L 14 AS 3260/14

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 18 AS 2377/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 AS 3260/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 43/16 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Frage der Verjährung, Verwirkung, Entreicherung nach § 818 BGB eines Erstattungsanspruchs nach § 50 SGB 10.
Bemerkung
BSG: Beschwerde eingelegt (-)
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 13. November 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Erstattung von Leistungen des Beklagten nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 1. August 2007 bis zum 31. März 2008 in Höhe von 8.595,36 EUR.

Der 1955 geborene Kläger ist promovierter Diplom-Chemiker und war nach seinen eigenen Angaben von 1988 bis 2001 bei der Firma S in gehobener Stellung tätig.

Seit dem 1. September 2001 bezog der Kläger von der Bundesagentur für Arbeit Arbeitslosengeld und mit Unterbrechung anschließend bis zum 31. Dezember 2004 Arbeitslosenhilfe. Im Anschluss hieran erhielt der Kläger Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II bis einschließlich 31. Juli 2007; zuletzt in Höhe von 1.618,03 EUR; (Bescheid vom 12. Januar 2007).

Der Beklagte bewilligte dem Kläger mit einem Bescheid vom 25. Juli 2007 für den Zeitraum von August 2007 bis Dezember 2007 monatlich nur noch 1.005,78 EUR und für den Zeitraum von Januar 2008 bis einschließlich Juli 2008 monatlich 1.188,82 EUR. Ab dem 1. August 2007 erfolge die Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung lediglich in angemessener Höhe; zudem sei die Eigenheimzulage anzurechnen, da sie nicht zweckentsprechend verwendet würde.

Im Rahmen des vom Kläger geführten Widerspruchsverfahrens, mit dem er u.a. höhere Leistungen ab Juli 2008 geltend gemacht hatte, stellte der Beklagte u.a. fest, dass der Kläger von 2005 bis 2007 seine Darlehensschuld um 40.000 EUR vermindert hatte und aus den eingereichten Kontoauszügen weder Barauszahlungen noch bargeldlose Einkäufe ersichtlich waren.

Mit Schreiben vom 11. Januar 2008 hörte der Beklagte daraufhin den Kläger zu einer beabsichtigten Einstellung der mit dem Bescheid vom 25. Juli 2007 bewilligten Leistungen an und kündigte sogleich an, bereits geleistete Zahlungen als öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch zurückzufordern.

Der Kläger erklärte hierzu mit Schriftsatz vom 31. Januar 2008 u.a., der Betrag in Höhe von 40.000 EUR würde aus einem angesparten Bausparvertrag (Baukonto Nr. ) resultieren. Die Geschäfte des täglichen Bedarfs seien in den Jahren 2005 und 2006 über eine B-Kreditkarte abgewickelt worden. Es bestehe ein weiteres Konto bei der B Bank (Kontonummer ), welches ein reines Girokorrespondenzkonto zum Depot sei. Im Depot selbst befänden sich 111 Siemensmitarbeiteraktien, welche bis zum Jahre 2004 nicht hätten veräußert werden dürfen und deren Wert weit unter dem berücksichtigungsfreien Schonvermögen liege. Im Widerspruchsverfahren legte der Kläger auf Anforderung des Beklagten zahlreiche Kontoauszüge der P und der B Bank GmbH, sowie einen Depotauszug der B Bank (Depot Nr. ) für den 31. Dezember 2007 über 111 S AG Namensaktien mit einem Kurswert von 11.882,55 EUR vor.

Der Beklagte teilte daraufhin dem Kläger mit Schreiben vom 13. Mai 2008 mit, dass im Hinblick auf das Aktienvermögen eine Aufhebung des Bescheides vom 25. Juli 2007 beabsichtigt sei, da der Gesamtwert des Depots in Höhe von 11.066,70 EUR zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides über dem Vermögensfreibetrag nach § 12 Abs. 2 SGB II von 8.550 EUR (= Wert zum Zeitpunkt der Antragstellung) gelegen habe. Die geleisteten Zahlungen seien von ihm zurückzufordern. Dies sei seinem Bevollmächtigten bereits mehrmals telefonisch mitgeteilt worden. Eine Rückäußerung zur Anhörung (§ 24 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – SGB X) wurde auf den 12. Juni 2008 bestimmt.

