S 34 KR 316/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
34
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 34 KR 316/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 07.05.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbe- scheides vom 16.10.2007 verurteilt, dem Kläger für 2006 weitere 29,53 EUR zu erstatten. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte trägt ein Fünftel der außergerichtlichen Kosten des Klägers. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Erstattung für geleistete Zuzahlungen und hierbei über die Berechnung der Belastungsgrenze.

Der 1954 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Seit 1981 ist bei ihm ein Grad der Behinderung von 60 anerkannt. Im Jahr 2005 erhielt der Kläger Arbeitslosengeld II in Höhe von insgesamt 4.140,- EUR und leistete in diesem Jahr Zuzahlungen von insgesamt 85,- EUR. Der Kläger beantragte bei der Beklagten die Befreiung von Zuzahlungen und überreichte Belege über die von ihm 2005 geleisteten Zuzahlungen. Er machte dabei geltend, an einer schwerwiegenden chronischen Erkrankung zu leiden. Mit Bescheid vom 07.05.2007 erstattete die Beklagte dem Kläger 2,20 EUR ausgehend von einer Belastungsgrenze für das Jahr 2005 in Höhe von 82,80 EUR. Die Belastungsgrenze wäre in Höhe von 2 % seiner Einnahmen zum Lebensunterhalt berechnet worden, da eine ärztliche Bescheinigung hinsichtlich einer schwerwiegenden chronischen Erkankung nicht vorliegen würde. Der Kläger beantragte bei der Beklagten weiterhin, ihn auch für das Jahr 2006 von Zuzahlungen zu befreien. Er machte geltend, seit 25.05.2006 in einer Bedarfsgemeinschaft mit der Beigeladenen zu leben. Insoweit wären ihm mit Bescheid vom 23.08.2006 von der Arbeitsgemeinschaft N aktiv Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bewilligt worden unter Berücksichtigung einer Bedarfsgemeinschaft mit der Beigeladenen. Mit Bescheid vom 07.05.2007 erstattete die Beklagte dem Kläger auch für das Jahr 2006 einen Betrag in Höhe von 2,20 EUR. Dieser Betrag ergebe sich aufgrund der Belastungsgrenze von 82,80 EUR bei anrechenbaren Zuzahlungen in Höhe von 85,- EUR. Bei der Ermittlung der Belastungsgrenzen für die Befreiung von Zuzahlungen könnten die Zuzahlungen und Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt der Beigeladenen nicht zusammengerechnet werden, da dies nur bei Angehörigen (im gemeinsamen Haushalt mit dem versicherten lebenden Ehegatten, eingetragenen Lebenspartnern nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz und Kindern) möglich wäre. Der Kläger legte am 18.05.2007 gegen die Bescheide der Beklagten vom 07.05.2007 Widerspruch ein. Zur Begründung bezog er sich auf § 62 Abs. 2 Satz 6 SGB V und auf den Nachweis der Anerkennung des Grades der Behinderung von 60. Die Beklagte wies die Widersprüche des Klägers mit Widerspruchsbescheiden vom 16.10.2007 gegen die Ermittlung der Belastungsgrenze in den Jahren 2005 und 2006 zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass eine schwerwiegend chronische Krankheit im Sinne von § 62 SGB V nicht vorliegen würde, da der Nachweis einer Dauerbehandlung (wenigstens ein Jahr lang einmal pro Quartal durchgeführte ärztliche Behandlung) erbracht worden wäre. Deshalb betrage die Belastungsgrenze 2 v.H. der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt. Dabei wären nicht die tatsächlichen Leistungen der ARGE zu berücksichtigen, sondern der nach dem SGB II und SGB XII geltende Regelsatz als Mindesteinkommen. Als berücksichtigungsfähiger Personenkreis würde § 62 Abs. 2 SGB V ausdrücklich die mit dem Versicherten im gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen des Versicherten und des Lebenspartners nennen. Seine Lebensgefährtin könnte daher nicht berücksichtigt werden.

