L 1 KR 108/12

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 15 KR 344/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 108/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, welche diese selbst zu tragen haben. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist ein Prüfbescheid der Beklagten, soweit dort Beiträge zur Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung für den Beigeladenen zu 1) (nachfolgend nur noch: "der Beigeladene") für die Zeit vom 01. April 1996 bis 31. Dezember 1997 nachgefordert werden.

Die Klägerin war ein Unternehmen im Wesentlichen der Transportbranche. Sie führte ab ihrer Eintragung ins Handelsregister am 4. März 2002 (Amtsgericht Potsdam HRA 3004 P) die Geschäfte des vormaligen Einzelunternehmens Firma S N F fort.

Aufgrund eines Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichtes Potsdam vom 05. Dezember 2003 (Az.: 77 GS 1112/03) wurden die Betriebsunterlagen von 1991 bis September 2003 des Firmenverbundes des Herrn N F bzw. der Klägerin beschlagnahmt. Der Auswertung erfolgte neben der Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes und des Hauptzollamtes auch durch die Beklagte. Anhand dieser Unterlagen führte die Beklagte eine Betriebsprüfung für die Zeit vom 01. Januar 1991 bis 30. September 2003 durch.

Die Komplementärin der Klägerin, die F Verwaltungs GmbH (HRB 15302 P) wurde durch Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 30. Dezember 2006 aufgelöst. Kommanditist der Klägerin war Herr N F, der als ihr Liquidator eingesetzt wurde.

Mit Schreiben vom 16. April 2007 hörte die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Nacherhebung von Beiträgen u. a. für ,,Scheinunternehmer” an. Die Klägerin habe in diesen Fällen Mitarbeiter veranlasst, ein Gewerbe anzumelden, ohne dass sich an den tatsächlichen Beschäftigungsverhältnissen dieser Arbeitnehmer Änderungen ergaben. Die so formell eingesetzten Mitarbeiter hätten keinerlei Einfluss auf ihre Firma gehabt, da Herr N F in jedem Fall stiller Gesellschafter und tatsächlich Handelnder gewesen sei. Mit Schreiben 30. Mai 2007 trat die Klägerin dem entgegen. Die Vorwürfe von Schwarzlohnzahlungen infolge von fingierten Kilometergeldern, Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschlägen, Reisekosten, Aushilfslöhnen und Mehrverpflegungsaufwendungen sowie der Scheinselbstständigkeit von DPD-Paketfahrern seien unzutreffend und nicht einmal im Ansatz bewiesen. Überwiegend würden die Angaben der Beklagten auf Mutmaßungen beruhen. Die Beklagte habe den Bericht der Steuerfahndungsstelle übernommen, ohne eigene Ermittlungen anzustellen. Der ganze Vorgang sei nicht aufgeklärt. Die Zeugenaussagen, die die Beklagte heranziehe, seien nicht ausreichend. Insbesondere die Aussage der Zeugin S. belege, dass sie keine verdeckten Lohnbestandteile erhalten habe. Vielmehr habe sie den Erhalt von SFN-Zuschlägen bestätigt, da sie diese Arbeit geleistet habe. Im Übrigen sei sie nur als Lohnrechnerin tätig gewesen und habe keinen Einblick in die Buchhaltung gehabt. Darüber hinaus seien nur Personen befragt worden, die im Streit bei der Klägerin ausgeschieden seien und gegen die durch die Klägerin zivilrechtliche Verfahren geführt würden. Die Paket- und Taxifahrer seien nicht als Zeugen vernommen worden. Es hätten keine Scheinfirmen bestanden, vielmehr seien die genannten Personen tatsächlich selbstständig gewesen und hätten die Verträge mit dem DPD selbst abgeschlossen.

