L 6 U 282/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 2147/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 282/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 14. Januar 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) und die Gewährung einer Rente wegen dieses Versicherungsfalls im Wege des Zugunstenverfahrens.

Der 1951 geborene Kläger arbeitete nach einer dreijährigen Bäckerlehre von 1966 bis 1969 in der von seinem Vater betriebenen Bäckerei in diesem Beruf in abhängiger Beschäftigung bis 1985, lediglich unterbrochen durch die Bundeswehrzeit in den Jahren 1971 und 1972. Als Geselle war er unter anderem 1970 und im Folgejahr bei der Bäckerei Sch. in Heuweiler, 1972 und im Jahr danach bei der Bäckerei A. in Freiburg sowie teilweise 1970 und ab 1976 im väterlichen Betrieb beschäftigt. Ab 1985 war er als Bäckermeister selbstständig tätig. Die berufliche Tätigkeit reduzierte er im Jahre 2004 in zeitlichem Umfang, Ende 2006 gab er sie ganz auf.

Am 10. April 2007 beantragte er bei der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten, einer Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden: Beklagte), "die Entschädigung der Lendenwirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit im Rahmen der Ziffer 2108 der BKVO". Im Mai 2007 gab er ihr gegenüber an, seit zehn Jahren an Beschwerden im Bereich der Hals- und unteren Lendenwirbelsäule zu leiden. Als Beschwerden lägen Schmerzen im Rücken und in den Beinen vor. Auch Kopfschmerzen träten auf. Die Beeinträchtigungen seien regelmäßig wiederkehrend. Zudem machte er Angaben zu den von ihm vorgenommenen Hebe- und Tragetätigkeiten im Wesentlichen als selbstständiger Bäckermeister. Bei einer Sechs-Tage-Woche habe er mit einer weiteren Person täglich 100 kg Mehl verarbeitet. Dieses sei in Säcken von je 50 kg über einen Weg von etwa 10 m herbeigeschafft worden. Er habe davon täglich einen Mehlsack allein und beidhändig getragen. Das Mehl sei mit Wasser in einer Knetmaschine angesetzt worden. Nach dem maschinellen Kneten sei der Teig in Portionen von 10 kg aus dem Kessel gebrochen und von Hand auf dem Arbeitstisch, der neben der Knetmaschine gestanden habe, weiterverarbeitet worden. Die Teiglinge seien auf Kippdielen gelegt worden, welche jeweils bestückt ein Gewicht von bis zu 20 kg gehabt hätten. Auf eine Kippdiele seien 70 Brötchen- oder 12 Brotteiglinge gelegt worden. Insgesamt seien täglich je 30 Brote zu 0,5 kg und 1 kg sowie 500 Brötchen zu je 50 g hergestellt worden, so dass fünf Kippdielen mit Broten und sieben mit Brötchen zu belegen gewesen seien. Diese seien zu zweit gekippt worden. Nach dem Gären seien die Teiglinge auf Abziehvorrichtungen in den Ofen verbracht worden. An zwanzig Tagen im Monat habe er Backwaren ausgefahren. Darüber hinaus gab der Kläger an, vor 1985, bei seinen abhängigen Beschäftigungen in den Jahren 1966, 1972 und ab 1975, habe er, bei sechs Wochenarbeitstagen, an Lasten mit einem Gewicht von mehr als 5 kg, außer im Jahre 1966, täglich beidhändig 50 kg getragen; überwiegend allein, nur 1966 zu zweit.

Die Beklagte zog neben dem Vorerkrankungsverzeichnis der IKK Baden-Württemberg und Hessen (heute: IKK classic), wo der Kläger ab 1990 gegen Krankheit freiwillig gesetzlich versichert war, verschiedene medizinische Befundunterlagen bei. Nach einem Bericht der S.-Klinik in Bad Bellingen stellte sich der Kläger erstmals Anfang Februar 2005 wegen einer Lumboischialgie beidseits vor. Es seien ein mäßiges Lumbovertebralsyndrom ohne Ausweichskoliose und keine neurologischen Ausfallserscheinungen festgestellt worden. Das Lasègue-Zeichen sei beidseits bei 60° positiv gewesen. Der Kläger habe angegeben, gegen Ende einer Rehabilitationsmaßnahme im November 2004 seien im Bereich der Halswirbelsäule erstmals Beschwerden aufgetreten. Vom 3. bis 16. Februar 2005 habe eine stationäre Behandlung stattgefunden. Für eine Operation, die am 18. Februar 2005 stattgefunden habe, sei er verlegt worden. Anschließend sei auf Veranlassung der Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt worden. Vom 30. Juni bis 8. Juli 2005 sei er erneut wegen rezidivierender Beschwerden stationär aufgenommen worden. Es seien abermals radikuläre Beeinträchtigungen ausgeschlossen worden. Eine Besserung sei indes nicht eingetreten.

