Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 4 U 2/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Ein enger zeitlicher Zusammenhang im Sinne der BK Nr. 2113 (Carpaltunnel-Syndrom) liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn zwischen dem letzten Arbeitstag und dem erstmaligen Auftreten der Erkrankung mehr als drei Jahre liegen.
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung eines Carpaltunnelsyndroms (CTS) als Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 2113 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) ("Druckschädigung des Nervus medianus im Carpaltunnel [Carpaltunnelsyndrom] durch repetitive manuelle Tätigkeiten mit Beugung und Streckung der Handgelenke durch erhöhten Kraftaufwand der Hände oder durch Hand-Arm-Schwingungen") bzw. einer diesem Krankheitsbild entsprechenden Wie-BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII im Streit.
Die am ... 1956 geborene Klägerin war vom 22.10.1979 bis zum 31.12.2009 bei der Firma ... in ... als Arbeiterin beschäftigt. Zuvor hatte sie von 1971 bis 1972 eine Tätigkeit als Helferin im Spüldienst verrichtet, bis 1974 eine Ausbildung zur Krankenpflegerin absolviert und an-schließend bis 1978 als Krankenpflegehelferin gearbeitet. In den Jahren 1978 bis 1979 hatte die Klägerin Mutterschaftsurlaub.
Während ihrer Beschäftigung bei der Firma ... war die Klägerin zunächst als Putzfrau und dann vom 22.10.1979 bis zum 31.12.1993 als Arbeiterin in der Presse und in der Spritzerei tätig. Vom 01.01.1994 bis zum 23.10.2008 arbeitete sie dann als Arbeiterin/Packerin im Be-reich der Bandabnahme. Der 23.10.2008 war der letzte Arbeitstag der Klägerin bei der Firma ..., danach war sie bis zum 31.12.2009 arbeitsunfähig erkrankt. Vom 01.01.2010 bis zum 31.12.2010 war die Klägerin arbeitslos. Seit dem 01.01.2011 bezieht die Klägerin Rente.
Am 13.08.2013 erhielt die Beklagte erstmalig Kenntnis von dem Verdacht des Vorliegens eines CTS als BK. Prof. Dr. H. teilte den Verdacht des Vorliegens einer BK Nr. 2106 ("Druckschädigung der Nerven") aufgrund eines beidseitigen CTS der Klägerin mit. Die Beschwerden seien erstmalig vor ca. zwei Jahren aufgetreten. Gemäß den vorgelegten Operationsberichten des Handchirurgen Prof. Dr. H. wurde das CTS am 21.08.2012 (links) und am 04.06.2013 (rechts) mittels offener Carpaldachspaltung operiert, wobei sich jeweils intraoperative keine Besonderheiten hätten feststellen lassen. In seiner ergänzenden Auskunft vom 05.09.2013 teilte Prof. Dr. H. mit, dass die Klägerin ihn aufgrund der Erkrankung erstmalig am 10.08.2012 aufgesucht habe, wobei sie als Beschwerden das Einschlafen beider Hände links mehr als rechts seit vier Monaten angegeben habe.
Die Klägerin gab gegenüber der Beklagten an, bereits seit 2008 immer wiederkehrende Schmerzen und Bewegungseinschränkungen an beiden Händen verspürt zu haben. Sie führe diese Probleme auf ihre mehr als 30jährige Tätigkeit im Vier-Schichtbetrieb als Bandarbeiterin zurück, sowie auch auf die hierbei verwendeten Arbeitsstoffe und Lösungsmittel. Erstmalig sei sie wegen dieser Erkrankung im Jahr 2010 durch Dr. B. und Dr. H. behandelt worden.
Aus den vorgelegten Arztberichten des Dr. B. ging hervor, dass dieser am 18.07.2012 ein CTS beidseits diagnostizierte. Eine frühere Behandlung eines CTS als im Jahr 2012 ist ärzt-lich nicht dokumentiert.
Die Beklagte forderte bei der Krankenkasse der Klägerin ein Vorerkrankungsverzeichnis über alle Erkrankungen im Bereich der Hände und Handgelenke an. Aus dem am 19.09.2013 vorgelegten Verzeichnis der X-Krankenkasse für den Zeitraum 17.09.2007 bis 16.10.2012 ergibt sich keine Erwähnung eines CTS.
Der Hausarzt Dr. H. teilte am 23.09.2013 mit, dass die Klägerin über Schmerzen in der linken und rechten Hand klage, wobei die Diagnostik durch Dr. B. durchgeführt worden sei. Zur Frage nach den Erkenntnissen zur Entstehung der Beschwerden wurde auf die jahrelange Arbeit der Klägerin bei der Firma ... verwiesen.
Der Auskunft des Hausarztes war ein Bericht des Chirurgen und Handchirurgen Dr. W. vom 25.07.2012 beigefügt, wonach die Klägerin sich am 24.07.2012 wegen der Diagnose beidsei-tiges CTS vorgestellt habe und über seit mindestens drei Monaten bestehende Gefühlsstörungen beider Hände, linke Seite schlechter berichtet habe.
Nach Durchführung einer Besichtigung des früheren Arbeitsplatzes der Klägerin verfasste der Präventionsdienst der Beklagten am 02.10.2013 einen Bericht, wonach im Beschäftigungszeitraum 01.01.1994 bis 23.10.2008 CTS-relevante Belastungen vorhanden gewesen seien, welche nach der wissenschaftlichen Begründung zu einem CTS führen könnten.
