Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 3 KA 159/11
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Kassenarztrecht
1. Der Beschluss des Beschwerdeausschusses vom 10.08.2011 wird aufgehoben. 2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Dabei sind die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nicht erstattungsfähig. 3. Der Streitwert wird auf 3.493,30 Euro festgesetzt.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen einen Regress aufgrund einer Zielfeldprüfung für das Verordnungsjahr 2006.
Die Klägerin war als Berufsausübungsgemeinschaft von Fachärzten für Innere Medizin, Kardiologie und Angiologie in der vertragsärztlichen Versorgung in H. tätig.
Mit Schreiben vom 27.04.2010 informierte die Gemeinsame Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in H. die Klägerin, dass sie nach Überschreitung der Ausgabenvolumina für Arznei- und Heilmittel im Verordnungsjahr 2006 die daraus resultierenden Regressansprüche der Krankenkassen gemäß § 19 der H. Prüfvereinbarung festzustellen habe. Die Klägerin habe die für das Verordnungsjahr 2006 vertraglich vereinbarten Zielvorgaben nicht erreicht. Bei der Zielgruppe cardioselektive Betablocker sei der Zielwert um 28,25 % (brutto 4.189,61 Euro) und bei der Zielgruppe Tilidinkombinationen um 15,1 % (brutto 256,77 Euro) überschritten. Die Klägerin erhalte Gelegenheit, innerhalb von vier Wochen eine Stellungnahme abzugeben und insbesondere mitzuteilen, ob Besonderheiten für einzelne Patienten oder Patientengruppen geltend gemacht werden, die bei entsprechender Indikation eine Verordnung höherpreisiger Arzneimittel rechtfertigen könnten. Dem Schreiben war eine Tabelle beigefügt, in der die in den betroffenen Zielgruppen verordneten Arzneimittel mit Pharmazentralnummer (PZN), dem Code nach dem Anatomisch-Therapeutisch-Chemischen Klassifikationssystem (ATC-Code), Wirkstoff, Hersteller, Name, Darreichungsform, Packungsinhalt, Anzahl der verordneten Packungen, Ausgaben, verordneten definierten Tagesdosen (DDD), Kosten je DDD und dem Zielwert Kosten je DDD aufgeführt waren.
Mit Bescheid vom 25.10.2010 setzte die Gemeinsame Prüfungsstelle einen Regress in Höhe von netto 3.493,30 Euro für die Zielwertüberschreitung bei der Verordnung der Arzneimittelgruppen cardioselektive Betablocker (netto 3.371,80 Euro) und Tilidinkombinationen (netto 121,50 Euro) fest. Zur Begründung war ausgeführt, die Zielwerte seien von den Landesverbänden der Krankenkassen und der KV H. anhand definierter Tagesdosen festgelegt. Die Vereinbarungen seien ein Bestandteil der Arzneimittelprüfungen 2006. Da das vereinbarte Ausgabenvolumen für die insgesamt von den H. Vertragsärzten veranlassten Leistungen für das Verordnungsjahr 2006 überschritten worden seien, seien die Zielfeldprüfungen durchzuführen gewesen. Die gesetzten Ziele seien so gewählt, dass Spielraum für individuelle Therapieentscheidungen bestehe. Voraussetzung für den Austausch von Präparaten sei die im Einzelfall zu prüfende medizinische Unbedenklichkeit. Lägen keine zwingenden medizinischen Gründe für eine Überschreitung der Zielvorgaben vor, seien die damit verbundenen höheren Verordnungskosten vom Vertragsarzt zu verantworten. Es habe allerdings keine patientenbezogene Überprüfung der Verordnungen vorgenommen werden können, da die Übermittlung dieser Daten vertraglich nicht geregelt sei. Die Klägerin habe zur Überschreitung keine Stellungnahme abgegeben. Dies müsse zu ihrem Nachteil ausgelegt werden, weil es an ihr gewesen wäre, etwaige Gründe, die zur Zielwertüberschreitung geführt haben, im Einzelnen darzulegen. Durch eine Neuberechnung für die seit 01.07.2006 gültigen Zielfelder habe sich die Höhe der Zielwertverfehlungen zugunsten der Klägerin verändert.
Die Klägerin erhob mit am 29.10.2010 eingegangenem Schreiben Widerspruch gegen den Bescheid vom 25.10.2010.
Mit Beschluss vom 10.08.2011 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zunächst sei auf die Korrektur der mit Schreiben vom 27.04.2010 übersandten PZN-Liste hinzuweisen. Diese ursprüngliche Liste sei durch die am 23.06.2010 erstellte Liste ersetzt. Die Vertragspartner der Zielvereinbarungen hätten sich verständigt, neue Ziele nur und erst dann zu vereinbaren, wenn eine gesetzliche Neuregelung den Vertragspartnern die Regelungshoheit über die Rechtsfolgen aus den Zielvereinbarungen belasse. Für die Zeit vom 01.07.2006 sei eine Erweiterung des 1. Zielfeldes Opoide um Punkt c) Tilidin, Kombi erfolgt. Die PZN-Liste sei um die Verordnungen der ersten Hälfte des Jahres 2006 korrigiert worden. Zur Begründung des Regresses bezog der Beklagte sich auf die indikationsbezogenen Zielvereinbarungen für das Jahr 2006 betreffend die Zielgruppen cardioselektive Betablocker und Tilidinkombinationen und führte aus, die Beigeladene zu 6) habe in ihren Publikationen und Informationsveranstaltungen auf die Dokumentationspflichten der Vertragsärzte zur Rechtfertigung von Zielwertüberschreitungen hingewiesen und Entlastungsmöglichkeiten aufgrund von im einzelnen Patienten liegenden Gründen hingewiesen. Es sei nicht ersichtlich, warum bei den Tilidinkombinationen das teure Originalpräparat Valoron N gewählt worden sei. Das Verhältnis Kleinpackung zu Großpackung in der Zielgruppe cardioselektive Betablocker betrage 41 zu 676. Die Berufsausübungsgemeinschaft habe sich weder zur Einleitung der Zielfeldprüfung noch zum Widerspruch geäußert. Entlastende Gesichtspunkte seien auch nicht feststellbar gewesen.
Mit der am 22.09.2011 erhobenen Klage wendet sich die Klägerin gegen den Regress.
Zur Begründung trägt sie vor, der Regressbescheid habe keine ausreichende Rechtsgrundlage. Die in einer Arznei- und Heilmittelvereinbarung vereinbarten Ziele könnten nach § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB V nur zur Information und Beratung dienen, nicht jedoch zur Festsetzung von Regressen. § 84 Abs. 7a SGB V ermächtige die Vertragspartner auf Bundesebene und nicht die Partner der Gesamtverträge auf regionaler Ebene zur Festlegung von Durchschnittskosten für definierte Dosiereinheiten. § 106 Abs. 2 S. 4 SGB V rechtfertige keine automatische Kürzung bei Verfehlung von Zielwerten, sondern erfordere eine inhaltliche Prüfung, ob die Verfehlung der Ziele durch Unwirtschaftlichkeit oder durch Praxisbesonderheiten begründet sei. Die Zielfeldprüfung unterscheide sich von anderen Prüfungen dadurch, dass die definierten Prüfungsmaßstäbe absolut und nicht arztgruppenbezogen vereinbart seien. Es sei nicht sachgerecht und bedürfe aufgrund des Verstoßes gegen das Differenzierungsgebot nach Art. 3 GG einer besonderen Rechtfertigung, wenn die für die Wirtschaftlichkeitsprüfung typische Differenzierung zwischen Arztgruppen aufgegeben werde. Zudem enthalte weder § 19 der Prüfvereinbarung noch die gesamtvertragliche Regelung verbindliche Vorgaben für die Auswahl der Medikamente/Wirkstoffe und für die Definition des Zielwertes. Wie die Vertragspartner Wirkstoffe ausgewählt und die Zielkosten je Tagesdosis berechnet hätten, sei nicht nachvollziehbar. Eine Überprüfung der vereinbarten Zielfelder auf ihre Vereinbarkeit mit dem Anspruch der Versicherten auf eine wirtschaftliche, dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechende Versorgung, sei nicht möglich. Die Zielfeldprüfungen griffen überdies in besonders starkem Maße in die Therapiefreiheit der Vertragsärzte und den Leistungsanspruch des Versicherten ein. Die Überschreitung der Zielwerte sei daher kein Indiz für unwirtschaftliches Verordnungsverhalten.
