L 6 VG 5293/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 17 VG 656/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 5293/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. November 2014 aufgehoben und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen eine Verurteilung zur Gewährung von Versorgungsleistungen für eine vor dem In-Kraft-Treten des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) erlittene Schädigung des Klägers.

Der 1956 geborene Kläger war von 1958 bis 1968 im dem Kinderheim "P." untergebracht, wo insbesondere er als schwieriges Kind und Stotterer geschlagen (auch ins Gesicht, so dass er blutete), schlecht bzw. nicht ausreichend ernährt und misshandelt (u.a. mit Essensentzug, allein mit einem Hund eingesperrt, nachts ausgesetzt oder wegen Bettnässens nur mit dem Schlafanzug bekleidet in den Keller gesperrt) wurde. Das Beschäftigungsverhältnis der damaligen Heimleiterin wurde, nachdem mehrere Mitarbeiter die gegen sie gerichteten Vorwürfe bestätigt hatten, durch arbeitsgerichtlichen Vergleich 1966 beendet (Restakte der Stadtverwaltung Baden-Baden). Danach nahm ihn sein leiblicher Vater mit seiner zweiten Frau bei sich auf. Er hat aus dieser Beziehung noch drei Halbschwestern. 1980 erlitt er eine bösartige Tumorerkrankung am linken Hoden, der deswegen entfernt werden musste.

Nach Abschluss einer Funkelektronikerlehre war er beim SWR beschäftigt, heiratete 1989 und hat einen Sohn aus dieser Ehe, geb. 1989. Von 1977 bis 2000 betrieb er zusätzlich ein Sportstudio. 1996 kündigte er seine Stelle nach einer betriebsinternen Versetzung und ist seit 2005 als Hausmeister tätig. Privat war er in seiner Jugend selbst aktiver Jugendspieler für den Verein FV Baden-Oos, bevor es ihn dann aber in die Schiedsrichterei zog. Nachdem er lange Jahre für den SC Baden-Baden gepfiffen hatte, kehrte er vor ca. 10 Jahren zu seinem Heimatverein zurück und hat zwischenzeitlich über 500 Spiele als FVO-Schiedsrichter geleitet. Nebenbei hat er noch an der Sportschule in Steinbach den Trainerschein C (Übungsleiter) erworben und anschließend acht Jahre lang erfolgreich von der F- bis zur A-Jugend Mannschaften in Baden-Baden, Iffezheim und Bietigheim, zum Teil bis zur Verbandsliga gecoacht (Homepage des FV Baden-Oos). Bis 2013 nahm er an Survival-Trainings teil und ist als Kabarettist und Büttenredner (insbesondere in der Rolle des "W. K.", vgl. Römer-Garde Baden-Baden vom 30. Oktober 2013) tätig. Zu seinem Sohn pflegt er engen Kontakt, ist auch bereits Großvater (anamnestische Angaben Dr. St. und Dr. N.).

1989 gründete der Kläger den Verband Christlicher Pfadfinder, 1994 den Pfadfinderverein "Weltenbummler". Seit 1987/1988 wurden seine sexuellen Übergriffe (bis hin zur wechselseitigen Onanie) auf ihm anvertraute männliche Kinder und Jugendliche bekannt. Er wurde deswegen 1996 aus dem Verband ausgeschlossen und wegen 8 noch nicht verjährten Fällen 2000 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Seine Ehefrau trennte sich in der Folge von ihm, 2000 ging er kurzzeitig eine homosexuelle Beziehung ein (anamnestische Angaben Dr. St.).

Bei ihm ist ab dem 1. Januar 1990 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt. 1994 begab er sich wegen psychischer Probleme zweimalig in ambulante Behandlung bei Dr. Schad und 1996 stationär in die Kohlwald-Klinik wegen depressiver Erschöpfung nach Arbeitsplatzkonflikt.