Im Auftrag der Beklagten fertigte der Radiologe Dr. R. daraufhin Röntgenaufnahmen an. Hierzu teilte er am 22.10.2013 mit, dass er vom Vorliegen von Heberden-Arthrosen ausgehe. Die Pathologika der proximalen und Metaphalangealgelenke sowie der Metacarpophalangealgelenke seien vom Verteilungsmuster her mit der Frühform einer adulten rheumatoiden Arthritis zu vereinbaren.
Die Beratungsärztin Dr. H. vertrat am 04.11.2013 die Auffassung, dass eine berufliche Belastung vorliege, welche zur Entwicklung eines CTS führen könne. Das CTS sei auch nervenärztlich gesichert durch Dr. B. Allerdings liege in Würdigung des Gesamtverlaufes der zeitliche Zusammenhang nicht vor. Die Erkrankung habe sich erst 2012 und damit zu einem Zeitpunkt manifestiert, zu dem Zeitpunkt die Klägerin bereits vier Jahre lang nicht mehr als Packerin/Arbeiterin im Bereich der Bandabnahme gearbeitet habe. Der Kausalzusammenhang sei jedoch nur dann plausibel, wenn der Erkrankungsbeginn in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Exposition stehe (mit Hinweis auf Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, Seite 561). Die zeitliche Entwicklung spreche gegen den beruflichen Zusammenhang.
Anschließend vertrat auch die staatliche Gewerbeärztin E. am 27.11.2013 die Auffassung, dass weder eine BK Nr. 2106 noch eine Wie-BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII im Sinne eines CTS zur Anerkennung vorzuschlagen seien, da es an einem engen zeitlichen Zusammenhang fehle.
Mit Bescheid vom 13.12.2013 lehnte die Beklagte daraufhin die Anerkennung des CTS als Berufskrankheit oder als Wie-Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII mit der Argumentation der Beratungsärztin und der staatlichen Gewerbeärztin ab.
Der deswegen am 13.01.2014 eingelegte Widerspruch wurde nicht weiter begründet.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.11.2014 wies die Beklagte den Widerspruch als unbe-gründet zurück, wozu sie sich erneut auf das Fehlen eines engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen der letzten beruflichen Exposition und der Entstehung des CTS stützte. Ein Zustel-lungsnachweis oder Absendevermerk bezüglich des Widerspruchsbescheides ist in den Akten nicht vorhanden.
Die Bevollmächtigten der Klägerin haben am 30.12.2014 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Die Klage wird insbesondere damit begründet, dass das CTS auch bei Fehlen einer früheren Erwähnung in den ärztlichen Befunden unerkannt schon zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen habe. Eingeräumt wurde mit der Klage, dass die Erkrankung CTS explizit bei der Klägerin erst im Jahr 2012 ärztlich dokumentiert sei. Die entsprechenden Beschwerden bestünden indes bereits seit dem Jahr 2006 und seien richtigerweise von Anfang an der Erkrankung CTS zuzuordnen gewesen. Die Klägerin habe bereits im Jahr 2006 erhebliche Beschwerden im Bereich der HWS mit Ausstrahlung in den Arm und in die Hände verspürt, welche auf die monotonen Tätigkeiten als Bandarbeiterin/Packerin zurückzuführen gewesen seien. Ab diesem Zeitpunkt hätten auch diesbezügliche Behandlungen stattgefunden.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 13.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbeschei-des vom 26.11.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihre Erkrankung an einem CTS beider Hände als Berufskrankheit bzw. als Wie-Berufskrankheit gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.
Im Klageverfahren sind die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen angehört worden. Der Neurologe und Psychiater Dr. W. hat als Praxisnachfolger von Dr. B. mitgeteilt, dass die Klägerin bei Dr. B. seit dem 20.03.2009 ambulant behandelt worden sei. Ein Carpaltunnelsyndrom (beidseits) sei durch Dr. B. erstmals am 18.07.2012 diagnostiziert worden. Gesundheitsstörungen, welche auf einer BK beruhten, seien ihm bei Durchsicht der Krankenakte der Klägerin und in eigener Kenntnis der Klägerin nicht bekannt.
Der Hausarzt Dr. H. hat am 23.06.2015 mitgeteilt, dass die Klägerin seit vielen Jahren in seiner ambulanten hausärztlichen Behandlung sei, und zwar regelmäßig in Abständen von mindestens ein- bis zweimal vierteljährlich. Falls es sich bei dem CTS der Klägerin beidseits um eine BK handele, sei diese infolge der Operationen ausgeheilt. Der Beweis des CTS sei erst durch die NRG-Messung im Jahre 2012 durch den Facharzt für Neurologie Dr. B. erbracht worden. Trotzdem sei auch anhand des chronischen Beschwerdebildes und immer wieder geklagten Beschwerden mit Einschlafen der Hände, Schmerzen in beiden Armen bis in die Hände ziehend auch ein CTS schon in früheren Jahren möglich und denkbar. Trotz multipler fachärztlicher Behandlungen sei der Beweis jedoch erst im Jahre 2012 erbracht worden.
