Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Reutlingen (BWB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 1 KR 1767/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Da dem Arzneimittel Xeljanz die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt, ist dieses Arzneimittel mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst.
2. Auch eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen Regelungen des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung zur Arzneimittelversorgung führt nicht dazu, dass die Anspruchsvoraussetzungen ausnahmsweise bejahrt werden müssen.
3. Auch die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 73 Abs. 3 AMG für einen Import von Xeljanz aus dem Ausland liegen nicht vor.
2. Auch eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen Regelungen des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung zur Arzneimittelversorgung führt nicht dazu, dass die Anspruchsvoraussetzungen ausnahmsweise bejahrt werden müssen.
3. Auch die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 73 Abs. 3 AMG für einen Import von Xeljanz aus dem Ausland liegen nicht vor.
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Vorliegend begehrt die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Übernahme der Kosten für eine Behandlung mit dem Arzneimittel Xeljanz.
Bei der im geborenen, bei der Beklagten krankenversicherten Klägerin wurde im Februar 2005 erstmals eine rheumatoide Arthritis diagnostiziert, die im weiteren Verlauf zu einer wesentlichen Einschränkung der Beweglichkeit mit hochgradiger Einschränkung der Gehfähigkeit führte. Nach eigenen Angaben der Klägerin ist sie zwischenzeitlich auf die Benutzung eines Rollstuhles angewiesen. Ausweislich des Arztbriefes der behandelnden Fachärztin für Innere Medizin, Rheumatologin Dr. H. vom 17.11.2014 besteht bei der Klägerin seit 2012 ein entzündlicher Befall des cranio-cervikalen Übergangs mit zunehmender Bandinstabilität.
Die Klägerin beantragte am 26.11.2014 bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für die Behandlung mit dem Arzneimittel Xeljanz. Dieses in den USA, Kanada und in der Schweiz zugelassene Arzneimittel enthält den Wirkstoff Tofacitinib und wird zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis eingesetzt, falls der Wirkstoff Methotrexat nicht ausreichend wirksam oder verträglich ist (vgl. www.pharmawiki.ch, Stichwort "Tofacitinib"). Neben Arztbriefen der Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie Dr. H ... vom 04.08. und 17.11.2014 und der Fachärztin für Innere Medizin Dr. B. vom 29.09.2014 war dem Antrag der Klägerin das Attest der Dr. H vom 17.11.2014 beigefügt, wonach trotz kontinuierlicher rheumatologischer Therapie seit Beginn der Erkrankung der bisherig aggressive Verlauf der Erkrankung bei der Klägerin nicht habe aufgehalten werden können. Aufgrund des entzündlichen Befalls der oberen Halswirbelsäule sowie des cardiovaskulären Risikos aufgrund des langfristig erhöhten CRP (C-reaktives Protein; www.wikipedia.org, Stichwort "CRP") sei die Erkrankung damit indirekt auch lebensbedrohlich. Nach Unverträglichkeit bzw. Ineffektivität sämtlicher verfügbarer konventioneller Basismedikamente sowie der bisher verfügbaren Biologika werde der Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme hinsichtlich des Medikaments Xeljanz unterstützt.
In seinem auf Veranlassung der Beklagten erstellten Gutachten vom 05.01.2015 gelangte Dr. M ... vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) zu dem Ergebnis, das Arzneimittel Xeljanz sei in Deutschland bei negativem Votum der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA (European Medicines Agency) nicht verkehrsfähig. Zudem seien auch die Bedingungen für ein importfähiges Arzneimittel nicht vollständig erfüllt. So liege keine unmittelbar tödliche oder gleichgestellte Erkrankung vor. Auch seien die in der Indikation zugelassenen Arzneimitteloptionen und auch andere Therapieoptionen (operative Maßnahmen) nicht ausgeschöpft. Der zu erwartende Nutzen übersteige nicht die schwerwiegenden Risiken. Es bestehe somit keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung.
Gestützt hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 09.01.2015 die begehrte Kostenübernahme ab.
Zur Begründung ihres hiergegen am 29.01.2015 eingelegten Widerspruches führte die Klägerin u.a. aus, bei ihr bestehe kurz- bis mittelfristig eine lebensbedrohliche Situation. Zwischenzeitlich sei es zu einem Verlust ihrer Gehfähigkeit gekommen. Die bisher verordneten und zur Linderung der Beschwerden dringend erforderlichen Medikamente hätten bei ihr sämtlich aufgrund des aggressiven progredienten Verlaufs weder zu einer Stagnation noch zu einer Besserung der Erkrankung geführt. Ihr stünden keine vertraglichen ausreichend wirksamen und zugelassenen Antirheumatika zur Verfügung. Ergänzend hierzu legte sie die Stellungnahme der Dr. H. vom 13.04.2015 vor, in dem diese nach Abwägung von Nutzen und Risiko einen Therapieversuch mit dem Importarzneimittel Xeljanz für sinnvoll und dringend erforderlich bei der Klägerin hielt.
Die Beklagte holte bei Dr. B vom MDK daraufhin eine weitere gutachterliche Stellungnahme ein. Dieser gelangte in seinem Gutachten vom 29.04.2015 zu dem Ergebnis, das Arzneimittel Xeljanz sei in Deutschland nicht verkehrsfähig, da ein allgemeines Importverbot bestehe. Kosten hierfür dürften durch die gesetzliche Krankenversicherung nicht übernommen werden. Selbst wenn die arzneimittelrechtliche Situation die Verkehrsfähigkeit von Xeljanz zulassen würde, wären die Bedingungen für eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht vollständig erfüllt. Es handle sich hier eindeutig um einen schweren Krankheitsverlauf, es liege jedoch keine tödlich verlaufende oder gleichzustellende Erkrankung vor. Auch seien Behandlungsalternativen vorhanden.
