S 14 R 3960/14

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Altenburg (FST)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
14
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 14 R 3960/14
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Stichworte:

Anspruch auf abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte, betriebsbedingte Kündigung

Normen:

§ 38 SGB VI, § 236b SGB VI, § 51 Abs. 3a SGB VI
SOZIALGERICHT ALTENBURG IM NAMEN DES VOLKES Urteil In dem Rechtsstreit ... - Klägers - Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwalt ... gegen ... - Beklagte - hat die 14. Kammer des Sozialgerichtes Altenburg durch den Richter am Sozialgericht Lampe als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richtern Herrn Melzer und Herrn Bähring auf Grund der mündlichen Verhandlung am 10. Dezember 2015 f ü r R e c h t e r k a n n t: 1. Die Klage wird abgewiesen 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der am geborene Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung einer abschlagsfreien Altersrente für besonders langjährig Versicherte im Sinne von § 38 Sozialgesetzbuch VI und § 236b Abs. 1, Abs. 2 SGB VI in gesetzlicher Höhe.

Der Arbeitgeber des Klägers kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 31. August 2011 ordentlich mit Ablauf zum 30. September 2011. Der Arbeitgeber des Klägers kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger aus betriebsbedingten Gründen, weil die Fördermittel nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) gekürzt worden seien, sodass die Zahl der Teilnehmer zurückgegangen sei. Somit müsse die Zahl der Arbeitnehmer reduziert werden.

Der Kläger bezog ab dem 1. Oktober 2011 bis zum 30. Juni 2014 Arbeitslosengeld I nach dem Sozialgesetzbuch III (SGB III) von der Bundesagentur für Arbeit.

Der Kläger beantragte bei der Beklagten am 14. April 2014 die Gewährung einer abschlagsfreien Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach § 38 SGB VI und § 236b Abs. 1, Abs. 2 SGB VI.

Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 13. Mai 2014 einen Vorschuss auf seine Altersrente und gewährte dem Kläger mit einem endgültigen Rentenbescheid vom 25. September 2014 eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit gemäß § 237 Abs. 1 SGB VI ab dem 1. Juli 2014.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 24. September 2014 die Gewährung einer abschlagsfreien Altersrente für besonders langjährig Versicherte im Sinne von § 38 SGB VI und § 236b Abs. 1, Abs. 2 SGB VI ab.

Der Kläger legte am 23. Oktober 2014 gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 24. September 2014 Widerspruch ein.

Die Beklagte wies den Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 24. September 2014 mit Widerspruchsbescheid vom 27. November 2014 als unbegründet zurück. Die Beklagte führte zur Begründung aus, dass der Kläger die nach § 38 SGB VI und § 236b Abs. 1, Abs. 2 SGB VI in Verbindung mit § 51 Abs. 3a SGB VI gesetzlich geforderte Wartezeit von 45 Jahren (540 Kalendermonaten) nicht erfülle. Der Kläger habe nach seinem Versicherungsverlauf nur insgesamt 531 Kalendermonate mit Beitragszeiten im Sinne von § 51 Abs. 3a SGB VI nachgewiesen. Dabei sei die Zeit des Bezuges von Arbeitslosengeld I nach dem SGB III als Entgeltersatzleistung der Arbeitsförderung vom 1. Juli 2012 bis zum 30. Juni 2014 nach § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI auf die gemäß § 38 SGB VI und § 236b Abs. 1 Nr. 2 SGB VI in Verbindung mit § 51 Abs. 3a SGB VI gesetzlich erforderliche Wartezeit von 45 Jahren (540 Kalendermonaten) nicht anzurechnen, da das Arbeitslosengeld I nach dem SGB III als Entgeltersatzleistung der Arbeitsförderung in den letzten zwei Jahren vor dem Rentenbeginn gezahlt worden sei, wobei dieser Leistungsbezug nicht durch eine Insolvenz oder eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt (verursacht) worden sei (§ 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI).

Der Kläger hat am 15. Dezember 2014 Klage vor dem Sozialgericht Altenburg erhoben.