In der Anlage zu den Ausführungen des Dr. H. fanden sich ein Bericht über den stationären Aufenthalt der Klägerin vom 18.11.2008 bis zum 20.01.2009 in der Y-Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. In dem Bericht werden als Diagnosen eine Binge eating disorder, eine mittelgradige depressive Episode bei umfassender Überforderungssituation auf dem Boden einer Persönlichkeit mit ängstlich-vermeidenden Zügen, eine arterielle Hypertonie, eine Migräne, ein insulinabhängiger Diabetes mellitus Typ I und eine Adipositas Grad I mitgeteilt. In der Anamnese werden von der Klägerin ausgeprägte Ein- und Durchschlafstörungen sowie Unausgeglichenheit und Unwohlsein beklagt, außerdem Diabetes, Migräne und HWS-Beschwerden, jedoch keine Beschwerden an den Händen oder Armen.
Am 12.11.2015 ist im SG ein Erörterungstermin durchgeführt worden, an dessen Ende den Beteiligten die Absicht einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid nach § 105 SGG mitgeteilt worden ist.
Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten und die Akten des SG Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Das Gericht hat nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG ohne mündliche Verhandlung und ohne Mit-wirkung ehrenamtlicher Richter durch Gerichtsbescheid entschieden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten hatten im Rahmen der Anhörung in dem Erörterungstermin vom 12.11.2015 Gelegenheit, zu dieser beabsichtigen Verfahrensweise Stellung zu nehmen.
Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VII]). Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtverordnung bezeichnet ist, oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind (§ 9 Abs. 2 SGB VII).
Voraussetzung für die Anerkennung einer BK ist das Vorliegen der sogenannten arbeitstech-nischen Voraussetzungen (berufliche Belastung / Exposition) sowie einer einschlägigen Er-krankung aufgrund dieser Belastung. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß sowie die ent-sprechende Erkrankung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen wer-den. Sowohl hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität (ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits) als auch hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität (ursächlicher Zusammenhang zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung andererseits) genügt demgegenüber die hinreichende Wahrscheinlichkeit. Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286), d.h. es müssen die für einen ursächlichen Zusammenhang sprechenden Umstände deutlich überwiegen. Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Lässt sich ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus dem nicht wahrscheinlich gemachten Kausalzusammenhang für sich herleitet (BSGE 19, 52, 53; 30, 121, 123; 43, 110, 112; BSG Urt. vom 28.03.2003 - B 2 U 33/03 R -).
Nach Nr. 2113 der Anlage 1 zur BKV ist eine Druckschädigung des Nervus medianus im Carpaltunnel (Carpaltunnel-Syndrom) durch repetitive manuelle Tätigkeiten mit Beugung und Streckung der Handgelenke, durch erhöhten Kraftaufwand der Hände oder durch Hand-Arm-Schwingungen als BK anerkannt.
Die Anerkennung dieser neuen BK zum 01.01.2015 gemäß der 3. Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten (Bundesgesetzblatt 2014 Teil I Nr. 62, vom 29. Dezember 2014, S. 2397) erfasst grundsätzlich auch den vorliegenden Sachverhalt, weil nach § 6 Abs. 1 BKV die BK nach der Nr. 2113 auch rückwirkend anzuerkennen ist, wenn sie bereits vor dem Stichtag eingetreten ist.
Aufgrund dieser unbeschränkten Rückwirkungsklausel erübrigen sich nähere Ausführungen zu einer Wie-BK gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII, weil diese bereits ihrem Wortlaut nach immer subsidiär gegenüber einer Listen-BK ist. Zudem ist diese Regelung nur einschlägig, solange Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Berufsgruppen bei der letzten Neufassung der Anlage zur BKV noch nicht vorlagen oder nicht berücksichtigt wurden, was mit der rückwirkenden Einführung der BK Nr. 2113 nicht mehr der Fall ist (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 18. Januar 2008 – L 3 U 137/06 –, Rn. 23, juris).
Eine Erkrankung im Sinne eines CTS gemäß der BK Nr. 2113 ist bei der Klägerin unstreitig aufgetreten. Auch war ausweislich des Berichts des Präventionsdienstes der Beklagten eine CTS-relevante berufliche Belastung der Klägerin gegeben. Dennoch kann die (inzwischen beidseits operierte und gemäß dem Hausarzt Dr. H. ausgeheilte) Erkrankung nicht als BK anerkannt werden, weil es unwahrscheinlich ist, dass diese Erkrankung auf die berufliche Tätigkeit der Klägerin zurückzuführen ist. Denn es fehlt es an dem hierfür erforderlichen zeitlichen Zusammenhang zwischen der beruflichen Exposition und dem erstmaligen Auftreten der Erkrankung.
Zum zeitlichen Verlauf bis zum Auftreten eines CTS liegen in der Literatur unterschiedliche Angaben vor, ganz überwiegend reichen aber z. T. kurze Expositionszeiten aus (MASEAR et al. 1986, BARNHART et al. 1991). So fanden GORSCHE et al. 1999 innerhalb eines Jahres 11 % Neuerkrankte unter ursprünglich CTS-Gesunden eines Schlachtbetriebs. In der taiwanesischen Fischindustrie war nach CHIANG et al. 1993 das CTS-Risiko dann am höchsten, wenn die Exposition weniger als zwölf Monate betragen hatte. Ein Kausalzusammenhang ist plausibel, wenn der Erkrankungsbeginn in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Exposition steht (Zitat aus der wissenschaftlichen Begründung für die BK, Bek. des BMAS vom 1.5.2009 – IVa4-45226-2 GMBl. 30.6.2009, 573-581, S. 5). Dementsprechend wird auch in der Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, Seite 561) und Rechtsprechung (vgl. Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 08. Oktober 2009 – L 6 U 1/05 –, Rn. 46, juris, noch zur BK Nr. 2106b beim Vorliegen eines CTS) ein enger zeitlicher Zusammenhang für die Anerkennung einer BK bei einem CTS verlangt.
