücksichtigung der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 14.12.2010 und 22.05.2012 fehlte der CGZP im gesamten hier streitgegenständlichen Zeitraum die Tariffähigkeit, so dass die von ihr geschlossenen Tarifverträge unwirksam waren. Gemäß § 10 Abs. 4 AÜG richtete sich das in dem streitigen Zeitraum an die Leiharbeitnehmer zu zahlende Arbeitsentgelt damit nach den Entgelten, die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers zu zahlen waren. Diese Entgeltansprüche wiederum begründen grundsätzlich auch Beitragsansprüche der Antragsgegnerin.
Ob die Antragsgegnerin allerdings berechtigt war, die Höhe der für die Berechnung der Beitragsnachforderung maßgeblichen Arbeitsentgelte, d.h. den nach § 10 Abs. 4 AÜG maßgeblichen "equal-pay"-Lohn, pauschal im Wege einer Schätzung nach § 28f Abs. 2 Satz 3 SGB IV zu ermitteln, erscheint der Kammer zweifelhaft. Jedenfalls bedarf es insoweit weiterer Ermittlungen.
Nach § 28f Abs. 2 Satz 1 SGB IV kann der prüfende Rentenversicherungsträger den Bei-trag in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen, wenn dieser die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat. Soweit er die Höhe der Arbeitsentgelte nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln kann, hat er diese zu schätzen (§ 28f Abs. 2 Satz 3 SGB IV). Der prüfende Rentenversicherungsträger ist somit auch im Falle einer Verletzung der Aufzeichnungspflicht durch den Arbeitgeber verpflichtet, zunächst eigene Ermittlungen hinsichtlich der Beitragshöhe anzustellen, soweit dies ohne verhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand geschehen kann (Wehrhahn, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand: 75. Ergänzungslieferung 2012, Rn. 10 zu § 28f SGB IV).
Die Antragsgegnerin hat in dem streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt, dass die personenbezogene Ermittlung der geschuldeten Arbeitsentgelte aufgrund der großen Anzahl der zu prüfenden Beschäftigungsverhältnisse und ihrer zum Teil sehr kurzen Dauer, der Anzahl der Entleiher und der Dauer der jeweiligen Überlassungszeiträume im Prüfzeitraum – wenn überhaupt – nur mit unverhältnismäßig großem Verwaltungsaufwand möglich gewesen sei. Die Höhe der maßgeblichen Arbeitsentgelte habe daher im Wege der Schätzung ermittelt werden müssen. In diesem Zusammenhang ist zunächst zu berücksichtigen dass ein Vorgehen nach § 28f Abs. 2 SGB IV stets voraussetzt, dass der Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat und dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden kann (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 14.08.2012, L 6 R 223/12 B ER). Die Voraussetzung der Verletzung der Aufzeichnungspflicht gilt nicht nur für den in Satz 1 der Vorschrift bestimmten Lohnsummenbescheid, sondern ist auch Voraussetzung für die Schätzungsbefugnis des Satzes 3 (LSG Schleswig-Holstein, Be-schluss vom 20.04.2012, L 5 KR 9/12 B ER). Allerdings enthalten weder der Bescheid vom 06.07.2012 noch der Widerspruchsbescheid vom 16.10.2012 diesbezüglich Feststellungen. Der Verwaltungsakte sind – soweit ersichtlich – ebenfalls keine weiterführenden Ausführungen zu einer etwaigen Verletzung der Aufzeichnungspflicht zu entnehmen. Es bedarf daher weiterer Ermittlungen, um zu klären, ob und – wenn ja – in welchem Umfang die Antragstellerin ihre Aufzeichnungspflichten verletzt hat.