Der Kläger ist der Ansicht, dass ihm die Beklagte eine abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte im Sinne von § 38 SGB VI und § 236b Abs. 1, Abs. 2 SGB VI in gesetzlicher Höhe gewähren müsse. Der Kläger habe die nach § 38 SGB VI und § 236b Abs. 1, Abs. 2 SGB VI in Verbindung mit § 51 Abs. 3a SGB VI gesetzlich geforderte Wartezeit von 45 Jahren (540 Kalendermonaten) erfüllt. Dabei sei die Zeit des Bezuges von Arbeitslosengeld I nach dem SGB III als Entgeltersatzleistung der Arbeitsförderung vom 1. Juli 2012 bis zum 30. Juni 2014 nach § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI auf die gemäß § 38 SGB VI und § 236b Abs. 1 Nr. 2 SGB VI in Verbindung mit § 51 Abs. 3a SGB VI gesetzlich erforderliche Wartezeit von 45 Jahren (540 Kalendermonaten) anzurechnen. Die von der Beklagten angewandte Regelung des § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI verstoße gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG).

Es sei aus der Sicht des Klägers nicht nachvollziehbar, dass derjenige, der aufgrund einer betriebsbedingten Kündigung aus dem Betrieb ausscheidet und in Folge dessen unfreiwillig arbeitslos wird, weniger schützenswert sein soll, als derjenige, der auf Grund einer Insolvenz oder einer vollständigen Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Zur weiteren Begründung wird auf die Schriftsätze des Prozessbevollmächtigen des Klägers im Klageverfahren verwiesen.

Der Kläger beantragt;

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 24. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 27. November 2014 zu verurteilen, dem Kläger eine abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte (§ 38 SGB VI und § 236b Abs. 1, Abs. 2 SGB VI) ab dem 1. Mai 2014 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt;

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Gewährung einer abschlagsfreien Altersrente für besonders langjährig Versicherte beim Kläger nicht in Betracht komme, da der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht erfülle. Der Kläger erfülle die nach § 38 SGB VI und § 236b Abs. 1, Abs. 2 SGB VI in Verbindung mit § 51 Abs. 3a SGB VI gesetzlich geforderte Wartezeit von 45 Jahren (540 Kalendermonaten) nicht, da der Kläger in seinem Versicherungsverlauf nur insgesamt 531 Kalendermonate mit Beitragszeiten im Sinne von § 51 Abs. 3a SGB VI nachgewiesen habe. Die Zeit des Bezuges von Arbeitslosengeld I nach dem SGB III als Entgeltersatzleistung der Arbeitsförderung vom 1. Juli 2012 bis zum 30. Juni 2014 sei nach der zwingenden gesetzlichen Regelung des § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI auf die gemäß § 38 SGB VI und § 236b Abs. 1 Nr. 2 SGB VI in Verbindung mit § 51 Abs. 3a SGB VI gesetzlich erforderliche Wartezeit von 45 Jahren (540 Kalendermonaten) nicht anzurechnen.

Das Arbeitslosengeld I nach dem SGB III als Entgeltersatzleistung der Arbeitsförderung sei zwar in den letzten zwei Jahren vor dem Rentenbeginn gezahlt worden, dieser Leistungsbezug sei aber nicht durch eine Insolvenz oder eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt (verursacht) worden (§ 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI). Die Beklagte könne auch nicht erkennen, dass die gesetzliche Regelung des § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI verfassungswidrig sei. Im Übrigen verweist die Beklagte zur Begründung auf ihre im Verwaltungsverfahren erlassenen Bescheide.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 2015, die Gerichtsakte S 14 R 3960/14 und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 24. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 27. November 2014 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen eigenen Rechten (§ 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte dem Kläger eine abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte im Sinne von § 38 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) und § 236b Abs. 1, Abs. 2 SGB VI ab dem 1. Mai 2014 in gesetzlicher Höhe gewährt. Die Beklagte hat es mit den angefochtenen Bescheiden insbesondere zu Recht abgelehnt, die Zeiten des Bezuges von Arbeitslosengeld I nach dem Sozialgesetzbuch III (SGB III) von der Bundesagentur für Arbeit vom 1. Juli 2012 bis zum 30. Juni 2014 auf die die nach § 38 SGB VI und § 236b Abs. 1, Abs. 2 SGB VI in Verbindung mit § 51 Abs. 3a SGB VI gesetzlich erforderliche Wartezeit von 45 Jahren (540 Kalendermonaten) anzurechnen.