Ein solcher enger zeitlicher Zusammenhang ist jedenfalls dann nicht mehr gegeben, wenn wie im Falle der Klägerin zwischen dem letzten Beschäftigungstag mit einschlägiger Exposition und dem erstmaligen Auftreten eines CTS mehr als drei Jahre liegen.
Die erste ärztliche Feststellung eines CTS stammt aus dem Jahr 2012 (Dr. B.), wobei noch in diesem Jahr die beiden Operationen durchgeführt worden sind. Auch die Klägerin hat über ihren Bevollmächtigten eingeräumt, dass eine frühere ärztliche Feststellung dieser Erkran-kung nicht vorliegt. Insbesondere ergibt sich auch aus dem beigezogenen Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse keine Erwähnung eines CTS vor 2012.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass ein CTS bereits zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt - von den Ärzten unerkannt - vorgelegen haben könnte. Angesichts des letzten Arbeitstages am 23.10.2008 kann insoweit nicht mehr von einem engen zeitlichen Zusammenhang gesprochen werden können.
Die Klägerin hat zwar gegenüber der Beklagten im Verwaltungsverfahren behauptet, bereits zeitnah mit ihrer Beschäftigung im Jahr 2008 entsprechende Probleme in den Händen und Armen gehabt zu haben. Für diese Behauptung fehlen jedoch belastbare Nachweise. Insbe-sondere ist der insoweit erforderliche Vollbeweis für die Erkrankung an einem CTS bereits zu einem früheren Zeitpunkt nicht erbracht.
Als die Beklagte am 13.08.2013 erstmalig Kenntnis von der Erkrankung durch Prof. Dr. H. erhielt, gab dieser an, dass die Beschwerden erstmalig vor ca. zwei Jahren aufgetreten seien. Die Kammer geht davon aus, dass diese Angaben aus der Anamnese der Klägerin durch Prof. Dr. H. stammen. Denn dies deckt sich auch mit den Angaben der Klägerin, sie sei erstmalig im Jahr 2010 durch Dr. B. und Dr. H. wegen Hand- und Armbeschwerden behandelt worden. Hinsichtlich der früheren Eigenangaben der Klägerin hat Handchirurg Dr. W. am berichtet, dass die die Klägerin sich am 24.07.2012 wegen der Diagnose beidseitiges CTS vorgestellt habe und über seit mindestens drei Monaten bestehende Gefühlsstörungen beider Hände, linke Seite schlechter berichtet habe.
Die Kammer misst insbesondere dem Bericht über den stationären Aufenthalt der Klägerin vom 18.11.2008 bis zum 20.01.2009 in der Y-Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik große Bedeutung für die Frage des erstmaligen Auftretens eines CTS bei. Die Klägerin wurde in diesem Zeitraum, der rund vier Wochen nach ihrem letzten Arbeitstag begann, intensiv und umfassend ärztlich betreut. Dementsprechend finden sich in dem Bericht auch sehr umfassende Beschreibungen der Anamnese und der Befunde der Klä-gerin. Weder die Klägerin noch die Ärzte haben ausweislich dieses Berichts jedoch wie auch immer geartete Beschwerden an den Händen oder Armen der Klägerin erwähnt.
Es überzeugt daher, dass sowohl die Beratungsärztin Dr. H. als auch die staatliche Gewerbe-ärztin E. den Kausalzusammenhang verneinen, da der Erkrankungsbeginn nicht in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Exposition steht. Der große zeitliche Abstand der Erkran-kung vom letzten Arbeitstag spricht vorliegend deutlich gegen einen beruflichen Zusammenhang.
Der als sachverständige Zeuge gehörte Neurologe und Psychiater Dr. W. hat als Praxisnach-folger von Dr. B. hat im vorliegenden Gerichtsverfahren ebenfalls die Auffassung vertreten, dass Anhaltspunkte für eine BK nicht vorliegen.
Sofern der Hausarzt Dr. H. als sachverständiger Zeuge ein Auftreten eines CTS schon zu einem früheren Zeitpunkt für möglich und denkbar hält, ist dies keine ausreichende Grundlage für eine Verurteilung zur Anerkennung einer BK. Dr. H. weist selbst darauf hin, dass der Nachweis des CTS erst durch die NRG-Messung im Jahre 2012 durch den Facharzt für Neurologie Dr. B. erbracht worden ist. Sofern der sachverständige Zeuge Dr. H. auf die zahlreichen ärztlichen Behandlungen der Klägerin verweist, wäre auch insofern zu erwarten gewesen, dass die Ärzte der Klägerin ein CTS schon früher festgestellt hätten, wenn diese vorgelegen hätte.
Angesichts dieser Beweislage sieht die Kammer keine Veranlassung für die von dem Klägerbevollmächtigten angeregten weiteren medizinischen Ermittlungen.
Auch für das Vorliegen anderer BKen als von der Klägerin geltend gemacht - die Beklagte hat das Vorliegen einer BK schlechthin abgelehnt - finden sich keine Anhaltspunkte. dies gilt insbesondere hinsichtlich der vor dem 01.01.2015 hinsichtlich eines CTS als Auffangtatbestand fungierenden (str.; hierzu Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 08. Oktober 2009 – L 6 U 1/05 –, Rn. 46, juris entgegen Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 18. Januar 2008 – L 3 U 137/06 –, Rn. 21, juris) BK Nr. 2106 ("Druckschädigung der Nerven").