Auch im Hinblick auf den Hinweis der Antragsgegnerin, die Höhe der maßgeblichen Arbeitsentgelte habe nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermittelt werden können, besteht nach Auffassung der Kammer noch Klärungsbedarf. Die Antragsgegnerin hat den ihrer Ansicht nach unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand in dem angegriffenen Bescheid lediglich mit abstrakten Ausführungen begründet. Konkrete Darlegungen, etwa im Hinblick auf die genaue Anzahl der zu prüfenden Beschäftigungsverhältnisse und ihre Dauer oder die exakte Anzahl der Entleihbetriebe, enthält der Bescheid nicht. Dagegen ist dem "Bericht über die Betriebsprüfung" (Bl. 98-99 der Verwaltungsakte) zu entnehmen, dass der geltend gemachten Nachforderung insgesamt 45 Berechnungsfälle zugrunde gelegen haben. Dies deckt sich mit den in der Verwaltungsakte vorhandenen Arbeitnehmerlisten (vgl. z.B. Bl. 27-28 der Verwaltungsakte). Dort werden beispielsweise für die Jahre 2007 und 2008 jeweils 45 Arbeitnehmer in der Gruppe "Helfer" aufgeführt. Diese Anzahl erscheint der Kammer als nicht so groß, dass eine personenbezogene Prüfung schlechthin ausgeschlossen gewesen wäre. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Zahl der Entleihbetriebe ausweislich der Arbeitnehmerlisten überschaubar war. Im Übrigen hatte die Antragsgegnerin für einige Arbeitnehmer den im Entleihbetrieb maßgeblichen Lohn bereits ermittelt. Insofern wird exemplarisch auf die Schreiben der X GmbH vom 20.12.2011 und 13.02.2012 (Bl. 73 und 86 der Verwaltungsakte) verwiesen, in denen die Bruttostundenlöhne für die Zeit vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2009 mitgeteilt worden sind. Diese Angaben hat die Antragsgegnerin in die Arbeitnehmerlisten übernommen (vgl. z.B. Bl. 27-28 der Verwaltungsakte). Insofern verfügte die Antragsgegnerin also durchaus über Entgeltdaten von Stammarbeitnehmern, die vergleichbare Tätigkeiten wie die von der Betriebsprüfung betroffenen Leiharbeitnehmer ausgeübt haben. Warum die Antragsgegnerin trotz dieser Kenntnisse dennoch davon ausgegangen ist, dass die personenbezogene Ermittlung der geschuldeten Arbeitsentgelte – wenn überhaupt – nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand möglich und die Höhe der maßgeblichen Arbeitsentgelte stattdessen "für nahezu jeden Leiharbeitnehmer" nach § 28f Abs. 2 Satz 3 SGB IV zu schätzen gewesen sei, leuchtet der Kammer nicht ohne weiteres ein. Denn grundsätzlich ist die Beitragsdifferenz für jeden einzelnen Leiharbeitsnehmer anhand des individuellen Entgeltanspruchs zu ermitteln.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwal-tungsgerichtsordnung.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz. Bei einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist regelmäßig von einem Streitwert in Höhe von einem Viertel des Hauptsachenstreitwertes auszugehen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.02.2012, L 8 R 1047/11 B ER).
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage vom 09.11.2012 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 06.07.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2012, mit dem diese Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 83.373,76 EUR nachgefordert hat.
Die Antragstellerin ist ein in der Rechtsform der GmbH betriebenes Personaldienstleis-tungsunternehmen, das im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung tätig ist. Sie verfügt über eine Erlaubnis nach § 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG). In der Zeit vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2009 verwies die Antragstellerin in den Arbeitsverträgen von ihr entliehener Arbeitnehmer auf zwischen der Tarifgemeinschaft Christliche Gewerkschaften Zeitarbeit (CGZP) und dem Arbeitnehmerverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) geschlossene Tarifverträge. Auf Basis der dort vorgesehenen Vergütungen erbrachte die Antragstellerin die Sozialversicherungsbeiträge für die beschäftigten Leiharbeitnehmer.