Dabei folgt die Kammer ausdrücklich dem Urteil des Sozialgerichtes Stade (SG Stade) vom 14. September 2015 (Az.: S 9 R 5/15; zitiert nach juris).

Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch sind die § 38 SGB VI und § 236b Abs. 1, Abs. 2 SGB VI. Durch die Änderung dieser Regelungen und der damit in Verbindung stehenden Änderung des § 51 Abs. 3a SGB VI ist mit dem Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung die Möglichkeit eingeführt worden, bereits vom vollendeten 63. Lebensjahr an eine abschlagsfreie Altersrente in Anspruch zu nehmen. Es handelt sich hierbei um eine Sonderregelung mit zeitlicher Begrenzung. In vollem Ausmaß gilt sie lediglich (noch) für die Geburtsjahrgänge bis einschließlich 1952, also für Personen, die bis Ende 2015 ihren 63. Geburtstag haben werden. Für jüngere Jahrgänge steigt das frühestmögliche Renteneintrittsalter in gestaffelter Form (wieder) an. Die Einzelheiten ergeben sich dazu aus der Tabelle zu § 236b Abs. 2 SBG VI. Komplett entfällt die Begünstigung für die ab dem 1. Januar 1964 geborenen Versicherten mit der Konsequenz der Rückkehr zu der bis Mitte 2014 geltenden Gesetzeslage. Hintergrund der vorübergehenden Herabsetzung der Altersgrenze und der besonderen Begünstigung der bereits rentennahen Jahrgänge bis einschließlich 1963 ist, einerseits eine Belohnung für außergewöhnlich langfristige Erwerbsarbeit und Beitragsleistung zu schaffen, andererseits eine - vom Gesetzgeber angenommene - fortschreitende Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu berücksichtigen (Bundestags-Drucksache 18/909, Seite 13).

Gleichzeitig mit der Möglichkeit der abschlagsfreien Inanspruchnahme der Altersrente für besonders langjährig Versicherte hat der Gesetzgeber die Anrechenbarkeit von Ent-geltersatzleistungen der Arbeitsförderung in mehrfacher Weise begrenzt. Zum einen hat er in § 244 Abs. 3 Satz 1 SGB VI die Berücksichtigung von Zeiten des Bezuges von Arbeitslosenhilfe und Arbeitslosengeld II nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) ausdrücklich ausgeschlossen.

Zum anderen hat er in der im vorliegenden Fall des Klägers zum Tragen kommenden weiteren Vorschrift des § 51 Abs. 3a SGB VI die bedeutsame Einschränkung vorgenommen, Pflichtbeitrags- oder Anrechnungszeiten bei Arbeitslosigkeit dann nicht für die Erfüllung der Wartezeit zu berücksichtigen, wenn sie in den letzten zwei Jahren vor dem beabsichtigten Rentenbeginn liegen.

Mit dieser Einschränkung hat der Gesetzgeber verhindern wollen, den Eintritt in eine vorzeitige Altersrente im Zusammenwirken mit dem Arbeitgeber weiter nach vorne zu verlagern. Die negative Erfahrung mit den Frühverrentungsvorhaben der 1990iger Jahre hatte gezeigt, dass es regelmäßig zu einem dem Rentenbeginn vorgelagerten Bezug von Arbeitslosengeld gekommen war. Nunmehr sollte aus der Sicht des Gesetzgebers verhindert oder zumindest erschwert werden, aus der "Rente mit 63" eine "Rente mit 61" zu machen (Bundestags-Drucksache 18/909, Seite 13). Die Änderung des § 51 Abs. 3a SGB VI hat der Gesetzgeber zeitlich nicht begrenzt, vielmehr über die in § 236b SGB VI normierte Sonderregelung hinaus für alle Fälle der grundsätzlich in § 38 SGB VI geregelten Rente für besonders langjährig Versicherte dauerhaft vorgesehen.