Bei der Verordnung von Wirkstoffen habe der Arzt es zudem nicht in der Hand, welches Medikament der Apotheker auswähle. § 129 Abs. 1 SGB V bestimme, dass die Apotheken bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte verpflichtet seien, preisgünstige Arzneimittel abzugeben, wenn der verordnende Arzt ein Arzneimittel nur unter einer Wirkstoffbezeichnung verordne, oder die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen habe. Die für die Verordnung anfallenden Kosten lägen damit nicht in der Hand des Arztes. Die Krankenkassen könnten nach § 130a Abs. 8 SGB V mit pharmazeutischen Unternehmen Rabatte für die zu Ihren Lasten abgegebenen Arzneimittel vereinbaren. Der einzelne Arzt kenne die Rabattverträge nicht und könne nicht wissen, welches Medikament für die jeweilige Krankenkasse das günstigste ist. Die Spitzenverbände der Krankenkassen und die kassenärztliche Bundesvereinigung hätten in ihren Rahmenvorgaben nach § 84 Abs. 7 SGB V für das Jahr 2008 denn auch festgestellt, dass die Regelungen in § 84 Abs. 7a SGB V zu Durchschnittskosten je definierter Dosiereinheit durch die verschiedenen Regelungen zu rabattbegünstigten Arzneimitteln in ihrer Umsetzung und Wirkung konterkariert würden.
Bei der Klägerin gegebene Praxisbesonderheiten seien nicht berücksichtigt worden. Die Klägerin behandle fast ausschließlich Patienten mit Herzerkrankungen, so dass Arzneimittel aus diesem Bereich besonders häufig verordnet würden und damit auch die Gefahr einer Zielwertüberschreitung steige. Bei Erkrankungen des Herzens sei die Einstellung auf ein Medikament besonders heikel. Zudem handele es sich um eine reine Zuweisungspraxis. Gründe für hohe Durchschnittskosten seien teure Originalpräparate, kleine Packungsgrößen und geringe Wirkungsstärken. Aufgrund des Patientenklientels der Klägerin sei eine Überschreitung praktisch vorgezeichnet. Die Patienten seien teilweise bereits auf bestimmte Medikamente eingestellt. Der Wechsel des Medikaments sei oftmals riskant und medizinisch nicht indiziert. Bei der Einstellung eines Patienten auf ein Medikament würden zunächst kleine Packungsgrößen verordnet, um die Verträglichkeit und Wirksamkeit festzustellen. Danach würden größere Packungen eventuell auch mit höheren Dosierungen verordnet. Diese würden jedoch oftmals vom Hausarzt und nicht von der Klägerin weiter verordnet, da die Klägerin die Patienten nur zur Einstellung des Medikamentes behandle. Medizinisch sei es auch zwingend erforderlich, zunächst ein Medikament mit einer niedrigen Wirkstärke zu verordnen, um den Patienten auf den Wirkstoff einzustellen. Es werde zum Teil mit einem Zehntel der Zieldosis begonnen. Eine Überdosierung könne schwere gesundheitliche Folgen haben.
Schließlich sei eine einzelfallbezogene Begründung der einzelnen Verordnungen nicht möglich. Die Aufstellung des Beklagten liste lediglich die einzelnen Medikamente auf, ohne diese einzelnen Patienten zuzuordnen. Eine patientenbezogene Begründung könne nur vorgenommen werden, wenn der Beklagte mitteile, bei welchen Patienten im Einzelnen die Zielfelder überschritten worden seien.
Der Klägerin beantragt,
den Beschluss des Beschwerdeausschusses vom 10.08.2011 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt der Beklagte aus, Rechtsgrundlage der Zielfeldprüfungen sei § 106 Abs. 2 S. 4 Hs. 1 SGB V. In § 84 Abs.1 S. 2 Nr. 2 SGB V sei der Inhalt der Arznei- und Heilmittelvereinbarung nicht abschließend beschrieben. Maßnahmen im Wege eines Regresses seien nicht ausgeschlossen. § 84 Abs. 7a SGB V sei durch § 84 Abs. 4a Satz 1 SGB V ausgeschlossen gewesen. § 106 Abs. 2 S. 4 SGB V zwinge nicht zu einer arztgruppenbezogenen Differenzierung, da dort die Rede von "anderen arztbezogenen Prüfungsarten" sei. Bei den nach § 19 Abs. 6 Prüfungsvereinbarung je Zielfeld zu bildenden variablen Grenzwerten für die Summen der verordneten DDD und die durchschnittlichen DDD je Packung würden die verordneten DDD und die durchschnittlichen DDD je Packung arzt- und zielfeldbezogen ermittelt. Grundgröße sei in beiden Fällen die Summe der Verordnungen aller Vertragsärzte im jeweiligen Zielfeld unabhängig vom Zielerreichungsgrad. Da eine preisbezogene Unwirtschaftlichkeit bei der Auswahl von Medikamenten mit denselben Wirkstoffen betrachtet werde, sei die Verfehlung der Verordnungsziele nicht von der Arztgruppe abhängig. Die Bestimmungen des § 19 der Prüfungsvereinbarung und der Arznei- und Heilmittelvereinbarung für das Jahr 2006 gäben genügend Informationen über die geltenden Vorgaben und die Ermittlung der Daten.
Da die Klägerin im Verwaltungsverfahren und im Vorverfahren keine rechtfertigenden Gründe für die Überschreitung der Zielvorgaben vorgetragen habe, sei die Berücksichtigung durch die Prüfgremien nicht möglich gewesen. Die Dokumentations- und Beweislast liege bei der Klägerin. Dem Beklagten lägen nur die Phase-1-Daten der Richtgrößenprüfung vor. Dabei handele es sich um die Arztnummer, Betriebsstättennummer, das Verordnungsquartal, das Institutskennzeichen der Krankenkassen, die Zahl der Verordnungen für Arzneimittel, den Brutto-und Nettowert der Verordnungen für Arzneimittel und bezüglich der letzten drei Bereiche die Angabe der PZN. Ein Versichertenbezug dieser Daten bestehe nicht. Die Klägerin sei umfassend und rechtzeitig darüber informiert worden, dass sie dokumentierte Einzelfälle vorzutragen habe, in denen sie aus medizinischen Gründen Arzneimittel mit ungünstigen Tagestherapiekosten verordnet habe. Die vorgetragenen Praxisbesonderheiten seien nicht geeignet, die Überschreitung der durchschnittlichen Tagestherapiekosten zu rechtfertigen. Die Klägerin sei bei ihren Verordnungen nicht an die bisherige Verordnungsweise gebunden. Bei der Einstellung auf ein Medikament dürfte es noch um einiges leichter sein, von Beginn an preiswertere Generika einzusetzen. Zudem betrage das Verhältnis Kleinpackungen zu Großpackungen bei Betablockern 46 zu 676. Teure Kleinpackungen hätten bei der Klägerin nur einen geringen Anteil, insbesondere hätten auch die Packungsgrößen mit der Anzahl von 50 und 100 Tabletten den Zielwert überschritten. Zu der vorrangigen Verordnung des teuren Präparats Valoron N habe sie sich nicht geäußert.
