S 5 SO 66/15 ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Leipzig (FSS)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
5
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 5 SO 66/15 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.
Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die Begleitung durch einen Schulassistent im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.

Der 2007 geborene Antragsteller ist anerkannter Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 50. Sein Schwerbehindertenausweises mit den Merkzeichen "G" und "H" versehen. Der Antragsteller leidet unter einer komplexen Herz- und Gefäßfehlbildung, weshalb er mit einem Herzschrittmacher versorgt ist und medikamentös behandelt wird. Es erfolgen engmaschige kardiologische Kontrollen durch das Herzzentrum A ... Ausweislich des amtsärztlichen Gutachtens der Beklagten vom 06.11.2012 bedarf der Antragsteller erhöhter Beaufsichtigung und Außensteuerung, da er hohen Bewegungsdrang aufweise, seine Leistungsgrenze bei dem beschriebenen Krankheitsbild jedoch nur ungenügend wahrnehme. Nach dem Entwicklungsbericht der integrativen Kindertagesstätte "D" vom 03.03.2014 ist der Kläger in allen Bildungsbereichen altersgerecht entwickelt gewesen.

Am 20.03.2014 beantragte der Antragsteller, ihm Eingliederungshilfe zu gewähren in Form der Übernahme der Kosten einer Schulassistenz. Ausweislich des daraufhin erstellten Förderpädagogischen Gutachtens durch die A -Schule – Schule für Körperbehinderte der Stadt A ... – vom 20.06.2014 bereitet der Sportunterricht dem Antragsteller keine Probleme; ebenso wenig die Fein- und Grobmotorik sowie die Koordination. Bei freiem Spielen in den Pausen müsse er jedoch immer wieder dazu angehalten werden, sich etwas auszuruhen. Der Wortschatz des Antragstellers sei altersgerecht entwickelt, ebenso seine mathematischen Fähigkeiten. Er sei gut motivierbar, arbeite selbständig, verhalte sich situationsangemessen, wobei zeitweilig motorische Unruhe aufgefallen sei. Seine Beeinträchtigungen wirkten sich nicht nachteilig auf das Lern- und Arbeitsverhalten aus. Die chronische Erkrankung habe keinen negativen Einfluss auf seine soziale Integration, da der Antragsteller über ein gut entwickeltes Selbstwertgefühl verfüge und leicht soziale Kontakte knüpfe. Gleichwohl benötige er intensive Hilfe, um seinen Schulalltag bewältigen zu können, da er seine Erkrankung noch nicht genügend akzeptiere, um verantwortlich damit umzugehen. Infolge der Erkrankung komme es im Schulalltag immer wieder zu Situationen, in denen der Antragseller zur Ruhe und zu Pausen angehalten werden müsse, um sein Herz nicht zu stark zu belasten. Die Eltern des Antragstellers hätten zum Ausdruck gebracht, dass ihrer Ansicht nach ein Schulbegleiter unabdingbar sei, damit der Antragsteller kontinuierlich beobachtet werde, falls es zu Komplikationen komme. Denn der Ausfall des Herzschrittmachers habe lebensbedrohliche Konsequenzen. Nach Ansicht der Gutachter sei folgender Förderbedarf angezeigt:

- Sport nach jugendärztlicher Bescheinigung über die Teilnahme am Sportunterricht durch das Gesundheitsamt, - Notfallmanagement gewährleisten, - Herzschrittmacherpass am Schüler, - körperliche Gewalteinwirkung durch andere Schüler oder bei Aktivitäten vermeiden, - Exkursionen, Wandertage und Schulland-Aufenthalte der Belastbarkeit des Antragstellers anpassen, - Gewährung des Nachteilsausgleichs, z.B. durch Zeitzugaben wegen Unterbrechungen durch zusätzliche Ruhepausen, - 2. Schulbuchsatz bei Bedarf.

Zur Sicherung der Schulfähigkeit des Antragstellers und demzufolge seiner Teilhabe und Integration in die Klasse sei die Unterstützung eines Schulbegleiters für wenigstens 25 Unterrichtsstunden und in den Pausen unerlässlich. Eine zusätzliche Begleitperson mit Kenntnissen über die Grunderkrankung bei Exkursionen, Wandertagen und Schullandaufenthalten sowie im Sport- und Schwimmunterricht sowie in den Pausen sei ebenfalls erforderlich. In 2 bis 3 Jahren sei der Antragsteller dazu in der Lage, verantwortlicher mit seiner chronischen Erkrankung umzugehen und seine Belastbarkeit besser einzuschätzen.