Am 23. Mai 2011 beantragte der Kläger bei dem Beklagten Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Er teilte unter Angabe zahlreicher Details mit, von 1958 bis 1968 im Kinderheim untergebracht gewesen zu sein, über die ganzen Jahre hinweg insbesondere von der damaligen Heimleiterin schwer misshandelt und von älteren Kindern sowie von Erwachsenen in der Stadt sexuell missbraucht worden zu sein. Wegen dieser Gewalttaten hätten sich mehrere psychische Erkrankungen gebildet, von denen heute noch eine Sprachstörung, Zähneknirschen, verschiedene Phobien, Depressionen und psychosomatische Störungen beständen.

Das Baden-Badener Stadtarchiv übersandte dem Beklagten die dort noch vorhandene Personalakte der damaligen Heimleiterin, in der viele Schilderungen des Klägers zu körperlichen und seelischen Misshandlungen bestätigt wurden.

Der Beklagte zog ferner verschiedene ärztliche Unterlagen bei, darunter den Entlassungsbericht von Dr. R., Kohlwald-Klinik St. Blasien, vom 13. Dezember 1996 über eine stationäre Therapie des Klägers im Herbst 1996 (depressive Erschöpfung bei Arbeitsplatzkonflikt auf der Grundlage einer ich-strukturierten Persönlichkeit pp). Danach erstellte im Auftrag des Beklagten die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. St. das Gutachten vom 27. März 2012. Sie kam zu dem Ergebnis, beim Kläger handele es sich um eine andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung ohne wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, eine rezidivierende depressive Störung, derzeit mittelgradig, einen Zustand nach (Z.n.) Hoden-Seminom (Hodenkrebserkrankung) mit Entfernung des befallenen Hodens und Chemotherapie 1980 bei Rezidivfreiheit seitdem sowie um eine Reflux-Ösophagitis Grad A bei Hiatushernie. Eine posttraumatische Belastungsstörung bestehe nicht, die hierfür notwendigen Kriterien hätten sich auch bei konkreten Nachfragen nicht gezeigt. Die Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung, so die Gutachterin, sei auf die Übergriffe und Schädigungen zwischen dem zweiten und zehnten Lebensjahr in dem Kinderheim zurückzuführen. Sie habe dazu geführt, dass der Kläger ein von der Welt enttäuschter, verbitterter Mann geworden sei, der gegenüber jeder öffentlichen Stelle oder Autoritätsperson feindlich bzw. misstrauisch eingestellt sei. Er lebe allein und habe nur Kontakte zu seinem 1989 geborenen Sohn und dem Enkel. Freunde gebe es nicht. Er betätigte sich als Schiedsrichter im Fußball und trete gelegentlich als Kabarettist auf. Er sei ferner in der Lage, seine Arbeit regelmäßig und ausreichend durchzuführen, wobei sein Arbeitsplatz als Hausmeister geschützt sei. Es sei daher keine wesentliche Störung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit zu erheben, sodass der GdB für die Persönlichkeitsveränderung 20 betrage. Die zusätzlich dazu beklagten depressiven Symptome in Konfliktsituationen, wie sie insbesondere bei Arbeitsplatzkonflikten 1994 und 1996, dem Erkennen der eigenen Homosexualität etwa 2000 und dem anschließenden Scheitern der Ehe sowie auch aktuell wieder aufgetreten seien, könnten nicht eindeutig auf die Schädigungen zurückgeführt werden. Sie "könnten" auch unabhängig von der bestehenden Schädigung und der Persönlichkeitsveränderung auftreten. Diese Symptomatik, die einen GdB von 40 bedinge, sei daher nicht nach dem OEG zu entschädigen. Die Hodenerkrankung bedinge keinen GdB, die Refluxösophagitis einen solchen von 10. Der Gesamt-GdB sei daher mit 50 festzustellen, der Grad der Schädigungsfolgen (GdS) mit 20.

Mit dem angegriffenen Bescheid vom 11. Juni 2012 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Da die angeschuldigten Ereignisse vor dem In-Kraft-Treten des OEG im Jahre 1976 lägen, setze eine Entschädigung nach der Härtefallregelung eine Schwerbeschädigung, also einen GdS von wenigstens 50, allein auf Grund der Schädigung voraus. Der GdS des Klägers betrage jedoch nur 20.