Auf Antrag der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (Ver.di) und des Landes Berlin stellten im Jahr 2009 zunächst das Arbeitsgericht Berlin und sodann das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg die Tarifunfähigkeit der CGZP fest. Diese Entscheidungen bestätigte das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 14.12.2010 (1 ABR 19/10), indem es ausführte, dass die CGZP im zeitlichen Geltungsbereich ihrer am 08.10.2009 geänderten Satzung nicht als Spitzenorganisation tariffähig gewesen sei. Mit Beschluss vom 09.01.2012 stellte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg die fehlende Tariffähigkeit der CGZP auch für die Zeitpunkte 29.11.2004, 19.06.2006 und 09.07.2008 unter Zugrundelegung der CGZP-Satzungen vom 15.01.2003 und vom 05.12.2005 fest. Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wies das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 22.05.2012 (1 ABN 27/12) zurück. Zur Begründung führte es aus, das Gericht habe die Wirkung der Rechtssätze aus seiner Entscheidung vom 14.12.2010 nicht auf die Zukunft beschränkt, sondern diese entsprechend dem Verfahrensgegenstand für die Beurteilung der Tariffähigkeit der CGZP herangezogen.
Im Nachgang zu dieser Entscheidung führte die Antragsgegnerin am 25.05.2012 bei der Antragstellerin eine Betriebsprüfung durch.
Mit Bescheid vom 06.07.2012 machte die Antragsgegnerin eine Nachforderung in Höhe von 83.373,76 EUR für den Prüfzeitraum vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2009 geltend. Wegen der zwischenzeitlich festgestellten Tarifunfähigkeit der CGZP seien die Sozialversicherungsbeiträge rückwirkend unter Berücksichtigung des in § 10 Abs. 4 AÜG niedergelegten "equal-pay"-Grundsatzes neu zu berechnen. Sozialversicherungsbeiträge seien auf der Grundlage der Differenz zwischen dem von der Antragstellerin gemeldeten und dem Beitragsanspruch zugrunde gelegten Arbeitsentgelt und dem vergleichbaren Arbeitsentgelt eines Stammarbeitnehmers in dem jeweiligen Entleihbetrieb und Überlassungszeitraum für jeden Arbeitnehmer individuell nachzuerheben. Aufgrund der großen Anzahl der zu prüfenden Beschäftigungsverhältnisse und ihrer zum Teil sehr kurzen Dauer, der Anzahl der Entleiher und der Dauer der jeweiligen Überlassungszeiträume sei die personen-bezogene Ermittlung der geschuldeten Arbeitsentgelte – wenn überhaupt – nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand möglich. Daher sei die Höhe der maßgeblichen Arbeitsentgelte im Wege der Schätzung gemäß § 28f Abs. 2 Satz 3 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) ermittelt worden.
Gegen den Bescheid erhob die Antragstellerin mit Schreiben vom 13.07.2012 Wider-spruch. Für eine rückwirkende Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen bestehe keine Rechtsgrundlage. Der Tarifvertrag der CGZP sei bei Geschäftsbeginn im Jahr 2001 in gutem Glauben gewählt worden. Das Landesarbeitsamt habe den Tarifvertrag genehmigt und bei keiner Prüfung beanstandet. Darüber hinaus erhob die An-tragstellerin die Einrede der Verjährung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.10.2012 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Nachforderung sei zu Recht erfolgt. Die für die Zeit vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2009 geltend gemachten Beitragsansprüche seien auch nicht verjährt. Denn spätestens seit Verkündung des Beschlusses des Bundesarbeitsgerichts vom 14.12.2010 habe die Antragstellerin die Nichtabführung der Beiträge billigend in Kauf genommen. Es sei damit die Vorschrift des § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV anzuwenden, wonach vorsätzlich vorenthaltene Beiträge erst 30 Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden seien, verjähren würden.