Ausweislich des Befundberichts von Dr. D ... vom Herzzentrum A ... vom 02.07.2014 sei dem Antragsteller trotz seiner chronischen Erkrankung ein "normales" Kinderleben möglich. Im Notfall sei, wie bei jedem anderen Kind, das plötzlich umfalle oder bewusstlos bleibe, nach dem Notarzt zu rufen und mit Reanimationsmaßnahmen zu beginnen. Im Vergleich zu anderen Kindern sei der Antragsteller schlechter belastbar, dies solle jedoch nicht bedeuten, dass er am Schulsport nicht teilnehmen dürfe. In der Regel sei eine Teil-Sportbefreiung ohne Benotung sinnvoll. Der Antragsteller könne somit am Sportunterricht teilnehmen, solange es ihm Spaß bereite.

Die L ...schule, die der Antragsteller derzeit besucht, äußerte sich am 11.07.2014 dahin, dass die Integration des Antragstellers zwingend vom Einsatz eines Schulbegleiters abhängig sei. Ferner wünschte sie sich eine Einführung in das Krankheitsbild durch einen Kardiologen. Wanderungen, Exkursionen und Aufenthalte im Schullandheim könnten nur bei Teilnahme der Eltern erfolgen. Auch im Schulhort müsse der Antragsteller ständig beobachtet werden.

Die Antragsgegnerin bewilligte dem Antragsteller daraufhin mit Bescheid vom 30.07.2014 Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten der heilpädagogischen Förderung in der Einrichtung der Stadt A ... "L ...schule – Hort" für die Zeit vom 01.09.2014 bis 17.10.2014. Während dieser Zeit sollte der Bedarf für Schulassistenzleistungen geprüft werden. Nach dem Protokoll der Helferkonferenz vom 26.08.2014 bestand bei den Teilnehmern die Angst, dass beim Antragsteller ein Notfall eintrete. Schließlich beauftragte die Antragsgegnerin das V Institut für Gesundheit und Prävention mit der Ermittlung des Bedarfs an Schulassistenz-Leistungen (Bescheid vom 08.09.2014). In dem Bericht des genannten Instituts vom 18.09.2014 heißt es, dass ein Inklusionshelfer gerade in den Pausen begleitend und aufmerksam beobachten und im Akutfall schnell reagieren müsse. Den Schulalltag verfolge der Antragsteller selbstständig und seinem Alter entsprechend. Er benötige keine Hilfe bei der Orientierung, körperlichen Hygiene und dem Bewältigen des Schulalltags. Die Hilfe sei im möglichen Notfall zu sehen.

Die Beigeladene zu 2. erließ daraufhin den Bescheid vom 01.10.2014. Sie stellte fest, dass bei dem Antragsteller ein sonderpädagogischer Förderbedarf im Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung bestünde. Er werde ab dem Schuljahr 20l4/2015 integrativ an der L schule – Grundschule A ... beschult. Der Antragsteller nehme vollen Umfangs am Unterricht der Grundschule teil und gehöre auch dieser Schule an, wobei er in allen Fächern nach dem Lehrplan unterrichtet werde. Der Bescheid erging mit der Nebenbestimmung, dass die integrative Unterrichtung unter dem Vorbehalt des Widerrufs für den Fall stünde, dass die Voraussetzungen einer integrativen Unterrichtung, insbesondere die personellen, räumlichen und sachlichen Voraussetzungen, nicht mehr gegeben seien.

Der Antragsteller beantragte sodann bei der Antragsgegnerin die weitere Gewährung von Eingliederungshilfe am 08.10.2014. Die Lessingschule empfahl in ihrem Bericht vom 09.10.2014, dass die 1:1 Betreuung unbedingt aufrechtzuerhalten sei. Dieser Stellungnahme schloss sich der Schulhort am 10.10.2014 an. Am 09.10.2014 verordnete der Kinderarzt Dr. S dem Antragsteller häusliche Krankenpflege in Form der Betreuung während der Schulzeit bis zum 31.12.2014. Die Beigeladene zu 1. leitete diese Verordnung weiter an die Antragsgegnerin mit dem Bemerken, dass es sich dabei um einen Antrag auf Leistungen der Rehabilitation handele, für den die Beigeladene zu 1. nicht zuständig sei (Bezug auf § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB IX]. Die Antragsgegnerin gewährte dem Antragsteller sodann Leistungen der häuslichen Krankenpflege in Form der Sicherungspflege nach § 37 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) für die Zeit vom 03.11.2014 bis 21.08.2015. Die Betreuung sollte durch den Mobilen Behindertendienst A ... e.V. erfolgen zum Stundensatz von 19,83 EUR. Leistungen der Eingliederungshilfe seien hingegen nicht notwendig, da der Antragsteller den Schulalltag ohne Hilfe Dritter bewältige (Bescheid vom 24.10.2014).