Soweit die Klägerin vortrage, es würden grundsätzlich nur Wirkstoffe und nur ausnahmsweise Präparate verordnet, stelle sich die Frage, wie die Gefahr eines Medikamentenwechsels verhindert werden solle, wenn nicht nach § 73 Abs. 5 S. 2 SGB V verfahren werde.
Mit Beschluss vom 20.01.2013 hat die Kammer die aus dem Rubrum ersichtlichen Beiladungen ausgesprochen. Die Beigeladenen haben sich nicht zur Sache geäußert und keine Anträge gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte der Kammer und der Verwaltungsakte des Beklagten sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17.10.2014 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die als Anfechtungsklage zulässige Klage ist begründet. Der angegriffene Beschluss ist rechtswidrig, so dass die Klägerin durch ihn im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert ist.
I. Klagegegenstand ist allein der Beschluss des Beklagten vom 10.08.2011, so dass statthafte Klageart die reine Anfechtungsklage ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urt. v. 19.10.2011, B 6 KA 38/10 R, juris Rn. 11; Urt. v. 29.6.2011, B 6 KA 16/10 R, juris Rn. 10 mwN) ist das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss – wie auch das Verfahren vor dem Berufungsausschuss – ein eigenständiges und umfassendes Verwaltungsverfahren in einer zweiten Verwaltungsinstanz, bei dem der vom Beschwerde- bzw. Berufungsausschuss erlassene Verwaltungsakt selbständig ist, so dass auch nur dieser Verwaltungsakt den alleinigen Gegenstand des anschließenden gerichtlichen Verfahren bildet. Da die Entscheidung der Gemeinsamen Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in der allein streitgegenständlichen Entscheidung des Beschwerdeausschusses aufgegangen ist, ist statthafte Klageart die Anfechtungsklage (vgl. Clemens in Schlegel/Voelzke, juris-PK, SGB V, § 106 Rn. 368 mwN; BSG; Urt. v. 17.10.2012, B 6 KA 49/11 R, juris Rn. 18; SG Hannover, Urt. v. 18.02.2014, S 65 KA 708/11, juris Rn. 18 ff).
II. Der Beschluss ist rechtswidrig, weil er nicht auf eine ausreichende Rechtsgrundlage gestützt werden kann (hierzu unter 1.). Darüber hinaus ist die in § 2 Abs. 1 der Anlage F zum Gesamtvertrag vorgesehene Beweislastregelung in der konkreten Verfahrensausgestaltung nach § 19 der Prüfungsvereinbarung a.F. unverhältnismäßig (hierzu unter 2.).
1. Der Beschluss des Beschwerdeausschusses, mit dem ein Regress aufgrund von Zielfeldüberschreitungen für das Verordnungsjahr 2006 festgesetzt wird, verfügt nicht über eine ausreichende Rechtsgrundlage. Der Beklagte kann sich insoweit insbesondere nicht auf § 106 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in der im Prüfungszeitraum geltenden Fassungen vom 14.11.2003 und vom 31.10.2006 i.V.m. der Arznei- und Heilmittelvereinbarung 2006 vom 16.02.2006 in der Fassung des 1. Nachtrages vom 04.05.2006 (im Folgenden: Arznei- und Heilmittelvereinbarung 2006) i.V.m. § 19 der Prüfungsvereinbarung vom 30.11.2010 (im Folgenden: Prüfvereinbarung a.F.). i.V.m. Anlage F der Gesamtverträge stützen.
a. Nach § 106 Abs. 2 SGB V wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung geprüft durch arztbezogene Prüfungen anhand von Richtgrößen (§ 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1) und/oder auf Grundlage von Stichproben (§ 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2). Nach § 106 Abs. 2 Nr. 2 Satz 4 SGB V können die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über die in § 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V vorgesehenen Prüfungen hinaus Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten oder andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren. Den Vertragspartnern steht insoweit ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Normsetzungsspielraum zu. Eine solche Vereinbarung nach § 106 Abs. 2 Nr. 2 Satz 4 SGB V ist für das Verordnungsjahr 2006 mit den indikationsbezogenen Zielvereinbarungen in § 4a und Anlage 2 der Arznei- und Heilmittelvereinbarung 2006 nicht wirksam getroffen worden, da keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage bestand.
aa. Auf § 84 Abs. 4a SGB V in der seit 01.05.2006 gültigen Fassung kann die Regelung in der Arznei- und Heilmittelvereinbarung 2006 nicht gestützt werden, da sie eine entsprechende Kompetenz für eine Vereinbarung erstmalig für das Jahr 2007 vorsah.
§ 84 Abs. 7a SGB V und § 84 Abs. 4a SGB V wurden durch das Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung (AVWG) vom 26.04.2006 (BGBl. I S. 984) zum 01.05.2006 eingeführt. § 84 Abs. 7a SGB V verpflichtete die Spitzenverbände der Krankenkassen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung, erstmals für das Verordnungsjahr 2007 für Gruppen von Arzneimitteln für verordnungsstarke Anwendungsgebiete Durchschnittskosten je definierter Dosiseinheit, die sich bei wirtschaftlicher Verordnungsweise ergeben, zu vereinbaren. § 84 Abs. 7a Satz 6 SGB V sah vor, dass der Vertragsarzt die Mehrkosten bei einer Überschreitung der festgesetzten Zielgröße ausgleichen musste, und zwar bei einer Überschreitung von mehr als 10 v.H. bis zu 20 v.H. um 20 v.H., von mehr als 20 v.H. bis 30 v.H. um 30 v.H. und von mehr als 30 v.H. um 50 v.H. der jeweiligen Überschreitung. Unterhalb des Schwellenwertes von 10 v.H. fand ein Ausgleich nicht statt. Die Vertragspartner auf Bundesebene haben am 19.09.2006 für das Jahr 2007 eine entsprechende Vereinbarung getroffen und darin Gruppen von Arzneimitteln für verordnungsstarke Anwendungsgebiete, Leitsubstanzen sowie ein Verfahren zur Ermittlung der regionalen Zielwerte festgelegt.
Flankierend hierzu sah der ebenfalls durch das AVWG eingeführte § 84 Abs. 4a SGB V vor, dass die Vereinbarung nicht zur Anwendung kam, wenn in der Arznei- und Heilmittelvereinbarung auf regionaler Ebene bis zum 15.11.2006 für das Jahr 2007 Maßnahmen bestimmt wurden, die ebenso zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit geeignet seien und die einen entsprechenden Ausgleich von Mehrkosten bei Nichteinhaltung der vereinbarten Ziele gewährleisteten. Insoweit waren die bundeseinheitlichen Vereinbarungen nach § 84 Abs. 7a SGB V also subsidiär, wenn auf regionaler Ebene eine entsprechende Vereinbarung getroffen wurde. Da auf die in einer solchen Vereinbarung getroffenen Zielgrößen § 84 Abs. 7a Satz 6 SGB V keine Anwendung fand, konnte eine Überschreitung nur Gegenstand einer Prüfung nach § 106 Abs. 2 SGB V sein (vgl. Freudenberg in jurisPK-SGB V, 2. Aufl. 2012, § 84 SGB V, Rn. 72).