Gestützt hierauf wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.2015 den Widerspruch als unbegründet zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 24.07.2015 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage mit dem Begehren erhoben, die Beklagte zur Übernahme der Kosten für die Behandlung mit dem Arzneimittel Xeljanz zu verurteilen. Zur Begründung hat sie zum einen ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt, zum anderen ergänzend vorgetragen, die Wirksamkeit des Medikaments Xeljanz sei durch Studien nachgewiesen. Das Medikament sei durch die EMA nur deswegen nicht zugelassen worden, weil Sicherheitsbedenken aufgrund von Nebenwirkungen bestanden hätten. Laut beigefügter Fachinformation bestehe in der Schweiz eine Zulassung für Xeljanz. Auf die möglichen Nebenwirkungen bei Anwendung von Xeljanz komme es in ihrem Fall nicht an. Die Inkaufnahme dieser Nebenwirkungen sei nach Abwägung des zu erwartenden therapeutischen Nutzens als gerechtfertigt anzusehen, insbesondere angesichts ihres Verlustes an Lebensqualität durch den Verlust der Mobilität und der Beweglichkeit sowie angesichts der Intensität ihrer Schmerzen. Überdies würden unter bestimmten Voraussetzungen, die bei ihr vorliegen würden, in der täglichen Praxis in Deutschland bzw. in der Europäischen Union nicht zugelassene Medikamente unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung durch örtliche Apotheken über die internationale Apotheke bezogen und an Patienten abgegeben.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.01.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2015 zu verurteilen, ihr die Behandlung mit dem Medikament Xeljanz als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf den Inhalt ihres Widerspruchsbescheides verwiesen. Danach handle es sich bei dem Arzneimittel Xeljanz um ein zulassungspflichtiges Fertigarzneimittel. Eine Zulassung sei bislang weder durch die Deutsche Zulassungsbehörde (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) noch durch die EMA erfolgt. Vielmehr habe die EMA den Zulassungsantrag für das Arzneimittel Xeljanz am 25.04.2013 negativ bewertet und die Zulassung am 25.07.2013 abgelehnt. Eine Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen sei daher grundsätzlich ausgeschlossen. Die Zulassung des Arzneimittels Xeljanz in Kanada, den USA sowie in der Schweiz ermögliche keine andere Beurteilung. Auch liege keine notstandsähnliche Situation vor, in der ausnahmsweise eine Kostenübernahme erfolgen könne. Trotz Befalls des Atlantooccipitalgelenks sei keine unmittelbare Lebensbedrohlichkeit gegeben. Darüber hinaus stünden vertragliche Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Insoweit werde auf den Inhalt der beiden MDK-Gutachten verwiesen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und der Gerichtsakten sowie der Vorprozessakte S 1 KR 1181/15 ER Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht beim sachlich und örtlich zuständigen SG erhobene Klage ist zulässig, jedoch unbegründet. Die Entscheidung der Beklagten, eine Übernahme der Kosten für eine Behandlung mit dem Arzneimittel Xeljanz abzulehnen, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die Klägerin als gesetzliche Krankenversicherte hat nach den §§ 11 Abs. 1 Nr. 4, 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 3 in Verbindung mit § 31 Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) einen Anspruch gegen die Beklagte auf Versorgung mit den für eine Krankenbehandlung notwendigen Arzneimitteln. Dabei unterliegt die Leistungspflicht der Beklagten allerdings den in den §§ 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 SGB V gesetzlich festgelegten Einschränkungen. Danach müssen die Leistungen der Krankenkassen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB V). Außerdem müssen Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V).
An dieser für eine Leistungspflicht der Beklagten als gesetzlicher Krankenkasse notwendigen Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Behandlung mit einem Arzneimittel fehlt es nach zutreffender Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der sich die Kammer anschließt, wenn das verwendete Mittel nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedarf und diese Zulassung nicht erteilt worden ist (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. z. B. Urteile vom 08.06.1993 – 1 RK 21/91 -; vom 08.03.1995 – 1 RK 8/94 - ; vom 23.07.1998 – B 1 KR 19/96 R -; vom 23.05.2000 – B 1 KR 2/99 R – und vom 19.03.2002 – B 1 KR 37/00 R – alle in juris).
Bei dem Arzneimittel Xeljanz handelt es sich um ein Fertigarzneimittel im Sinne von § 4 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG). Um im Geltungsbereich des AMG, also im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, in den Verkehr gebracht werden zu dürfen, bedarf dieses Arzneimittel nach § 21 Abs. 1 AMG einer arzneimittelrechtlichen Zulassung, die vorliegend allerdings nicht erfolgt ist. Für das zulassungspflichtige Arzneimittel Xeljanz lag weder in Deutschland noch EU-weit eine solche Arzneimittelzulassung vor. Die in den USA im November 2012 und in der Schweiz, einem Nichtmitgliedsstaat in der EU, im Jahr 2013 beschränkt auf diese Staaten erteilte Arzneimittelzulassung von Xeljanz entfaltete nicht zugleich auch entsprechende Rechtswirkungen für Deutschland; denn weder das deutsche Recht noch das Europarecht sehen eine solche Erweiterung der Rechtswirkung der nur von nationalen Behörden erteilten Zulassungen ohne ein entsprechend vom Hersteller eingeleitetes sowie positiv beschiedenes Antragsverfahren vor (vgl. hierzu im Einzelnen BSG, Urteil vom 18.05.2004 – B 1 KR 21/02 R – juris). Auch die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass für Xeljanz die notwendige arzneimittelrechtliche Zulassung für Deutschland nicht vorlag. Damit kam mangels Zulassung von Xeljanz eine zulassungsüberschreitende Anwendung ebenfalls von vornherein nicht in Betracht (vgl. BSG, Urteil vom 18.05.2004, aaO). Da dem Arzneimittel Xeljanz somit die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt, ist dieses Arzneimittel mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§§ 2 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 1 SGB V) nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst.
Da die arzneimittelrechtliche Zulassung für Xeljanz fehlt, scheidet ein Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit diesem Arzneimittel nach den Grundsätzen des Off-Label-Use aus. Denn dies setzt die Anwendung eines zugelassenen Arzneimittels für einen anderen Indikationsbereich als den der Zulassung voraus. Unabhängig davon sind auch die Voraussetzungen für den Off-Label-Use nicht gegeben (vgl. hierzu Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.09.2015 – L 4 KR 2942/15 ER-B –).
