S 12 KA 33/15

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 33/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei einer angeordneten Betreuung bedarf der Behandlungsvertrag der Zustimmung des Betreuers. Fehlt es an einem Nachweis hierfür, können die Leistungen sachlich-rechnerische Berichtigung berichtigt werden.
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Abrechnung eines Behandlungsfalls innerhalb der Quartalsabrechnung für die Quartale III und IV/13 und hierbei um eine sachlich-rechnerische Berichtigung in Höhe von insgesamt 1.698,69 EUR für die Behandlung der Frau C. ohne Zustandekommen eines wirksamen Behandlungsvertrags.

Die Klägerin ist eine Gemeinschaftspraxis. Herr Dr. Dr. A1 ist Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, die übrigen Mitglieder sind Zahnärzte. Sie sind zur vertragszahnärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen.

Herr C. wandte sich mit Datum vom 30.10.2013 an die Beklagte und teilte mit, er sei aus Zufall beim Besuch seiner Mutter in einem Pflegeheim auf einem bis dahin unbekannten Herrn gestoßen, der sich als behandelnder Zahnarzt vorgestellt und ihm im Nachhinein darüber informiert habe, dass er seine Mutter, ohne sein Wissen und ohne sein Einverständnis, behandelt habe. Seine Mutter sei aufgrund ihrer Alzheimererkrankung nicht mehr rechts- und geschäftsfähig. Ihm obliege die Besorgung aller Rechtsgeschäfte sowie die Gesundheitsfürsorge. Weder er noch der behandelnde Zahnarzt seien von dem angeblichen Behandlungsbedarf informiert worden. Seiner Mutter sei eine Eigenanteilsrechnung, datierend vom 24.08.2013 (über 89,75 Euro) zugesandt worden. Bei dieser Rechnung fehle die Fremdlaborrechnung. Seine Mutter habe ein Schreiben der behandelnden Zahnarztpraxis mit Datum vom 22.07.2013 über eine vorgeschlagene Behandlung, Prothesenreparatur, ohne Unterschrift des behandelnden Zahnarztes, daran angeheftet einen Vordruck "Einwilligung- und Schweigepflichtentbindungserklärung" erhalten. In dieser Erklärung seien handschriftlich sogar sein Name und seine Anschrift als gesetzlicher Vertreter eingetragen gewesen. Danach habe sie wiederholt eine Zahlungsaufforderung der A-Firma erhalten.

Die Klägerin erklärte hierzu unter Datum vom 16.12.2013, für die vorgenommene Behandlung habe es laut Aussage ihrer zuständigen Mitarbeiterin eine mündliche Einverständniserklärung des Betreuers, Herrn C., gegeben. Es liege auch eine unterschriebene Schweigepflichtentbindung vor. Daraus lasse sich entnehmen, dass Herr C. in die Entscheidung zur Behandlung eingebunden gewesen sei, anderenfalls hätte sie die Daten gar nicht haben können. Sie habe zwischenzeitlich die Rechnung aus Kulanzgründen bei der A-Firma storniert.

Die Beklagte erwiderte unter Datum vom 19.12.2013, es liege ihr lediglich ein nicht unterschiebenes Exemplar einer Schweigepflichtentbindung vor. Da der Name von Herrn C. dort nicht korrekt eingetragen worden sei, sei dieses Formular eher ein Indiz dafür, dass Herr C. nicht in die Entscheidung zur Behandlung eingebunden gewesen sei und zudem auch keine Einverständniserklärung zur Weiterleitung von Patientendaten an das Abrechnungszentrum vorgelegen habe. Sie bitte daher um Übersendung eines unterschriebenen Exemplars und einer Kopie der Behandlungsdokumentation. Hieran erinnerte die Beklagte die Klägerin wiederholt erfolglos. Die Beklagte teilte dann unter Datum vom 27.02.2014 der Klägerin mit, es habe an einem wirksamen Abschluss eines Behandlungsvertrages gefehlt. Im zahnärztlichen Bereich nehme der Versicherte das Sachleistungsangebot der Krankenkasse an, indem er einen Behandlungsvertrag mit einem Zahnarzt abschließe. Das Wahlrecht über die Behandlung nehme für einen nicht mehr geschäftsfähigen Patienten grundsätzlich sein Betreuer wahr.

Die Klägerin teilte daraufhin unter Datum vom 04.02.2014 mit, in der Anlage erhalte sie eine handschriftliche Korrektur der Abrechnung mit der Bitte, die Nummer 153 BEMA in die Nummer 151 BEMA umzuwandeln. Sie danke für diesen Hinweis, da die Nummer 151 höher bewertet sei.