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung eines Carpaltunnelsyndroms (CTS) als Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 2113 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) ("Druckschädigung des Nervus medianus im Carpaltunnel [Carpaltunnelsyndrom] durch repetitive manuelle Tätigkeiten mit Beugung und Streckung der Handgelenke durch erhöhten Kraftaufwand der Hände oder durch Hand-Arm-Schwingungen") bzw. einer diesem Krankheitsbild entsprechenden Wie-BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII im Streit.
Die am ... 1956 geborene Klägerin war vom 22.10.1979 bis zum 31.12.2009 bei der Firma ... in ... als Arbeiterin beschäftigt. Zuvor hatte sie von 1971 bis 1972 eine Tätigkeit als Helferin im Spüldienst verrichtet, bis 1974 eine Ausbildung zur Krankenpflegerin absolviert und an-schließend bis 1978 als Krankenpflegehelferin gearbeitet. In den Jahren 1978 bis 1979 hatte die Klägerin Mutterschaftsurlaub.
Während ihrer Beschäftigung bei der Firma ... war die Klägerin zunächst als Putzfrau und dann vom 22.10.1979 bis zum 31.12.1993 als Arbeiterin in der Presse und in der Spritzerei tätig. Vom 01.01.1994 bis zum 23.10.2008 arbeitete sie dann als Arbeiterin/Packerin im Be-reich der Bandabnahme. Der 23.10.2008 war der letzte Arbeitstag der Klägerin bei der Firma ..., danach war sie bis zum 31.12.2009 arbeitsunfähig erkrankt. Vom 01.01.2010 bis zum 31.12.2010 war die Klägerin arbeitslos. Seit dem 01.01.2011 bezieht die Klägerin Rente.
Am 13.08.2013 erhielt die Beklagte erstmalig Kenntnis von dem Verdacht des Vorliegens eines CTS als BK. Prof. Dr. H. teilte den Verdacht des Vorliegens einer BK Nr. 2106 ("Druckschädigung der Nerven") aufgrund eines beidseitigen CTS der Klägerin mit. Die Beschwerden seien erstmalig vor ca. zwei Jahren aufgetreten. Gemäß den vorgelegten Operationsberichten des Handchirurgen Prof. Dr. H. wurde das CTS am 21.08.2012 (links) und am 04.06.2013 (rechts) mittels offener Carpaldachspaltung operiert, wobei sich jeweils intraoperative keine Besonderheiten hätten feststellen lassen. In seiner ergänzenden Auskunft vom 05.09.2013 teilte Prof. Dr. H. mit, dass die Klägerin ihn aufgrund der Erkrankung erstmalig am 10.08.2012 aufgesucht habe, wobei sie als Beschwerden das Einschlafen beider Hände links mehr als rechts seit vier Monaten angegeben habe.
Die Klägerin gab gegenüber der Beklagten an, bereits seit 2008 immer wiederkehrende Schmerzen und Bewegungseinschränkungen an beiden Händen verspürt zu haben. Sie führe diese Probleme auf ihre mehr als 30jährige Tätigkeit im Vier-Schichtbetrieb als Bandarbeiterin zurück, sowie auch auf die hierbei verwendeten Arbeitsstoffe und Lösungsmittel. Erstmalig sei sie wegen dieser Erkrankung im Jahr 2010 durch Dr. B. und Dr. H. behandelt worden.
Aus den vorgelegten Arztberichten des Dr. B. ging hervor, dass dieser am 18.07.2012 ein CTS beidseits diagnostizierte. Eine frühere Behandlung eines CTS als im Jahr 2012 ist ärzt-lich nicht dokumentiert.
Die Beklagte forderte bei der Krankenkasse der Klägerin ein Vorerkrankungsverzeichnis über alle Erkrankungen im Bereich der Hände und Handgelenke an. Aus dem am 19.09.2013 vorgelegten Verzeichnis der X-Krankenkasse für den Zeitraum 17.09.2007 bis 16.10.2012 ergibt sich keine Erwähnung eines CTS.
Der Hausarzt Dr. H. teilte am 23.09.2013 mit, dass die Klägerin über Schmerzen in der linken und rechten Hand klage, wobei die Diagnostik durch Dr. B. durchgeführt worden sei. Zur Frage nach den Erkenntnissen zur Entstehung der Beschwerden wurde auf die jahrelange Arbeit der Klägerin bei der Firma ... verwiesen.
Der Auskunft des Hausarztes war ein Bericht des Chirurgen und Handchirurgen Dr. W. vom 25.07.2012 beigefügt, wonach die Klägerin sich am 24.07.2012 wegen der Diagnose beidsei-tiges CTS vorgestellt habe und über seit mindestens drei Monaten bestehende Gefühlsstörungen beider Hände, linke Seite schlechter berichtet habe.
Nach Durchführung einer Besichtigung des früheren Arbeitsplatzes der Klägerin verfasste der Präventionsdienst der Beklagten am 02.10.2013 einen Bericht, wonach im Beschäftigungszeitraum 01.01.1994 bis 23.10.2008 CTS-relevante Belastungen vorhanden gewesen seien, welche nach der wissenschaftlichen Begründung zu einem CTS führen könnten.