Auch eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen Regelungen des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung zur Arzneimittelversorgung führt vorliegend nicht dazu, dass die Anspruchsvoraussetzungen von § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V hier ausnahmsweise bejaht werden müssen.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seinem sogenannten Nikolausbeschluss vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98 – juris – ) entschieden, dass es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar ist, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von einer Leistung der von ihm gewählten ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Eine Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode sei im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, weil der zuständige Gemeinsame Bundesausschuss diese noch nicht anerkannt oder sie sich zumindest in der Praxis und der medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt hat, verstößt nach dieser Rechtsprechung des BVerfG, der sich das BSG (Urteil vom 07.11.2006 – B 1 KR 24/06 R – juris) angeschlossen hat, gegen das Grundgesetz, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: &61485; Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. &61485; Bezüglich dieser Erkrankung steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. &61485; Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode besteht eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Diese vom BVerfG entwickelten Grundsätze, die ihren Niederschlag nicht nur in der Rechtsprechung des BSG, sondern auch in dem mit Gesetz vom 22.12.2011 (Bundesgesetzblatt I, S. 2983) mit Wirkung vom 01.01.2012 eingefügten Abs. 1a zu § 2 SGB V im dortigen Satz 1 ihren Niederschlag gefunden haben, gelten sinngemäß auch im Bereich der Versorgung mit Arzneimitteln (BSG, Urteil vom 04.04.2006 – B 1 KR 7/05 R – juris –). Bei dieser sinngemäßen Übertragung auf den Arzneimittelbereich ist allerdings eine verfassungskonforme Auslegung nur derjenigen Normen des SGB V geboten, die einem verfassungsrechtlich begründeten Anspruch auf Arzneimittelversorgung entgegenstehen. Dagegen bleibt die Prüfung der allgemeinen Voraussetzungen des SGB V für einen Leistungsanspruch auch unter Berücksichtigung der Verfassungsmäßigkeit eines abgeschlossenen Leistungskatalogs der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung unberührt (BSG, Urteil vom 04.04.2006, aaO). Die Anwendung der vom BVerfG entwickelten Maßstäbe auf den Bereich der Arzneimittelversorgung bedeutet auch, zu berücksichtigen, dass die verfassungsrechtlichen Schutzpflichten den Leistungsansprüchen Versicherter selbst im Falle regelmäßig tödlich verlaufender Krankheiten Grenzen setzen. Dem entspricht es, für den Bereich der Arzneimittel die spezifischen Sicherungen auch des Arzneimittelrechts in den Blick zu nehmen. Um die Notwendigkeit der Krankenbehandlung mit einem nicht zugelassenen Arzneimittel bejahen zu können, müssen daher nach der zutreffenden Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 04.04.2006, aaO) neben der nach dem BVerfG erforderlichen Krankheitssituation und den allgemeinen krankenversicherungsrechtlichen Erfordernissen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: &61485; Es darf kein Verstoß gegen das Arzneimittelrecht vorliegen. &61485; Unter Berücksichtigung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes überwiegt bei der vor der Behandlung erforderlichen sowohl abstrakten als auch speziell auf den Versicherten bezogenen konkreten Analyse und Abwägung von Chancen und Risiken der voraussichtliche Nutzen. &61485; Die – in erster Linie fachärztliche – Behandlung muss auch im Übrigen den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend durchgeführt und ausreichend dokumentiert werden. Ist diesen Kriterien genügt, bietet die Arzneimitteltherapie im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Vorliegend fehlt es bereits an einer vom BSG für notwendig erachteten lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung. Eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder eine zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung ist nur zu bejahen, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Ähnliches gilt für den ggf. gleichzustellenden, nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion. Es reicht nicht aus, dass eine Erkrankung unbehandelt zum Tode führt, weil dies auf nahezu jede schwere Erkrankung ohne therapeutische Einwirkung zutrifft (BSG, Urteil vom 17.12.2013 – B 1 KR 70/12 R – juris mwN). Die bei der Klägerin nach dem Antragssschreiben der Dr. H vom 17.11.2014 bestehende rheumatoide Arthritis mit schwerem und multilierendem Verlauf stellt zweifellos eine schwere und fortschreitende Erkrankung dar, die inzwischen bei der Klägerin zum Verlust der Gehfähigkeit geführt hat. Auch führte diese Erkrankung dazu, dass seit 2012 bei der Klägerin ein entzündlicher Befall des cranio-cervikalen Übergangs mit zunehmender Bandinstabilität besteht. Gleichwohl handelt es sich bei dieser Erkrankung um keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder eine zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung im dargestellten Sinn. Dies belegen die Ausführungen der Dr. H. in ihrem Antragsschreiben vom 17.11.2014, wonach aufgrund des entzündlichen Befalls der oberen Halswirbelsäule sowie des kardiovaskulären Risikos die Erkrankung indirekt auch lebensbedrohlich sei. Eine direkte Lebensgefahr wird weder von Dr. H ... mitgeteilt, noch ist eine solche Lebensgefahr aus den vorliegenden Unterlagen zu ersehen. Die Kammer verkennt hierbei nicht, dass die Erkrankung der Klägerin weiter fortschreitet und damit möglicherweise zu weiteren Beeinträchtigungen führen wird. Es gibt jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass diese Erkrankung innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraumes mit großer Wahrscheinlichkeit unbehandelt zum Tod der Klägerin führen wird. Auch eine wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung ist nicht gegeben (vgl. hierzu Landessozialgericht Baden-Württemberg, aaO).
Auch die vor der Behandlung mit dem nicht zugelassenen Arzneimittel Xeljanz erforderliche abstrakte und konkret auf die Klägerin bezogene Nutzen-Risiko-Analyse fällt vorliegend unter Beachtung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes negativ aus, sodass auch bei Anwendung der dargestellten, von BVerfG und vom BSG entwickelten Kriterien ein Leistungsanspruch der Beklagten auf die Versorgung mit dem Arzneimittel Xeljanz ausscheidet.
Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der zu verlangen ist, um davon ausgehen zu dürfen, dass die behaupteten Behandlungserfolge mit hinreichender Sicherheit dem Einsatz gerade der streitigen Behandlung zugerechnet werden können und das einzugehende Risiko vertretbar ist, unterliegt Abstufungen je nach der Schwere und dem Stadium der Erkrankung nach dem Grundsatz "je schwerwiegender die Erkrankung und hoffnungsloser die Situation, desto geringere Anforderungen an die ernsthaften Hinweise auf eine nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg". Bei der erforderlichen Gegenüberstellung von (angenommenem) Nutzen der Behandlung und dem Risiko schädlicher Nebenwirkungen kann für die Notwendigkeit der Durchführung einer nicht durch allgemein anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse gesicherten Behandlung sprechen, dass das anzuwendende Arzneimittel bereits in einem einzelnen anderen EU-Mitgliedsstaat bzw. einem vergleichbaren Abkommensstaat unter Beachtung der europarechtlich im Arzneimittelbereich geltenden Richtlinien-Vorgaben zugelassen ist. Umgekehrt müsste die abstrakte Risiko-Nutzen-Abwägung für ein Arzneimittel negativ verlaufen, wenn bereits eine ablehnende Zulassungsentscheidung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte ergangen ist und sich zwischenzeitlich keine neuen Erkenntnisse ergeben haben. Entsprechendes gilt, wenn für ein Arzneimittel im Rahmen der zentralen oder dezentralen Zulassung auf EU-Ebene die Zulassung verweigert wurde (BSG, Urteil vom 04.04.2006, aaO).