Mit Bescheid vom 16. Juli 2007 macht die Beklagte eine Nachforderung von Beiträgen zur Gesamtsozialversicherung in Höhe von 2.521.819,90 EUR zzgl. 2.809.131,27 EUR Säumniszuschlägen geltend. In dieser Summe sind Beitragsnachforderungen speziell für den hiesigen Beigeladenen in Höhe von 9.823,43 EUR sowie Säumniszuschläge in Höhe von 11.951,43 EUR, insgesamt 21.774,86 EUR enthalten. Zur Begründung führte sie u. a., in den ersten Jahren habe sich die Tätigkeit des Unternehmensverbundes hauptsächlich auf den Paketservice für den D(D) erstreckt. Nach Aussagen ehemaliger ,,Subunternehmer” habe der D den Einflussbereich beschränken wollen. Im Zuge dessen seien dann die Gewerbeanmeldungen erfolgt und der D habe mit den "Unternehmern” Einzelverträge abgeschlossen. Gleichzeitig seien die jeweils gleichlautenden Verträge über eine stille Gesellschaft zwischen den "Unternehmern” und dem Herrn N F abgeschlossen worden. Die Touren für den DPD seien dieselben geblieben. Die ‚,Unternehmer” hätten kein eigenes Betriebskapital gehabt. Die sich aus dem Vertrag über eine stille Gesellschaft ergebende Beteiligung sei nur in Teilen geleistet und letztlich durch die Klägerin verwaltet worden, was sich aus den gesichteten Bankunterlagen ergebe. Die Betriebskonten der Scheinfirmen seien alle bei der Geschäftsbank der Klägerin geführt worden, Herr NF oder eine Mitarbeiterin hätten jeweils eine Kontovollmacht gehabt. Für jedes Konto sei ein Betriebsmittelkredit von je 10.000,00 DM eingeräumt worden, wofür Herr N F persönlich gebürgt habe. Die Konten der Scheinunternehmer hätten einen geschlossenen Geldkreislauf gebildet, so dass der Klägerin die Vereinnahmung der D-Umsätze und die Begleichung der laufenden Sach- und Lohnkosten zur Betreibung des Scheinunternehmens garantiert gewesen seien. Die Betriebsunterlagen der Scheinfirmen seien überwiegend bei der Klägerin aufgefunden worden. Die Buchführung der Scheinunternehmen sei ausschließlich durch die Klägerin gemacht worden, einschließlich der laufenden Umsatzsteuervoranmeldungen, Lohnsteueranmeldungen. Die Jahresabschlüsse und Jahressteuererklärungen seien durch den Steuerberater der Klägerin gefertigt worden. Genutzt worden sei hierbei das Finanzbuchhaltungssystem D, in welchem den Scheinunternehmen zur laufenden Buchhaltung Unterkonten des Hauptkontos der Klägerin zugewiesen waren. Steuerungsinstrument zur Verlagerung der Gewinne vom Scheinunternehmensbereich in die offiziellen Firmen der Klägerin seien die Kfz-Kosten in den Gewinn- und Verlustrechnungen der Scheinunternehmer gewesen. Neben der Anmietung der Paketfahrzeuge hätten diese Fahrzeuge auch bei der Klägerin gewartet und repariert werden müssen. Durch die eigenen Vermietungs- und Werkstattrechnungen habe die Klägerin den Gewinn der Scheinunternehmer steuern können, indem die Rechnungen zunächst in die Konten der Scheinunternehmer eingebucht worden und die Klägerin sich mittels Bankvollmacht dann selbst Gelder überwiesen habe. Des Weiteren seien fingierte Reisekostenbelege als Schwarzgelder entnommen worden. Alle vorgefundenen Unterlagen der Scheinunternehmer seien nach demselben Standard erstellt worden. Für alle Paketfahrer sei das gleiche Ordnungssystem angelegt worden, konkret Ordner für: ,,SV, AR, Finanzamt, Berufsg.”, ,,Fibu, Dauerauf’, ,,DKV, Transportvers, IRK”, ,,BWA, Monat/Jahr, Abschlüsse". Daneben habe es Ordner für die Bank und Kasse nebst Belegen für die Ein- und Ausgangsrechnungen, für die offizielle Lohnbuchführung und die D-Kontoauszüge gegeben. Die