Nach dem Bericht der Antragsgegnerin über die Hospitation vom 18.12.2014 sei schulisch im Falle des Antragstellers alles in Ordnung. Er müsse im Sportunterricht mitunter "gebremst" werden. Ein Schulbegleiter sei deshalb unabdingbar. Dr. D ... (Herzzentrum A ...) erläuterte in seinem Befundbericht vom 04.02.2015, dass der Antragsteller im Alltag normal belastbar sei bei unbeeinträchtigtem Allgemeinzustand. Dieser beantragte sodann die Weitergewährung der Sozialhilfe am 19.05.2015. Die Antragsgegnerin zog daraufhin den Befundbericht von Dr. D ... (Herzzentrum A ...) vom 04.06.2015 bei. Er wies darauf hin, dass es sehr selten zu einer Störung der auf das Herz angenähten Kammersonde kommen könnte. In einem solchen Fall sei die Bewusstlosigkeit des Antragstellers zu erwarten, weshalb ein Notarzt konsultiert werden müsste. Derartige Vorfälle ereigneten sich sehr selten. Inwieweit eine zusätzliche Aufsicht hilfreich sei, bleibe seiner Ansicht nach offen. Durch eine Aufsicht wäre aber seiner Meinung nach im Notfall schneller Hilfe herbeizuholen. Darüber hinaus sei es dieser Aufsicht möglich, die Schulsachen des Antragstellers zu tragen. Der Leistungserbringer, der Mobile Behindertendienst A ... e.V., äußerte sich in seinem Bericht vom 17.06.2015 dahin, dass die Fortführung der Maßnahme notwendig sei. Die von der Antragsgegnerin befragte Schule erläuterte am 05.06.2015, dass die Fortsetzung der Schulbegleitung unbedingt erforderlich sei. Die Schule sei nicht dazu imstande, den Antragsteller zu beaufsichtigen. Die von der Antragsgegnerin befragte Sozialarbeiterin im Bereich Eingliederungshilfe schloss sich dieser Auffassung an (Stellungnahme vom 21.05.2015).

Die Antragsgegnerin hat den Antrag abgelehnt (Bescheid vom 28.07.2015). Der Antragsteller bedürfe keiner Leistung in der Eingliederungshilfe, da er den Schultag selbst bewältige. Die Aufsichtspflicht hätten die Eltern des Antragstellers sowie die Beigeladene zu 2. zu übernehmen.

Dagegen hat der Antragsteller am 19.08.2015 Widerspruch eingelegt. Nach dem förderpädagogischen Gutachten sei eine Schulbegleitung erforderlich. Am 21.08.2015 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Leipzig den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Ohne Schulbegleiter sei es dem Antragsteller nicht mehr möglich, die Lessingschule zu besuchen. Auch ein Hortplatz könne ihm dann nicht mehr angeboten werden, da die Erzieher die erforderliche Betreuung dort nicht gewährleisten könnten. Die Sache sei auch eilbedürftig, da der Antragsteller dringend auf die genannten Sozialleistungen angewiesen sei. Ohne Schulbegleiter müsse er die L schule verlassen und auf eine Schule für behinderte Kinder und Jugendliche wechseln. Dies sei mit dem Gedanken der Inklusion nicht zu vereinbaren. Dasselbe gelte für die Situation im Schulhort.

Der Antragsteller beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten eines Schulbegleiters im Umfang von mindestens 25 Stunden wöchentlich zu gewähren. Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie hält ihren Ablehnungsbescheid für zutreffend.

Die Beigeladene zu 1. stellt keinen Antrag. Sie geht allerdings davon aus, dass der Antragsteller keinen Anspruch auf Leistungen der häuslichen Krankenpflege hat. Denn nach dem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 13.10.2014 funktioniere der Herzschrittmacher des Antragstellers gut. Dieser stelle sich vierteljährlich im Herzzentrum A ... vor. Eine tägliche vitale Bedrohung bestehe nicht. Somit sei keine medizinische Indikation für eine Betreuung des Antragstellers während der Schulzeit zu erkennen.

Auch die Beigeladene zu 2. stellt keinen Antrag. Sie habe die integrative Beschulung des Antragstellers verfügt, nachdem die Antragsgegnerin sich dazu bereiterklärt habe, die Kosten eines Schulbegleiters zu übernehmen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, welches Dr. D ... am 26.10.2015 erstellt hat. Wegen des Inhalts dieses Gutachtens wird auf die Gerichtsakte, im Übrigen auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Antragsgegnerin sowie der Beigeladenen zu 1. verwiesen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung war abzulehnen. Dem Antragsteller steht weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund zu. Zu Recht geht die Beigeladene zu 1. davon aus, dass der Antragsteller keinen Anspruch auf Leistungen der häuslichen Krankenpflege hat, da die kontinuierliche Beobachtung und Intervention mit medizinisch-pflegerischen Maßnahmen sowie die Dokumentation der Vitalfunktionen nicht erforderlich erscheint. Darüber hinaus hat der Antragsteller auch keinen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe gegen die Antragsgegnerin, denn ihm ist der Besuch der Lessingschule auch ohne Unterstützung eines Schulbegleiters möglich. Schließlich ist die Sache auch nicht eilbedürftig.

