S 5 P 39/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 5 P 39/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die am 00.00.1960 geborene Klägerin Anspruch auf Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung Sozialgesetzbuch (SGB) – Elftes Buch (XI.) – hat.

Die Klägerin beantragte am 24.06.2014 Leistungen nach dem SGB XI. Hierzu verwies sie unter anderem darauf, an einer schweren Rhizarthrose zu leiden. Davon seien beide Hände betroffen. Auch leide sie unter anderem an einem Lendenwirbelsäulensyndrom, Osteochondrose der Lendenwirbelsäule und sie habe ständig starke Schmerzen und Bewegungseinschränkungen. Sie sei als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung von 60 anerkannt. Eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Nordrhein (MDK) lehnte die Klägerin zunächst ab. Sie führte weiter aus, hinsichtlich der Rhizarthrose bestünde eine dringende Operationsindikation. Sie habe niemanden, der ihr behilflich sein könne und sei daher dringend auf Leistungen der Pflegekasse angewiesen. Die rechte Hand sei durch die Überbelastung inzwischen steif und geschwollen. Ferner habe sie einen Bandscheibenvorfall und eine venöse Insuffizienz.

Am 25.11.2014 begutachtete der MDK die Klägerin in häuslicher Umgebung. Als pflegebegründende Diagnosen werden genannt: Rhizarthrose, Spondylose und als weitere Diagnose: Varikosis im Bereich der Unterschenkel.

Der Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege wurde auf 0 Minuten pro Tag eingeschätzt. Der Zeitaufwand für die hauswirtschaftliche Versorgung auf 26 Minuten täglich.

Mit Bescheid vom 28.11.2014 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag ab. Der zeitliche Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 46 Minuten für Pflegestufe I würde nicht erreicht.

Am 09.12.2014 legte die Klägerin gegen den Bescheid Widerspruch ein. Sie bemängelte, dass die behandelnde Ärztin für die Beurteilung nicht kontaktiert worden sei. Ferner sei die Klägerin wie ihre Ärztin der Auffassung, dass eine Einschränkung der Alltagskompetenz zu bejahen sei. Die zeitliche Unterstützung im Bereich der Hauswirtschaft sei höher als im Gutachten angenommen. Ferner hätte die Beklagte die sogenannte Pflegestufe 0 nicht in Betracht gezogen. Aufgrund der fortgeschrittenen Rhizarthrose sei nur noch eine Operation hilfreich. Für die Zeit der Rekonvaleszenz nach der Handoperation würde eine Haushaltshilfe benötigt. Hierzu überreicht die Klägerin verschiedene medizinische Unterlagen, unter anderem einen Arztbrief vom 25.06.2014 und vom 07.11.2014 der K Unter dem 26.01.2015 teilte die Klägerin unter anderem mit, die Handoperation hätte nicht den erhofften Erfolg gebracht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.03.2015 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach der Beurteilung des MDK sei im grundpflegerischen Bereich kein Hilfebedarf gegeben. Der zeitliche Bedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung liege bei 26 Minuten. Damit kämen Leistungen wegen erheblicher Pflegebedürftigkeit nicht in Betracht.

Am 26.03.2015 hat die Klägerin Klage erhoben.

Sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen aus dem Vorverfahren. Insbesondere verweist sie wieder auf eine schwere Rhizarthrose beider Hände und trägt vor, eine rechts durchgeführte Operation habe keine wesentliche Besserung gebracht. In Bezug auf hauswirtschaftliche Tätigkeiten sei sie völlig überfordert und begehre insbesondere Leistungen nach "Pflegestufe 0". Entsprechende Leistungen müssten auch erbracht werden, wenn ausschließlich bei der hauswirtschaftlichen Versorgung Hilfe erforderlich sei. Die Klägerin ist im Übrigen nach wie vor der Auffassung, in ihrer Alltagskompetenz eingeschränkt zu sein.

