L 11 R 2923/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 1070/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 2923/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird die Beklagte in Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Ulm vom 07.05.2015 verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.07.2012 bis zum 30.06.2018 zu gewähren.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 07.05.2015 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch im Berufungsverfahren die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Rente wegen Erwerbsminderung von der Beklagten.

Der am 07.04.1978 geborene Kläger hat den Beruf des Schreiners gelernt (Gesellenprüfungszeugnis vom 19.07.1996) und war im Anschluss an den Abschluss seiner Ausbildung im Jahr 1993 bei unterschiedlichen Arbeitgebern als Schreiner beschäftigt, unterbrochen von einer Weiterbildung zum Möbelpacker. In den Jahren 2008 bis 2009 arbeitete er zuletzt in einer Schreinerei, das befristete Arbeitsverhältnis wurde jedoch nicht verlängert. Seither ist er krankgeschrieben und bezieht Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch. Er leidet im Wesentlichen unter Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Fachgebiet.

Nach einem vom Kläger am 18.08.2011 bei der Deutschen Rentenversicherung Bund gestellten Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation ließ die Beklagte den Kläger am 05.10.2011 durch den Nervenarzt Dr. S. sozialmedizinisch begutachten. Dieser diagnostizierte beim Kläger eine kombinierte Persönlichkeitsstörung (F61 ICD-10). Die bis in die Kindheit zurückreichenden Auffälligkeiten würden schizoide Komponenten aufweisen, daneben auch narzisstische Züge, vereinzelt seien auch Borderline-Symptome aufgefallen, angedeutete zwanghafte Verhaltensmuster stünden dagegen im Hintergrund. Der Kläger habe sich in längerfristiger tagesklinischer Behandlung befunden, zuvor sei er auch einige Wochen stationär in derselben Klinik aufgenommen worden. Derzeit sei er noch in einer Einrichtung, welche der Klinik angeschlossen sei, beschäftigt. Es könne davon ausgegangen werden, dass er in seiner gesamten Lebensgestaltung, sowohl im beruflichen wie außerberuflichen Bereich, durch die vorliegenden persönlichkeitsspezifischen Besonderheiten wesentlich beeinträchtigt sei. Eine so gravierende Symptomatik, dass von fehlender Leistungsfähigkeit ausgegangen werden müsse, liege jedoch nicht vor. Eine Tätigkeit als Schreiner erscheine noch möglich, sofern die vorliegenden Funktionseinschränkungen beachtet würden. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit erheblicher, überdurchschnittlicher Unfallgefährdung, sehr hohen Anforderungen an die Konzentration, die Flexibilität, die Anpassungsfähigkeit sowie eine das arbeitsmarktübliche Ausmaß übersteigende Anforderung an die Durchhaltefähigkeit. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen könnten mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichtet werden, was eine Tätigkeit als Schreiner einschließe.

Die Beklagte lehnte hierauf gestützt die Bewilligung einer Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation mit Bescheid vom 02.11.2011 ab, wogegen der Kläger am 20.12.2011 Widerspruch erhob. Nachdem die Beklagte darauf hinwiesen hatte, dass der Widerspruch als verfristet angesehen werde, nahm der Kläger diesen zurück und beantragte, die Erklärung vom 20.12.2011 als Überprüfungsantrag zu werten. In der Folge bewilligte die Beklagte sodann mit Bescheid vom 26.01.2012 die begehrte Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation.

Die Reha-Maßnahme fand vom 21.03.2012 bis zum 25.04.2012 in der Rehaklinik S. B., Abteilung für Psychosomatik, statt. Im Entlassungsbericht vom 02.05.2012 wurden folgende Gesundheitsstörungen diagnostiziert: - kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und passiv-aggressiven Anteilen (F61 ICD-10); - rezidivierende depressive Störung (F33.0 ICD-10). Im Rahmen der durchgeführten Belastungserprobung habe der Kläger zwar eine angemessene Arbeitsmotivation und Leistungsbereitschaft gezeigt. Aus psychologischer Sicht habe er aber die Rehabilitation nicht für sich nutzen können, am Ende der Heilbehandlung habe sich gezeigt, dass keinerlei Fortschritte hätten erzielt werden können. Auch die depressive Symptomatik habe sich nicht spürbar gebessert. Der Kläger habe eine überwiegend passive und abwartende Haltung eingenommen bei gleichzeitig sehr hoher Erwartungshaltung. Er habe ständig mit Abreise gedroht und auch latente Suizidabsichten bekundet, wenn seine Erwartungen nicht erfüllt worden seien. Organmedizinisch sei hingegen eine Besserung des Gesundheitszustands erreicht worden. Aus psychologischer Sicht seien die Störungen in einem Zeitraum von weniger als sechs Monaten unter adäquater intensiver tiefenpsychologischer Behandlung soweit reversibel, dass die Arbeitsfähigkeit wiederhergestellt werden könne. Der Kläger sei für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Schreiner auch weiterhin über sechs Stunden leistungsfähig. Unter Beachtung qualitativer Einschränkungen, welche aus der bestehenden Persönlichkeitsstörung folgten, bestehe auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ein vollschichtiges Leistungsvermögen.