Bei Anwendung dieser Maßstäbe fällt vorliegend die vorzunehmende abstrakte Risiko-Nutzen-Abwägung für das Arzneimittel Xeljanz negativ aus, da diesem Arzneimittel von der EMA am 25.07.2013 die Genehmigung für das Inverkehrbringen versagt wurde (vgl. www.ema-europa-eu/docs/de de/document). Ausweislich ihrer Mitteilung vom 26.07.2013 (EMA/460814/2014 war die EMA bei ihrer Entscheidung einer Empfehlung des Ausschusses für Humanarzneimittel (CHMP) gefolgt. Der CHMP war im April 2013 zwar zu der Auffassung gelangt, dass die Daten aus fünf Hauptstudien insgesamt gezeigt hätten, dass eine Behandlung mit Xeljanz eine Verbesserung der Anzeichen und Symptome der rheumatoiden Arthritis sowie der körperlichen Funktionsfähigkeit der Patienten bewirkt habe. Allerdings hätten die Studien nicht für den Nachweis einer beständigen Verminderung der Krankheitsaktivität und der strukturellen Schäden der Gelenke ausgereicht. Im Rahmen einer im Juli 2013 auf Vorschlag des Herstellers durchgeführten Überprüfung gelangte der CHMP aufgrund des Fehlens von robustem Beweismaterial über den Schutz vor strukturellen Schäden von Xeljanz in der vorgeschlagenen Dosis und Patientengruppe zu der (erneuten) Ansicht, dass der Nutzen der Behandlung nicht gegenüber den bedeutenden und nicht entkräfteten Sicherheitsbedenken (Risiko für schwere Nebenwirkungen, wie z. B. gewisse Krebserkrankungen, Magen-Darmperforationen [Löcher in der Darmwand], Leberschäden und Probleme im Zusammenhang mit erhöhten Blutfettwerten) überwiege. Er empfahl daher nach erneuter Überprüfung weiterhin die Versagung der Genehmigung für das Inverkehrbringen, dem die EMA mit ihrer Entscheidung vom 25.07.2013 gefolgt ist. Zur Überzeugung der Kammer steht aufgrund der negativen Entscheidung der EMA damit fest, dass der Nutzen dieses Arzneimittels nicht ausreichend nachgewiesen ist. Das Vorbringen der Klägerin, die Inkaufnahme der Nebenwirkungen des Medikaments Xeljanz sei nach Abwägung des zu erwartenden therapeutischen Nutzens, insbesondere angesichts ihres Verlustes an Lebensqualität sowie angesichts der Intensität ihrer Schmerzen als gerechtfertigt anzusehen, ist zwar durchaus nachvollziehbar, führt jedoch zu keiner anderen Entscheidung. Bei objektiv bestehenden nicht entkräfteten Sicherheitsbedenken aufgrund erheblicher Nebenwirkungen kann von der Beklagten nicht verlangt werden, die Kosten für dieses Medikament zu übernehmen.
Entgegen der Auffassung der Klägerin liegen auch die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 73 Abs. 3 AMG für einen Import von Xeljanz aus dem Ausland nicht vor. § 73 Abs. 3 Satz 1 AMG enthält eine Ausnahme zu § 73 Abs. 1 Satz 1 AMG, wonach Arzneimittel, die der Pflicht zur Zulassung unterliegen, in die Bundesrepublik Deutschland nur verbracht werden dürfen, wenn sie zum Verkehr im Inland zugelassen oder registriert oder von der Zulassung oder Registrierung freigestellt sind. Dieses Verbringungsverbot wird ausnahmsweise durch § 73 Abs. 3 Satz 1 AMG für den Fall durchbrochen, dass hier nicht zugelassene Fertigarzneimittel in dem Staat in Verkehr gebracht werden dürfen, aus dem sie von Apotheken bestellt in das Inland verbracht werden. Nach den zutreffenden Ausführungen des BSG (Urteil vom 17.03.2005 – B 3 KR 2/05 R – juris –) greift die Ausnahmeregelung des § 73 Abs. 3 AMG nur bei solchen Medikamenten, die zwar im Ausland zugelassen sind, nicht aber in Deutschland oder in der EU, dies aber nicht auf einer abgelehnten, entzogenen oder ruhenden Zulassung beruht, sondern darauf, dass die Zulassung in der EU oder in Deutschland nicht beantragt oder das Zulassungsverfahren noch nicht beendet worden ist. § 73 Abs. 3 Satz 1 AMG lässt somit also nur Raum für den Import bereits im Ausland zugelassener, im Inland mangels Durchführung bzw. Abschluss eines Zulassungsverfahrens noch nicht zugelassener Medikamente. Es darf also bei § 73 Abs. 3 AMG keine negative Zulassungsentscheidung vorliegen; ist diese vorhanden, bleibt es beim allgemeinen Importverbot nach § 30 Abs. 4 AMG. Wie das BSG (aaO) weiter zutreffend ausführt, wird die ausländische Zulassung insbesondere in einem Staat mit vergleichbarem medizinischem Versorgungsniveau – was zweifellos bei den USA, Kanada und der Schweiz der Fall ist – solange als hinreichende Gewähr für die Arzneimittelsicherheit in Einzelfällen angesehen, wie die innerstaatlichen oder EG-Behörden noch keine eigene Prüfung vornehmen konnten. Das gilt folglich nicht mehr, sobald die Zulassung für das Inland versagt, entzogen oder nachträglich deren Ruhen angeordnet wurde. Aufgrund der negativen Zulassungsentscheidung der EMA greift die Ausnahmeregelung des § 73 Abs. 3 Satz 1 AMG daher hier nicht, es verbleibt beim allgemeinen Importverbot nach § 30 Abs. 4 AMG. Anderenfalls würde die negative Zulassungsentscheidung der EMA bei einem Einzelimport umgangen werden (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, aaO).