Die Beklagte nahm mit Bescheid vom 08.05.2014 eine sachlich- rechnerische Berichtigung in Höhe von insgesamt 1.698,69 Euro vor. Es fehle an einem wirksamen Behandlungsvertrag. Honoraransprüche des Vertragszahnarztes bestünden nur, wenn er seinen Honoraranspruch begründen und ausreichend belegen könne. Ein Nachweis für die Erbringung der abgerechneten Leistungen seien nicht erbracht worden. Die übersandten Befundunterlagen gingen nicht über die zur Abrechnung übermittelten Daten hinaus. Darüber hinaus dokumentierten diese lediglich einen Teil der durchgeführten Behandlungen und beinhalteten beispielsweise nicht die prothetische Versorgung. Die übersandten Unterlagen entsprächen daher nicht den Vorgaben einer vollständigen Behandlungsdokumentation und seien nicht geeignet, das auffällige Missverhältnis zwischen der teilweise täglichen Besuchsfrequenzen und dem Inhalt der abgerechneten Leistungen zu erklären. Sie habe die Leistungen insgesamt abgesetzt.

Die Klägerin legte hiergegen am 10.06.2014 den Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, für das Zustandekommen eines Behandlungsvertrages bestehe kein Schriftformerfordernis. Der Betreuer habe mehrfach ausdrücklich der Behandlung zugestimmt. Dies sei in ihren Unterlagen dokumentiert und könne durch Zeugeneinvernahme bestätigt werden. Es sei verwunderlich, dass die Thesen des Betreuers einfach übernommen würden und ihren Karteikarteneintrag, der die mündliche Zustimmung des Betreuers dokumentiere, als unrichtig gelte. Das Widerspruchsschreiben war nicht unterschrieben.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 17.12.2014 den Widerspruch als nicht statthaft zurück. Er sei nicht formgerecht eingelegt worden. Der per Telefax am 06.06.2014 eingegangene Widerspruch weise keine Unterschrift auf. Der Widerspruch sei im Original nicht nachgereicht worden. Die angekündigte Widerspruchsbegründung sei trotz Erinnerung ausgeblieben. Eine Heilung sei deshalb nicht eingetreten. Der Widerspruch sei zudem in der Sache unbegründet. Es fehle an einem Nachweis der Behandlung durch eine ausreichende Behandlungsdokumentation. Ferner sei ein Behandlungsvertrag nicht wirksam abgeschlossen worden. Zwar werde grundsätzlich die Richtigkeit der zahnärztlichen Behandlungsdokumentation vermutet. Im vorliegenden Fall hätte sie jedoch begründete Zweifel an der Richtigkeit des Eintrags. Im Vergleich zu den im Übrigen sehr sparsamen Einträgen, die sich im Wesentlichen auf die Wiedergabe des Wortlautes der Abrechnungsposition beschränkten, sei dieser Eintrag auffallend ausführlich. Auch das Datum für die angeblich eingeholte Einwilligung deute darauf hin, dass die Dokumentation nachträglich ergänzt worden sei, nachdem sie Zweifel an der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung für das Quartal III/2013 angekündigt habe. So sei die angebliche Einwilligung des Betreuers auf den Beginn des Quartals III/2013 datiert worden, obwohl bereits im Quartal zuvor Leistungen für diese Patientin abgerechnet worden seien, die aber nicht Gegenstand der Überprüfung gewesen seien. Der Eintrag sei zudem unsubstantiiert, da offen bleibe, in welche Behandlung der Betreuer eingewilligt haben solle. Demgegenüber habe sie keinen Anlass, an der Erklärung von Herrn C. zu zweifeln.

Hiergegen hat die Klägerin am 19.01.2015 die Klage erhoben. Sie trägt vor, es werde als ausreichend angesehen, wenn ein schriftlicher Widerspruch ohne Unterschrift erfolge und sich aus dem Widerspruch allein oder in Verbindung mit Anlagen hinreichend sicher ohne Rückfragen und Beweiserhebungen ergebe, dass der Widerspruch vom Widersprechenden herrühre und keine Anhaltspunkte dafür sprächen, dass der Widerspruch ohne dessen Willen in den Verkehr gelangt sei. Vor diesem Hintergrund reiche das Widerspruchsschreiben aus. Die Ernsthaftigkeit des Widerspruchs ergebe sich bereits aus der Vorkorrespondenz. Zudem habe die Beklagte aufgrund einer Vielzahl von auch gerichtsbekannten Verfahren Kenntnis davon, dass sie gegen Absetzungs-, Aufhebungs- und Honorarberichtigungsbescheide grundsätzlich Widerspruch erhebe. Schließlich zeige auch das Schreiben der Beklagten vom 07.08.2014, in welchem sie eine weitere Stellungnahme angefordert habe, deutlich, dass auch sie von einem wirksamen Widerspruch ausgegangen sei. Da die Beklagte in keiner Weise auf Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit des Widerspruches hingewiesen habe, ergebe sich hieraus ein Vertrauensschutz. Im Übrigen verweise sie auf ihren Vortrag im Verwaltungsverfahren.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 08.05.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die berichtigten Leistungen nachzuvergüten.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf ihre Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, bei dem Telefaxschreiben vom 06.06.2014 handele es sich lediglich um einen Entwurf. Allerdings halte sie aufgrund der Hinweise des Gerichts nicht mehr an der Auffassung fest, der Widerspruch sei unzulässig. Der Widerspruch sei aber, wie auch schon im Widerspruchsbescheid ausgeführt, unbegründet. Ergänzend führt sie aus, die Richtigkeit des Eintrags bzgl. des Einverständnisses unterstellt, fehle ihm nach § § 630h Abs. 2 BGB die Beweiskraft, da sich aus dem Eintrag nicht ergebe, in welche Behandlung der Betreuer eingewilligt haben soll.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragszahnärzte verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragszahnärzte handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid vom 08.05.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2014 ist rechtmäßig und war daher nicht aufzuheben. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Nachvergütung der abgesetzten Leistungen. Die Klage war abzuweisen.

Die Beklagte war zuständig für die sachlich-rechnerische Berichtigung.

Nach § 75 Abs. 1 SGB V haben die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen die vertrags(zahn)ärztliche Versorgung sicher zu stellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertrags(zahn)ärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Nach § 75 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz haben die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen die Erfüllung der den Vertrags(zahn)ärzten obliegenden Pflichten zu überwachen. Zu den Pflichten der Vertrags(zahn)ärzte gehört unter anderem auch eine ordnungsgemäße Abrechnung der von ihnen erbrachten Leistungen. Die Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung stellt die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertrags(zahn)ärzte fest; dazu gehört auch die arztbezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität sowie die Prüfung der abgerechneten Sachkosten (§ 106a Abs. 2 Satz 1 SGB V). Es obliegt deshalb nach § 19 BMV-Z/§ 17 Abs. 1 Satz 1 EKV-Z der Beklagten, die vom Vertragsarzt eingereichten Honoraranforderungen rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu prüfen und ggf. zu berichtigen (vgl. BSG, Urt. v. 10.05.1995 - 6 RKa 30/94 - SozR 3-5525 § 32 Nr. 1 = NZS 1996, 134 = Breith 1996, 280 = USK 95120, juris Rdnr. 12; BSG, Urt. v. 28.04.2004 - B 6 KA 19/03 R - SozR 4-2500 § 87 Nr. 5, juris Rdnr. 15; BSG, Urt. v. 30.06.2004 - B 6 KA 34/03 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 11 = BSGE 93, 69 = SGb 2004, 474 = GesR 2004, 522 = MedR 2005, 52 = NZS 2005, 549, juris Rdnr. 17) bzw. § 12 Abs. 1 Satz 1 EKV-Z (vgl. BSG, Urt. v. 13.05.1998 - B 6 KA 34/97 R - SozR 3-5555 § 10 Nr. 1 = USK 98155, juris Rdnr. 13; BSG, Urt. v. 28.04.2004 - B 6 KA 19/03 R – a.a.O.; BSG, Urt. v. 30.06.2004 - B 6 KA 34/03 R – a.a.O.).

Bei den Absetzungen handelt sich auch um sachlich-rechnerische Berichtigungen. Die Beklagte geht davon aus, dass ein Behandlungsvertrag nicht zustande gekommen ist. Von daher war sie für die Berichtigung zuständig.

Zum Zeitpunkt des Zugangs des angefochtenen Bescheids war die Ausschlussfrist von vier Jahren noch nicht verstrichen. Der Berichtigungsbescheid erging innerhalb eines Zeitraums von weniger als einem Jahr nach Abschluss der Behandlungsquartale.

Der angefochtene Berichtigungsbescheid ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden.

Die Beklagte hat die Leistungen zu Recht abgesetzt. Zwischen der Klägerin und Frau C. ist kein wirksamer Behandlungsvertrag zustande gekommen. Aufgrund der angeordneten Betreuung bedurfte der Behandlungsvertrag der Zustimmung des Betreuers. Hieran fehlt es an einem Nachweis. Eine schriftliche Zustimmung oder Genehmigung hat die Klägerin trotz ihrer Ausführungen im Verwaltungsverfahren nicht vorgelegt. Für eine mündliche Einwilligung fehlt es an einem Nachweis. Der von der Klägerin vorgelegte Auszug aus der Karteikarte ist völlig unbestimmt und ungenau. Im Übrigen hat der Betreuer gegenüber der Beklagten nachvollziehbar dargelegt, dass er weder gefragt wurde noch der Behandlung in irgendeiner Weise zugestimmt habe.

Vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme, insbesondere eines Eingriffs in den Körper oder die Gesundheit, ist der Behandelnde verpflichtet, die Einwilligung des Patienten einzuholen. Ist der Patient einwilligungsunfähig, ist die Einwilligung eines hierzu Berechtigten einzuholen, soweit nicht eine Patientenverfügung nach § 1901a Absatz 1 Satz 1 BGB die Maßnahme gestattet oder untersagt. Die Wirksamkeit der Einwilligung setzt voraus, dass der Patient oder im Fall des Absatzes 1 Satz 2 der zur Einwilligung Berechtigte vor der Einwilligung nach Maßgabe von § 630e Absatz 1 bis 4 aufgeklärt worden ist (§ 630d Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 BGB). Es reicht daher auch für zahnmedizinische Maßnahmen nicht aus, dass lediglich ganz allgemein eine Einwilligung vermerkt wird, ohne dass daraus hervorgeht, für welche Maßnahmen die Einwilligung erteilt sein soll. Dem Eintrag der Klägerin in die Karteikarte kommt daher keinerlei Beweiswert zu.

Nach allem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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