Scheinfirmen seien nur scheinbar selbständig geführt worden. Handelnder sei die Klägerin gewesen. Die Entlohnung und Altersvorsorge der Scheinselbständigen sei über fingierte Privatentnahmen und fingierte Reisekostenabrechnungen vorgenommen worden. Den aufgefundenen inoffiziellen Lohnunterlagen sei in ihrer Führung und äußeren Aufmachung klar zu entnehmen, dass die Scheinunternehmer keinen Einfluss darauf hatten, wie der ihnen zugeordnete Paketfahrer entlohnt worden sei. Die Löhne bzw. das Lohnsplitting sei zentral von der Klägerin über die inoffiziellen Lohnunterlagen für alle Unternehmen und Scheinunternehmen gesteuert worden. Die Scheinunternehmer seien somit als abhängig Beschäftigte und versicherungspflichtige Arbeitnehmer der Klägerin einzuordnen. Die so beschriebenen Vorwürfe seien auf der Grundlage der aufgefundenen und beschlagnahmten Unterlagen, die von Mitarbeitern des Finanzamtes Potsdam, des Hauptzollamtes Potsdam und eigenen Mitarbeitern der Beklagten ausgewertet worden seien, sowie der vorhandenen Zeugenaussagen, die insbesondere vor dem Hauptzollamt Potsdam und dem Finanzamt Potsdam Land gemacht worden seien, bewiesen. Es werde festgestellt, dass auch die bisher zur Sozialversicherung nicht gemeldeten Arbeitnehmer, insbesondere die Scheinunternehmer, der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlagen und für sie Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen waren. Diese Beiträge seien nachzuberechnen. Soweit eine personenbezogene Zuordnung nicht möglich gewesen sei, seien die Sozialversicherungsbeiträge in Form eines Summenbeitragsbescheides festgesetzt worden. Bei den an die Arbeitnehmer gezahlten Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschlägen handele es sich nicht um zusätzliche, neben dem geschuldeten Grundlohn geleistete Zuschläge. Die Arbeitnehmer der Klägerin hätten auch keine dienstlich veranlassten Fahrten mit einem Privat-Kfz unternommen. Bei der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge für namentlich nicht bekannte Arbeitnehmer sei die aus den Rechnungsbeträgen ermittelte Gesamtlohnsumme zugrunde gelegt worden. Im Übrigen seien für die Ermittlung des arbeitnehmerbezogenen beitragspflichtigen Grundlohns alle Zahlungen ermittelt und zusammengetragen worden. Dies habe sich auf sämtliche Firmen des Unternehmensverbundes F erstreckt, nämlich auf die F GmbH & Co. KG (vormals Spedition N F), die D GmbH, die F GmbH, die S GmbH und die Scheinunternehmer D T, H T, M S, U K P K, E A, H K, T O, D U, J D, F S, K S, R F, S N, T W, M M, D K, P S, H B, A F, M K, R S und L D. Die sich jeweils ergebenden Gesamtnettoauszahlungsbeträge seien unter Berücksichtigung der Steuermerkmale und der jeweiligen Kassenzugehörigkeit auf einen Bruttolohn hochgerechnet worden. Von diesem sei der offizielle Bruttolohn abgezogen worden. Die Differenz sei der nachträglichen Beitragsberechnung unterworfen worden. Für Zeiträume bis zum 31. Juli 2002 seien die Beiträge aus dem gezahlten Arbeitsentgelt zuzüglich der Lohnsteuer berechnet worden, ab dem 1. August 2002 sei dagegen nach einer Änderung der Rechtslage durch das Gesetz zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit von einer Nettolohnvereinbarung auszugehen. Da es sich um vorsätzlich vorenthaltene Beiträge handele, seien die Beiträge noch nicht verjährt. Säumniszuschläge seien entsprechend den gesetzlichen Vorgaben festgesetzt worden. Die Einzelheiten der Berechnung von Beiträgen und Säumniszuschlägen seien den Anlagen zum Bescheid zu entnehmen.

