L 3 AS 613/15 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 7 AS 2079/15 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 613/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Wenn gegen eine Antragsablehnung im Hauptsacheverfahren eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (oder eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG) gegeben ist, kann vorläufiger gerichtlicher Rechtschutz nur über den Erlass einer einstweiligen Anordnung erlangt werden. Dies gilt auch für die Ablehnung eines Überprüfungsantrages nach § 44 SGB X.
2. Zur Frage, in welcher Weise einem Antragsteller vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz zu gewähren ist, wenn ein Jobcenter auf der Grundlage von § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II i. V. m. § 12a SGB II nach einer erfolglosen Aufforderung einen Antrag auf vorzeitige Altersrente stellt.
3. Zur Frage, ob es sich bei der Rentenantragstellung durch ein Jobcenter um eine "Vollziehung" des Aufforderungsbescheides, einen Rentenantrag zu stellen, im Sinne von § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG handelt.
I. Der Beigeladene wird verpflichtet, auf den Antrag auf vorzeitige Altersrente, den der Antragsgegner mit Schreiben vom 23. Februar 2015 gestellt hat, bis zur Entscheidung in der Hauptsache keinen Rentenbescheid zu erlassen.

II. Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Instanzen zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die bestandskräftige Aufforderung des Antragsgegners, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen, sowie gegen die Rentenantragstellung durch den Antragsgegner selbst.

Der am 1951 geborene Antragsteller bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). Ihm wurde mit Zuweisungsbescheid vom 5. Februar 2015 eine Arbeitsgelegenheit nach § 16d SGB II zugewiesen.

Aus der Bescheinigung der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland (im Folgenden: Rentenversicherungsträger) vom 12. April 2013 ergibt sich, dass der Antragsteller eine abschlagsfreie Altersrente ab dem 1. August 2016 beziehen könnte und eine Altersrente mit Abschlägen schon ab 1. März 2014 hätte beziehen können. Daraufhin wies der Antragsgegner den Antragsteller mit Bescheid vom 21. Mai 2014 auf die Pflicht zur Beantragung einer geminderten Altersrente ab Vollendung des 63. Lebensjahres hin und forderte ihn unter Fristsetzung bis zum 14. Juni 2014 auf, umgehend einen Rentenantrag zu stellen. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Mit Schreiben vom 30. Juli 2014 stellte der Antragsteller einen Überprüfungsantrag nach § 44 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X). Der Antragsgegner habe sein Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 4. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 2014 abgelehnt. Der Antragsteller sei nach § 12a Satz 2 Nr. 1, § 65 Abs. 4 SGB II zur Beantragung einer Altersrente verpflichtet. Die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente sei für ihn nicht unbillig im Sinne des § 13 Abs. 2 SGB II i. V. m. der Verordnung zur Vermeidung unbilliger Härten durch Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente (Unbilligkeitsverordnung – UnbilligkeitsV). Es sei somit kein mit dem Bezug einer vorzeitigen Altersrente verbundener unzumutbarer Nachteil erkennbar und damit auch kein Grund, vom Grundsatz der Nachrangigkeit der Grundsicherungsleistungen abzuweichen.

Der Antragsgegner beantragte mit Schreiben vom 23. Februar 2015 beim Rentenversicherungsträger für den Antragsteller eine Altersrente und meldete zugleich einen Erstattungsanspruch an.

Der Antragsteller hat am 7. Oktober 2014 Klage gegen den Bescheid vom 4. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. September 2014 erhoben (Az. S 7 AS 6013/14).

Der Rentenversicherungsträger hat den Antragsteller am 4. März 2015 unter Hinweis auf den Rentenantrag des Antragsgegners vom 23. Februar 2015 aufgefordert, bis zum 1. Mai 2015 einen formellen Rentenantrag zu stellen.

Daraufhin hat der Antragsteller am 21. April 2015 den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt mit dem Ziel, den Antragsgegner zur Rücknahme des von ihm gestellten Rentenantrages zu verpflichten. Die Ermessensausübung durch den Antragsgegner sei unzureichend. Die Folgen eines Rentenbezuges seien nicht mit den Folgen einer abschlagsfreien Rente abgewogen worden. Die Aufforderung zur Rentenantragstellung sei bereits deshalb rechtswidrig, weil diese im Widerspruch zur Maßnahmenzuweisung nach § 16d SGB II stehe. Die Aufforderung sei nicht mehr wirksam, weil zwischen dem Aufforderungsbescheid vom 21. Mai 2014 und der Rentenantragstellung durch den Antragsgegner mit Schreiben vom 23. Februar 2015 ein zu großer Zeitraum vergangen sei und der Aufforderungsbescheid zudem Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung sei.

