S 16 KA 479/14

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
16
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 16 KA 479/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
§ 103 Abs. 4a Satz 1 SGB V steht im Rahmen eines Antragsverfahrens auf Genehmigung einer Zweigpraxis der vollständigen Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen von § 24 Abs. 3 Satz 1 Ärzte-ZV nicht entgegen (a.A.: LSG Hessen, Beschluss v. 19.12.2008, L 4 KA 106/08 ER).

Eine Zweigpraxis leistet keine Versorgungsverbesserung im Sinne § 24 Abs. 3 Satz 1 Ärzte-ZV, wenn ihre Zielsetzung im Wesentlichen in der Erbringung belegärztlicher Leistungen liegt. Ihr Wirkungskreis reduzierte sich damit nämlich auf die Behandlung stationärer Patienten, was den zulässigen Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung überspannt.
Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Genehmigung einer Zweigpraxis der Klägerin.

Die Klägerin ist ein radiologisches und nuklearmedizinisches Versorgungszentrum in A Stadt.

Herr Dr. C hatte als niedergelassener Vertragsarzt seinen Sitz in der Praxis C-Straße in A-Stadt. Die Klägerin übernahm diese Praxis zum Ablauf des 31.03.2014. Mit Wirkung vom 01.04.2014 ist Herr Dr. C bei der Klägerin als angestellter Arzt im Sinne von § 95 Abs. 9 SGB V tätig geworden. Zwischenzeitlich ist er verstorben.

Die Klägerin stellte am 18.06.2014 bei der Beklagten einen Antrag auf Erteilung einer Genehmigung zum Betrieb einer Zweitpraxis in der C-Straße in A-Stadt, montags bis freitags, jeweils 8:00 bis 12:00 Uhr mit den Leistungen der allgemeinen Röntgendiagnostik sowie interventioneller Gefäßdiagnostik.

Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14.7.2014 ab. Zur Begründung führte sie an, es fehle an der für eine Genehmigung erforderlichen Versorgungsverbesserung an dem geplanten Zweigpraxisort. Die Beklagte führte an, in A-Stadt seien 45 Radiologen, die 36,5 Versorgungsaufträge ausfüllen würden, verteilt auf insgesamt elf Praxisstandorte, kassenärztlich tätig. 21 dieser Radiologen mit 18,5 Versorgungsaufträgen seien in einer Entfernung von weniger als drei Kilometern zu erreichen. 15 weitere Radiologen mit 9 Versorgungsaufträgen, darunter auch die bei der Klägerin tätigen Ärzte, in einer Entfernung von weniger als 5 km. Die konkrete Entfernung zur Hauptbetriebsstätte der Klägerin betrage ca. 4 km. Die weiteren neun Radiologen mit jeweils vollem Versorgungsauftrag seien in einer Entfernung von durchschnittlich 7,8 km ansässig. Eine quantitative Verbesserung der Versorgung sei nicht zu erkennen. Den Patienten der bisherigen Praxis sei es aufgrund der genannten Entfernungsangaben zumutbar, die weiteren Praxisstandorte aufzusuchen.

Auch eine qualifizierte Versorgungsverbesserung könne hier erkannt werden. Eine solche könnte etwa dann gegeben sein, wenn die Klägerin im Vergleich zu den bereits vor Ort tätigen Ärzten über andere Abrechnungsgenehmigungen nach § 135 Abs. 2 SGB V verfügte oder ein differenziertes Leistungsspektrum anbieten würde. Allerdings würden qualitativ hochwertige Untersuchungen und genehmigungspflichtige Leistungen auch von den umliegenden Radiologen durchgeführt und erbracht. Darüber hinaus habe eine hinsichtlich der interventionellen Gefäßdiagnostik durchgeführte Analyse des Abrechnungsverhaltens der in A-Stadt tätigen Radiologen ergeben, dass näher benannten EBM-Ziffern regelmäßig und zahlreich erbracht würden, was näher ausgeführt wird. Es sei also von einer guten Versorgungssituation auszugehen.