Die Klage war somit mit der sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes ergebenden Kostenfolge abzuweisen.
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2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Vorliegend begehrt die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Übernahme der Kosten für eine Behandlung mit dem Arzneimittel Xeljanz.
Bei der im geborenen, bei der Beklagten krankenversicherten Klägerin wurde im Februar 2005 erstmals eine rheumatoide Arthritis diagnostiziert, die im weiteren Verlauf zu einer wesentlichen Einschränkung der Beweglichkeit mit hochgradiger Einschränkung der Gehfähigkeit führte. Nach eigenen Angaben der Klägerin ist sie zwischenzeitlich auf die Benutzung eines Rollstuhles angewiesen. Ausweislich des Arztbriefes der behandelnden Fachärztin für Innere Medizin, Rheumatologin Dr. H. vom 17.11.2014 besteht bei der Klägerin seit 2012 ein entzündlicher Befall des cranio-cervikalen Übergangs mit zunehmender Bandinstabilität.
Die Klägerin beantragte am 26.11.2014 bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für die Behandlung mit dem Arzneimittel Xeljanz. Dieses in den USA, Kanada und in der Schweiz zugelassene Arzneimittel enthält den Wirkstoff Tofacitinib und wird zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis eingesetzt, falls der Wirkstoff Methotrexat nicht ausreichend wirksam oder verträglich ist (vgl. www.pharmawiki.ch, Stichwort "Tofacitinib"). Neben Arztbriefen der Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie Dr. H ... vom 04.08. und 17.11.2014 und der Fachärztin für Innere Medizin Dr. B. vom 29.09.2014 war dem Antrag der Klägerin das Attest der Dr. H vom 17.11.2014 beigefügt, wonach trotz kontinuierlicher rheumatologischer Therapie seit Beginn der Erkrankung der bisherig aggressive Verlauf der Erkrankung bei der Klägerin nicht habe aufgehalten werden können. Aufgrund des entzündlichen Befalls der oberen Halswirbelsäule sowie des cardiovaskulären Risikos aufgrund des langfristig erhöhten CRP (C-reaktives Protein; www.wikipedia.org, Stichwort "CRP") sei die Erkrankung damit indirekt auch lebensbedrohlich. Nach Unverträglichkeit bzw. Ineffektivität sämtlicher verfügbarer konventioneller Basismedikamente sowie der bisher verfügbaren Biologika werde der Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme hinsichtlich des Medikaments Xeljanz unterstützt.
In seinem auf Veranlassung der Beklagten erstellten Gutachten vom 05.01.2015 gelangte Dr. M ... vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) zu dem Ergebnis, das Arzneimittel Xeljanz sei in Deutschland bei negativem Votum der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA (European Medicines Agency) nicht verkehrsfähig. Zudem seien auch die Bedingungen für ein importfähiges Arzneimittel nicht vollständig erfüllt. So liege keine unmittelbar tödliche oder gleichgestellte Erkrankung vor. Auch seien die in der Indikation zugelassenen Arzneimitteloptionen und auch andere Therapieoptionen (operative Maßnahmen) nicht ausgeschöpft. Der zu erwartende Nutzen übersteige nicht die schwerwiegenden Risiken. Es bestehe somit keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung.
Gestützt hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 09.01.2015 die begehrte Kostenübernahme ab.
Zur Begründung ihres hiergegen am 29.01.2015 eingelegten Widerspruches führte die Klägerin u.a. aus, bei ihr bestehe kurz- bis mittelfristig eine lebensbedrohliche Situation. Zwischenzeitlich sei es zu einem Verlust ihrer Gehfähigkeit gekommen. Die bisher verordneten und zur Linderung der Beschwerden dringend erforderlichen Medikamente hätten bei ihr sämtlich aufgrund des aggressiven progredienten Verlaufs weder zu einer Stagnation noch zu einer Besserung der Erkrankung geführt. Ihr stünden keine vertraglichen ausreichend wirksamen und zugelassenen Antirheumatika zur Verfügung. Ergänzend hierzu legte sie die Stellungnahme der Dr. H. vom 13.04.2015 vor, in dem diese nach Abwägung von Nutzen und Risiko einen Therapieversuch mit dem Importarzneimittel Xeljanz für sinnvoll und dringend erforderlich bei der Klägerin hielt.
Die Beklagte holte bei Dr. B vom MDK daraufhin eine weitere gutachterliche Stellungnahme ein. Dieser gelangte in seinem Gutachten vom 29.04.2015 zu dem Ergebnis, das Arzneimittel Xeljanz sei in Deutschland nicht verkehrsfähig, da ein allgemeines Importverbot bestehe. Kosten hierfür dürften durch die gesetzliche Krankenversicherung nicht übernommen werden. Selbst wenn die arzneimittelrechtliche Situation die Verkehrsfähigkeit von Xeljanz zulassen würde, wären die Bedingungen für eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht vollständig erfüllt. Es handle sich hier eindeutig um einen schweren Krankheitsverlauf, es liege jedoch keine tödlich verlaufende oder gleichzustellende Erkrankung vor. Auch seien Behandlungsalternativen vorhanden.