Die in H. getroffenen Regelungen in der Arznei- und Heilmittelvereinbarung 2006 für das Verordnungsjahr 2006 können nicht auf § 84 Abs. 4a SGB V gestützt werden. Die Kammer lässt insoweit ausdrücklich offen, wie sich die spätere Aufhebung von §§ 87 Abs. 4a und 7a SGB V zum 01.01.2011 durch das Arzneimittel-Neuordnungsgesetz (AMNOG) auswirkt (vgl. hierzu SG Hamburg, Urt. v. 04.12.2013, S 27 KA 42/11). Offen bleiben kann auch, ob die Bestimmungen der Arznei- und Heilmittelvereinbarung 2006 den Vorgaben in § 84 Abs. 4a Satz 1, 2. Hs. SGB V genügt, also ebenso wie eine Vereinbarung nach Absatz 7a zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit geeignet ist und einen entsprechenden Ausgleich von Mehrkosten bei Nichteinhaltung der vereinbarten Ziele gewährleistet.
bb. Auch § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V kann nicht als Rechtsgrundlage für die Zielvereinbarungen in der Arznei- und Heilmittelvereinbarung 2006 herangezogen werden. Nach § 84 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB V umfasst die Arzneimittelvereinbarung Versorgungs- und Wirtschaftlichkeitsziele und konkrete, auf die Umsetzung dieser Ziele ausgerichtete Maßnahmen, insbesondere Verordnungsanteile für Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen im jeweiligen Anwendungsgebiet, auch zur Verordnung wirtschaftlicher Einzelmengen (Zielvereinbarungen), insbesondere zur Information und Beratung. Zielvereinbarungen sind demnach obligatorischer Inhalt der Arznei- und Heilmittelverordnung. Auf Grundlage von § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V können nach dessen Wortlaut zwar auch andere Maßnahmen als Information und Beratung vereinbart werden. Allerdings ergibt sich aus der Einführung und dem Regelungsinhalt von §§ 84 Abs. 7a und Abs. 4a SGB V, dass § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V gerade keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Vereinbarung von Durchschnittskosten je definierter Dosiseinheit oder entsprechende Maßnahmen zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit, geschweige denn für einen auf eine solche Vereinbarung gestützten Regress, geregelt war.
cc. Auch § 84 Abs. 3 SGB V kann nicht als Rechtsgrundlage herangezogen werden. Nach § 84 Abs. 3 Satz 1 SGB V ist eine Überschreitung des tatsächlichen durch das vereinbarte Ausgabenvolumen Gegenstand der Gesamtverträge. Nach § 84 Abs. 3 Satz 2 haben die Vertragsparteien dabei die Ursachen der Überschreitung, insbesondere auch die Erfüllung der Zielvereinbarungen nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 SGB V, zu berücksichtigen. Die Vorschrift ist damit Grundlage für die Einbeziehung einer Überschreitung des Ausgabenvolumens in die Gesamtverträge und für die Regelung einer Verpflichtung der Vertragspartner zur Ursachenanalyse, nicht jedoch für die Regelung von Maßstäben und Vorgaben einer Sanktionierung individueller Zielverfehlungen.
dd. Die Kammer lässt es ausdrücklich offen, ob sie die von der Klägerin vorgebrachten grundlegenden Zweifel an der Vereinbarkeit der getroffenen Zielvereinbarungen mit den Rahmenvorgaben der in § 106 Abs. 2 SGB V vorgesehenen Wirtschaftlichkeitsprüfungen teilt. Es erscheint jedoch zumindest fraglich, ob die Nichteinhaltung der vereinbarten DDD-Zielwerte zur Feststellung eines individuellen Verstoßes gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot als Prüfmethode geeignet ist. Der Arznei- und Heilmittelvereinbarung 2006 ist nicht zu entnehmen, wie die vereinbarten Zielwerte gebildet wurden, so dass nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden kann, dass die Überschreitung auf unwirtschaftlichem Verordnungsverhalten beruht. Diese Bedenken sieht die Kammer auch darin gestützt, dass das Verfahren gerade nicht im Abschnitt 3 unter den Prüfungsarten nach § 12 der Prüfungsvereinbarung a.F., mit denen die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung zu prüfen war, sondern im Abschnitt 4 als besondere Aufgabe der Prüfungsstelle und des Beschwerdeausschusses zur Feststellung von Regressansprüchen aufgrund gesamtvertraglicher Regelungen, eingeordnet war. Die Prüfungsvereinbarung a.F. begriff das Verfahren folglich offenbar selbst nicht als ein Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung.
2. Selbst wenn man entgegen der Auffassung der Kammer davon ausginge, dass der Beklagte sich für den festgesetzten Regress auf eine ausreichende Rechtsgrundlage stützen kann, wäre die Festsetzung des Regresses jedenfalls rechtswidrig, weil die in § 2 Abs. 1 der Anlage F zum Gesamtvertrag vorgesehene Regelung der Darlegungs- und Beweislast in der konkreten Verfahrensausgestaltung nach § 19 der Prüfungsvereinbarung a.F. unverhältnismäßig ist und den den Vertragsparteien eingeräumten Gestaltungsspielraum überschreitet.
Den betroffenen Praxen werden im Rahmen der Zielfeldüberprüfung mit der Information über die Einleitung des Prüfverfahrens die Daten der die in den betroffenen Zielgruppen verordneten Arzneimittel mit Pharmazentralnummer, ATC-Code, Wirkstoff, Hersteller, Name, Darreichungsform, Packungsinhalt, Anzahl der verordneten Packungen, Ausgaben, verordneten definierten Tagesdosen (DDD), Kosten je DDD und dem Zielwert Kosten je DDD zur Verfügung. Abgesehen davon, dass diese Daten – wie bereits ausgeführt – eine unwirtschaftliche Verordnungsweise nicht ohne weiteres indizieren dürften, besteht auch kein Versichertenbezug der Daten. Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 und 3 der Anlage F zum Gesamtvertrag besteht der Regressanspruch nur, soweit das Abweichen von den Versorgungszielen nicht durch zwingende medizinische Gründe geboten oder gegenüber anderen Therapiealternativen die kostengünstigere Variante ist. Die Beweislast für die Anspruchsbegrenzung trägt der Arzt. Der Beklagte fordert für eine entsprechende Entlastung substantiierten Vortrag zu dokumentierten Einzelfällen. Diese Verfahrensausgestaltung ist indessen unverhältnismäßig, da sich ein eindeutiger Patientenbezug aus den zur Verfügung gestellten Daten nicht ableiten lässt. Die Pharmazentralnummer ist ein reiner Identifikationsschlüssel, der Arzneimittel nach Bezeichnung, Darreichungsform, Wirkstoffstärke und Packungsgröße eindeutig kennzeichnet und in Form eines Strichcodes auf der Packung aufgedruckt wird. Bei Abgabe des Arzneimittels wird der Strichcode gescannt und auf das Rezept aufgedruckt. Die Pharmazentralnummer erlaubt jedoch für den Arzt keinen Rückschluss auf die konkrete Verordnung, da eine Rückmeldung der Pharmazentralnummer an den Arzt nach Abgabe des Medikaments durch die Apotheke an den Patienten nicht erfolgt. Die für den Rückschluss auf die Verordnung notwendigen Daten liegen somit allein den Krankenkassen vor. Auch anhand der Angaben von Wirkstoff oder Hersteller kann ein Arzt angesichts der Regelung in § 129 Abs. 1 SGB V, wonach Apotheken zur Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels verpflichtet sind, wenn der verordnende Arzt ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet oder die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat, keinen eindeutigen Rückschluss auf den betroffenen Patienten ziehen. Vom Arzt würde damit verlangt, gegebenenfalls für alternative Szenarien den Entlastungsbeweis zu führen, da er aus den ihm vorliegenden Daten nicht eindeutig ableiten kann, aufgrund welcher Verordnungen es zu Zielfeldüberschreitungen gekommen ist. Nach allem kommen die Prüfgremien bei dieser Verfahrensgestaltung ihrer Pflicht zur Darlegung der Umstände, aus denen der Regressanspruch abgeleitet werden soll, unzureichend nach, so dass die Beweislastregelung sich als unverhältnismäßig darstellt. Der den Vertragsparteien eingeräumte Gestaltungsspielraum wird damit überschritten.