Hiergegen erhob die Klägerin am 19.07.2014 Widerspruch. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass es fehlerhaft gewesen sei, eine Bedarfsprüfung durchzuführen. Es handele sich um eine bedarfsneutrale Übernahme eines Versorgungsauftrags. Es bestehe eine unwiderlegbare Vermutung, dass die Aufrechterhaltung der Versorgung am Ort der Zweigpraxis der Verbesserung der Versorgung entspreche.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 01.10.2014 zurück. Zur Begründung ergänzte und vertiefte sie die Begründung ihres Ausgangsbescheids. Insbesondere sei eine Versorgungsverbesserung zu prüfen, vorliegend aber zu verneinen.

Am 27.10.2014 hat die Klägerin Klage erhoben.

Sie trägt vor, die Beklagte habe keinerlei Tatsachenermittlungen angestellt. Weiterhin meint sie, für die Entscheidung über den Antrag auf Genehmigung der Zweigpraxis sei im vorliegenden Fall keine Bedarfsprüfung durchzuführen. Die Beklagte verkenne insbesondere die Besonderheit des Falles, nämlich, dass es sich Bescheid der Praxis, die als Zweigpraxis genehmigt werden soll, um eine Praxis in einem Belegkrankenhaus, der Klinik C., handelt. Die Klinik verfüge als Belegkrankenhaus generell nicht über eine eigene radiologische Abteilung und sei für die Versorgung der Patienten auf die Zusammenarbeit mit niedergelassenen Ärzten zur Mitbehandlung nach § 41 Abs. 6 BMV Ä angewiesen. Den Belegpatienten sei es während ihrer stationären Behandlung gerade nicht zuzumuten, sich mehrere Kilometer entfernt an den Vertragsarztsitz zu begeben, um sich radiologisch untersuchen zu lassen. Es bestehe eine unwiderlegbare gesetzliche Vermutung dafür, dass die Aufrechterhaltung der Versorgung einer Verbesserung der Versorgung entspreche.

Ergänzend trägt die Klägerin vor, durch die Klägerin würden mit der geplanten Zweigpraxis Leistungen angeboten, die der vorherige Praxisinhaber, Herr Dr. C, nicht erbracht habe. Ob diese Leistungen in anderen Praxen in A-Stadt angeboten würden, sei nicht erheblich, weil es auf die Verbesserung der Versorgung am Ort der Zweigpraxis ankomme. Durch den Wegfall der Praxis von Herrn Dr. C sei ambulanter vertragsärztlicher Bedarf speziell an diesem Ort entstanden. Die belegärztliche Versorgung sei Teil der vertragsärztlichen Versorgung.

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ergänzen lassen, dass in der Zweigpraxis durch den bei der Klägerin angestellten Arzt ausnahmslos operationsbegleitende gefäßinterventionelle Gefäßdiagnostik stattfinden soll. Eine solche begleitende Diagnostik sei für den operierenden Kardiologen im Rahmen der Gefäßchirurgie unerlässlich. Dieser Kardiologe sei Belegarzt des Krankenhauses, in dem die Zweigpraxis angesiedelt werden soll.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
Der Bescheid der Beklagten vom 14.07.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.10.2014 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin den Betrieb einer radiologischen Zweigpraxis in der C-Straße, A-Stadt zu genehmigen.

Hilfsweise:
Die Beklagte wird verpflichtet, den Widerspruch der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, dass sie keine Bedarfsprüfung vorgenommen habe. Gleichwohl meint sie, dass eine Prüfung der Versorgungsverbesserung erforderlich sei und diese zu verneinen sei. Insbesondere sei die Sicherstellung der Versorgung von stationären Patienten weder durch Zweigpraxen noch durch MVZ zu erbringen. Der Ort der beabsichtigten Zweigpraxis befinde sich mitten in der Stadt A-Stadt mit einem dichten und engmaschigen Netz von Radiologen. Die Genehmigung würde lediglich zum Hinzutritt eines weiteren Leistungsortes führen. Es entspreche im Übrigen der gelebten Versorgungsrealität, dass ein Patient Röntgenbilder oder sonstige Unterlagen zur belegärztlichen Behandlung mitbringe.