Daraus ergibt sich im Fall des Klägers folgendes:

Da der Kläger sein 63. Lebensjahr am 26. April 2014 vollendet hat, hat der Kläger gegen die Beklagte gemäß § 236b Abs. 1, Abs. 2 SGB VI grundsätzlich ab dem 1. Mai 2014 (§ 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI) einen Anspruch auf die Gewährung einer abschlagsfreien Altersrente für besonders langjährig Versicherte unter der Voraussetzung gehabt, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt die Wartezeit von 45 Jahren (540 Kalendermonaten) nach § 38 SGB VI und § 236b Abs. 1, Abs. 2 SGB VI in Verbindung mit § 51 Abs. 3a SGB VI erfüllt bzw. nachgewiesen hat.

Dabei ist es zwischen den Beteiligten unstreitig, dass beim Kläger 531 Kalendermonate auf die Wartezeit im Sinne von § 38 SGB VI und § 236b Abs. 1, Abs. 2 SGB VI in Verbindung mit § 51 Abs. 3a SGB VI anzurechnen sind. Zwischen den Beteiligten ist nur umstritten, ob auch die Zeiten des Bezuges von Arbeitslosengeld I nach dem SGB III vom 1. Juli 2012 bis zum 30. Juni 2014 auf die die nach § 38 SGB VI und § 236b Abs. 1, Abs. 2 SGB VI in Verbindung mit § 51 Abs. 3a SGB VI gesetzlich erforderliche Wartezeit von 45 Jahren (540 Kalendermonaten) anzurechnen sind. Dies ist jedoch beim Kläger nicht der Fall.

Die gesetzliche Regelung des § 51 Abs. 3a SGB VI sieht als auf die die nach § 38 SGB VI und § 236b Abs. 1, Abs. 2 SGB VI in Verbindung mit § 51 Abs. 3a SGB VI gesetzlich erforderliche Wartezeit von 45 Jahren (540 Kalendermonaten) anrechenbare Zeiten unter anderem Zeiten des Bezuges von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung vor, hier also des Bezuges von Arbeitslosengeld I nach dem SGB III, sofern diese Zeiten Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten sind. Allerdings werden derartige Zeiten in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn von Gesetzes wegen nicht berücksichtigt, es sei denn, dieser Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung ist im Sinne von § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB durch eine Insolvenz oder eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt (verursacht) worden.

Die Beklagte hat die hier allein streitgegenständlichen Zeiten des Bezuges von Arbeitslosengeld I nach dem SGB III vom 1. Juli 2012 bis zum 30. Juni 2014, in denen der Kläger Arbeitslosengeld I nach dem SGB III bezogen hat, in richtiger Anwendung des § 51 Abs. 3a SGB VI zu Recht außer Betracht gelassen. Denn es handelt sich um Zeiten in den letzten zwei Jahren vor dem möglichen Rentenbeginn am 1. Mai 2014. Und die hier zwischen den Beteiligten umstrittene Rückausnahme der Bedingtheit (Verursachung) des Bezuges von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung, hier des Bezuges von Arbeitslosengeld I nach dem SGB III, durch eine Insolvenz bzw. eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers vermag die Kammer nicht als erfüllt anzusehen:

Die Auslegung des § 51 Abs. 3a SGB VI nach dem Wortlaut legt es bereits nahe, eine Kausalität in sowohl sachlicher als auch in zeitlicher Hinsicht zu fordern. Die Insolvenz bzw. die vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers muss demnach maßgeblicher Anlass für den Bezug der Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung sein und darüber hinaus dem Bezug vorangehen (vgl. dazu das Urteil des SG Stade vom 14. September 2015, Az.: S 9 R 5/15; a. a. O).