Zur Begründung seines hiergegen am 6. Juli 2012 erhobenen Widerspruchs führte der Kläger aus, auch die depressive Störung, unter der er leide, sei mit ausreichender Wahrscheinlichkeit auf den schweren sexuellen Missbrauch in der Kindheit zurückzuführen.

Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2013 als unbe-gründet zurück. Die depressive Symptomatik in Konfliktsituationen, wie sie 1996 erstmals aufgetreten sei, sei nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die in der Kindheit erlittenen Übergriffe zu-rückzuführen.

Mit seiner am 22. Februar 2013 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.

Nachdem der Beklagte der Klage entgegengetreten ist, hat das SG zunächst die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Der Neurologe und Psychiater Dr. Sch. hat mitgeteilt, er habe den Kläger mit größeren Abständen von 1990 bis 2002 behandelt. Es habe ein depressives Syndrom bestanden. 1994 bis 1996 habe der Kläger über Mobbing im Betrieb berichtet, 1997 darüber, die Vergangenheit hole ihn wieder ein. Im Jahre 2000 habe der Kläger mitgeteilt, er sei mit 12 sexuell missbraucht worden, er sei auch selbst in den Verdacht sexuellen Missbrauchs geraten. Ein Jahr später habe der Kläger angegeben, er habe seine Wohnung, die Arbeitsstelle und seine Familie verloren. Bei der letzten Vorstellung im Februar 2002 habe eine (wohl rez.) depressive Symptomatik bestanden mit Nervosität und zeitweiser Schlafstörung. Der Facharzt für Allgemeinmedizin H. hat bekundet, er habe den Kläger im Jahre 2000 als ängstlichen und unter Phobien leidenden Patienten kennengelernt. Daneben habe eine depressive Symptomatik bestanden. Die Behandlung dauere an, seit zwei Jahren komme es zu einer Progredienz mit multiplen Schmerzen.

Sodann hat das SG von Amts wegen den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. N. mit einer Begutachtung des Klägers beauftragt. Dieser Sachverständige hat unter dem 30. Juni 2014 angegeben, der Kläger leide auf psychiatrischem Fachgebiet an einer rezidivierenden depressiven Störung, derzeit leichtgradige Episode, einer andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung sowie an einer somatoformen Schmerz- und Funktionsstörung. Die Persönlichkeitsänderung sei selbstredend auf die Schädigung zurückzuführen. Bezüglich der komorbi¬den rezidivierenden depressiven Störung sei auf dem Boden der Persönlichkeitsänderung auch eine erhöhte Vulnerabili¬tät (Verwundbarkeit, Verletzbarkeit) mehr als wahrscheinlich. Zwar habe der Kläger neben den in der Kindheit erfahrenen Traumatisierungen im späteren Leben auch anderweitig Konflikte erwähnt, etwa im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeiten und nach dem Eingeständnis seiner Homosexualität und dem - einmaligen - Eingehen einer Beziehung zu einem Mann 2000 und dem Scheitern der Ehe danach. Diese anderen Traumatisierungen seien aber nicht die alleinige Ursache einer dann festgestellten depressiven Störung, sondern eben wiederum Folge der Persönlichkeitsänderung, die sich definitionsgemäß in einem unflexiblen und unangepassten Verhalten zeige. Ebenso habe der Kläger auch symptomfreie Zeiten beschrieben, etwa während seiner Berufstätigkeit beim SWR und zur Zeit der Eheschließung und der Familiengründung. Es sei aber nachvollziehbar, dass, ausgelöst durch die spätere Auseinandersetzung mit den Traumatisierungen bei ohnehin erhöhter Vulnerabilität, psychische Gesundheitsstörungen aufträten. Insofern, so Dr. N. zusammenfassend, spreche mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang hinsichtlich der auch aktuell bestehenden affektiven bzw. depressiven Störung. Ähnliches gelte für die somatoforme Störung. Zwar lasse sich dies nicht eindeutig linear kausal begründen, es liege aber nahe, dass in der aktuellen Auseinandersetzung mit den früheren traumatisierenden Erfahrungen und dem damit verbundenem Bewusstwerden auch diese Störung sozusagen aktiviert worden sei. Angemessen erschiene für die rezidivierende depressive Störung ein Einzel-GdS von 40, für die andauernde Persönlichkeitsän¬derung nach Extrembelastung ebenfalls ein Einzel-GdS von 40 und für die somatoforme Störung ein Einzel-GdS von 30. Insgesamt sei ein GdS von 50 gerechtfertigt, denn es bestehe eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Die Lebensgestaltung weise auf ein deutliches soziales Rückzugsverhalten hin. Der Kläger sei seit 2000 keine partnerschaftliche Beziehung eingegangen. Der Sohn sei die einzige wesentliche Bezugsperson. Ansonsten beständen lediglich im Rahmen der Freizeitaktivitäten als Kabarettist Kontakte.