III. Die Kostenentscheidung zu Lasten des Beklagten beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsgesetz (VwGO). Die Kammer sieht davon ab, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nach § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären, weil die Beigeladenen keine Anträge gestellt haben und damit auch kein Kostenrisiko eingegangen sind. Der Streitwert ist nach § 52 Gerichtskostengesetz festgesetzt worden.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen einen Regress aufgrund einer Zielfeldprüfung für das Verordnungsjahr 2006.
Die Klägerin war als Berufsausübungsgemeinschaft von Fachärzten für Innere Medizin, Kardiologie und Angiologie in der vertragsärztlichen Versorgung in H. tätig.
Mit Schreiben vom 27.04.2010 informierte die Gemeinsame Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in H. die Klägerin, dass sie nach Überschreitung der Ausgabenvolumina für Arznei- und Heilmittel im Verordnungsjahr 2006 die daraus resultierenden Regressansprüche der Krankenkassen gemäß § 19 der H. Prüfvereinbarung festzustellen habe. Die Klägerin habe die für das Verordnungsjahr 2006 vertraglich vereinbarten Zielvorgaben nicht erreicht. Bei der Zielgruppe cardioselektive Betablocker sei der Zielwert um 28,25 % (brutto 4.189,61 Euro) und bei der Zielgruppe Tilidinkombinationen um 15,1 % (brutto 256,77 Euro) überschritten. Die Klägerin erhalte Gelegenheit, innerhalb von vier Wochen eine Stellungnahme abzugeben und insbesondere mitzuteilen, ob Besonderheiten für einzelne Patienten oder Patientengruppen geltend gemacht werden, die bei entsprechender Indikation eine Verordnung höherpreisiger Arzneimittel rechtfertigen könnten. Dem Schreiben war eine Tabelle beigefügt, in der die in den betroffenen Zielgruppen verordneten Arzneimittel mit Pharmazentralnummer (PZN), dem Code nach dem Anatomisch-Therapeutisch-Chemischen Klassifikationssystem (ATC-Code), Wirkstoff, Hersteller, Name, Darreichungsform, Packungsinhalt, Anzahl der verordneten Packungen, Ausgaben, verordneten definierten Tagesdosen (DDD), Kosten je DDD und dem Zielwert Kosten je DDD aufgeführt waren.
Mit Bescheid vom 25.10.2010 setzte die Gemeinsame Prüfungsstelle einen Regress in Höhe von netto 3.493,30 Euro für die Zielwertüberschreitung bei der Verordnung der Arzneimittelgruppen cardioselektive Betablocker (netto 3.371,80 Euro) und Tilidinkombinationen (netto 121,50 Euro) fest. Zur Begründung war ausgeführt, die Zielwerte seien von den Landesverbänden der Krankenkassen und der KV H. anhand definierter Tagesdosen festgelegt. Die Vereinbarungen seien ein Bestandteil der Arzneimittelprüfungen 2006. Da das vereinbarte Ausgabenvolumen für die insgesamt von den H. Vertragsärzten veranlassten Leistungen für das Verordnungsjahr 2006 überschritten worden seien, seien die Zielfeldprüfungen durchzuführen gewesen. Die gesetzten Ziele seien so gewählt, dass Spielraum für individuelle Therapieentscheidungen bestehe. Voraussetzung für den Austausch von Präparaten sei die im Einzelfall zu prüfende medizinische Unbedenklichkeit. Lägen keine zwingenden medizinischen Gründe für eine Überschreitung der Zielvorgaben vor, seien die damit verbundenen höheren Verordnungskosten vom Vertragsarzt zu verantworten. Es habe allerdings keine patientenbezogene Überprüfung der Verordnungen vorgenommen werden können, da die Übermittlung dieser Daten vertraglich nicht geregelt sei. Die Klägerin habe zur Überschreitung keine Stellungnahme abgegeben. Dies müsse zu ihrem Nachteil ausgelegt werden, weil es an ihr gewesen wäre, etwaige Gründe, die zur Zielwertüberschreitung geführt haben, im Einzelnen darzulegen. Durch eine Neuberechnung für die seit 01.07.2006 gültigen Zielfelder habe sich die Höhe der Zielwertverfehlungen zugunsten der Klägerin verändert.
Die Klägerin erhob mit am 29.10.2010 eingegangenem Schreiben Widerspruch gegen den Bescheid vom 25.10.2010.
Mit Beschluss vom 10.08.2011 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zunächst sei auf die Korrektur der mit Schreiben vom 27.04.2010 übersandten PZN-Liste hinzuweisen. Diese ursprüngliche Liste sei durch die am 23.06.2010 erstellte Liste ersetzt. Die Vertragspartner der Zielvereinbarungen hätten sich verständigt, neue Ziele nur und erst dann zu vereinbaren, wenn eine gesetzliche Neuregelung den Vertragspartnern die Regelungshoheit über die Rechtsfolgen aus den Zielvereinbarungen belasse. Für die Zeit vom 01.07.2006 sei eine Erweiterung des 1. Zielfeldes Opoide um Punkt c) Tilidin, Kombi erfolgt. Die PZN-Liste sei um die Verordnungen der ersten Hälfte des Jahres 2006 korrigiert worden. Zur Begründung des Regresses bezog der Beklagte sich auf die indikationsbezogenen Zielvereinbarungen für das Jahr 2006 betreffend die Zielgruppen cardioselektive Betablocker und Tilidinkombinationen und führte aus, die Beigeladene zu 6) habe in ihren Publikationen und Informationsveranstaltungen auf die Dokumentationspflichten der Vertragsärzte zur Rechtfertigung von Zielwertüberschreitungen hingewiesen und Entlastungsmöglichkeiten aufgrund von im einzelnen Patienten liegenden Gründen hingewiesen. Es sei nicht ersichtlich, warum bei den Tilidinkombinationen das teure Originalpräparat Valoron N gewählt worden sei. Das Verhältnis Kleinpackung zu Großpackung in der Zielgruppe cardioselektive Betablocker betrage 41 zu 676. Die Berufsausübungsgemeinschaft habe sich weder zur Einleitung der Zielfeldprüfung noch zum Widerspruch geäußert. Entlastende Gesichtspunkte seien auch nicht feststellbar gewesen.
Mit der am 22.09.2011 erhobenen Klage wendet sich die Klägerin gegen den Regress.
Zur Begründung trägt sie vor, der Regressbescheid habe keine ausreichende Rechtsgrundlage. Die in einer Arznei- und Heilmittelvereinbarung vereinbarten Ziele könnten nach § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB V nur zur Information und Beratung dienen, nicht jedoch zur Festsetzung von Regressen. § 84 Abs. 7a SGB V ermächtige die Vertragspartner auf Bundesebene und nicht die Partner der Gesamtverträge auf regionaler Ebene zur Festlegung von Durchschnittskosten für definierte Dosiereinheiten. § 106 Abs. 2 S. 4 SGB V rechtfertige keine automatische Kürzung bei Verfehlung von Zielwerten, sondern erfordere eine inhaltliche Prüfung, ob die Verfehlung der Ziele durch Unwirtschaftlichkeit oder durch Praxisbesonderheiten begründet sei. Die Zielfeldprüfung unterscheide sich von anderen Prüfungen dadurch, dass die definierten Prüfungsmaßstäbe absolut und nicht arztgruppenbezogen vereinbart seien. Es sei nicht sachgerecht und bedürfe aufgrund des Verstoßes gegen das Differenzierungsgebot nach Art. 3 GG einer besonderen Rechtfertigung, wenn die für die Wirtschaftlichkeitsprüfung typische Differenzierung zwischen Arztgruppen aufgegeben werde. Zudem enthalte weder § 19 der Prüfvereinbarung noch die gesamtvertragliche Regelung verbindliche Vorgaben für die Auswahl der Medikamente/Wirkstoffe und für die Definition des Zielwertes. Wie die Vertragspartner Wirkstoffe ausgewählt und die Zielkosten je Tagesdosis berechnet hätten, sei nicht nachvollziehbar. Eine Überprüfung der vereinbarten Zielfelder auf ihre Vereinbarkeit mit dem Anspruch der Versicherten auf eine wirtschaftliche, dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechende Versorgung, sei nicht möglich. Die Zielfeldprüfungen griffen überdies in besonders starkem Maße in die Therapiefreiheit der Vertragsärzte und den Leistungsanspruch des Versicherten ein. Die Überschreitung der Zielwerte sei daher kein Indiz für unwirtschaftliches Verordnungsverhalten.