Die Arbeitslosigkeit des Klägers ab dem 1. Oktober 2011 und damit der Bezug von Ar-beitslosengeld I nach dem SGB III vom 1. Juli 2012 bis zum 30. Juni 2014 ist aber eindeutig nicht durch eine Insolvenz oder einer vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers verursacht worden. Der Arbeitgeber hat in seinem Kündigungsschreiben vom 31. August 2011 ausdrücklich erklärt, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger aus betriebsbedingten Gründen erfolgt ist. Die Zeit des Bezuges von Arbeitslosengeld I nach dem SGB III als Entgeltersatzleistung der Arbeitsförderung vom 1. Juli 2012 bis zum 30. Juni 2014 ist daher nach § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI nicht auf die gemäß § 38 SGB VI und § 236b Abs. 1 Nr. 2 SGB VI in Verbindung mit § 51 Abs. 3a SGB VI gesetzlich erforderliche Wartezeit von 45 Jahren (540 Kalendermonaten) anzurechnen, sodass der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die Gewährung einer abschlagsfreien Altersrente für besonders langjährig Versicherte im Sinne von § 38 SGB VI und § 236b Abs. 1, Abs. 2 SGB VI ab dem 1. Mai 2014 in gesetzlicher Höhe hat. Denn der Kläger hat die Wartezeit von 45 Jahren (540 Kalendermonaten) nach § 38 SGB VI und § 236b Abs. 1, Abs. 2 SGB VI in Verbindung mit § 51 Abs. 3a SGB VI und § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI vorliegend nicht erfüllt.

Diese Regelung in § 51 Abs. 3a SGB VI und § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Artikel 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das hieraus folgende Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für ungleiche Belastungen und ungleiche Begünstigungen (Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichtes [BVerfG] vom 30. September 2015; Az.: 2 BvR 1066/10; zitiert nach juris). Dabei verwehrt Artikel 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 30. September 2015; Az.: 2 BvR 1066/10; a. a. O.).

Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung des Kläger mit anderen Rentenberechtigten und ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Artikel 3 Abs. 1 GG lässt sich vorliegend nicht erkennen, da der Gesetzgeber sachliche Gründe für die besondere Regelung in § 51 Abs. 3a SGB VI und § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI gehabt hat.

Zeiten des Bezuges von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung, wie z.B. Arbeitslosengeld I, Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung, Unterhaltsgeld, Übergangsgeld, Eingliederungsgeld, Altersübergangsgeld, Kurzarbeitergeld, Insolvenzgeld und Schlechtwettergeld werden grundsätzlich auf die gemäß § 38 SGB VI und § 236b Abs. 1 Nr. 2 SGB VI in Verbindung mit § 51 Abs. 3a SGB VI gesetzlich erforderliche Wartezeit von 45 Jahren (540 Kalendermonaten) angerechnet. Allerdings gilt dies nicht, wenn diese Zeiten in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn liegen, es sei denn, der Bezug dieser Leistungen ist durch eine Insolvenz oder eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt (verursacht) worden. Mit dieser Regelung sollen Fehlanreize vermieden werden (Bundestagsausschuss-Drucksache 18 (11) 102, Seite 2)

Nach § 51 Abs. 3a Nr. 3 2. Halbsatz SGB VI werden Zeiten des Bezuges von Entgelter-satzleistungen wie z. B. Arbeitslosengeld I nach dem SGB III nicht berücksichtigt, es sei denn, der Bezug dieser Entgeltleistungen ist durch eine Insolvenz des Arbeitgebers oder eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt (verursacht) worden. Mit dieser Sonderregelung soll, "um Fehlanreize zu vermeiden" (Bundestagsdrucksache 18/1489, Seite 26) verhindert werden, dass sich Versicherte schon mit 61 Jahren arbeitslos melden, zwei Jahre Arbeitslosengeld I nach dem SGB III beziehen, während dieser Zeit gesetzlich rentenversichert sind und dann mit Vollendung des 63. Lebensjahres in die abschlagsfreie Altersente für besonders langjährig Versicherte im Sinne von § 38 SGB VI, § 236b Abs. 1 Nr. 2 SGB VI wechseln (vgl. dazu Ruland in Gesamtkommentar zum Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung -, Stand September 2014, § 51 Rn 78). Diese Regelung kann aber relativ leicht umgangen werden. Versicherte können sich arbeitslos melden, Arbeitslosengeld I nach dem SGB III beziehen und nebenher eine versicherungspflichtige geringfügige Beschäftigung ausüben.

Mit der Rückausnahme von dieser Sonderregelung sollen "Härtefälle" vermieden werden (Bundestagsdrucksache 18/1489, Seite 26). Trotz des Bezuges von Entgeltersatzleistungen wie Arbeitslosengeld I nach dem SGB III werden diese Zeiten, auch wenn sie in den letzten zwei Jahren vor dem möglichen Rentenbeginn liegen, berücksichtigt, wenn diese Zeiten durch die Insolvenz des Arbeitgebers oder die vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt (verursacht) worden sind (vgl. dazu Ruland in Gesamtkommentar zum Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung -, Stand September 2014, § 51 Rn 79). Der Gesetzgeber wollte durch die besondere Regelung der § 51 Abs. 3a SGB VI und § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI verhindern, dass aus der "Rente mit 63" flächendeckend eine "Rente mit 61" wird (Bundestags-Drucksache 18/909, Seite 13). Die Gefahr des Missbrauchs liegt darin begründet, dass ein Arbeitnehmer und sein Arbeitgeber verabreden können, dass der Arbeitnehmer (Versicherte) mit 61 Jahren z. B. eine betriebsbedingte Kündigung erhält, damit der Arbeitgeber des Arbeitnehmers (Versicherten) seinen Personalbestand an älteren Arbeitnehmern verringern kann. Der Arbeitnehmer (Versicherter) könnte dann einfach ohne die besondere Regelung der § 51 Abs. 3a SGB VI und § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI zuerst zwei Jahre lang Arbeitslosengeld I nach dem SGB III erhalten, um dann mit Vollendung des 63. Lebensjahres in die abschlagsfreie Altersente für besonders langjährig Versicherte nach § 38 SGB VI, § 236b Abs. 1 Nr. 2 SGB VI zu wechseln. Somit müssten die Rentenversicherungsträger bzw. die Sozialgerichte eigentlich prüfen, ob z. B. eine solche betriebsbedingte Kündigung überhaupt rechtmäßig war, um einen solchen Missbrauch verhindern zu können.

Daher war es aus der Sicht des Gesetzgebers sachgerecht, die besondere Regelung der § 51 Abs. 3a SGB VI und § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI zu schaffen und nur solche Zeiten des Bezuges von Entgeltersatzleistungen wie z. B. Arbeitslosengeld I nach dem SGB III dann auf die gemäß § 38 SGB VI und § 236b Abs. 1 Nr. 2 SGB VI in Verbindung mit § 51 Abs. 3a SGB VI erforderliche Wartezeit von 45 Jahren (540 Kalendermonaten) anzurechnen, wenn der Bezug dieser Leistung durch eine Insolvenz oder eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt (verursacht) worden ist. Denn mit der Anknüpfung an die Insolvenz oder die vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers kann von außen anhand objektiver Kriterien festgestellt werden, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht erfolgt ist, um dem Arbeitnehmer (Versicherten) eine abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte im Sinne von § 38 SGB VI und § 236b Abs. 1, Abs. 2 SGB VI zu verschaffen, obwohl die Möglichkeit bestanden hätte, dass das Arbeitsverhältnis weiter fortgesetzt wird.

