Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 392/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 325/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 16. Dezember 2013 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) sowie die Überprüfung im Wege des Zugunstenverfahrens streitig.
Zuletzt mit Bescheid vom 24. April 2006 wurde bei der Klägerin ein GdB von 30 seit 6. Februar 2006 wegen Knorpelschäden an beiden Kniegelenken, Funktionsbehinderung beider Kniegelenke sowie Schwerhörigkeit links mit Ohrgeräuschen festgestellt.
Am 20. oder 21. August 2008 stürzte die Klägerin bei ihrer versicherungspflichtigen Tätigkeit von einer Leiter auf die linke Hand. Dabei zog sie sich eine distale Radiusfraktur zu. Im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens beim Sozialgericht Konstanz (SG) wurde sie von dem Handchirurgen Dr. K. begutachtet, der Bewegungseinschränkungen des linken Handgelenks gegenüber dem rechten um 50° wie der Langfinger beschrieb, sodass eine Kraftminderung zu verzeichnen sei. Der Klägerin gelinge nur ein inkompletter Faustschluss. Sie müsse wegen der Schmerzen zwei- bis dreimal täglich Ibuprofen 600 einnehmen. Die Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution verpflichtete sich am 7. März 2013 im Wege des Vergleichs, bei der Klägerin eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v. H. anzuerkennen und ihr deswegen Verletztenrente zu gewähren (S 11 U 2593/11).
Ihr Antrag auf Neufeststellung des GdB vom 15. Februar 2010 wegen der hinzugetretenen Funktionsbehinderung des linken Handgelenks wurde nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme mit bestandskräftigem Bescheid vom 19. Juli 2010 abgelehnt.
Am 10. Dezember 2010 beantragte die Klägerin wegen Schmerzen, Gefühlsstörungen und Bewegungseinschränkungen am linken Handgelenk und am linken Arm sowie einer Varikosis im rechten Unterschenkel die Überprüfung des Bescheides vom 19. Juli 2010 sowie die Neufeststellung des GdB.
In seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme führte Dr. G. aus, die Funktionsbehinderung des linken Schultergelenks sei nur minimal und am rechten Schultergelenk nicht nachgewiesen. Die Knorpelschäden an beiden Kniegelenken seien anerkannt, es liege kein neuerer orthopädischer Fachbericht über Kniegelenksveränderungen vor. Die Schwerhörigkeit mit Tinnitus sei korrekt auf 20 aufgerundet worden. Nachdem auch die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule unter 10 lägen, sei der GdB weiter mit 30 einzuschätzen.
Gestützt hierauf wies der Beklagte mit Bescheid vom 2. Dezember 2011 den Neufeststellungsantrag mit der Begründung ab, eine wesentliche Veränderung liege nicht vor. Mit weiterem Bescheid vom gleichen Tag lehnte der Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 19. Juli 2011 ab, da bei Erlass des Verwaltungsaktes weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei.
Die hiergegen erhobenen Widersprüche wurden mit Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 2012 hinsichtlich des Überprüfungsantrags und mit Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 2012 hinsichtlich der Neufeststellung nach Einholung einer versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Z. abgelehnt.
Hiergegen hat die Klägerin jeweils am 16. Februar 2012 Klage beim SG erhoben (S 1 SB 392/12 und S 1 SB 394/12). Das SG hat die beiden Verfahren mit Beschluss vom 17. Juli 2012 unter dem Aktenzeichen S 1 SB 392/12 verbunden.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das SG die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt, die Akten der Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution betreffend den Arbeitsunfall vom 21. August 2008 beigezogen und die Klägerin anschließend neurologisch-psychiatrisch begutachten lassen. In seinem für den Unfallversicherungsträger erstatteten neurologisch-psychiatrischen Fachgutachten hat Dr. P. beschrieben, dass beim Hantieren mit der linken Hand keine Auffälligkeiten bestünden (Herausholen des Ausweises aus Geldbeutel und der Unterlagen aus einem Umschlag; An- und Auskleiden). In der sozialen Anamnese hat er festgehalten, dass die mittlerweile berentete Klägerin glücklich verheiratet sei, einen guten Freundes- und Bekanntenkreis habe, auch zur Nachbarschaft bestünden gute Kontakte. Sie mache vollumfänglich den Haushalt, gehe in den Garten und kümmere sich um die Pflanzen. Zuhause müsse sie 3 Stockwerke betreuen, Einkäufe mache sie, sie koche auch, "meine Männer bekommen immer etwas", vor kurzem sei sie im Urlaub in der Türkei gewesen. Der Sachverständige hat deswegen nur eine diskrete Gebrauchseinschränkung der linken Hand sowie einen Zustand nach CRPS, vollständige Restitutio der traumatischen CTS [Karpaltunnelsyndrom] festgestellt, diese mit einer MdE unter 10 v.H. bewertet und den psychopathologischen Befund völlig unauffällig erachtet.
Der Neurologe und Psychiater Dr. Z. hat über ein traumatisches Karpaltunnelsyndrom links bei Zustand nach Neurolyse mit persistierender Neuralgie sowie einen beginnenden Morbus Sudeck [komplexes regionales Schmerzsyndrom, auch CRPS] berichtet, wofür ein Einzel-GdB von 30 angemessen sei. Die mittlerweile ängstlich-agitierte Depression begründe einen weiteren Einzel-GdB von 30. Der Chirurg und Unfallchirurg Dr. B. hat über die Begutachtung vom 8. April 2011 berichtet, wonach er den Gesamt-GdB auf 50 ausgehend von einer Bewegungseinschränkung des linken Handgelenks mit einem GdB von 40 und einer Handwurzelarthrose mit einem GdB von 20 einschätze. Der Chirurg und Orthopäde Dr. M. hat wiederum für die Handverletzung einen Einzel-GdB von 20 für ausreichend erachtet. Dr. Z. von der Schmerzambulanz des Zollernalb-Klinikums hat über die Behandlung des neuropathischen Schmerzsyndroms mit Infiltrationen einschließlich medikamentöser Neueinstellung berichtet, die zu einer deutlichen Schmerzreduktion geführt hätten.
Daraufhin hat der Beklagte ein Vergleichsangebot des Inhalts unterbreitet, dass ab 15. Februar 2010 ein Gesamt-GdB von 40 anerkannt werde. Die Klägerin hat dieses Vergleichsangebot im Hinblick auf ihre psychischen Beeinträchtigungen nicht angenommen.
Der Neurologe und Psychiater Dr. W. hat in seinem Gutachten vom 16. April 2013 mit ergänzender Stellungnahme vom 29. August 2013 ausgeführt, bei der Klägerin liege eine Gefühlsstörung am Unterarm sowie der Hand, eine Beugeschwäche im Handgelenk und der Finger links nach distaler Radiusfraktur 2008 sowie der Verdacht auf ein abgelaufenes CRPS vor. Eine relevante Depression sei nicht erkennbar, vielmehr sei die Klägerin psychisch völlig unauffällig, die Stimmungslage ausgeglichen, die geltend gemachten Beschwerden glaubhaft und nachvollziehbar. Die linke Hand könne sie beim An-und Auskleiden einsetzen, den Reißverschluss schließen, auch Schnürsenkel binden. Nach der distalen Radiusfraktur und einem komplexen regionalen Schmerz-Syndrom mit Morbus Sudeck bestünden noch Restbeschwerden. Trophische Störungen seien nicht mehr nachweisbar, sodass das derzeitige Beschwerdebild einem Restzustand zuzurechnen sei. Dies begründe, dass die Klägerin die Hand und Finger links nur noch vermindert einsetzen könne, wenngleich sie die linke Hand beim An- und Auskleiden verwende und mit ihrer Hilfe auch Schnürsenkel binden könne. Das Ausmaß der Behinderung entspreche nicht einem kompletten Ausfall des Nervus medianus, sondern sei allenfalls mit einer inkompletten proximalen Medianusschädigung, auch unter Berücksichtigung der Schmerzen, wenngleich die Klägerin nur Ibuprofen einnehme, vergleichbar. Deswegen sei ein Einzel-GdB von 30 angemessen. Unter Berücksichtigung der weiteren Behinderungen erachte er einen Gesamt-GdB von 50 für angemessen.