Gem. § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sogenannte Sicherungsanordnung). Eine solche Anordnung soll der Veränderung eines bestehenden Zustandes vorbeugen. Sie dient einer Bewahrung des Status quo mit einem Unterlassungsgebot an den zu Verpflichtenden. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner verpflichtet werden soll sowie einen Anordnungsgrund, nämlich die Dringlichkeit des Rechtsschutzes. Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (so genannte Sicherungsanordnung). Eine solche Anordnung soll der Veränderung eines bestehenden Zustands vorbeugen. Sie dient der Bewahrung des Status quo mit einem Unterlassungsgebot an den zu Verpflichtenden. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG; so genannte Regelungsanordnung).

Das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und das Vorliegen eines Anordnungsgrundes sind erforderlich. Der Anordnungsanspruch bezieht sich auf den geltend gemachten materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird. Die erforderliche Dringlichkeit betrifft den Anordnungsgrund. Die Tatsachen, die den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch begründen sollen, sind darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Diese allgemeinen Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (Bundesverfassungsgericht [BVerfG]), Beschluss vom 25.10.1999 – 2 BvR 745/88BVerfGE 79, 69).

Sinn und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzes liegen in der Sicherung der Entscheidungsfähigkeit und der prozessualen Lage, um eine endgültige Rechtsverwirklichung im Hauptsacheprozess zu ermöglichen. Es will nichts anderes als allein wegen der Zeitdimension der Rechtserkenntnis und der Rechtsdurchsetzung im Hauptsacheverfahren eine zukünftige oder gegenwärtige prozessuale Rechtsstellung vor zeitüberholenden Entwicklungen sichern und irreparable Folgen ausschließen und der Schaffung vollendeter Tatsachen vorbeugen, die auch dann nicht mehr rückgängig gemacht werden können, wenn sich die angefochtene Verwaltungsentscheidung im Nachhinein als rechtswidrig erweist. Hingegen dient das vorläufige Rechtsschutzverfahren nicht dazu, gleichsam unter Umgehung des für die Hauptsache zuständigen Gerichts und unter Abkürzung dieses Verfahrens, geltend gemachte materielle Rechtspositionen vorab zu realisieren.

Bei der Auslegung und Anwendung der Regelungen des vorläufigen Rechtsschutzes sind die Gerichte gehalten, der besonderen Bedeutung der jeweils betroffenen Grundrechte und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) verlangt grundsätzlich die Möglichkeit eines Eilverfahrens, wenn ohne sie dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. BVerfG Beschluss vom 25.10.1999 – 2 BvR 745/88BVerfGE 79, 69, 74; Beschluss vom 16.05.1995 – 1 BvR 1087/91BVerfGE 93, 1, 14). Dies gilt sowohl für die Anfechtungs- als auch für Vornahmesachen. Hierbei dürfen die Entscheidungen der Gerichte grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden.

Jedoch stellt Art. 19 Abs. 4 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilver-fahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbunden sind, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden. Art. 19 Abs. 4 GG verlangt auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht anwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG, Beschluss vom 25.10.1999 – 2 BvR 745/88BVerfGE 79, 69, 74; Urteil vom 14.05.1996 – 2 BvR 1516/93 – 94, 166, 216). Die Gerichte, wenn sie ihre Entscheidung nicht an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen, sondern an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientieren, in solchen Fällen gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gehalten, die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes auf eine eingehenden Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen. Dies bedeutet auch, dass die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen muss, wenn dazu Anlass besteht (BVerfG, Kammerbeschluss vom 25.07.1996 – 1 BvR 638/96NVwZ 1997, 479). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundrechtlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (BVerfG, Beschluss vom 25.02.2009 – 1 BvR 120/09NZS 2009, 674, 675 Rdnr. 11).

Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Durch körperliche Gebrechen wesentlich in ihrer Teilhabefähigkeit eingeschränkt im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sind Personen, deren körperliches Leistungsvermögen infolge Erkrankung, Schädigung oder Fehlfunktion eines inneren Organs oder der Haut in erheblichem Umfange eingeschränkt ist (§ 1 Nr. 3 der auf Grund des § 60 SGB XII ergangenen Eingliederungshilfeverordnung). Diese Voraussetzungen liegen beim Antragsteller vor.

Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe zählen neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 SGB IX insbesondere Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt (§ 55 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII). Dabei umfasst die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII auch heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern (§ 12 Nr. 1 Eingliederungshilfeverordnung).

Die Antragsgegnerin ist demgemäß nicht dazu verpflichtet, dem Antragsteller Eingliederungshilfe zu gewähren. Denn anders als der Antragsteller, aber auch offenbar die Beigeladenen meinen, zielt der tatsächliche Bedarf des Antragstellers nicht auf eine Schulbegleitung in diesem Sinne ab.

