Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 28 SB 374/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 132/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 9. April 2014 geändert. Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 29. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. September 2011 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 22. Mai 2014 verpflichtet, bei dem Kläger ab dem 1. September 2013 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen. Der Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens zu zwei Dritteln zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der 1949 geborene Kläger begehrt die Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB).
Zuletzt war dem Kläger mit bestandskräftigem Bescheid vom 15. April 2005 ab dem 15. März 2005 ein GdB von 90 zuerkannt worden, unter Zugrundelegung folgender Funktionsbeeinträchtigungen:
- Schilddrüsenerkrankung (in Heilungsbewährung), Verlust der Schilddrüse (GdB 80),
- Funktionsbehinderung des linken Kniegelenkes, künstliches Großzehengrundgelenk links (GdB 20),
- Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen der Wirbelsäule (GdB 20).
Auf Veranlassung des Beklagten im Rahmen der Nachprüfung zur Heilungsbewährung füllte der Kläger im April 2010 ein Formular des Beklagten aus, das neben Fragen zur Behandlungshistorie im Hinblick auf die Schilddrüsenerkrankung in Heilungsbewährung auch einen Nachprüfungsantrag zur Feststellung von Verschlimmerungen bisheriger und Feststellung neuer Funktionsbeeinträchtigungen enthielt. Darin gab der Kläger an, er leide an Polyneuropathie und einer Verschiebung der Großzehengelenkprothese. Nach Beiziehung ärztlicher Behandlungsunterlagen und eines Reha-Berichtes aus dem Jahre 2005 empfahl der ärztliche Dienst des Beklagten am 16. August 2010 die Herabsetzung des Gesamt-GdB auf 30 und legte dem folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
- Verlust der Schilddrüse nach Ablauf der Heilungsbewährung (GdB 10),
- Nervenwurzelreizerscheinungen rechts, Funktionsstörung der Wirbelsäule (GdB 20),
- Großzehengrundgelenkersatz links, Funktionsstörung des linken Kniegelenkes (GdB 20).
Mit Neufeststellungsbescheid vom 29. September 2010 stellte der Beklagte fest, der GdB betrage ab Bekanntgabe des Bescheides 30. Es bestehe ab diesem Zeitpunkt eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit. Ferner hob er den Bescheid vom 15. April 2005 "entsprechend" auf.
Mit dem am 21. Oktober 2010 erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, die Absenkung des GdB auf einen Wert unter 50 sei unzutreffend. Er leide nach wie vor an den Folgen des Schilddrüsenverlustes, die durch die Substitutionstherapie nicht vollständig ausgeglichen würden. Unberücksichtigt geblieben seien ferner Schmerzen im rechten Bein und der fehlerhafte Sitz der Prothese im Großzehengrundgelenk links. Ferner halte er die Polyneuropathie mit einem Einzel-GdB von 10 für zu gering bewertet und mache schließlich auch Ohrgeräusche beidseits und eine chronische Sinusitis geltend. Der Beklagte holte daraufhin Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte ein. Der ärztliche Dienst des Beklagten gelangte am 24. Mai 2011 zu der Einschätzung, der Gesamt-GdB betrage 30 und beruhe auf folgenden Einzel-Funktionsbeeinträchtigungen:
- Polyneuropathie (GdB 10),
- Ohrgeräusche links (GdB 10),
- Verlust der Schilddrüse (GdB 10),
- Nervenwurzelreizerscheinungen rechts (GdB 10),
- Funktionsstörungen der Wirbelsäule (GdB 20),
- Großzehengrundgelenkersatz links (GdB 20),
- Funktionsstörung des linken Kniegelenkes (GdB 10).