Am 06.07.2012 beantragte der Kläger die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.

Die Beklagte ließ den Kläger hierauf am 28.08.2012 durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie K.-M. sozialmedizinisch begutachten. Diese stellte folgende Diagnosen: - kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzistischen, passiv-aggressiven schizoiden An- teilen, - neurotisch-depressive Störung im Sinne einer Dysthymia. Zum Zeitpunkt der Untersuchung habe sich der Kläger in einer Arbeitstherapie befunden und habe den Arbeitsumfang wegen Erschöpfungszuständen von zuvor fünfmal drei Stunden auf dreimal drei Stunden in der Woche reduzieren müssen. Bei der Untersuchung habe sich ein latent aggressives, forderndes, ausgesprochen misstrauisches und verschlossenes Verhalten gezeigt. Der Kläger habe zudem auf seine Erschöpfungszustände fixiert gewirkt. Insgesamt bestehe jedoch der Wunsch nach Arbeit, aus dem letzten Reha-Bericht gehe hervor, dass er insbesondere in Arbeitssituationen friedlich und mit sich im Reinen gewirkt habe. Eine berufliche Rehabilitation mit Reintegration sei zu empfehlen. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne der Kläger geistig anspruchslose Tätigkeiten ohne Zeitdruck und ohne Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge vollschichtig verrichten.

Mit Bescheid vom 05.09.2012 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab und verwies zur Begründung im Wesentlichen auf das Ergebnis der durchgeführten Begutachtung.

Hiergegen legte der Kläger am 28.09.2012 Widerspruch ein und begründete diesen in der Folge damit, dass sich der behandelnde Facharzt für Neurologie und Psychiatrie sowie Psychotherapie Dr. T. mit der Leistungsbeurteilung des Beklagten nicht einverstanden erklärt habe, auf dessen beigefügte Stellungnahme werde verwiesen. Er sei zuletzt nur noch dazu in der Lage gewesen, im Umfang von ein bis zwei Stunden in der Woche an der Arbeitstherapie teilzunehmen, woraus sich eine stark verminderte Leistungsfähigkeit ableiten lasse. Zusammen mit dem Widerspruch legte er ein Attest des Dr. T. vom 26.10.2012 vor, wonach seit Dezember 2009 zahllose Gesprächstermine stattgefunden hätten. Trotz stationärer bzw teilstationärer Behandlung, Verordnung von Psychopharmaka, Ergotherapie und fortgesetzter sozialpsychiatrischer Betreuung sei es zu keiner Besserung im psychischen Zustand gekommen. Einen ambulanten Psychotherapieplatz habe der Kläger nicht gefunden. Es liege weiterhin eine ausgeprägte depressive Symptomatik im Rahmen einer rezidivierenden depressiven Störung vor, außerdem bestehe eine Persönlichkeitsproblematik.

Darüber hinaus gelangte ein auf der Aktenlage basierendes Gutachten des ärztlichen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit in G. vom 09.01.2012 zur Verwaltungsakte (nicht nummeriert zwischen M58 und M59 des medizinischen Teils der Verwaltungsakte, ohne Eingangsstempel). Dort wird eine voraussichtlich länger als sechs Monate, aber nicht auf Dauer anhaltende Leistungsfähigkeit von weniger als drei Stunden je Arbeitstag beschrieben.

Die Beklagte hat den Vorgang erneut ihrem ärztlichen Dienst zur Stellungnahme vorgelegt, der mitteilte, ein neuer Sachverhalt ergebe sich nicht.

Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19.03.2013 als unbegründet zurück. Es liege weder volle noch teilweise Erwerbsminderung vor.

Hiergegen hat der Kläger am 11.04.2013 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Die Beklagte habe die gesundheitlichen Einschränkungen nicht zutreffend gewürdigt. Er sei erwerbsgemindert.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf die Begründungen in den angefochtenen Bescheiden Bezug genommen.

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung schriftlicher sachverständiger Zeugenauskünfte beim Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. T. sowie beim C. G. (Abteilung für Psychosomatik und Psychotherapie PSM5).