Nach § 9 Abs. 1 SGB XII richten sich die Leistungen nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Bedarfs, den örtlichen Verhältnissen, den eigenen Kräften und Mitteln der Person oder des Haushalts bei der Hilfe zum Lebensunterhalt. Wünschen der Leistungsberechtigten, die sich auf die Gestaltung der Leistung richten, soll entsprochen werden, soweit sie angemessen sind. Wünschen der Leistungsberechtigten, den Bedarf stationär oder teilstationär zu decken, soll nur entsprochen werden, wenn dies nach der Besonderheit des Einzelfalls erforderlich ist, weil anders der Bedarf nicht oder nicht ausreichend gedeckt werden kann und wenn mit der Einrichtung Vereinbarungen nach den Vorschriften des Zehnten Kapitels des SGB XII bestehen. Der Träger der Sozialhilfe soll in der Regel Wünschen nicht entsprechen, deren Erfüllung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden wäre (§ 9 Abs. 2 SGB XII).

Dabei berührt der Streit der Beteiligten die Fragen, über welche fachliche Qualifikation ein Schulbegleiter verfügen sollte und welche Aufgaben er – auch im Verhältnis zur Schulverwaltung – vernünftigerweise wahrnehmen kann. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22.03.2012 (Az.: B 8 SO 30/10 R) sind Maßnahmen ausgeschlossen, die den Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule betreffen (vgl. dazu auch Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 15.04.2014 – L 9 SO 36/14 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.08.2013 – L 9 SO 211/13 B ER; Sächsisches LSG, Beschluss vom 03.06.2010 – L 7 SO 19/09 B ER und LSG Thüringen, Beschluss vom 30.09.2008 – L 8 SO 801/08 ER). Dabei können von der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers auch Maßnahmen umfasst werden, die zum Aufgabenbereich der Schulverwaltung gehören. Ausgeschlossen sind allerdings Maßnahmen, die den Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule zuzuordnen sind. Dies folgt daraus, dass § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII ausdrücklich anordnet, die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht sollten unberührt bleiben. Die schulrechtlichen Verpflichtungen stehen demnach grundsätzlich neben den sozialhilferechtlichen, ohne dass sie sich gegenseitig inhaltlich beeinflussen. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII normiert lediglich Hilfen, mithin unterstützende Leistungen, überlässt die Schulbildung selbst aber den Schulträgern. Der Kernbereich der schulischen Arbeit liegt damit nach Sinn und Zweck der §§ 53, 54 SGB XII gänzlich außerhalb der Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers (BSG, Urteil vom 22.03.2012 – B 8 SO 30/10 R).

Der auf diese Weise definierte Kernbereich der schulischen Arbeit ist demgemäß dem Schulgesetz für den Freistaat Sachsen (SchulG) zu entnehmen. Dieses sieht in seinem § 1 Abs. 1 vor, dass sich der Erziehungs- und Bildungsauftrag bestimmt durch das Recht eines jeden jungen Menschen auf eine seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechende Erziehung und Bildung ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage. Die schulische Bildung soll zur Entfaltung der Persönlichkeit der Schüler in der Gemeinschaft beitragen. Diesen Auftrag erfüllt die Schule, indem sie den Schülern insbesondere anknüpfend an die christliche Tradition im europäischen Kulturkreis Werte wie Ehrfurcht vor allem Lebendigen, Nächstenliebe, Frieden und Erhaltung der Umwelt, Heimatliebe, sittliches und politisches Verantwortungsbewusstsein, Gerechtigkeit und Achtung vor der Überzeugung des Anderen, berufliches Können, soziales Handeln und freiheitlich demokratische Haltung vermittelt, die zur Lebensorientierung und Persönlichkeitsentwicklung sinnstiftend beitragen und sie zur selbstbestimmten und verantwortungsbewussten Anwendung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten führt und die Freude an einem lebenslangen Lernen weckt. Bei der Gestaltung der Lernprozesse werden die unterschiedliche Lern- und Leistungsfähigkeit der Schüler inhaltlich und didaktisch-methodisch berücksichtigt sowie geschlechterspezifische Unterschiede beachtet, wobei das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und die Verfassung des Freistaates Sachsen dafür die Grundlage bilden (§ 1 Abs. 2 Schulgesetz). In Verwirklichung ihres Erziehungs- und Bildungsauftrages entwickelt die Schule ihr eigenes pädagogisches Konzept und plant und gestaltet den Unterricht und seine Organisation auf der Grundlage der Lehrpläne in eigener Verantwortung. Die pädagogischen, didaktischen und schulorganisatorischen Grundsätze zur Erfüllung des Bildungsauftrages im Rahmen der zur Verfügung stehenden Ressourcen legt die Schule in einem Schulprogramm fest. Auf der Grundlage des Schulprogramms bewerten die Schule und die Schulaufsichtsbehörde in regelmäßigen Abständen das Ergebnis der pädagogischen Arbeit. Die Bewertung ist Bestandteil des Schulportraits (§ 1 Abs. 3 Schulgesetz). Vor diesem Hintergrund hat die Schulbegleitung in allen Bereichen, in denen der betreffende Schüler entsprechenden Hilfebedarf aufweist, zu unterstützen, und zwar als Assistenz im besten Sinne. Es muss darum gehen, Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, den erfolgreichen Schulbesuch zu ermöglichen. Entscheidend dabei ist, ob die Vorgabe der Lerninhalte in der Hand des Lehrers bleibt und sich die Betreuungsleistungen des Integrationshelfers im Unterricht auf unterstützende Tätigkeiten bei der Umsetzung der Arbeitsaufträge des Lehrers beschränken (vgl. dazu LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.04.2014 – L 12 SO 82/14 B).