Zum 1. April 2008 nahm der Kläger eine Tätigkeit als Teamleiter bei derAG/B auf. Der Beklagte hob mit Bescheid vom 1. April 2008 die Leistungsbewilligung aufgrund der Arbeitsaufnahme ab dem 1. April 2008 auf.

Mit Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 2008 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bewilligungsbescheid vom 25. Juli 2007 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 1. April 2008 zurück und nahm die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum von August 2007 bis einschließlich März 2008 gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) und § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X wegen unrichtiger Angaben des Klägers zurück. Zur Erstattung solle ein gesonderter Bescheid ergehen.

Am 30. Juli 2008 hatte der Kläger bei dem Sozialgericht Neuruppin die zum Az.: S 13 AS 1475/08 registrierte Klage u.a. gegen die Aufhebungsentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 2008 (Rücknahme der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum von August 2007 bis einschließlich März 2008) erhoben, die mit Urteil vom 18. September 2009 abgewiesen wurde. Gegen das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 6. Oktober 2009 zugestellte Urteil legte der Kläger am 30. Oktober 2009 die zum Az.: L 29 AS 1844/09 registrierte Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg ein, die mit Urteil vom 16. Dezember 2010 zurückgewiesen wurde. Die vom Kläger zum Az.: B 14 AS 45/11 B geführte Nichtzulassungsbeschwerde verwarf das Bundessozialgericht (BSG) als unzulässig durch Beschluss vom 24. Oktober 2011.

Aufgrund des ab Juli 2008 begonnenen Klageverfahrens verfügte der Beklagte am 6. August 2008, dass das Ergebnis des Klageverfahrens abzuwarten sei und sodann eine Bearbeitung der Erstattungsforderung erfolgen solle.

Am 9. Februar 2009 erließ der Beklagte den streitgegenständlichen Erstattungsbescheid hinsichtlich der Rücknahme der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. August 2007 bis einschließlich 31. März 2008 und forderte vom Kläger die Zahlung von 8.595,36 EUR (August bis Dezember 2007 jeweils 1.005,78 EUR zzgl. Januar bis März 2008 jeweils 1.188,82 EUR).

Der Kläger legte Anfang März 2009 Widerspruch ein, der gesondert durch einen Schriftsatz begründet werden sollte. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12. Oktober 2012 zurück, nachdem der Widerspruch nicht weiter begründet worden ist.

Der Kläger hat am 13. November 2012 Klage vor dem Sozialgericht Neuruppin erhoben, mit der er sich gegen die Erstattungsforderung mit der Einrede der Entreicherung sowie dem Einwand der Verwirkung gewandt hat. Die zu erstattenden Leistungen nach dem SGB II seien verbraucht. Die Aufhebung und Rückforderung hätten in einem engen zeitlichen Zusammenhang erfolgen müssen.

Der Beklagte hat vorgetragen, für ihn sei es schlüssig und nachvollziehbar gewesen, nach dem erstinstanzlichen Urteil des Sozialgerichts in dem Verfahren S 13 AS 1475/08 bzw. der dagegen eingelegten Berufung zunächst keine Entscheidung in dem Widerspruchsverfahren zu der Erstattungsforderung zu treffen. Hieraus könne keine Verwirkung resultieren. Der Kläger habe bei einem sich über drei Instanzen erstreckenden Rechtsstreit zur Frage der Rechtmäßigkeit der Aufhebungs-entscheidung bzw. zur Frage beim BSG, ob die Revision zuzulassen sei, zu keinem Zeitpunkt darauf vertrauen dürfen, dass er (Beklagter) nach dem Beschluss des BSG nunmehr im Vorverfahren zum Erstattungsbescheid vom Ausgangsbescheid abweichen würde. Der Kläger habe mit der ausstehenden Entscheidung zur Erstattungsforderung jederzeit rechnen müssen. Insoweit fehle einer Verwirkung bereits der Umstandsmoment. Dasselbe treffe für den Zeitmoment zu. Sein Abwarten bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Aufhebung sei mehr als verständlich, sachgerecht und nachvollziehbar. Die Voraussetzungen von § 50 SGB Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) seien erfüllt. Die Einrede der Entreicherung komme nicht in Betracht. Vor dem Hintergrund eines seinerzeit bestehenden, aber nicht angegebenen Wertpapierdepots sowie eines Bausparvertrages (Guthaben von rund 43.000 EUR im Herbst 2007) erschließe sich ihm das klägerische Vorbringen zur Entreicherung nicht.

Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 13. November 2014 die Klage abgewiesen. Der Erstattungsforderung stehe weder das Rechtsinstitut der Verwirkung noch die Einrede der Entreicherung nach § 818 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) entgegen. Der angegriffene Erstattungsbescheid sei auch deswegen nicht rechtswidrig, weil er nicht zusammen mit dem zu Grunde liegenden Aufhebungsbescheid erlassen worden sei.

Gegen das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 1. Dezember 2014 zugestellte Urteil hat er am 18. Dezember 2014 für den Kläger Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Er sei entreichert. Der Erstattungsbescheid verstieße gegen § 50 Abs. 3 S. 2 SGB X. Die Erstattungsforderung sei verjährt, verwirkt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 13. November 2014 sowie den Erstattungsbescheid des Beklagten vom 9. Februar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und trägt vor, die Erstattungsforderung sei nicht verjährt. Im Übrigen werde auf die Ausführung des Urteils des Sozialgerichts Bezug genommen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten, die beigezogenen Gerichtsakten des Sozialgerichts Neuruppin zu den Az. S 17 AS 1475/09 sowie die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten (Az. , 5 Bände), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Sie ist ohne weitere Zulassung nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 EUR übersteigt.

Die Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht Neuruppin hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die reine Anfechtungsklage ist zulässig, jedoch unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 9. Februar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2012 ist rechtmäßig. Der Kläger hat für den streitigen Zeitraum vom 1. August 2007 bis zum 31. März 2008 8.595,36 EUR zu erstatten.

§ 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X regelt: Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Der Beklagte hatte durch die Aufhebungsentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 2008 die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum von August 2007 bis einschließlich März 2008 zurückgenommen. Diese Entscheidung ist bestandskräftig (§ 77 SGG), nachdem der diesbezüglich geführte Rechtstreit schließlich vor dem BSG durch Beschluss vom 24. Oktober 2011 (Az.: B 14 AS 45/11 B) endete.

Die Erstattungsforderung ist der Höhe nach nicht zu beanstanden. Dem Kläger war ursprünglich durch Bescheid vom 25. Juli 2007 für den Zeitraum von August 2007 bis Dezember 2007 monatlich 1.105,78 EUR und für den Zeitraum von Januar 2008 bis einschließlich März 2008 monatlich 1.188,82 EUR bewilligt worden. Durch den Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 2008 ist die Bewilligung zurückgenommen worden. Die Erstattungsforderung beträgt zu Recht 8.595,36 EUR (= (5 x 1.005,78) + (3 x 1.188,82)).

Zutreffend hat der Beklagte die Regelung des § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB II in der hier anzuwendenden Fassung vom 21. Dezember 2008 nicht angewandt, wonach abweichend von § 50 SGB X 56 vom Hundert der bei der Leistung nach § 19 Satz 1 und 3 sowie § 28 SGB II berücksichtigten Kosten für Unterkunft, mit Ausnahme der Kosten für Heizungs- und Warmwasserversorgung, nicht zu erstatten sind. Nach Satz 2 der Vorschrift gilt Satz 1 nicht in den Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X. Das ist hier der Fall gewesen. Der Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 2008 nahm die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum von August 2007 bis einschließlich März 2008 gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III und § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X zurück.