Gestützt hierauf wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.2015 den Widerspruch als unbegründet zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 24.07.2015 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage mit dem Begehren erhoben, die Beklagte zur Übernahme der Kosten für die Behandlung mit dem Arzneimittel Xeljanz zu verurteilen. Zur Begründung hat sie zum einen ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt, zum anderen ergänzend vorgetragen, die Wirksamkeit des Medikaments Xeljanz sei durch Studien nachgewiesen. Das Medikament sei durch die EMA nur deswegen nicht zugelassen worden, weil Sicherheitsbedenken aufgrund von Nebenwirkungen bestanden hätten. Laut beigefügter Fachinformation bestehe in der Schweiz eine Zulassung für Xeljanz. Auf die möglichen Nebenwirkungen bei Anwendung von Xeljanz komme es in ihrem Fall nicht an. Die Inkaufnahme dieser Nebenwirkungen sei nach Abwägung des zu erwartenden therapeutischen Nutzens als gerechtfertigt anzusehen, insbesondere angesichts ihres Verlustes an Lebensqualität durch den Verlust der Mobilität und der Beweglichkeit sowie angesichts der Intensität ihrer Schmerzen. Überdies würden unter bestimmten Voraussetzungen, die bei ihr vorliegen würden, in der täglichen Praxis in Deutschland bzw. in der Europäischen Union nicht zugelassene Medikamente unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung durch örtliche Apotheken über die internationale Apotheke bezogen und an Patienten abgegeben.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.01.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2015 zu verurteilen, ihr die Behandlung mit dem Medikament Xeljanz als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf den Inhalt ihres Widerspruchsbescheides verwiesen. Danach handle es sich bei dem Arzneimittel Xeljanz um ein zulassungspflichtiges Fertigarzneimittel. Eine Zulassung sei bislang weder durch die Deutsche Zulassungsbehörde (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) noch durch die EMA erfolgt. Vielmehr habe die EMA den Zulassungsantrag für das Arzneimittel Xeljanz am 25.04.2013 negativ bewertet und die Zulassung am 25.07.2013 abgelehnt. Eine Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen sei daher grundsätzlich ausgeschlossen. Die Zulassung des Arzneimittels Xeljanz in Kanada, den USA sowie in der Schweiz ermögliche keine andere Beurteilung. Auch liege keine notstandsähnliche Situation vor, in der ausnahmsweise eine Kostenübernahme erfolgen könne. Trotz Befalls des Atlantooccipitalgelenks sei keine unmittelbare Lebensbedrohlichkeit gegeben. Darüber hinaus stünden vertragliche Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Insoweit werde auf den Inhalt der beiden MDK-Gutachten verwiesen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und der Gerichtsakten sowie der Vorprozessakte S 1 KR 1181/15 ER Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht beim sachlich und örtlich zuständigen SG erhobene Klage ist zulässig, jedoch unbegründet. Die Entscheidung der Beklagten, eine Übernahme der Kosten für eine Behandlung mit dem Arzneimittel Xeljanz abzulehnen, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die Klägerin als gesetzliche Krankenversicherte hat nach den §§ 11 Abs. 1 Nr. 4, 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 3 in Verbindung mit § 31 Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) einen Anspruch gegen die Beklagte auf Versorgung mit den für eine Krankenbehandlung notwendigen Arzneimitteln. Dabei unterliegt die Leistungspflicht der Beklagten allerdings den in den §§ 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 SGB V gesetzlich festgelegten Einschränkungen. Danach müssen die Leistungen der Krankenkassen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB V). Außerdem müssen Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V).
An dieser für eine Leistungspflicht der Beklagten als gesetzlicher Krankenkasse notwendigen Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Behandlung mit einem Arzneimittel fehlt es nach zutreffender Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der sich die Kammer anschließt, wenn das verwendete Mittel nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedarf und diese Zulassung nicht erteilt worden ist (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. z. B. Urteile vom 08.06.1993 – 1 RK 21/91 -; vom 08.03.1995 – 1 RK 8/94 - ; vom 23.07.1998 – B 1 KR 19/96 R -; vom 23.05.2000 – B 1 KR 2/99 R – und vom 19.03.2002 – B 1 KR 37/00 R – alle in juris).
Bei dem Arzneimittel Xeljanz handelt es sich um ein Fertigarzneimittel im Sinne von § 4 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG). Um im Geltungsbereich des AMG, also im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, in den Verkehr gebracht werden zu dürfen, bedarf dieses Arzneimittel nach § 21 Abs. 1 AMG einer arzneimittelrechtlichen Zulassung, die vorliegend allerdings nicht erfolgt ist. Für das zulassungspflichtige Arzneimittel Xeljanz lag weder in Deutschland noch EU-weit eine solche Arzneimittelzulassung vor. Die in den USA im November 2012 und in der Schweiz, einem Nichtmitgliedsstaat in der EU, im Jahr 2013 beschränkt auf diese Staaten erteilte Arzneimittelzulassung von Xeljanz entfaltete nicht zugleich auch entsprechende Rechtswirkungen für Deutschland; denn weder das deutsche Recht noch das Europarecht sehen eine solche Erweiterung der Rechtswirkung der nur von nationalen Behörden erteilten Zulassungen ohne ein entsprechend vom Hersteller eingeleitetes sowie positiv beschiedenes Antragsverfahren vor (vgl. hierzu im Einzelnen BSG, Urteil vom 18.05.2004 – B 1 KR 21/02 R – juris). Auch die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass für Xeljanz die notwendige arzneimittelrechtliche Zulassung für Deutschland nicht vorlag. Damit kam mangels Zulassung von Xeljanz eine zulassungsüberschreitende Anwendung ebenfalls von vornherein nicht in Betracht (vgl. BSG, Urteil vom 18.05.2004, aaO). Da dem Arzneimittel Xeljanz somit die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt, ist dieses Arzneimittel mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§§ 2 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 1 SGB V) nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst.
Da die arzneimittelrechtliche Zulassung für Xeljanz fehlt, scheidet ein Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit diesem Arzneimittel nach den Grundsätzen des Off-Label-Use aus. Denn dies setzt die Anwendung eines zugelassenen Arzneimittels für einen anderen Indikationsbereich als den der Zulassung voraus. Unabhängig davon sind auch die Voraussetzungen für den Off-Label-Use nicht gegeben (vgl. hierzu Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.09.2015 – L 4 KR 2942/15 ER-B –).