Mit Urteil vom 16. Dezember 2013 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 2. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2012 verurteilt, den Bescheid vom 19. Juli 2010 aufzuheben und bei der Klägerin einen GdB von 40 ab 15. Februar 2010 anzuerkennen (Ziffer 1), den Bescheid vom 2. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Februar 2012 aufzuheben und bei der Klägerin einen GdB von 40 ab Dezember 2010 anzuerkennen (Ziffer 2) sowie im Übrigen die Klagen abgewiesen (Ziffer 3). Es hat sich dem Gutachten des Dr. W. nicht anschließen können.
Hiergegen hat die Klägerin am 23. Januar 2014 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) unter Weiterverfolgung ihres Begehrens eines Gesamt-GdB von 50 bereits ab 15. Februar 2010 eingelegt und vorgetragen, die Depression sei nicht ausreichend berücksichtigt worden. Dr. W. habe sie ein Jahr nach der Begutachtung im Unfallrentenverfahren untersucht, dabei eine wesentliche Verschlimmerung insbesondere im Hinblick auf das Schmerzsyndrom festgestellt.
Der Senat die Unfallakte des SG (S 11 U 2593/11) beigezogen und die Klägerin nach Durchführung eines Erörterungstermins vom 30. September 2014 auf eigenes Kostenrisiko begutachten lassen.
Der Neurologe und Psychiater Dr. L. hat in seinem Gutachten vom 13. Januar 2015 ein schmerzhaftes Wirbelsäulensyndrom mit ausstrahlenden Beschwerden, vertebragene Kopfschmerzen und Schwindelbeschwerden sowie Lumbalgien und Ischalgie linksseitig, letztere ohne radikuläre Ausfälle (Einzel-GdB 30), eine Meralgia paraestetica [Nervenkompressionssyndrom des Nervus cutaneus femoris lateralis im Bereich des Leistenbands] links (Einzel-GdB 10), brennende Missempfindungen nach chronisch regionalem Schmerzsyndrom und posttraumatischem Karpaltunnelsyndrom linksseitig bei auch degenerativen Veränderungen im Handwurzelbereich, der Mittelhandknochen und einer Rhizarthrose (Einzel-GdB 30), zuletzt auch eine Hypakusis [Schwerhörigkeit] und ein Tinnitus (Einzel-GdB 20) diagnostiziert. Dazu zu berücksichtigen sei ein fachfremd vergebener GdB von 20 für Knorpelschäden und die Funktionsbehinderung im Bereich beider Kniegelenke, so dass ein Gesamt-GdB von 50 durchaus gerechtfertigt sei. Im Vergleichsangebot des Beklagten seien das schmerzhafte Wirbelsäulensyndrom und die Meralgia paraestetica nicht erfasst worden. Sozialanamnestisch hat der Sachverständige als Hobby über Gartenarbeiten sowie zwei- bis dreimal wöchentliches Aufpassen auf die Enkel berichtet. Die Klägerin könne noch ihren Haushalt versorgen und koche auch. Sie nehme 2400 mg eines Schmerzmittels ein, wobei der Serumnachweis darauf hindeute, dass das Medikament nicht wie angegeben regelmäßig eingenommen werde.
Der Beklagte hat hierzu eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. R. vorgelegt, wonach der Einschätzung im nervenärztlichen Gutachten von Dr. L. nicht gefolgt werden könne. Die berichtete Medikamentenanamnese entspreche einem Schmerzstadium nach WHO Stufe 1. Hinsichtlich des Achsenskeletts werde zwar eine verspannte paravertebrale Muskulatur der HWS und LWS, jedoch keine Nervendehnungszeichen beschrieben, Stehen und Gehen sei frei, das Muskelkorsett unauffällig. Weder die objektiven Befunde noch die hieraus ableitbaren Funktionsstörungen könnten deswegen einen Teil-GdB von 30 begründen. Die Handbeschwielung sei unauffällig und seitengleich, sodass insoweit ein höherer Teil-GdB nicht angemessen sei.
In seiner ergänzenden Stellungnahme hat Dr. L. am 9. Juli 2015 ausgeführt, dass die Meralgia paraestetica nach seiner nervenärztlichen Erfahrung nicht therapierbar sei. Das Wirbelsäulensyndrom habe er deswegen als mittelschwer eingeordnet, weil es auch Kopfschmerzen und Schwindel umfasse. Die Handgelenksschmerzen habe er als durchaus nachvollziehbar angesehen. Auch unter Berücksichtigung des Tagesablaufs erachte er weiterhin den Gesamt-GdB von 50 für gerechtfertigt.
Dr. R. ist in seiner weiteren versorgungsärztliche Stellungnahme dabei geblieben, dass weder hinsichtlich der Handgelenksschmerzen noch der Einschränkungen seitens der Wirbelsäule objektive Befunde dokumentiert seien, die jeweils einen Teil-GdB von 30 begründen könnten. Die Handbehinderung müsse in Art und Ausprägung so schwerwiegend sein wie der Verlust von zwei Fingern mit Einschluss des Daumens, ein kompletter Ausfall des Speichen- oder Ellennervens bzw. eine schwergradige Bewegungseinschränkung des Handgelenks.
Die Klägerin beantragt (teilweise sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 16. Dezember 2013 abzuändern sowie den Bescheid vom 2. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2012 aufzuheben sowie den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid vom 19. Juli 2010 zurückzunehmen und den GdB mit 50 ab 15. Februar 2010 festzustellen und den Bescheid vom 2. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Februar 2012 aufzuheben sowie den Beklagten zu verpflichten, den GdB mit 50 ab Dezember 2010 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Er erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt (Schriftsätze vom 1. September 2015 und 14. September 2015).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist unbegründet. Das SG hat den Klagen zu Recht nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattgegeben, denn die angefochtenen Bescheide sind nur teilweise rechtswidrig und verletzen die Klägerin insoweit in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft. Das hat das SG in Auswertung der sachverständigen Zeugenaussagen und des eingeholten Gutachtens von Dr. W. überzeugend dargelegt, weswegen der Senat ergänzend auf die Entscheidungsgründe des SG nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug nimmt. Die Ermittlungen des Senats, insbesondere das Gutachten von Dr. L., rechtfertigen keine andere Einschätzung.
