L 5 P 45/15

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Trier (RPF)
Aktenzeichen
S 7 P 29/14
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 P 45/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 19.6.2015 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Umstritten ist, in welchem Umfang der Anspruch der Klägerin auf Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung wegen eines Anspruchs auf Pflegegeld aus der gesetzlichen Unfallversicherung ruht.
Die Beklagte hatte der 1924 geborenen Klägerin ab März 2012 Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I gewährt. Am 20.3.2013 erlitt die Klägerin bei einem Sturz eine Oberarmfraktur links. Während des dadurch erforderlichen stationären Krankenhausaufenthalts stürzte die Klägerin am 26.3.2013 erneut und zog sich eine Luxationsfraktur des linken oberen Sprunggelenkes mit Syndesmoseverletzung und kleinem knöchernem Ausriss der ventralen Syndesmose zu. Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 7.5.2013 aufgrund eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes vom April 2013 Leistungen der Pflegestufe II.
Die Beigeladene gewährt der Klägerin wegen des Unfalls vom 26.3.2013 im Hinblick auf einen Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 15 Buchstabe a Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung. In einer von ihr eingeholten Stellungnahme vom August 2013 führte der Krankenpfleger und Orthopädiemeister H aus: Die Gesamthilfebedarfe der Klägerin seien wesentlich auf die Folgen des Unfalls vom 26.3.2013 zurückzuführen. Bei der Klägerin bestünden Gesamthilfebedarfe von 214,9 Minuten täglich, wovon durch den Unfall vom 26.3.2016 ein Mehraufwand von 91,2 Minuten bedingt sei, was einem prozentualen Anteil am gesamten Hilfebedarf von 42,44 % entspreche. Demnach sei eine Leistung zur Pflege in Höhe von 42,44 %, ausgehend von dem Pflegegeldbetrag in Höhe von 50 % des Höchstbetrags, zu Lasten der Beigeladenen zu empfehlen. Daraufhin gewährte die Beigeladene der Klägerin durch Bescheid vom 26.9.2013 Pflegegeld nach § 44 SGB VII. Zur Begründung legte sie dar: Vor dem Unfall vom 26.3.2013 habe bereits Pflegebedürftigkeit im Sinne der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I bestanden. Insoweit könne unfallversicherungsrechtlich nur der unfallbedingte Mehrbedarf entschädigt werden, der in Analogie zur sozialen Pflegeversicherung der Pflegestufe II entspreche. Die Differenz werde als reine Geldleistung gewährt. Die Höhe des Pflegegeldes bestimme sich nach Art oder Schwere des Gesundheitsschadens sowie nach dem erforderlichen und durch die Folgen des Versicherungsfalls der gesetzlichen Unfallversicherung wesentlich (mit)verursachten Umfang der Hilfe. Das Pflegegeld werde auf 42,44 % von 50 % des Höchstbetrages festgesetzt. Die monatliche Leistung betrage ab dem 17.4.2013 268,86 EUR und ab dem 1.7.2013 269,53 EUR.
Durch Bescheid vom 19.12.2013 und Widerspruchsbescheid vom 2.6.2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit: Die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung seien nach § 13 Abs. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) gegenüber Entschädigungsleistungen nach dem SGB VII nachrangig; § 34 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI konkretisiere dies dahingehend, dass der Leistungsanspruch nach dem SGB XI in Höhe der Entschädigungsleistungen nach dem SGB VII ruhe. Daher stehe der Klägerin nur Pflegegeld nach dem SGB XI in Höhe der Differenz zwischen der Pflegestufe II (monatlich 440, EUR) und der Leistung der Beigeladenen zu.
Am 2.7.2014 hat die Klägerin Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, die Beklagte hätte ihrer Leistung den ohne den Unfall vom 26.3.2012 bestehenden Pflegebedarf zugrunde legen müssen und habe ihr deshalb Leistungen nach der Pflegestufe I (monatlich 235 EUR) zu erbringen, ohne dass diese zum Ruhen gekommen seien. Die Beigeladene hat sich dieser Auffassung angeschlossen.
Durch Urteil vom 19.6.2015 hat das Sozialgericht (SG) Trier die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Nach § 34 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 SGB XI ruhe der Anspruch auf Pflegeleistungen, soweit Versicherte Entschädigungsleistungen wegen Pflegebedürftigkeit aus der gesetzlichen Unfallversicherung erhielten. Diese Regelung lasse nach ihrem Wortlaut keine Ausnahme zu. Dies sei verfassungskonform (Hinweis auf Bundessozialgericht – BSG – 29.4.1999 – B 3 P 15/98 R).