Am 17.06.2015 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, die vertagt worden ist. Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen. Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der Behördenvorgänge sowie der Gerichtsakten. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat gem. § 12 Abs. 3 Satz 2 SGG in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Auch konnte die Kammer gem. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten mit Schriftsätzen vom 16.11.2015 und 27.11.2015 hierzu ihr Einverständnis erteilt hatten.

Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt worden, auch ist das Sozialgericht Marburg zuständig.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 14.07.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.10.2014 ist rechtmäßig. Deshalb besteht weder ein Anspruch der Klägerin auf eine Verpflichtung der Beklagten zur Genehmigung der begehrten Zweigpraxis noch zur Neubescheidung über den klägerischen Antrag.

Rechtsgrundlage für die Genehmigung einer Zweigpraxis ist § 24 Abs. 3 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) i.V.m. § 98 Abs. 2 Nr. 13 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), allerdings unter Beachtung berufsrechtlicher Vorschriften, hier insbesondere § 17 Bundesmantelvertrag – Ärzte (BMV-Ä) vom 01.01.2015 und § 17 der Berufsordnung für die Ärztinnen und Ärzte in Hessen vom 02.09.1998 (HÄBl. 10/1998, S. I – VIII, zuletzt geändert am 1. Oktober 2014, HÄBl. 11/2014, S. 662).

Demnach ist die Ablehnung des Antrags vom 18.06.2014 durch die Beklagte mit Bescheid vom 14.07.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.10.2014 nicht zu beanstanden.

Nach § 24 Abs. 3 Satz 5 Ärzte-ZV hat der Vertragsarzt für einen Ort im Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung, in der er Mitglied ist, bei Vorliegen der Voraussetzungen einen Anspruch auf vorherige Genehmigung der Zweigpraxis durch die Kassenärztliche Vereinigung. Nach Abs. 3 Satz 1 sind vertragsärztliche Tätigkeiten außerhalb des Vertragsarztsitzes an weiteren Orten zulässig, wenn und soweit
1. dies die Versorgung der Versicherten an den weiteren Orten verbessert und
2. die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes nicht beeinträchtigt wird; geringfügige Beeinträchtigungen für die Versorgung am Ort des Vertragsarztsitzes sind dabei unbeachtlich, wenn sie durch die Verbesserung der Versorgung an dem weiteren Ort aufgewogen werden. Schließlich dürfen nach Abs. 7 Gründe der vertragsärztlichen Versorgung der Genehmigung nicht entgegenstehen.

Hinsichtlich des gerichtlichen Prüfungsradius ist zu beachten, dass der Beklagten bzw. dem Zulassungsgremium ein Beurteilungsspielraum zukommt (st. Rspr., vgl. etwa BSG, Urteil vom 28.10.2009 - B 6 KA 42/08 R; BSG, Urteil vom 09.02.2011, B 6 KA 49/09 R; BSG, Urteil vom 09.02.2011, B 6 KA 3/10 R; BSG, Urteil vom 09.02.2011, B 6 KA 7/10 R). Diese Kontrolle beschränkt sich auf die Prüfung, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtiger und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, ob die Entscheidungsgremien die durch die Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe "Verbesserung der Versorgung" und "ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Vertragsarztsitz" ermittelten Grenzen eingehalten haben und ob sie ihre Erwägungen so verdeutlicht und begründet haben, dass im Rahmen des Möglichen die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist (vgl. beispielhaft BSG, Urteil vom 06.06.1984, 6 RKa 7/83, dort zur Ermächtigung).