Dr. T. hat unter dem 18.06.2013 mitgeteilt (Bl 18 SG-Akte), er behandle den Kläger seit März 2013 nicht mehr, habe diesen aber intensiv in der Zeit von Dezember 2009 bis zum 05.03.2013 betreut. Es bestehe eine chronische und therapieresistente Symptomatik mit einer langanhaltenden mittelgradigen depressiven Episode (F33.1), wobei eine ausgeprägte Antriebsstörung im Vordergrund stehe. Neben narzisstischen Zügen liege eine Persönlichkeitsstörung mit passiv-aggressiven Zügen vor. Komplexe Situationen seien vom Kläger aufgrund seiner Erkrankungen nicht zu bewältigen, am ehesten könne er eine Tätigkeit ausüben, in der er weitgehend auf sich allein gestellt einfache Arbeiten verrichte, körperliche Einschränkungen seien nicht gegeben. Aufgrund der erheblichen Komplexität und der weitgehenden Therapieresistenz der psychischen Symptomatik halte er den Kläger für nicht mehr in der Lage, einer Erwerbstätigkeit im Umfang von sechs Stunden oder mehr nachzugehen. Zuletzt sei der Kläger nicht einmal in der Lage gewesen, drei Stunden pro Woche in der Werkstherapie zu arbeiten, weshalb von einem aufgehobenen Leistungsvermögen auszugehen sei.

Der Oberarzt des C. Dr. F. (Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie Facharzt für Innere Medizin und Sportmedizin) hat unter dem 25.06.2013 mitgeteilt (Bl 22 SG-Akte), der Kläger habe sich zuletzt in der Zeit vom 18.04.2013 bis 14.05.2013 in stationärer Behandlung befunden. Diagnostiziert worden seien eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit vorwiegend selbstunsicheren, anankastischen und narzisstischen Anteilen, eine rezidivierende depressive Störung (mittelgradige Episode) und eine Lese- und Rechtschreibstörung. Seit Februar 2010 hätten vier stationäre und vier tagesklinische Aufenthalte sowie zusätzliche Termine in der Ambulanz stattgefunden. Die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Klägers bedürften einer Begutachtung im Bereich Psychiatrie, Psychotherapie bzw Psychosomatik. Dort liege der Schwerpunkt der Leiden des Klägers.

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens bei dem Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. W., N.-U ... Im Gutachten vom 16.04.2014 (Bl 42 SG-Akte) hat der Sachverständige folgende Gesundheitsstörungen diagnostiziert: - Hochgradige psychische Störung, die "im besten Fall" als schwere kombinierte Persönlichkeitsstörung (F61 ICD-10) zu werten sei (Bl 56 SG-Akte), - Dysthymie (F34.1 ICD-10) - Verdacht auf blande verlaufende Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis (F20.6 ICD-10). In der Untersuchungssituation sei der Kläger in psychischer Hinsicht hochgradig auffällig gewesen. Er habe sich ausgesprochen verhalten und scheu gezeigt. Die affektive Schwingungsfähigkeit sei erheblich eingeschränkt, Antrieb und Psychomotorik deutlich reduziert, Gestik und Mimik wenig modulierbar gewesen. Der Kläger habe ohne simulative Tendenzen die Beschwerden geschildert. Es sei zweifelsfrei auszuschließen, dass Aggravation oder Simulation vorliege. Der psychopathologische Befund sei jederzeit kongruent zu den geklagten Beschwerden gewesen. Es erfolge zwar eine regelmäßige psychiatrische bzw psychotherapeutische Behandlung, eine anhaltende Besserung sei aber nur möglich, wenn der Kläger über viele Monate einer Rehabilitationsmaßnahme für psychisch Kranke Menschen (RPK-Maßnahme) zugeführt werde; dies sei mittelfristig unumgänglich (Bl 57 SG-Akte). Zu diskutieren sei, ob neben der aktuell erfolgten antidepressiven Medikation auch eine neuroleptische Zusatztherapie sinnvoll sei. Relevante Einschränkungen der körperlichen Leistungsfähigkeit lägen zwar nicht vor, erheblich reduziert sei aber die psychische Belastbarkeit. Im Vordergrund stünden hierbei insbesondere die ausgeprägte Antriebsminderung, geringer demgegenüber die affektive Auffälligkeit, aber auch die Störung von Aufmerksamkeit und Konzentration. Vor dem Hintergrund der psychischen Symptome sei der Kläger nicht in der Lage, eine irgendwie geartete Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von drei Stunden oder mehr zu verrichten, erst recht nicht die bisherige Tätigkeit als Schreiner. Unter Berücksichtigung der Aktenlage bestünden die deutlichen Auffälligkeiten beim Kläger bereits seit dem Jahr 2011, zumindest aber bereits seit Antragstellung. Der Entlassungsbericht der Rehaklinik S. B. sei insoweit nicht nachvollziehbar, wenn einerseits durch psychotherapeutische Maßnahmen keinerlei Änderung hätte erzielt werden können, sodass in der Arbeitserprobung nicht mehr von Arbeitsfähigkeit ausgegangen worden sei, andererseits aber die überaus optimistische Prognose abgegeben worden sei, dass unter intensiver tiefenpsychologischer Therapie innerhalb von sechs Monaten eine so weitgehende Besserung erzielt werden könne, dass wieder Leistungsfähigkeit als Schreiner bestehe. Diese optimistische Einschätzung sei unzutreffend, wie schon das Ergebnis der Begutachtung durch Frau Dr. K.-M. gezeigt habe.