Dazu kann nach der genannten Entscheidung auch die Anleitung und Aufarbeitung der von dem Lehrer vorgegebenen Lerninhalte zählen. Nicht zulässig ist demgemäß, dass eine ausgebildete pädagogische Fachkraft in der Unterrichtssituation die Wissensvermittlung und deren Einübung sogar selbst – ggf. im gemeinschaftlichen Zusammenwirken mit den pädagogisch besonders geschulten Lehrkräften – vornimmt (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.04.2014 – L 12 SO 82/14 B).

Vor diesem Hintergrund geht die Antragsgegnerin zutreffend davon aus, dass Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten einer Schulbegleitung den Bedarf des Antragstellers nicht zu decken vermögen. Wie dargestellt, soll der Schulbegleiter dem betroffenen behinderten Kind oder Jugendlichen den Schulbesuch durch Assistenzleistungen ermöglichen. Eine solche Unterstützung benötigt der Antragsteller jedoch nicht. Bereits im Entwicklungsbericht der integrativen Kindertagesstätte "D" vom 03.03.2014 heißt es, dass der Antragsteller in allen Bildungsbereichen altersgerecht entwickelt sei. Auch dem förderpädagogischen Gutachten der A -Schule vom 20.06.2014 ist unmissverständlich zu entnehmen, dass der Antragsteller über einen altersgerecht entwickelten Wortschatz sowie über dementsprechende mathematische Fähigkeiten verfüge. Er sei gut motivierbar, arbeite selbständig, verhalte sich situationsangemessen, wobei zeitweilig motorische Unruhe aufgefallen sei. Seine Beeinträchtigungen wirkten sich nicht nachteilig auf das Lern- und Arbeitsverhalten des Antragstellers aus. Auch seine soziale Integration sei trotz der Erkrankung ungefährdet, da der Antragsteller über ein gut entwickeltes Selbstwertgefühl verfüge und leicht soziale Kontakte knüpfe. Der Bericht des V Instituts für Gesundheit und Prävention bestätigt auch die Bewertungen und Eindrücke der genannten Institutionen. Demnach verfolgt der Antragsteller selbstständig und seinem Alter entsprechend den Schulalltag. Er benötige keine Hilfe bei der Orientierung, körperlichen Hygiene und dem Bewältigen des Schulalltags.

Begründet wird die – angenommene – Notwendigkeit der kontinuierlichen Beobachtung und Begleitung des Antragstellers ausschließlich damit, dass ein Notfall eintreten könne. Diese Befürchtung rechtfertigt jedoch nicht die 1:1 Betreuung des Antragstellers. Dr. D ... hat bereits in seinen zitierten Befundberichten aufgezeigt, was im Notfall zu tun ist: Es ist der Notarzt zu verständigen. Ferner sind Maßnahmen der "Ersten Hilfe" zu leisten. Dazu sollte eigentlich jede erwachsene Person imstande sein, zumal sie dazu rechtlich verpflichtet ist. Für Lehrer dürfte dies in besonderen Maße gelten, da sie täglich mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Es mutet durchaus seltsam an, dass die Beigeladene zu 2. und ihr folgend die Leitung der L schule die Pflicht zur Beaufsichtigung des Antragstellers recht drastisch von sich weisen. Es ist nicht nachzuvollziehen, weshalb angesichts dieser Befundlage davon ausgegangen wird, dass die Beaufsichtigung des Antragstellers "unmöglich" sei. Schließlich ist es nicht ungewöhnlich, dass Kinder im Alter des Antragstellers herumlaufen und sich in den Pausen austoben. Dr. D ... hat sich dazu mehrfach geäußert – demnach kann der Antragsteller ein "normales" Kinderleben führen. Dies dürfte eher dadurch gefährdet werden, dass der Antragsteller von einem "Expertenteam" Erwachsener ständig begleitet und beobachtet und gegebenenfalls auch in seinem Spiel unterbrochen wird, weil die erwachsene Begleitperson ihm unaufhörlich die Angst vermittelt, dass infolge seiner Erkrankung ein Notfall eintreten könnte. Zugleich soll der Antragsteller mit dem Gefühl des "Andersseins" umzugehen lernen, das ihm aber durch die Präsenz ständiger Schulbegleitung unaufhörlich vor Augen geführt wird. Auch wenn diese Annahmen im Rahmen des Eilverfahrens nicht mit einem wissenschaftlich fundierten Sachverständigengutachten überprüft werden können, ist zu befürchten, dass der Antragsteller angesichts dieser Situation bewusst mit Verhaltensauffälligkeiten zu provozieren beginnt (dazu könnte sein Wunsch zählen, sich von Mitschülern in Brust- und Bauchbereich boxen zu lassen oder sich bäuchlings auf Turnmatten zu werfen, um das Aufsichtspersonal seinerseits zu verängstigen). Dies kann gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren weiter aufgeklärt werden.

