Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 11 U 247/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 U 3193/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. Juni 2013 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger eine Verletztenrente zu gewähren ist.
Der im Jahr 1970 geborene Kläger erlitt am 13.1.1983 während des Schulbesuchs bei einer Rangelei unter Schülern in der Pause eine Trommelfellperforation rechts, als er von einem Mitschüler zu Boden gestoßen wurde und sich ein Ast in sein Ohr bohrte. Am 17.1.1983 wurde die Perforation operativ gedeckt. Nach Abschluss der Behandlung ist beim Kläger nach Mitteilung des damals behandelnden Facharztes für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde (HNO) Dr. A. vom 17.11.1983 eine leichte bis mittelgradige kombinierte Mittelohr-/Innenohrschwerhörigkeit rechts verblieben.
Mit Bescheid vom 24.5.1985 lehnte der Badische Gemeindeunfallversicherungsverband, der Rechtsvorgänger der Beklagten (nachfolgend einheitlich Beklagte), die Gewährung einer Verletztenrente ab. Zur Begründung führte er aus, der Arbeitsunfall des Klägers habe zu keiner Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Grade geführt. Zwar sei eine leichte bis mittelgradige kombinierte Mittelohr-/Innenohrschwerhörigkeit rechts bei normalem linken Gehör zurückgeblieben, eine messbare MdE sei hierdurch jedoch nicht bedingt.
Nachdem Dr. A. auf Veranlassung des Klägers im Mai 1989 der Beklagten einen HNO-ärztlichen Befundbericht vorgelegt hatte, wonach beim Kläger (nunmehr) eine mittel- bis hochgradige kombinierte Mittelohr-/Innenohrschwerhörigkeit rechts und ein starker Tinnitus rechts bestehe und die Beklagte ein HNO-ärztliches Gutachten bei Dr. B. eingeholt hatte, der unter dem 7.6.1990 eine mittel- bis hochgradige kombinierte Schwerhörigkeit rechts mit Tinnitus als mit Wahrscheinlichkeit unfallabhängig beschrieben und die MdE hierfür mit insg. 15 v. H. einschätzt hatte, lehnte sie die Gewährung einer Verletztenrente mit Bescheid vom 26.6.1990 (Widerspruchsbescheid vom 12.12.1990) erneut ab. Auch ein weiterer Antrag auf Gewährung einer Verletztenrente vom 17.6.1991 führte für den Kläger nicht zum Erfolg. Die Beklagte führte im Bescheid vom 27.1.1993 (Widerspruchsbescheid vom 4.8.1993) aus, aus der bestehenden kombinierten Schwerhörigkeit rechts mit Tinnitus resultiere eine MdE von 10 bzw. 15 v. H. In einem sich anschließenden Gerichtsverfahren wurde die ablehnende Entscheidung der Beklagten gerichtlich bestätigt (Urteil des Sozialgerichts Reutlingen [SG] vom 20.6.1995 [S 3 U 1215/93], Urteil des Landessozialgerichts [LSG] Baden-Württemberg vom 19.2.1997 [L 2 U 2272/95]). In diesem Verfahren erstatteten Dr. C. unter dem 22.8.1991 ein HNO-ärztliches Gutachten (Folge des Unfalls: mittelgradige, kombinierte Schwerhörigkeit mit Tinnitus rechts, MdE 20 v. H.), Prof. Dr. D. unter dem 21.5.1992 ein weiteres HNO-fachärztliches Gutachten (Schwerhörigkeit, Tinnitus, Merk-, Konzentrations- und Einschlafstörungen, MdE auf HNO-ärztlichem Fachgebiet 10 v. H.), Dr. Reinecke unter dem 1.10.1992 ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten (Unfallfolgen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet: Schlafstörungen, Konzentrationsbeeinträchtigungen und affektive Anspannungen, MdE unter Berücksichtigung der Unfallfolgen auf HNO-ärztlichem Fachgebiet 20 v. H.), Prof. Dr. E. unter dem 10.3.1996 ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten (MdE 20 v. H. für eine gestörte Persönlichkeitsentwicklung als Sekundärfolge des Tinnitus) sowie Prof. Dr. F. unter dem 6.6.1996 ein HNO-ärztliches Gutachten (Unfallfolge: geringgradige Hörstörung mit Tinnitus rechts, MdE weniger als 10 v. H.).
Im Mai 2008 beantragte der Kläger abermals, die Unfallfolgen mit einer MdE von wenigstens 20 v. H. zu bewerten. Es sei eine erhebliche Verschlechterung des Hörvermögens eingetreten. Auch der Tinnitus habe sich verschlechtert, wodurch eine chronische Schlaflosigkeit und eine depressive Verstimmung bedingt seien.
Auf Veranlassung der Beklagten erstattete der Facharzt für HNO-Heilkunde, PD Dr. G., unter dem 9.7.2008 ein HNO-fachärztliches Gutachten, in dem er als Unfallfolge eine kombinierte, zwischenzeitlich mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit mit belästigendem Tinnitus rechts bekundete. Die MdE schätzte er mit 15 v. H. für die Schwerhörigkeit, mit 5 v. H. für den Tinnitus und insg. mit 20 v. H. ein. Nachdem sich die Beklagte durch Dr. Horn ärztlich beraten ließ, der der gutachterlichen Einschätzung widersprach, Dr. G. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 17.9.2008 seine Einschätzung bekräftigte, entschied die Beklagte mit Bescheid vom 20.11.2008, dass ein Anspruch auf Rente nicht bestehe. Eine MdE von wenigstens 20 v. H. liege beim Kläger nicht vor. Eine Verschlechterung gegenüber dem Vorbefund, der eine MdE von 10 v. H. bedingt habe, sei nicht eingetreten.
Zur Begründung seines hiergegen erhobenen Widerspruchs brachte der Kläger vor, die durch den Tinnitus bedingte MdE sei höher einzuschätzen, da bei ihm erhebliche psychische Beeinträchtigungen bestünden.
Die Beklagte ließ sich daraufhin durch den Facharzt für HNO-Heilkunde, Dr. H., ärztlich beraten, der in seiner Stellungnahme vom 6.7.2009 ausführte, er gehe nicht von einer signifikanten, unfallbedingten Innenohrhörverschlechterung aus, da sich auch das Hörvermögen auf dem linken Ohr verschlechtert habe.
Auf Veranlassung der Beklagten erstattete sodann der Arzt für HNO-Heilkunde Dr. I. unter dem 10.9.2009 ein HNO-ärztliches Gutachten, in dem er ausführte, die jetzige audiologische Analyse habe, ohne den Nachweis einer noch bestehenden Schallleitungsstörung rechts, eine Zunahme der beidseitigen Hörstörung ergeben. Die Zunahme der Hörstörung in hohen Frequenzanteilen sei möglicherweise auf beruflich bedingte Lärmeinflüsse zurückzuführen. Auch eine degenerative unfallunabhängige Innenohrstörung sei möglich, jedoch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von unfallabhängigen Schädigungselementen abzugrenzen, weswegen die Hörstörung rechts mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch das Unfallgeschehen vom 13.1.1983 bedingt sei. Die Tinnitus-Analyse habe, so Dr. I. weiter, keinen Hinweise auf eine richtungsweisende Verschlimmerung der Tinnitus-Beschwerden ergeben. Die MdE sei für die gering bis mittelgradig ausgeprägte Schwerhörigkeit mit begleitendem Tinnitus auf 15 v. H. einzuschätzen.
Auf Veranlassung der Beklagten erstattete Dr. J., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, unter dem 25.9.2009 ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten über den Kläger, in dem er ausführte, auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet seien keine Unfallfolgen feststellbar. Die beim Kläger bestehende Dysthymia sei unfallunabhängig.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.12.2009 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers sodann, unter der Begründung, nach der gutachterlichen Einschätzung von Dr. I., der eine MdE von 15 v. H. bekundet habe, läge keine rentenberechtigende MdE von wenigstens 20 v. H. vor, zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 21.01.2010 Klage zum SG erhoben. Die neben der Gewährung einer Verletztenrente auch auf die Übernahme der Kosten einer Tinnitus-Retrainingsbehandlung erhobene Klage hat er im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 26.6.2013 zurückgenommen. Der Kläger hat vorgebracht, die MdE für den erlittenen Hörverlust sei mit wenigstens 20 v. H. festzustellen. Auch die MdE-Bewertung des Tinnitus sei zu gering, da er hierdurch ständig belastet sei, er leide an Schlaflosigkeit. Es sei eine Verstimmung bis zur Depression und Antriebsarmut eingetreten. Hierzu hat der Kläger den Entlassungsbericht der K. Klinik, M.str., Bad L., über eine dort vom 9.6. - 14.7.2011 durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme vorgelegt.
Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat hierzu auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide verwiesen. Ergänzend hat sie vorgetragen, die beim Kläger bestehende Depression habe sich mit deutlichem zeitlichen Abstand zum Unfall entwickelt, wobei eine Verschlechterung des Tinnitus nicht eingetreten sei. Ein Zusammenhang mit dem Unfall sei daher unwahrscheinlich.
Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen einvernommen. Hr. N., Ärztlicher Leiter des Medizinischen Versorgungszentrums Freudenstadt, hat unter dem 29.4.2010 mitgeteilt, die vom Kläger beklagte Verschlechterung seines seelischen Zustandes in Abhängigkeit zur Intensität des Tinnitus sei nachvollziehbar. Der Facharzt für HNO-Heilkunde Ehrmann hat unter dem 23.9.2010 mitgeteilt, beim Kläger eine kombinierte Schwerhörigkeit rechts sowie einen grenzwertig kompensierten Tinnitus rechts mit Phasen der Dekompensation diagnostiziert zu haben. Unfallunabhängig gehe er von einer Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik aus. Dr. A., Facharzt für HNO-Heilkunde, hat in seiner Stellungnahme vom 12.11.2010 ausgeführt, dass sich die beim Kläger anfänglich vorhandene Hochtonschwerhörigkeit rechts leicht erhöht und sich der Tinnitus subjektiv verstärkt habe.
Das SG hat sodann Dr. O., Facharzt für Neurologie, zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. In seinem neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 11.10.2011 hat Dr. O. ausgeführt, beim Kläger liege ein behandlungsbedürftiger, dekompensierter Tinnitus mit psychischen Folgeerscheinungen vor. Daneben bestehe auf psychiatrischem Fachgebiet eine Anpassungsstörung in Form von Schlafstörungen und einer Minderbelastbarkeit im Sinne einer neurasthenischen Entwicklung, die als Sekundärfolge des Tinnitus zu betrachten sei. Schlussendlich habe der Tinnitus, selbst wenn man persönlichkeitsspezifische Verarbeitungsmuster unterstelle, zu einer richtunggebenden Verschlimmerung geführt. Die MdE hat Dr. O. auf seinem Fachgebiet mit 20 v. H., insg. unter Einbeziehung der MdE des HNO-fachärztlichen Gebiets ebenfalls mit 20 v. H. eingeschätzt. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 27.11.2012 hat Dr. O. seine gutachterliche Einschätzung bestätigt.
Die Beklagte ist der gutachterlichen Einschätzung entgegen getreten und hat dies damit begründet, Dr. O. habe sich zur Zusammenhangsfrage nicht geäußert. Ergänzend hat die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. H. vom 13.6.2012 vorgelegt.
Mit Urteil vom 26.6.2013 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2009 verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen des Unfalls vom 13.1.1983 ab dem 1.5.2008 eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v. H. zu gewähren. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG ausgeführt, die Folgen des Schulunfalls vom 13.1.1983 hätten sich seit Antragstellung im Mai 2008 verschlimmert. Hinsichtlich der Folgen des Tinnitus sei auf nervenärztlichem Gebiet eine wesentliche Verschlechterung eingetreten. Dr. O. habe den psychischen Befund als stimmungsmäßig leicht depressiv, im Antrieb eher gesteigert, anamnestisch vermehrt reizbar, bei ansonst guter emotionaler Resonanzfähigkeit beschrieben. Er habe ferner nachvollziehbar dargelegt, dass der Tinnitus die psychischen Veränderungen jedenfalls wesentlich mit verursacht habe. Der Zeitpunkt der Verschlechterung sei mit dem Monat der Antragstellung anzunehmen. Das SG hat sich der Einschätzung von Dr. J. nicht anzuschließen vermocht. Dieser habe dem Kläger, so das SG, ein aggravierendes Verhalten unterstellt. Auch habe Dr. J. bei der Kausalitätsprüfung nicht hinreichend die Chronifizierung und Dekompensation der über die Jahre anhaltenden Tinnitus-Beschwerden berücksichtigt. Hinsichtlich der Einschätzung der Unfallfolgen auf HNO-fachärztlichem Gebiet sei der MdE-Einschätzung von Dr. I. zu folgen. Dieser habe die MdE nachvollziehbar auf 15 v. H. eingeschätzt. Insg. sei die MdE mit 20 v. H., wie auch von Dr. O. angenommen, angemessen.
Gegen das ihr am 11.7.2013 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 5.8.2013 Berufung eingelegt. Sie bringt vor, das SG habe sich in seiner Entscheidung auf das Gutachten von Dr. O. gestützt, obschon dieses fehlerhaft sei. Dr. O. habe seine Einschätzung einer Anpassungsstörung auf eine 20-jährige Entwicklung gestützt, ohne diese zeitliche Komponente in eine Abwägung der Wesentlichkeit einzubetten. Soweit sich Dr. O. auf das Gutachten von Prof. Dr. E. berufe, sei bereits das LSG in seiner Entscheidung vom 19.12.1997 diesem Gutachten nicht gefolgt. Auch habe sich Dr. O. nicht mit der Persönlichkeitsstruktur des Klägers auseinander gesetzt. Anders als Dr. O. habe Dr. J. herausgearbeitet, dass beim Kläger eine unfallunabhängige Dysthymia vorliege.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. Juni 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil des SG. Zu Recht habe es eine wesentliche Verschlimmerung der Unfallfolgen festgestellt.
Der Senat hat Prof. Dr. P., Facharzt für HNO-Heilkunde, zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. In seinem HNO-ärztlichen Gutachten vom 27.10.2014 hat Prof. Dr. P. beim Kläger eine mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit rechts mit einer unwesentlichen Schallleitungskomponente, eine geringgradige Innenohrschwerhörigkeit links, einen Z.n. Tympanoplastik rechts bei traumatischer Trommelfellperforation am 17.1.1983 sowie einen chronischen und beginnend dekompensierten Tinnitus Grad III rechts nach Goebel und Hiller diagnostiziert. Der prozentuale Hörverlust rechts betrage 40 - 50 %, links 0 %. Der Tinnitus werde vom Kläger als derart belastend empfunden, dass er über mehrere Jahre Schlaftabletten eingenommen habe. Hauptursächlich für den Tinnitus sei der Unfall vom 13.1.1983. Zwischenzeitlich habe sich die Gesundheitsstörung jedoch verselbstständigt. Beim Kläger habe sich als Begleiterkrankung auf psychiatrischem Gebiet eine Anpassungsstörung in Form von Schlafstörungen und einer Minderbelastbarkeit entwickelt. Gegenüber dem Vorgutachten von Prof. Dr. D. habe sich eine beidseitige progrediente Innenohrschwerhörigkeit entwickelt. Hierfür seien unfallunabhängige Faktoren wie natürliche Alterungsprozesse verantwortlich zu machen. Die initial diagnostizierte gering- bis mittelgradige kombinierte Schwerhörigkeit rechts sei im Wesentlichen durch eine behinderte Schallübertragung im Trommelfell bedingt gewesen. Diese sei nach abgeschlossener Regeneration nicht mehr (relevant) nachweisbar. So habe anlässlich der am 6.10.2014 durchgeführten Testungen lediglich eine unwesentliche Störung der Schallleitung festgestellt werden können. Insg., so Prof. Dr. P. abschließend, betrage die MdE auf HNO-ärztlichem Fachgebiet 15 v. H.
Der Senat hat sodann Dr. Q., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. In seinem neurologisch-psychiatrischem Fachgutachten vom 20.6.2015 hat Dr. Q. beim Kläger auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet eine Dysthymie, Schlafstörungen, Nikotinmissbrauch sowie einen Medikamentenmissbrauch durch Schlafmittel diagnostiziert. Die Dysthymie und die Schlafstörungen beruhten nur nachrangig auf dem anfänglichen Tinnitus. Dieser habe sich vielmehr durch das Hinzutreten einer Innenohrschwerhörigkeit erheblich gewandelt. Auch der (fehlende) zeitliche Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem erstmaligen Auftreten einer Schlafstörung im Jahr 1992 spreche, so Dr. Q. weiter, gegen einen wesentlichen Zusammenhang. Hier wäre eine Symptomatik innerhalb von 1- 3 Monaten zu fordern. In Zusammenschau aller Faktoren spreche mehr gegen eine unfallabhängige Verursachung der Dysthymie. Der MdE-Bewertung mit 15 v. H. sei aus neurologisch-psychiatrischer Sicht zuzustimmen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge und die bei der Beklagten für den Kläger geführten Leistungsakten, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 17.2.2016 geworden sind, sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 17.2.2016 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte (§ 143 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), form- und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 SGG) eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten führt für diese zum Erfolg.
Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen des Unfalls vom 13.1.1983 ab dem 1.5.2008 eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v. H. zu gewähren. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 20.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2009, mit dem die Gewährung einer Verletztenrente abgelehnt wurde, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente nach dem Arbeitsunfall vom 13.1.1983 ab dem Zeitpunkt seines Antrages aus dem Mai 2008. Dies beurteilt sich vorliegend nicht anhand der Kriterien des § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Voraussetzung dafür, dass über den geltend gemachten Rentenanspruch (auch) nach dem Erfordernis einer wesentlichen Änderung zu entscheiden ist, ist, dass ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung abzuändern ist. Die Beklagte hat in den Bescheiden vom 24.5.1985, vom 26.6.1990 und vom 27.1.1993 jeweils die Gewährung einer Verletztenrente abgelehnt. Derartige Bescheide, mit denen Leistungen abgelehnt worden sind, sind jedoch keine Verwaltungsakte mit Dauerwirkung (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 30.1.1985 - 1 RJ 2/84; Urteil vom 22.10.1986 - 9a RVs 55/85 - jew. veröffentlicht in juris). Indes ist es zur Begründung einer "Dauerwirkung" des Verwaltungsaktes nicht erforderlich, dass dieser zumindest für eine gewisse Dauer tatsächliche Wirkungen etwa in Form der faktischen Erbringung von Rentenleistungen hat. Vielmehr ist insoweit allein auf die rechtlichen Wirkungen des Verwaltungsaktes abzustellen und ihm bereits dann Dauerwirkung zuzubilligen, wenn er in rechtlicher Hinsicht über den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe bzw. Bindungswirkung hinaus Wirkungen zeitigt. Demnach hat Dauerwirkung auch der Verwaltungsakt, dessen rechtliche Wirkungen sich über eine einmalige Gestaltung der Rechtslage hinaus auf eine gewisse zeitliche Dauer erstrecken (BSG, Urteil vom 14.6.1984 - 10 RKg 5/83 - veröffentlicht in juris). Im vorliegenden Fall hat die Beklagte mit dem Bescheid vom 27.1.1993 "die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund des Unfalls vom 13.1.19983" abgelehnt. Der entscheidende Teil, der Verfügungssatz, dieses Bescheides (vgl. BSG, Urteil vom 21.3.1974 - 8/2 RU 55/729 -) lautet also dahin, dass dem Kläger keinerlei Rente zusteht. Auf diesen Teil erstreckt sich die Bindung des Verwaltungsaktes.
Soweit die Beklagte die Ablehnung damit begründet hat, dass der Arbeitsunfall zu einer MdE von "10 oder 15 v. H." geführt habe, ergibt sich keine andere Beurteilung. Da offen gelassen wurde, ob die MdE 10 oder 15 v. H. beträgt, hat die Beklagte bereits keine Regelung getroffen, sodass schon deshalb eine Bindungswirkung nicht eingetreten ist. Auch eine Feststellung von Unfallfolgen, die einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung darstellen könnte, vermag der Senat nicht zu erkennen. Die Beklagte hat in der Begründung angegeben, dass als Unfallfolge "wie bisher" die auf HNO-ärztlichem Fachgebiet festgestellte kombinierte Schwerhörigkeit rechts mit Tinnitus rechts anerkannt werde. Nachdem in den früheren Bescheiden allerdings keine Unfallfolgen anerkannt wurden, ist ein Vertrauensschutz auf eine "positive Bestandskraft" von Unfallfolgen nicht gerechtfertigt (BSG, a.a.O., Rn. 24 a.E.). Damit liegt kein feststellender, begünstigender Verwaltungsakt vor.
Der geltend gemachte Rentenanspruch beurteilt sich inhaltlich nach den bis 31.12.1996 geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da der streitige Versicherungsfall vor dem 1.1.1997 eingetreten ist und es sich nicht um eine erstmalige Festsetzung der Leistungen handelt (vgl. §§ 212, 214 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch [SGB VII] i.V.m. § 580 RVO). Die Beklagte hat bereits mit den Bescheiden vom 24.5.1985, vom 26.6.1990 und vom 27.1.1993 (Widerspruchsbescheid vom 4.8.1993) unter Geltung der RVO eine Rentengewährung abgelehnt. Da unter einer erstmaligen Festsetzung im Sinne des § 214 Abs. 3 SGB VII auch eine Entscheidung, die die Rente ablehnt, zu verstehen ist (BSG, Urteil vom 20.2.2001 - B 2 U 1/00 R - veröffentlicht in juris, dort Rn. 21), verbleibt es auch im Rahmen eines neuerlichen (Verwaltungs-) Verfahrens bei der Anwendung des alten Rechts (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 07.11.2007 - L 2 U 76/07 -; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.6.2006 - L 10 U 3308/03 - jew. veröffentlicht in juris).
Nach § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO gewährt die Beklagte nach einem Arbeitsunfall als Verletztenrente den Teil der Vollrente, der dem Grad der MdE entspricht, wenn und solange die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um wenigstens ein Fünftel (20 v. H.) gemindert ist. Arbeitsunfall ist nach § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet.
Aus den Folgen des Arbeitsunfalls vom 13.1.1983 resultieren seit der Antragstellung des Klägers im Mai 2008 keine Funktionseinbußen, die eine MdE von 20 v. H. rechtfertigen. Bei dieser Beurteilung folgt der Senat dem Gutachten des Prof. Dr. P. sowie dem Gutachten des Dr. Q ... Danach leidet der Kläger auf HNO-ärztlichem Gebiet an einer mittelgradigen Innenohrschwerhörigkeit rechts mit einer unwesentlichen Schallleitungsstörung, einer geringgradigen Innenohrschwerhörigkeit links, einem Z.n. Tympanoplastik rechts bei traumatischer Trommelfellperforation sowie an einem chronisch, beginnend dekompensiertem Tinnitus (Grad III nach Goebel und Hiller) rechts. Die mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit ist allerdings nicht Unfallfolge.
Zwischen dem durch den Versicherungsfall hervorgerufenen Körperschaden und den für die MdE maßgeblichen Gesundheitsstörungen muss ein Ursachenzusammenhang bestehen (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Nur Funktionseinbußen infolge des Versicherungsfalls können bei der Schätzung der MdE berücksichtigt werden. Ausgangsbasis der Kausalitätsbeurteilung ist die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie. Nach dieser Theorie ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Wegen der Unbegrenztheit dieses Ursachenbegriffs ist in einer zweiten Prüfungsstufe nach der vom BSG entwickelten Theorie von der wesentlichen Bedingung die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Danach sind nur solche Ursachen kausal und rechtserheblich, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden. Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache sind die vom BSG herausgearbeiteten Grundsätze maßgeblich (vgl. BSG, Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - veröffentlicht in juris).
Während die anspruchsbegründenden Tatsachen - z. B. der Unfall und die Gesundheitsstörungen selbst, die der Schätzung der MdE zugrunde liegen, voll bewiesen sein müssen, bedürfen die Ursachenzusammenhänge lediglich hinreichender Wahrscheinlichkeit. In diesem Sinne hinreichend wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, für die nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalles und aufgrund der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr spricht als dagegen. Kann eine Anspruchsvoraussetzung nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht mit dem danach erforderlichen Grad an Gewissheit festgestellt werden, so geht dies nach dem im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Grundsatz von der objektiven Beweislast zu Lasten desjenigen, der seinen Anspruch auf die nicht erweisliche Tatsache stützt (vgl. BSG, Urteil vom 2.4.2009 - B 2 U 29/07 R - veröffentlicht in juris).
Nach den nachvollziehbaren Bekundungen von Prof. Dr. P. ist die beim Kläger bestehende mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit rechts auf unfallunabhängige Faktoren zurückzuführen.