Hiergegen hat die Beklagte durch ihren ärztlichen Dienst (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N.) auf den Reha-Entlassungsbericht der S.-Klinik B. hinweisen lassen. Unklar sei, weshalb nach erfolgreicher Rehabilitation eine RPK-Maßnahme unumgänglich sei.

Das SG hat eine ergänzende Stellungnahme des Dr. W. zu der aufgeworfenen Fragestellung veranlasst. Dieser hat unter dem 13.08.2014 (Bl 68 SG-Akte) ausgeführt, die Stellungnahme des Dr. N. lasse unberücksichtigt, dass im Gutachten von Frau Dr. K.-M. eine Leistungsfähigkeit für den Beruf als Schreiner im Umfang von unter drei Stunden gesehen worden sei. Dementgegen habe Dr. S. die Ausübung dieser Tätigkeit noch für vollschichtig möglich erachtet. Insoweit sei es im Zeitraum von weniger als einem Jahr, dokumentiert durch die beiden Gutachten, zu einer deutlichen Verschlechterung gekommen. Im Übrigen könne nicht von einer erfolgreichen Rehabilitation in der S.-Klinik B. ausgegangen werden. Dies komme bereits darin zum Ausdruck, dass der Kläger aus Sicht der Arbeitstherapie zum aktuellen Zeitpunkt für arbeitsunfähig gehalten worden sei. Im Widerspruch dazu werde dann im direkt folgenden Absatz ausgeführt, dass in Bezug auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Schreiner ein Leistungsprofil von sechs Stunden und mehr bestehe. Insgesamt sei dem Arztbrief zu entnehmen, dass während des fünfwöchigen Aufenthalts keine relevante Besserung erzielt worden sei, hier von einer erfolgreichen Rehabilitation zu sprechen erscheine durchaus fragwürdig. Aus dem Umstand, dass unter adäquater intensiver tiefenpsychologischer Behandlung eine Reversibilität gesehen worden sei, lasse sich im Umkehrschluss folgern, dass zum Entlassungszeitpunkt ein Leistungsvermögen noch nicht bestanden habe. Weshalb nach einer erfolglosen fünfwöchigen stationären Behandlungen und einer langjährig bestehenden Störung schon nach sechs Monaten eine so weitgehende Besserung zu erreichen seien solle, erschließe sich nicht. Eine solche Prognose sei nur dann nachvollziehbar, wenn wenigstens in Ansätzen während des Rehabilitationsaufenthalts eine Verbesserung erkennbar geworden wäre. Insgesamt bestehe keine Veranlassung, von der bisher vertretenen Auffassung abzuweichen.

Die Beklagte hat eine weitere Stellungnahme ihres ärztlichen Dienstes (Dr. N.) vorgelegt. Die von Dr. W. genannten Befunde und Diagnosen rechtfertigten nicht die Annahme einer zeitlichen Einschränkung des Leistungsvermögens. Eine ambulante Psychotherapie könne begleitend zu einer Erwerbstätigkeit die als narzisstisch und anankastisch beschriebenen Persönlichkeitsanteile bearbeiten, sofern eine entsprechende Motivation vorliege. Die im Rehabilitationsbericht genannte leichtgradige konzentrative Einschränkung würde keine zeitliche Leistungseinschränkung bewirken.

Mit Urteil vom 07.05.2015 hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.07.2012 bis zum 30.11.2016 zu gewähren. Der Bescheid vom 05.09.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.03.2013 sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger habe einen Anspruch auf Gewährung einer befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.07.2012 basierend auf einem (spätestens) am 14.03.2011 eingetretenen Leistungsfall.