Das Begehren der Klägerin auf Überprüfung des Bescheides vom 19. Juli 2010 richtet sich verfahrensrechtlich nach § 44 SGB X. Grundlage für die beanspruchte teilweise Rücknahme des Bescheides vom 28. September 2004 ist § 44 Abs. 2 SGB X. Dabei handelt es sich um einen "Auffangtatbestand" für Fälle, in denen § 44 Abs. 1 SGB X nicht anwendbar ist (BSG, Urteil vom 16. Februar 2012 - B 9 SB 2/11 R -, SozR 4-3250 § 69 Nr. 14, Rz. 17; vgl. Steinwedel, in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand: Juni 2015, § 44 SGB X Rz. 5, 46). So verhält es sich hier, da die streitige Feststellung nach dem Schwerbehindertenrecht insbesondere keine Sozialleistung im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist (vgl. BSG, Urteil vom 29. Mai 1991 - 9a/9 RVs 11/89 -, BSGE 69, 14 (16 ff.)). Somit besteht kein Rechtsanspruch auf eine Rücknahme für die Vergangenheit.
§ 44 Abs. 2 Satz 1 SGB X in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 setzt voraus, dass sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Gemäß § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X kann die getroffene Regelung auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die dem für die Vergangenheit (teilweise) zurückzunehmenden Verwaltungsakt zugrunde liegenden tatsächlichen Voraussetzungen müssen offenkundig sein (vgl. BSG, Urteil vom 29. Mai 1991 - 9a/9 RVs 11/89 -, BSGE 69, 14; Urteil des Senats vom 21. Februar 2013 - L 6 SB 4007/12 - juris, Rz. 28; Beschluss des Senats vom 12. Oktober 2011 - L 6 SB 5658/10 -, juris, Rz. 24). Diese Einschränkung folgt nicht aus § 4 SchwbG beziehungsweise § 69 SGB IX oder § 6 Abs. 1 Satz 2 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV), sondern rechtfertigt sich im Hinblick auf das nach § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X auszuübende Verwaltungsermessen (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 SB 3/10 R -, SozR 4-3250 § 69 Nr. 13, Rz. 28 m. w. N.; von Steinäcker, Behindertenrecht 2006, S. 98 (100)). Maßgebend ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Bekanntgabe der letzten, das Verwaltungsverfahren abschließenden Behördenentscheidung (vgl. BSG, Urteile vom 4. November 1998 - B 13 RJ 27/98 R -, juris, Rz. 15 und 3. April 2001 - B 4 RA 22/00 R -, BSGE 88, 75 (81)), wobei neuere rechtliche Erkenntnisse zu berücksichtigen sind (vgl. BSG, Urteile vom 25. Oktober 1984 - 11 RAz 3/83 -, BSGE 57, 209 (210) und 26. Januar 1988 - 2 RU 5/87 -, BSGE 63, 18 (23)).
Die Voraussetzungen des § 44 SGB X liegen nur in dem vom SG festgestellten Umfang vor. Der Bescheid vom 19. Juli 2010 erweist sich nur insoweit als rechtswidrig, als ab 15. Februar 2010 der Gesamt-GdB 40 beträgt (siehe unten).
Rechtsgrundlage für die beanspruchte Feststellung des GdB mit 50 mit Wirkung ab Dezember 2010 ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Nach dieser Vorschrift ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten der Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X). Eine wesentliche Änderung liegt vor, soweit der Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen nicht mehr so erlassen werden dürfte, wie er ergangen war. Die Änderung muss sich nach dem zugrundeliegenden materiellen Recht auf den Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes auswirken. Das ist bei einer tatsächlichen Änderung nur dann der Fall, wenn diese so erheblich ist, das sie rechtlich zu einer anderen Bewertung führt. Von einer wesentlichen Änderung ist im vorliegenden Zusammenhang bei einer Verschlechterung im Gesundheitszustand der Klägerin auszugehen, wenn aus dieser die Erhöhung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 folgt, wobei das Hinzutreten weiterer Funktionsstörungen mit einem Einzel-GdB von 10 allerdings regelmäßig ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB bleibt (vgl. VG, Teil A, Nr. 7 a; BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 6/12 R - SozR 4-1300 § 48 Nr. 26). Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt (teilweise) aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG, Urteil vom 22. Oktober 1986 - 9a RVs 55/85 - SozR 1300 § 48 Nr. 29 m. w. N.). Die Feststellung einer wesentlichen Änderung setzt einen Vergleich der Sach- und Rechtslage bei Erlass des aufzuhebenden Verwaltungsaktes und zum Zeitpunkt der Überprüfung voraus (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2010 - B 9 V 2/10 R - SozR 4-3100 § 35 Nr. 5 m. w. N.; Schütze, in von Wulffen/Schütze, Kommentar zum SGB X, 8. Aufl. 2014, § 48 Rz. 4). Die gerichtliche Nachprüfung richtet sich, bezogen auf die tatsächlichen Verhältnisse, in Fällen einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 54 Rz. 34; vgl. auch BSG, Urteil vom 12. November 1996 - 9 RVs 5/95 - BSGE 79, 223 (225) zum selben Beurteilungszeitpunkt bei der isolierten Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung).
Der Anspruch der Klägerin richtet sich nach § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX. Danach stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Menschen sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Schwerbehindert sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gem. § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG (bis 30. Juni 2011: § 30 Abs. 17 BVG) erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Von dieser Ermächtigung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV - vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412) erlassen, um unter anderem die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG zu regeln (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.
Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig ihrer Ursache, also final, bezogen ist (BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 3/12 R - Juris). Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als "Alterskrankheiten" (etwa "Altersdiabetes" oder "Altersstar") bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e).
Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer (unbenannten) Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (BSG, Urteil vom 24. Juni 1998 - B 9 SB 17/97 R - SozR 3-3870 § 4 Nr. 24). Der Teil-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungserheblich, ob von Seiten des Beklagten oder es erstinstanzlichen Gerichts Teil-GdB-Werte in anderer Höhe als im Berufungsverfahren vergeben worden sind, wenn der Gesamt-GdB hierdurch nicht beeinflusst wird.
In Anwendung dieser durch den Gesetz- und Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze und unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung haben die behinderungsbedingten Funktionseinschränkungen der Klägerin - im Vergleich zur Befundlage, wie sie dem Bescheid vom 19. Juli 2010 zu Grunde gelegen haben - ab 15. Februar 2010 lediglich einen Gesamt-GdB von 40 zur Folge. 2012. Die angefochtenen Bescheide vom 2. Dezember 2011 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 9. Februar 2012 und vom 10. Februar sind daher ab 15. Februar 2010 teilweise rechtswidrig.
Nach den VG, Teil B Nr. 18.9 sind nur Wirbelsäulenschäden mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) mit einem GdB von 30, mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten mit einem GdB von 30 bis 40 zu bewerten.
Ausgehend hiervon hat auch zuletzt der Sachverständige Dr. L. nur ein schmerzhaftes Wirbelsäulensyndrom mit ausstrahlenden Beschwerden ohne radikuläre Ausfälle beschrieben, zusätzlich Kopfschmerzen und Schwindelbeschwerden. Dass diese einen Teil-GdB von 30 begründen sollen, ist für den Senat nicht nachvollziehbar durch entsprechende Befunde begründet. Vielmehr hat sich der Sachverständige auf die Feststellung einer verspannten Muskulatur im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule beschränkt, zumindest das Vorliegen von Nervendehnungszeichen verneint, aber keinerlei Bewegungsmaße genommen. Gegen eine nennenswerte Einschränkung spricht auch das beschriebene freie Stehen und Gehen. Die von der Klägerin berichteten Kopfschmerzen und Schwindelbeschwerden sind durch keinerlei objektive Befunde, die ein entsprechendes Korrelat abbilden, oder entsprechende Behandlungen belegt, zumal die nur 2004 berichteten Schwindelbeschwerden damals im Zusammenhang mit dem Tinnitus gesehen wurden (Arztbrief Dr. B.). Der Teil-GdB von 10 ist bei den geringen funktionellen Auswirkungen mit leichten Wirbelsäulensyndromen daher weiterhin angemessen.