Gegen den Widerspruchsbescheid hat die Antragstellerin am 09.11.2012 Klage erhoben. Das Klageverfahren ist bei dem Sozialgericht unter dem Aktenzeichen S 8 R 810/12 an-hängig. Am 15.11.2012 hat die Antragstellerin zudem um gerichtlichen Eilrechtsschutz nachgesucht.
Die Antragstellerin nimmt Bezug auf eine Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 02.05.2012 (L 1 KR 121/12 B ER) sowie auf ihr Vorbringen im Rahmen des sozialgerichtlichen Klageverfahrens.
Die Antragstellerin beantragt schriftsätzlich,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 09.11.2012 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 06.07.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2012 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt schriftsätzlich,
den Antrag abzulehnen.
Sie verweist auf verschiedene Entscheidungen des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen, in denen über Kernfragen der beitragsrechtlichen Konsequenzen aus der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts entschieden worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist zulässig und begründet.
Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise auf entsprechenden Antrag hin anordnen. Die am 09.11.2012 erhobene Klage hatte keine aufschiebende Wirkung, da diese bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG entfällt. Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung abweichend hiervon durch das Gericht angeordnet wird, erfordert eine Abwägung des Aufschubinteresses der Antragstellerin auf der einen Seite und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsaktes auf der anderen Seite. In Anlehnung an § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG ist im Rahmen dieser Interessenabwägung zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Lässt sich schon bei summarischer Prüfung eindeutig feststellen, dass die Klage im Hauptsacheverfahren Erfolg haben wird, so kann kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts bestehen. Umgekehrt kann die Antragstellerin kein schutzwürdiges privates Interesse haben, von der Vollziehung eines offen-sichtlich rechtmäßigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 10. Auflage 2012, Rn. 12f zu § 86b SGG). Sind die Erfolgsaussichten nicht in dieser Weise abschätzbar, ist eine allgemeine Interessenabwägung durchzuführen, wobei der Grad der Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen ist (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 10. Auflage 2012, Rn. 12f zu § 86b SGG). Darüber hinaus kann eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG auch dann erfolgen, wenn die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes von einer Mehrzahl von Voraussetzungen abhängt, deren Prüfung die Klärung schwieriger Rechtsfragen beinhaltet (Landessozialgericht (LSG) Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20.04.2012, L 5 KR 20/12 B ER).
Nach der im sozialgerichtlichen Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen zu beurteilen. Denn es sind zunächst weitere Ermittlungen, insbesondere zur Frage der Rechtsmäßigkeit der von der Antragsgegnerin nach § 28f Abs. 2 Satz 3 SGB IV vorgenommenen Schätzung, durchzuführen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigten, dass die Frage der Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen infolge der Tarifunfähigkeit der CGZP in den bislang vorliegenden sozialgerichtlichen Entscheidungen uneinheitlich beurteilt. Bei Abwägung der widerstreitenden Interessen hält die Kammer die Anordnung der aufschiebenden Wirkung für geboten.
Rechtsgrundlage für die Nachforderung der Sozialversicherungsbeiträge ist § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV. Danach erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prü-fung bei den Arbeitgebern Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern. Nach § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag, d.h. die für einen versicherungspflichtigen Beschäftigten zu zahlenden Beiträge zur Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung (§ 28d Satz 1 und 2 SGB IV) zu entrichten. Bei ver-sicherungspflichtig Beschäftigten wird der Beitragsbemessung in allen Zweigen der Sozialversicherung das Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung zugrunde gelegt (§ 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch i.V.m. § 57 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch, § 162 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch, § 342 Drittes Buch Sozialgesetzbuch). Arbeitsentgelt sind nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG ist der Verleiher verpflichtet, dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsent-gelts zu gewähren ("equal-pay-Grundsatz"). Im Einklang hiermit ordnet § 9 Nr. 2 AÜG die Unwirksamkeit von Vereinbarungen an, die für den Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an einen Entleiher schlechtere als die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedin-gungen einschließlich des Arbeitsentgelts vorsehen. Allerdings enthält § 9 Nr. 2 AÜG zugleich eine Ausnahme. Danach kann ein Tarifvertrag abweichende Regelungen zulassen, soweit er nicht die in einer Rechtsverordnung nach § 3a Absatz 2 festgesetzten Mindeststundenentgelte unterschreitet. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer also die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren. Von dieser grundsätzlichen Möglichkeit haben die Antragstellerin und ihre Arbeitnehmer Gebrauch gemacht, indem sie in ihren Arbeitsverträgen auf die zwischen der CGZP und dem AMP geschlossenen Tarifverträge verwiesen haben. Eine wirksame tarifliche Regelung mit Vereinbarungen im Sinne des § 9 Nr. 2 AÜG lag hierin aber nicht. Denn unter Berücksichtigung der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 14.12.2010 und 22.05.2012 fehlte der CGZP im gesamten hier streitgegenständlichen Zeitraum die Tariffähigkeit, so dass die von ihr geschlossenen Tarifverträge unwirksam waren. Gemäß § 10 Abs. 4 AÜG richtete sich das in dem streitigen Zeitraum an die Leiharbeitnehmer zu zahlende Arbeitsentgelt damit nach den Entgelten, die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers zu zahlen waren. Diese Entgeltansprüche wiederum begründen grundsätzlich auch Beitragsansprüche der Antragsgegnerin.
Ob die Antragsgegnerin allerdings berechtigt war, die Höhe der für die Berechnung der Beitragsnachforderung maßgeblichen Arbeitsentgelte, d.h. den nach § 10 Abs. 4 AÜG maßgeblichen "equal-pay"-Lohn, pauschal im Wege einer Schätzung nach § 28f Abs. 2 Satz 3 SGB IV zu ermitteln, erscheint der Kammer zweifelhaft. Jedenfalls bedarf es insoweit weiterer Ermittlungen.
Nach § 28f Abs. 2 Satz 1 SGB IV kann der prüfende Rentenversicherungsträger den Bei-trag in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen, wenn dieser die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat. Soweit er die Höhe der Arbeitsentgelte nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln kann, hat er diese zu schätzen (§ 28f Abs. 2 Satz 3 SGB IV). Der prüfende Rentenversicherungsträger ist somit auch im Falle einer Verletzung der Aufzeichnungspflicht durch den Arbeitgeber verpflichtet, zunächst eigene Ermittlungen hinsichtlich der Beitragshöhe anzustellen, soweit dies ohne verhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand geschehen kann (Wehrhahn, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand: 75. Ergänzungslieferung 2012, Rn. 10 zu § 28f SGB IV).
Die Antragsgegnerin hat in dem streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt, dass die personenbezogene Ermittlung der geschuldeten Arbeitsentgelte aufgrund der großen Anzahl der zu prüfenden Beschäftigungsverhältnisse und ihrer zum Teil sehr kurzen Dauer, der Anzahl der Entleiher und der Dauer der jeweiligen Überlassungszeiträume im Prüfzeitraum – wenn überhaupt – nur mit unverhältnismäßig großem Verwaltungsaufwand möglich gewesen sei. Die Höhe der maßgeblichen Arbeitsentgelte habe daher im Wege der Schätzung ermittelt werden müssen. In diesem Zusammenhang ist zunächst zu berücksichtigen dass ein Vorgehen nach § 28f Abs. 2 SGB IV stets voraussetzt, dass der Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat und dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden kann (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 14.08.2012, L 6 R 223/12 B ER). Die Voraussetzung der Verletzung der Aufzeichnungspflicht gilt nicht nur für den in Satz 1 der Vorschrift bestimmten Lohnsummenbescheid, sondern ist auch Voraussetzung für die Schätzungsbefugnis des Satzes 3 (LSG Schleswig-Holstein, Be-schluss vom 20.04.2012, L 5 KR 9/12 B ER). Allerdings enthalten weder der Bescheid vom 06.07.2012 noch der Widerspruchsbescheid vom 16.10.2012 diesbezüglich Feststellungen. Der Verwaltungsakte sind – soweit ersichtlich – ebenfalls keine weiterführenden Ausführungen zu einer etwaigen Verletzung der Aufzeichnungspflicht zu entnehmen. Es bedarf daher weiterer Ermittlungen, um zu klären, ob und – wenn ja – in welchem Umfang die Antragstellerin ihre Aufzeichnungspflichten verletzt hat.