Nach dem Bericht des Ärztlichen Direktors der Neurochirurgischen Universitätsklinik, Abteilung Allgemeine Neurochirurgie des Universitätsklinikums Freiburg, Prof. Dr. Z., vom 21. November 2007 befand sich der Kläger dort vom 16. bis 28. Februar 2005 in stationärer Behandlung. Er habe über eine seit drei Monaten bestehende Lumboischialgie mit Ausstrahlung der Schmerzen in den dorsalen Ober- und Unterschenkel bis zum Knöchel beidseits, mehr links als rechts, berichtet. Weiterhin habe er ein Taubheitsgefühl im Bereich des lateralen Ober- und Unterschenkels bis zum Knöchel links angegeben. Er habe eine Claudicatio spinalis-Symptomatik mit einer Gehstrecke von 30 Minuten beschrieben. Bei einer röntgenologischen Untersuchung der Lendenwirbelsäule am 21. Februar 2005 habe sich ein Bogendefekt in Höhe der Lendenwirbelkörper L4 und L5 rechts gezeigt. Nach einer lumbalen Myelographie und einem Myelocomputertomogramm (CT) vom 2. März 2005 sei ein mediolateraler Bandscheibenvorfall lumbosacral rechts diagnostiziert worden. Ferner sei ein Liquorleck mit einem etwa 1,5 cm breiten und von der autochthonen Rückenmuskulatur rechtsseitig bis in das Bandscheibenfach über eine Strecke von 7 cm reichenden Kontrastmitteldepot festgestellt worden, allerdings ohne wesentliche raumfordernde Wirkung auf den Duralsack.

Nach der Stellungnahme der Dipl.-Ing. M. vom Präventionsdienst der Beklagten von Ende März 2008 habe der Kläger von 1966 bis 2006 als Bäcker überwiegend im elterlichen Betrieb und danach im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit gearbeitet. Dabei habe er alle üblichen Arbeiten ausgeführt, welche in einer Backstube anfielen. Wegen fehlender Angaben könne keine Belastungsberechnung nach dem Mainz-Dortmunder-Dosis-Modell (MDD) durchgeführt werden. Nach der Erfahrung und unter Betrachtung vergleichbarer Arbeitsplätze könne jedoch davon ausgegangen werden, dass der Richtwert der Beurteilungsdosis nicht erreicht und somit keine Gesamtdosis errechnet werden könne. Da ab 1985 keine gefährdenden Tätigkeiten ausgeübt worden seien, sei der vorangegangene Zeitraum von 1972 bis 1976, in dem der Versicherte in anderen Bäckereien tätig gewesen sei, nicht berücksichtigt worden (Stichtagsregelung). Die arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV lägen damit nicht vor.

Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 29. April 2008 die Anerkennung der Erkrankung des Klägers im Bereich der Wirbelsäule als Berufskrankheit wegen Fehlens der arbeitstechnischen Voraussetzungen ab; die Tatbestandsmerkmale des § 3 Abs. 1 BKV seien ebenfalls nicht gegeben. Ein Anspruch auf Entschädigungsleistungen bestehe nicht. Der nicht begründete Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 2008 zurückgewiesen. Das Klageverfahren beim Sozialgericht Freiburg (SG, Az. S 7 U 5524/08) endete im März 2011 durch Klagerücknahme.

Bereits im November 2010 hatte der Kläger im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Überprüfung des Bescheides vom 29. April 2008 begehrt. Der Antrag wurde abgelehnt (Bescheid vom 21. Dezember 2011, der wiederum nicht begründete Widerspruchsbescheid vom 29. März 2012) zurückgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger am 30. April 2012 Klage beim SG erhoben. Dieses hat die Beklagte aufgefordert, ihren Präventionsdienst eine tabellarische Aufforderung der seitens des Klägers beizubringenden Angaben und Beweismittel erstellen zu lassen, die noch zur Sachverhaltsaufklärung beitragen können. Von diesem ist vorgeschlagen worden, ab 1976 für jedes Jahrzehnt ein beliebiges repräsentatives Jahr auszuwählen. Aus dem jeweiligen Jahr solle für jede Jahreszeit ein Monat ausgesucht werden. Bezogen hierauf seien sämtliche Belege über Rohstoffeinkäufe, Lieferscheine oder Ähnliches vorzulegen. Zudem seien den Zeiträumen zuordenbare Zeugen zu benennen. Anzugeben sei ferner, in welchem prozentualen Verhältnis der Kläger seine Belastungen zu seinen jeweiligen beruflichen Tätigkeiten vor "1967" sehe. Alternativ könne der Vordruck "Fragebogen zu Wirbelsäulenerkrankungen in der Bäckerei/Konditorei" ausgefüllt und zurückgesandt werden. Unter Fristsetzung zum 29. November 2013, wobei es sich um eine Frist nach § 106a Sozialgerichtsgesetz (SGG) handele, ist der Kläger mit Schreiben des SG vom 1. Oktober 2013 zur Stellungnahme hierzu aufgefordert worden. Es hat darauf hingewiesen, dass das Gericht Erklärungen und Beweismittel, die erst nach ihrem Ablauf vorgebracht würden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden könne, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde, der Kläger die Verspätung nicht genügend entschuldige und er über die Folgen der Fristversäumung belehrt worden sei, was hiermit geschehen sei. Dies gelte nicht, wenn es mit geringem Aufwand möglich sei, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Klägers zu ermitteln. Erklärungen und Beweismittel, die das SG zurecht zurückgewiesen habe, blieben gemäß § 157a Abs. 2 SGG auch im Berufungsverfahren ausgeschlossen. Unter Hinweis auf die aus seiner Sicht überzogenen Anforderungen hat der Kläger schriftlich keine weiteren Angaben zu wirbelsäulenbelastenden beruflichen Tätigkeiten gemacht, sondern stattdessen die Durchführung eines Erörterungstermins angeregt.