Der Kläger hat gegen diese Bescheide am 13.11.2007 Klage erhoben. Der Kläger trägt vor: Er hätte im Jahr 2005 insgesamt Arbeitslosengeld II in Höhe eines Betrages von 2.663,73 EUR bezogen. Die Beigeladene hätte im Jahr 2006 Arbeitslosengeld I und Arbeitslosengeld II in Höhe von insgesamt 6.333,81 EUR bezogen und im Jahr 2006 Zuzahlungen in Höhe von 97,71 EUR geleistet. Der Kläger ist der Meinung, dass eine chronische Erkrankung auch vorliegen würde, obwohl ein vierteljährlicher Arztbesuch nicht notwendig wäre. Er ist weiterhin der Meinung, dass die Belastungsgrenze bei Addition der von ihm und der Beigeladenen geleisteten Zuzahlungen unter Berücksichtigung der gemeinsamen Bruttoeinnahmen gemäß § 62 Abs. 2 Satz 6 SGB V zu ermitteln sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der von der Beklagten beigezogenen Verwaltungsakte verwiesen, die Gegenstand der Beratung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte im Einverständnis mit den Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die Klage ist zulässig, hat jedoch in der Sache nur teilweise Erfolg.

Der von dem Kläger angefochtene Bescheid der Beklagten vom 07.05.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2007 wegen der Ermittlung der Belastungsgrenze in 2005 konnte nicht aufgehoben werden, weil er den Kläger nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG beschwert. Zu Recht hat die Beklagte die Belastungsgrenze für 2005 gemäß § 62 SGB V auf 82,80 EUR festgesetzt, so dass dem Kläger unter Berücksichtigung der in diesem Jahr geleisteten Zuzahlungen in Höhe von 85,- EUR ein Erstattungsanspruch in Höhe von 2,20 EUR zustand. Gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der im streitigen Zeitraum anzuwendenden, ab 01.01.2004 gültig gewesenen Neufassung des Artikel 1 Nr. 40 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung haben Versicherte während jedes Kalenderjahres nur Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze zu leisten; wird die Belastungsgrenze bereits innerhalb eines Kalenderjahres erreicht, hat die Krankenkasse eine Bescheinigung darüber zu erteilen, dass für den Rest des Kalenderjahres keine Zuzahlungen mehr zu leisten sind. Die Belastungsgrenze beträgt 2 v.H. der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt; für chronisch Kranke, die wegen derselben schwerwiegenden Krankheit in Dauerbehandlung sind, beträgt sie 1 v.H. der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt (§ 62 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Die Beklagte hat unter Berücksichtigung der von dem Kläger 2005 erzielten Einnahmen in Höhe von 4.140,- EUR die von dem Kläger zu leistenden Zuzahlungen zutreffend auf 2 % dieses Betrages, nämlich 82,80 EUR festgesetzt, da der Kläger nicht chronisch krank im Sinne von § 62 Abs. 1 Satz 2 SGB V war. Gemäß § 62 Abs. 1 Satz 4 SGB V in der im streitigen Zeitraum geltenden Fassung bestimmt der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 das Nähere zur Definition einer schwerwiegenden chronischen Erkrankung. Die Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschuss sind insoweit für die Versicherten und die Leistungserbringer verbindlich (vgl. BSG SozR 3 - 2500 § 92 Nr. 6; SozR 3 - 2500 § 27a Nr. 2, Nr. 3 und § 91 Abs. 6 SGB V in der ab 01.07.2008 geltenden Fassung). Gemäß § 2 Abs. 2 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Umsetzung der Regelungen in § 62 für schwerwiegend chronisch Erkrankte in der Fassung vom 22.01.2004 ist eine Krankheit schwerwiegend chronisch, wenn sie wenigstens ein Jahr lang, mindestens einmal pro Quartal ärztlich behandelt wurde (Dauerbehandlung) und eines der folgenden in der Vorschrift genannten Merkmale vorhanden ist. Der Kläger hat nicht dargelegt, wenigstens ein Jahr lang mindestens einmal pro Quartal behandelt worden zu sein, da ein vierteljährlicher Arztbesuch nicht notwendig wäre. Mithin hat die Beklagte zu Recht für das Jahr 2005 die Belastungsgrenze ausgehend von 2 v.H. der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt festgesetzt.