Die Funktionsbehinderung des linken Handgelenks wie Fingerpolyarthrose begründet nach VG, Teil B Nr. 18.13 nur in Verbindung mit der Schmerzsymptomatik einen Teil-GdB von 20. Die distale Radiusfraktur ist bereits im berufsgenossenschaftlichen Verfahren allein in Anbetracht des anhaltenden posttraumatischen Schmerzsyndroms, der Kraftminderung mit Atrophie der linken Hand, der Sensibilitätsminderung an allen Fingern, der geringgradigen Bewegungseinschränkung des linken Handgelenks und der Einschränkung der Beweglichkeit aller Langfinger mit einer MdE von 20 v.H. bewertet worden. Ein chronisch regionalen Schmerzsyndrom hat bereits Dr. P. nicht mehr bestätigen können. Er hat damit einhergehend die MdE auf seinem Fachgebiet mit unter 10 v.H festgestellt. Dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin danach nennenswert verschlechtert hat, ist nach der von Dr. Z. berichteten erfolgreichen Schmerzbehandlung wenig nachvollziehbar. Über Funktionsbeeinträchtigungen, die über die von dem Unfallversicherungsträger bereits anerkannten hinausgehen, hat auch der Sachverständige Dr. W. nicht berichtet, sodass der Senat wie das SG seine GdB-Bewertung nicht nachvollziehen kann, zumal ein vollständiger Nervenausfall (VG, Teil B Nr. 18.13) nicht vorliegt, vielmehr die Funktionalität im Alltag eindrucksvoll beschrieben wird. So ist es der Klägerin nach wie vor möglich, Haushalt und Garten komplett alleine zu versorgen und sich um ihre Enkelkinder dreimal pro Woche zu kümmern, was bei funktioneller Einhändigkeit nicht möglich wäre. Daher hat der Sachverständige auch beobachten können, dass die Klägerin die linke Hand beim An- und Auskleiden und Schnürsenkelbinden einsetzen kann. Der anderweitigen Einschätzung von Dr. B., der für die Funktionsbehinderung des linken Handgelenks einen Teil-GdB von 40 für angemessen erachtet hat, ist das SG zu Recht nicht gefolgt, da er seine Einschätzung nicht durch andere Messwerte für die Unterarmdrehung wie die Handgelenksbeweglichkeit untermauert hat. Gleiches gilt für die Einschätzung des Sachverständigen Dr. L. eines Teil-GdB von 30, die bereits angesichts der unauffälligen und seitengleichen Handbeschwielung, die ebenfalls eindrucksvoll den tatsächlichen Gebrauch der linken Hand belegt, nicht nachvollziehbar, zumal die Klägerin nach wie vor ihren Haushalt versorgen und zwei- bis dreimal wöchentlich auf ihre Enkel aufpassen kann; Gartenarbeit ist weiterhin ihr Hobby. Neurologischerseits konnten objektivierbare Ausfälle bis auf Missempfindungen im Bereich der linken oberen Extremität ohne klare radikuläre bzw. periphere Zuordenbarkeit nicht bestätigt werden. Auch in Anbetracht der mitgeteilten milden medikamentösen Schmerzmedikation (Urteil des Senats vom 21. April 2015 - L 6 SB 3121/14 – Juris) bedarfsweise von Ibuprofen, die Versorgungsarzt Dr. R. zutreffend in die Stufe I nach WHO eingeordnet wird, ist eine weitere Anhebung des GdB wegen der Schmerzen nicht gerechtfertigt, zumal nur aufgrund der Schmerzproblematik sich überhaupt ein Teil-GdB von 20 rechtfertigen lässt.
Das Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" bedingt keinen GdB in messbarem Grad (VG, Teil B Nr. 3.7). Eine psychische Erkrankung liegt bei der Klägerin nicht vor, was der Senat den übereinstimmenden Gutachten von Dr. P. und Dr. W. entnimmt. Danach hat sich die Klägerin in ausgeglichener Stimmung gezeigt, die Tagesstruktur ist intakt, sie kann zusätzlich regelmäßig die Enkelkinder versorgen und verfügt über einen intakten Freundes- und Bekanntenkreis, ihre Ehe bezeichnet sie als glücklich. Somit ist die Einschätzung, dass der psychopathologische Befund ohne Auffälligkeiten ist, die von der Klägerin behauptete Depression nicht vorliegt, auch für den Senat nachvollziehbar dargelegt.
Für die Schwerhörigkeit links beträgt der Teil-GdB nur unter Berücksichtigung des Tinnitus weiterhin - unstreitig - 20 (VG, Teil B Nrn. 5.2.1 und 5.3). Gleiches gilt für die Funktionsfähigkeit beider Kniegelenke, zumal der Orthopäde Dr. M. seit Juni 2005 diesbezüglich keine richtungsführende Behandlung mehr durchgeführt hat und Dr. L. zuletzt ein unauffälliges Stehen und Gehen beobachten konnte, so dass der Teil-GdB angesichts der Knorpelschäden und der berichteten leichten Bewegungseinschränkung ausreichend ist (VG, Teil B Nr. 18.14).
Die zuletzt von dem Sachverständigen Dr. L. diagnostizierte Meralgia paraestetica hat dieser selbst nur mit einem Teil-GdB von 10 bewertet, also nicht den Gesamt-GdB erhöhend.
Liegen, wie im Falle der Klägerin, mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden (vgl. hierzu und zum Folgenden VG, Teil A, Nr. 3 a bis d). Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein. Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsstörung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn paarige Gliedmaßen oder Organe betroffen sind. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung muss deren Auswirkungen aber nicht zwingend verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 - B 9 SB 1/03 R - Juris). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei den auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 - B 9 SB 35/10 B - Juris).
Bei der Prüfung eines Gesamt-GdB von 50 verbietet es sich nicht, einen Vergleich mit anderen schwerwiegenden Erkrankungsbildern vorzunehmen (BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 3/12 R - Juris). Vielmehr sind bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind (vgl. BSG Urteil vom 30. September 2009 - B 9 SB 4/08 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 10).
Gemessen an diesen Voraussetzungen sind die bei der Klägerin bestehenden Erkrankungen (Teil-GdB 20 für die Funktionsbehinderung des linken Handgelenks sowie die Fingerpolyarthrose, Teil-GdB 20 für die Schwerhörigkeit links mit Ohrgeräuschen und Teil-GdB 20 für die Funktionsbehinderung beider Kniegelenke) insgesamt noch nicht mit Gesundheitsschäden zu vergleichen, deren Funktionsbeeinträchtigungen eine Schwerbehinderung mit einem Gesamt-GdB von 50 begründen, sondern vielmehr von 40 ab 15. Februar 2010.
Die Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 193 SGG zurückzuweisen.