Der Antragsgegner hat unter anderem unter Berufung auf den Beschluss des Sächsischen Landessozialgerichtes vom 19. Februar 2015 (Az. L 8 AS 1232/14 ER) vorgetragen, dass wegen des intendierten Ermessens eine Ermessensausübung lediglich in atypischen Fällen vorzunehmen sei. Ein solcher liege hier nicht vor.

Das Sozialgericht hat den Antrag, den es als Antrag auf Aufhebung der Vollziehung gemäß § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG ausgelegt hat, mit Beschluss vom 18. Mai 2015 abgelehnt. Bei der Prüfung einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Satz 1 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 SGG überwiege das öffentliche Interesse am Vollzug des Bescheides. Die Rentenantragstellung durch den Antragsgegner sei nach summarischer Prüfung nicht zu beanstanden. Der Antragsteller sei zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente verpflichtet gewesen. Die Aufforderung an den Leistungsberechtigten, eine solche Sozialleistung zu beantragen, stehe im Ermessen des SGB II-Leistungsträgers. Es sei nach dem Beschluss des Sächsischen Landessozialgerichtes vom 19. Februar 2015 (Az. L 8 AS 1232/14 ER) von einem intendierten Ermessen auszugehen, sodass eine näher begründete Abwägungsentscheidung nur dann erforderlich sei, wenn ein atypischer Fall vorliege. Dies sei hier nicht der Fall. Der Antragsteller sei mit dem Bescheid vom 21. Mai 2014 wirksam zur Antragstellung aufgefordert worden. Der zeitliche Abstand zwischen dieser Aufforderung und der Rentenantragstellung durch den Antragsteller ändere hieran nichts, da die Antragstellung durch den Antragsgegner nicht an Fristen gebunden sei. Die im Überprüfungsverfahren erhobene Klage durchbreche nicht die Bestandskraft des Aufforderungsbescheides vom 21. Mai 2014. Unbilligkeitsgründe lägen nicht vor.

Der Antragsteller hat hiergegen am 17. Juni 2015 Beschwerde eingelegt und zunächst ergänzend zum erstinstanzlichen Antrag begehrt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 4. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. September 2014 anzuordnen. In der Sache hält es seinen Vortrag aus dem erstinstanzlichen Verfahren aufrecht.

Mit Beschluss vom 20. Juli 2015 ist der Rentenversicherungsträger zum Verfahren beigeladen worden

Der Antragsteller beantragt auf den Hinweis des Gerichtes, dass der Beschwerdeantrag Nummer 3 unzulässig sein könnte, weil mit ihm vollendete, nicht rückgängig zu machende Tatsachen geschaffen werden könnten, nunmehr:

1. Der Beschluss vom 18. Mai 2015 wird aufgehoben. 2. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 7. Oktober 2014 gegen den Bescheid vom 4. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. September 2014 wird angeordnet. 3. Die Beigeladene wird verpflichtet, bis zur bestandskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren Az. S 7 AS 6013/14 über den Antrag auf Altersrente nicht zu entscheiden.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verweist auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses sowie auf den Beschluss des Sächsischen Landessozialgerichtes vom 19. Februar 2015 (Az. L 8 AS 1232/14 ER).

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und keine Stellungnahme abgegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten und die Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

II.

1. Die zulässige Beschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Das mit dem Antrag auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes verfolgte Begehren des Antragstellers ist dahingehend zu verstehen, dass er die Bewilligung einer vorzeitigen Altersrente mit dem zu Gebote stehenden Rechtsschutzmittel verhindern möchte. Hiervon ausgehend und vor dem Hintergrund der konkreten verfahrensrechtlichen Situation ist die Verpflichtung der Beigeladenen, bis zur bestandskräftigen Entscheidung über das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers im Hauptsacheverfahren über den Antrag auf Altersrente nicht zu entscheiden, das für den Antragsteller ausreichende und für die beiden anderen Beteiligten das mildeste Mittel, um dem Antragsteller effektiven vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz zu gewähren.

a) Der Antrag Nummer 2, gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG die aufschiebende Wirkung der Klage vom 7. Oktober 2014 gegen den Bescheid vom 4. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. September 2014 anzuordnen, kann keinen Erfolg haben.