Gegen das ihr am 22.06.2015 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil des SG hat die Beklagte am 13.07.2015 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt.

Zur Begründung hat sie vorgebracht, dass die Beweiswürdigung des Sozialgerichts unzutreffend sei. Das SG habe darauf abgestellt, dass nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. W. der Kläger in psychischer Hinsicht hochgradig auffällig, in Aufmerksamkeit und Konzentration reduziert, in Antrieb und Psychomotorik deutlich vermindert, kaum Schwingungsfähig und in Gestik und Mimik nicht modulierbar sei. Dem SG erscheine es nachvollziehbar, dass die psychische Störung im besten Fall als schwere Persönlichkeitsstörung, wahrscheinlicher jedoch als blande verlaufene schizophrene Psychose zu werten sei. Dies sei jedoch eine Verdachtsdiagnose und nicht zu berücksichtigen. Dr. S. habe in seinem Gutachten vom 12.10.2011 ua ausgeführt, dass in psychiatrischer Hinsicht die Symptomatik einer kombinierten Persönlichkeitsstörung vorliege. Die bis in die Kindheit zurückreichenden Auffälligkeiten wiesen auf schizoide Komponenten, daneben auch narzisstische Züge. Angedeutete zwanghafte Verhaltensmuster stünden dagegen heute im Vordergrund. Vereinzelt würden auch Borderline-Symptome auffallen. Es könne auf eine kombinierte Persönlichkeitsstörung geschlossen werden. Nach Aktenlage müsse davon ausgegangen werden, dass eine gravierende psychische Fehlhaltung einer Persönlichkeitsstörung bereits schon seinerzeit eine in das Erwerbsleben eingebrachte Persönlichkeitsstörung mit Auswirkungen auf das Sozialverhalten bereits in der Jugendzeit gewesen sei. Dies könne man auch dem Entlassungsbericht der Reha-Klinik S. in B. vom 02.05.2012 entnehmen. Dies habe das SG in seiner Urteilsfindung nicht in seine Erwägungen miteinbezogen. Nachdem also beim Kläger die Persönlichkeitsstörung im Vordergrund stehe, wäre diese, nachdem sie in das Erwerbsleben eingebracht worden sei, nur dann relevant, wenn dadurch tatsächlich eine zeitliche Leistungsminderung vorliegen würde. Dies sei jedoch nicht der Fall. Die Angaben zum Tagesablauf im Gutachten von Dr. W. würden keine Krankheit belegen, sondern die Lebenssituation spiegeln, an deren Ausgestaltung der Kläger seinen Anteil trage. Eine wirkliche, relevante Antriebsminderung lasse sich daraus nicht ablesen. Es sei davon auszugehen, dass beim Kläger keine körperlichen Gesundheitsstörungen von dem Ausmaß vorlägen, die sein Leistungsvermögen in zeitlicher Hinsicht einschränkten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 07.05.2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 07.05.2015 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 01.07.2012 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bis mindestens 18 Monate nach Verkündung des Berufungsurteils zu gewähren.

Er hat Anschlussberufung eingelegt. Die Ausführungen des SG seien in der Sache zutreffend, die Ärzte würden sich aber aktuell weigern, einen Antrag für eine RPK-Maßnahme auszufüllen. Ab Verkündung des Berufungsurteils müsse daher ein ausreichender Befristungszeitraum (18 Monate) der Zeitrente sichergestellt sein. Soweit die Beklagte nun vorbringe, die Persönlichkeitsstörung sei schon in das Erwerbsleben eingebracht worden, habe Dr. W. bereits darauf hingewiesen, dass das Kompensationsvermögen des Klägers seit 2008 nachgelassen habe. Welche Auswirkungen der von der Beklagten thematisierte Tagesablauf in diesem Zusammenhang habe, erschließe sich nicht.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG ohne mündliche Verhandlung.

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft, zulässig aber unbegründet.

Die Anschlussberufung (§ 202 SGG iVm § 524 Abs 1 S 1 Zivilprozessordnung [ZPO]) des Klägers ist formgerecht eingelegt, statthaft und im Übrigen zulässig; die Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG gilt nicht (§ 202 SGG iVm § 524 Abs 2 S 1 ZPO). Eine eigenständige Beschwer ist nicht erforderlich, auch der Beteiligte, der in erster Instanz obsiegt hat, kann sich der Berufung anschließen (vgl BSG 23.02.1966, 2 RU 103/65, BSGE 24, 247 (249), SozR Nr 9 zu § 521 ZPO). Die Anschlussberufung ermöglicht dem Berufungsgericht auch eine Entscheidung zum Nachteil der Berufungsklägerin (hier: Beklagte). Die Regelung in § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO, wonach die Anschlussberufung bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung zulässig ist, gilt im sozialgerichtlichen Verfahren nicht, da das SGG eine dem § 521 Abs 1 ZPO entsprechende Vorschrift über die Zustellung der Berufungsschrift an das Prozessgericht nicht kennt. Vorliegend ergibt sich ohne weiteres wegen der Frage der Weitergewährung der befristeten Rente im Zuge eines laufenden Gerichtsverfahrens ein eigenständiges Rechtsschutzinteresse des Klägers. Die Anschlussberufung des Klägers ist auch begründet.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung. Diese ist zeitlich zu befristen.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554).

Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflicht-beiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3).

Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt.

Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger nicht mehr in der Lage ist, eine leichte Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von mindestens drei Stunden täglich zu verrichten.

Diese Überzeugung schöpft der Senat aus dem Sachverständigengutachten des Dr. W ... vom 16.04.2014. Danach liegen beim Kläger folgende Gesundheitsstörungen vor: - Hochgradige psychische Störung, die "im besten Fall" als schwere kombinierte Persönlichkeitsstörung (F61 ICD-10) zu werten, - Dysthymie (F34.1 ICD-10) - Verdacht auf blande verlaufende Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis (F20.6 ICD-10). In der Untersuchungssituation bei Dr. W. ist der Kläger in psychischer Hinsicht hochgradig auffällig gewesen, wie der Sachverständige ausführlich beschrieben hat. Der Kläger hat sich, bei zweifelsfreiem Ausschluss von Aggravation oder Simulation, wie der Sachverständige betont hat, ausgesprochen verhalten und scheu gezeigt. Die affektive Schwingungsfähigkeit ist erheblich eingeschränkt, Antrieb und Psychomotorik deutlich reduziert, Gestik und Mimik wenig modulierbar gewesen. Er hat seine Beschwerden ohne simulative Tendenzen geschildert. Der Sachverständige hat dargelegt, dass der psychopathologische Befund jederzeit kongruent zu den geklagten Beschwerden gewesen ist. Aus dem von der Beklagten thematisierten Tagesablauf ergibt sich nichts Gegenteiliges.

Die regelmäßige psychiatrische bzw psychotherapeutische Behandlung ist nicht ausreichend, eine anhaltende Besserung ist nach den Feststellungen Dr. W. nur möglich, wenn der Kläger über viele Monate eine Rehabilitationsmaßnahme für psychisch Kranke Menschen (RPK-Maßnahme) absolviert. Dr. W. hat für den Senat nachvollziehbar ausgeführt, dass die psychische Belastbarkeit erheblich reduziert ist. Im Vordergrund steht eine ausgeprägte Antriebsminderung, Störung von Aufmerksamkeit und Konzentration, daneben in geringerem Maße die affektive Auffälligkeit. Der Sachverständige hat dargelegt, dass die diagnostizierten Erkrankungen bzw psychischen Auffälligkeiten nach Aktenlage bereits seit dem Jahr 2011 bestünden. Der Kläger ist nach den für den Senat überzeugenden Ausführungen Dr. W. nicht in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von drei Stunden oder mehr zu verrichten. Dr. W. hat für den Senat überzeugend ausgeführt, dass der Entlassungsbericht der Rehaklinik S. B. insoweit nicht nachvollziehbar ist, wenn dort einerseits berichtet wird, durch psychotherapeutische Maßnahmen habe keinerlei Änderung erzielt werden können, sodass in der Arbeitserprobung nicht mehr von Arbeitsfähigkeit ausgegangen worden sei, andererseits aber die – insoweit unschlüssige - Prognose abgegeben wird, dass unter intensiver tiefenpsychologischer Therapie innerhalb von sechs Monaten eine so weitgehende Besserung erzielt werden könne, dass wieder Leistungsfähigkeit als Schreiner bestehe. Von einer erfolgreichen Rehabilitation in der S.Klinik B. kann danach nicht ausgegangen werden. Die Einwände des Dr. N. und der Beklagten haben den Senat daher nicht überzeugt. Dr. W. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 13.08.2014 für den Senat plausibel ausgeführt, die Stellungnahme des Dr. N. lasse unberücksichtigt, dass bereits im Gutachten von Frau Dr. K.-M. eine Leistungsfähigkeit für den Beruf als Schreiner im Umfang von unter drei Stunden gesehen worden sei. Dementgegen habe Dr. S. die Ausübung dieser Tätigkeit noch für vollschichtig möglich erachtet. Insoweit ist es im Zeitraum von weniger als einem Jahr, dokumentiert durch die beiden Gutachten, zu einer deutlichen Verschlechterung gekommen. Die Prognose der Rehaklinik B. B., wonach nach einer erfolglosen fünfwöchigen stationären Behandlungen und einer langjährig bestehenden Störung schon nach sechs Monaten eine weitgehende Besserung zu erreichen sei, kann nicht nachvollzogen werden. Auch insofern schließt sich der Senat den überzeugenden Ausführungen Dr. W. an. Letztlich nicht entscheidend ist, ob, wie Dr. W. ausführt, "im besten Fall" eine schwere kombinierte Persönlichkeitsstörung oder eine blande verlaufende schizophrene Psychose vorliegt. Der Senat schließt sich den Ausführungen des SG an, dass maßgeblich ist, dass der Kläger wegen seiner seelischen Störungen, insbesondere wegen der erkrankungsbedingt auftretenden Verhaltensauffälligkeiten, nicht mehr dazu in der Lage ist, einer irgendwie gearteten Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzukommen. Auch die Einschätzungen des Dr. T. und des C. bestätigen die Beurteilung von Dr. W., dass der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht einsetzbar ist. Auch die dem C. zugeordnete Arbeitstherapie konnte nicht im Umfang von drei Stunden arbeitstäglich ausgeübt werden.