Gegen dieses ihren Prozessbevollmächtigten am 21.7.2015 zugestellte Urteil richtet sich die am 30.7.2015 eingelegte Berufung der Klägerin, die ihr bisheriges Vorbringen wiederholt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Trier vom 19.6.2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2.6.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab April 2013 Pflegegeld nach der Pflegestufe I ohne Anrechnung von Leistungen der Beigeladenen zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen sowie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§ 143 f, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG – zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Nach § 34 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI ruht der Anspruch auf Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung, soweit Versicherte Entschädigungsleistungen wegen Pflegebedürftigkeit nach § 35 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) oder nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen, aus der gesetzlichen Unfallversicherung oder Unfallfürsorge erhalten. Diese Vorschrift greift vorliegend zu Lasten der Klägerin ein. Entgegen ihrer Auffassung ruht ihr Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe II nach dem SGB XI in Höhe des Leistungsanspruchs der Klägerin gegen die Beigeladene.
Nach den Grundsätzen des Unfallversicherungsrechts hat die für die Entschädigung des Unfalls vom 26.3.2013 zuständige Beigeladene der Klägerin Pflegegeld nach § 44 SGB VII nur für die durch diesen Unfall eingetretene Zunahme des Pflegebedarfs zu gewähren. Nimmt bei im Zeitpunkt des Versicherungsfalls im Sinne des SGB VII schon bestehender Pflegebedürftigkeit der Pflegebedarf wegen der Folgen dieses Versicherungsfalls zu, ist, wovon die Beigeladene zu Recht ausgegangen ist, nur diese Verschlimmerung vom Unfallversicherungsträger zu entschädigen (BSG 10.10.2006 – B 2 U 41/05 R, juris; Ricke in Kasseler Kommentar, SGB VII, § 44 Rn 5). Unfallversicherungsrechtlich bewirkt dies, dass der Pflegebedarf rechtlich in zwei Teile – einen zu entschädigenden und einen nicht zu entschädigenden Teil – zerlegt wird (vgl. allgemein zur Verschlimmerung Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 8 Rz 293). Dies führt aber pflegeversicherungsrechtlich nicht dazu, dass das Pflegegeld nur anteilig zum Ruhen käme.
Nach dem Wortlaut des § 34 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI ruht der Anspruch auf Pflegegeld, "soweit" der Versicherte Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung erhält. Das Tatbestandsmerkmal "soweit" führt zur Begrenzung des Ruhenseintritts in Höhe der Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Demgegenüber ist die Ruhenswirkung nach § 34 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI entgegen der Auffassung der Klägerin und der Beigeladenen (unzutreffend auch Landessozialgericht – LSG – Hamburg 12.9.2013 – L 1 P 8/12, juris) nicht insoweit begrenzt, als die Pflegebedürftigkeit auf Unfallfolgen zurückzuführen ist. Einer solchen Beschränkung der Ruhenswirkung steht der Umstand entgegen, dass das Pflegegeld aus der sozialen Pflegeversicherung eine einheitliche Leistung ist, die rechtlich nicht teilbar ist, auch wenn Pflegegeld nach einer höheren Stufe als der Pflegestufe I gewährt wird. Deshalb kommt eine nur auf den fiktiven Anteil der Pflegebedürftigkeit ohne die Folgen des Unfalls vom 26.3.2013 – hier: Pflegestufe I – beschränkte Ruhenswirkung nicht in Betracht.
Dem steht die Zweckbestimmung des § 34 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI nicht entgegen. Sinn dieser Vorschrift ist die Vermeidung einer Überversorgung durch Doppelleistungen. Dies setzt voraus, dass die beiden in Betracht kommenden Leistungen im Wesentlichen dem gleichen Zweck dienen – Zweckidentität, Gleichartigkeit – und zeitgleich bezogen werden – Zeitgleichheit – (BSG 19.4.2007 – B 3 P 6/06 R, juris Rn 18). Zweckidentität, Gleichartigkeit und Zeitgleichheit in diesem Sinne sind vorliegend gegeben, wobei hinsichtlich der Zweckidentität die Unteilbarkeit der Pflegeleistung zu berücksichtigen ist. Für diese Auslegung des § 34 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI durch den Senat spricht auch, dass die Ruhenswirkung nach dieser Vorschrift nicht auf eine volle Deckungsgleichheit der Leistungen begrenzt ist (vgl. BSG 29.4.1999 – B 3 P 15/98 R, juris Rn 15).
In dieser Auslegung verstößt § 34 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI nicht gegen Normen des Grundgesetzes (vgl. BSG 29.4.1999 aaO, juris Rn 24), zumal der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht zur Sicherstellung eines Versicherungsschutzes in der gesetzlichen Unfallversicherung wegen Unfällen bei stationärer Krankenhausbehandlung verpflichtet ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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