Das von der Beigeladenen zu 2. in Bezug genommene Urteil des BSG vom 22.03.2012 (Az.: B 8 SO 30/10 R) ist bereits deshalb nicht einschlägig, weil es im Falle des Antragstellers letztlich um keine Leistung der Eingliederungshilfe geht, sondern um das von der Schulverwaltung für notwendig erachtete Maß der Beaufsichtigung des Antragstellers. Der Entscheidung des BSG lag hingegen die Frage zugrunde, ob die Kosten einer "Montessori-Therapie", die einem 8jährigen Schüler außerhalb des Schulbetriebes zuteil geworden war, vom Sozialhilfeträger zu erstatten gewesen sind.

Inklusion ist jedenfalls nicht nur Aufgabe von Sozialhilfeträgern und Krankenkassen. Hier sind alle Bereiche öffentlicher Verwaltung gefordert, darunter sicher auch die Beigeladene zu 2. Sie hat die Lehrer dazu anzuhalten, ihrer Aufsichtspflicht nachzukommen. Diese umfasst auch, temperamentvollere Schüler gelegentlich in ihrem Bewegungsdrang zu bremsen und in Notfällen "Erste Hilfe" zu leisten. In Verbindung mit der von Dr. D ... empfohlenen Teil-Sportbefreiung dürfte ein im Vergleich zu den Altersgenossen des Antragstellers hinausgehender Aufsichtsbedarf nicht zu verzeichnen sein. Dr. D ... hat in seinem Gutachten demgemäß ausgeführt, dass es aus seiner Sicht nicht problematisch sei, dass der Antragsteller (wie die meisten Kinder) keine vollständige Einsicht in seine Krankheit habe. Auch er sieht medizinisch keine Indikation dafür, dass der Antragsteller von einer Begleitperson 1:1 betreut wird. Dies erscheint dem Gericht auch deshalb so überzeugend, weil er abschließend davon ausgeht, dass auch eine solche Begleitperson nicht mehr tun könnte, als "Erste Hilfe" zu leisten.

Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf Leistungen der häuslichen Krankenpflege gegen die Beigeladene zu 1. Nach summarischer Prüfung liegen die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs gem. § 37 Abs. 1 SGB V nicht vor. Danach erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstäten für behinderte Menschen neben der ärztliche Behandlung häusliche Krankenpflege durch geeignete Pflegekräfte, wenn Krankenhausbehandlung geboten, aber nicht ausführbar ist oder wenn sie durch die häusliche Krankenpflege vermieden oder verkürzt wird.

Im Falle des Antragstellers käme nur die häusliche Krankenpflege in Betracht, die der Vermeidung oder Verkürzung von Krankenhausbehandlung diente. Diese soll dem Versicherten ermöglichen, im häuslichen Bereich zu verbleiben bzw. frühzeitig dorthin zurückzukehren (vgl. Flint in: Hauck/Noffz, SGB V, § 37 Rdnr. 68). Die häusliche Krankenpflege umfasst u.a. die Behandlungspflege (§ 37 Abs. 1 Satz 3 SGB V). Derartige Leistungen sind im Falle des Antragstellers nicht geboten. Er hat auch offensichtlich keinen Anspruch auf eine spezielle Krankenbeobachtung.

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V stellen die Krankenkassen den Versicherten die im 3. Kapitel des SGB V genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, dass die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden (§ 2 Abs. 4 SGB V). Dabei ist den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen Rechnung zu tragen (§ 2 a SGB V). Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 2 SGB V:

1. ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung, 2. zahnärztliche Behandlung, 2a. Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen, 3. Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln, 4. häusliche Krankenpflege und Haushaltshilfe, 5. Krankenhausbehandlung, 6. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende Leistungen.