Auch hinsichtlich des Beigeladenen ging die Beklagte von einer Scheinunternehmerschaft aus und forderte entsprechend Beiträge zur Gesamtsozialversicherung nach. Der Anspruch sei nicht verjährt, da die Beiträge vorsätzlich vorenthalten worden seien.

Die Klägerin erhob Widerspruch: Hinsichtlich der Fahrer habe keine Scheinunternehmerschaft vorgelegen. Auf Initiative des D habe ein Großteil der bei der Klägerin seinerzeit beschäftigten Fahrer ein Gewerbe angemeldet und einen eigenen Vertrag mit dem D abgeschlossen. Mangels eigenen Kapitals der Fahrer habe die Klägerin den Fahrern Fahrzeuge vermietet. Die Fahrer hätten die Möglichkeit gehabt, die Buchführungsunterlagen bei der Klägerin aufzubewahren. Die Buchführung selbst sei nicht durch die Klägerin gemacht worden, vielmehr durch die Unternehmer. Die Aussagen der vernommenen Zeugen seien nicht verwertbar, da diese mit der Klägerin beziehungsweise mit dem Liquidator in gerichtlichen Streit lägen. Darüber hinaus würden diese versuchen, gegen sie eventuell einzuleitende Ermittlungsverfahren zu vermeiden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.04.2008 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach den ausgewerteten Unterlagen habe im Falle des Beigeladenen eine Scheinselbstständigkeit vorgelegen. Die vorgenommene Bewertung als Scheinunternehmer ergebe sich nicht nur aus den Zeugenaussagen, sondern auch aus den bei der Klägerin bzw. deren Steuerbüro aufgefundenen Bankunterlagen und der einheitlichen Buchhaltung.

Mit ihrer am 26. Mai 2008 vor dem Sozialgericht Potsdam (SG) erhobenen Klage wendet sich die Klägerin gegen diesen Widerspruchsbescheid (S 15 KR 194/08).

Durch Beschluss des Amtsgerichtes Potsdam vom 27. Mai 2009 (Az.: 35 IN 712/08) ist die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin mangels einer die Kosten des Verfahrens deckende Maße abgelehnt worden.

Die Gesellschaft ist aufgelöst, was am 10.07.2009 von Amts wegen im Handelsregister eingetragen worden ist.

Für den Liquidator der Klägerin ist am 29. Juli 2010 das Regelinsolvenzverfahren eröffnet worden ist (Amtsgericht Potsdam Az. 35 IN 1151/09).

Mit Beschluss vom 23. September 2011 hat das SG das Verfahren hinsichtlich des Beigeladenen abgetrennt und unter dem hiesigen Aktenzeichen fortgeführt.

Die Klägerin hat ausgeführt, der Beigeladene habe ein eigenes Gewerbe angemeldet, einen eigenen Vertrag mit dem Deutschen Paketdienst abgeschlossen und sei für diesen gefahren. Die Buchführung sei nur auf Wunsch durch die Klägerin gemacht worden, weil die Betreffenden unerfahren gewesen seien. Hinsichtlich der vernommenen Zeugen werde nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass persönliche Differenzen bestanden hätten, die auch in Folge zu zivilrechtlichen Streitigkeiten geführt hätten. Der Beigeladene habe auch selbst bestätigt, dass er selbständig tätig gewesen sei.