Gründe, nach § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) sowie die Überprüfung im Wege des Zugunstenverfahrens streitig.
Zuletzt mit Bescheid vom 24. April 2006 wurde bei der Klägerin ein GdB von 30 seit 6. Februar 2006 wegen Knorpelschäden an beiden Kniegelenken, Funktionsbehinderung beider Kniegelenke sowie Schwerhörigkeit links mit Ohrgeräuschen festgestellt.
Am 20. oder 21. August 2008 stürzte die Klägerin bei ihrer versicherungspflichtigen Tätigkeit von einer Leiter auf die linke Hand. Dabei zog sie sich eine distale Radiusfraktur zu. Im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens beim Sozialgericht Konstanz (SG) wurde sie von dem Handchirurgen Dr. K. begutachtet, der Bewegungseinschränkungen des linken Handgelenks gegenüber dem rechten um 50° wie der Langfinger beschrieb, sodass eine Kraftminderung zu verzeichnen sei. Der Klägerin gelinge nur ein inkompletter Faustschluss. Sie müsse wegen der Schmerzen zwei- bis dreimal täglich Ibuprofen 600 einnehmen. Die Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution verpflichtete sich am 7. März 2013 im Wege des Vergleichs, bei der Klägerin eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v. H. anzuerkennen und ihr deswegen Verletztenrente zu gewähren (S 11 U 2593/11).
Ihr Antrag auf Neufeststellung des GdB vom 15. Februar 2010 wegen der hinzugetretenen Funktionsbehinderung des linken Handgelenks wurde nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme mit bestandskräftigem Bescheid vom 19. Juli 2010 abgelehnt.
Am 10. Dezember 2010 beantragte die Klägerin wegen Schmerzen, Gefühlsstörungen und Bewegungseinschränkungen am linken Handgelenk und am linken Arm sowie einer Varikosis im rechten Unterschenkel die Überprüfung des Bescheides vom 19. Juli 2010 sowie die Neufeststellung des GdB.
In seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme führte Dr. G. aus, die Funktionsbehinderung des linken Schultergelenks sei nur minimal und am rechten Schultergelenk nicht nachgewiesen. Die Knorpelschäden an beiden Kniegelenken seien anerkannt, es liege kein neuerer orthopädischer Fachbericht über Kniegelenksveränderungen vor. Die Schwerhörigkeit mit Tinnitus sei korrekt auf 20 aufgerundet worden. Nachdem auch die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule unter 10 lägen, sei der GdB weiter mit 30 einzuschätzen.
Gestützt hierauf wies der Beklagte mit Bescheid vom 2. Dezember 2011 den Neufeststellungsantrag mit der Begründung ab, eine wesentliche Veränderung liege nicht vor. Mit weiterem Bescheid vom gleichen Tag lehnte der Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 19. Juli 2011 ab, da bei Erlass des Verwaltungsaktes weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei.
Die hiergegen erhobenen Widersprüche wurden mit Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 2012 hinsichtlich des Überprüfungsantrags und mit Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 2012 hinsichtlich der Neufeststellung nach Einholung einer versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Z. abgelehnt.
Hiergegen hat die Klägerin jeweils am 16. Februar 2012 Klage beim SG erhoben (S 1 SB 392/12 und S 1 SB 394/12). Das SG hat die beiden Verfahren mit Beschluss vom 17. Juli 2012 unter dem Aktenzeichen S 1 SB 392/12 verbunden.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das SG die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt, die Akten der Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution betreffend den Arbeitsunfall vom 21. August 2008 beigezogen und die Klägerin anschließend neurologisch-psychiatrisch begutachten lassen. In seinem für den Unfallversicherungsträger erstatteten neurologisch-psychiatrischen Fachgutachten hat Dr. P. beschrieben, dass beim Hantieren mit der linken Hand keine Auffälligkeiten bestünden (Herausholen des Ausweises aus Geldbeutel und der Unterlagen aus einem Umschlag; An- und Auskleiden). In der sozialen Anamnese hat er festgehalten, dass die mittlerweile berentete Klägerin glücklich verheiratet sei, einen guten Freundes- und Bekanntenkreis habe, auch zur Nachbarschaft bestünden gute Kontakte. Sie mache vollumfänglich den Haushalt, gehe in den Garten und kümmere sich um die Pflanzen. Zuhause müsse sie 3 Stockwerke betreuen, Einkäufe mache sie, sie koche auch, "meine Männer bekommen immer etwas", vor kurzem sei sie im Urlaub in der Türkei gewesen. Der Sachverständige hat deswegen nur eine diskrete Gebrauchseinschränkung der linken Hand sowie einen Zustand nach CRPS, vollständige Restitutio der traumatischen CTS [Karpaltunnelsyndrom] festgestellt, diese mit einer MdE unter 10 v.H. bewertet und den psychopathologischen Befund völlig unauffällig erachtet.
Der Neurologe und Psychiater Dr. Z. hat über ein traumatisches Karpaltunnelsyndrom links bei Zustand nach Neurolyse mit persistierender Neuralgie sowie einen beginnenden Morbus Sudeck [komplexes regionales Schmerzsyndrom, auch CRPS] berichtet, wofür ein Einzel-GdB von 30 angemessen sei. Die mittlerweile ängstlich-agitierte Depression begründe einen weiteren Einzel-GdB von 30. Der Chirurg und Unfallchirurg Dr. B. hat über die Begutachtung vom 8. April 2011 berichtet, wonach er den Gesamt-GdB auf 50 ausgehend von einer Bewegungseinschränkung des linken Handgelenks mit einem GdB von 40 und einer Handwurzelarthrose mit einem GdB von 20 einschätze. Der Chirurg und Orthopäde Dr. M. hat wiederum für die Handverletzung einen Einzel-GdB von 20 für ausreichend erachtet. Dr. Z. von der Schmerzambulanz des Zollernalb-Klinikums hat über die Behandlung des neuropathischen Schmerzsyndroms mit Infiltrationen einschließlich medikamentöser Neueinstellung berichtet, die zu einer deutlichen Schmerzreduktion geführt hätten.
Daraufhin hat der Beklagte ein Vergleichsangebot des Inhalts unterbreitet, dass ab 15. Februar 2010 ein Gesamt-GdB von 40 anerkannt werde. Die Klägerin hat dieses Vergleichsangebot im Hinblick auf ihre psychischen Beeinträchtigungen nicht angenommen.
Der Neurologe und Psychiater Dr. W. hat in seinem Gutachten vom 16. April 2013 mit ergänzender Stellungnahme vom 29. August 2013 ausgeführt, bei der Klägerin liege eine Gefühlsstörung am Unterarm sowie der Hand, eine Beugeschwäche im Handgelenk und der Finger links nach distaler Radiusfraktur 2008 sowie der Verdacht auf ein abgelaufenes CRPS vor. Eine relevante Depression sei nicht erkennbar, vielmehr sei die Klägerin psychisch völlig unauffällig, die Stimmungslage ausgeglichen, die geltend gemachten Beschwerden glaubhaft und nachvollziehbar. Die linke Hand könne sie beim An-und Auskleiden einsetzen, den Reißverschluss schließen, auch Schnürsenkel binden. Nach der distalen Radiusfraktur und einem komplexen regionalen Schmerz-Syndrom mit Morbus Sudeck bestünden noch Restbeschwerden. Trophische Störungen seien nicht mehr nachweisbar, sodass das derzeitige Beschwerdebild einem Restzustand zuzurechnen sei. Dies begründe, dass die Klägerin die Hand und Finger links nur noch vermindert einsetzen könne, wenngleich sie die linke Hand beim An- und Auskleiden verwende und mit ihrer Hilfe auch Schnürsenkel binden könne. Das Ausmaß der Behinderung entspreche nicht einem kompletten Ausfall des Nervus medianus, sondern sei allenfalls mit einer inkompletten proximalen Medianusschädigung, auch unter Berücksichtigung der Schmerzen, wenngleich die Klägerin nur Ibuprofen einnehme, vergleichbar. Deswegen sei ein Einzel-GdB von 30 angemessen. Unter Berücksichtigung der weiteren Behinderungen erachte er einen Gesamt-GdB von 50 für angemessen.