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist an der ablehnenden Entscheidung der Beklagten, weil es bereits an der erforderlichen Verbesserung der Versorgung der Versicherten an dem weiteren Ort, also dem beabsichtigten Standort der Zweigpraxis, fehle, nichts zu beanstanden.

Weder die Ärzte-ZV noch die zugehörigen Gesetzesmaterialien geben eine Definition der Verbesserungssituation her. Allerdings ist der Begriff durch die Rechtsprechung mittlerweile hinlänglich konkretisiert worden.

Danach ist einerseits die Genehmigung einer Zweigpraxis im Falle von Unterversorgung stets als Versorgungsverbesserung anzusehen, während andererseits (in ausreichend versorgten Gebieten) das bloße Hinzutreten eines weiteren Behandlers - ungeachtet der damit verbundenen Erweiterung der Möglichkeiten der Arztwahl - noch keine Verbesserung der Versorgung in qualitativer oder zeitlicher Hinsicht darstellt. Erforderlich, aber auch ausreichend ist es, dass das bestehende Leistungsangebot an dem "weiteren Ort", an dem die Zweigpraxis betrieben werden soll, zum Vorteil für die Versicherten in qualitativer - unter bestimmten Umständen aber auch in quantitativer - Hinsicht erweitert wird. Eine qualitative Versorgungsverbesserung kann etwa dann gegeben sein, wenn der in der Zweigpraxis tätige Vertragsarzt im Vergleich zu den bereits vor Ort tätigen Ärzten über andere qualifikationsgebundene Genehmigungen nach § 135 Abs. 2 SGB V verfügt, ein differenzierteres Leistungsspektrum anbietet oder wenn er eine besondere Untersuchungs- oder Behandlungsmethode anwenden kann, die z.B. besonders schonend ist oder bessere Diagnoseergebnisse liefert. Eine lediglich quantitative Erweiterung des bestehenden Versorgungsangebots kommt etwa dann als Verbesserung im Sinne des § 24 Abs 3 Satz 1 Ärzte-ZV in Betracht, wenn durch das erhöhte Leistungsangebot Wartezeiten verringert werden, die – z.B. wegen einer ungleichmäßigen Verteilung der Leistungserbringer im Planungsbereich – bei den bereits vor Ort niedergelassenen Ärzten bestehen. Als Versorgungsverbesserung können auch besondere organisatorische Maßnahmen angesehen werden, wie das Angebot von Abend- und Wochenendsprechstunden. Im Einzelfall – allerdings wohl nur bei größeren "weiteren Orten" i.S. des § 24 Abs 3 Ärzte-ZV – kann dies auch im Falle besserer Erreichbarkeit der Zweigpraxis gelten. Insbesondere die Frage einer ausgleichsbedürftigen Versorgungslücke ist allerdings nicht Bestandteil der Prüfung, ob eine Versorgungsverbesserung vorliegt (vgl. zum Ganzen BSG, Urteil vom 09.02.2011 B 6 KA 49/09 R; siehe weiterhin BSG, Urteil vom 05.06.2013 - B 6 KA 29/12 R sowie Urteil vom 09.02.2011 – B 6 KA 3/10 R und Urteil vom 28.10.2009 B 6 KA 42/08 R, alle mwN).

Bei der Prüfung einer Versorgungsverbesserung ist im Gegensatz zur Bedarfsplanung nicht auf den Planungsbereich abzustellen, sondern auf den "weiteren Ort", an dem die Zweigpraxis betrieben werden soll (BSG, Urteil vom 28.10.2009 – B 6 KA 42/08 R), womit die Anschrift der geplanten Praxisräume gemeint ist (Schallen in: Schallen, Zulassungsverordnung, 8. Aufl. 2012, § 18 Rn 3).

Diesen Maßstäben ist die Beklagte mit ihrer Entscheidung gerecht geworden.