Daraufhin hat das SG die Klage, nach vorheriger Anhörung der Beteiligten, mit Gerichtsbescheid vom 14. Januar 2015 unter sachdienlicher Auslegung des prozessualen Begehrens abgewiesen, nachdem der Kläger keinen Antrag gestellt habe. Mit Schreiben vom 1. Oktober 2013 habe sich das Gericht bemüht, dem Kläger im Rahmen der prozessualen Fürsorgepflicht aufzuzeigen, durch welche Art substantiierten Vorbringens er möglicherweise Zweifel an der Tatsachengrundlage des ablehnenden Bescheides der Beklagten wecken könne. Es sei nicht verkannt worden, dass wohl nicht erwartet werden könne, zu sämtlichen vom Präventionsdienst der Beklagten vorgeschlagenen Punkten umfassend und lückenlos vorzutragen. So wäre es etwa ohne Weiteres verständlich gewesen, wenn keine vollständigen urkundlichen Belege für die Jahrzehnte zurückliegenden Zeiträume mehr hätten vorgelegt werden können. Nachvollziehbar sei auch, dass die Benennung von Zeugen schwieriger werde, je länger die maßgeblichen Vorgänge zurücklägen. Dass es dem Kläger aber unmöglich oder unzumutbar sein solle, auch nur für ein Jahr der von 1976 bis Ende 2006 ausgeübten selbstständigen Tätigkeit irgendwelche Belege vorzulegen oder auch nur einen einzigen Zeugen zu benennen, sei dagegen nicht verständlich. Ebenso wenig könne nachvollzogen werden, dass der Kläger sich weigere, wie vom Präventionsdienst der Beklagten angeregt, das Verhältnis seiner Belastungen in früheren Jahren zu denjenigen in späteren zu schätzen; eine Vorgehensweise, welche mangels Beweisurkunden und Zeugen gegebenenfalls auch für die ersten Jahre nach 1976 hätte gewählt werden können. Unter diesen Umständen habe die Klage nicht zum Erfolg führen können.

Zuvor, am 27. November 2014, hat der Kläger bei der Beklagten erneut einen Antrag nach § 44 SGB X gestellt, wonach er die Überprüfung des Ausgangsbescheides vom 29. April 2008 wegen der Ablehnung eines Rechts auf Rente auch für die Vergangenheit begehre. Mit Schreiben vom 16. Dezember 2014 hat ihm die Beklagte mitgeteilt, dass sie weitere Ermittlungen nicht als erforderlich ansehe und sich daher auf die Bindungswirkung ihrer bisherigen Verwaltungsentscheidungen berufe.

Gegen die Entscheidung des SG hat der Kläger am 22. Januar 2015 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung eingelegt. Den am 9. Januar 2015 ausgefüllten Fragebogen zu Wirbelsäulenerkrankungen in der Bäckerei/Konditorei für die Tätigkeitszeiträume bei der Bäckerei Sch. sowie der abhängigen Beschäftigung im väterlichen Betrieb und der anschließenden Selbstständigkeit hat er im April 2015 vorgelegt und hierin auch Personen aufgeführt, die seine Angaben bestätigen könnten. Zu seiner abhängigen Beschäftigung bei seinem Vater und der Selbstständigkeit hat er konkretisierend und korrigierend angegeben, in der Backstube seien drei Personen tätig gewesen. Die Mehlsäcke seien jeweils zu zweit unter Zuhilfenahme einer Sackkarre über eine Strecke von 15 m transportiert worden. Dadurch habe es täglich zwei Hebevorgänge gegeben. Die Kippdiele habe ein Eigengewicht von 15 kg gehabt. Von zehn Kippvorgängen täglich habe er zwei allein und die restlichen zu zweit durchgeführt. Brote mit einem Gewicht von 0,5 kg seien täglich nur zehn hergestellt worden. An Brötchen seien es täglich nur sechzig Stück gewesen. Die Abziehvorrichtungen hätten jeweils 30 kg gewogen und seien zehn Mal am Tag gehoben und über eine Strecke von 1,5 m getragen worden. Die wirbelsäulenbelastenden Hebe- und Tragetätigkeiten habe er aus gesundheitlichen Gründen noch während seiner beruflichen Tätigkeit am 25. März 2005 aufgegeben. Bei der Bäckerei Sch., bei der er ebenfalls eine Arbeitswoche von sechs Tagen gehabt habe, hätten in der Backstube sechs Personen gearbeitet. Dort habe er die Mehlsäcke von je 50 kg zu zweit über 20 m und 15 Stufen getragen, bei täglich zehn Hebe- und Tragevorgängen. Für die Herstellung des Teiges in der Knetmaschine sei er nicht zuständig gewesen. Von den Kippdielen mit einem Gewicht von jeweils 20 kg seien täglich zwanzig zu zweit gekippt worden. Auf einer solchen hätten bis zu 100 Teiglinge gelegen, mit einem Einzelgewicht von 50 g. Die Abziehvorrichtungen seien jeweils 20 kg schwer gewesen sowie je Arbeitstag zu zweit zehn Mal gehoben und über eine Strecke von 2 m getragen worden. Täglich seien 10 Brote zu je 5 kg, 300 Brote zu je 1 kg, 50 Brote zu je 0,5 kg und 1.000 Brötchen zu je 50 g gefertigt worden. Ergänzend hat er angegeben, bei der Bäckerei A. an sechs Arbeitstagen in der Woche je Tag zu zweit zehn Mal 30 kg schwere Abziehvorrichtungen gehoben und jeweils 1,5 m weit getragen zu haben.