Die Klägerin beantragt nach ihrem erkennbaren Interesse,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28.11.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.03.2015 zu verurteilen, ihr Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach dem SGB XI nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtene Verwaltungsentscheidung nach wie vor für rechtmäßig. Bei der Klägerin liege kein zeitlicher Hilfebedarf in der Grundpflege vor, so dass sie auch Leistungen unterhalb von Pflegestufe I nicht beanspruchen könne. Zudem sei die Alltagskompetenz der Klägerin nicht erheblich eingeschränkt.

Das Gericht hat einen Befundbericht von der die Klägerin behandelnden Ärztin I vom 24.04.2015 eingeholt. Diese berichtet, die Klägerin sei bei den üblichen Hausputztätigkeiten wie Spülen, Wischen, Putzen und Einkaufen eingeschränkt. Möglicherweise sei das bei der Körperpflege in Zukunft ebenfalls der Fall. Sie könne sich nur noch sehr langsam und unter Schmerzen bewegen. Für alltägliche Dinge wie Waschen und Anziehen benötige sie ein Vielfaches an Zeit. Ein Hilfebedarf bei der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität wird von der behandelnden Ärztin (noch) nicht gesehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten hinsichtlich des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten über die Klägerin, die vorgelegen hat und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, vollinhaltlich verwiesen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 21.10.2015 ist die Klägerin weder selbst erschienen noch vertreten gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 21.10.2015 verhandeln und entscheiden. Auf diese verfahrensrechtliche Möglichkeit (vgl. §§ 110, 125 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) ist die Klägerin in der Terminsmitteilung hingewiesen worden.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 28.011.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.03.2015 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Zur Überzeugung der Kammer hatte die Klägerin keinen Anspruch auf Leistungen nach wenigstens Pflegestufe I aus der sozialen Pflegeversicherung nach dem SGB XI.

Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 bis 3 haben Pflegebedürftige Anspruch auf Pflegegeld, wenn sie die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung durch eine Pflegeperson in geeigneter Weise sowie dem Umfang des Pflegegeldes entsprechend selbst sicherstellen und mindestens die Pflegestufe I vorliegt. Nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI muss dazu der Zeitaufwand für die erforderlichen Hilfeleistungen der Grundpflege täglich mehr als 45 Minuten (Grundpflegebedarf), und für solche der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung zusammen mindestens 90 Minuten (Gesamtpflegebedarf) betragen. Unter Grundpflege ist die Hilfe bei den gewöhnlichen und wiederkehrenden Verrichtungen im Bereich der Körperpflege, der Ernährung und Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 bis 3 SGB XI) zu verstehen. Die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen sind nach dieser Vorschrift:

1. Im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Blasenentleerung, 2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung, 3. im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederauf- suchen der Wohnung, 4. im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen.

Nach § 14 Abs. 3 SGB XI kann die Hilfe in der vollständigen oder teilweisen Übernahme der Verrichtung durch die Pflegeperson, in der Unterstützung sowie in der Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der eigenständigen Durchführung der Verrichtung durch den Pflegebedürftigen bestehen.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Insofern bestätigt der Befundbericht der behandelnden Ärztin das Gutachten des MDK, wonach im Bereich der Grundpflege Hilfeleistungen jedenfalls derzeit noch nicht erforderlich sind. Die Klägerin ist in der Lage, die Verrichtungen des täglichen Lebens selbstständig durchzuführen. Gegebenenfalls benötigt sie hierzu lediglich eine längere Zeit. Dies wird wohl auch von der Klägerin so gesehen.

Auch sonstige Leistungen unterhalb der Pflegestufe I aus der sozialen Pflegeversicherung kommen für die Klägerin nicht in Betracht.

Gemäß § 45 b SGB XI können Versicherte, die die Voraussetzungen des § 45 a SGB XI erfüllen, je nach Umfang des erheblichen allgemeinen Betreuungsbedarfs zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen in Anspruch nehmen. Die Kosten werden hierfür ersetzt, höchstens jedoch 104,- Euro monatlich (Grundbetrag) oder 208,- Euro monatlich (erhöhter Betrag).

Die Klägerin erfüllt jedoch nicht die Voraussetzungen des § 45 a SGB XI. Nach § 45 a Abs. 1 Satz 1 SGB VI betreffen die Leistungen des fünften Abschnitts im vierten Kapitel des SGB XI Pflegebedürftige in häuslicher Pflege, bei denen neben dem Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung (§§ 14 und 15 SGB XI) ein erheblicher Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung besteht. Erfasst wird damit ein nicht speziell verrichtungsbezogener und deshalb bei der Bemessung des Pflegebedarfs nach § 14 SGB XI auch nicht zu berücksichtigender – also allgemeiner – Pflegebedarf. Dies betrifft nach § 45 a Abs. 1 Satz 2 SGB XI einerseits Pflegebedürftige in der Pflegestufe I, II und III sowie andererseits Personen, die einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung haben, der jedoch nicht das Ausmaß der Pflegestufe I erreicht, und zwar jeweils beschränkt auf Pflegebedürftige mit demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen, bei denen der MDK im Rahmen der pflegeversicherungsrechtlichen Begutachtung nach § 18 SGB XI als Folge der Krankheit oder Behinderung Auswirkungen auf die Aktivitäten des täglichen Lebens festgestellt hat, die dauerhaft zu einer erheblichen Einschränkung der Alltagskompetenz geführt haben. Für die Bewertung, ob die Einschränkung der Alltagskompetenz auf Dauer erheblich ist, sind die in § 45 a Abs. 2 Satz 1 SGB XI im Einzelnen aufgeführt, für diesen Personenkreis typischen 13 Schädigungen und Fähigkeitsstörungen im Alltag – sogenannte Assessments– maßgebend. Die Alltagskompetenz ist danach erheblich eingeschränkt, wenn der Gutachter des MDK bei der Pflegebedürftigen wenigstens in 2 Bereichen, wovon mindestens einmal aus einem der Bereiche 1 bis 9 dauerhafte und regelmäßige Schädigungen und Fähigkeitsstörungen feststellt (§ 45 a Abs. 2 Satz 2 SGB XI). Der allgemeine Betreuungsbedarf muss dabei, wie bereits ausgeführt, auf demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen und psychischen Erkrankungen beruhen.

Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin nicht gegeben. Bei ihr finden sich weder demenzbedingte Fähigkeitsstörungen, noch geistige Behinderungen oder psychische Erkrankungen, die Auswirkungen auf die Aktivitäten des täglichen Lebens haben. Vielmehr ist die Klägerin in körperlicher Hinsicht gehandicapt und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung auf Hilfe angewiesen.

Daraus folgt, dass die Klägerin auch keine Leistungen nach § 123 SGB XI (sogenannte Pflegestufe 0) beanspruchen kann. Diese Übergangsvorschrift gewährt unter anderem lediglich Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz ohne Pflegestufe bei häuslicher Pflege Pflegegeld nach § 37 SGB XI in Höhe von 120,- EUR (bzw. Pflegesachleistungen nach § 36 SGB XI bis zu 225,- Euro oder Kombileistungen gemäß § 38 SGB XI). Eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz ist bei der Klägerin jedoch, wie ausgeführt, zu verneinen.

Zutreffend weist die Beklagte ferner darauf hin, dass dieser Anspruch nach der gesetzlichen Regelung im Übrigen auch einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege unterhalb der Pflegestufe I voraussetzt. Ein Hilfebedarf bei der Grundpflege ist gegenwärtig bei der Klägerin jedoch noch nicht gegeben.

Ob die Voraussetzungen für Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung zu einem späteren Zeitpunkt vorliegen, war nicht zu beurteilen. Insofern hat die Klägerin die Möglichkeit, ggf. erneut einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB XI bei der Beklagten zu stellen.

Die Klage konnte damit keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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