Bei der Verordnung von Wirkstoffen habe der Arzt es zudem nicht in der Hand, welches Medikament der Apotheker auswähle. § 129 Abs. 1 SGB V bestimme, dass die Apotheken bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte verpflichtet seien, preisgünstige Arzneimittel abzugeben, wenn der verordnende Arzt ein Arzneimittel nur unter einer Wirkstoffbezeichnung verordne, oder die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen habe. Die für die Verordnung anfallenden Kosten lägen damit nicht in der Hand des Arztes. Die Krankenkassen könnten nach § 130a Abs. 8 SGB V mit pharmazeutischen Unternehmen Rabatte für die zu Ihren Lasten abgegebenen Arzneimittel vereinbaren. Der einzelne Arzt kenne die Rabattverträge nicht und könne nicht wissen, welches Medikament für die jeweilige Krankenkasse das günstigste ist. Die Spitzenverbände der Krankenkassen und die kassenärztliche Bundesvereinigung hätten in ihren Rahmenvorgaben nach § 84 Abs. 7 SGB V für das Jahr 2008 denn auch festgestellt, dass die Regelungen in § 84 Abs. 7a SGB V zu Durchschnittskosten je definierter Dosiereinheit durch die verschiedenen Regelungen zu rabattbegünstigten Arzneimitteln in ihrer Umsetzung und Wirkung konterkariert würden.
Bei der Klägerin gegebene Praxisbesonderheiten seien nicht berücksichtigt worden. Die Klägerin behandle fast ausschließlich Patienten mit Herzerkrankungen, so dass Arzneimittel aus diesem Bereich besonders häufig verordnet würden und damit auch die Gefahr einer Zielwertüberschreitung steige. Bei Erkrankungen des Herzens sei die Einstellung auf ein Medikament besonders heikel. Zudem handele es sich um eine reine Zuweisungspraxis. Gründe für hohe Durchschnittskosten seien teure Originalpräparate, kleine Packungsgrößen und geringe Wirkungsstärken. Aufgrund des Patientenklientels der Klägerin sei eine Überschreitung praktisch vorgezeichnet. Die Patienten seien teilweise bereits auf bestimmte Medikamente eingestellt. Der Wechsel des Medikaments sei oftmals riskant und medizinisch nicht indiziert. Bei der Einstellung eines Patienten auf ein Medikament würden zunächst kleine Packungsgrößen verordnet, um die Verträglichkeit und Wirksamkeit festzustellen. Danach würden größere Packungen eventuell auch mit höheren Dosierungen verordnet. Diese würden jedoch oftmals vom Hausarzt und nicht von der Klägerin weiter verordnet, da die Klägerin die Patienten nur zur Einstellung des Medikamentes behandle. Medizinisch sei es auch zwingend erforderlich, zunächst ein Medikament mit einer niedrigen Wirkstärke zu verordnen, um den Patienten auf den Wirkstoff einzustellen. Es werde zum Teil mit einem Zehntel der Zieldosis begonnen. Eine Überdosierung könne schwere gesundheitliche Folgen haben.
Schließlich sei eine einzelfallbezogene Begründung der einzelnen Verordnungen nicht möglich. Die Aufstellung des Beklagten liste lediglich die einzelnen Medikamente auf, ohne diese einzelnen Patienten zuzuordnen. Eine patientenbezogene Begründung könne nur vorgenommen werden, wenn der Beklagte mitteile, bei welchen Patienten im Einzelnen die Zielfelder überschritten worden seien.
Der Klägerin beantragt,
den Beschluss des Beschwerdeausschusses vom 10.08.2011 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt der Beklagte aus, Rechtsgrundlage der Zielfeldprüfungen sei § 106 Abs. 2 S. 4 Hs. 1 SGB V. In § 84 Abs.1 S. 2 Nr. 2 SGB V sei der Inhalt der Arznei- und Heilmittelvereinbarung nicht abschließend beschrieben. Maßnahmen im Wege eines Regresses seien nicht ausgeschlossen. § 84 Abs. 7a SGB V sei durch § 84 Abs. 4a Satz 1 SGB V ausgeschlossen gewesen. § 106 Abs. 2 S. 4 SGB V zwinge nicht zu einer arztgruppenbezogenen Differenzierung, da dort die Rede von "anderen arztbezogenen Prüfungsarten" sei. Bei den nach § 19 Abs. 6 Prüfungsvereinbarung je Zielfeld zu bildenden variablen Grenzwerten für die Summen der verordneten DDD und die durchschnittlichen DDD je Packung würden die verordneten DDD und die durchschnittlichen DDD je Packung arzt- und zielfeldbezogen ermittelt. Grundgröße sei in beiden Fällen die Summe der Verordnungen aller Vertragsärzte im jeweiligen Zielfeld unabhängig vom Zielerreichungsgrad. Da eine preisbezogene Unwirtschaftlichkeit bei der Auswahl von Medikamenten mit denselben Wirkstoffen betrachtet werde, sei die Verfehlung der Verordnungsziele nicht von der Arztgruppe abhängig. Die Bestimmungen des § 19 der Prüfungsvereinbarung und der Arznei- und Heilmittelvereinbarung für das Jahr 2006 gäben genügend Informationen über die geltenden Vorgaben und die Ermittlung der Daten.
Da die Klägerin im Verwaltungsverfahren und im Vorverfahren keine rechtfertigenden Gründe für die Überschreitung der Zielvorgaben vorgetragen habe, sei die Berücksichtigung durch die Prüfgremien nicht möglich gewesen. Die Dokumentations- und Beweislast liege bei der Klägerin. Dem Beklagten lägen nur die Phase-1-Daten der Richtgrößenprüfung vor. Dabei handele es sich um die Arztnummer, Betriebsstättennummer, das Verordnungsquartal, das Institutskennzeichen der Krankenkassen, die Zahl der Verordnungen für Arzneimittel, den Brutto-und Nettowert der Verordnungen für Arzneimittel und bezüglich der letzten drei Bereiche die Angabe der PZN. Ein Versichertenbezug dieser Daten bestehe nicht. Die Klägerin sei umfassend und rechtzeitig darüber informiert worden, dass sie dokumentierte Einzelfälle vorzutragen habe, in denen sie aus medizinischen Gründen Arzneimittel mit ungünstigen Tagestherapiekosten verordnet habe. Die vorgetragenen Praxisbesonderheiten seien nicht geeignet, die Überschreitung der durchschnittlichen Tagestherapiekosten zu rechtfertigen. Die Klägerin sei bei ihren Verordnungen nicht an die bisherige Verordnungsweise gebunden. Bei der Einstellung auf ein Medikament dürfte es noch um einiges leichter sein, von Beginn an preiswertere Generika einzusetzen. Zudem betrage das Verhältnis Kleinpackungen zu Großpackungen bei Betablockern 46 zu 676. Teure Kleinpackungen hätten bei der Klägerin nur einen geringen Anteil, insbesondere hätten auch die Packungsgrößen mit der Anzahl von 50 und 100 Tabletten den Zielwert überschritten. Zu der vorrangigen Verordnung des teuren Präparats Valoron N habe sie sich nicht geäußert.
Soweit die Klägerin vortrage, es würden grundsätzlich nur Wirkstoffe und nur ausnahmsweise Präparate verordnet, stelle sich die Frage, wie die Gefahr eines Medikamentenwechsels verhindert werden solle, wenn nicht nach § 73 Abs. 5 S. 2 SGB V verfahren werde.