Maßgebend für die Bestimmung, in welcher Weise vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz zu gewähren ist, ist der im Hauptsacheverfahren statthafte Rechtsbehelf. Da der Antragsteller mit dem Überprüfungsantrag begehrt hat, den Antragsgegner zur Aufhebung des Aufforderungsbescheides vom 21. Mai 2014 zu verpflichten, ist die korrekte Klageart gegen die Ablehnung des Überprüfungsantrages die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (vgl. hierzu LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. August 2014 – L 18 AS 1967/14 B PKH – juris Rdnr. 3). § 86a SGG und § 86b Abs. 1 SGG betreffen aber nicht Verpflichtungsklagen. Wenn also gegen eine Antragsablehnung im Hauptsacheverfahren eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (oder eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG) gegeben ist, kann vorläufiger gerichtlicher Rechtschutz nur über den Erlass einer einstweiligen Anordnung erlangt werden (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 23. Juni 2014 – L 3 AS 88/12 B ER – Rdnr. 22; Bay. LSG, Beschluss vom 11. September 2015 – L 16 AS 510/15 B ER – juris Rdnr. 18, m. w. N.; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [11. Aufl., 2014], § 86a Rdnr. 6). Dies gilt auch für die Ablehnung eines Überprüfungsantrages nach § 44 SGB X (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 26. Mai 2011 – L 3 AS 378/11 B ER – Rdnr. 19, m. w. N.).

b) Der Antrag Nummer 2 kann auch nicht dahingehend ausgelegt werden, dass er auf den Aufforderungsbescheid vom 21. Mai 2014 bezogen sein soll, bei dem Widerspruch und Anfechtungsklage gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 4 SGG i. V. m. § 39 Nr. 3 SGB II keine aufschiebende Wirkung haben. Denn zum einen gibt es gegen diesen Bescheid weder einen Widerspruch noch eine Anfechtungsklage des Antragstellers, sodass allein aus diesem Grund keine aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfes angeordnet werden könnte. Der Überprüfungsantrag ist kein Rechtsbehelf in diesem Sinne. Zum anderen wird die Bestandskraft des Aufforderungsbescheides vom 21. Mai 2014 nicht bereits durch die Stellung des Überprüfungsantrages, sondern erst durch eine positive Entscheidung über diesen Antrag durchbrochen (so zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Sächs. LSG, Beschluss vom 26. Mai 2011, a. a. O., Rdnr. 20).

c) Eventuell könnte der Antrag Nummer 2 dahingehend ausgelegt werden, dass der Antragsgegner über den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG verpflichtet werden soll, auf den Überprüfungsantrag hin den Aufforderungsbescheid vom 21. Mai 2014 aufzuheben. Für eine solche Regelungsanordnung würde allerdings der Anordnungsgrund fehlen. Denn auch wenn die durch eine einstweilige Anordnung angeordnete Aufhebung des Aufforderungsbescheides durch eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren wieder rückgängig gemacht werden kann, gibt es für den Antragsteller ein weniger weitreichendes Mittel als die faktische Vorwegnahme der Hauptsache (vgl. unten Buchstabe d Nr. 2)

d) In welcher Weise einem Antragsteller vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz zu gewähren ist, wenn ein Jobcenter auf der Grundlage von § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II i. V. m. § 12a SGB II nach einer erfolglosen Aufforderung einen Antrag auf vorzeitige Altersrente stellt, ist bislang noch nicht geklärt. Zum Teil wird die Rentenantragstellung als Vollziehung des Aufforderungsbescheides angesehen und demzufolge die Aufhebung der Vollziehung nach § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG geprüft (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 10. Dezember 2014 – L 2 AS 520/14 B ER – juris Rdnr. 27; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Dezember 2014 – L 5 AS 2740/14 B ER – juris Rdnr. 5, mit krit. Anm. vom Wahrendorf, jurisPR-SozR 8/2015 Anm. 6). Zum Teil wird der beigeladene Rentenversicherungsträger im Rahmen einer Sicherungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG verpflichtet, den gestellten Rentenantrag nicht zu bearbeiten, insbesondere keinen Rentenbescheid zu erlassen (vgl. SG Leipzig, Beschluss vom 29. Juni 2015 – S 9 AS 311/15 B ER – juris Rdnr. 20 ff.).