Im Auftrag der Beklagten fertigte der Radiologe Dr. R. daraufhin Röntgenaufnahmen an. Hierzu teilte er am 22.10.2013 mit, dass er vom Vorliegen von Heberden-Arthrosen ausgehe. Die Pathologika der proximalen und Metaphalangealgelenke sowie der Metacarpophalangealgelenke seien vom Verteilungsmuster her mit der Frühform einer adulten rheumatoiden Arthritis zu vereinbaren.
Die Beratungsärztin Dr. H. vertrat am 04.11.2013 die Auffassung, dass eine berufliche Belastung vorliege, welche zur Entwicklung eines CTS führen könne. Das CTS sei auch nervenärztlich gesichert durch Dr. B. Allerdings liege in Würdigung des Gesamtverlaufes der zeitliche Zusammenhang nicht vor. Die Erkrankung habe sich erst 2012 und damit zu einem Zeitpunkt manifestiert, zu dem Zeitpunkt die Klägerin bereits vier Jahre lang nicht mehr als Packerin/Arbeiterin im Bereich der Bandabnahme gearbeitet habe. Der Kausalzusammenhang sei jedoch nur dann plausibel, wenn der Erkrankungsbeginn in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Exposition stehe (mit Hinweis auf Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, Seite 561). Die zeitliche Entwicklung spreche gegen den beruflichen Zusammenhang.
Anschließend vertrat auch die staatliche Gewerbeärztin E. am 27.11.2013 die Auffassung, dass weder eine BK Nr. 2106 noch eine Wie-BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII im Sinne eines CTS zur Anerkennung vorzuschlagen seien, da es an einem engen zeitlichen Zusammenhang fehle.
Mit Bescheid vom 13.12.2013 lehnte die Beklagte daraufhin die Anerkennung des CTS als Berufskrankheit oder als Wie-Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII mit der Argumentation der Beratungsärztin und der staatlichen Gewerbeärztin ab.
Der deswegen am 13.01.2014 eingelegte Widerspruch wurde nicht weiter begründet.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.11.2014 wies die Beklagte den Widerspruch als unbe-gründet zurück, wozu sie sich erneut auf das Fehlen eines engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen der letzten beruflichen Exposition und der Entstehung des CTS stützte. Ein Zustel-lungsnachweis oder Absendevermerk bezüglich des Widerspruchsbescheides ist in den Akten nicht vorhanden.
Die Bevollmächtigten der Klägerin haben am 30.12.2014 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Die Klage wird insbesondere damit begründet, dass das CTS auch bei Fehlen einer früheren Erwähnung in den ärztlichen Befunden unerkannt schon zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen habe. Eingeräumt wurde mit der Klage, dass die Erkrankung CTS explizit bei der Klägerin erst im Jahr 2012 ärztlich dokumentiert sei. Die entsprechenden Beschwerden bestünden indes bereits seit dem Jahr 2006 und seien richtigerweise von Anfang an der Erkrankung CTS zuzuordnen gewesen. Die Klägerin habe bereits im Jahr 2006 erhebliche Beschwerden im Bereich der HWS mit Ausstrahlung in den Arm und in die Hände verspürt, welche auf die monotonen Tätigkeiten als Bandarbeiterin/Packerin zurückzuführen gewesen seien. Ab diesem Zeitpunkt hätten auch diesbezügliche Behandlungen stattgefunden.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 13.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbeschei-des vom 26.11.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihre Erkrankung an einem CTS beider Hände als Berufskrankheit bzw. als Wie-Berufskrankheit gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.
Im Klageverfahren sind die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen angehört worden. Der Neurologe und Psychiater Dr. W. hat als Praxisnachfolger von Dr. B. mitgeteilt, dass die Klägerin bei Dr. B. seit dem 20.03.2009 ambulant behandelt worden sei. Ein Carpaltunnelsyndrom (beidseits) sei durch Dr. B. erstmals am 18.07.2012 diagnostiziert worden. Gesundheitsstörungen, welche auf einer BK beruhten, seien ihm bei Durchsicht der Krankenakte der Klägerin und in eigener Kenntnis der Klägerin nicht bekannt.
Der Hausarzt Dr. H. hat am 23.06.2015 mitgeteilt, dass die Klägerin seit vielen Jahren in seiner ambulanten hausärztlichen Behandlung sei, und zwar regelmäßig in Abständen von mindestens ein- bis zweimal vierteljährlich. Falls es sich bei dem CTS der Klägerin beidseits um eine BK handele, sei diese infolge der Operationen ausgeheilt. Der Beweis des CTS sei erst durch die NRG-Messung im Jahre 2012 durch den Facharzt für Neurologie Dr. B. erbracht worden. Trotzdem sei auch anhand des chronischen Beschwerdebildes und immer wieder geklagten Beschwerden mit Einschlafen der Hände, Schmerzen in beiden Armen bis in die Hände ziehend auch ein CTS schon in früheren Jahren möglich und denkbar. Trotz multipler fachärztlicher Behandlungen sei der Beweis jedoch erst im Jahre 2012 erbracht worden.
In der Anlage zu den Ausführungen des Dr. H. fanden sich ein Bericht über den stationären Aufenthalt der Klägerin vom 18.11.2008 bis zum 20.01.2009 in der Y-Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. In dem Bericht werden als Diagnosen eine Binge eating disorder, eine mittelgradige depressive Episode bei umfassender Überforderungssituation auf dem Boden einer Persönlichkeit mit ängstlich-vermeidenden Zügen, eine arterielle Hypertonie, eine Migräne, ein insulinabhängiger Diabetes mellitus Typ I und eine Adipositas Grad I mitgeteilt. In der Anamnese werden von der Klägerin ausgeprägte Ein- und Durchschlafstörungen sowie Unausgeglichenheit und Unwohlsein beklagt, außerdem Diabetes, Migräne und HWS-Beschwerden, jedoch keine Beschwerden an den Händen oder Armen.