Bereits vor diesem Hintergrund war eine Weiterleitung der ärztlichen Verordnungen für häusliche Krankenpflege an die Antragsgegnerin nicht veranlasst. Denn bei der häuslichen Krankenpflege handelt es sich nicht um Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, wie es sich bereits auf Grund der gesonderten Aufzählung in § 27 Abs. 1 Satz 2 SGB V ergibt. § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bezieht sich jedoch auf Leistungen zur Teilhabe, zu denen – wie erwähnt – Leistungen der häuslichen Krankenpflege nicht zählen. Die Beigeladene zu 1. ist jedoch Rehabilitationsträger nur für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie für unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX, § 5 Nr. 1 und 3 SGB IX). Die Möglichkeit zur Weiterleitung innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags bestand also für die Beigeladene zu 1. nicht (vgl. dazu SächsLSG, Beschluss vom 13.07.2015 – L 8 SO 78/15 B ER). Deshalb ist die Antragsgegnerin an sich auch nicht dazu verpflichtet gewesen, über die Voraussetzungen des erhobenen Anspruchs auf häusliche Krankenpflege zu entscheiden (vgl. § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 24.10.2014 erweist sich daher als rechtswidrig begünstigend.

In der Sache ermächtigt § 37 Abs. 6 SGB V den Gemeinsamen Bundesausschuss, in Richtlinien nach § 92 SGB V festzulegen, an welchen Orten und in welchen Fällen Leistungen nach § 37 Abs. 1, 2 SGB V auch außerhalb des Haushalts und der Familie des Versicherten erbracht werden können. Der Gemeinsame Bundesausschuss beschließt nach § 92 Abs. 1 SGB V die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewährung für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten; dabei ist den besonderen Erfordernissen der Versorgung behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen und psychisch Kranker Rechnung zu tragen, vor allem bei den Leistungen zur Belastungserprobung und Arbeitstherapie; er kann dabei die Erbringung und Verordnung von Leistungen oder Maßnahmen einschränken oder ausschließen, wenn nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind; er kann die Verordnung von Arzneimitteln einschränken oder ausschließen, wenn die Unzweckmäßigkeit erwiesen oder eine andere, wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeit mit vergleichbarem diagnostischen oder therapeutischen Nutzen verfügbar ist.

Gem. § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V kann der Gemeinsame Bundesausschuss Richtlinien beschließen u.a. über die häusliche Krankenpflege. Diese Möglichkeit hat der Gemeinsame Bundesausschuss genutzt und die sogenannte "Häusliche Krankenpflege-Richtlinie" erlassen mit dem Stand der Neufassung vom 17.09.2009, zuletzt geändert am 17.07.2014. Nach dem Verzeichnis verordnungsfähiger Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege, der Anlage zur HKP-Richtlinie, findet sich unter Ziff. 24 die spezielle Krankenbeobachtung. Diese erfordert nach der Leistungsbeschreibung die kontinuierliche Beobachtung und Intervention mit den notwendigen medizinisch-pflegerischen Maßnahmen sowie die Dokumentation der Vitalfunktionen wie Puls, Blutdruck, Temperatur, Haut und Schleimhaut einschließlich aller in diesem Zeitraum anfallenden pflegerischen Maßnahmen. Die Leistung ist verordnungsfähig, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit sofortige pflegerische/ärztliche Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen täglich erforderlich ist und nur die genauen Zeitpunkte und das genaue Ausmaß nicht im Voraus bestimmt werden können.

Diese Voraussetzungen liegen im Falle des Antragstellers nicht vor. Ausweislich des erwähnten Gutachtens von Dr. D ... ist es nicht erforderlich, den Antragsteller ununterbrochen zu beobachten. Eine lebensbedrohliche Situation besteht trotz seiner Versorgung mit einem Herzschrittmacher nicht. Davon geht auch Dipl.-Med. R im erwähnten MDK-Gutachten aus. Dieser Sichtweise entspricht die Verordnung des Kinderarztes Dr. S vom 09.10.2014, wenn er meint, dass die häusliche Krankenpflege in Form der "Betreuung" des Antragstellers während der Schulzeit zu leisten sei. Diese Verordnung erscheint zunächst unspezifisch. Zudem ist ihr auch nicht zu entnehmen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit sofortige pflegerische/ärztliche Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen täglich erforderlich sein könnten. Gegen diese Annahme würde – wie erwähnt – das Gutachten von Dr. D ... sprechen, wobei dieses die Wertungen der Befundberichte dieses Arztes bestätigt.

Aus den genannten Erwägungen besteht kein Anordnungsgrund. Die Sache erscheint nicht eilbedürftig, da das Leben des Antragstellers ohne Schulassistenten und ohne besondere Krankenbeobachtung ungefährdet erscheint.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG. Die Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, da sie keinen Antrag gestellt habe und demgemäß keinem Prozessrisiko ausgesetzt sind.
Rechtskraft
Aus
Saved