Mit gerichtlichem Schreiben von Ende April 2015 hat der Berichterstatter den vormaligen Bevollmächtigten des Klägers darauf hingewiesen, dass Bedenken bestehen, ob er in seiner Eigenschaft als Rentenberater im vorliegenden Verfahren, welches das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung betreffe, in dem er neben der sinngemäß begehrten Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV beim Kläger mit einer unzulässigen Klage die Gewährung einer Verletztenrente verfolge, befugt sei, diesen zu vertreten. Das Gesuch, den Berichterstatter deshalb wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, ist mit Beschluss vom 16. Juni 2015 zurückgewiesen worden (Az. L 6 SF 2260/15 AB). Daraufhin ist die Vorsitzende Richterin des erkennenden Senats, die Richterin am Landessozialgericht R.-S. und der mittlerweile aus der Sozialgerichtsbarkeit ausgeschiedene Vorsitzende Richter am Verwaltungsgericht B. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden (Az. L 6 U 2622/15 AB). Dieses Gesuch ist mit Beschluss vom 10. September 2015 als unzulässig verworfen und Rentenberater Dipl.-Verwaltungswirt E. als Bevollmächtigter des Klägers zurückgewiesen worden. Der aktuelle Bevollmächtigte hat die Vertretung des Klägers am 29. September 2015 angezeigt und anschließend eine Prozessvollmacht vorgelegt.

Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV lägen bei ihm als Bäcker eindeutig vor. Die Anforderungen, die der Präventionsdienst der Beklagten für deren Nachweis formuliert habe, seien überzogen. Auch habe es bislang keine mündliche Verhandlung gegeben, die der Wahrnehmung seines rechtlichen Gehörs gedient habe, weshalb der Rechtsstreit an das SG zurückzuverweisen sei.

Er beantragt (sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 14. Januar 2015 und den Bescheid vom 21. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 29. April 2008 zurückzunehmen und festzustellen, dass bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung vorliegt sowie diese zu verurteilen, ihm deswegen eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 vom Hundert zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt im Wesentlichen vor, das Begehren des Klägers könne wegen der nicht gegebenen arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht zum Erfolg führen.

Mit beim LSG am 28. Januar 2016 eingegangenem Schriftsatz seines Bevollmächtigten hat der Kläger die Vorsitzende Richterin am Landessozialgericht W., die Richterin am Landessozialgericht R.-S., die Richter am Landessozialgericht Dr. O´S. und Dr. M., den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht B. sowie den Richter am Sozialgericht A. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zu Unrecht sei Rentenberater Dipl.-Verwaltungswirt E. als Bevollmächtigter zurückgewiesen worden, was einen Verstoß gegen seinen Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) dargestellt habe. Weiter zweifle er an der Richtigkeit des Geschäftsverteilungsplanes, da nun auch noch Richter am Landessozialgericht Dr. O´S. an Entscheidungen des 6. Senats des LSG mitwirke. Ferner werde er um sein Recht gebracht, da weder eine Berechnung der Belastungsdosis nach dem MDD oder überhaupt eine Prüfung der arbeitstechnischen Voraussetzungen erfolgt noch seine ärztliche Begutachtung veranlasst worden sei. Das Verfahren sei überhaupt nicht betrieben worden. Darüber hinaus sei bereits mit gerichtlichem Schreiben vom 21. September 2015, welches an ihn direkt gerichtet gewesen sei, aufgrund einer vorläufigen Bewertung der Sach- und Rechtslage der Berufung keine Erfolgsaussicht beigemessen worden. Aus alledem ergebe sich die Voreingenommenheit der abgelehnten Personen. Daraufhin ist dem Bevollmächtigten des Klägers vor der mündlichen Verhandlung mittels Telefax mitgeteilt worden, dass diese stattfindet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen, einschließlich der Akten L 6 SF 2260/15 AB und L 6 SF 2622/15 AB, sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann trotz des Ablehnungsgesuches des Klägers vom 28. Januar 2016 in seiner nach dem Geschäftsverteilungsplan des LSG (Abschnitt B, Teil I) und der Senatsgeschäftsverteilung, jeweils für das Geschäftsjahr 2016, vorgeschriebenen und aus dem Rubrum ersichtlichen Besetzung entscheiden, da es offensichtlich unzulässig ist. Weder müssen sich die abgelehnten Richterinnen und Richter hierzu dienstlich äußern (vgl. Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Beschluss vom 17. November 2015 - Vf. 32-VI-15 -, juris, Rz. 5 m. w. N.), noch braucht eine ausdrückliche Entscheidung über einen solchen Antrag zu erfolgen (BSG, Beschluss vom 30. Januar 1962 - 6 RKa 23/60 -, SozR Nr. 6 zu § 41 ZPO). Dieses Gesuch ist offensichtlich unzulässig, da es sich auf eine Argumentation stützt, die gänzlich ungeeignet ist, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen (vgl. hierzu BSG, Beschluss vom 25. Februar 2010 - B 11 AL 22/09 C -, juris, Rz. 4; BFH, Beschluss vom 11. April 2002 - I B 56/01 -, juris, Rz. 3; BVerwG, Beschluss vom 7. August 1997 - 11 B 18/97 -, juris, Rz. 1; Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 60 Rz. 10d). Dies ist vorliegend der Fall, da lediglich eine bloße formale Bewertung der prozessualen Erklärung vorzunehmen ist, die keinerlei Beurteilung des eigenen Verhaltens durch die entscheidende Richterin und die entscheidenden Richter sowie kein Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erfordert (vgl. BSG, Beschluss vom 31. August 2015 - B 9 V 26/15 B -, juris, Rz. 16 m. w. N.). Bei dieser strengen Beachtung der Voraussetzungen eines gänzlich untauglichen Ablehnungsgesuches gerät eine Selbstentscheidung nicht mit der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG in Konflikt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 15. Juni 2015 - 1 BvR 1288/14 -, juris, Rz. 17). Die Richterin am Landessozialgericht R.-S., der Richter am Landessozialgericht Dr. M. und der Vorsitzende Richter am Verwaltungsgericht B. wirken an der Entscheidung bereits nicht mit. Rentenberater Dipl.-Verwaltungswirt E. ist mit gemäß § 73 Abs. 3 Satz 1 SGG unanfechtbarem und damit rechtskräftigem Beschluss vom 10. September 2015 als Bevollmächtigter zurückgewiesen worden, woraufhin sich der Senat mit Schreiben vom 21. September 2015 mangels Prozessvertretung direkt an den Kläger wandte. Der aktuelle Prozessbevollmächtigte zeigte erst danach dessen Vertretung an. Ob der vorläufigen Bewertung der Sach- und Rechtslage, welche diesem gerichtlichen Hinweisschreiben des Richters am Sozialgericht A. zugrunde gelegen hat, ist noch keine dezidierte Festlegung auf ein bestimmtes Ergebnis des Rechtsstreits erfolgt gewesen, weswegen allenfalls begründete Zweifel an der Voreingenommenheit hätten aufkommen können (vgl. auch Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014 § 60 Rz. 8j m. w. N.). Den behaupteten Fehlern bei der Sachverhaltsaufklärung lässt sich ebenfalls kein objektiv vernünftiger Grund für die Besorgnis der Befangenheit entnehmen; angenommenen Ermittlungsdefiziten wäre mit entsprechenden Beweisanträgen zu begegnen gewesen (vgl. BSG, a. a. O., Rz. 15).