Mit Schreiben vom 1. Dezember 2011 (Eingang) hat der Beigeladene mitgeteilt, dass er in dem Zeitraum ein Gewerbe angemeldet gehabt habe. Er habe nicht für die Klägerin gearbeitet, dort nur die Transporter angemietet. An Weisungen der Klägerin sei er nicht gebunden gewesen. Sein Auftraggeber sei der D gewesen. Seine Arbeitszeit habe er selbst bestimmt, maßgebend seien die Tourenpläne des D gewesen.

Mit Urteil vom 16. Februar 2012, zugestellt am 18. März 2012, hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Kern ausgeführt, hinsichtlich des Beigeladenen sei insbesondere auf Grund des Vertrages über eine stille Gesellschaft in dem strittigen Zeitraum weder von einer selbständige Tätigkeit noch von einer abhängige Beschäftigung beim D auszugehen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 22. März 2012. Zur Begründung hat sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. Sie habe immer unter Beweisantritt vorgetragen, dass die Buchungsunterlagen nur auf Wunsch der jeweiligen – in Buchhaltungsfragen oft unerfahrenen – Fahrern bei ihr verwahrt worden seien. Diese seien aufgrund der eigenen Verträge mit dem D diesem in gewisser Weise weisungsgebunden, nicht jedoch gegenüber der Klägerin. Soweit die beigeladenen Fahrer – wie hier – erklärt hätten, selbständig gearbeitet zu haben, sei der Klage bereits deshalb stattzugeben. Nur die wirtschaftlich gescheiterten hätten erklärt, abhängig zu sein.

Sie beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2008 und das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 16. Februar 2012 aufzuheben, soweit eine Nachforderung für die Zeit vom 01. April 1996 bis 31. Dezember 1997 in Höhe von 9.823,43 Euro zzgl. Säumniszuschlägen für den Beigeladenen zu 1) geltend gemacht worden ist.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil. Das SG habe den Sachverhalt ausreichend ermittelt.

Das Landgericht Potsdam hat den Liquidator der Klägerin durch Urteil vom 17. Oktober 2013 (Az. 25 KLs 10/08) rechtskräftig wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 836 Fällen sowie Steuerhinterziehung in 134 Fällen sowie Beihilfe zum Betrug in 100 Fällen verurteilt. Das Landgericht hat die Verurteilung wesentlich auf die geständige Einlassung des Angeklagten gestützt.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte aus dem Verfahren L 1 B 181/08 KR ER, die Verwaltungsakte der Beklagten und die Akten des Landgerichts Potsdam 25 KLs 10/08 einschließlich der Akten der Staatsanwaltschaft 430 Js 89/106 Wi verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Akten Bezug genommen. Diese haben dem Gericht vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Es konnte entschieden werden, obgleich unter anderem für die Klägerin in der mündlichen Verhandlung niemand erschienen ist. Die Beteiligten sind auf diese Möglichkeit in der Ladung hingewiesen worden (§§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG).

Der Berufung muss Erfolg versagt bleiben. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen.

Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2008 ist soweit er den Beigeladenen für die Zeit vom 01. April 1996 bis 31. Dezember 1997 betrifft rechtmäßig und verletzt sie nicht in eigenen Rechten.

Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 28p Abs. 1 Satz 5 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Danach erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen ihrer Prüftätigkeit (§ 28p Abs. Satz 1 SGB IV) Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern.

Der Eintritt von Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung wegen Aufnahme einer abhängigen Tätigkeit bestimmt sich nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch, § 5 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch, § 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch und § 20 Abs. 1 Nr. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch. Die für den Eintritt von Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung sowie der Kranken-, Renten- und sozialen Pflegeversicherung danach erforderliche Beschäftigung wird in § 7 Abs. 1 SGB IV näher definiert. Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Abzugrenzen ist die eine Versicherungspflicht begründende abhängige Beschäftigung von einer selbständigen Tätigkeit. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) liegt Beschäftigung vor, wenn die Tätigkeit in persönlicher Abhängigkeit erbracht wird. Dieses Merkmal ist bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb gegeben, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und mit seiner Tätigkeit einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung erfassenden Weisungsrecht unterliegt. Dabei kann sich die Weisungsgebundenheit insbesondere bei Diensten höherer Art zu einer funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinern. Dagegen ist eine selbständige Tätigkeit durch ein eigenes Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen freie Gestaltung von Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob eine abhängige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit vorliegt, richtet sich danach, welche der genannten Merkmale bei Betrachtung des Gesamtbildes der Verhältnisse überwiegen (Urteil des BSG vom 25. April 2012 – B 12 KR 24/10 R – juris-Rdnr. 16).