Die Einschätzung von Dr. W., dass der Kläger nur nach einer vorausgehenden langfristigen RPK-Maßnahme in der Lage seien wird, einer einfachen Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzukommen, ist bereits deshalb schlüssig, da die in der Zeit vom 21.03.2012 bis zum 25.04.2012 durchgeführte stationäre Rehabilitationsmaßnahme keinerlei Besserung bewirkt hat, wie aus dem Entlassungsbericht deutlich hervorgeht. Nach dessen Ziffer 10.1 hat der Kläger die Rehabilitation aus psychologischer Sicht nicht für sich nutzen können, am Ende der Heilbehandlung hat sich gezeigt, dass er keinerlei Fortschritte erzielen konnte. Auch die depressive Symptomatik hat sich nicht spürbar gebessert. Der Kläger hat dabei eine überwiegend passive und abwartende Haltung eingenommen bei gleichzeitig sehr hoher Erwartungshaltung. Dass der Kläger sein Verhalten trotz der bereits erfolgten engmaschigen Betreuung durch Dr. T. und das C. G. bisher nicht überwinden konnte und auch nicht unter entsprechend intensiver Verhaltenstherapie innerhalb von sechs Monaten wird ändern können, steht zur Überzeugung des Senats fest, der sich wiederum auf die plausiblen Darlegungen Dr. W. stützt. Der Sachverständige hat in der ergänzenden Stellungnahme ausgeführt, dass er eine Besserung innerhalb von sechs Monaten wegen der vorhandenen Chronifizierung nicht für möglich erachtet. Im C. haben seit Februar 2010 allein vier stationäre und vier tagesklinische Aufenthalte stattgefunden, daneben ist eine Betreuung in der Institutsambulanz erfolgt. Dr. T. hat über eine intensive Betreuung in der Zeit von Dezember 2009 bis März 2013 berichtet.

Vor dem Gesamteindruck der ärztlicherseits geschilderten Verhaltensauffälligkeit sind die weiteren Einwendungen der Beklagten nicht überzeugend. Soweit auf die abweichende Leistungseinschätzung der S.-Klinik verwiesen wird, tragen die Einwände bereits deshalb nicht, da diese im Ergebnis nicht nachvollzogen werden kann. Genau wie Dr. W. ist für den Senat nicht ersichtlich, aus welchen Gründen eine intensive Verhaltenstherapie in weniger als sechs Monaten das Leistungsvermögen wieder herstellen soll, wenn sich in der mehr als vierwöchigen Rehabilitation keinerlei Verbesserung hat erreichen lassen. Da die Gutachterin K.-M. dieselben Verhaltensauffälligkeiten beschreibt wie im Entlassbericht, auf die offenkundige Widersprüchlichkeit jedoch nicht eingeht, ist ihre Leistungseinschätzung für den Senat nicht schlüssig. Soweit die Beklagte im Berufungsverfahren vorbringt, die Persönlichkeitsstörung sei schon in das Erwerbsleben eingebracht worden, ist dies nicht überzeugend. Dr. W. hat plausibel ausgeführt, dass das Kompensationsvermögen des Klägers seit 2008 nachgelassen hat; zu diesem Zeitpunkt ist der Kläger schon jahrelang erwerbstätig gewesen. Unerheblich ist auch, dass Dr. W. in Bezug auf das Vorliegen einer Psychose nur eine Verdachtsdiagnose gestellt hat. Entscheidend sind der psychopathologische Befund und die sich hieraus ergebenden Einschränkungen. Im Übrigen belegt die vorsichtige Diagnosestellung durch den gerichtlichen Sachverständigen dessen Kompetenz und Objektivität. Für das Vorliegen einer psychotischen Erkrankung spricht der von Dr. W. deutlich herausgearbeitete Leistungsknick in der Biographie des Klägers, für eine volle Ausprägung des Krankheitsbildes mag es aber noch an eindeutigen Kennzeichen fehlen. Dies schließt es keineswegs aus, dass die berufliche Leistungsfähigkeit schon zu Beginn einer psychotischen Entwicklung deutlich herabgesetzt ist.

