L 29 SF 314/15 AB

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
29
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 30 SF 508/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 29 SF 314/15 AB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Gesuche an das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, über den Befangenheitsantrag zu entscheiden oder eine Zuständigkeitsbestimmung vorzunehmen, werden als unzulässig verworfen.

Gründe:

Mit Schriftsatz vom 1. Oktober 2015 hat Rechtsanwalt L "namens und in Vollmacht der Mandantschaft zunächst den Vorsitzenden Richter der Kostenkammer, Herrn M D, wegen Besorgnis der Befangenheit" abgelehnt. Er sei nicht in der Lage, Kostensachen unvoreingenommen zu entscheiden, weil er vom Jobcenter OSL im Rahmen einer gewerblichen Nebentätigkeit bezahlt würde und damit rechnen müsse, bei Entscheidungen gegen die Behörde von dieser keine Aufträge mehr zu erhalten. Außerdem lehnte er "ferner- auch im Namen des Klägers- sämtliche Vertreter des abgelehnten Richters und deren jeweilige Vertreter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Es stehe zu befürchten, dass die abgelehnten Richter einer Entscheidung über das Befangenheitsgesuch schon deshalb nicht unvoreingenommen gegenüberstünden, weil im Falle einer erfolgreichen Ablehnung die Arbeit der Kostenkammer durch diese übernommen werden müsse. Eine konkrete Vollmacht für das Verfahren hat Rechtsanwalt L nicht vorgelegt.

Im Hinblick auf den Befangenheitsantrag gegen alle Richter des Sozialgerichts Cottbus hat das Sozialgericht Cottbus den Rechtsstreit dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg "mit der Bitte um Entscheidung über den inzident gestellten Befangenheitsantrag bzw. Zuständigkeitsbestimmung" vorgelegt.

Die Anträge sind unzulässig.

Für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen gelten die §§ 41-46 Abs. 1 und die §§ 47-49 der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend (§ 60 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG). Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen; der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen (§ 44 Abs. 2 ZPO). Gemäß § 45 Abs. 1 ZPO entscheidet über das Ablehnungsgesuch das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung. Wird ein Richter beim Amtsgericht abgelehnt, so entscheidet ein anderer Richter des Amtsgerichts über das Gesuch (§ 45 Abs. 2 S. 2 ZPO). Wird das zur Entscheidung berufene Gericht durch Ausscheiden des abgelehnten Mitglieds beschlussunfähig, so entscheidet das im Rechtszug zunächst höhere Gericht (§ 45 Abs. 3 ZPO).

Gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 1 SGG wird das zuständige Gericht innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit durch das gemeinsame nächsthöhere Gericht bestimmt, wenn das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Falle an der Ausübung der Gerichtsbarkeit rechtlich oder tatsächlich verhindert ist. Zur Feststellung der Zuständigkeit kann jedes mit dem Rechtsstreit befasste Gericht und jeder am Rechtsstreit Beteiligte das im Rechtszug höhere Gericht anrufen, das ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 58 Abs. 2 SGG).

Nach diesen Regelungen hat der erkennende Senat weder über die Anrufung nach § 58 SGG noch über die Befangenheitsgesuche in der Sache selbst zu entscheiden, weil beide Anträge unzulässig sind.

Die Anrufung des Gerichts zur Bestimmung des zuständigen Sozialgerichts nach § 58 SGG ist schon deshalb unzulässig, weil gemäß § 45 Abs. 3 ZPO im Falle einer Beschlussunfähigkeit des zur Entscheidung berufenen Sozialgerichts Cottbus nicht ein anderes Sozialgericht innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit über die Befangenheitsanträge zu entscheiden hätte, sondern dass zunächst höhere Gericht, also hier das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg. Folglich wäre in einem solchen Fall einer (kompletten) Beschlussunfähigkeit eines Sozialgerichts nicht ein anderes Sozialgericht zur Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch zu bestimmen.

Auch die Anrufung zur Entscheidung über die Befangenheitsanträge ist unzulässig, weil das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hierfür nicht zuständig ist.