Bei der Feststellung des Gesamtbilds kommt dabei den tatsächlichen Verhältnissen nicht voraussetzungslos ein Vorrang gegenüber den vertraglichen Abreden zu (vgl. Urteile des BSG vom 29. August 2012. B 12 KR 25/12 R - und vom 25. Januar 2006 - B 12 KR 30/04 R – zitiert jeweils nach juris) Nach den vom BSG entwickelten Grundsätzen sind die das Gesamtbild bestimmenden tatsächlichen Verhältnisse die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine "Beschäftigung" vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung gehen der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird, und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist (Urteil des BSG vom 28. September 2011 - B 12 R 17/09 R -, zitiert nach juris). An diesen Grundsätzen gemessen, ist das Urteil des Sozialgerichts nicht zu beanstanden. Zutreffend hat es entschieden, dass der Beigeladene in seiner Tätigkeit als Kraftfahrer für die Vorgängerfirma der Klägerin versicherungspflichtig beschäftigt war. Der Senat sieht von einer wiederholenden Darstellung der Entscheidungsgründe ab und verweist insoweit auf die zutreffenden Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung (§ 153 Abs. 2 SGG).

Für eine selbständige Tätigkeit des Beigeladenen sprechen seine Gewerbeanmeldung und die mit dem D abgeschlossene Transportvereinbarung. Dies allein für sich gesehen, ergibt noch keine Aussage, ob eine abhängige oder selbstständige Tätigkeit des Beigeladenen vorgelegen hat. Auch im Fall der Anmeldung eines selbstständigen Gewerbes kann eine abhängige und somit versicherungspflichtige Tätigkeit vorliegen.

Der Beigeladene selbst geht nach dem Inhalt seines Schreibens vom 1. Dezember 2012 wie die Klägerin von einer selbständigen Tätigkeit aus. Er ist aber als bei der Klägerin abhängig beschäftigt und somit versicherungspflichtig anzusehen:

Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass auf Grund des zwischen Herrn N F und dem Beigeladenen geschlossenen Vertrags über eine stille Gesellschaft nach jeweils gleichem Muster von einer abhängigen Beschäftigung auszugehen ist.

Der Vertrag hatte folgenden Inhalt:

Vertrag über eine stille Gesellschaft § 1 Herr N F beteiligt sich an dem Handelsgeschäft mit einer Einlage von 20.000,- DM als stiller Gesellschafter bei Herrn ... Die Einlage ist bis zum zu leisten. § 2 ( ) § 3 Am Ergebnis des Geschäftes, dem der für die Einkommensteuer festgesetzte Gewerbeertrag zugrunde zu legen ist, ist Herr F mit 35 % beteiligt. Im Falle eines Gewerbeverlustes erhält Herr F jedoch mindestens eine Verzinsung seiner Einlage mit 3 % über dem Diskontsatz. § 4 Zur Geschäftsführung ist allein Herr ... berechtigt und verpflichtet. Schließt Herr ... jedoch Geschäfte, die über den Rahmen der in seinem Handeisgewerbe üblichen hinausgehen, dann braucht Herr F diese bei der Gewinnabrechnung und der Auseinandersetzung nicht gegen sich gelten zu lassen. § 5 Herr F ist berechtigt, jederzeit die Bücher und sonstigen Geschäftsunterlagen einzusehen und sich aus diesen, evtl. unter Hinzuziehung eines Sachverständigen, Übersichten anzufertigen. Dieses Überwachungsrecht steht Herrn F auch nach der Auflösung der Gesellschaft bis zur Beendigung der Auseinandersetzung zu. § 6 Scheidet Herr F aus der Gesellschaft aus, dann ist sein Anteil in einer Auseinandersetzungsbilanz festzustellen, in die die Aktiven und Passiven der stillen Gesellschaft nach ihrem wirklichen Wert einzustellen sind. Die Auszahlung des ihm zustehenden Anteils hat innerhalb von drei Monaten nach dem Ausscheiden zu erfolgen. § 7 ( ) § 8 Die Gesellschafter vereinbaren Vertraulichkeit dieses Vertrages und der sich daraus ergebenden Geschäfte. Für den Fall der Verletzung durch den Inhaber der Firma hat dieser eine zusätzliche Vertragsstrafe an den stillen Gesellschafter in Höhe der geleisteten Einlage zu zahlen. Weitergehende Schadenersatzansprüche bleiben hiervon unberührt. § 9 Herr ... darf während des Bestehens der stillen Gesellschaft für sich persönlich keine Geschäfte abschließen, die in den Rahmen des Handelszweiges des Unternehmens fallen. Er darf sich auch nicht an einem anderen gleichartigen Geschäft persönlich, auch nicht als stiller Gesellschafter, beteiligen. Im Falle der Verletzung der vorstehenden Vereinbarung steht dem anderen Gesellschafter ein fristloses Kündigungsrecht zu.

Unter Berücksichtigung des Inhaltes dieses Vertrages und der tatsächlichen Verhältnisse treten die Merkmale einer selbstständigen Tätigkeit zurück. Über diesen Vertrag hatte sich die Klägerin alle Einflussmöglichkeiten auf den jeweiligen ,,Subunternehmer”, so auch im Fall des Beigeladenen gesichert. Der Senat teilt die Einschätzung des SG, dass sich die Klägerin auf Grundlage der Verträge über stille Gesellschaften als GbR mit einzelnen Fahrern wie dem Beigeladenen ein umfangreiches Mitbestimmungsrecht und einen Gewinnanteil sicherte. Nach den nicht widerlegten Feststellungen der Beklagten war das durch den Beigeladenen eröffnete Firmenkonto bei der Hausbank der Klägerin mit einer Kontovollmacht für die Klägerin ausgestattet. Sie veranlasste nach den unbestrittenen Feststellungen der Beklagten anhand der Kontounterlagen überwiegend die Kontobewegungen. Durch die Klägerin wurde die Höhe des Lohnes des Beigeladenen bestimmt. Dieser führte keine werbende Tätigkeit aus, sondern übernahm nur Fahrten für den D. Durch den Vertrag über die stille Gesellschaft, über den der Beigeladene Stillschweigen bewahren musste, hat die Klägerin sich letztlich das Weisungsrecht hinsichtlich der Arbeitsaufgabe, Arbeitsortes und der Arbeitszeit des Beigeladenen gesichert. Der Beigeladene war in seinem Gewerbe auch keiner Konkurrenz ausgesetzt mit anderen Fahrern, da eine genaue Zeitvorgabe anhand des Vertrages mit dem die D und der festgelegten Touren bestand. Die Entlohnung erfolgte nicht durch Entnahme von seinem Betriebskonto. Vielmehr zahlte die Klägerin ein mündlich vereinbartes Fixum in tatsächlich geringerem Umfang über die Lohnbuchhaltung aus. Die vereinbarte Summe wurde dann durch die Zahlung fingierter Sonntags-, Feiertags und Nacht- (SFN)-Zuschläge, Kilometergelder, Mehrverpflegungsgelder u. ä. im Rahmen von Barauszahlungen erreicht. Insgesamt war die Buchhaltung des ,,Unternehmens” des Beigeladenen in vollem Umfang in die der Klägerin eingeschlossen und zwar sowohl hinsichtlich der offiziellen als auch der inoffiziellen und unterlag somit dem fingierten Lohnsplittingsystems der Klägerin. Durch die Vollmacht der Klägerin für das Betriebskonto wurde der gesamte Zahlungseingang und -ausgang durch sie kontrolliert und vorgenommen. Der Mietzins für die Fahrzeuge und die Reparaturen wurden über das Konto zugleich als Gewinnminderung gebucht (so insgesamt weitgehend wörtlich bereits das SG).