Die Klage ist zum Teil begründet, soweit der Kläger sich gegen die von der Beklagten mit dem Bescheid vom 07.05.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2007 für das Jahr 2006 festgelegte Belastungsgrenze wendet. Zu Unrecht hat die Beklagte die Belastungsgrenze für 2006 unter Zugrundelegung eines jährlichen fiktiven Einkommens in Höhe von 4.140,- EUR entsprechend der nach dem SGB II und SGB XII geltenden Regelsätze als Mindesteinkommen festgesetzt. Unstreitig erzielte der Kläger im Jahr 2006 ein Einkommen in Höhe von 2.663,73 EUR. Da der Kläger - wie bereits hinsichtlich des Kalenderjahres 2005 erörtert - auch im Jahr 2006 nicht chronisch krank im Sinne von § 62 Abs. 1 Satz 2 SGB V war, weil er nicht wegen derselben schwerwiegenden Krankheit in Dauerbehandlung war, betrug die Belastungsgrenze für ihn 2 v.H. der Bruttoeinnahmen für das Jahr 2006, mithin 53,27 EUR. § 62 SGB V lässt es nicht zu, fiktive Bruttoeinkünfte zugrunde zu legen. Vielmehr zielt die Vorschrift in Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Systematik darauf ab, nur die tatsächlichen jährlichen Bruttoeinkünfte zum Lebensunterhalt als maßgeblich anzusehen. Soweit das Gesetz fiktive Untergrenzen bezeichnen will, nimmt es dies eindeutig und ausdrücklich vor, wie etwa in § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V (BSG USK 2007 - 54). Dabei sind bei der Berechnung des dem Kläger zustehenden Erstattungsbetrages allein die von ihm im Jahr 2006 geleisteten Zuzahlungen in Höhe von 85,- EUR zu berücksichtigen, nicht aber die von der Beigeladenen im Jahr 2006 geleisteten Zuzahlungen. Insbesondere kann nicht von einem Familieneinkommen des Klägers und der Beigeladenen im Sinne von § 62 Abs. 2 SGB V ausgegangen werden. Gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 SGB V werden bei der Ermittlung der Belastungsgrenzen nach Abs. 1 die Zuzahlungen und die Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt der mit dem Versicherten im gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen des Versicherten und des Lebenspartners jeweils zusammengerechnet. Lebenspartnerschaften im Sinne dieses Gesetzes sind Lebenspartnerschaften nach dem LPartG (§ 33b SGB I). Unstreitig ist die Beigeladene weder der Angehörige des Klägers noch dessen Lebenspartnerin nach dem LPartG. Dabei verstößt die Regelung des Ausschlusses anderer Personen als der Angehörigen oder Lebenspartner im Rahmen des § 62 Abs. 2 SGB V nicht gegen das Grundgesetz (vgl. BSG SozR 3 - 2500 § 61 Nr. 3). Es spielt in diesem Zusammenhang weiterhin keine Bedeutung, dass der Kläger und die Beigeladene Leistungen von der Arbeitsgemeinschaft N aktiv Leistungen nach dem SGB II als Bedarfsgemeinschaft erhalten. Denn entgegen des Ansicht des Klägers ergibt sich aus der Regelung des § 62 Abs. 2 Satz 6 SGB V nicht, dass bei dem Leistungsbezug nach dem SGB II berücksichtigte Angehörige von Bedarfsgemeinschaften zugleich einen gemeinsamen Haushalt im Sinne von § 62 Abs. 2 SGB V führen. Denn § 62 Abs. 2 Satz 6 SGB V regelt abweichend von den Sätzen 1-3, dass bei der Versicherten, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch erhalten, für die gesamte Bedarfsgemeinschaft nur die Regelleistung nach § 20 Abs. 2 des Zweiten Buches maßgeblich ist. Diese Regelung schafft eine Sonderregelung für die Ermittlung des Familieneinkommens, setzt mithin voraus, dass im Rahmen der Bedarfsgemeinschaft auch ein Angehörigenverhältnis bzw. eine Lebenspartnerschaft nach dem LPartG vorliegt (vgl. Baier in Krauskopf, soziale Krankenversicherung, § 62 SGB V Rdnr. 47). Mithin können bei der Festsetzung der Belastungsgrenze nicht ausgehend von der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 SGB II sowohl die Zuzahlungen des Klägers als auch der Beigeladenen berücksichtigt werden. Nach alledem steht dem Kläger unter Berücksichtigung der 2 %igen Belastungsgrenze in Höhe von 53,27 EUR und der von ihm geleisteten Zuzahlungen 2006 in Höhe von 85,- EUR und dem von der Beklagten bereits geleisteten Erstattungsbetrag in Höhe von 2,20 EUR ein weiterer Erstattungsbetrag für 2006 in Höhe von 29,53 EUR zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie ergibt sich aus dem anteilmäßigen Obsiegen des Klägers.
Rechtskraft
Aus
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