Auch eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen Regelungen des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung zur Arzneimittelversorgung führt vorliegend nicht dazu, dass die Anspruchsvoraussetzungen von § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V hier ausnahmsweise bejaht werden müssen.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seinem sogenannten Nikolausbeschluss vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98 – juris – ) entschieden, dass es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar ist, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von einer Leistung der von ihm gewählten ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Eine Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode sei im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, weil der zuständige Gemeinsame Bundesausschuss diese noch nicht anerkannt oder sie sich zumindest in der Praxis und der medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt hat, verstößt nach dieser Rechtsprechung des BVerfG, der sich das BSG (Urteil vom 07.11.2006 – B 1 KR 24/06 R – juris) angeschlossen hat, gegen das Grundgesetz, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: &61485; Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. &61485; Bezüglich dieser Erkrankung steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. &61485; Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode besteht eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Diese vom BVerfG entwickelten Grundsätze, die ihren Niederschlag nicht nur in der Rechtsprechung des BSG, sondern auch in dem mit Gesetz vom 22.12.2011 (Bundesgesetzblatt I, S. 2983) mit Wirkung vom 01.01.2012 eingefügten Abs. 1a zu § 2 SGB V im dortigen Satz 1 ihren Niederschlag gefunden haben, gelten sinngemäß auch im Bereich der Versorgung mit Arzneimitteln (BSG, Urteil vom 04.04.2006 – B 1 KR 7/05 R – juris –). Bei dieser sinngemäßen Übertragung auf den Arzneimittelbereich ist allerdings eine verfassungskonforme Auslegung nur derjenigen Normen des SGB V geboten, die einem verfassungsrechtlich begründeten Anspruch auf Arzneimittelversorgung entgegenstehen. Dagegen bleibt die Prüfung der allgemeinen Voraussetzungen des SGB V für einen Leistungsanspruch auch unter Berücksichtigung der Verfassungsmäßigkeit eines abgeschlossenen Leistungskatalogs der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung unberührt (BSG, Urteil vom 04.04.2006, aaO). Die Anwendung der vom BVerfG entwickelten Maßstäbe auf den Bereich der Arzneimittelversorgung bedeutet auch, zu berücksichtigen, dass die verfassungsrechtlichen Schutzpflichten den Leistungsansprüchen Versicherter selbst im Falle regelmäßig tödlich verlaufender Krankheiten Grenzen setzen. Dem entspricht es, für den Bereich der Arzneimittel die spezifischen Sicherungen auch des Arzneimittelrechts in den Blick zu nehmen. Um die Notwendigkeit der Krankenbehandlung mit einem nicht zugelassenen Arzneimittel bejahen zu können, müssen daher nach der zutreffenden Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 04.04.2006, aaO) neben der nach dem BVerfG erforderlichen Krankheitssituation und den allgemeinen krankenversicherungsrechtlichen Erfordernissen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: &61485; Es darf kein Verstoß gegen das Arzneimittelrecht vorliegen. &61485; Unter Berücksichtigung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes überwiegt bei der vor der Behandlung erforderlichen sowohl abstrakten als auch speziell auf den Versicherten bezogenen konkreten Analyse und Abwägung von Chancen und Risiken der voraussichtliche Nutzen. &61485; Die – in erster Linie fachärztliche – Behandlung muss auch im Übrigen den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend durchgeführt und ausreichend dokumentiert werden. Ist diesen Kriterien genügt, bietet die Arzneimitteltherapie im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Vorliegend fehlt es bereits an einer vom BSG für notwendig erachteten lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung. Eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder eine zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung ist nur zu bejahen, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Ähnliches gilt für den ggf. gleichzustellenden, nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion. Es reicht nicht aus, dass eine Erkrankung unbehandelt zum Tode führt, weil dies auf nahezu jede schwere Erkrankung ohne therapeutische Einwirkung zutrifft (BSG, Urteil vom 17.12.2013 – B 1 KR 70/12 R – juris mwN). Die bei der Klägerin nach dem Antragssschreiben der Dr. H vom 17.11.2014 bestehende rheumatoide Arthritis mit schwerem und multilierendem Verlauf stellt zweifellos eine schwere und fortschreitende Erkrankung dar, die inzwischen bei der Klägerin zum Verlust der Gehfähigkeit geführt hat. Auch führte diese Erkrankung dazu, dass seit 2012 bei der Klägerin ein entzündlicher Befall des cranio-cervikalen Übergangs mit zunehmender Bandinstabilität besteht. Gleichwohl handelt es sich bei dieser Erkrankung um keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder eine zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung im dargestellten Sinn. Dies belegen die Ausführungen der Dr. H. in ihrem Antragsschreiben vom 17.11.2014, wonach aufgrund des entzündlichen Befalls der oberen Halswirbelsäule sowie des kardiovaskulären Risikos die Erkrankung indirekt auch lebensbedrohlich sei. Eine direkte Lebensgefahr wird weder von Dr. H ... mitgeteilt, noch ist eine solche Lebensgefahr aus den vorliegenden Unterlagen zu ersehen. Die Kammer verkennt hierbei nicht, dass die Erkrankung der Klägerin weiter fortschreitet und damit möglicherweise zu weiteren Beeinträchtigungen führen wird. Es gibt jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass diese Erkrankung innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraumes mit großer Wahrscheinlichkeit unbehandelt zum Tod der Klägerin führen wird. Auch eine wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung ist nicht gegeben (vgl. hierzu Landessozialgericht Baden-Württemberg, aaO).
Auch die vor der Behandlung mit dem nicht zugelassenen Arzneimittel Xeljanz erforderliche abstrakte und konkret auf die Klägerin bezogene Nutzen-Risiko-Analyse fällt vorliegend unter Beachtung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes negativ aus, sodass auch bei Anwendung der dargestellten, von BVerfG und vom BSG entwickelten Kriterien ein Leistungsanspruch der Beklagten auf die Versorgung mit dem Arzneimittel Xeljanz ausscheidet.
Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der zu verlangen ist, um davon ausgehen zu dürfen, dass die behaupteten Behandlungserfolge mit hinreichender Sicherheit dem Einsatz gerade der streitigen Behandlung zugerechnet werden können und das einzugehende Risiko vertretbar ist, unterliegt Abstufungen je nach der Schwere und dem Stadium der Erkrankung nach dem Grundsatz "je schwerwiegender die Erkrankung und hoffnungsloser die Situation, desto geringere Anforderungen an die ernsthaften Hinweise auf eine nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg". Bei der erforderlichen Gegenüberstellung von (angenommenem) Nutzen der Behandlung und dem Risiko schädlicher Nebenwirkungen kann für die Notwendigkeit der Durchführung einer nicht durch allgemein anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse gesicherten Behandlung sprechen, dass das anzuwendende Arzneimittel bereits in einem einzelnen anderen EU-Mitgliedsstaat bzw. einem vergleichbaren Abkommensstaat unter Beachtung der europarechtlich im Arzneimittelbereich geltenden Richtlinien-Vorgaben zugelassen ist. Umgekehrt müsste die abstrakte Risiko-Nutzen-Abwägung für ein Arzneimittel negativ verlaufen, wenn bereits eine ablehnende Zulassungsentscheidung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte ergangen ist und sich zwischenzeitlich keine neuen Erkenntnisse ergeben haben. Entsprechendes gilt, wenn für ein Arzneimittel im Rahmen der zentralen oder dezentralen Zulassung auf EU-Ebene die Zulassung verweigert wurde (BSG, Urteil vom 04.04.2006, aaO).