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden sowie im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 143, § 144 Abs. 1 SGG), aber unbegründet.

Die Berufung ist bereits mangels Zulässigkeit der Klage unbegründet, soweit mit dieser unter Aufhebung des angefochtenen Gerichtsbescheides des SG und des Bescheides vom 21. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 2012 die Verpflichtung der Beklagten zur Rücknahme des Bescheides vom 29. April 2008 und deren Verurteilung zur Gewährung einer Rente begehrt worden ist. Mit der angefochtenen Verwaltungsentscheidung ist lediglich der Antrag des Klägers nach § 44 SGB X abgelehnt worden, unter Rücknahme des Verwaltungsaktes vom 29. April 2008 festzustellen, dass bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV vorliegt. Damit liegen die Sachentscheidungsvoraussetzungen für das Klagebegehren, welches auf die Gewährung einer Rente abzielt, nicht vor. Der Kläger ist insoweit, bezogen auf die gegen den Bescheid vom 21. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 2012 gerichtete Anfechtungsklage, nicht klagebefugt im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Es reicht zwar aus, dass eine Verletzung in eigenen Rechten möglich ist und Rechtsschutzsuchende die Beseitigung einer in ihre Rechtssphäre eingreifenden Verwaltungsmaßnahme anstreben, von der sie behaupten, sie sei nicht rechtmäßig (vgl. BSG, Urteil vom 5. Juli 2007 - B 9/9a SGB 2/06 R -, SozR 4-3250 § 69 Nr. 5, Rz. 18). An der Klagebefugnis fehlt es demgegenüber, wenn eine Verletzung subjektiver Rechte nicht in Betracht kommt (vgl. BSG, Urteil vom 14. November 2002 - B 13 RJ 19/01 R -, BSGE 90, 127 (130)), weil hinsichtlich des Klagebegehrens keine gerichtlich überprüfbare Verwaltungsentscheidung vorliegt (BSG, Urteil vom 21. September 2010 - B 2 U 25/09 R -, juris, Rz. 12). Über ein Recht auf Rente wurde mit Bescheid vom 21. Dezember 2011 nicht entschieden. Auch mit dem Bescheid vom 29. April 2008 wurde kein Anspruch auf die konkrete Leistungsart "Rente" versagt; demgegenüber wurde nur unbestimmt ausgeführt, dass ein Anspruch auf "Entschädigungsleistungen" nicht besteht. Die Unzulässigkeit der Anfechtungsklage zieht die Unzulässigkeit der mit ihr kombinierten Verpflichtungs- und Leistungsklage nach sich. Da mit der angefochtenen Verwaltungsentscheidung nicht über ein Recht auf Rente entschieden worden ist, liegt in Bezug darauf kein Verwaltungsakt vor, der durch das Schreiben vom 16. Dezember 2014, unterstellt es enthält überhaupt eine Regelung in Bezug auf ein Recht auf Rente, im Sinne von § 96 Abs. 1 SGG hätte abgeändert oder ersetzt werden können (vgl. BSG, Urteil vom 13. Februar 2013 - B 2 U 33/11 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 21, wo dies anders war). Der - unterstellte - Verwaltungsakt vom 16. Dezember 2014 ist folglich nicht Gegenstand des Verfahrens geworden.

Soweit der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Feststellungsklage (vgl. BSG, Urteil vom 11. April 2013 - B 2 U 34/11 R -, SozR 4-2700 § 200 Nr. 4, Rz. 30 m. w. N. zur Zulässigkeit einer Kombination von solchen Klagen) die Beseitigung des ablehnenden Bescheides vom 21. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 2012 sowie die Verpflichtung der Beklagten zur Rücknahme der Verwaltungsentscheidung vom 29. April 2008 und Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV bei ihm begehrt, ist die Berufung ebenfalls unbegründet, hingegen nicht wegen Unzulässigkeit, sondern wegen Unbegründetheit der Klage. Denn mangels Vorliegen der Voraussetzungen für die Feststellung dieser Berufskrankheit, ist der Verwaltungsakt vom 29. April 2008 nicht rechtswidrig und folglich auch nicht zurückzunehmen gewesen.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit es sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die Beklagte hat bei Erlass ihres Ausgangsbescheides vom 29. April 2008 über das Vorliegen der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV beim Kläger weder das Recht unrichtig angewandt noch ist sie von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erweist. Dass die Beklagte einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde legte, hat auch der Kläger nicht behauptet. Er meint im Kern nur, die Beklagte habe aufgrund einer fehlerhaften Rechtsanwendung die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Feststellung dieser Berufskrankheit als nicht gegeben angesehen. Die Ansicht des Klägers trifft indes nicht zu.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach den am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen Bestimmungen des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII), da eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule, wie sie Voraussetzung für die Feststellung der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV ist, nicht vor diesem Datum nachgewiesen ist und der Leistungsfall somit erst nach 1996 eingetreten sein kann (§ 212 SGB VII; Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz (UVEG), BGBl I 1996, S. 1254). Nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen wurde erstmals in der S.-Klinik in Bad Bellingen Anfang Februar 2005 mit dem angeführten mäßigen Lumbovertebralsyndrom überhaupt eine mögliche bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule beschrieben. Soweit der Kläger im Mai 2007 angab, seit zehn Jahren an Wirbelsäulenbeschwerden, auch im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule, zu leiden, reicht dieser angegebene Zeitpunkt ebenfalls nicht vor 1997 zurück. Aus dem Vorerkrankungsverzeichnis der IKK classic ergibt sich lediglich, dass der Kläger erstmals ab Mitte Oktober 2004 wegen einer Erkrankung des Rückens arbeitsunfähig erkrankte, also noch nicht einmal, ob die Lendenwirbelsäule betroffen war. Gegenüber Prof. Dr. Z. berichtete der Kläger Mitte Februar 2005, erst seit drei Monaten an einer Lumboischialgie mit Ausstrahlung der Schmerzen in den dorsalen Ober- und Unterschenkel bis zum Knöchel beidseits, links mehr als rechts, zu leiden. Wegen einer somit frühestens nach 1996 nachgewiesenen bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule kann der Versicherungsfall erst nach diesem Datum eingetreten sein, so dass die Bestimmungen des SGB VII heranzuziehen sind, unabhängig davon, ob § 9 Abs. 5 SGB VII entsprechende Anwendung findet. Soweit danach Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für die Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen (vgl. Köhler, in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB VII, Stand: Mai 2011, § 212 Rz. 5; Söhngen, in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 212 Rz. 11). Auch diese Voraussetzungen lägen frühestens zum Zeitpunkt des Nachweises einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule vor.

Nach § 9 Abs. 1 SGB VII sind Berufskrankheiten Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als Berufskrankheiten bezeichnet (Listen-Berufskrankheiten) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den § 2, § 3 oder § 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (Satz 1). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann Berufskrankheiten auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung einer gefährdenden Tätigkeit versehen (Satz 2). Für die Feststellung einer Listen-Berufskrankheit ist im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung gegebenenfalls den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-Berufskrankheit. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 15. September 2011 - B 2 U 25/10 R -, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4111 Nr. 3, Rz. 14 m. w. N.).

Der Verordnungsgeber hat die Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV wie folgt bezeichnet: "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können".

Der Kläger war bei seiner Bäckerlehre und den anschließenden Gesellentätigkeiten als Beschäftigter im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versichert (vgl. BSG, Urteil vom 27. Januar 1994 - 2 RU 17/93 -, SozR 3-2200 § 539 Nr. 27; Lilienfeld, in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand: September 2015, § 2 SGB VII Rz. 12 zum Versicherungsschutz von Auszubildenden als Beschäftigte). Während seiner selbstständigen Tätigkeit als Bäckermeister war er bei der Beklagten pflichtversichert (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII i. V. m. § 43 Abs. 1 der Satzung der Beklagten i. d. F. bis 31. Dezember 2007).

Die wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten übte der Kläger zwar ab dem Beginn der Bäckerlehre im Jahre 1966 bis Ende März 2005, als er aus gesundheitlichen Gründen die beruflich bedingten Hebe- und Tragetätigkeiten aufgab, wie er im Berufungsverfahren im April 2015 kundgetan hat, und damit mehr als zehn Berufsjahre als die im Durchschnitt untere Grenze der belastenden Tätigkeit aus, weshalb sie langjährig im Sinne des Tatbestandes der Listen-Berufskrankheit, deren Feststellung der Kläger begehrt, erfolgten (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 2015 - B 2 U 20/14 R -, juris, Rz. 20 m. w. N., zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen).