(1) Ob auch bei einem weiten Verständnis des Begriffes "Vollziehung" in § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG (vgl. hierzu die Nachweise zur verwaltungsprozessualen Rechtsprechung und Kommentarliteratur bei LSG Berlin-Brandenburg, a. a. O.) noch von einem Vollzug gesprochen werden kann, wenn es sich bei dem "vollzogenen" Verwaltungsakt lediglich um eine verfahrensrechtliche Vorbereitungshandlung handelt, die auf Grund der im Einzelfall einschlägigen Regelungen in Form eines Verwaltungsaktes zu ergehen hat (zur Aufforderung, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen, als Verwaltungsakt: BSG, Urteil vom 19. August 2015 – B 14 AS 1/15 RNZS 2016, 31 ff. = ZFSH/SGB 2015, 665 ff. = juris Rdnr. 12, m. w. N.), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Sofern dies bejaht werden sollte, kann weiter dahingestellt bleiben, ob es ermessensfehlerfrei ist, ein Jobcenter auf der Grundlage von § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG zur Rücknahme eines Rentenantrages zu verpflichten. Diesbezüglich wäre zu bedenken, dass im Falle, dass das Jobcenter im Hauptsacheverfahren doch noch obsiegen sollte, die Rücknahme des Rentenantrages nicht mehr rückgängig zu machen wäre. Denn mit einer Antragsrücknahme ist das Verwaltungsverfahren beendet (vgl. Roller, in: von Wulffen/Schütze, SGB X [8. Aufl., 2014], § 8 Rdnr. 10). Da die Rücknahmeerklärung ebenso wie ein Antrag eine öffentliche Willenserklärung ist, finden auf diese Erklärung die allgemeinen Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu den Willenserklärungen, unter anderem über die Anfechtung (vgl. §§ 119 ff. BGB), entsprechend Anwendung (so zum Antrag auf Sozialleistungen: BSG, Urteil vom 17. April 1986 – 7 RAr 81/84BSGE 60, 79 ff. = SozR 4100 § 100 Nr. 11 = juris Rdnr 21; Mönch-Kalina, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I [2. Aufl. 2011], § 16 Rdnr. 18, m. w. N.). Mithin ist die Rücknahme einer Rücknahmeerklärung nicht möglich. Auch ist eine rückwirkende Rentenantragstellung nicht möglich. Lediglich eine rückwirkende Rentenleistung ist nach Maßgabe von § 99 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) möglich. Danach wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird (vgl. § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

Diese Rechtsfragen sind vorliegend jedoch wegen der besonderen Verfahrenssituation nicht entscheidungserheblich. Denn die Vollzugsaufhebung nach § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG dient dazu, den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nach Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) zu sichern, wenn die aufschiebende Wirkung eines Widerspruches oder einer Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt besteht (vgl. hierzu [zu § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO] Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung [29. Erg.-Lfg., Oktober 2015], § 80 Rdnr. 341). Da vorliegend aber der Aufforderungsbescheid vom 21. Mai 2014 bestandskräftig ist, es mithin weder einen Widerspruch nach eine Anfechtungsklage mit einer angeordneten aufschiebenden Wirkung geben kann, ist § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG nicht einschlägig.

(2) Im Fall des Antragstellers kann deshalb nur vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz dadurch gewährt werden, dass der Beigeladene durch eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG verpflichtet wird, im Rentenverfahren keinen Rentenbescheid zu erlassen. Denn wenn ein Rentenbescheid erginge und dieser bestandskräftig würde, würde für den Antragsteller das Rechtsschutzbedürfnis im grundsicherungsrechtlichen Verfahren gegen den Antragsgegner entfallen (vgl. BSG, Urteil vom 19. August 2015, a. a. O., Rdnr. 13, m. w. N.),

Die Voraussetzungen nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) für den Erlass der nunmehr vom Antragsteller begehrten Regelungsanordnung liegen vor. Denn der Antragsteller hat sowohl den durch die Anordnung zu sichernden, im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch den Grund, weshalb die Anordnung so dringlich ist, dass dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache gesichert werden muss (Anordnungsgrund), glaubhaft gemacht.

Nach summarischer Prüfung spricht Erhebliches dafür, dass der Ausgangspunkt für das Rentenverfahren, nämlich der Rentenantrag im Schreiben vom 23. Februar 2015, nicht rechtmäßig war, weil ihm keine ordnungsgemäße Aufforderung an den Antragsteller, eine vorzeitige Rente zu beantragen, vorausging.

Nach § 12a Satz 1 SGB II sind Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. In Bezug auf die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente gilt dies nicht, wenn der Ausnahmetatbestand des § 12a Satz 2 Nr. 1 SGB II erfüllt ist oder einer der Tatbestände nach der Unbilligkeitsverordnung gegeben ist. Wenn Leistungsberechtigte trotz Aufforderung einen erforderlichen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers nicht stellen, können die Leistungsträger nach dem SGB II gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II den Antrag stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen. Bei der Aufforderung im Sinne dieser Vorschrift, bei der es sich um einen Verwaltungsakt handelt (vgl. BSG, Urteil vom 19. August 2015, a. a. O., Rdnr. 12, m. w. N.), sind verschiedene Anforderungen zu beachten. So gilt das dem Leistungsträger in § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II eingeräumte Ermessen nicht nur für die Entscheidung, ob ein Rentenantrag gestellt werden soll, sondern hat eine zeitliche Vorwirkung bereits in den Aufforderungsbescheid hinein. Auch hier muss der Leistungsträger Ermessenserwägungen anstellen (vgl. BSG, Urteil vom 19. August 2015, a. a. O., Rdnr. 20 ff.)