Mit Beschluss vom 20.01.2013 hat die Kammer die aus dem Rubrum ersichtlichen Beiladungen ausgesprochen. Die Beigeladenen haben sich nicht zur Sache geäußert und keine Anträge gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte der Kammer und der Verwaltungsakte des Beklagten sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17.10.2014 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die als Anfechtungsklage zulässige Klage ist begründet. Der angegriffene Beschluss ist rechtswidrig, so dass die Klägerin durch ihn im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert ist.
I. Klagegegenstand ist allein der Beschluss des Beklagten vom 10.08.2011, so dass statthafte Klageart die reine Anfechtungsklage ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urt. v. 19.10.2011, B 6 KA 38/10 R, juris Rn. 11; Urt. v. 29.6.2011, B 6 KA 16/10 R, juris Rn. 10 mwN) ist das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss – wie auch das Verfahren vor dem Berufungsausschuss – ein eigenständiges und umfassendes Verwaltungsverfahren in einer zweiten Verwaltungsinstanz, bei dem der vom Beschwerde- bzw. Berufungsausschuss erlassene Verwaltungsakt selbständig ist, so dass auch nur dieser Verwaltungsakt den alleinigen Gegenstand des anschließenden gerichtlichen Verfahren bildet. Da die Entscheidung der Gemeinsamen Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in der allein streitgegenständlichen Entscheidung des Beschwerdeausschusses aufgegangen ist, ist statthafte Klageart die Anfechtungsklage (vgl. Clemens in Schlegel/Voelzke, juris-PK, SGB V, § 106 Rn. 368 mwN; BSG; Urt. v. 17.10.2012, B 6 KA 49/11 R, juris Rn. 18; SG Hannover, Urt. v. 18.02.2014, S 65 KA 708/11, juris Rn. 18 ff).
II. Der Beschluss ist rechtswidrig, weil er nicht auf eine ausreichende Rechtsgrundlage gestützt werden kann (hierzu unter 1.). Darüber hinaus ist die in § 2 Abs. 1 der Anlage F zum Gesamtvertrag vorgesehene Beweislastregelung in der konkreten Verfahrensausgestaltung nach § 19 der Prüfungsvereinbarung a.F. unverhältnismäßig (hierzu unter 2.).
1. Der Beschluss des Beschwerdeausschusses, mit dem ein Regress aufgrund von Zielfeldüberschreitungen für das Verordnungsjahr 2006 festgesetzt wird, verfügt nicht über eine ausreichende Rechtsgrundlage. Der Beklagte kann sich insoweit insbesondere nicht auf § 106 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in der im Prüfungszeitraum geltenden Fassungen vom 14.11.2003 und vom 31.10.2006 i.V.m. der Arznei- und Heilmittelvereinbarung 2006 vom 16.02.2006 in der Fassung des 1. Nachtrages vom 04.05.2006 (im Folgenden: Arznei- und Heilmittelvereinbarung 2006) i.V.m. § 19 der Prüfungsvereinbarung vom 30.11.2010 (im Folgenden: Prüfvereinbarung a.F.). i.V.m. Anlage F der Gesamtverträge stützen.
a. Nach § 106 Abs. 2 SGB V wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung geprüft durch arztbezogene Prüfungen anhand von Richtgrößen (§ 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1) und/oder auf Grundlage von Stichproben (§ 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2). Nach § 106 Abs. 2 Nr. 2 Satz 4 SGB V können die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über die in § 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V vorgesehenen Prüfungen hinaus Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten oder andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren. Den Vertragspartnern steht insoweit ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Normsetzungsspielraum zu. Eine solche Vereinbarung nach § 106 Abs. 2 Nr. 2 Satz 4 SGB V ist für das Verordnungsjahr 2006 mit den indikationsbezogenen Zielvereinbarungen in § 4a und Anlage 2 der Arznei- und Heilmittelvereinbarung 2006 nicht wirksam getroffen worden, da keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage bestand.
aa. Auf § 84 Abs. 4a SGB V in der seit 01.05.2006 gültigen Fassung kann die Regelung in der Arznei- und Heilmittelvereinbarung 2006 nicht gestützt werden, da sie eine entsprechende Kompetenz für eine Vereinbarung erstmalig für das Jahr 2007 vorsah.
§ 84 Abs. 7a SGB V und § 84 Abs. 4a SGB V wurden durch das Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung (AVWG) vom 26.04.2006 (BGBl. I S. 984) zum 01.05.2006 eingeführt. § 84 Abs. 7a SGB V verpflichtete die Spitzenverbände der Krankenkassen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung, erstmals für das Verordnungsjahr 2007 für Gruppen von Arzneimitteln für verordnungsstarke Anwendungsgebiete Durchschnittskosten je definierter Dosiseinheit, die sich bei wirtschaftlicher Verordnungsweise ergeben, zu vereinbaren. § 84 Abs. 7a Satz 6 SGB V sah vor, dass der Vertragsarzt die Mehrkosten bei einer Überschreitung der festgesetzten Zielgröße ausgleichen musste, und zwar bei einer Überschreitung von mehr als 10 v.H. bis zu 20 v.H. um 20 v.H., von mehr als 20 v.H. bis 30 v.H. um 30 v.H. und von mehr als 30 v.H. um 50 v.H. der jeweiligen Überschreitung. Unterhalb des Schwellenwertes von 10 v.H. fand ein Ausgleich nicht statt. Die Vertragspartner auf Bundesebene haben am 19.09.2006 für das Jahr 2007 eine entsprechende Vereinbarung getroffen und darin Gruppen von Arzneimitteln für verordnungsstarke Anwendungsgebiete, Leitsubstanzen sowie ein Verfahren zur Ermittlung der regionalen Zielwerte festgelegt.
Flankierend hierzu sah der ebenfalls durch das AVWG eingeführte § 84 Abs. 4a SGB V vor, dass die Vereinbarung nicht zur Anwendung kam, wenn in der Arznei- und Heilmittelvereinbarung auf regionaler Ebene bis zum 15.11.2006 für das Jahr 2007 Maßnahmen bestimmt wurden, die ebenso zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit geeignet seien und die einen entsprechenden Ausgleich von Mehrkosten bei Nichteinhaltung der vereinbarten Ziele gewährleisteten. Insoweit waren die bundeseinheitlichen Vereinbarungen nach § 84 Abs. 7a SGB V also subsidiär, wenn auf regionaler Ebene eine entsprechende Vereinbarung getroffen wurde. Da auf die in einer solchen Vereinbarung getroffenen Zielgrößen § 84 Abs. 7a Satz 6 SGB V keine Anwendung fand, konnte eine Überschreitung nur Gegenstand einer Prüfung nach § 106 Abs. 2 SGB V sein (vgl. Freudenberg in jurisPK-SGB V, 2. Aufl. 2012, § 84 SGB V, Rn. 72).