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg kann nach dem klaren Wortlaut der gesetzlichen Regelung des § 60 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 45 Abs. 3 ZPO erst dann zu einer Entscheidung über die Befangenheitsanträge berufen sein, wenn "das zur Entscheidung berufene Gericht durch Ausscheiden des abgelehnten Mitglieds beschlussunfähig" wird. Da über das Ablehnungsgesuch durch Richter des Sozialgerichts Cottbus grundsätzlich zu entscheiden ist (§ 45 Abs. 2 S. 2 ZPO), kommt eine Entscheidung durch das Landessozialgericht mithin erst in Betracht, wenn sämtliche Richter und Richterinnen am Sozialgericht Cottbus "ausscheiden" im Sinne von § 45 Abs. 3 ZPO. Die Zuständigkeit des übergeordneten Gerichts tritt gemäß § 45 Abs. 3 ZPO mit anderen Worten erst ein, wenn das gemäß § 45 Abs. 1 ZPO zuständige Gericht, dem der abgelehnte Richter angehört, infolge der verbotenen Mitwirkung nach § 44 Absatz 1 ZPO beschlussunfähig wird, d.h. keine ordnungsgemäße Besetzung (§ 22, 75, 105, 122 GVG) mehr aufbieten kann; dafür müsste auch die Vertretungsregelung erschöpft sein (vergleiche Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 35. Aufl., 2014, § 45 Rn. 5).

Vorliegend bedeutet dies, dass eine Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg über die Befangenheitsanträge erst dann in Betracht kommt, wenn sämtliche 25 Richterinnen und Richter des Sozialgerichts Cottbus nach Ausschöpfung des Geschäftsverteilungsplanes des Sozialgerichts Cottbus zur Entscheidung ausgeschieden sind. Eine solche Situation ist jedoch nicht ansatzweise erkennbar.

Zwar hat der Rechtsanwalt nicht nur den Richter am Sozialgericht D, sondern "sämtliche Vertreter des abgelehnten Richters und deren jeweilige Vertreter" und damit wohl letztlich alle weiteren 24 Richterinnen und Richter am Sozialgericht Cottbus ablehnen wollen.

Es ist jedoch schon zweifelhaft, ob überhaupt ein wirksames Ablehnungsgesuch vorliegt, weil der Rechtsanwalt zwar behauptet, "namens und in Vollmacht der Mandantschaft" aufzutreten, eine konkrete Vollmacht für das Verfahren aber nicht vorlegt. Es besteht daher der Verdacht, dass der Rechtsanwalt auch hier- wie in zahlreichen anderen gerichtsbekannten Verfahren- als vollmachtloser Vertreter auftritt. In wessen Namen gehandelt wird ist auch deshalb zweifelhaft, weil der Rechtsanwalt die übrigen Richter des Sozialgerichts Cottbus "im Namen des Klägers" ablehnt, ein Kläger in diesem Verfahren aber gar nicht existiert, sondern lediglich drei Klägerinnen.

Zudem sind die Ablehnungsgesuche zumindest was die Ablehnungen der nicht einmal namentlich benannten Richterinnen und Richter angeht, als offensichtlich unzulässig anzusehen, weil eine pauschale Ablehnung eines gesamten Gerichts oder Senats ohne Vortrag der Befangenheitsgründe, die sich individuell auf den oder die beteiligten Richter beziehen, rechtsmissbräuchlich ist (vergleiche Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 11. März 2013,1 BvR 2853/11, zitiert nach juris, mit weiteren Nachweisen). Entsprechend hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg auch schon in mehreren gleich gelagerten Verfahren identische Befangenheitsgesuche des Rechtsanwalts als rechtsmissbräuchlich angesehen (vergleiche 31. Senat, Beschluss vom 15. Oktober 2015, L 31 SF 274/15 AB, 32. Senat, Beschluss vom 29. Oktober 2015, L 32 SF 288/15 AB und wohl auch 19. Senat, Beschluss vom 20. Oktober 2015, L 19 SF 277/15 AB). Die von dem Rechtsanwalt als Befangenheitsgrund letztlich erhobene Behauptung, die übrigen 24 Richterinnen und Richter würden eine eventuell entstehende Arbeit scheuen, ist zu einer Glaubhaftmachung einer Voreingenommenheit nicht ansatzweise geeignet. Sie erfüllt demgegenüber wohl eher den Tatbestand einer kollektiven Beleidigung dieser weiteren 24 Richterinnen und Richter am Sozialgericht Cottbus (vergleiche OLG München, Beschluss vom 18. Dezember 2013, 4 OLG 13 Ss 571/13, mit weiteren Nachweisen, zitiert nach juris).