Mit Widerspruchsbescheid vom 8. September 2011 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
Mit der am 10. Oktober 2011 erhobenen Klage hat der Kläger sich gegen die Absenkung gewandt und hilfsweise die Neufeststellung eines GdB von 50 begehrt. Das Sozialgericht hat Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte angefordert. Das Sozialgericht hat ferner den Facharzt für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und Sozialmedizin Dr. W mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Nach Untersuchung des Klägers am 2. September 2013 ist der Sachverständige in seinem Gutachten zu der Einschätzung gelangt, beim Kläger bestünden folgende Funktionsbeeinträchtigungen:
- Schilddrüsenerkrankung bei medikamentöser Substitution (ohne GdB),
- Hörminderung und Tinnitus (GdB 10),
- Zustand nach Entfernung beider Hoden (ohne GdB),
- chronische Sinusitis (GdB 20),
- geringe degenerative Veränderungen der HWS und LWS mit leichten Funktionseinschränkungen (GdB 10),
- degenerative Veränderungen der Kniegelenke, Schultergelenke, des linken Großzehengelenks mit leichten Funktionseinschränkungen (GdB 10),
- Erlebnisreaktive Störung mit depressiven Symptomen mäßiger bis mittelgradiger Ausprägung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit als stärker behindernde Störung (GdB 40),
- sensible Polyneuropathie der unteren Extremitäten ohne Einschränkung der motorischen Funktionen aber mit Missempfindungen und dadurch bedingten Schlafstörungen (GdB 20).
Insgesamt sei ein Gesamt-GdB von 40 zu bilden. Im Vordergrund hierfür stünden die psycho-reaktiven Störungen beim Kläger, die durch die übrigen festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen nicht wesentlich verschlimmert würden. Gegenüber den im Bescheid vom 15. April 2005 festgestellten Verhältnissen sei eine wesentliche Änderung im Sinne einer Verschlimmerung nicht eingetreten. Die Minderung der Teilhabefähigkeit sei vordergründig durch die psychischen Leiden begründet, die als reaktive Erlebnisstörung schwerster Erkrankung der Ehefrau aufgetreten seien.
Der Beklagte ist dem Gutachten insoweit entgegengetreten, als er die jeweiligen Einzel-GdB für Polyneuropathie und chronische Sinusitis nicht für gerechtfertigt gehalten hat. Hierzu hat der Sachverständige mit Schreiben vom 24. März 2014 dahingehend Stellung genommen, dass die chronische Sinusitis auch mit einem GdB von 10 bewertet werden könne, es handele sich nicht um sein Fachgebiet. Hingegen ist er in Bezug auf die Bewertung der Polyneuropathie bei seiner Einschätzung zu einem Einzel-GdB von 20 verblieben und hat hierbei auf erhebliche Missempfindungen mit begleitenden Schlafstörungen und feinmotorischen Störungen der sensiblen Ataxie Bezug genommen. Ebenso hat er an seiner Einschätzung zur Schwere der psychischen Leiden mit einem Einzel-GdB von 40 festgehalten.
Das Sozialgericht Potsdam hat mit Urteil vom 9. April 2014 den Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 29. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. September 2011 verpflichtet, bei dem Kläger ab dem 2. September 2013 einen Gesamt-GdB von 40 festzustellen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und dem Kläger die Erstattung von 1/3 seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten zugesprochen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es folge den Einschätzungen des Sachverständigen hinsichtlich der Bewertung der Polyneuropathie nicht. Diese sei zutreffend mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Damit habe sich in maßgeblichem Zeitraum bis zum 15. September 2011 kein Zustand der Funktionsbeeinträchtigung erweisen lassen, die die Zuerkennung eines GdB von mehr als 30 rechtfertigten. Soweit der Sachverständige eine psychische Störung mit einem Einzel-GdB von 40 festgestellt habe, folge dem die Kammer, jedoch sei insoweit maßgeblich, dass sich die Erkrankung erst aufgrund einer schwerwiegenden Erkrankung der Ehefrau des Klägers im März 2012 manifestiert habe. Anhaltspunkt für eine vor diesem Zeitpunkt liegende Einschränkung des Klägers im psychischen Bereich hätten sich weder aus den eingeholten Befundunterlagen noch den Angaben des Klägers ergeben. Damit könne die Anfechtungsklage keinen Erfolg haben. Hinsichtlich der Verpflichtungsklage seien die psychischen Störungen jedoch zu berücksichtigen, allerdings hätten diese zwar möglicherweise bereits mit dem familiären Schicksalsschlag des Klägers im März 2012 eingesetzt, seien jedoch erst ab dem Zeitpunkt der Begutachtung belegt. Hieraus folge die Zuerkennung des Gesamt-GdB ab dem 2. September 2013.
Der Beklagte hat mit Ausführungsbescheid vom 22. Mai 2014 unter teilweiser Aufhebung seines Bescheides vom 29. September 2010 und 8. September 2011 beim Kläger mit Wirkung ab dem 2. September 2013 einen GdB von 40 festgestellt.