Der Beklagte ist unter Vorlage einer versorgungsmedizinischen Stellungnahme den Feststellungen und Schlussfolgerungen dieses Sachverständigen nur teilweise gefolgt. Er hat vorgetragen, zwar könne zusätz¬lich zu der andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung eine somatoforme Stö¬rung als Schädigungsfolge anerkannt werden und die Schädigungsfolgen zusammenfassend mit einem GdS von 40 bewertet werden. Hinsichtlich der rezidivierenden depressiven Störung bleibe es bei der bisherigen Beurteilung, dass diese multifaktoriell bedingt sei und das schädigende Ereignis nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit als wesentliche Bedingung angesehen werden könne.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 27. November 2014 hat das SG den Kläger persönlich angehört, insbesondere zu seinen Aktivitäten als Fußballschiedsrichter und Kabarettist. Wegen der Aussagen im Einzelnen wird auf das Protokoll verwiesen.

Mit Urteil vom selben Tage hat das SG den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, eine rezidivierende depressive Störung, eine andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung sowie eine - näher beschriebene - somatoforme Störung als Folgen einer Schädigung nach dem OEG anzuerkennen und ab dem 23. Mai 2011 eine Versorgung nach einem GdS von 50 zu gewähren. Die relevanten Schädigungen, so das SG, lägen in den Erlebnissen des Klägers während seiner Heimunterbringung von 1958 bis 1968. Die Misshandlungen und Missbräuche in jener Zeit erfüllten die Anforderungen an die Feststellung eines tätlichen Angriffs in den speziellen Fällen des Missbrauchs von Kindern. Der Beklagte habe die Schädigung in den angegriffenen Bescheiden auch anerkannt. Der GdS, so das SG weiter, betrage 50. Die psychischen Beeinträchtigungen des Klägers insgesamt seien entsprechend den Vorschlägen Dr. N.s so zu bewerten. Insbesondere lägen bei dem Kläger - auch nach den Feststellungen des SG während seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung - schwere Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten vor. Zwar sei er erwerbstätig und übe Hobbys aus bzw. habe diese bis zu einer Knieverletzung vor Kurzem ausgeübt. Jedoch sei die Berufstätigkeit weitgehend fremdbestimmt und es beständen flexible Arbeitszeiten. Die Schiedsrichtertätigkeit habe der Kläger zuletzt, auch wegen seiner Erkrankung, nur noch in Jugend- und den untersten Frauen- und Männerklassen ausgeübt. Als Schiedsrichter sei der Kläger in einer besonderen Rolle. Er habe dort das letzte Wort und stehe über den anderen. Nach seinen Aussagen sei er dort nicht er selbst. Dies gelte auch für die bis zu dreimal jährlich ausgeübte Bühnentätigkeit. Er verkleide sich dort und sei quasi ein anderer Mensch. Er könne in der Rolle alles sagen, was ein Ventil für ihn sei. Er erscheine erst kurz vor dem Auftritt und gehe unmittelbar danach, soziale Kontakte fänden nicht statt. Der Kläger sei auch nicht in die Vereinsleben eingebunden. Weiterhin hat das SG ausgeführt, auch diese depressive Erkrankung sei - neben der Persönlichkeitsveränderung und den somatoformen Störungen - auf die Schädigung zurückzuführen. Es treffe zwar möglicherweise zu, dass der Kläger in seinem Leben weitere Traumatisierungen erlitten habe, wie etwa Partnerschaftskonflikte und berufliches Mobbing. Jedoch sei der Heimaufenthalt als wesentliche Bedingung im Sinne des sozialen Entschädigungsrechts anzusehen. Dieser Ursache der späteren depressiven Erkrankung komme die überragende Bedeutung zu. Es sei nicht erkennbar, dass eine andere Traumatisierung oder eine andere Ursache eine solche Bedeutung habe. Sämtliche "Schicksalsschläge", die der Kläger im Leben erlitten habe, seien letztlich auf die Erlebnisse im Heim zurückzuführen, worauf Dr. N. hingewiesen habe.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte am 22. Dezember 2014 Berufung zum Landesozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Er meint, der Kläger sei nicht allein in Folge der Schädigung schwerbeschädigt. Er trägt vor, es liege zwar eine rezidivierende depressive Störung vom Ausprägungsgrad einer stärker behindernden Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vor. Diese sei jedoch von den Schädigungsfolgen der Persönlichkeitsveränderung und der somatoformen Störung, die der Beklagte nunmehr mit einem GdS von 40 bewerte, abzugrenzen. Die depressive Störung sei weiterhin als multifaktoriell bedingt einzuschätzen. Die zusammenfassende Bewertung aller psychischen Beeinträchtigungen mit einem GdS von 50 sei ferner nicht nachvollziehbar. Eine psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung finde nicht statt. Der Kläger sei vollschichtig berufstätig, der Tagesablauf strukturiert. Hobbys wie Survival-Trainings sowie Tätigkeiten als Schiedsrichter und als Alleinunterhalter würden ausgeübt bzw. seien erst vor Kurzem wegen der Knieverletzung beendet worden. Nach seinen Angaben bei Dr. St. habe er allein im Jahre 2011 über 50 Fußballspiele gepfiffen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. November 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Er verweist darauf, dass Dr. N. auch die aktuelle depressive Störung nicht auf gegenwärtige psychosoziale Konflikte habe zurückführen können, die nicht vorlägen, sondern sie eher als Ausdruck seiner in der Stresstoleranz und psychomentalen Belastbarkeit eingeschränkten Persönlichkeit gedeutet habe. Er trägt ferner vor, er habe gerade wegen der Schädigungen in der Jugend große Probleme, soziale Bindungen einzugehen und sich anzupassen. Wegen seiner negativen Denkweise nehme er seine Umwelt anders wahr. Die Probleme am Arbeitsplatz und während der Ehe seien damit unvermeidbar gewesen. Diese hätten allerdings nicht die psychischen Beschwerden verursacht, sondern diese Gefühle seien auf Grund der Misshandlungen in ihm grundlegend verankert.