Je nach Sitz der Ursache wird die Minderung des Hörvermögens bei Störung im Außen- und Mittelohr, insb. in Form krankhafter Veränderungen des Trommelfells, in eine Schallleitungsschwerhörigkeit oder bei einer Störung der Schallwahrnehmung, in eine Schallempfindungsschwerhörigkeit differenziert. Der Gutachter hat darauf hingewiesen, dass anlässlich seiner Untersuchung am 6.10.2014 keine relevante Schallleitungsstörung mehr nachweisbar gewesen ist, das Tonschwellenaudiogram tympanometrisch ein normal schwingendes Trommelfell gezeigt hat. Die diesbezüglich initial bestehende gering- bis mittelgradige kombinierte Schwerhörigkeit hat hingegen noch eine Schallleistungskomponente aufgewiesen, die infolge des Trommelfelldefekts bzw. der operativen Versorgung desselben mit der Vernarbung und einer (mutmaßlichen) Schädigung der Gehörknöchelchenkette eingetreten ist. Infolge der Regeneration ist dies jedoch zurückgetreten, sodass die Gesundheitsstörung nicht wesentlich durch den Arbeitsunfall bedingt ist. Diese Bewertung ist für den Senat nachvollziehbar, da sie den aktenkundigen Regenerationsablauf zutreffend wiedergibt. So hat der Facharzt für HNO-Heilkunde Dr. A. in seinem Befundbericht vom 2.5.1989 noch ausgeführt, anlässlich einer Tympanometrie, einer Messung der Trommelfellbeweglichkeit, einen fehlenden Stapediusreflex befundet zu haben. Dieser Reaktionsmechanismus des Gehörs, der das Innenohr vor Schäden durch einen lauten Schalldruckpegel schützt, ist bei einer Schallleitungsschwerhörigkeit abhängig vom Ausmaß der Schwerhörigkeit erhöht oder nicht auslösbar (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 2011, S. 1963). Dr. C. hat in seinem Gutachten vom 22.8.1991 beschrieben, dass der Reflex im rechten Ohr noch abgeschwächt gewesen ist. Im weiteren zeitlichen Fortgang hat jedoch sodann Prof. Dr. D. in seinem Gutachten vom 21.5.1992 beschrieben, dass beide Trommelfelle des Klägers normal beweglich sind und der Stapediusreflex über alle Frequenzen wieder auslösbar ist. Da mithin die zeitnah zum Unfall durch die Verletzung des Trommelfells eingetretene Beeinträchtigung der Schallleitung nicht mehr besteht, ist auch die weitere Einschätzung des Gutachters, dass der bestehende prozentuale Hörverlust von 40 bzw. 50 % auf unfallunabhängige Faktoren, den natürlichen Alterungsprozess, zurückzuführen ist, ohne weiteres schlüssig. Dies zeigt sich insb. daran, dass beim Kläger auch am linken Ohr eine Innenohrschwerhörigkeit besteht, die sich nach den vorliegenden Unterlagen erstmals im April 1990, d.h. sieben Jahre nach dem Unfall, angedeutet hat. Da indes das linke Ohr des Klägers vom Unfall im Jahr 1983 nicht betroffen war, ist die beim Kläger bestehende mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit rechts mit einer unwesentlichen Schallleistungsstörung nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit wesentlich durch das Unfallereignis vom 13.1.1983 bedingt. Dr. I. kann insoweit nicht gefolgt werden. Auch er hat erkannt, dass sich die Schallleitungskomponente, die zu Beginn im Vordergrund stand, zurückgebildet hat. Gründe dafür, dass sich die Innenohrschwerhörigkeit rechts verschlechtert hat, sind von ihm nicht benannt worden. Seiner Beurteilung vermag sich der Senat deshalb nicht anzuschließen. Selbst für den Fall, dass die Innenohrschwerhörigkeit - wie Dr. I. meint - auf den Unfall zurückzuführen wäre, ergäbe sich keine andere Beurteilung. Die MdE beträgt für einen einseitigen Hörverlust von 40 - 50 % 10 v. H. (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., 2010, S. 346). Aus einer MdE von 10 v. H. für einen Hörschaden und einer MdE von 10 v. H. für den Tinnitius (vgl. hierzu S. 14 f. des Senatsurteils) ergibt sich bei einer integrierenden Betrachtung eine nicht rentenberechtigende Gesamt-MdE von 15.
Die auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet beim Kläger bestehende Dysthymie mit Schlafstörungen ist gleichfalls nicht wesentlich durch den Unfall vom 13.1.1983 bedingt. Der Senat folgt insofern der Einschätzung von Dr. Q ... Nach dessen Gutachten vom 20.6.2015 ist die Erkrankung nur nachrangig auf den anfänglichen Tinnitus zurückzuführen. Maßgeblich für die psychischen Beeinträchtigungen des Klägers sind nach Dr. Q. vielmehr seine allgemeinen Lebensumstände und seine Schichtarbeit. Dr. Q. hat nachvollziehbar dargelegt, dass vom Kläger erstmals im Jahr 1992 Beschwerden über Schlafstörungen geäußert worden und objektivierbare Befunde erstmals in ärztlichen Befundberichten vom Dezember 2008 zu Tage getreten sind. Da auch die Vorgutachten kein Korrelat im Befund zu den Symptomen gezeigt haben, spricht nach den zutreffenden Ausführungen von Dr. Q. in Ermangelung von Brückensymptomen während eines Zeitrahmens von 32 Jahren bis zur Objektivierung mehr gegen als für eine wesentlich Verursachung. Nach Dr. Q. wäre vielmehr der Beginn einer entsprechenden Symptomatik binnen 1 - 3 Monaten zu erwarten. Der Senat vermag sich daher, anders als das SG, der insofern abweichenden Einschätzung von Dr. O. nicht anzuschließen. Da Dr. O. schließlich beim Kläger zwar ein bestehendes "persönlichkeitsspezifisches, unfallunabhängiges Verarbeitungsmuster" benannt hat, jedoch im Rahmen der wertenden Beurteilung der Wesentlichkeit keine näheren Ausführungen dazu gemacht hat, wie sich dies auf den Verursachungszusammenhang auswirkt, ist für den Senat eine wesentliche Verursachung der bestehenden Dysthymie durch den Unfall vom 13.1.1983 nicht überwiegend wahrscheinlich.
Hingegen ist die bestehende Tinnitus-Erkrankung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich durch den Arbeitsunfall hervorgerufen worden. Prof. Dr. P. hat insofern darauf hingewiesen, dass das Ohrgeräusch, wie der Arztbrief von Dr. A. betr. einer Untersuchung am 21.10.1983 belegt, vom Kläger durchgängig seit dem Unfall beklagt wird. Anhaltspunkte dafür, dass betr. die Tinnitus-Erkrankung eine unfallunabhängige Verursachung besteht, sind nicht ersichtlich, insb. haben sämtliche befassten Gutachter den wesentlichen Zusammenhang zwischen der Trommelfellperforation und der Tinnitus-Erkrankung bejaht.
Die durch den unfallbedingten Tinnitus hervorgerufene MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Die Bemessung des Grades der MdE, also die durch eine Schätzung vorzunehmende Festlegung des konkreten Umfangs der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG eine tatsächliche Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 2.5.2001 - B 2 U 24/00 R - veröffentlicht in juris). Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung; sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Bei der Beurteilung der MdE sind aber auch die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie von dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend sind, aber Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden und einem ständigen Wandel unterliegen. Die in den Tabellen und Empfehlungen enthaltenen Richtwerte bilden lediglich die Basis für einen Vorschlag, den der medizinische Sachverständige zur Höhe der MdE unterbreitet, und gewährleisten, dass alle Betroffenen bei der medizinischen Begutachtung nach einheitlichen Kriterien beurteilt werden (BSG, Urteil vom 30.6.1998 - B 2 U 41/97 R -, Urteil vom 22.6.2004 - B 2 U 14/03 R - jew. veröffentlicht in juris). Die Tinnitus-Erkrankung des Klägers ist in Anlegung dieser Kriterien mit einer MdE von max. 10 v. H. zu bewerten (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 350 f.; Feldmann/Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes, 7. Aufl., 2012, S. 364). Eine weitergehende MdE ist nur unter Berücksichtigung psychischer Beeinträchtigungen, die nach einer neurologisch-psychiatrischen Begutachtung festzustellen sind (vgl. Empfehlungen für die Begutachtung der Lärmschwerhörigkeit [BK-Nr. 2301] - Königsteiner Empfehlungen - , März 2012, Nr. 4.4.4, S. 37; Schönberger/ Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 351), möglich. Vorliegend bestehen nach dem insoweit eingeholten Gutachten von Dr. Q., wie oben bereits ausgeführt, jedoch keine auf den Tinnitus zurückzuführenden maßgeblichen psychischen Beeinträchtigungen, die eine höhere Bewertung des Tinnitus um mehr als 10 v. H. rechtfertigen könnten. Im Übrigen steht der Kläger weder in einer nachhaltigen psychiatrischen Fachbehandlung, noch wirkt sich die psychische Situation des Klägers auf dessen Lebensgestaltung maßgeblich aus. Der vom Kläger gegenüber dem Gutachter Dr. Q. geschilderte Tagesablauf ist strukturiert und weist keine auf den Tinnitus zurückzuführenden krankheitsbedingten Besonderheiten auf. Auch ein Vergleich der MdE mit der, wie sie bei unfallversicherungsrechtlich zu entschädigenden Schwerhörigkeiten anzusetzen ist, bestätigt die Einschätzung des Senats, dass eine MdE von 20 v. H. nicht vorliegt. Eine MdE von 20 v.H. wird bspw. erst dann erreicht, wenn eine einseitige Taubheit (bei Normalhörigkeit des anderen Ohres) besteht (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 346). Mit derart schweren Beeinträchtigungen sind die beim Kläger bestehenden nicht zu vergleichen.
Da mithin die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht um wenigstens ein Fünftel (20 v. H.) vermindert ist und Anhaltspunkte für einen Stützrententatbestand nicht ersichtlich sind, besteht kein Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenrente. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 20.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2009 ist rechtmäßig. Das Urteil des SG, mit dem die Beklagte verurteilt wurde, dem Kläger eine Verletztenrente zu gewähren, ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger mit seinem Begehren nicht durchgedrungen ist.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger eine Verletztenrente zu gewähren ist.