Gegen das am 21. Mai 2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 12. Juni 2014 Berufung eingelegt, mit der er zunächst sein ursprüngliches Klagebegehren weiter verfolgt, dann jedoch von der Anfechtung der Absenkung Abstand genommen und lediglich noch die Feststellung eines GdB von 50 ab dem 1. September 2013 begehrt hat.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 9. April 2014 zu ändern und den Beklagten unter Änderung seines Bescheides vom 29. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. September 2011 in der Gestalt des Ausführungsbescheides vom 22. Mai 2014 zu verpflichten, bei ihm mit Wirkung ab dem 1. September 2013 einen GdB von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorganges des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist in dem nach teilweiser Beschränkung des Klagebegehrens noch streitgegenständlichen Umfang auch begründet, denn der Kläger hat Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50 ab dem 1. September 2013.
Rechtsgrundlage für die Feststellung des GdB ist § 69 Sozialgesetzbuch/Neuntes Buch (SGB IX) in Verbindung mit der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersmedV).
Zwischen den Beteiligten ist das Ergebnis der Beweisaufnahme insoweit unstreitig, als beim Kläger jedenfalls seit der Begutachtung durch den vom Sozialgericht bestellten Sachverständigen ein psychisches Leiden festzustellen ist, das für sich genommen mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten ist. Dem schließt sich der Senat an. Ob der Einschätzung des Sachverständigen über das Vorliegen einer Polyneuropathie, die mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten sei, zu folgen ist, kann indes dahinstehen. Zwar hat der Sachverständige Insbesondere mit der ergänzenden Stellungnahme vom 24. März 2014 dargelegt, dass beim Kläger ataktische Bewegungsstörungen beim Gehen und erhebliche Missempfindungen mit begleitenden Schlafstörungen festzustellen seien. Diese Ausführungen besäßen im Grundsatz gegenüber den Einwendungen des ärztlichen Dienstes des Beklagten für den Senat eine höhere Überzeugungskraft, weil sie aufgrund einer eigenen Anschauung und Untersuchung gewonnen worden sind und sich nicht in einer Stellungnahme nach Aktenlage erschöpfen. Jedoch hat der Sachverständige auf Seite 23 seines Gutachtens ausgeführt, die Polyneuropathie wirke sich nicht auf die motorischen Funktionen beim Gehen und Stehen aus. Der hierin liegende Widerspruch bedarf jedoch keiner Aufklärung, denn der Senat geht aufgrund der durchgängigen Feststellungen des Beklagten zu den orthopädischen Leiden des Klägers (insoweit fachfremd für den Sachverständigen) davon aus, dass beim Kläger auch weiterhin der Ersatz des Großzehengrundgelenks mit einem Einzel-GdB von 20 und Funktionsstörungen der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von ebenfalls 20 vorliegen. Es ist nicht ersichtlich, wodurch sich diese durch den Beklagten beim Kläger fortlaufend festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen in einer Weise abgemildert haben sollten, die nunmehr lediglich die Zuerkennung eines GdB von jeweils 10 rechtfertigten.
Nach Teil A 3. der vorgenannten Anlage zur VersmedV ist bei der Bemessung des Gesamt-GdB in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Diese Kriterien führen vorliegend zur Bemessung des GdB mit 50. Führendes Leiden des Klägers ist die psychische Erkrankung, die mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten ist. Hinzu treten Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule und der unteren Gliedmaßen, die jeweils für sich genommen mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten sind. Maßgeblich für die Frage nach einer Erhöhung ist die Überlegung, ob das Ausmaß der Teilhabe-Beeinträchtigung sich durch das Hinzutreten der weiteren Funktionsbeeinträchtigung signifikant gesteigert ist gegenüber der Teilhabe-Beeinträchtigung, die sich aus dem führenden Leiden ergibt. Insoweit hält es der Senat für offenkundig, dass eine Störung der körperlichen Beweglichkeit, die ihren Ausdruck in zwei GdB von jeweils 20 findet, eine so erhebliche zusätzliche Einschränkung zu einem psychischen Leiden bedeutet, dass die Anhebung des GdB zumindest um einen Grad von 10 geboten ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und trägt dem Verhältnis von Obsiegen und Abstandnahme vom ursprünglichen Klagebegehren Rechnung.
Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Tatbestand:
Der 1949 geborene Kläger begehrt die Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB).
Zuletzt war dem Kläger mit bestandskräftigem Bescheid vom 15. April 2005 ab dem 15. März 2005 ein GdB von 90 zuerkannt worden, unter Zugrundelegung folgender Funktionsbeeinträchtigungen:
- Schilddrüsenerkrankung (in Heilungsbewährung), Verlust der Schilddrüse (GdB 80),
- Funktionsbehinderung des linken Kniegelenkes, künstliches Großzehengrundgelenk links (GdB 20),
- Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen der Wirbelsäule (GdB 20).
Auf Veranlassung des Beklagten im Rahmen der Nachprüfung zur Heilungsbewährung füllte der Kläger im April 2010 ein Formular des Beklagten aus, das neben Fragen zur Behandlungshistorie im Hinblick auf die Schilddrüsenerkrankung in Heilungsbewährung auch einen Nachprüfungsantrag zur Feststellung von Verschlimmerungen bisheriger und Feststellung neuer Funktionsbeeinträchtigungen enthielt. Darin gab der Kläger an, er leide an Polyneuropathie und einer Verschiebung der Großzehengelenkprothese. Nach Beiziehung ärztlicher Behandlungsunterlagen und eines Reha-Berichtes aus dem Jahre 2005 empfahl der ärztliche Dienst des Beklagten am 16. August 2010 die Herabsetzung des Gesamt-GdB auf 30 und legte dem folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
- Verlust der Schilddrüse nach Ablauf der Heilungsbewährung (GdB 10),
- Nervenwurzelreizerscheinungen rechts, Funktionsstörung der Wirbelsäule (GdB 20),
- Großzehengrundgelenkersatz links, Funktionsstörung des linken Kniegelenkes (GdB 20).
Mit Neufeststellungsbescheid vom 29. September 2010 stellte der Beklagte fest, der GdB betrage ab Bekanntgabe des Bescheides 30. Es bestehe ab diesem Zeitpunkt eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit. Ferner hob er den Bescheid vom 15. April 2005 "entsprechend" auf.
Mit dem am 21. Oktober 2010 erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, die Absenkung des GdB auf einen Wert unter 50 sei unzutreffend. Er leide nach wie vor an den Folgen des Schilddrüsenverlustes, die durch die Substitutionstherapie nicht vollständig ausgeglichen würden. Unberücksichtigt geblieben seien ferner Schmerzen im rechten Bein und der fehlerhafte Sitz der Prothese im Großzehengrundgelenk links. Ferner halte er die Polyneuropathie mit einem Einzel-GdB von 10 für zu gering bewertet und mache schließlich auch Ohrgeräusche beidseits und eine chronische Sinusitis geltend. Der Beklagte holte daraufhin Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte ein. Der ärztliche Dienst des Beklagten gelangte am 24. Mai 2011 zu der Einschätzung, der Gesamt-GdB betrage 30 und beruhe auf folgenden Einzel-Funktionsbeeinträchtigungen:
- Polyneuropathie (GdB 10),
- Ohrgeräusche links (GdB 10),
- Verlust der Schilddrüse (GdB 10),
- Nervenwurzelreizerscheinungen rechts (GdB 10),
- Funktionsstörungen der Wirbelsäule (GdB 20),
- Großzehengrundgelenkersatz links (GdB 20),
- Funktionsstörung des linken Kniegelenkes (GdB 10).
Mit Widerspruchsbescheid vom 8. September 2011 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
Mit der am 10. Oktober 2011 erhobenen Klage hat der Kläger sich gegen die Absenkung gewandt und hilfsweise die Neufeststellung eines GdB von 50 begehrt. Das Sozialgericht hat Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte angefordert. Das Sozialgericht hat ferner den Facharzt für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und Sozialmedizin Dr. W mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Nach Untersuchung des Klägers am 2. September 2013 ist der Sachverständige in seinem Gutachten zu der Einschätzung gelangt, beim Kläger bestünden folgende Funktionsbeeinträchtigungen:
- Schilddrüsenerkrankung bei medikamentöser Substitution (ohne GdB),
- Hörminderung und Tinnitus (GdB 10),
- Zustand nach Entfernung beider Hoden (ohne GdB),
- chronische Sinusitis (GdB 20),
- geringe degenerative Veränderungen der HWS und LWS mit leichten Funktionseinschränkungen (GdB 10),
- degenerative Veränderungen der Kniegelenke, Schultergelenke, des linken Großzehengelenks mit leichten Funktionseinschränkungen (GdB 10),
- Erlebnisreaktive Störung mit depressiven Symptomen mäßiger bis mittelgradiger Ausprägung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit als stärker behindernde Störung (GdB 40),
- sensible Polyneuropathie der unteren Extremitäten ohne Einschränkung der motorischen Funktionen aber mit Missempfindungen und dadurch bedingten Schlafstörungen (GdB 20).