Zunächst ist hierbei zu berücksichtigen, dass § 103 Abs. 4a Satz 1 SGB V, auch in Ansehung der Rechtsprechung des LSG Hessen, einer vollständigen Prüfung von § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Ärzte-ZV nicht entgegensteht. Nach vorgenannter Vorschrift hat der Zulassungsausschuss die Anstellung zu genehmigen, wenn ein Vertragsarzt in einem Planungsbereich, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, auf seine Zulassung verzichtet, um in einem medizinischen Versorgungszentrum tätig zu werden.

Das LSG hatte in seinem Beschluss vom 19.12.2008, Az. L 4 KA 106/08 ER, ausgeführt, dass es nach – ausdrücklich – summarischer Prüfung im Rahmen des Genehmigungsverfahrens einer Zweigpraxis keiner gesonderten Prüfung bedürfe, ob die in § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Ärzte-ZV normierte Voraussetzung erfüllt sei, weil die "Übertragung der Zulassung" gemäß § 103 Abs. 4a SGB V grundsätzlich "bedarfsneutral" erfolge. Ob die geplante Zweigpraxis die Versorgung der Versicherten verbessere, könne dahinstehen. Denn durch die in § 103 Abs. 4a SGB V normierten Übertragungsmöglichkeiten habe der Gesetzgeber die Möglichkeiten der Neugründung von Medizinischen Versorgungszentren verbessern wollen, da auch bei Sperrung wegen Überversorgung neue Zentren gegründet werden könnten. Da die Übertragung aber "bedarfsplanungsneutral" erfolge, werde gleichzeitig vermieden, dass es zur Steigerung der Zahl der vertragsärztlichen Leistungserbringer komme. Eine gesonderte Prüfung, ob eine Verbesserung der Versorgung der Versicherten "an einem weiteren Ort" im Sinne des § 24 Abs. 1 Nr. 1 Ärzte-ZV besteht, würde dieses Ziel des Gesetzgebers aushebeln. Zudem liefe eine zusätzliche Prüfung der Versorgungsverbesserung über den § 103 Abs. 4a Satz 2 SGB V hinaus den Interessen des Praxisabgebers zuwider. Aus Gründen des Eigentumsschutzes aus Artikel 14 Grundgesetz, sehe das Gesetz in § 103 Abs. 4 bis 6 SGB V vor, dass der wirtschaftliche Wert einer Arztpraxis (einschl. Patientenstamm, Praxisräume- und Ausstattung) trotz Zulassungsbeschränkungen für den Fall einer beabsichtigten Praxisnachfolge dadurch erhalten bleiben könne, dass für den Praxisnachfolger die Zulassungsbeschränkungen durchbrochen werden können. Die Ratio der gesetzlichen Regelungen sei die Werterhaltung der freiberuflichen Praxis durch öffentlich-rechtlich regulierte Nachfolge in den Zulassungsstatus. Würde man die Errichtung einer Zweigpraxis durch ein medizinisches Versorgungszentrum am Sitz der übernommen Praxis zusätzlich vom Kriterium der Verbesserung der Versorgung in einem überversorgten Gebiet abhängig machen, sei durch den abgebenden Arzt nicht mehr der Verkehrswert der Praxis zu erzielen.

Im Gegensatz zum Wortlaut des § 103 Abs. 4a Satz 1 SGB V in der Fassung vom 15.12.2008, der dem LSG in der genannten Entscheidung zugrunde lag, schränkt die Gesetzesfassung vom 22.12.2011 (mit Wirkung zum 01.01.2012) die Norm mit ihrem neuen, vorletzten Halbsatz aber dahingehend ein, dass Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen dürfen.