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung der Rente liegen vor. Nach § 43 Abs 1 Satz 1 Nr 2 und Nr 3 SGB VI iVm § 43 Abs 4 und 5 SGB VI müssen vor Eintritt des Versicherungsfalles der Berufsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt und in den davor liegenden fünf Jahren für mindesten 36 Monate Pflichtversicherungsbeiträge gezahlt worden sein. Dies ist ausweislich des von der Beklagten vorgelegten Kontenspiegels der Fall (Bl 42 Rückseite Senatsakte).

Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet (§ 101 Abs 1 SGB VI). Maßgeblich ist im Übrigen der Rentenantrag (§ 99 Abs 1 Satz 2 SGB VI). Der Eintritt des Leistungsfalles ist zur Überzeugung des Senats seit dem 14.03.2011 nachgewiesen, wie das SG bereits zutreffend ausgeführt hat. Seit diesem Zeitpunkt war der Kläger arbeitsunfähig (Bl 3 Reha-Akte, medizinische Reha). Nach dem Entlassungsbericht der S.-Klinik B. B. hat in den zwölf Monaten vor der Rehabilitationsmaßnahme in der S.-Klinik B. B. für elf Monate Arbeitsunfähigkeit vorgelegen, so dass an einer seit dem 14.03.2011 bestehenden durchgehenden Leistungseinschränkung keine vernünftigen Zweifel bestehen. Danach ist der Rentenbeginn am 01.07.2012 wie vom Kläger beantragt.

Die Rente war zu befristen, da ein Dauerzustand zum gegenwärtigen Zustand nicht angenommen werden kann. Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann; hiervon ist nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren auszugehen (§ 102 Abs 2 S 5 SGB VI). Eine Besserung im Gesundheitszustand ist solange noch nicht unwahrscheinlich, solange nicht alle therapeutischen Behandlungsmöglichkeiten erschöpft sind. Hierzu zählen alle anerkannten Behandlungsmethoden, auch geläufige Operationen, die zur Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit führen können, soweit nicht im Gesundheitszustand des Versicherten liegende Kontraindikationen entgegenstehen (BSG 29.03.2005, B 13 RJ 31/05 R, SozR 4-2600 § 102 Nr 2). Nach § 102 Abs 2 S 1 SGB VI sind Erwerbsminderungsrenten grundsätzlich auf längstens drei Jahre zu befristen. Wenn auf die Rente - wie vorliegend - ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, wird sie nur dann unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Es ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht ausgeschlossen, dass sich die seelischen Leiden des Klägers durch die von Dr. W. und dem C. empfohlene Durchführung einer RPK-Maßnahme für die Dauer von zwölf Monaten wieder derartig bessern, dass ein Wiedereintritt in eine mindestens sechsstündige leichte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt möglich wird. Die Rente hat dem Kläger danach befristet bis zum 30.06.2015 zugestanden. Danach hat der Kläger Anspruch auf Verlängerung der Zeitrente (§ 102 Abs 2 S 3 SGB VI) bis zum 30.06.2018. Die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung oder die Weitergewährung einer befristeten Rente setzen zwar grundsätzlich die Antragstellung iS der §§ 99 Abs 1, 115 Abs 1 SGB VI voraus. Bei einem laufenden Gerichtsverfahren über den Rentenanspruch ist ein solcher Antrag immer in dem Fortbetreiben des Verfahrens durch den Versicherten zu sehen (Senatsurteil vom 18.05.2015, L 11 R 1126/14; LSG Sachsen-Anhalt 19.07.2011, L 3 R 485/07 unter Hinweis auf BSG 14.11.2002, B 13 RJ 47/01 R, BSGE 90, 136, SozR 3-2600 § 300 Nr 18).

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; das Sachverständigengutachten des Dr. W. nebst den vorliegenden Arztauskünften bildet eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats und hat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO); weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved