L 6 AS 205/15 B ER und L 6 AS 205/15 B ER - PKH

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kiel (SHS)
Aktenzeichen
S 35 AS 185/15 ER
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 205/15 B ER und L 6 AS 205/15 B ER - PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ist europarechtkonform und daher auf Unionsbürger uneingeschränkt anwendbar.
Aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eins menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG i. V. m. Art 20 Abs. 1 GG folgt, dass bei Bedürftigkeit für wirtschaftlich aktive jedoch erwerbslose Unionsbürger Leistungen nach dem 3. Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch (SGB XII) in Betracht kommen müssen. Die Sperrwirkung des § 21 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) erstreckt sich deshalb nicht auf vom Leistungsausschluss gem. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II betroffene EU-Ausländer.
Der Leistungsausschluss gem. § 23 Abs. 2 Satz 1 SGB XII steht einer grundsätzlichen Anspruchsberechtigung nach dem 3. Kapitel des SGB XII jedenfalls für Staatsangehörige eines der Signaturstaaten des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) nicht entgegen.
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 2. Oktober 2015 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im einstweiligen Rechtsschutz um die vorläufige Gewährung von existenzsichernden Leistungen zum Lebensunterhalt. Insbesondere geht es um die Frage, ob der Antragsteller zu 2) als erwerbsfähiger Unionsbürger von Leistungen der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) und auch nach dem Sozialhilferecht (SGB XII) ausgeschlossen ist.

Die am. 1990 geborene Antragstellerin zu 1) ist deutsche Staatsangehörige und hat im August 2011 ihre Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin in K abgeschlossen. Sie verfügt derzeit über kein Erwerbseinkommen. Der am. 1981 in Griechenland geborene Antragsteller zu 2) ist griechischer Staatsangehöriger. Bereits im November 2013 reiste er von Griechenland aus nach Deutschland ein und wohnte bei seiner damals berufstätigen Freundin, der Antragstellerin zu 1), in K und zwar im Haus der Eltern der Antragstellerin zu 1) (Bestätigung der Eltern, Bl. 36 VA). Er war bereits im November 2013 vorübergehend beim Antragsgegner als arbeitsuchend gemeldet.

In der Folgezeit hielten sich die Antragsteller im europäischen Ausland auf (u.a. in C in Spanien und in Großbritannien). Jedenfalls der Antragsteller zu 2) arbeitete nicht nur geringfügig in G (vgl. Verdienstbescheinigungen von März bis Mai 2015 über ein monatliches Nettoentgelt von 1.481,29 Britisches Pfund). Im Mai 2015 reisten die Antragsteller gemeinsam wieder nach Deutschland ein und leben seit dem 22. Mai 2015 mit den Eltern der Antragstellerin zu 1) in deren Haus in K. Nach einer Bescheinigung der Eltern (Bl. 37 VA) betragen ihre "Wohnnebenkosten (Müllentsorgung, Gas, Wasser, Strom)" pauschal 125,00 EUR monatlich. Der Antragsteller zu 2) hat mehrere Initiativbewerbungen unternommen und besucht einen Sprachkurs, um Deutschkenntnisse zu erwerben.

Am 28. Mai 2015 beantragten die Antragsteller ausdrücklich als Bedarfsgemeinschaft beim Antragsgegner Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Formularmäßig wurde eine Unterstützung durch Verwandte und Verschwägerte verneint. Mit Bescheid vom 21. Juli 2015 lehnte der Antragsgegner den Antrag des Antragstellers zu 2) in vollem Umfang ab. Gleichzeitig bewilligte er der Antragstellerin zu 1) monatliche Leistungen in Höhe von 327,50 EUR für die Zeit von Juni bis 30. November 2015 und einen anteiliger Betrag für den Monat Mai 2015. Dabei rechnete der Antragsgegner ausgehend von einem Regelbedarf von 360,00 EUR ein Einkommen in Form von sonstigem Unterhalt in Höhe von 125,00 EUR (bereinigt 95,00 EUR) an, was zu einem Regelbedarf in Höhe von 265,00 EUR führte. Außerdem berücksichtigte er einen anteiligen Bedarf für die Kosten der Unterkunft in Höhe von 62,50 EUR und damit die Hälfte der in Höhe von 125,00 EUR nach seiner Ansicht geltend gemachten Kosten für die Unterkunft. Gegen diesen Bescheid haben die Antragsteller Widerspruch eingelegt, der mit Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 2015 zurückgewiesen wurde. Der Antragsteller zu 2) könne sein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland allein auf die Arbeitsuche stützen und sei daher von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 1 SGB II ausgeschlossen. Er könne als nicht verheirateter Lebensgefährte sein Aufenthaltsrecht auch nicht als Familienangehöriger von der Antragstellerin zu 1) ableiten. Das Klageverfahren ist beim Sozialgericht Kiel inzwischen anhängig.

Am 26. August 2015 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Kiel um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und sich zur Begründung auf den Beschluss des erkennenden Senats vom 1. März 2013 (L 6 AS 29/13 B ER, juris) bezogen. Der Leistungsausschluss aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sei nicht auf den Antragsteller zu 2) anwendbar, da er kein Ausländer ohne jede weitere Verbindung zu Deutschland sei. Er habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt zusammen mit seiner Verlobten in Deutschland begründet, daher ginge auch der Antragsgegner zu Recht von einer Bedarfsgemeinschaft aus. Zusammen hätten sie über einen längeren Zeitraum in Großbritannien und Spanien zusammen gelebt und gewirtschaftet. Aufgrund eines Arbeitsunfalls der Antragstellerin zu 1) habe die ohnehin beabsichtigte gemeinsame Rückkehr nach Deutschland lediglich zu einem früheren Zeitpunkt stattgefunden. Die Kürzungen hinsichtlich der Antragstellerin zu 1) seien nicht gerechtfertigt. Die Anordnung sei notwendig, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Das im Mai 2015 ausgezahlte letzte Gehalt aus Spanien sei bereits für die Kosten der Krankenversicherung des Antragstellers zu 2) verbraucht worden und er sei auf medizinische Behandlung angewiesen.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 2. Oktober 2015 den Antrag abgelehnt Zur Begründung hat es ausgeführt, dass nach der jüngsten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II europarechtskonform sei und auch vorliegend eingreife. Der Antragsteller zu 2) sei kein Familienangehöriger in Sinne des EU-Rechts und leite sein Aufenthaltsrecht nur aus dem Aufenthaltsgrund der Arbeitsuche ab. Der Antrag der Antragstellerin zu 1) sei unzulässig, da sie Leistungen erhalte und nicht beschwert sei.

Die Antragsteller haben dagegen am 29. Oktober 2015 Beschwerde eingelegt, mit der sie ihren Anspruch auf Leistungen weiterverfolgen. Zur Begründung beziehen sie sich auf ihr bisheriges Vorbingen. Der Senat hat mit Beschluss vom 9. November 2015 die Landeshauptstadt Kiel als denkbaren leistungspflichtigen Träger zum Verfahren nach § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beigeladen. Die Beigeladene hat die Auffassung vertreten, dass bei dem Vorliegen eines Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auch kein Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII bestehe, da die Leistungssysteme des SGB II und XII nebeneinander stünden und sich insoweit gegenseitig ausschlossen. Abgrenzungskriterium sei dabei die Erwerbsfähigkeit. Der Antragsteller zu 2) trage selbst vor, dass er erwerbsfähig sei, weshalb er systematisch nicht zum Personenkreis des SGB XII gehöre. Soweit vereinzelt in der obergerichtlichen Rechtsprechung (u.a. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 ER, juris) die Auffassung vertreten werde, für unabweisbar gebotene Bedarfe könne für diesen Personenkreis auch § 73 SGB XII eine Anspruchsgrundlage darstellen, sei dem nicht zu folgen. Vielmehr stehe § 21 SGB XII einem Anspruch auch auf die nach den Umständen des Einzelfalls unabweisbar gebotenen Leistungen entgegen. Es verbleibe daher bei der Zuständigkeit des nach dem SGB II zuständigen Trägers, solange nicht eine Leistungsberechtigung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) bestehe (unter Hinweis auf LSG Hessen, Beschluss vom 22. Mai 2015 – L 4 SO 31/15 B ER, juris).

Außerdem hat der Senat im Beschwerdeverfahren und im Zusammenhang mit der Beiladung den Antragstellern Gelegenheit gegeben, zur Mindestsicherung für das unabweisbar gebotene Existenzminimum Stellung zu nehmen, ohne dass hierzu weiterer Vortrag erfolgt ist.

II.

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den eine einstweilige Anordnung ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 2. Oktober 2015 hat keinen Erfolg.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht erhoben worden (§ 173 Satz 1 SGG). Sie ist auch statthaft. Insbesondere überschreitet der Wert des Beschwerdegegenstands die Grenze von 750,00 EUR (§§ 172 Abs. 3 Nr. 1, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).

Die Beschwerde der Antragsteller ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

Gemäß § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung treffen, wenn diese Regelung notwendig ist, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Erforderlich ist grundsätzlich zum einen das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Notwendigkeit einer Eilentscheidung, und zum anderen ein Anordnungsanspruch, also ein rechtlicher Anspruch auf die begehrte Maßnahme. Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sind Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen. Dabei kann der materielle Anspruch vom Gericht aufgrund einer lediglich summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage festgestellt werden, sofern das Gericht nicht wegen zu erwartender schwerer oder unzumutbarer Nachteile im Hinblick auf Grundrechte der Betroffenen, vor die sich die Gerichte schützend und fördernd stellen müssen, entweder zu einer vollintensivierten Prüfung oder zu einer Folgenabwägung gehalten ist, in die die grundrechtlichen Belange umfassend einzustellen sind (dazu und zu den Anforderungen insbesondere BVerfG, Beschluss vom 6. Februar 2007 – 1 BvR 3101/06; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05NVwZ 2005, 927). Daran gemessen hat die Beschwerde keinen Erfolg.

Der Antragsteller zu 2) hat als EU-Bürger mit griechischer Staatsangehörigkeit, der sich seit Mai 2015 in Deutschland zur Arbeitsuche aufhält, aufgrund des europarechtskonformen grundsätzlichen Leistungsausschlusses keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (1.). Es spricht zwar viel dafür, dass bei verfassungskonformer Auslegung Leistungen vom Beigeladenen zur Sicherung des unabweisbaren Bedarfs nach dem SGB XII grundsätzlich denkbar sind (2.), die dafür erforderliche Bedarfslage ist jedoch nicht glaubhaft gemacht (3.). Auch hinsichtlich der Antragstellerin zu 1) fehlt es an der Glaubhaftmachung der Hilfebedürftigkeit (4.).

1. Der Antragsteller zu 2) hält sich seit Mai 2015 zum Zwecke der Arbeitsuche in der Bundesrepublik Deutschland auf und erfüllt damit nach Ablauf von drei Monaten (§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II) als griechischer Staatsangehöriger die Tatbestandsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II. Soweit der Senat in der Vergangenheit wegen erheblicher Zweifel an der Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses dennoch die Träger der Grundsicherung zu einer vorläufigen Leistungsgewährung verpflichtet hat (vgl zuletzt Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 16. September 2015 – L 6 AS 180/15 B ER, L 6 AS 180/15 B ER PKH, L 6 AS 282/15 B PKH –, juris), wird diese Rechtsprechung aufgrund der Grundsatzentscheidung des EuGH vom 15. September 2015 (C-67/14, A ) aufgegeben. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen Beschluss Bezug (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

2. Entgegen der Auffassung der Beigeladenen ist nach Auffassung des Senats eine grundsätzliche Anspruchsberechtigung für wirtschaftlich aktive jedoch erwerbslose EU-Ausländer nach dem 3. Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (SGB XII) denkbar.

Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG begründet einen Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Menschenrecht; es steht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu. Insofern muss ein Leistungsanspruch eingeräumt werden (BVerfG, Urt. v. 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11, BVerfGE 132, 134-179). Das Bundesverfassungsgericht führt weiter aus, dass "migrationspolitische Erwägungen [ ] von vorneherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das [ ] Existenzminimum rechtfertigen" (BVerfG, a.a.O., Rn. 95). Der Leistungsausschluss gem. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ist ein migrationspolitisches Steuerungsinstrument, hierdurch soll – politisch mag dies durchaus nachvollziehbar sein – ein Sozialleistungstourismus verhindert werden, indem auch arbeitsuchende Unionsbürger – ohne tiefere Bindungen zur Bundesrepublik Deutschland – vom Leistungsbezug ausgeschlossen und damit zur Rückreise in den jeweiligen Herkunftsmitgliedsstaat gezwungen werden (vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 13. Oktober 2015, L 16 AS 612/15 ER; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 5. November 2015, L 3 AS 479/15 B ER). Die so erforderliche Sicherung des menschlichen Existenzminimums ist nach einfachrechtlichen Maßstäben am ehesten über das SGB XII und eine verfassungskonforme Auslegung des § 21 Satz 1 SGB XII zu erreichen.

Dem steht zunächst dem Wortlaut nach nicht die Sperrwirkung des § 21 Satz 1 SGB XII entgegen. Gemäß § 21 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder deren Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII. Das Tatbestandsmerkmal "dem Grunde nach leistungsberechtigt" nach dem SGB II, welches zur Abgrenzung der Existenzsicherungssysteme des SGB II und des SGB XII dient, stellt dabei nicht allein auf das Vorliegen einer Erwerbsfähigkeit im medizinischen Sinne (§ 8 Abs. 1 SGB II) ab. Dies zeigt sich bereits am Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 SGB II, der die Anwendung des SGB XII nicht sperrt, obwohl er auch nicht unmittelbar erwerbsfähigkeitsbezogen ausgestaltet ist. Bei verfassungskonformer Auslegung kann Gleiches auch für den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vertreten werden.

Würde die Sperrwirkung des § 21 Satz 1 SGB XII allein durch die Erwerbsfähigkeit des Hilfesuchenden gemäß § 8 SGB II ausgelöst, führte dies dazu, dass dem Unionsbürger kein Leistungssystem mehr offen stünde und dessen menschwürdiges Existenzminimum aufgrund von migrationspolitischen Erwägungen nicht mehr gewährleistet wäre. Einen migrationspolitischen Ausreisezwang auf EU-Ausländer auszuüben, kann und darf nach den vom Bundesverfassungsgericht zu Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG aufgestellten Grundsätzen aber nicht Aufgabe des Sozialrechts sein, soweit hierbei das menschenwürdige Existenzminimum unterschritten wird.

Etwas anderes gilt auch nicht, weil der EU-Ausländer in sein Heimatland zurückreisen könnte, um dort Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhaltes in Anspruch zu nehmen, und damit sein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleistet wäre (so Bayerisches LSG, a.a.O.; LSG Rheinland-Pfalz, a.a.O.). Der Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Menschenrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG entsteht nach dem Territorialitätsprinzip mit dem Betreten des Hoheitsgebiets der Bundesrepublik Deutschland. Ein struktureller Verweis auf Sozialsysteme anderer EU-Mitgliedstaaten während des tatsächlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland und einer existenziellen Bedarfslage ist daher nicht eine Form der Gewährung des Existenzminimums, sondern dessen Verwehrung. Ungeachtet dessen stellt das SGB XII ein flexibles System bei der Leistungsgewährung insbesondere in zeitlicher Hinsicht, bezogen auf eine absehbare Ausreise, dar.

Die Situation von EU-Ausländern ist jedenfalls nicht vergleichbar mit der Situation von Auszubildenden und Studenten, die von Leistungen nach dem SGB II gem. § 7 Abs. 5 SGB II ausgeschlossen sind (so aber Bayerisches LSG, a.a.O. und LSG Rheinland-Pfalz, a.a.O.). Der Leistungsausschluss in § 7 Abs. 5 SGB II ist anders als der Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausbildungs- und nicht personenbezogen und verfolgt einen völlig anderen Zweck. Der Vollzeitstudierende oder Auszubildende steht dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung und soll deshalb keine Leistungen nach dem SGB II erhalten, mit Beendigung oder Unterbrechung des Studiums bzw. der Ausbildung kann dieser wieder in das Hilfesystem des SGB II aufgenommen werden. Diese Möglichkeit steht dem EU-Ausländer nicht zu, dieser kann seine Herkunft nicht durch autonomen Entschluss ablegen. Davon abgesehen steht den Studenten und Auszubildenden durch das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) ein Leistungssystem zur sozialen Absicherung zu Verfügung, welches in den dafür vorgesehenen Fällen ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleistet. Ein solches Auffangsystem stünde dem Unionsbürger, unabhängig von der möglichen sozialen Härte des Leistungsausschlusses, nicht zu, wenn man der Auffassung folgte, dass die Sperrwirkung des § 21 Abs. 1 SGB XII sich allein durch die Erwerbsfähigkeit gem. § 8 Abs. 1 SGB II bedinge.

Dem grundsätzlich denkbaren Anspruch des Antragstellers zu 2) auf Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII steht § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII, der Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, sowie ihr Familienangehörigen von den Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII ausschließt, nicht entgegen. Dieser Leistungsausschluss ist bei Staatsangehörigen der Signaturstaaten des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA), zu denen auch Griechenland und die Bundesrepublik Deutschland gehören, aufgrund des Gleichbehandlungsgebots aus Art. 1 EFA nicht anwendbar (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23. Mai 2014 – L 8 SO 129/14 B ER – mit weiteren Nachweisen). Einen Vorbehalt hat die Bundesrepublik Deutschland insoweit nicht erklärt. Es kann also offenbleiben, ob die geringfügige Differenzierung im Wortlaut des § 23 Abs. 3 Satz SGB XII und § 7 Abs. 2 SGB XII zu einer unterschiedlichen Auslegung führten.

Art. 1 EFA ist nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG transformiertes Völkerrecht und regelt, dass jeder der Vertragschließenden verpflichtet ist, den Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind.

3. Vorliegend ist die nach dem SGB XII erforderliche Bedarfslage jedoch nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Senat wegen der zukunftsorientierten Betrachtung bei ablehnenden erstinstanzlichen Entscheidungen für den Beginn eines Verpflichtungszeitraums im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich den Eingang der Beschwerde beim Landessozialgericht (hier also den 29. Oktober 2015) als maßgeblich ansieht, wohingegen ein früherer zeitlicher Anknüpfungspunkt nur bei Vorliegen besonderer Gesichtspunkte, insbesondere der Glaubhaftmachung aufgelaufener Verbindlichkeiten angezeigt ist (vgl. nur LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 1. November 2013 – L 6 AS 184/13 B ER).

Der Antragsteller zu 2) lebt im Haushalt der Eltern seiner Lebenspartnerin. Nach § 39 SGB XII wird in der Fallgestaltung, dass die nachfragende Person gemeinsam mit einer anderen Person in einer Wohnung oder einer entsprechend anderen Unterkunft lebt, vermutet, dass sie gemeinsam wirtschaften (Haushaltsgemeinschaft) und dass die nachfragende Person von den anderen Personen Leistungen zum Lebensunterhalt erhält, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann. Hilfe zum Lebensunterhalt wird nur gewährt, sofern nicht gemeinsam gewirtschaftet wird oder die nachfragende Person von den Mitgliedern der Haushaltsgemeinschaft keine ausreichenden Leistungen zum Lebensunterhalt erhält (§ 39 Satz 2 SGB XII). § 39 SGB XII geht insoweit über die Regelungen zur Haushaltsgemeinschaft nach dem SGB II (§ 9 Abs. 5 SGB II) hinaus, als keine Begrenzung auf Verwandte und Verschwägerte erfolgt. Im Rahmen des Eilverfahrens sind keine Umstände vorgetragen worden, die gegen eine Haushaltsgemeinschaft mit den Eltern der Antragstellerin zu 1) sprechen. Insbesondere sind die Einkommensverhältnisse der Eltern nicht offengelegt worden und die Wohnsituation (Anzahl der Zimmer, Quadratmeterzahl des Hauses) ist nicht beschrieben worden. Es ist jedoch Sache der Antragsteller glaubhaft zu machen, dass entgegen der Vermutungsregelung keine Bedarfsdeckung durch die Haushaltsgemeinschaft gewährleistet wird. Im Beschwerdeverfahren ist den Antragstellern im Zusammenhang mit der Beiladung des Sozialhilfeträgers noch einmal Gelegenheit gegeben worden, zumindest zur Sicherung des unabweisbar gebotene Existenzminimums Stellung zu nehmen, ohne dass die Antragsteller davon Gebrauch gemacht haben. Auch vor diesem Hintergrund gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass insbesondere das physische Existenzminimum des Antragstellers zu 2) gegenwärtig nicht durch die Haushaltsgemeinschaft, insbesondere durch gemeinsame Mahlzeiten und die unentgeltliche zur Verfügungsstellung beheizter Wohnräume gesichert wird. Insgesamt erscheint im vorliegenden Einzelfall eine Verpflichtung des Antragstellers zur Gewährung vorläufiger Leistungen zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) nicht geboten. Ob der Antragsteller für diesen Zeitraum materiell Leistungen hat beanspruchen können, kann daher in einem Hauptsacheverfahren geklärt werden.

4. Auch die Antragstellerin zu 1) hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, da sie in einer Haushaltsgemeinschaft mit ihren Eltern lebt und daher die Regelvermutung nach § 9 Abs. 5 SGB II eingreift. Dem steht nicht entgegen, dass sie formularmäßig angekreuzt hat, keine Leistungen von Verwandten und Verschwägerten zu erhalten, da im gerichtlichen Eilverfahren glaubhaft gemacht werden muss, dass die Anspruchsvoraussetzungen auch hinsichtlich der Hilfebedürftigkeit vorliegen.

Es kann daher auch offenbleiben, ob die Leistungsberechnung des Antragsgegners zutreffend ist. So wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein, ob am Maßstab der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 6. Oktober 2011 (B 14 AS 171/10 R, juris) bei Leistungsberechtigten nach dem SGB II, die mit einem Partner zusammenleben, der unter Umständen niedrigere oder gar keine Leistungen zur Existenzsicherung erhält, ein ungekürzter Regelbedarf nach der Bedarfsstufe 1 zu berücksichtigen ist. Ebenso bleibt es dem Hauptsacheverfahren vorbehalten, zu klären, ob die Annahme des Antragsgegners, die Antragstellerin zu 1) erhalte sonstigen Unterhalt in Höhe von 125,00 EUR zutreffend ist oder ob es nicht näher liegt, von einer kostenfreien zur Verfügungsstellung von Wohnraum durch die Eltern auszugehen.

Aus den oben genannten Gründen ist den Antragstellern mangels Erfolgsaussichten auch nicht Prozesskostenhilfe nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) zu gewähren.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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