Das Landgericht Potsdam hat in seinem Urteil vom 14. November 2013 insoweit festgestellt, dass sich die ehemaligen Beschäftigten des Herrn N F auch in ihrer Tätigkeit als "scheinbar Selbständige" in persönlicher Abhängigkeit befanden und dieser die "scheinselbständigen Transportunternehmen damit in vollem Umfange beherrscht" hat. Diese Feststellungen des Landgerichts Potsdam beruhen auf die von der Beklagten gewonnenen Ermittlungsergebnissen und im Wesentlichen auf den geständigen Einlassungen des F. Vor dem Hintergrund der rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung kann die Klägerin die Unrichtigkeit der tatsächlichen Feststellungen, die diesem Urteil zugrunde liegen, in dem vorliegenden Verfahren nur geltend machen, wenn sie im Einzelnen und nachvollziehbar vortragen würde, welche Feststellungen unrichtig sind und warum der F die Vorwürfe im strafgerichtlichen Verfahren gleichwohl als zutreffend bestätigt hat. Dafür reicht der bisherige Vortrag der Klägerin in dem vorliegendem Rechtsstreit, mit dem sie lediglich pauschal geltend gemacht hat, dass die gegen sie erhobenen Vorwürfe (noch) nicht bewiesen seien, nicht aus. Die Tatbestandswirkung strafgerichtlicher Entscheidungen ist in der Rechtsprechung des BSG anerkannt (vgl. etwa Urteile des BSG vom 17. Oktober 2012 – B 6 KA 19/12 B – zitiert nach juris Rdnr. 13f, vom 5. Mai 2010 – B 6 KA 32/09 R – juris Rdnr. 11 und vom 27. Juni 2007 – B 6 KA 20/07 R – juris Rdnr. 12). Es kommt auch nicht darauf an, dass das Landgericht Potsdam in seinem Urteil nur Tatbestände ab dem Jahr 2000 festgestellt hat, wohingegen die Beklagte in den streitgegenständlichen Bescheiden Nachforderungen beginnend mit dem Jahr 1991 geltend macht. Denn der Gegenstand der Vorwürfe hat sich im Verlaufe der Jahre nicht geändert. Insbesondere ist nichts dafür ersichtlich, dass der Geschäftsführer der Komplementärin der Klägerin erst im Jahre 2000 mit seinen Täuschungshandlungen gegenüber den Einzugsstellen begonnen haben könnte.

Die Entscheidung über die Beitragsbemessung beruht auf §§ 226 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch, 54 Abs. 3 SGB Elftes Buch Sozialgesetzbuch, 162 Nr. 1 SGB Sechstes Buch Sozialgesetzbuch und 342 Drittes Buch Sozialgesetzbuch in Verbindung mit §§ 14 ff. SGB IV. Fehler in Hinblick auf die Berechnung der Beiträge sind weder ersichtlich noch im Einzelnen von der Klägerin geltend gemacht worden.

Als vorsätzlich vorenthaltene Beiträge sind die von der Beklagten festgesetzten Nachforderungen nach § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV auch nicht verjährt. Die Entscheidung über die Säumniszuschläge beruht auf § 24 SGB IV.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 197a SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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