Wenn Leistungsträger ermächtigt sind, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach ihrem Ermessen zu handeln, haben sie gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X muss die Begründung von Ermessensentscheidungen auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Welche Anforderungen hierbei zu beachten sind, hat das Bundessozialgericht im Urteil vom 19. August 2015 beschrieben (vgl. BSG, Urteil vom 19. August 2015, a. a. O., Rdnr. 36 ff., m. w. N.).

Dem genügt der Aufforderungsbescheid vom 21. Mai 2014 nicht. Als einziger Ansatzpunkt für eine Ermessensausübung kann der drittletzte Satz auf Seite 1 des Aufforderungsbescheides dienen. Dort weist die den Bescheid erlassende Mitarbeiterin darauf hin, dass sie berechtigt sei, den Antrag ersatzweise zu stellen, wenn die Antragstellung durch den Antragsteller nicht umgehend erfolge. Damit wird aber nur der Regelungsinhalt von § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II wiedergegeben, was auch die Angabe von § 5 Abs. 3 SGB II im Klammerzusatz am Ende dieses Satzes verdeutlicht. Darüber hinaus ist aus dem Bescheid nicht zu entnehmen, ob überhaupt und gegebenenfalls in welcher Weise Ermessen ausgeübt worden sein könnte. Gegen eine Ermessensausübung im Aufforderungsbescheid spricht im Übrigen die vom Antragsgegner im erstinstanzlichen Verfahren vertretene Rechtsauffassung, dass nur in atypischen Fällen eine Ermessensbetätigung zu erfolgen habe. Ein solcher Ausnahmefall wurde vom Antragsgegner vorliegend verneint.

Eine Heilung der fehlenden Ermessensausübung ist im Überprüfungsverfahren nicht möglich. Denn wenn ein Bescheid, wie der Aufforderungsbescheid vom 21. Mai 2014, wegen unterlassener Ermessensausübung rechtswidrig ist, muss die Behörde die ihr in § 44 SGB X auferlegte Verpflichtung erfüllen, diese Verwaltungsakte zurückzunehmen, sobald dieser rechtliche Zusammenhang erkannt wird (vgl. BSG, Beschluss vom 14. Februar 1991 – 10 RKg 10/89 – juris Rdnr. 28)

Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Zwar waren vorliegend gesteigerte Anforderungen an die Glaubhaftmachung zu stellen, weil der Antragsteller den maßgebenden, Streit auslösenden Bescheid, nämlich den Aufforderungsbescheid vom 21. Mai 2014, nicht anfocht und damit bestandskräftig werden ließ. Um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz suchte er erst im Zusammenhang mit einem Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X nach. Da bei einem Eilrechtsschutzgesuch in einem Überprüfungsverfahren nicht nur die üblichen Voraussetzungen für die Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes erfüllt sein müssen, sondern noch die Bestandskraft des zur Überprüfung gestellten Bescheides besteht, sind hier besonders strenge Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrunds zu stellen (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 5. April 2010 – L 5 AS 342/10 B ER – juris Rdnr. 19, m. w. N.; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27. Mai 2013 – L 19 AS 638/13 B ER – juris Rdnr. 12; vgl. auch Bay. LSG, Beschluss vom 11. September 2015 – L 16 AS 510/15 B ER – juris Rdnr. 21, m. w. N). Solche besonderen Umstände sind vorliegend gegeben. Denn wenn der beigeladene Rentenversicherungsträger auf den Antrag des Antragsgegners hin einen bewilligenden Rentenbescheid erlassen und dieser bestandskräftig würde, hätte sich der Aufforderungsbescheid vom 21. Mai 2014 erledigt und in den gegen diesen Bescheid geführten Gerichtsverfahren würde dem Antragsteller das Rechtsschutzbedürfnis fehlen (vgl. BSG, Urteil vom 19. August 2015, a. a. O., Rdnr. 13).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 Satz 1, § 183 SGG.

3. Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Dr. Scheer Höhl Atanassov
Rechtskraft
Aus
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