Der im Jahr 1970 geborene Kläger erlitt am 13.1.1983 während des Schulbesuchs bei einer Rangelei unter Schülern in der Pause eine Trommelfellperforation rechts, als er von einem Mitschüler zu Boden gestoßen wurde und sich ein Ast in sein Ohr bohrte. Am 17.1.1983 wurde die Perforation operativ gedeckt. Nach Abschluss der Behandlung ist beim Kläger nach Mitteilung des damals behandelnden Facharztes für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde (HNO) Dr. A. vom 17.11.1983 eine leichte bis mittelgradige kombinierte Mittelohr-/Innenohrschwerhörigkeit rechts verblieben.
Mit Bescheid vom 24.5.1985 lehnte der Badische Gemeindeunfallversicherungsverband, der Rechtsvorgänger der Beklagten (nachfolgend einheitlich Beklagte), die Gewährung einer Verletztenrente ab. Zur Begründung führte er aus, der Arbeitsunfall des Klägers habe zu keiner Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Grade geführt. Zwar sei eine leichte bis mittelgradige kombinierte Mittelohr-/Innenohrschwerhörigkeit rechts bei normalem linken Gehör zurückgeblieben, eine messbare MdE sei hierdurch jedoch nicht bedingt.
Nachdem Dr. A. auf Veranlassung des Klägers im Mai 1989 der Beklagten einen HNO-ärztlichen Befundbericht vorgelegt hatte, wonach beim Kläger (nunmehr) eine mittel- bis hochgradige kombinierte Mittelohr-/Innenohrschwerhörigkeit rechts und ein starker Tinnitus rechts bestehe und die Beklagte ein HNO-ärztliches Gutachten bei Dr. B. eingeholt hatte, der unter dem 7.6.1990 eine mittel- bis hochgradige kombinierte Schwerhörigkeit rechts mit Tinnitus als mit Wahrscheinlichkeit unfallabhängig beschrieben und die MdE hierfür mit insg. 15 v. H. einschätzt hatte, lehnte sie die Gewährung einer Verletztenrente mit Bescheid vom 26.6.1990 (Widerspruchsbescheid vom 12.12.1990) erneut ab. Auch ein weiterer Antrag auf Gewährung einer Verletztenrente vom 17.6.1991 führte für den Kläger nicht zum Erfolg. Die Beklagte führte im Bescheid vom 27.1.1993 (Widerspruchsbescheid vom 4.8.1993) aus, aus der bestehenden kombinierten Schwerhörigkeit rechts mit Tinnitus resultiere eine MdE von 10 bzw. 15 v. H. In einem sich anschließenden Gerichtsverfahren wurde die ablehnende Entscheidung der Beklagten gerichtlich bestätigt (Urteil des Sozialgerichts Reutlingen [SG] vom 20.6.1995 [S 3 U 1215/93], Urteil des Landessozialgerichts [LSG] Baden-Württemberg vom 19.2.1997 [L 2 U 2272/95]). In diesem Verfahren erstatteten Dr. C. unter dem 22.8.1991 ein HNO-ärztliches Gutachten (Folge des Unfalls: mittelgradige, kombinierte Schwerhörigkeit mit Tinnitus rechts, MdE 20 v. H.), Prof. Dr. D. unter dem 21.5.1992 ein weiteres HNO-fachärztliches Gutachten (Schwerhörigkeit, Tinnitus, Merk-, Konzentrations- und Einschlafstörungen, MdE auf HNO-ärztlichem Fachgebiet 10 v. H.), Dr. Reinecke unter dem 1.10.1992 ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten (Unfallfolgen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet: Schlafstörungen, Konzentrationsbeeinträchtigungen und affektive Anspannungen, MdE unter Berücksichtigung der Unfallfolgen auf HNO-ärztlichem Fachgebiet 20 v. H.), Prof. Dr. E. unter dem 10.3.1996 ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten (MdE 20 v. H. für eine gestörte Persönlichkeitsentwicklung als Sekundärfolge des Tinnitus) sowie Prof. Dr. F. unter dem 6.6.1996 ein HNO-ärztliches Gutachten (Unfallfolge: geringgradige Hörstörung mit Tinnitus rechts, MdE weniger als 10 v. H.).
Im Mai 2008 beantragte der Kläger abermals, die Unfallfolgen mit einer MdE von wenigstens 20 v. H. zu bewerten. Es sei eine erhebliche Verschlechterung des Hörvermögens eingetreten. Auch der Tinnitus habe sich verschlechtert, wodurch eine chronische Schlaflosigkeit und eine depressive Verstimmung bedingt seien.
Auf Veranlassung der Beklagten erstattete der Facharzt für HNO-Heilkunde, PD Dr. G., unter dem 9.7.2008 ein HNO-fachärztliches Gutachten, in dem er als Unfallfolge eine kombinierte, zwischenzeitlich mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit mit belästigendem Tinnitus rechts bekundete. Die MdE schätzte er mit 15 v. H. für die Schwerhörigkeit, mit 5 v. H. für den Tinnitus und insg. mit 20 v. H. ein. Nachdem sich die Beklagte durch Dr. Horn ärztlich beraten ließ, der der gutachterlichen Einschätzung widersprach, Dr. G. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 17.9.2008 seine Einschätzung bekräftigte, entschied die Beklagte mit Bescheid vom 20.11.2008, dass ein Anspruch auf Rente nicht bestehe. Eine MdE von wenigstens 20 v. H. liege beim Kläger nicht vor. Eine Verschlechterung gegenüber dem Vorbefund, der eine MdE von 10 v. H. bedingt habe, sei nicht eingetreten.
Zur Begründung seines hiergegen erhobenen Widerspruchs brachte der Kläger vor, die durch den Tinnitus bedingte MdE sei höher einzuschätzen, da bei ihm erhebliche psychische Beeinträchtigungen bestünden.
Die Beklagte ließ sich daraufhin durch den Facharzt für HNO-Heilkunde, Dr. H., ärztlich beraten, der in seiner Stellungnahme vom 6.7.2009 ausführte, er gehe nicht von einer signifikanten, unfallbedingten Innenohrhörverschlechterung aus, da sich auch das Hörvermögen auf dem linken Ohr verschlechtert habe.
Auf Veranlassung der Beklagten erstattete sodann der Arzt für HNO-Heilkunde Dr. I. unter dem 10.9.2009 ein HNO-ärztliches Gutachten, in dem er ausführte, die jetzige audiologische Analyse habe, ohne den Nachweis einer noch bestehenden Schallleitungsstörung rechts, eine Zunahme der beidseitigen Hörstörung ergeben. Die Zunahme der Hörstörung in hohen Frequenzanteilen sei möglicherweise auf beruflich bedingte Lärmeinflüsse zurückzuführen. Auch eine degenerative unfallunabhängige Innenohrstörung sei möglich, jedoch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von unfallabhängigen Schädigungselementen abzugrenzen, weswegen die Hörstörung rechts mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch das Unfallgeschehen vom 13.1.1983 bedingt sei. Die Tinnitus-Analyse habe, so Dr. I. weiter, keinen Hinweise auf eine richtungsweisende Verschlimmerung der Tinnitus-Beschwerden ergeben. Die MdE sei für die gering bis mittelgradig ausgeprägte Schwerhörigkeit mit begleitendem Tinnitus auf 15 v. H. einzuschätzen.
Auf Veranlassung der Beklagten erstattete Dr. J., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, unter dem 25.9.2009 ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten über den Kläger, in dem er ausführte, auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet seien keine Unfallfolgen feststellbar. Die beim Kläger bestehende Dysthymia sei unfallunabhängig.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.12.2009 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers sodann, unter der Begründung, nach der gutachterlichen Einschätzung von Dr. I., der eine MdE von 15 v. H. bekundet habe, läge keine rentenberechtigende MdE von wenigstens 20 v. H. vor, zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 21.01.2010 Klage zum SG erhoben. Die neben der Gewährung einer Verletztenrente auch auf die Übernahme der Kosten einer Tinnitus-Retrainingsbehandlung erhobene Klage hat er im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 26.6.2013 zurückgenommen. Der Kläger hat vorgebracht, die MdE für den erlittenen Hörverlust sei mit wenigstens 20 v. H. festzustellen. Auch die MdE-Bewertung des Tinnitus sei zu gering, da er hierdurch ständig belastet sei, er leide an Schlaflosigkeit. Es sei eine Verstimmung bis zur Depression und Antriebsarmut eingetreten. Hierzu hat der Kläger den Entlassungsbericht der K. Klinik, M.str., Bad L., über eine dort vom 9.6. - 14.7.2011 durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme vorgelegt.
Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat hierzu auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide verwiesen. Ergänzend hat sie vorgetragen, die beim Kläger bestehende Depression habe sich mit deutlichem zeitlichen Abstand zum Unfall entwickelt, wobei eine Verschlechterung des Tinnitus nicht eingetreten sei. Ein Zusammenhang mit dem Unfall sei daher unwahrscheinlich.
Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen einvernommen. Hr. N., Ärztlicher Leiter des Medizinischen Versorgungszentrums Freudenstadt, hat unter dem 29.4.2010 mitgeteilt, die vom Kläger beklagte Verschlechterung seines seelischen Zustandes in Abhängigkeit zur Intensität des Tinnitus sei nachvollziehbar. Der Facharzt für HNO-Heilkunde Ehrmann hat unter dem 23.9.2010 mitgeteilt, beim Kläger eine kombinierte Schwerhörigkeit rechts sowie einen grenzwertig kompensierten Tinnitus rechts mit Phasen der Dekompensation diagnostiziert zu haben. Unfallunabhängig gehe er von einer Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik aus. Dr. A., Facharzt für HNO-Heilkunde, hat in seiner Stellungnahme vom 12.11.2010 ausgeführt, dass sich die beim Kläger anfänglich vorhandene Hochtonschwerhörigkeit rechts leicht erhöht und sich der Tinnitus subjektiv verstärkt habe.
Das SG hat sodann Dr. O., Facharzt für Neurologie, zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. In seinem neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 11.10.2011 hat Dr. O. ausgeführt, beim Kläger liege ein behandlungsbedürftiger, dekompensierter Tinnitus mit psychischen Folgeerscheinungen vor. Daneben bestehe auf psychiatrischem Fachgebiet eine Anpassungsstörung in Form von Schlafstörungen und einer Minderbelastbarkeit im Sinne einer neurasthenischen Entwicklung, die als Sekundärfolge des Tinnitus zu betrachten sei. Schlussendlich habe der Tinnitus, selbst wenn man persönlichkeitsspezifische Verarbeitungsmuster unterstelle, zu einer richtunggebenden Verschlimmerung geführt. Die MdE hat Dr. O. auf seinem Fachgebiet mit 20 v. H., insg. unter Einbeziehung der MdE des HNO-fachärztlichen Gebiets ebenfalls mit 20 v. H. eingeschätzt. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 27.11.2012 hat Dr. O. seine gutachterliche Einschätzung bestätigt.
Die Beklagte ist der gutachterlichen Einschätzung entgegen getreten und hat dies damit begründet, Dr. O. habe sich zur Zusammenhangsfrage nicht geäußert. Ergänzend hat die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. H. vom 13.6.2012 vorgelegt.
Mit Urteil vom 26.6.2013 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2009 verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen des Unfalls vom 13.1.1983 ab dem 1.5.2008 eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v. H. zu gewähren. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG ausgeführt, die Folgen des Schulunfalls vom 13.1.1983 hätten sich seit Antragstellung im Mai 2008 verschlimmert. Hinsichtlich der Folgen des Tinnitus sei auf nervenärztlichem Gebiet eine wesentliche Verschlechterung eingetreten. Dr. O. habe den psychischen Befund als stimmungsmäßig leicht depressiv, im Antrieb eher gesteigert, anamnestisch vermehrt reizbar, bei ansonst guter emotionaler Resonanzfähigkeit beschrieben. Er habe ferner nachvollziehbar dargelegt, dass der Tinnitus die psychischen Veränderungen jedenfalls wesentlich mit verursacht habe. Der Zeitpunkt der Verschlechterung sei mit dem Monat der Antragstellung anzunehmen. Das SG hat sich der Einschätzung von Dr. J. nicht anzuschließen vermocht. Dieser habe dem Kläger, so das SG, ein aggravierendes Verhalten unterstellt. Auch habe Dr. J. bei der Kausalitätsprüfung nicht hinreichend die Chronifizierung und Dekompensation der über die Jahre anhaltenden Tinnitus-Beschwerden berücksichtigt. Hinsichtlich der Einschätzung der Unfallfolgen auf HNO-fachärztlichem Gebiet sei der MdE-Einschätzung von Dr. I. zu folgen. Dieser habe die MdE nachvollziehbar auf 15 v. H. eingeschätzt. Insg. sei die MdE mit 20 v. H., wie auch von Dr. O. angenommen, angemessen.
Gegen das ihr am 11.7.2013 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 5.8.2013 Berufung eingelegt. Sie bringt vor, das SG habe sich in seiner Entscheidung auf das Gutachten von Dr. O. gestützt, obschon dieses fehlerhaft sei. Dr. O. habe seine Einschätzung einer Anpassungsstörung auf eine 20-jährige Entwicklung gestützt, ohne diese zeitliche Komponente in eine Abwägung der Wesentlichkeit einzubetten. Soweit sich Dr. O. auf das Gutachten von Prof. Dr. E. berufe, sei bereits das LSG in seiner Entscheidung vom 19.12.1997 diesem Gutachten nicht gefolgt. Auch habe sich Dr. O. nicht mit der Persönlichkeitsstruktur des Klägers auseinander gesetzt. Anders als Dr. O. habe Dr. J. herausgearbeitet, dass beim Kläger eine unfallunabhängige Dysthymia vorliege.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. Juni 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil des SG. Zu Recht habe es eine wesentliche Verschlimmerung der Unfallfolgen festgestellt.
Der Senat hat Prof. Dr. P., Facharzt für HNO-Heilkunde, zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. In seinem HNO-ärztlichen Gutachten vom 27.10.2014 hat Prof. Dr. P. beim Kläger eine mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit rechts mit einer unwesentlichen Schallleitungskomponente, eine geringgradige Innenohrschwerhörigkeit links, einen Z.n. Tympanoplastik rechts bei traumatischer Trommelfellperforation am 17.1.1983 sowie einen chronischen und beginnend dekompensierten Tinnitus Grad III rechts nach Goebel und Hiller diagnostiziert. Der prozentuale Hörverlust rechts betrage 40 - 50 %, links 0 %. Der Tinnitus werde vom Kläger als derart belastend empfunden, dass er über mehrere Jahre Schlaftabletten eingenommen habe. Hauptursächlich für den Tinnitus sei der Unfall vom 13.1.1983. Zwischenzeitlich habe sich die Gesundheitsstörung jedoch verselbstständigt. Beim Kläger habe sich als Begleiterkrankung auf psychiatrischem Gebiet eine Anpassungsstörung in Form von Schlafstörungen und einer Minderbelastbarkeit entwickelt. Gegenüber dem Vorgutachten von Prof. Dr. D. habe sich eine beidseitige progrediente Innenohrschwerhörigkeit entwickelt. Hierfür seien unfallunabhängige Faktoren wie natürliche Alterungsprozesse verantwortlich zu machen. Die initial diagnostizierte gering- bis mittelgradige kombinierte Schwerhörigkeit rechts sei im Wesentlichen durch eine behinderte Schallübertragung im Trommelfell bedingt gewesen. Diese sei nach abgeschlossener Regeneration nicht mehr (relevant) nachweisbar. So habe anlässlich der am 6.10.2014 durchgeführten Testungen lediglich eine unwesentliche Störung der Schallleitung festgestellt werden können. Insg., so Prof. Dr. P. abschließend, betrage die MdE auf HNO-ärztlichem Fachgebiet 15 v. H.
Der Senat hat sodann Dr. Q., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. In seinem neurologisch-psychiatrischem Fachgutachten vom 20.6.2015 hat Dr. Q. beim Kläger auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet eine Dysthymie, Schlafstörungen, Nikotinmissbrauch sowie einen Medikamentenmissbrauch durch Schlafmittel diagnostiziert. Die Dysthymie und die Schlafstörungen beruhten nur nachrangig auf dem anfänglichen Tinnitus. Dieser habe sich vielmehr durch das Hinzutreten einer Innenohrschwerhörigkeit erheblich gewandelt. Auch der (fehlende) zeitliche Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem erstmaligen Auftreten einer Schlafstörung im Jahr 1992 spreche, so Dr. Q. weiter, gegen einen wesentlichen Zusammenhang. Hier wäre eine Symptomatik innerhalb von 1- 3 Monaten zu fordern. In Zusammenschau aller Faktoren spreche mehr gegen eine unfallabhängige Verursachung der Dysthymie. Der MdE-Bewertung mit 15 v. H. sei aus neurologisch-psychiatrischer Sicht zuzustimmen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge und die bei der Beklagten für den Kläger geführten Leistungsakten, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 17.2.2016 geworden sind, sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 17.2.2016 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte (§ 143 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), form- und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 SGG) eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten führt für diese zum Erfolg.
Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen des Unfalls vom 13.1.1983 ab dem 1.5.2008 eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v. H. zu gewähren. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 20.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2009, mit dem die Gewährung einer Verletztenrente abgelehnt wurde, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente nach dem Arbeitsunfall vom 13.1.1983 ab dem Zeitpunkt seines Antrages aus dem Mai 2008. Dies beurteilt sich vorliegend nicht anhand der Kriterien des § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Voraussetzung dafür, dass über den geltend gemachten Rentenanspruch (auch) nach dem Erfordernis einer wesentlichen Änderung zu entscheiden ist, ist, dass ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung abzuändern ist. Die Beklagte hat in den Bescheiden vom 24.5.1985, vom 26.6.1990 und vom 27.1.1993 jeweils die Gewährung einer Verletztenrente abgelehnt. Derartige Bescheide, mit denen Leistungen abgelehnt worden sind, sind jedoch keine Verwaltungsakte mit Dauerwirkung (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 30.1.1985 - 1 RJ 2/84; Urteil vom 22.10.1986 - 9a RVs 55/85 - jew. veröffentlicht in juris). Indes ist es zur Begründung einer "Dauerwirkung" des Verwaltungsaktes nicht erforderlich, dass dieser zumindest für eine gewisse Dauer tatsächliche Wirkungen etwa in Form der faktischen Erbringung von Rentenleistungen hat. Vielmehr ist insoweit allein auf die rechtlichen Wirkungen des Verwaltungsaktes abzustellen und ihm bereits dann Dauerwirkung zuzubilligen, wenn er in rechtlicher Hinsicht über den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe bzw. Bindungswirkung hinaus Wirkungen zeitigt. Demnach hat Dauerwirkung auch der Verwaltungsakt, dessen rechtliche Wirkungen sich über eine einmalige Gestaltung der Rechtslage hinaus auf eine gewisse zeitliche Dauer erstrecken (BSG, Urteil vom 14.6.1984 - 10 RKg 5/83 - veröffentlicht in juris). Im vorliegenden Fall hat die Beklagte mit dem Bescheid vom 27.1.1993 "die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund des Unfalls vom 13.1.19983" abgelehnt. Der entscheidende Teil, der Verfügungssatz, dieses Bescheides (vgl. BSG, Urteil vom 21.3.1974 - 8/2 RU 55/729 -) lautet also dahin, dass dem Kläger keinerlei Rente zusteht. Auf diesen Teil erstreckt sich die Bindung des Verwaltungsaktes.
Soweit die Beklagte die Ablehnung damit begründet hat, dass der Arbeitsunfall zu einer MdE von "10 oder 15 v. H." geführt habe, ergibt sich keine andere Beurteilung. Da offen gelassen wurde, ob die MdE 10 oder 15 v. H. beträgt, hat die Beklagte bereits keine Regelung getroffen, sodass schon deshalb eine Bindungswirkung nicht eingetreten ist. Auch eine Feststellung von Unfallfolgen, die einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung darstellen könnte, vermag der Senat nicht zu erkennen. Die Beklagte hat in der Begründung angegeben, dass als Unfallfolge "wie bisher" die auf HNO-ärztlichem Fachgebiet festgestellte kombinierte Schwerhörigkeit rechts mit Tinnitus rechts anerkannt werde. Nachdem in den früheren Bescheiden allerdings keine Unfallfolgen anerkannt wurden, ist ein Vertrauensschutz auf eine "positive Bestandskraft" von Unfallfolgen nicht gerechtfertigt (BSG, a.a.O., Rn. 24 a.E.). Damit liegt kein feststellender, begünstigender Verwaltungsakt vor.
Der geltend gemachte Rentenanspruch beurteilt sich inhaltlich nach den bis 31.12.1996 geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da der streitige Versicherungsfall vor dem 1.1.1997 eingetreten ist und es sich nicht um eine erstmalige Festsetzung der Leistungen handelt (vgl. §§ 212, 214 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch [SGB VII] i.V.m. § 580 RVO). Die Beklagte hat bereits mit den Bescheiden vom 24.5.1985, vom 26.6.1990 und vom 27.1.1993 (Widerspruchsbescheid vom 4.8.1993) unter Geltung der RVO eine Rentengewährung abgelehnt. Da unter einer erstmaligen Festsetzung im Sinne des § 214 Abs. 3 SGB VII auch eine Entscheidung, die die Rente ablehnt, zu verstehen ist (BSG, Urteil vom 20.2.2001 - B 2 U 1/00 R - veröffentlicht in juris, dort Rn. 21), verbleibt es auch im Rahmen eines neuerlichen (Verwaltungs-) Verfahrens bei der Anwendung des alten Rechts (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 07.11.2007 - L 2 U 76/07 -; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.6.2006 - L 10 U 3308/03 - jew. veröffentlicht in juris).
Nach § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO gewährt die Beklagte nach einem Arbeitsunfall als Verletztenrente den Teil der Vollrente, der dem Grad der MdE entspricht, wenn und solange die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um wenigstens ein Fünftel (20 v. H.) gemindert ist. Arbeitsunfall ist nach § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet.
Aus den Folgen des Arbeitsunfalls vom 13.1.1983 resultieren seit der Antragstellung des Klägers im Mai 2008 keine Funktionseinbußen, die eine MdE von 20 v. H. rechtfertigen. Bei dieser Beurteilung folgt der Senat dem Gutachten des Prof. Dr. P. sowie dem Gutachten des Dr. Q ... Danach leidet der Kläger auf HNO-ärztlichem Gebiet an einer mittelgradigen Innenohrschwerhörigkeit rechts mit einer unwesentlichen Schallleitungsstörung, einer geringgradigen Innenohrschwerhörigkeit links, einem Z.n. Tympanoplastik rechts bei traumatischer Trommelfellperforation sowie an einem chronisch, beginnend dekompensiertem Tinnitus (Grad III nach Goebel und Hiller) rechts. Die mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit ist allerdings nicht Unfallfolge.
Zwischen dem durch den Versicherungsfall hervorgerufenen Körperschaden und den für die MdE maßgeblichen Gesundheitsstörungen muss ein Ursachenzusammenhang bestehen (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Nur Funktionseinbußen infolge des Versicherungsfalls können bei der Schätzung der MdE berücksichtigt werden. Ausgangsbasis der Kausalitätsbeurteilung ist die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie. Nach dieser Theorie ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Wegen der Unbegrenztheit dieses Ursachenbegriffs ist in einer zweiten Prüfungsstufe nach der vom BSG entwickelten Theorie von der wesentlichen Bedingung die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Danach sind nur solche Ursachen kausal und rechtserheblich, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden. Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache sind die vom BSG herausgearbeiteten Grundsätze maßgeblich (vgl. BSG, Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - veröffentlicht in juris).
Während die anspruchsbegründenden Tatsachen - z. B. der Unfall und die Gesundheitsstörungen selbst, die der Schätzung der MdE zugrunde liegen, voll bewiesen sein müssen, bedürfen die Ursachenzusammenhänge lediglich hinreichender Wahrscheinlichkeit. In diesem Sinne hinreichend wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, für die nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalles und aufgrund der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr spricht als dagegen. Kann eine Anspruchsvoraussetzung nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht mit dem danach erforderlichen Grad an Gewissheit festgestellt werden, so geht dies nach dem im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Grundsatz von der objektiven Beweislast zu Lasten desjenigen, der seinen Anspruch auf die nicht erweisliche Tatsache stützt (vgl. BSG, Urteil vom 2.4.2009 - B 2 U 29/07 R - veröffentlicht in juris).
Nach den nachvollziehbaren Bekundungen von Prof. Dr. P. ist die beim Kläger bestehende mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit rechts auf unfallunabhängige Faktoren zurückzuführen.