Die amtliche Begründung (BT-Drs. 17/6906, S. 77) lautet: "Die Sätze 1 und 2 entsprechen dem bisherigen Absatz 4a Sätze 2 und 3. Satz 1 wurde allerdings ein neuer Halbsatz angefügt, der bewirkt, dass medizinische Versorgungszentren, die im Rahmen eines Nachbesetzungsverfahrens nach § 103 Absatz 4 eine Praxis übernehmen und in der Weise weiterführen wollen, dass die vertragsärztliche Tätigkeit nicht in der Praxis, sondern in den Räumlichkeiten des medizinischen Versorgungszentrums ausgeübt wird, hierzu nur dann berechtigt sind, wenn dieser Verfahrensweise keine Gründe der vertragsärztlichen Versorgung entgegenstehen. Die Regelung erfolgt in Anlehnung an die Vorschrift zur Verlegung eines Praxissitzes nach § 24 Ärzte-ZV und soll der Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung dienen. Führt daher die Übernahme einer Praxis in ein medizinisches Versorgungszentrum zu Versorgungsproblemen am bisherigen Sitz der Praxis, stehen diese Versorgungsprobleme einer solchen Übernahme entgegen. Seitens des medizinischen Versorgungszentrums wäre in diesem Fall ggf. zu prüfen, ob am bisherigen Praxissitz eine Zweigpraxis eingerichtet wird."

Obwohl die Bundesregierung in diesen Ausführungen eine Konstellation darlegt, die im Ergebnis dem Begehren der Klägerin entspricht, ist weder dem Wortlaut der Vorschrift noch der historischen Auslegung (siehe zuvor: "Die Regelung [ ] soll der Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung dienen.") eine Einengung in diese eine Richtung zu entnehmen. Denn auch die Ärzte-ZV enthält und normiert Gründe der vertragsärztlichen Versorgung (vgl. zum Begriff auch § 24 Abs. 7 Satz 1 und die zugehörige Gesetzesbegründung, Bt-Drs. 17/6906, S. 105), weshalb ihre Voraussetzungen durch § 103 SGB V, jedenfalls nach der hier maßgeblichen Fassung, gerade nicht ausgehebelt werden.

Privatrechtliche Nachfolgeproblematiken sind im Übrigen keine Frage der vertragsärztlichen Versorgung (LSG Bayern vom 01.10.2014, L 12 KA 41/14, nachgewiesen bei Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2015, § 103 SGB V, Rn. 141). Schließlich fokussiert die Begründung des Gesetzentwurf zum § 103 Abs. 4a Satz 1 SGB V in der ursprünglichen Fassung (vgl. Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drs. 15/1525, dort S. 112) mit der vom LSG Hessen in der genannten Entscheidung aufgegriffenen Aspekt der bedarfsneutralen Übernahme des Vertragsarztsitzes nicht auf den Schutz der Praxisabgeber, sondern ausdrücklich auf die Erleichterung der MVZ-Gründung, nämlich indem bedarfsneutral dorthin Vertragsarztsitze verlagert werden können. Es heißt dort wörtlich: "Durch diese Möglichkeiten der `Übertragung´ der Zulassungen in ein medizinisches Versorgungszentrum werden die Möglichkeiten der Neugründung von Zentren verbessert, da auch bei Sperrung wegen Überversorgung neue Zentren gegründet werden können. Da die Übertragung "bedarfsplanungsneutral" erfolgt, wird gleichzeitig vermieden, dass es zur Steigerung der Zahl der vertragsärztlichen Leistungserbringer kommt." Die besondere Niederlassungsmöglichkeit von angestellten Ärzten in MVZ nach fünf Jahren erhöhe die Attraktivität des medizinischen Versorgungszentrums für junge Ärzte, da diese Ärzte neben Erfahrungen auch die Möglichkeit erhielten, in einem gesperrten Gebiet in die Freiberuflichkeit zu wechseln, ohne den normalerweise notwendigen Weg über die Praxisübergabe gehen zu müssen. Außerdem werde durch die Möglichkeit der Nachbesetzung der freigewordenen Arztstellen verhindert, dass das medizinische Zentrum durch einen Wechsel in die Freiberuflichkeit ausblute. Diese Privilegierung der angestellten Ärzte in den medizinischen Versorgungszentren in Verbindung mit der Nachbesetzungsmöglichkeit der freiwerdenden Arztstellen durch das Zentrum sei auf die Einstellung zum Zwecke der Neugründung oder der Erweiterung der medizinischen Angebotspalette des medizinischen Versorgungszentrums beschränkt, denn nur in diesen Fällen sei eine derartige Förderung angesichts der damit verbundenen Vergrößerung der Überversorgung in dem betreffenden Planungsbereich vertretbar.