Insgesamt sei ein Gesamt-GdB von 40 zu bilden. Im Vordergrund hierfür stünden die psycho-reaktiven Störungen beim Kläger, die durch die übrigen festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen nicht wesentlich verschlimmert würden. Gegenüber den im Bescheid vom 15. April 2005 festgestellten Verhältnissen sei eine wesentliche Änderung im Sinne einer Verschlimmerung nicht eingetreten. Die Minderung der Teilhabefähigkeit sei vordergründig durch die psychischen Leiden begründet, die als reaktive Erlebnisstörung schwerster Erkrankung der Ehefrau aufgetreten seien.
Der Beklagte ist dem Gutachten insoweit entgegengetreten, als er die jeweiligen Einzel-GdB für Polyneuropathie und chronische Sinusitis nicht für gerechtfertigt gehalten hat. Hierzu hat der Sachverständige mit Schreiben vom 24. März 2014 dahingehend Stellung genommen, dass die chronische Sinusitis auch mit einem GdB von 10 bewertet werden könne, es handele sich nicht um sein Fachgebiet. Hingegen ist er in Bezug auf die Bewertung der Polyneuropathie bei seiner Einschätzung zu einem Einzel-GdB von 20 verblieben und hat hierbei auf erhebliche Missempfindungen mit begleitenden Schlafstörungen und feinmotorischen Störungen der sensiblen Ataxie Bezug genommen. Ebenso hat er an seiner Einschätzung zur Schwere der psychischen Leiden mit einem Einzel-GdB von 40 festgehalten.
Das Sozialgericht Potsdam hat mit Urteil vom 9. April 2014 den Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 29. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. September 2011 verpflichtet, bei dem Kläger ab dem 2. September 2013 einen Gesamt-GdB von 40 festzustellen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und dem Kläger die Erstattung von 1/3 seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten zugesprochen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es folge den Einschätzungen des Sachverständigen hinsichtlich der Bewertung der Polyneuropathie nicht. Diese sei zutreffend mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Damit habe sich in maßgeblichem Zeitraum bis zum 15. September 2011 kein Zustand der Funktionsbeeinträchtigung erweisen lassen, die die Zuerkennung eines GdB von mehr als 30 rechtfertigten. Soweit der Sachverständige eine psychische Störung mit einem Einzel-GdB von 40 festgestellt habe, folge dem die Kammer, jedoch sei insoweit maßgeblich, dass sich die Erkrankung erst aufgrund einer schwerwiegenden Erkrankung der Ehefrau des Klägers im März 2012 manifestiert habe. Anhaltspunkt für eine vor diesem Zeitpunkt liegende Einschränkung des Klägers im psychischen Bereich hätten sich weder aus den eingeholten Befundunterlagen noch den Angaben des Klägers ergeben. Damit könne die Anfechtungsklage keinen Erfolg haben. Hinsichtlich der Verpflichtungsklage seien die psychischen Störungen jedoch zu berücksichtigen, allerdings hätten diese zwar möglicherweise bereits mit dem familiären Schicksalsschlag des Klägers im März 2012 eingesetzt, seien jedoch erst ab dem Zeitpunkt der Begutachtung belegt. Hieraus folge die Zuerkennung des Gesamt-GdB ab dem 2. September 2013.
Der Beklagte hat mit Ausführungsbescheid vom 22. Mai 2014 unter teilweiser Aufhebung seines Bescheides vom 29. September 2010 und 8. September 2011 beim Kläger mit Wirkung ab dem 2. September 2013 einen GdB von 40 festgestellt.