Bei Anwendung dieser Maßstäbe fällt vorliegend die vorzunehmende abstrakte Risiko-Nutzen-Abwägung für das Arzneimittel Xeljanz negativ aus, da diesem Arzneimittel von der EMA am 25.07.2013 die Genehmigung für das Inverkehrbringen versagt wurde (vgl. www.ema-europa-eu/docs/de de/document). Ausweislich ihrer Mitteilung vom 26.07.2013 (EMA/460814/2014 war die EMA bei ihrer Entscheidung einer Empfehlung des Ausschusses für Humanarzneimittel (CHMP) gefolgt. Der CHMP war im April 2013 zwar zu der Auffassung gelangt, dass die Daten aus fünf Hauptstudien insgesamt gezeigt hätten, dass eine Behandlung mit Xeljanz eine Verbesserung der Anzeichen und Symptome der rheumatoiden Arthritis sowie der körperlichen Funktionsfähigkeit der Patienten bewirkt habe. Allerdings hätten die Studien nicht für den Nachweis einer beständigen Verminderung der Krankheitsaktivität und der strukturellen Schäden der Gelenke ausgereicht. Im Rahmen einer im Juli 2013 auf Vorschlag des Herstellers durchgeführten Überprüfung gelangte der CHMP aufgrund des Fehlens von robustem Beweismaterial über den Schutz vor strukturellen Schäden von Xeljanz in der vorgeschlagenen Dosis und Patientengruppe zu der (erneuten) Ansicht, dass der Nutzen der Behandlung nicht gegenüber den bedeutenden und nicht entkräfteten Sicherheitsbedenken (Risiko für schwere Nebenwirkungen, wie z. B. gewisse Krebserkrankungen, Magen-Darmperforationen [Löcher in der Darmwand], Leberschäden und Probleme im Zusammenhang mit erhöhten Blutfettwerten) überwiege. Er empfahl daher nach erneuter Überprüfung weiterhin die Versagung der Genehmigung für das Inverkehrbringen, dem die EMA mit ihrer Entscheidung vom 25.07.2013 gefolgt ist. Zur Überzeugung der Kammer steht aufgrund der negativen Entscheidung der EMA damit fest, dass der Nutzen dieses Arzneimittels nicht ausreichend nachgewiesen ist. Das Vorbringen der Klägerin, die Inkaufnahme der Nebenwirkungen des Medikaments Xeljanz sei nach Abwägung des zu erwartenden therapeutischen Nutzens, insbesondere angesichts ihres Verlustes an Lebensqualität sowie angesichts der Intensität ihrer Schmerzen als gerechtfertigt anzusehen, ist zwar durchaus nachvollziehbar, führt jedoch zu keiner anderen Entscheidung. Bei objektiv bestehenden nicht entkräfteten Sicherheitsbedenken aufgrund erheblicher Nebenwirkungen kann von der Beklagten nicht verlangt werden, die Kosten für dieses Medikament zu übernehmen.
Entgegen der Auffassung der Klägerin liegen auch die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 73 Abs. 3 AMG für einen Import von Xeljanz aus dem Ausland nicht vor. § 73 Abs. 3 Satz 1 AMG enthält eine Ausnahme zu § 73 Abs. 1 Satz 1 AMG, wonach Arzneimittel, die der Pflicht zur Zulassung unterliegen, in die Bundesrepublik Deutschland nur verbracht werden dürfen, wenn sie zum Verkehr im Inland zugelassen oder registriert oder von der Zulassung oder Registrierung freigestellt sind. Dieses Verbringungsverbot wird ausnahmsweise durch § 73 Abs. 3 Satz 1 AMG für den Fall durchbrochen, dass hier nicht zugelassene Fertigarzneimittel in dem Staat in Verkehr gebracht werden dürfen, aus dem sie von Apotheken bestellt in das Inland verbracht werden. Nach den zutreffenden Ausführungen des BSG (Urteil vom 17.03.2005 – B 3 KR 2/05 R – juris –) greift die Ausnahmeregelung des § 73 Abs. 3 AMG nur bei solchen Medikamenten, die zwar im Ausland zugelassen sind, nicht aber in Deutschland oder in der EU, dies aber nicht auf einer abgelehnten, entzogenen oder ruhenden Zulassung beruht, sondern darauf, dass die Zulassung in der EU oder in Deutschland nicht beantragt oder das Zulassungsverfahren noch nicht beendet worden ist. § 73 Abs. 3 Satz 1 AMG lässt somit also nur Raum für den Import bereits im Ausland zugelassener, im Inland mangels Durchführung bzw. Abschluss eines Zulassungsverfahrens noch nicht zugelassener Medikamente. Es darf also bei § 73 Abs. 3 AMG keine negative Zulassungsentscheidung vorliegen; ist diese vorhanden, bleibt es beim allgemeinen Importverbot nach § 30 Abs. 4 AMG. Wie das BSG (aaO) weiter zutreffend ausführt, wird die ausländische Zulassung insbesondere in einem Staat mit vergleichbarem medizinischem Versorgungsniveau – was zweifellos bei den USA, Kanada und der Schweiz der Fall ist – solange als hinreichende Gewähr für die Arzneimittelsicherheit in Einzelfällen angesehen, wie die innerstaatlichen oder EG-Behörden noch keine eigene Prüfung vornehmen konnten. Das gilt folglich nicht mehr, sobald die Zulassung für das Inland versagt, entzogen oder nachträglich deren Ruhen angeordnet wurde. Aufgrund der negativen Zulassungsentscheidung der EMA greift die Ausnahmeregelung des § 73 Abs. 3 Satz 1 AMG daher hier nicht, es verbleibt beim allgemeinen Importverbot nach § 30 Abs. 4 AMG. Anderenfalls würde die negative Zulassungsentscheidung der EMA bei einem Einzelimport umgangen werden (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, aaO).
Die Klage war somit mit der sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes ergebenden Kostenfolge abzuweisen.
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