Am 12.11.2015 ist im SG ein Erörterungstermin durchgeführt worden, an dessen Ende den Beteiligten die Absicht einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid nach § 105 SGG mitgeteilt worden ist.
Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten und die Akten des SG Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Das Gericht hat nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG ohne mündliche Verhandlung und ohne Mit-wirkung ehrenamtlicher Richter durch Gerichtsbescheid entschieden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten hatten im Rahmen der Anhörung in dem Erörterungstermin vom 12.11.2015 Gelegenheit, zu dieser beabsichtigen Verfahrensweise Stellung zu nehmen.
Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VII]). Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtverordnung bezeichnet ist, oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind (§ 9 Abs. 2 SGB VII).
Voraussetzung für die Anerkennung einer BK ist das Vorliegen der sogenannten arbeitstech-nischen Voraussetzungen (berufliche Belastung / Exposition) sowie einer einschlägigen Er-krankung aufgrund dieser Belastung. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß sowie die ent-sprechende Erkrankung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen wer-den. Sowohl hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität (ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits) als auch hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität (ursächlicher Zusammenhang zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung andererseits) genügt demgegenüber die hinreichende Wahrscheinlichkeit. Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286), d.h. es müssen die für einen ursächlichen Zusammenhang sprechenden Umstände deutlich überwiegen. Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Lässt sich ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus dem nicht wahrscheinlich gemachten Kausalzusammenhang für sich herleitet (BSGE 19, 52, 53; 30, 121, 123; 43, 110, 112; BSG Urt. vom 28.03.2003 - B 2 U 33/03 R -).
Nach Nr. 2113 der Anlage 1 zur BKV ist eine Druckschädigung des Nervus medianus im Carpaltunnel (Carpaltunnel-Syndrom) durch repetitive manuelle Tätigkeiten mit Beugung und Streckung der Handgelenke, durch erhöhten Kraftaufwand der Hände oder durch Hand-Arm-Schwingungen als BK anerkannt.
Die Anerkennung dieser neuen BK zum 01.01.2015 gemäß der 3. Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten (Bundesgesetzblatt 2014 Teil I Nr. 62, vom 29. Dezember 2014, S. 2397) erfasst grundsätzlich auch den vorliegenden Sachverhalt, weil nach § 6 Abs. 1 BKV die BK nach der Nr. 2113 auch rückwirkend anzuerkennen ist, wenn sie bereits vor dem Stichtag eingetreten ist.
Aufgrund dieser unbeschränkten Rückwirkungsklausel erübrigen sich nähere Ausführungen zu einer Wie-BK gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII, weil diese bereits ihrem Wortlaut nach immer subsidiär gegenüber einer Listen-BK ist. Zudem ist diese Regelung nur einschlägig, solange Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Berufsgruppen bei der letzten Neufassung der Anlage zur BKV noch nicht vorlagen oder nicht berücksichtigt wurden, was mit der rückwirkenden Einführung der BK Nr. 2113 nicht mehr der Fall ist (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 18. Januar 2008 – L 3 U 137/06 –, Rn. 23, juris).
Eine Erkrankung im Sinne eines CTS gemäß der BK Nr. 2113 ist bei der Klägerin unstreitig aufgetreten. Auch war ausweislich des Berichts des Präventionsdienstes der Beklagten eine CTS-relevante berufliche Belastung der Klägerin gegeben. Dennoch kann die (inzwischen beidseits operierte und gemäß dem Hausarzt Dr. H. ausgeheilte) Erkrankung nicht als BK anerkannt werden, weil es unwahrscheinlich ist, dass diese Erkrankung auf die berufliche Tätigkeit der Klägerin zurückzuführen ist. Denn es fehlt es an dem hierfür erforderlichen zeitlichen Zusammenhang zwischen der beruflichen Exposition und dem erstmaligen Auftreten der Erkrankung.
Zum zeitlichen Verlauf bis zum Auftreten eines CTS liegen in der Literatur unterschiedliche Angaben vor, ganz überwiegend reichen aber z. T. kurze Expositionszeiten aus (MASEAR et al. 1986, BARNHART et al. 1991). So fanden GORSCHE et al. 1999 innerhalb eines Jahres 11 % Neuerkrankte unter ursprünglich CTS-Gesunden eines Schlachtbetriebs. In der taiwanesischen Fischindustrie war nach CHIANG et al. 1993 das CTS-Risiko dann am höchsten, wenn die Exposition weniger als zwölf Monate betragen hatte. Ein Kausalzusammenhang ist plausibel, wenn der Erkrankungsbeginn in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Exposition steht (Zitat aus der wissenschaftlichen Begründung für die BK, Bek. des BMAS vom 1.5.2009 – IVa4-45226-2 GMBl. 30.6.2009, 573-581, S. 5). Dementsprechend wird auch in der Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, Seite 561) und Rechtsprechung (vgl. Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 08. Oktober 2009 – L 6 U 1/05 –, Rn. 46, juris, noch zur BK Nr. 2106b beim Vorliegen eines CTS) ein enger zeitlicher Zusammenhang für die Anerkennung einer BK bei einem CTS verlangt.