Mit Urteil vom 16. Dezember 2013 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 2. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2012 verurteilt, den Bescheid vom 19. Juli 2010 aufzuheben und bei der Klägerin einen GdB von 40 ab 15. Februar 2010 anzuerkennen (Ziffer 1), den Bescheid vom 2. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Februar 2012 aufzuheben und bei der Klägerin einen GdB von 40 ab Dezember 2010 anzuerkennen (Ziffer 2) sowie im Übrigen die Klagen abgewiesen (Ziffer 3). Es hat sich dem Gutachten des Dr. W. nicht anschließen können.
Hiergegen hat die Klägerin am 23. Januar 2014 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) unter Weiterverfolgung ihres Begehrens eines Gesamt-GdB von 50 bereits ab 15. Februar 2010 eingelegt und vorgetragen, die Depression sei nicht ausreichend berücksichtigt worden. Dr. W. habe sie ein Jahr nach der Begutachtung im Unfallrentenverfahren untersucht, dabei eine wesentliche Verschlimmerung insbesondere im Hinblick auf das Schmerzsyndrom festgestellt.
Der Senat die Unfallakte des SG (S 11 U 2593/11) beigezogen und die Klägerin nach Durchführung eines Erörterungstermins vom 30. September 2014 auf eigenes Kostenrisiko begutachten lassen.
Der Neurologe und Psychiater Dr. L. hat in seinem Gutachten vom 13. Januar 2015 ein schmerzhaftes Wirbelsäulensyndrom mit ausstrahlenden Beschwerden, vertebragene Kopfschmerzen und Schwindelbeschwerden sowie Lumbalgien und Ischalgie linksseitig, letztere ohne radikuläre Ausfälle (Einzel-GdB 30), eine Meralgia paraestetica [Nervenkompressionssyndrom des Nervus cutaneus femoris lateralis im Bereich des Leistenbands] links (Einzel-GdB 10), brennende Missempfindungen nach chronisch regionalem Schmerzsyndrom und posttraumatischem Karpaltunnelsyndrom linksseitig bei auch degenerativen Veränderungen im Handwurzelbereich, der Mittelhandknochen und einer Rhizarthrose (Einzel-GdB 30), zuletzt auch eine Hypakusis [Schwerhörigkeit] und ein Tinnitus (Einzel-GdB 20) diagnostiziert. Dazu zu berücksichtigen sei ein fachfremd vergebener GdB von 20 für Knorpelschäden und die Funktionsbehinderung im Bereich beider Kniegelenke, so dass ein Gesamt-GdB von 50 durchaus gerechtfertigt sei. Im Vergleichsangebot des Beklagten seien das schmerzhafte Wirbelsäulensyndrom und die Meralgia paraestetica nicht erfasst worden. Sozialanamnestisch hat der Sachverständige als Hobby über Gartenarbeiten sowie zwei- bis dreimal wöchentliches Aufpassen auf die Enkel berichtet. Die Klägerin könne noch ihren Haushalt versorgen und koche auch. Sie nehme 2400 mg eines Schmerzmittels ein, wobei der Serumnachweis darauf hindeute, dass das Medikament nicht wie angegeben regelmäßig eingenommen werde.
Der Beklagte hat hierzu eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. R. vorgelegt, wonach der Einschätzung im nervenärztlichen Gutachten von Dr. L. nicht gefolgt werden könne. Die berichtete Medikamentenanamnese entspreche einem Schmerzstadium nach WHO Stufe 1. Hinsichtlich des Achsenskeletts werde zwar eine verspannte paravertebrale Muskulatur der HWS und LWS, jedoch keine Nervendehnungszeichen beschrieben, Stehen und Gehen sei frei, das Muskelkorsett unauffällig. Weder die objektiven Befunde noch die hieraus ableitbaren Funktionsstörungen könnten deswegen einen Teil-GdB von 30 begründen. Die Handbeschwielung sei unauffällig und seitengleich, sodass insoweit ein höherer Teil-GdB nicht angemessen sei.
In seiner ergänzenden Stellungnahme hat Dr. L. am 9. Juli 2015 ausgeführt, dass die Meralgia paraestetica nach seiner nervenärztlichen Erfahrung nicht therapierbar sei. Das Wirbelsäulensyndrom habe er deswegen als mittelschwer eingeordnet, weil es auch Kopfschmerzen und Schwindel umfasse. Die Handgelenksschmerzen habe er als durchaus nachvollziehbar angesehen. Auch unter Berücksichtigung des Tagesablaufs erachte er weiterhin den Gesamt-GdB von 50 für gerechtfertigt.
Dr. R. ist in seiner weiteren versorgungsärztliche Stellungnahme dabei geblieben, dass weder hinsichtlich der Handgelenksschmerzen noch der Einschränkungen seitens der Wirbelsäule objektive Befunde dokumentiert seien, die jeweils einen Teil-GdB von 30 begründen könnten. Die Handbehinderung müsse in Art und Ausprägung so schwerwiegend sein wie der Verlust von zwei Fingern mit Einschluss des Daumens, ein kompletter Ausfall des Speichen- oder Ellennervens bzw. eine schwergradige Bewegungseinschränkung des Handgelenks.
Die Klägerin beantragt (teilweise sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 16. Dezember 2013 abzuändern sowie den Bescheid vom 2. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2012 aufzuheben sowie den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid vom 19. Juli 2010 zurückzunehmen und den GdB mit 50 ab 15. Februar 2010 festzustellen und den Bescheid vom 2. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Februar 2012 aufzuheben sowie den Beklagten zu verpflichten, den GdB mit 50 ab Dezember 2010 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Er erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt (Schriftsätze vom 1. September 2015 und 14. September 2015).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist unbegründet. Das SG hat den Klagen zu Recht nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattgegeben, denn die angefochtenen Bescheide sind nur teilweise rechtswidrig und verletzen die Klägerin insoweit in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft. Das hat das SG in Auswertung der sachverständigen Zeugenaussagen und des eingeholten Gutachtens von Dr. W. überzeugend dargelegt, weswegen der Senat ergänzend auf die Entscheidungsgründe des SG nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug nimmt. Die Ermittlungen des Senats, insbesondere das Gutachten von Dr. L., rechtfertigen keine andere Einschätzung.