Die in H. getroffenen Regelungen in der Arznei- und Heilmittelvereinbarung 2006 für das Verordnungsjahr 2006 können nicht auf § 84 Abs. 4a SGB V gestützt werden. Die Kammer lässt insoweit ausdrücklich offen, wie sich die spätere Aufhebung von §§ 87 Abs. 4a und 7a SGB V zum 01.01.2011 durch das Arzneimittel-Neuordnungsgesetz (AMNOG) auswirkt (vgl. hierzu SG Hamburg, Urt. v. 04.12.2013, S 27 KA 42/11). Offen bleiben kann auch, ob die Bestimmungen der Arznei- und Heilmittelvereinbarung 2006 den Vorgaben in § 84 Abs. 4a Satz 1, 2. Hs. SGB V genügt, also ebenso wie eine Vereinbarung nach Absatz 7a zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit geeignet ist und einen entsprechenden Ausgleich von Mehrkosten bei Nichteinhaltung der vereinbarten Ziele gewährleistet.
bb. Auch § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V kann nicht als Rechtsgrundlage für die Zielvereinbarungen in der Arznei- und Heilmittelvereinbarung 2006 herangezogen werden. Nach § 84 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB V umfasst die Arzneimittelvereinbarung Versorgungs- und Wirtschaftlichkeitsziele und konkrete, auf die Umsetzung dieser Ziele ausgerichtete Maßnahmen, insbesondere Verordnungsanteile für Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen im jeweiligen Anwendungsgebiet, auch zur Verordnung wirtschaftlicher Einzelmengen (Zielvereinbarungen), insbesondere zur Information und Beratung. Zielvereinbarungen sind demnach obligatorischer Inhalt der Arznei- und Heilmittelverordnung. Auf Grundlage von § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V können nach dessen Wortlaut zwar auch andere Maßnahmen als Information und Beratung vereinbart werden. Allerdings ergibt sich aus der Einführung und dem Regelungsinhalt von §§ 84 Abs. 7a und Abs. 4a SGB V, dass § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V gerade keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Vereinbarung von Durchschnittskosten je definierter Dosiseinheit oder entsprechende Maßnahmen zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit, geschweige denn für einen auf eine solche Vereinbarung gestützten Regress, geregelt war.
cc. Auch § 84 Abs. 3 SGB V kann nicht als Rechtsgrundlage herangezogen werden. Nach § 84 Abs. 3 Satz 1 SGB V ist eine Überschreitung des tatsächlichen durch das vereinbarte Ausgabenvolumen Gegenstand der Gesamtverträge. Nach § 84 Abs. 3 Satz 2 haben die Vertragsparteien dabei die Ursachen der Überschreitung, insbesondere auch die Erfüllung der Zielvereinbarungen nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 SGB V, zu berücksichtigen. Die Vorschrift ist damit Grundlage für die Einbeziehung einer Überschreitung des Ausgabenvolumens in die Gesamtverträge und für die Regelung einer Verpflichtung der Vertragspartner zur Ursachenanalyse, nicht jedoch für die Regelung von Maßstäben und Vorgaben einer Sanktionierung individueller Zielverfehlungen.
dd. Die Kammer lässt es ausdrücklich offen, ob sie die von der Klägerin vorgebrachten grundlegenden Zweifel an der Vereinbarkeit der getroffenen Zielvereinbarungen mit den Rahmenvorgaben der in § 106 Abs. 2 SGB V vorgesehenen Wirtschaftlichkeitsprüfungen teilt. Es erscheint jedoch zumindest fraglich, ob die Nichteinhaltung der vereinbarten DDD-Zielwerte zur Feststellung eines individuellen Verstoßes gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot als Prüfmethode geeignet ist. Der Arznei- und Heilmittelvereinbarung 2006 ist nicht zu entnehmen, wie die vereinbarten Zielwerte gebildet wurden, so dass nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden kann, dass die Überschreitung auf unwirtschaftlichem Verordnungsverhalten beruht. Diese Bedenken sieht die Kammer auch darin gestützt, dass das Verfahren gerade nicht im Abschnitt 3 unter den Prüfungsarten nach § 12 der Prüfungsvereinbarung a.F., mit denen die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung zu prüfen war, sondern im Abschnitt 4 als besondere Aufgabe der Prüfungsstelle und des Beschwerdeausschusses zur Feststellung von Regressansprüchen aufgrund gesamtvertraglicher Regelungen, eingeordnet war. Die Prüfungsvereinbarung a.F. begriff das Verfahren folglich offenbar selbst nicht als ein Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung.
2. Selbst wenn man entgegen der Auffassung der Kammer davon ausginge, dass der Beklagte sich für den festgesetzten Regress auf eine ausreichende Rechtsgrundlage stützen kann, wäre die Festsetzung des Regresses jedenfalls rechtswidrig, weil die in § 2 Abs. 1 der Anlage F zum Gesamtvertrag vorgesehene Regelung der Darlegungs- und Beweislast in der konkreten Verfahrensausgestaltung nach § 19 der Prüfungsvereinbarung a.F. unverhältnismäßig ist und den den Vertragsparteien eingeräumten Gestaltungsspielraum überschreitet.
Den betroffenen Praxen werden im Rahmen der Zielfeldüberprüfung mit der Information über die Einleitung des Prüfverfahrens die Daten der die in den betroffenen Zielgruppen verordneten Arzneimittel mit Pharmazentralnummer, ATC-Code, Wirkstoff, Hersteller, Name, Darreichungsform, Packungsinhalt, Anzahl der verordneten Packungen, Ausgaben, verordneten definierten Tagesdosen (DDD), Kosten je DDD und dem Zielwert Kosten je DDD zur Verfügung. Abgesehen davon, dass diese Daten – wie bereits ausgeführt – eine unwirtschaftliche Verordnungsweise nicht ohne weiteres indizieren dürften, besteht auch kein Versichertenbezug der Daten. Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 und 3 der Anlage F zum Gesamtvertrag besteht der Regressanspruch nur, soweit das Abweichen von den Versorgungszielen nicht durch zwingende medizinische Gründe geboten oder gegenüber anderen Therapiealternativen die kostengünstigere Variante ist. Die Beweislast für die Anspruchsbegrenzung trägt der Arzt. Der Beklagte fordert für eine entsprechende Entlastung substantiierten Vortrag zu dokumentierten Einzelfällen. Diese Verfahrensausgestaltung ist indessen unverhältnismäßig, da sich ein eindeutiger Patientenbezug aus den zur Verfügung gestellten Daten nicht ableiten lässt. Die Pharmazentralnummer ist ein reiner Identifikationsschlüssel, der Arzneimittel nach Bezeichnung, Darreichungsform, Wirkstoffstärke und Packungsgröße eindeutig kennzeichnet und in Form eines Strichcodes auf der Packung aufgedruckt wird. Bei Abgabe des Arzneimittels wird der Strichcode gescannt und auf das Rezept aufgedruckt. Die Pharmazentralnummer erlaubt jedoch für den Arzt keinen Rückschluss auf die konkrete Verordnung, da eine Rückmeldung der Pharmazentralnummer an den Arzt nach Abgabe des Medikaments durch die Apotheke an den Patienten nicht erfolgt. Die für den Rückschluss auf die Verordnung notwendigen Daten liegen somit allein den Krankenkassen vor. Auch anhand der Angaben von Wirkstoff oder Hersteller kann ein Arzt angesichts der Regelung in § 129 Abs. 1 SGB V, wonach Apotheken zur Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels verpflichtet sind, wenn der verordnende Arzt ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet oder die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat, keinen eindeutigen Rückschluss auf den betroffenen Patienten ziehen. Vom Arzt würde damit verlangt, gegebenenfalls für alternative Szenarien den Entlastungsbeweis zu führen, da er aus den ihm vorliegenden Daten nicht eindeutig ableiten kann, aufgrund welcher Verordnungen es zu Zielfeldüberschreitungen gekommen ist. Nach allem kommen die Prüfgremien bei dieser Verfahrensgestaltung ihrer Pflicht zur Darlegung der Umstände, aus denen der Regressanspruch abgeleitet werden soll, unzureichend nach, so dass die Beweislastregelung sich als unverhältnismäßig darstellt. Der den Vertragsparteien eingeräumte Gestaltungsspielraum wird damit überschritten.
III. Die Kostenentscheidung zu Lasten des Beklagten beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsgesetz (VwGO). Die Kammer sieht davon ab, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nach § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären, weil die Beigeladenen keine Anträge gestellt haben und damit auch kein Kostenrisiko eingegangen sind. Der Streitwert ist nach § 52 Gerichtskostengesetz festgesetzt worden.
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