Gegen das am 21. Mai 2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 12. Juni 2014 Berufung eingelegt, mit der er zunächst sein ursprüngliches Klagebegehren weiter verfolgt, dann jedoch von der Anfechtung der Absenkung Abstand genommen und lediglich noch die Feststellung eines GdB von 50 ab dem 1. September 2013 begehrt hat.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 9. April 2014 zu ändern und den Beklagten unter Änderung seines Bescheides vom 29. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. September 2011 in der Gestalt des Ausführungsbescheides vom 22. Mai 2014 zu verpflichten, bei ihm mit Wirkung ab dem 1. September 2013 einen GdB von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorganges des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist in dem nach teilweiser Beschränkung des Klagebegehrens noch streitgegenständlichen Umfang auch begründet, denn der Kläger hat Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50 ab dem 1. September 2013.
Rechtsgrundlage für die Feststellung des GdB ist § 69 Sozialgesetzbuch/Neuntes Buch (SGB IX) in Verbindung mit der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersmedV).
Zwischen den Beteiligten ist das Ergebnis der Beweisaufnahme insoweit unstreitig, als beim Kläger jedenfalls seit der Begutachtung durch den vom Sozialgericht bestellten Sachverständigen ein psychisches Leiden festzustellen ist, das für sich genommen mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten ist. Dem schließt sich der Senat an. Ob der Einschätzung des Sachverständigen über das Vorliegen einer Polyneuropathie, die mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten sei, zu folgen ist, kann indes dahinstehen. Zwar hat der Sachverständige Insbesondere mit der ergänzenden Stellungnahme vom 24. März 2014 dargelegt, dass beim Kläger ataktische Bewegungsstörungen beim Gehen und erhebliche Missempfindungen mit begleitenden Schlafstörungen festzustellen seien. Diese Ausführungen besäßen im Grundsatz gegenüber den Einwendungen des ärztlichen Dienstes des Beklagten für den Senat eine höhere Überzeugungskraft, weil sie aufgrund einer eigenen Anschauung und Untersuchung gewonnen worden sind und sich nicht in einer Stellungnahme nach Aktenlage erschöpfen. Jedoch hat der Sachverständige auf Seite 23 seines Gutachtens ausgeführt, die Polyneuropathie wirke sich nicht auf die motorischen Funktionen beim Gehen und Stehen aus. Der hierin liegende Widerspruch bedarf jedoch keiner Aufklärung, denn der Senat geht aufgrund der durchgängigen Feststellungen des Beklagten zu den orthopädischen Leiden des Klägers (insoweit fachfremd für den Sachverständigen) davon aus, dass beim Kläger auch weiterhin der Ersatz des Großzehengrundgelenks mit einem Einzel-GdB von 20 und Funktionsstörungen der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von ebenfalls 20 vorliegen. Es ist nicht ersichtlich, wodurch sich diese durch den Beklagten beim Kläger fortlaufend festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen in einer Weise abgemildert haben sollten, die nunmehr lediglich die Zuerkennung eines GdB von jeweils 10 rechtfertigten.
Nach Teil A 3. der vorgenannten Anlage zur VersmedV ist bei der Bemessung des Gesamt-GdB in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Diese Kriterien führen vorliegend zur Bemessung des GdB mit 50. Führendes Leiden des Klägers ist die psychische Erkrankung, die mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten ist. Hinzu treten Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule und der unteren Gliedmaßen, die jeweils für sich genommen mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten sind. Maßgeblich für die Frage nach einer Erhöhung ist die Überlegung, ob das Ausmaß der Teilhabe-Beeinträchtigung sich durch das Hinzutreten der weiteren Funktionsbeeinträchtigung signifikant gesteigert ist gegenüber der Teilhabe-Beeinträchtigung, die sich aus dem führenden Leiden ergibt. Insoweit hält es der Senat für offenkundig, dass eine Störung der körperlichen Beweglichkeit, die ihren Ausdruck in zwei GdB von jeweils 20 findet, eine so erhebliche zusätzliche Einschränkung zu einem psychischen Leiden bedeutet, dass die Anhebung des GdB zumindest um einen Grad von 10 geboten ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und trägt dem Verhältnis von Obsiegen und Abstandnahme vom ursprünglichen Klagebegehren Rechnung.
Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
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