Das Begehren der Klägerin auf Überprüfung des Bescheides vom 19. Juli 2010 richtet sich verfahrensrechtlich nach § 44 SGB X. Grundlage für die beanspruchte teilweise Rücknahme des Bescheides vom 28. September 2004 ist § 44 Abs. 2 SGB X. Dabei handelt es sich um einen "Auffangtatbestand" für Fälle, in denen § 44 Abs. 1 SGB X nicht anwendbar ist (BSG, Urteil vom 16. Februar 2012 - B 9 SB 2/11 R -, SozR 4-3250 § 69 Nr. 14, Rz. 17; vgl. Steinwedel, in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand: Juni 2015, § 44 SGB X Rz. 5, 46). So verhält es sich hier, da die streitige Feststellung nach dem Schwerbehindertenrecht insbesondere keine Sozialleistung im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist (vgl. BSG, Urteil vom 29. Mai 1991 - 9a/9 RVs 11/89 -, BSGE 69, 14 (16 ff.)). Somit besteht kein Rechtsanspruch auf eine Rücknahme für die Vergangenheit.
§ 44 Abs. 2 Satz 1 SGB X in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 setzt voraus, dass sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Gemäß § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X kann die getroffene Regelung auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die dem für die Vergangenheit (teilweise) zurückzunehmenden Verwaltungsakt zugrunde liegenden tatsächlichen Voraussetzungen müssen offenkundig sein (vgl. BSG, Urteil vom 29. Mai 1991 - 9a/9 RVs 11/89 -, BSGE 69, 14; Urteil des Senats vom 21. Februar 2013 - L 6 SB 4007/12 - juris, Rz. 28; Beschluss des Senats vom 12. Oktober 2011 - L 6 SB 5658/10 -, juris, Rz. 24). Diese Einschränkung folgt nicht aus § 4 SchwbG beziehungsweise § 69 SGB IX oder § 6 Abs. 1 Satz 2 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV), sondern rechtfertigt sich im Hinblick auf das nach § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X auszuübende Verwaltungsermessen (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 SB 3/10 R -, SozR 4-3250 § 69 Nr. 13, Rz. 28 m. w. N.; von Steinäcker, Behindertenrecht 2006, S. 98 (100)). Maßgebend ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Bekanntgabe der letzten, das Verwaltungsverfahren abschließenden Behördenentscheidung (vgl. BSG, Urteile vom 4. November 1998 - B 13 RJ 27/98 R -, juris, Rz. 15 und 3. April 2001 - B 4 RA 22/00 R -, BSGE 88, 75 (81)), wobei neuere rechtliche Erkenntnisse zu berücksichtigen sind (vgl. BSG, Urteile vom 25. Oktober 1984 - 11 RAz 3/83 -, BSGE 57, 209 (210) und 26. Januar 1988 - 2 RU 5/87 -, BSGE 63, 18 (23)).
Die Voraussetzungen des § 44 SGB X liegen nur in dem vom SG festgestellten Umfang vor. Der Bescheid vom 19. Juli 2010 erweist sich nur insoweit als rechtswidrig, als ab 15. Februar 2010 der Gesamt-GdB 40 beträgt (siehe unten).
Rechtsgrundlage für die beanspruchte Feststellung des GdB mit 50 mit Wirkung ab Dezember 2010 ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Nach dieser Vorschrift ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten der Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X). Eine wesentliche Änderung liegt vor, soweit der Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen nicht mehr so erlassen werden dürfte, wie er ergangen war. Die Änderung muss sich nach dem zugrundeliegenden materiellen Recht auf den Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes auswirken. Das ist bei einer tatsächlichen Änderung nur dann der Fall, wenn diese so erheblich ist, das sie rechtlich zu einer anderen Bewertung führt. Von einer wesentlichen Änderung ist im vorliegenden Zusammenhang bei einer Verschlechterung im Gesundheitszustand der Klägerin auszugehen, wenn aus dieser die Erhöhung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 folgt, wobei das Hinzutreten weiterer Funktionsstörungen mit einem Einzel-GdB von 10 allerdings regelmäßig ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB bleibt (vgl. VG, Teil A, Nr. 7 a; BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 6/12 R - SozR 4-1300 § 48 Nr. 26). Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt (teilweise) aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG, Urteil vom 22. Oktober 1986 - 9a RVs 55/85 - SozR 1300 § 48 Nr. 29 m. w. N.). Die Feststellung einer wesentlichen Änderung setzt einen Vergleich der Sach- und Rechtslage bei Erlass des aufzuhebenden Verwaltungsaktes und zum Zeitpunkt der Überprüfung voraus (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2010 - B 9 V 2/10 R - SozR 4-3100 § 35 Nr. 5 m. w. N.; Schütze, in von Wulffen/Schütze, Kommentar zum SGB X, 8. Aufl. 2014, § 48 Rz. 4). Die gerichtliche Nachprüfung richtet sich, bezogen auf die tatsächlichen Verhältnisse, in Fällen einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 54 Rz. 34; vgl. auch BSG, Urteil vom 12. November 1996 - 9 RVs 5/95 - BSGE 79, 223 (225) zum selben Beurteilungszeitpunkt bei der isolierten Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung).
Der Anspruch der Klägerin richtet sich nach § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX. Danach stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Menschen sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Schwerbehindert sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gem. § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG (bis 30. Juni 2011: § 30 Abs. 17 BVG) erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Von dieser Ermächtigung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV - vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412) erlassen, um unter anderem die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG zu regeln (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.
Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig ihrer Ursache, also final, bezogen ist (BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 3/12 R - Juris). Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als "Alterskrankheiten" (etwa "Altersdiabetes" oder "Altersstar") bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e).
Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer (unbenannten) Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (BSG, Urteil vom 24. Juni 1998 - B 9 SB 17/97 R - SozR 3-3870 § 4 Nr. 24). Der Teil-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungserheblich, ob von Seiten des Beklagten oder es erstinstanzlichen Gerichts Teil-GdB-Werte in anderer Höhe als im Berufungsverfahren vergeben worden sind, wenn der Gesamt-GdB hierdurch nicht beeinflusst wird.
In Anwendung dieser durch den Gesetz- und Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze und unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung haben die behinderungsbedingten Funktionseinschränkungen der Klägerin - im Vergleich zur Befundlage, wie sie dem Bescheid vom 19. Juli 2010 zu Grunde gelegen haben - ab 15. Februar 2010 lediglich einen Gesamt-GdB von 40 zur Folge. 2012. Die angefochtenen Bescheide vom 2. Dezember 2011 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 9. Februar 2012 und vom 10. Februar sind daher ab 15. Februar 2010 teilweise rechtswidrig.
Nach den VG, Teil B Nr. 18.9 sind nur Wirbelsäulenschäden mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) mit einem GdB von 30, mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten mit einem GdB von 30 bis 40 zu bewerten.
Ausgehend hiervon hat auch zuletzt der Sachverständige Dr. L. nur ein schmerzhaftes Wirbelsäulensyndrom mit ausstrahlenden Beschwerden ohne radikuläre Ausfälle beschrieben, zusätzlich Kopfschmerzen und Schwindelbeschwerden. Dass diese einen Teil-GdB von 30 begründen sollen, ist für den Senat nicht nachvollziehbar durch entsprechende Befunde begründet. Vielmehr hat sich der Sachverständige auf die Feststellung einer verspannten Muskulatur im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule beschränkt, zumindest das Vorliegen von Nervendehnungszeichen verneint, aber keinerlei Bewegungsmaße genommen. Gegen eine nennenswerte Einschränkung spricht auch das beschriebene freie Stehen und Gehen. Die von der Klägerin berichteten Kopfschmerzen und Schwindelbeschwerden sind durch keinerlei objektive Befunde, die ein entsprechendes Korrelat abbilden, oder entsprechende Behandlungen belegt, zumal die nur 2004 berichteten Schwindelbeschwerden damals im Zusammenhang mit dem Tinnitus gesehen wurden (Arztbrief Dr. B.). Der Teil-GdB von 10 ist bei den geringen funktionellen Auswirkungen mit leichten Wirbelsäulensyndromen daher weiterhin angemessen.