Der Senat hat den Kläger erneut persönlich angehört, insbesondere zu den Ursachen der Zerrüttung seiner Ehe und des anschließenden sozialen Rückzugs auch nach dem Ende der einmaligen Partnerschaft mit einem Mann sowie zum zeitlichen Beginn depressiver Symptome in seinem Leben. Wegen des Ergebnisses wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17. Dezember 2015 verwiesen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte des Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten ist nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Insbesondere war sie, da auch eine behördliche Feststellung und außerdem laufende Leistungen für mehr als ein Jahr in Streit stehen, nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG zulassungsbedürftig. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 151 Abs. 1 SGG).

Die Berufung des Beklagten ist auch in vollem Umfang begründet. Die Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) des Klägers ist zwar zulässig, jedoch unbegründet.

Das Begehren des Klägers richtet sich nach § 1 OEG in Verbindung mit den §§ 1, 30, 31 und 60 Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG (§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG). Nach §§ 9 Abs. 1 Nr. 3, 31 Abs. 1 erhalten Beschädigte eine monatliche Grundrente ab einem Grad der Schädigung (GdS) von 30.

In Altfällen wie dem vorliegenden, bei denen Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des Grundgesetzes (GG) - 23. Mai 1949 - und dem Inkrafttreten des OEG - 16. Mai 1976 - zeitlich einzuordnen sind, müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 Satz 2 OEG i.V.m. § 10a Abs. 1 Satz 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in der Zeit vom 23. Mai 1949 bis zum 15. Mai 1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt sind, also einen GdS von wenigstens 50 aufweisen, sowie bedürftig sind und im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BVG). Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden (§ 1 Abs. 3 Satz 2 BVG).