Liegt somit jedoch ein rechtsmissbräuchliches Befangenheitsgesuch vor, so ist der abgelehnte Richter trotz des rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuches entgegen § 45 Absatz 1 ZPO und entsprechend des Rechtsgedankens aus § 26a Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) nicht an einer weiteren Mitwirkung gehindert, damit ein aufwendiges und zeitraubendes Ablehnungsverfahren verhindert werden kann (ständige Rechtsprechung, siehe Bundesverfassungsgericht, a.a.O., mit weiteren Nachweisen). Trotz der rechtsmissbräuchlichen Ablehnung wohl aller Richterinnen und Richter am Sozialgericht Cottbus ist damit eine Entscheidung durch das Sozialgericht Cottbus weiterhin möglich.

Soweit der 32. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg in seiner oben genannten Entscheidung vom 29. Oktober 2015 die Ansicht vertritt, es stünde im Ermessen eines rechtsmissbräuchlich abgelehnten Richters den Rechtsstreit zur Entscheidung dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg vorlegen, folgt dem der erkennende Senat nicht.

Es kann dahinstehen, ob es überhaupt im freien "Ermessen" eines abgelehnten Richters steht, bei einem rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuch dieses an andere zur Entscheidung zu verweisen. Hieran bestehen Zweifel, weil grundsätzlich auch ein rechtsmissbräuchlich abgelehnter Richter der gesetzliche Richter nach Art. 101 Absatz 1 S. 2 GG bleibt und deshalb selbst an einer rein formalen Prüfung des Ablehnungsgesuches nicht gehindert ist (vergleiche BVerfG, a.a.O., mit weiteren Nachweisen). Selbst wenn jedoch ein abgelehnter Richter Zweifel an der Rechtsmissbräuchlichkeit des Ablehnungsgesuches hat und sich deshalb an einer eigenen Entscheidung über das Ablehnungsgesuch gehindert sieht, führt dies zunächst zum Eingreifen der Vertretungsregelung nach dem Geschäftsverteilungsplan des jeweiligen Gerichts. Vorliegend also der Notwendigkeit einer Entscheidung über den Antrag durch eine Vertretung am SG Cottbus.

Demgegenüber tritt nach der eindeutigen Regelung des § 45 Abs. 3 ZPO eine Zuständigkeit des Landessozialgerichts erst bei einer Beschlussunfähigkeit des gesamten Sozialgerichts ein. Mithin müssten alle 25 im Geschäftsverteilungsplan des zuständigen Sozialgerichts Cottbus vorgesehene Richterinnen und Richter zur Entscheidung "ausgeschieden" sein. Bei Ablehnungsgesuchen kann ein solcher Zustand jedoch allenfalls dann eintreten, wenn sämtliche Richterinnen und Richter sich an einer Entscheidung gehindert sehen und die Sache zur Entscheidung dem jeweiligen Vertreter vorgelegt haben. Dies ist vorliegend aber nicht der Fall. Es ist vielmehr gerade nicht ersichtlich, dass sämtliche 25 Richterinnen und Richter am Sozialgericht Cottbus sich im Fall der rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuche an einer Entscheidung gehindert sehen und dadurch das Sozialgericht letztlich beschlussunfähig würde. Nicht einmal die nach dem Geschäftsverteilungsplan des Sozialgerichts Cottbus zuständige weitere Vertretung wurde um eine Entscheidung ersucht. Kann aber auch nur eine einzige Richterin oder ein einziger Richter- in der Reihenfolge ihrer Vertretungszuständigkeit- über das rechtsmissbräuchliche Ablehnungsgesuch selbst entscheiden, so entwickelt sich die Entscheidungskette wieder in die ursprüngliche Richtung zurück und das Sozialgericht ist insgesamt nicht beschlussunfähig und damit das Landessozialgericht nicht zur Entscheidung berufen.

Gegen diesen Beschluss ist eine Beschwerde nicht statthaft (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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