Der Erstattungsbescheid vom 9. Februar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2012 ist nicht deswegen rechtswidrig, weil er getrennt von der Rücknahmeentscheidung (Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 2008) erlassen worden sei. § 50 Abs. 3 Satz 2 SGB X bestimmt, das die Festsetzung, sofern die Leistung auf Grund eines Verwaltungsakts erbracht worden ist, mit der Aufhebung des Verwaltungsaktes verbunden werden soll. Eine gesetzliche Handlungspflicht folgt hieraus gerade nicht. Zutreffend verweist schon das Sozialgericht darauf, dass es sich bei der Norm um eine reine Ordnungsvorschrift handelt (vgl. Schütze, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl., zu § 50 Rn. 30).

Der Kläger ist durch das Schreiben vom 11. Januar und 13. Mai 2008 zugleich auch zur Erstattung angehört worden; § 24 SGB X.

Der Erstattungsanspruch ist nicht verjährt.

Nach § 50 Abs. 4 Satz 1 SGB X verjährt der Erstattungsanspruch in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt nach Absatz 3 der Vorschrift unanfechtbar geworden ist. Abs. 3 der Vorschrift regelt: Die zu erstattende Leistung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Die Festsetzung soll, sofern die Leistung auf Grund eines Verwaltungsakts erbracht worden ist, mit der Aufhebung des Verwaltungsaktes verbunden werden.

Die Erstattungsforderung ist durch Bescheid vom 9. Februar 2009 festgesetzt worden. Dieser Bescheid ist bis heute nicht unanfechtbar geworden aufgrund des vom Kläger erhobenen Widerspruchs bzw. der sich daran anschließenden Klage und Berufung. Sind Aufhebung und Rücknahme, wie hier, getrennt angeordnet worden, ist maßgeblich der Erstattungsbescheid. Auf die Entstehung des Erstattungsanspruchs kommt es nicht an. Der Wortlaut von § 50 Abs. 4 Satz 1 SGB X knüpft an die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes an. Da vor der Unanfechtbarkeit des Feststellungsbescheids keine Verjährungsfrist läuft (vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19. Januar 2005 – L 12 AL 21/04 – juris; Schütze, a.a.O., Rn. 31), kann der Kläger die Einrede der Verjährung nicht mit Erfolg gegen die geltend gemachte Erstattungsforderung erheben.

Der Erstattungsanspruch ist nicht verwirkt.

Das Rechtsinstitut der Verwirkung gilt auch im Sozialrecht; BSG, Urteil vom 29. Januar 1997 – 5 RJ 52/94 –, juris. Danach entfällt eine Leistungspflicht, wenn der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalles und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche die Verwirkung auslösenden Umstände liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BSG, a.a.O.).

Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall nicht vor. Bereits mit der Anhörung vom 11. Januar 2008 musste dem Kläger klar sein, dass er mit einer Erstattung zu rechnen habe, wenn Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu Unrecht bezogen worden sind. Von daher konnte sich schon mit der ersten Ermittlung im Anhörungsschreiben des Beklagten kein Vertrauen aufbauen, wenn ihm eine Aufhebung der Bewilligung widerfährt. Dies ist dann mit dem Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 2008 der Fall gewesen. Allein aufgrund der Rechtsgesuche des Klägers vom Widerspruch bis zur Nichtzulassungsbeschwerde beim BSG hätten für den Beklagten berechtigte Gründe vorliegen können, zunächst keinen Erstattungsbescheid zu erlassen. Es war bis zur Bestandskraft der Rücknahmeentscheidung des Beklagten nicht gewiss, dass überhaupt die Voraussetzungen für eine Erstattung vorliegen (s.o.). Wenn sich der Beklagte schon zum 9. Februar 2009 anders entschieden hat und den Erstattungsbescheid erlassen hat, kann der Kläger hieraus kein Vertrauen ableiten, der Beklagte werde die Erstattung nicht fordern. Der Beklagte hat sich geradezu klägerfreundlich verhalten, die Erstattungsforderung erst Anfang 2009 bekannt zu machen. Soweit der Kläger seinen Vortrag aus dem erstinstanzlichen Verfahren im Wesentlichen im Berufungsverfahren wiederholt, dass der Erlass des Widerspruchsbescheides erst am 12. Oktober 2012, über 3,5 Jahre nach dem Erlass des Erstattungsbescheides vom 9. Februar 2009 erfolgt sei, und er nicht mehr mit der Erstattungsforderung habe rechnen müssen, überzeugt dies den Senat ebenso nicht wie schon das Sozialgericht. Der Senat verweist daher auf die Ausführungen des Vorgerichts, weil er sie für zutreffend und überzeugend erachtet und verzichtet daher auf die Wiederholung dieser Erwägungen. Ergänzend ist hinzuzufügen, dass der Kläger aus dem Umstand, dass er eine – augenscheinlich nicht in seinem Interesse dienende – Untätigkeitsklage (§ 88 Abs. 2 SGG) nach Ablauf von drei Monaten nach Einlegung seines Widerspruchs gegen den Erstattungsbescheid vom 9. Februar 2009 erhoben hat, kein Vertrauenstatbestand ableiten kann, dass der Beklagte von der Erstattung absehen würde. Ferner ist darauf zu verweisen, dass Nichtstun, also Unterlassen, ein schutzwürdiges Vertrauen in Ausnahmefällen allenfalls dann begründen und zur Verwirkung des Rechts führen kann, wenn der Schuldner dieses als bewusst und planmäßig erachten darf (stRspr des BSG Urteil vom 21. April 2015 - B 1 KR 7/15 R - juris RdNr 19 mwN). Dafür gibt der vorliegende Sachverhalt jedoch keine Anhaltspunkte. Ein verspätetes Geltendmachen der Erstattungsforderung mit der Folge, dass die Rechtsanwendung nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheint, vermag der Senat ebenso wie schon das Sozialgericht bei dieser Sachlage nicht zu erkennen.

Der Kläger kann sich schließlich nicht mit Erfolg auf eine Entreicherung iSd § 818 Abs. 3 BGB berufen.

Gemäß § 818 Abs. 3 BGB ist die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Ersatz des Wertes (§ 818 Abs. 2 BGB) ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist. Der Begriff "Wegfall der Bereicherung" ist dabei nicht nach rechtlichen, sondern nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten durch einen saldenmäßigen Vergleich des Aktiv- und des Passivvermögens zu beurteilen (so schon RGZ 75, 361 (362); 141, 310 (311); BGH, Urteil vom 24. Juni 1963 - VII ZR 229/62 - (NJW 1963, 1870) jeweils m.w.N.).

Anders als § 49a Abs. 2 Satz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG), wonach für den Umfang der Erstattung die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung entsprechend gelten, sehen die §§ 45 ff. SGB X einen Bezug zu diesen Regeln des BGB nicht vor. Die hier streitige Erstattung überzahlter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II beruht weder unmittelbar noch in entsprechender Anwendung auf den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung, sondern wird als öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X geltend gemacht; vgl. Schütze a.a.O. zu Rn. 2. Für die Anwendung von § 818 Abs. 3 BGB ist deswegen kein Raum.

Aber selbst wenn dies in entsprechender Anwendung zuzulassen wäre, ergibt sich für den Kläger nichts anderes. Satz 2 der eingangs erwähnten Vorschrift ist in einer zugunsten des Anspruchsberechtigten von den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs abweichenden Weise geregelt. Danach kann der Herausgabepflichtige (Begünstigte) von seiner Leistungspflicht nur freikommen, wenn und soweit sich ergibt, dass er nicht mehr im Sinne des § 818 Abs. 3 BGB bereichert ist und auch die Umstände, die zur Aufhebung oder zur Unwirksamkeit des Verwaltungsaktes geführt haben, weder kannte noch infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (s. auch BT-Drs. 13/1534 S. 7). Das ist nicht der Fall. Die Rücknahme der Bewilligung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II folgte aus § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III und § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X, wie bereits ausgeführt worden ist.

Nach alledem bleibt die Berufung ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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