Die Einwirkung durch Heben oder Tragen schwerer Lasten erfolgte indes nicht mit der vorausgesetzten Regelmäßigkeit. Für die weitere Tatbestandsvoraussetzung des Hebens oder Tragens "schwerer Lasten", weswegen ein erhöhtes Risiko für die Verursachung bandscheibenbedingter Erkrankungen der Lendenwirbelsäule besteht, sieht das Merkblatt (BArbBl 2006, Heft 10, S. 30 ff., unter IV) Lastgewichte und Aktionskräfte bei Männern wie folgt an: beidhändiges Heben 20 kg, einhändiges Heben 10 kg, beidhändiges Umsetzen 30 kg, einhändiges Umsetzen 10 kg, beidseitiges Tragen neben dem Körper, auf den Schultern oder dem Rücken 25 kg, Ziehen 350 N und Schieben 450 N. Diese Lastgewichte und Aktionskräfte müssen mit einer gewissen Regelmäßigkeit, also Häufigkeit und Dauer je Schicht, gehandhabt worden sein oder eingewirkt haben, um als Ursache von bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule in Frage kommen zu können. Die Regelmäßigkeit der Einwirkungen durch Heben oder Tragen schwerer Lasten ist kein geschriebenes Tatbestandsmerkmal der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV, sondern lässt sich als Bestandteil der arbeitstechnischen Voraussetzungen dem Merkblatt (BArbBl 2006, Heft 10, S. 30 ff., unter IV a. E.) entnehmen. Hintergrund ist, dass bei nicht regelmäßiger Belastung den Bandscheiben genügend Zeit zur Regeneration bleibt und deshalb keine Ursächlichkeit zwischen Druckbelastung und Schädigung besteht (vgl. Urteil des Senats vom 26. November 2015 - L 6 U 1227/12 -, nicht veröffentlicht). Als Anhaltspunkt für die Bewertung der angeführten manuellen Lastenhandhabungen als gefährdend gilt je Tag eine Häufigkeit von etwa 250 Hebe- und Umsetzvorgängen oder eine Gesamttragedauer von etwa 30 Minuten (Jäger et. al, 1999, LASI 2001). Dies betrifft nur für ergonomisch günstige Ausführungsbedingungen. Bei Vorgängen, die eine vorsichtige Handhabung der zu bewegenden Lasten erfordern (z. B. Handhabung zerbrechlicher oder gefährlicher Gegenstände, Positionierung großformatiger Lastobjekte, Transfers von Patientinnen und Patienten im Gesundheitswesen), tragen auch geringere Häufigkeiten oder Zeitanteile wesentlich zur Entstehung bei. Grundsätzlich gilt, dass bei großen Häufigkeiten, ungünstigen Körperhaltungen und eingeschränkten Arbeitsbedingungen bereits geringere Lastgewichte oder Aktionskräfte als "schwere Lasten" zu werten sind. Umgekehrt sind bei seltenen Lastenhandhabungen in guter Körperhaltung und unter guten ergonomischen Bedingungen auch höhere Lastgewichte oder Aktionskräfte akzeptabel. Dem Merkblatt, dem diese Parameter zu entnehmen sind, kommt zwar keine rechtliche Verbindlichkeit zu (BSG, Urteil vom 12. April 2005 - B 2 U 6/04 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 5, Rz. 15). Es ist jedoch als Interpretationshilfe und zur Ermittlung des aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23. April 2015 - B 2 U 20/14 R -, juris, Rz. 15 m. w. N.). Für die Regelmäßigkeit reicht es aus, dass die wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten in der ganz überwiegenden Anzahl der Arbeitsschichten erfolgten, ohne dass eine genaue Zeitgrenze pro Arbeitsschicht genannt werden kann. Vorausgesetzt wird allerdings, dass die Betroffenen mindestens 60 Schichten im Jahr mit relevanter Wirbelsäulenbelastung ausgesetzt waren. Wie bei der Belastungsdauer können geringere oder fehlende Einwirkungen in einer Arbeitsschicht durch stärkere oder länger dauernde Belastungen in anderen Schichten ausgeglichen werden (BSG, Urteil vom 23. April 2015 - B 2 U 6/13 R -, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 7, Rz. 27 m. w. N.), ohne dass sich allerdings das Erfordernis des Erreichens einer Mindesttagesdosis anhand des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes (BSG, Urteil vom 23. April 2015 - B 2 U 6/13 R -, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 7, Rz. 20 m. w. N.) begründen lässt (BSG, Urteil vom 23. April 2015 - B 2 U 20/14 R -, juris, Rz. 18).

Die erforderliche Regelmäßigkeit solcher wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten, wobei Anhaltspunkte für relevante Einwirkungen wegen Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. April 2015 - B 2 U 20/14 R -, juris, Rz. 16 ff.) vorliegend von vornherein nicht bestehen, lag beim Kläger nicht vor. Der Senat geht von den Hebe- und Tragevorgängen aus, wie dieser sie im Mai 2007 im Verwaltungsverfahren sowie konkretisierend, korrigierend und ergänzend im April 2015 im Berufungsverfahren gemacht hat. Der Senat macht von der fakultativen Präklusionsregelung gemäß § 106a Abs. 3 in Verbindung mit § 157a Abs. 1 SGG, die im richterlichen Ermessen steht, bereits deshalb keinen Gebrauch, da es für eine Zurückweisung der Erklärungen des Klägers, die er im zweitinstanzlichen Verfahren gemacht hat, an der Anwendungsvoraussetzung einer hinreichenden Belehrung über die Folgen der Fristversäumung nach § 106a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGG fehlt. Die Präklusion würde vorliegend zur Beschränkung der Möglichkeit zur Rechtsverfolgung führen (vgl. BT-Drucks 16/7716, S. 20 zu Nummer 19), weshalb die Belehrung vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund des Anspruches auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) Warnfunktion hat, daher ausdrücklich erfolgen und eindeutig sein muss. Beteiligte müssen aus ihr erkennen können, dass sie bei Nichtbeachtung der Frist mit ihrem Vorbringen möglicherweise nicht mehr gehört oder auch Beweismittel nicht mehr zugelassen werden (Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 106a Rz. 6). Das SG hat als Folge der Fristversäumung indes nur aufgezeigt, dass Erklärungen und Beweismittel durch dieses selbst zurückgewiesen werden können und, sofern dies erfolge, auch im Berufungsverfahren ausgeschlossen bleiben. Der Hinweis darauf, dass Erklärungen, die im ersten Rechtszug entgegen einer hierfür gesetzten Frist nicht vorgebracht worden sind, auch durch das LSG präkludiert werden können, ist demgegenüber nicht erfolgt.

Zur Überzeugung des Senats steht danach fest, dass der Kläger bei seiner Bäckerlehre, der abhängigen Beschäftigung im väterlichen Betrieb 1970 und von 1976 bis 1985 sowie der anschließenden selbstständigen Tätigkeit ab 1985 bis Ende März 2005, wobei er jeweils eine Arbeitswoche von sechs Tagen hatte, mit zwei weiteren Personen in der Backstube tätig war. Täglich wurden zwei Mehlsäcke mit einem Gewicht von je 50 kg unter Zuhilfenahme einer Sackkarre über eine Strecke von 15 m transportiert. Die Säcke wurden anschließend zu zweit und beidhändig in die Knetmaschine gehoben. Hierdurch führte der Kläger täglich zwei Hebe- und Tragevorgänge aus. Mit Kippdielen, die jeweils ein Eigengewicht von 15 kg und mit den Teiglingen beladen von 20 kg hatten, wurden täglich zehn Kippvorgänge vorgenommen, zwei vom Kläger allein und die restlichen zu zweit. Die verwendeten Abziehvorrichtungen wogen jeweils 30 kg. Sie wurden zehn Mal am Tag gehoben und über eine Strecke von 1,5 m getragen. Bei der Bäckerei Sch., bei der er ebenfalls eine Arbeitswoche von sechs Tagen hatte, arbeiteten in der Backstube sechs Personen. Dort trug er Mehlsäcke von je 50 kg zu zweit über 20 m und 15 Stufen, bei täglich zehn Hebe- und Tragevorgängen. Die Kippdielen mit einem Gewicht von je 20 kg wurden zu zwei gekippt, wobei hierdurch täglich zehn Hebe- und Tragevorgänge zusammenkamen. Die Abziehvorrichtungen waren jeweils 20 kg schwer und wurden zu zweit je Arbeitstag zehn Mal gehoben und über eine Strecke von 2 m getragen. Bei der Bäckerei A. hob der Kläger an sechs Arbeitstagen in der Woche je Tag zu zweit zehn Mal 30 kg schwere Abziehvorrichtungen und trug sie jeweils 1,5 m weit.

Hieraus folgt keine Regelmäßigkeit der Einwirkungen durch Heben oder Tragen schwerer Lasten. Solche wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten sind beim Kläger, der die Hebe-, Trage- und Transporttätigkeiten ausschließlich beidhändig und vor seinem Körper vornahm und dessen Vorgänge keine vorsichtige Handhabung der zu bewegenden Lasten erforderten, also die Ausführungsbedingung jeweils ergonomisch günstig war, beidhändiges Heben von 20 kg und beidhändiges Umsetzen von 30 kg. Als Anhaltspunkt für die Bewertung dieser manuellen Lastenhandhabungen als gefährdend gilt eine Häufigkeit von etwa 250 Hebe- und Umsetzvorgängen oder eine Gesamttragedauer von etwa 30 Minuten, jeweils je Tag. Zudem müssen die Betroffenen mindestens 60 Schichten im Jahr mit relevanter Wirbelsäulenbelastung ausgesetzt gewesen sein. Sowohl die geforderte Häufigkeit als auch die Mindestgesamttragedauer je Tag werden durch die wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten des Klägers mit weniger als 50 Hebe- und Umsetzvorgängen und einer Gesamttragedauer, die wohl überwiegend kaum wenige Minuten und keinesfalls eine Viertelstunde überschritt, bei weitem nicht erreicht. Dieser zeitliche Umfang bemisst sich anhand der fast ausschließlich zurückgelegten Strecken für den Transport schwerer Lasten von lediglich bis zu 2 m, neben dem Weg von 20 m über 15 Stufen in den beiden Jahren bei der Bäckerei Sch ... Da mit den vom Kläger benannten Zeugen keine darüber hinausgehenden Hebe- und Tragevorgänge nachgewiesen werden sollten, musste der Senat diesem Beweisantritt nicht nachgehen.

Mangels Vorliegen der Regelmäßigkeit der Einwirkungen durch Heben oder Tragen schwerer Lasten oder Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung als Bestandteil der für die Tatbestandserfüllung der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV notwendigen arbeitstechnischen Voraussetzungen kann dahinstehen, welcher Belastungsdosis nach dem MDD der Kläger ausgesetzt war. Erst wenn die tatbestandlichen arbeitstechnischen Voraussetzungen vorliegen und die Hälfte des im MDD vorgeschlagenen Orientierungswertes für die Gesamtbelastungsdosis bei Männern von 25 MNh erreicht ist, ist die generelle Eignung der festgestellten Einwirkungen zur Krankheitsverursachung im Sinne einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV gegeben und sind einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen vorzunehmen (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 2015 - B 2 U 20/14 R -, juris, Rz. 24, 27). Unerheblich ist auch, ob beim Kläger überhaupt eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vorliegt, weshalb ferner nicht mehr zu beurteilen ist, ob Schäden im Bereich seiner Lendenwirbelsäule rechtlich wesentlich durch die versicherten Einwirkungen verursacht worden sind und in diesem Zusammenhang, ob bei ihm eine Befundkonstellation besteht, für welche die Konsensempfehlungen eine Anerkennung befürworten (vgl. Bolm-Audorff et al., Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit, Ausgabe 3/2005, S. 211 (217 ff.)). Genauso wenig kommt es vorliegend darauf an, ob eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule, an welcher der Kläger möglicherweise leidet, ihn zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen hat, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und Zurückverweisung an das SG nach § 159 Abs. 1 SGG liegen entgegen der Auffassung des Klägers nicht vor.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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