Vornehmlich ermöglicht die Vorschrift nach dem Willen des Gesetzgebers also die Einbringung eines Vertragsarztsitzes in ein MVZ mit der Fortführung der zugehörigen vertragsärztlichen Leistungserbringung in diesem und damit unabhängig vom bisherigen Praxisbetrieb und -standort.

Im Übrigen hatte das Sozialgericht Marburg bereits unter der alten Gesetzesfassung und zeitlich nach der oben genannten LSG-Entscheidung auch in den Konstellationen des § 103 Abs. 4a SGB V das Tatbestandsmerkmal der Versorgungsverbesserung weiterhin geprüft (Beschluss vom 20.04.2011, S 12 KA 268/11 ER, zu anders zu bewertenden Konstellationen vgl. Urteil vom 16.07.2008, S 12 KA 45/08). Demnach kann eine Zweigpraxis in einer für die Patienten zumutbaren Entfernung vom Hauptsitz (dort 6 km) nicht genehmigt werden. Der Gesetzgeber habe davon abgesehen zuzulassen, dass unter dem Dach eines MVZ gleichsam ein Filialnetz betrieben werde. Für ein MVZ gebe es einen zwingenden Hauptsitz und Zweigpraxen seien nur unter den normierten Voraussetzungen genehmigungsfähig.

Die nach alledem zu prüfende Frage, ob mit der Genehmigung der begehrten Zweigpraxis eine Versorgungsverbesserung eintritt, hat die Beklagte in rechtlich nicht zu beanstandender Weise verneint.

Denn, falls in der begehrten Zweigpraxis in geringfügigem Umfang überhaupt noch ambulante Leistungen erbracht werden sollen, rechtfertigt bereits die kurze Distanz vom Hauptsitz der Klägerin zum beabsichtigten Standort der Zweigpraxis, beide in der Innenstadt von A-Stadt liegend, die Verneinung einer quantitativen Versorgungsverbesserung. Die im Internet zugänglichen Kartendienste Google-Maps und Here (www.google.de/maps, www.maps.here.com, beide abgerufen am 04.01.2016) geben als Wegstreckenentfernung für Fußgänger übereinstimmend eine Strecke von 2,8 km und als kürzeste Wegstreckenentfernung für Kfz 3,3 km (Google-Maps) bzw. 3,9 km (Here) an. Die Auskunftsseite des Rhein-Main-Verkehrsverbundes (www.rmv.de; abgerufen am 04.01.2016) lässt erkennen, dass während normaler Geschäftszeiten eine Reisefrequenz mit öffentlichen Verkehrsmitteln von jeweils unter fünf Minuten möglich ist, dies bei einer Gesamtfahrdauer von ca. 12 Minuten bei jeweils einem etwa fünfminütigen Fußweg von der Adresse zum Verkehrsmittel bzw. umgekehrt.

Hinsichtlich der Entfernungen zu den zahlreichen weiteren Leistungserbringern und deren Leistungsspektrum wird ergänzend auf die Ausführungen im Tatbestand und die zutreffenden Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden verwiesen, die keiner weiteren Erörterung bedürfen.

Schließlich erfolgte auch die Verneinung einer qualitativen Versorgungsverbesserung zu Recht. Die Besonderheit der Leistungserbringung, nämlich die operationsbegleitende gefäßinterventionelle Gefäßdiagnostik stellt keine rechtlich hinreichende Versorgungsverbesserung dar.