Auch im Hinblick auf den Hinweis der Antragsgegnerin, die Höhe der maßgeblichen Arbeitsentgelte habe nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermittelt werden können, besteht nach Auffassung der Kammer noch Klärungsbedarf. Die Antragsgegnerin hat den ihrer Ansicht nach unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand in dem angegriffenen Bescheid lediglich mit abstrakten Ausführungen begründet. Konkrete Darlegungen, etwa im Hinblick auf die genaue Anzahl der zu prüfenden Beschäftigungsverhältnisse und ihre Dauer oder die exakte Anzahl der Entleihbetriebe, enthält der Bescheid nicht. Dagegen ist dem "Bericht über die Betriebsprüfung" (Bl. 98-99 der Verwaltungsakte) zu entnehmen, dass der geltend gemachten Nachforderung insgesamt 45 Berechnungsfälle zugrunde gelegen haben. Dies deckt sich mit den in der Verwaltungsakte vorhandenen Arbeitnehmerlisten (vgl. z.B. Bl. 27-28 der Verwaltungsakte). Dort werden beispielsweise für die Jahre 2007 und 2008 jeweils 45 Arbeitnehmer in der Gruppe "Helfer" aufgeführt. Diese Anzahl erscheint der Kammer als nicht so groß, dass eine personenbezogene Prüfung schlechthin ausgeschlossen gewesen wäre. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Zahl der Entleihbetriebe ausweislich der Arbeitnehmerlisten überschaubar war. Im Übrigen hatte die Antragsgegnerin für einige Arbeitnehmer den im Entleihbetrieb maßgeblichen Lohn bereits ermittelt. Insofern wird exemplarisch auf die Schreiben der X GmbH vom 20.12.2011 und 13.02.2012 (Bl. 73 und 86 der Verwaltungsakte) verwiesen, in denen die Bruttostundenlöhne für die Zeit vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2009 mitgeteilt worden sind. Diese Angaben hat die Antragsgegnerin in die Arbeitnehmerlisten übernommen (vgl. z.B. Bl. 27-28 der Verwaltungsakte). Insofern verfügte die Antragsgegnerin also durchaus über Entgeltdaten von Stammarbeitnehmern, die vergleichbare Tätigkeiten wie die von der Betriebsprüfung betroffenen Leiharbeitnehmer ausgeübt haben. Warum die Antragsgegnerin trotz dieser Kenntnisse dennoch davon ausgegangen ist, dass die personenbezogene Ermittlung der geschuldeten Arbeitsentgelte – wenn überhaupt – nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand möglich und die Höhe der maßgeblichen Arbeitsentgelte stattdessen "für nahezu jeden Leiharbeitnehmer" nach § 28f Abs. 2 Satz 3 SGB IV zu schätzen gewesen sei, leuchtet der Kammer nicht ohne weiteres ein. Denn grundsätzlich ist die Beitragsdifferenz für jeden einzelnen Leiharbeitsnehmer anhand des individuellen Entgeltanspruchs zu ermitteln.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwal-tungsgerichtsordnung.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz. Bei einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist regelmäßig von einem Streitwert in Höhe von einem Viertel des Hauptsachenstreitwertes auszugehen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.02.2012, L 8 R 1047/11 B ER).
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