Die besondere Regelung der § 51 Abs. 3a SGB VI und § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI verstößt auch nicht gegen die Eigentumsgarantie nach Artikel 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Reichweite der Eigentumsgarantie ergibt sich für rentenrechtliche Anwartschaften erst nach der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, die nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Sache des Gesetzgebers ist (Beschluss des BVerfG vom 11. Januar 2011, Az.: 1 BvR 3588/08 und 1 BvR 555/09 m. w. N; zitiert nach juris). Hierbei hat der Gesetzgeber, zumal wenn er nicht nur das Eigentum für die Zukunft ausgestaltet, sondern - wie hier - in bestehende Eigentumspositionen eingreift, die grundsätzliche Privatnützigkeit und Verfügungsbefugnis zu achten und darf sie nicht unverhältnismäßig einschränken (Beschluss des BVerfG vom 11. Januar 2011, Az.: 1 BvR 3588/08 und 1 BvR 555/09 m. w. N; a. a. O.). Wenn in bestehende Anwartschaften eingegriffen wird, ist allerdings zu berücksichtigen, dass in ihnen von vornherein die Möglichkeit von Änderungen angelegt ist (Beschluss des BVerfG vom 11. Januar 2011, Az.: 1 BvR 3588/08 und 1 BvR 555/09 m. w. N; a. a. O.). Eine Unabänderlichkeit der bei ihrer Begründung bestehenden Bedingungen widerspräche dem Rentenversicherungsverhältnis, das im Unterschied zu einem privaten Versicherungsverhältnis von Anfang an nicht allein auf dem Versicherungsprinzip, sondern auch auf dem Gedanken des sozialen Ausgleichs beruht (Beschluss des BVerfG vom 11. Januar 2011, Az.: 1 BvR 3588/08 und 1 BvR 555/09 m. w. N; a. a. O.).

Den Umfang einer Rentenanwartschaft reduzierende Inhaltsbestimmungen müssen einem Gemeinwohlzweck dienen und verhältnismäßig sein (Beschluss des BVerfG vom 11. Januar 2011, Az.: 1 BvR 3588/08 und 1 BvR 555/09 m. w. N; a. a. O.). Sie müssen zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet und erforderlich sein (Beschluss des BVerfG vom 11. Januar 2011, Az.: 1 BvR 3588/08 und 1 BvR 555/09 m. w. N; a. a. O.). Insbesondere dürfen sie den Betroffenen nicht übermäßig belasten und für ihn deswegen unzumutbar sein (Beschluss des BVerfG vom 11. Januar 2011, Az.: 1 BvR 3588/08 und 1 BvR 555/09 m. w. N; a. a. O.).

Der Gesetzgeber hat nach den oben gemachten Ausführungen sachliche Gründe für die besondere Regelung in § 51 Abs. 3a SGB VI und § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI gehabt, sodass der Gesetzgeber damit nur eine verfassungsrechtlich zulässige Bestimmung der Rentenansprüche für die Zukunft vorgenommen hat.

Dabei ist auch zu beachten, dass die Eigentumsgarantie des Artikels 14 Abs. 1 Satz 2 GG grundsätzlich keinen Anspruch auf die Gewährung einer abschlagsfreien Altersrente nach dem SGB VI gewährt (Beschluss des BVerfG vom 11. Januar 2011, Az.: 1 BvR 3588/08 und 1 BvR 555/09 m. w. N; a. a. O.).

Ein Verstoß der besonderen Regelung in § 51 Abs. 3a SGB VI und § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI gegen das Rechts- und das Sozialstaatsprinzip (Artikel 20 Abs. 1 und 3 GG) ist ebenfalls nicht ersichtlich. Das BVerfG ausdrücklich festgestellt, dass es einen grundrechtlich geschützten Anspruch auf eine bestimmte Höhe einer Rente nach dem SGB VI nicht geben kann (Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 26. Juli 2007, Az.: 1 BvR 824/03 und 1 BvR 1247/07; zitiert nach juris), sodass der Kläger aus dem Rechts- und das Sozialstaatsprinzip (Artikel 20 Abs. 1 und 3 GG) keinen Anspruch auf die Gewährung einer abschlagsfreien Altersrente nach dem SGB VI herleiten kann.

Die Klage war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, Abs. 4 SGG.

Die Berufung gegen dieses Urteil ist von Gesetzes wegen gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG ohne besonderen Beschluss der Kammer zulässig.
Rechtskraft
Aus
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