Der GdS ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (§ 30 Abs. 1 Satz 1 BVG). Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu 5 Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG). Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten (§ 30 Abs. 1 Satz 3 BVG).

Der Senat orientiert sich bei der Prüfung, welche gesundheitlichen Schäden Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs sind, an der seit 1. Januar 2009 an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23. Juni 1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29. August 1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" (AHP) 2008 getretenen Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV).

Danach wird als Schädigungsfolge im sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung steht, die nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigen ist (VG Teil A Nr. 1 a) und ist Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (VG Teil C Nr. 1 b Satz 1).

Zu den Fakten, die vor der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs geklärt ("voll bewiesen") sein müssen, gehören der schädigende Vorgang, die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung (VG Teil C Nr. 2 a). Der schädigende Vorgang ist das Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung führt (VG Teil C Nr. 2 b Satz 1 Halbsatz 1). Die gesundheitliche Schädigung ist die primäre Beeinträchtigung der Gesundheit durch den schädigenden Vorgang (VG Teil C Nr. 2 c Halbsatz 1). Zwischen dem schädigenden Vorgang und der Gesundheitsstörung muss eine nicht unterbrochene Kausalkette bestehen, die mit den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft und den ärztlichen Erfahrungen im Einklang steht. Dabei sind Brückensymptome oft notwendige Bindeglieder. Fehlen Brückensymptome, so ist die Zusammenhangsfrage besonders sorgfältig zu prüfen und die Stellungnahme anhand eindeutiger objektiver Befunde überzeugend wissenschaftlich zu begründen (VG Teil C Nr. 2 d Sätze 1 bis 3).

Für die Annahme, dass eine Gesundheitsstörung Folge einer Schädigung ist, genügt versorgungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Sie ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (VG Teil C Nr. 3 a Sätze 1 und 2). Grundlage für die medizinische Beurteilung sind die von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese (VG Teil C Nr. 3 b Satz 1). Aus dem Umstand, dass der Zusammenhang der Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang nach wissenschaftlicher Erkenntnis nicht ausgeschlossen werden kann, lässt sich nicht folgern, dass er darum wahrscheinlich sei. Ebenso wenig kann das Vorliegen einer Schädigungsfolge bejaht werden, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur möglich ist (VG Teil C Nr. 3 d Sätze 1 und 2).

Ausgehend hiervon hat der Beklagte aufgrund der mit Bescheid vom 11. Juni 2012 anerkannten Schädigung durch nachgewiesene schwere körperliche und seelische Züchtigungen während der Heimunterbringung sowie der nach § 15 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) glaubhaft gemachten sexuellen Missbräuche zu Recht einen tätlichen Angriff anerkannt (zu den Voraussetzungen vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1/13 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 21).

Ursächlich auf die Schädigung zurückzuführen ist allerdings nur die andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung, nicht hingegen eine somatoforme Störung, so sie überhaupt vorliegt, oder die rezidivierende depressive Störung. Beide Erkrankungen beruhen zur Überzeugung des Senats, der sich insoweit auf das im Wege des Urkundenbeweises eingeholte Gutachten der Dr. St. stützt, nicht auf der Schädigung. Insoweit konnte der Senat dem Gutachten von Dr. N. nicht folgen, auf das sich aber die Verurteilung des Beklagten auch hinsichtlich der Versorgung nach § 10a Abs. 1 OEG stützt, da auch der GdS des Klägers 50 nicht erreicht (dazu siehe unten).

Soweit der Sachverständige Dr. N. erstmalig eine somatoforme Störung (F45.0 ICD-10-GM 2015) diagnostiziert hat, liegt diese zur Überzeugung des Senats nicht im erforderlichen Vollbeweis (zum Beweismaß auch Rademacher, in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, Kommentar 2012, § 1 OEG Rz. 89) vor. Keiner der den Kläger behandelnden Ärzte hat eine solche Erkrankung jemals beschrieben, noch wird der Kläger deswegen richtungsweisend behandelt. Lediglich der Allgemeinmediziner H. hat multiple Schmerzen mit Progredienz der Beschwerden erwähnt, wobei die von ihm vorgelegten Arztberichte jeweils auch entsprechende, einen Schmerz auslösende Erkrankungen, so z. B. eine Harnwegsinfektion, eine Refluxösophagitis Grad A oder eine medial-betonte Gonarthrose Grad III bis IV beschreiben, die sämtlich symptombezogene Schmerzen belegen, also gerade keine somatoforme Schmerzstörung, die nach der Definition kein organisches Korrelat hat, was der Senat der Diagnosebeschreibung nach ICD-10 entnimmt. Dr. N. nennt hierzu anhaltende Kopfschmerzen, gelegentliches Bettnässen, zeitweise auftretende Schmerzen im Bereich der unteren Extremitäten und ein häufiges nächtliches Wasserlassen sowie stressbedingte Durchfälle, also allenfalls bezüglich der Kopf- und Gliederschmerzen Indizien auf eine somatoforme Erkrankung, die aber genauso zwanglos auf die schwere Gonarthrose (vgl. Bericht des Klinikums Mittelbaden vom 29. Juli 2011), die Sprunggelenksarthrose oder die Meniskusproblemetik zurückgeführt werden können, der Kopfschmerz selbst wird vom Kläger nicht erwähnt, so dass noch nicht einmal eine Wahrscheinlichkeit besteht. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, er nehme als Schmerzmittel Ibuprofen 600 mg oder 800 mg einmal täglich, dies allerdings nicht jeden Tag, sondern bedarfsorientiert. Daraus lässt sich keine somatoforme Schmerzstörung schließen. Diese Diagnose hat Dr. N. anscheinend lediglich den Umstand entnommen, dass der Kläger in dem Selbstbeurteilungsbogen multilokuläre Schmerzen angegeben hat, die affektiv beschrieben werden und eine durchschnittliche Schmerzstärke von 6 erreicht haben sollen. Somit legt der Sachverständige ohne jegliche kritische Überprüfung die Angaben des Klägers seiner Diagnostik zugrunde, obwohl die unbeeinträchtigte vollschichtige Berufstätigkeit, das Freizeitverhalten, der ungestörte Schlaf sowie die beschriebene Konzentrationsfähigkeit dazu Anlass gegeben hätten, die Angaben des Klägers kritisch zu hinterfragen. Der Senat erachtet insoweit das Gutachten von Dr. St. für wesentlich überzeugender und hält die somatoforme Schmerzstörung nicht für nachgewiesen.

Die rezidivierende depressive Erkrankung des Klägers (F33.- ICD-10-GM 2015), die von sämtlichen behandelnden Ärzten wie auch beiden Sachverständigen festgestellt wurde, kann hingegen nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Rademacher, in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, Kommentar 2012, § 1 OEG Rz. 92) auf die anerkannten Schädigungen zurückgeführt werden. Zu Recht hat zuletzt Versorgungsarzt Dr. G. darauf hingewiesen, dass diese Störungen multifaktoriell bedingt sind und das schädigende Ereignis nicht mit der ausreichenden Wahrscheinlichkeit als ursächlich angesehen werden kann. Diese Bewertung war für den Senat auch deswegen überzeugend, weil die depressive Symptomatik erstmalig ganz konkret 1994 im Zusammenhang mit den Pädophilie-Ermittlungen und 1996 im Zusammenhang mit der Arbeitsmarkt-Problematik bzw. dem Tod des Vaters aufgetreten sind, daher zu Recht aufgrund der zeitlichen Latenz zum Schadensereignis, nämlich frühestens 26 Jahre nach der Heimbetreuung, nicht eindeutig kausal durch die anerkannte Schädigung zu erklären sind. Der Kläger konnte nach der Schädigung ganz normal seine Schul- und Berufsausbildung beenden und ein normales Familienleben mit Frau und Kind führen. Der erst 1994 zu verzeichnende Einbruch in der Stabilität weist somit nicht nur eine erhebliche zeitliche Latenz zu dem Schädigungstatbestand auf, sondern fällt zusammen mit der Aufdeckung seiner Straftaten. Vor diesem Hintergrund sowie des damit einhergehenden Verlusts von Arbeitsplatz und Ehe sowie des Todes seines Vaters sind seine psychischen Probleme nachvollziehbar reaktiv und in erster Linie auf diese schädigungsunabhängigen Umstände zurückzuführen, d. h. nicht auf die Schädigung. In diesem Zusammenhang hat Dr. St. zutreffend und nachvollziehbar für den Senat ausgeführt, dass sich diese depressiven Symptome unabhängig von der bestehenden Vorschädigung und Persönlichkeitsveränderung entwickeln können und somit nicht entschädigungspflichtig sind. Denn die bloße Möglichkeit hat sich dann nicht zur Wahrscheinlichkeit verdichtet.