Je nach Sitz der Ursache wird die Minderung des Hörvermögens bei Störung im Außen- und Mittelohr, insb. in Form krankhafter Veränderungen des Trommelfells, in eine Schallleitungsschwerhörigkeit oder bei einer Störung der Schallwahrnehmung, in eine Schallempfindungsschwerhörigkeit differenziert. Der Gutachter hat darauf hingewiesen, dass anlässlich seiner Untersuchung am 6.10.2014 keine relevante Schallleitungsstörung mehr nachweisbar gewesen ist, das Tonschwellenaudiogram tympanometrisch ein normal schwingendes Trommelfell gezeigt hat. Die diesbezüglich initial bestehende gering- bis mittelgradige kombinierte Schwerhörigkeit hat hingegen noch eine Schallleistungskomponente aufgewiesen, die infolge des Trommelfelldefekts bzw. der operativen Versorgung desselben mit der Vernarbung und einer (mutmaßlichen) Schädigung der Gehörknöchelchenkette eingetreten ist. Infolge der Regeneration ist dies jedoch zurückgetreten, sodass die Gesundheitsstörung nicht wesentlich durch den Arbeitsunfall bedingt ist. Diese Bewertung ist für den Senat nachvollziehbar, da sie den aktenkundigen Regenerationsablauf zutreffend wiedergibt. So hat der Facharzt für HNO-Heilkunde Dr. A. in seinem Befundbericht vom 2.5.1989 noch ausgeführt, anlässlich einer Tympanometrie, einer Messung der Trommelfellbeweglichkeit, einen fehlenden Stapediusreflex befundet zu haben. Dieser Reaktionsmechanismus des Gehörs, der das Innenohr vor Schäden durch einen lauten Schalldruckpegel schützt, ist bei einer Schallleitungsschwerhörigkeit abhängig vom Ausmaß der Schwerhörigkeit erhöht oder nicht auslösbar (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 2011, S. 1963). Dr. C. hat in seinem Gutachten vom 22.8.1991 beschrieben, dass der Reflex im rechten Ohr noch abgeschwächt gewesen ist. Im weiteren zeitlichen Fortgang hat jedoch sodann Prof. Dr. D. in seinem Gutachten vom 21.5.1992 beschrieben, dass beide Trommelfelle des Klägers normal beweglich sind und der Stapediusreflex über alle Frequenzen wieder auslösbar ist. Da mithin die zeitnah zum Unfall durch die Verletzung des Trommelfells eingetretene Beeinträchtigung der Schallleitung nicht mehr besteht, ist auch die weitere Einschätzung des Gutachters, dass der bestehende prozentuale Hörverlust von 40 bzw. 50 % auf unfallunabhängige Faktoren, den natürlichen Alterungsprozess, zurückzuführen ist, ohne weiteres schlüssig. Dies zeigt sich insb. daran, dass beim Kläger auch am linken Ohr eine Innenohrschwerhörigkeit besteht, die sich nach den vorliegenden Unterlagen erstmals im April 1990, d.h. sieben Jahre nach dem Unfall, angedeutet hat. Da indes das linke Ohr des Klägers vom Unfall im Jahr 1983 nicht betroffen war, ist die beim Kläger bestehende mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit rechts mit einer unwesentlichen Schallleistungsstörung nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit wesentlich durch das Unfallereignis vom 13.1.1983 bedingt. Dr. I. kann insoweit nicht gefolgt werden. Auch er hat erkannt, dass sich die Schallleitungskomponente, die zu Beginn im Vordergrund stand, zurückgebildet hat. Gründe dafür, dass sich die Innenohrschwerhörigkeit rechts verschlechtert hat, sind von ihm nicht benannt worden. Seiner Beurteilung vermag sich der Senat deshalb nicht anzuschließen. Selbst für den Fall, dass die Innenohrschwerhörigkeit - wie Dr. I. meint - auf den Unfall zurückzuführen wäre, ergäbe sich keine andere Beurteilung. Die MdE beträgt für einen einseitigen Hörverlust von 40 - 50 % 10 v. H. (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., 2010, S. 346). Aus einer MdE von 10 v. H. für einen Hörschaden und einer MdE von 10 v. H. für den Tinnitius (vgl. hierzu S. 14 f. des Senatsurteils) ergibt sich bei einer integrierenden Betrachtung eine nicht rentenberechtigende Gesamt-MdE von 15.
Die auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet beim Kläger bestehende Dysthymie mit Schlafstörungen ist gleichfalls nicht wesentlich durch den Unfall vom 13.1.1983 bedingt. Der Senat folgt insofern der Einschätzung von Dr. Q ... Nach dessen Gutachten vom 20.6.2015 ist die Erkrankung nur nachrangig auf den anfänglichen Tinnitus zurückzuführen. Maßgeblich für die psychischen Beeinträchtigungen des Klägers sind nach Dr. Q. vielmehr seine allgemeinen Lebensumstände und seine Schichtarbeit. Dr. Q. hat nachvollziehbar dargelegt, dass vom Kläger erstmals im Jahr 1992 Beschwerden über Schlafstörungen geäußert worden und objektivierbare Befunde erstmals in ärztlichen Befundberichten vom Dezember 2008 zu Tage getreten sind. Da auch die Vorgutachten kein Korrelat im Befund zu den Symptomen gezeigt haben, spricht nach den zutreffenden Ausführungen von Dr. Q. in Ermangelung von Brückensymptomen während eines Zeitrahmens von 32 Jahren bis zur Objektivierung mehr gegen als für eine wesentlich Verursachung. Nach Dr. Q. wäre vielmehr der Beginn einer entsprechenden Symptomatik binnen 1 - 3 Monaten zu erwarten. Der Senat vermag sich daher, anders als das SG, der insofern abweichenden Einschätzung von Dr. O. nicht anzuschließen. Da Dr. O. schließlich beim Kläger zwar ein bestehendes "persönlichkeitsspezifisches, unfallunabhängiges Verarbeitungsmuster" benannt hat, jedoch im Rahmen der wertenden Beurteilung der Wesentlichkeit keine näheren Ausführungen dazu gemacht hat, wie sich dies auf den Verursachungszusammenhang auswirkt, ist für den Senat eine wesentliche Verursachung der bestehenden Dysthymie durch den Unfall vom 13.1.1983 nicht überwiegend wahrscheinlich.
Hingegen ist die bestehende Tinnitus-Erkrankung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich durch den Arbeitsunfall hervorgerufen worden. Prof. Dr. P. hat insofern darauf hingewiesen, dass das Ohrgeräusch, wie der Arztbrief von Dr. A. betr. einer Untersuchung am 21.10.1983 belegt, vom Kläger durchgängig seit dem Unfall beklagt wird. Anhaltspunkte dafür, dass betr. die Tinnitus-Erkrankung eine unfallunabhängige Verursachung besteht, sind nicht ersichtlich, insb. haben sämtliche befassten Gutachter den wesentlichen Zusammenhang zwischen der Trommelfellperforation und der Tinnitus-Erkrankung bejaht.
Die durch den unfallbedingten Tinnitus hervorgerufene MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Die Bemessung des Grades der MdE, also die durch eine Schätzung vorzunehmende Festlegung des konkreten Umfangs der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG eine tatsächliche Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 2.5.2001 - B 2 U 24/00 R - veröffentlicht in juris). Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung; sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Bei der Beurteilung der MdE sind aber auch die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie von dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend sind, aber Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden und einem ständigen Wandel unterliegen. Die in den Tabellen und Empfehlungen enthaltenen Richtwerte bilden lediglich die Basis für einen Vorschlag, den der medizinische Sachverständige zur Höhe der MdE unterbreitet, und gewährleisten, dass alle Betroffenen bei der medizinischen Begutachtung nach einheitlichen Kriterien beurteilt werden (BSG, Urteil vom 30.6.1998 - B 2 U 41/97 R -, Urteil vom 22.6.2004 - B 2 U 14/03 R - jew. veröffentlicht in juris). Die Tinnitus-Erkrankung des Klägers ist in Anlegung dieser Kriterien mit einer MdE von max. 10 v. H. zu bewerten (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 350 f.; Feldmann/Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes, 7. Aufl., 2012, S. 364). Eine weitergehende MdE ist nur unter Berücksichtigung psychischer Beeinträchtigungen, die nach einer neurologisch-psychiatrischen Begutachtung festzustellen sind (vgl. Empfehlungen für die Begutachtung der Lärmschwerhörigkeit [BK-Nr. 2301] - Königsteiner Empfehlungen - , März 2012, Nr. 4.4.4, S. 37; Schönberger/ Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 351), möglich. Vorliegend bestehen nach dem insoweit eingeholten Gutachten von Dr. Q., wie oben bereits ausgeführt, jedoch keine auf den Tinnitus zurückzuführenden maßgeblichen psychischen Beeinträchtigungen, die eine höhere Bewertung des Tinnitus um mehr als 10 v. H. rechtfertigen könnten. Im Übrigen steht der Kläger weder in einer nachhaltigen psychiatrischen Fachbehandlung, noch wirkt sich die psychische Situation des Klägers auf dessen Lebensgestaltung maßgeblich aus. Der vom Kläger gegenüber dem Gutachter Dr. Q. geschilderte Tagesablauf ist strukturiert und weist keine auf den Tinnitus zurückzuführenden krankheitsbedingten Besonderheiten auf. Auch ein Vergleich der MdE mit der, wie sie bei unfallversicherungsrechtlich zu entschädigenden Schwerhörigkeiten anzusetzen ist, bestätigt die Einschätzung des Senats, dass eine MdE von 20 v. H. nicht vorliegt. Eine MdE von 20 v.H. wird bspw. erst dann erreicht, wenn eine einseitige Taubheit (bei Normalhörigkeit des anderen Ohres) besteht (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 346). Mit derart schweren Beeinträchtigungen sind die beim Kläger bestehenden nicht zu vergleichen.
Da mithin die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht um wenigstens ein Fünftel (20 v. H.) vermindert ist und Anhaltspunkte für einen Stützrententatbestand nicht ersichtlich sind, besteht kein Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenrente. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 20.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2009 ist rechtmäßig. Das Urteil des SG, mit dem die Beklagte verurteilt wurde, dem Kläger eine Verletztenrente zu gewähren, ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger mit seinem Begehren nicht durchgedrungen ist.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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