Ein solcher enger zeitlicher Zusammenhang ist jedenfalls dann nicht mehr gegeben, wenn wie im Falle der Klägerin zwischen dem letzten Beschäftigungstag mit einschlägiger Exposition und dem erstmaligen Auftreten eines CTS mehr als drei Jahre liegen.
Die erste ärztliche Feststellung eines CTS stammt aus dem Jahr 2012 (Dr. B.), wobei noch in diesem Jahr die beiden Operationen durchgeführt worden sind. Auch die Klägerin hat über ihren Bevollmächtigten eingeräumt, dass eine frühere ärztliche Feststellung dieser Erkran-kung nicht vorliegt. Insbesondere ergibt sich auch aus dem beigezogenen Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse keine Erwähnung eines CTS vor 2012.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass ein CTS bereits zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt - von den Ärzten unerkannt - vorgelegen haben könnte. Angesichts des letzten Arbeitstages am 23.10.2008 kann insoweit nicht mehr von einem engen zeitlichen Zusammenhang gesprochen werden können.
Die Klägerin hat zwar gegenüber der Beklagten im Verwaltungsverfahren behauptet, bereits zeitnah mit ihrer Beschäftigung im Jahr 2008 entsprechende Probleme in den Händen und Armen gehabt zu haben. Für diese Behauptung fehlen jedoch belastbare Nachweise. Insbe-sondere ist der insoweit erforderliche Vollbeweis für die Erkrankung an einem CTS bereits zu einem früheren Zeitpunkt nicht erbracht.
Als die Beklagte am 13.08.2013 erstmalig Kenntnis von der Erkrankung durch Prof. Dr. H. erhielt, gab dieser an, dass die Beschwerden erstmalig vor ca. zwei Jahren aufgetreten seien. Die Kammer geht davon aus, dass diese Angaben aus der Anamnese der Klägerin durch Prof. Dr. H. stammen. Denn dies deckt sich auch mit den Angaben der Klägerin, sie sei erstmalig im Jahr 2010 durch Dr. B. und Dr. H. wegen Hand- und Armbeschwerden behandelt worden. Hinsichtlich der früheren Eigenangaben der Klägerin hat Handchirurg Dr. W. am berichtet, dass die die Klägerin sich am 24.07.2012 wegen der Diagnose beidseitiges CTS vorgestellt habe und über seit mindestens drei Monaten bestehende Gefühlsstörungen beider Hände, linke Seite schlechter berichtet habe.
Die Kammer misst insbesondere dem Bericht über den stationären Aufenthalt der Klägerin vom 18.11.2008 bis zum 20.01.2009 in der Y-Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik große Bedeutung für die Frage des erstmaligen Auftretens eines CTS bei. Die Klägerin wurde in diesem Zeitraum, der rund vier Wochen nach ihrem letzten Arbeitstag begann, intensiv und umfassend ärztlich betreut. Dementsprechend finden sich in dem Bericht auch sehr umfassende Beschreibungen der Anamnese und der Befunde der Klä-gerin. Weder die Klägerin noch die Ärzte haben ausweislich dieses Berichts jedoch wie auch immer geartete Beschwerden an den Händen oder Armen der Klägerin erwähnt.
Es überzeugt daher, dass sowohl die Beratungsärztin Dr. H. als auch die staatliche Gewerbe-ärztin E. den Kausalzusammenhang verneinen, da der Erkrankungsbeginn nicht in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Exposition steht. Der große zeitliche Abstand der Erkran-kung vom letzten Arbeitstag spricht vorliegend deutlich gegen einen beruflichen Zusammenhang.
Der als sachverständige Zeuge gehörte Neurologe und Psychiater Dr. W. hat als Praxisnach-folger von Dr. B. hat im vorliegenden Gerichtsverfahren ebenfalls die Auffassung vertreten, dass Anhaltspunkte für eine BK nicht vorliegen.
Sofern der Hausarzt Dr. H. als sachverständiger Zeuge ein Auftreten eines CTS schon zu einem früheren Zeitpunkt für möglich und denkbar hält, ist dies keine ausreichende Grundlage für eine Verurteilung zur Anerkennung einer BK. Dr. H. weist selbst darauf hin, dass der Nachweis des CTS erst durch die NRG-Messung im Jahre 2012 durch den Facharzt für Neurologie Dr. B. erbracht worden ist. Sofern der sachverständige Zeuge Dr. H. auf die zahlreichen ärztlichen Behandlungen der Klägerin verweist, wäre auch insofern zu erwarten gewesen, dass die Ärzte der Klägerin ein CTS schon früher festgestellt hätten, wenn diese vorgelegen hätte.
Angesichts dieser Beweislage sieht die Kammer keine Veranlassung für die von dem Klägerbevollmächtigten angeregten weiteren medizinischen Ermittlungen.
Auch für das Vorliegen anderer BKen als von der Klägerin geltend gemacht - die Beklagte hat das Vorliegen einer BK schlechthin abgelehnt - finden sich keine Anhaltspunkte. dies gilt insbesondere hinsichtlich der vor dem 01.01.2015 hinsichtlich eines CTS als Auffangtatbestand fungierenden (str.; hierzu Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 08. Oktober 2009 – L 6 U 1/05 –, Rn. 46, juris entgegen Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 18. Januar 2008 – L 3 U 137/06 –, Rn. 21, juris) BK Nr. 2106 ("Druckschädigung der Nerven").
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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