Die Funktionsbehinderung des linken Handgelenks wie Fingerpolyarthrose begründet nach VG, Teil B Nr. 18.13 nur in Verbindung mit der Schmerzsymptomatik einen Teil-GdB von 20. Die distale Radiusfraktur ist bereits im berufsgenossenschaftlichen Verfahren allein in Anbetracht des anhaltenden posttraumatischen Schmerzsyndroms, der Kraftminderung mit Atrophie der linken Hand, der Sensibilitätsminderung an allen Fingern, der geringgradigen Bewegungseinschränkung des linken Handgelenks und der Einschränkung der Beweglichkeit aller Langfinger mit einer MdE von 20 v.H. bewertet worden. Ein chronisch regionalen Schmerzsyndrom hat bereits Dr. P. nicht mehr bestätigen können. Er hat damit einhergehend die MdE auf seinem Fachgebiet mit unter 10 v.H festgestellt. Dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin danach nennenswert verschlechtert hat, ist nach der von Dr. Z. berichteten erfolgreichen Schmerzbehandlung wenig nachvollziehbar. Über Funktionsbeeinträchtigungen, die über die von dem Unfallversicherungsträger bereits anerkannten hinausgehen, hat auch der Sachverständige Dr. W. nicht berichtet, sodass der Senat wie das SG seine GdB-Bewertung nicht nachvollziehen kann, zumal ein vollständiger Nervenausfall (VG, Teil B Nr. 18.13) nicht vorliegt, vielmehr die Funktionalität im Alltag eindrucksvoll beschrieben wird. So ist es der Klägerin nach wie vor möglich, Haushalt und Garten komplett alleine zu versorgen und sich um ihre Enkelkinder dreimal pro Woche zu kümmern, was bei funktioneller Einhändigkeit nicht möglich wäre. Daher hat der Sachverständige auch beobachten können, dass die Klägerin die linke Hand beim An- und Auskleiden und Schnürsenkelbinden einsetzen kann. Der anderweitigen Einschätzung von Dr. B., der für die Funktionsbehinderung des linken Handgelenks einen Teil-GdB von 40 für angemessen erachtet hat, ist das SG zu Recht nicht gefolgt, da er seine Einschätzung nicht durch andere Messwerte für die Unterarmdrehung wie die Handgelenksbeweglichkeit untermauert hat. Gleiches gilt für die Einschätzung des Sachverständigen Dr. L. eines Teil-GdB von 30, die bereits angesichts der unauffälligen und seitengleichen Handbeschwielung, die ebenfalls eindrucksvoll den tatsächlichen Gebrauch der linken Hand belegt, nicht nachvollziehbar, zumal die Klägerin nach wie vor ihren Haushalt versorgen und zwei- bis dreimal wöchentlich auf ihre Enkel aufpassen kann; Gartenarbeit ist weiterhin ihr Hobby. Neurologischerseits konnten objektivierbare Ausfälle bis auf Missempfindungen im Bereich der linken oberen Extremität ohne klare radikuläre bzw. periphere Zuordenbarkeit nicht bestätigt werden. Auch in Anbetracht der mitgeteilten milden medikamentösen Schmerzmedikation (Urteil des Senats vom 21. April 2015 - L 6 SB 3121/14 – Juris) bedarfsweise von Ibuprofen, die Versorgungsarzt Dr. R. zutreffend in die Stufe I nach WHO eingeordnet wird, ist eine weitere Anhebung des GdB wegen der Schmerzen nicht gerechtfertigt, zumal nur aufgrund der Schmerzproblematik sich überhaupt ein Teil-GdB von 20 rechtfertigen lässt.
Das Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" bedingt keinen GdB in messbarem Grad (VG, Teil B Nr. 3.7). Eine psychische Erkrankung liegt bei der Klägerin nicht vor, was der Senat den übereinstimmenden Gutachten von Dr. P. und Dr. W. entnimmt. Danach hat sich die Klägerin in ausgeglichener Stimmung gezeigt, die Tagesstruktur ist intakt, sie kann zusätzlich regelmäßig die Enkelkinder versorgen und verfügt über einen intakten Freundes- und Bekanntenkreis, ihre Ehe bezeichnet sie als glücklich. Somit ist die Einschätzung, dass der psychopathologische Befund ohne Auffälligkeiten ist, die von der Klägerin behauptete Depression nicht vorliegt, auch für den Senat nachvollziehbar dargelegt.
Für die Schwerhörigkeit links beträgt der Teil-GdB nur unter Berücksichtigung des Tinnitus weiterhin - unstreitig - 20 (VG, Teil B Nrn. 5.2.1 und 5.3). Gleiches gilt für die Funktionsfähigkeit beider Kniegelenke, zumal der Orthopäde Dr. M. seit Juni 2005 diesbezüglich keine richtungsführende Behandlung mehr durchgeführt hat und Dr. L. zuletzt ein unauffälliges Stehen und Gehen beobachten konnte, so dass der Teil-GdB angesichts der Knorpelschäden und der berichteten leichten Bewegungseinschränkung ausreichend ist (VG, Teil B Nr. 18.14).
Die zuletzt von dem Sachverständigen Dr. L. diagnostizierte Meralgia paraestetica hat dieser selbst nur mit einem Teil-GdB von 10 bewertet, also nicht den Gesamt-GdB erhöhend.
Liegen, wie im Falle der Klägerin, mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden (vgl. hierzu und zum Folgenden VG, Teil A, Nr. 3 a bis d). Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein. Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsstörung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn paarige Gliedmaßen oder Organe betroffen sind. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung muss deren Auswirkungen aber nicht zwingend verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 - B 9 SB 1/03 R - Juris). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei den auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 - B 9 SB 35/10 B - Juris).
Bei der Prüfung eines Gesamt-GdB von 50 verbietet es sich nicht, einen Vergleich mit anderen schwerwiegenden Erkrankungsbildern vorzunehmen (BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 3/12 R - Juris). Vielmehr sind bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind (vgl. BSG Urteil vom 30. September 2009 - B 9 SB 4/08 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 10).
Gemessen an diesen Voraussetzungen sind die bei der Klägerin bestehenden Erkrankungen (Teil-GdB 20 für die Funktionsbehinderung des linken Handgelenks sowie die Fingerpolyarthrose, Teil-GdB 20 für die Schwerhörigkeit links mit Ohrgeräuschen und Teil-GdB 20 für die Funktionsbehinderung beider Kniegelenke) insgesamt noch nicht mit Gesundheitsschäden zu vergleichen, deren Funktionsbeeinträchtigungen eine Schwerbehinderung mit einem Gesamt-GdB von 50 begründen, sondern vielmehr von 40 ab 15. Februar 2010.
Die Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 193 SGG zurückzuweisen.
Gründe, nach § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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