Rechtliche Grundlagen für die belegärztliche Tätigkeit sind vorrangig § 121 Abs. 5 SGB V, § 18 des Gesetzes über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen (Krankenhausentgeltgesetz, KHEntgG) sowie §§ 38 ff. BMV-Ä. Bei den hier interessierenden Leistungen des angestellten Arztes handelt es sich um die von einem Belegarzt veranlassten Leistungen von Ärzten und ärztlich geleiteten Einrichtungen außerhalb des Krankenhauses i.S.d § 18 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KHEntgG. Bei solchen, für die Durchführung einer belegärztlichen Operation unerlässlichen ärztlichen Maßnahmen eines anderen Arztes handelt es sich ebenfalls um Leistungen, die "in" belegärztlichen Behandlungsfällen erbracht werden. Sie sind Teil der belegärztlichen Behandlung wie die eigentliche Leistung, auch wenn sie nicht vom Belegarzt selbst, sondern durch einen hinzugezogenen Facharzt erbracht werden (BSG, Urteile vom 18.08.2010, B 6 KA 25/09 R, und vom 31.01.2001, B 6 KA 23/99 R).

Eine Zweigpraxis leistet keine Versorgungsverbesserung im Sinne § 24 Abs. 3 Satz 1 Ärzte-ZV, wenn ihre Zielsetzung im Wesentlichen in der Erbringung belegärztlicher Leistungen liegt. Ihr Wirkungskreis reduzierte sich damit nämlich auf die Behandlung stationärer Patienten. Dies aber überspannt den zulässigen Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung.

Belegärzte sind nach der Definition von § 121 Abs. 2 SGB V nicht am Krankenhaus angestellte Vertragsärzte, die berechtigt sind, ihre Patienten (Belegpatienten) im Krankenhaus unter Inanspruchnahme der hierfür bereitgestellten Dienste, Einrichtungen und Mittel vollstationär oder teilstationär zu behandeln, ohne hierfür vom Krankenhaus eine Vergütung zu erhalten. § 39 Abs. 3 BMV-Ä konkretisiert dies dahingehend, dass die stationäre Tätigkeit des Vertragsarztes nicht das Schwergewicht der Gesamttätigkeit des Vertragsarztes bilden darf. Er muss im erforderlichen Maße der ambulanten Versorgung zur Verfügung stehen. Die belegärztliche Leistung der Zweigpraxis wäre aber ihr nahezu oder gar einziges Betätigungsfeld.

Im Übrigen hat das BSG mehrfach darauf hingewiesen, dass zur Beurteilung einer Versorgungsverbesserung nicht für die spezielle Patientenschaft einer Praxis, sondern abstrakt bezogen auf die im Einzugsbereich des Standorts lebenden Versicherten abzustellen ist (BSG, Urteile vom 05. Juni 2013, B 6 KA 28/12 R und B 6 KA 29/12 R). Auch demnach scheidet die Versorgungsverbesserung aus. Denn das Leistungsangebot der begehrten Zweigpraxis richtet sich (nahezu) ausschließlich auf diejenigen Belegpatienten der Klinik C., bei denen eine gefäßchirurgische Operation durchgeführt werden soll. Im Übrigen wird die operationsbegleitende gefäßinterventionelle Gefäßdiagnostik, wie in der mündlichen Verhandlung unstreitig festgestellt worden ist, von anderen, stationären Einrichtungen in der Stadt A-Stadt erbracht.

Auf die strittige Frage, ob Belegpatienten üblicherweise die Produkte bildgebender Verfahren zu einem Operationstermin mitbringen oder nicht, kam es nicht mehr an.

Aufgrund der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide besteht weder der begehrte Anspruch der Klägerin auf eine Verpflichtung der Beklagten zur Genehmigung der Zweigpraxis noch auf die hilfsweise begehrte eine Verpflichtung zur Neubescheidung über den Antrag.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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