Somit hat der Beklagte als durch die Schädigung hervorgerufene Gesundheitsstörung zu Recht nur das Vorliegen einer andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung festgestellt.

Diese Erkrankung begründet zur Überzeugung des Senats lediglich einen GdS von 20. Auch insoweit hat sich der Senat dem überzeugenderen Gutachten von Dr. St. angeschlossen. Dass die Erkrankung einen Ausprägungsgrad einer schweren seelischen Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten (entsprechend einem GdB 50) hat, ist auch für den Senat nicht nachvollziehbar gewesen. Bereits der Eindruck, den der Senat in der mündlichen Verhandlung am 17. Dezember 2015 von dem Kläger gewinnen konnte, spricht deutlich gegen eine schwere Störung mit bereits mittelgradigen sozialen Anpassungsstörungen, wie sie nach VG Teil B Nr. 3.7 für einen GdS von 50 vorausgesetzt ist. Der Kläger hat adäquat auf Fragen geantwortet und ist in offene Dialoge mit dem Senat eingetreten, er hat mehrfach kurzfristig gelächelt, war also in seiner Stimmung auslenkbar.

Gegen einen höheren GdS als 20 spricht weiter, dass der Kläger bereits keinerlei psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung in Anspruch nimmt, was nach ständiger Rechtsprechung des Senats gegen eine nennenswerte seelische Erkrankung spricht, da es an dem dafür erforderlichen Leidensdruck fehlt. Dies wird im Weiteren belegt durch die Lebensgestaltung des Klägers, denn dieser ist noch in der Lage, eine vollschichtige Tätigkeit als Hausmeister auszuüben und sich selbst zu versorgen. Ein sozialer Rückzug kann entgegen der Einschätzung des SG nicht verzeichnet werden, denn der Kläger pflegt nicht nur seine familiären Kontakte zu seinem Sohn und Enkelkind, sondern auch zu weiteren Bekannten, so dass er der Idee eines Mehrgenerationen-Hauses nachhängt. Darüber hinaus ist er privat mehr als in normalem Umfang aktiv, was ebenfalls gegen eine irgendwie beeinträchtigende seelische Erkrankung spricht, so dass aus Sicht des Senats der angeführte GdS von 20 sogar eher großzügig ist. Denn der Kläger hat über Jahre in großem Ausmaß sich nebenberuflich mit einem Fitnessstudio betätigen können, hat nebenher in nicht unerheblichem Umfang Fußball-Mannschaften trainiert und war Schiedsrichter, daneben noch als Kabarettist tätig, was jeweils mit erheblichen Kontakten zur Außenwelt verbunden ist und eher seinen sozialen Umgang belegt. Des Weiteren hat er noch an zahlreichen Survival-Trainings teilgenommen. Auch wenn er diese Tätigkeit nunmehr eingeschränkt haben sollte, so beruht dies nicht auf seelischen Gründen, sondern allein dem Umstand, dass er sich eine Kniegelenksverletzung zugezogen hat, die nennenswerten sportlichen Aktivitäten entgegensteht. Seine zahlreichen privaten Aktivitäten dokumentieren eine nahezu unbeschränkte Belastbarkeit und widerlegen, dass er psychisch maßgebend eingeschränkt ist. Zu Recht hat Dr. St. deswegen ausgeführt, dass eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit nicht zu erheben ist.

Auf die Berufung der Beklagten ist daher das Urteil des SG aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich oder vorgetragen.
Rechtskraft
Aus
Saved