L 8 U 3040/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 3040/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren L 8 U 2425/15 durch Berufungsrücknahme beendet ist.

Außergerichtliche Kosten des vorliegenden Verfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Verletztenrente und Übernahme von Kosten wegen Heilbehandlung wegen eines von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalls am 08.03.2003 streitig, vorliegend ist vorrangig streitig, ob der Rechtsstreit durch Rücknahme der Berufung im Verfahren L 8 U 2425/15 beendet ist.

Mit Bescheiden vom 14.09.2011 (Ablehnung von Verletztenrente) und vom 15.04.2011 (Ablehnung der Übernahme von weiteren Behandlungskosten) wurden die Leistungsanträge des Klägers abgelehnt und mit Widerspruchsbescheid vom 21.12.2011 die hiergegen erhobenen Widersprüche zurückgewiesen. Die hiergegen erhobene Klage vor dem Sozialgericht Konstanz (SG) wurde mit Urteil vom 15.04.2015 abgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger über seinen damaligen Bevollmächtigten, Rechtsanwalt S. , Berufung beim SG eingelegt. In der an das SG gerichteten Berufungsschrift vom 20.05.2015 war ausgeführt worden, Anträge und Berufungsbegründung blieben einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten.

Auf die am 08.06.2015 beim LSG eingegangene Berufungsschrift wurde den Beteiligten mit richterlicher Verfügung vom 11.06.2015 das Berufungsaktenzeichen L 8 U 2425/15 mitgeteilt.

Mit beim LSG am 15.06.2015 eingegangenem Schreiben des SG waren dem Senat zwei Schreiben, der Schriftsatz des bisherigen Klägerbevollmächtigten, Rechtsanwalt S. , vom 08.06.2015 sowie der Schriftsatz des jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 03.06.2015, übersandt worden. Der bisherige Klägerbevollmächtigte erklärte in seinem Schriftsatz vom 08.06.2015, er nehme namens und mit Vollmacht des Klägers seine mit Schriftsatz vom 20.05.2015 eingelegte Berufung zurück. Der jetzige Klägerbevollmächtigte führte in seinem Schriftsatz vom 03.06.2015 aus, er zeige die Mandatsübernahme des Klägers an, nachdem das Mandat des bisherigen Klägervertreters beendet sei. Er bitte diesen Schriftsatz an das LSG weiterzuleiten und ihm Akteneinsicht zu gewähren.

Den Beteiligten wurde mitgeteilt, dass das Berufungsverfahren durch Berufungsrücknahme beendet sei.

Der Klägerbevollmächtigte machte mit Schriftsatz vom 12.06.2015 geltend, die Berufungsrücknahme des früheren Prozessbevollmächtigten sei rechtsunwirksam, weshalb das Verfahren fortzuführen sei.

Unter dem jetzigen Aktenzeichen führt der Klägerbevollmächtigte weiter zur Begründung aus, die Kündigung des Vollmachtsvertrages erlange rechtliche Wirksamkeit durch die Anzeige des Erlöschens der Vollmacht oder durch die Anzeige der Bestellung eines anderen Anwalts. Vorliegend sei beides passiert, mit Schriftsatz vom 03.06.2015 sei durch die Mandatsübernahme angezeigt und mitgeteilt worden, dass das Mandat des bisherigen Klägervertreters beendet sei. Die Mandatskündigung habe der Kläger gegenüber Rechtsanwalt S. telefonisch erklärt, was durch Zeugnis des bisherigen Anwalts bewiesen werden könne.

Der Senat hat Rechtsanwalt S. schriftlich als Zeugen gehört. In seiner schriftlichen Aussage vom 12.11.2015 hat er angegeben, am 01.06.2015 eine ausführliche Besprechung mit dem Kläger und seiner Ehefrau durchgeführt zu haben. Hierbei habe er dem Kläger eine geringe Erfolgsaussicht des Berufungsverfahrens dargelegt. Der Kläger habe sich eine Zeit zur Überlegung ausbedungen. Am 08.06.2015 habe der Kläger in der Kanzlei angerufen und mitgeteilt, dass er keine Berufung einlegen möchte. Daraufhin sei mit Schriftsatz vom 08.06.2015 die Berufung zurückgenommen worden. Nach seiner ungefähren Erinnerung habe ihn danach die Ehefrau des Klägers angerufen und mitgeteilt, dass ihr Ehemann einen anderen Anwalt beauftragt habe, weil er nun die Berufung doch weiterführen wolle. Das Mandat sei weder durch ihn selbst noch durch den Kläger beendet worden, als Mandatskündigung in Vertretung des Klägers könne allenfalls der Telefonanruf der Ehefrau interpretiert werden, der aber erst nach Berufungsrücknahme erfolgt sei.

Zur Beweisaufnahme hat der Klägerbevollmächtigte vorgetragen, der Kläger habe bei dem Telefonat mit der Anwaltsgehilfin von Rechtsanwalt S. nicht gesagt, dass er keine Berufung einlegen möchte, sondern er habe gesagt, dass Rechtsanwalt S. das Verfahren nicht weiterbetreiben möge. Eine Weisung, die Berufung zurückzunehmen, habe er gerade Rechtsanwalt S. nicht erteilt. Er habe dem SG bereits mit Schriftsatz vom 03.06.2015 mitgeteilt, dass er sich für den Kläger legitimiere. Damit komme § 170 BGB zur Anwendung, dass die Vollmacht nicht mehr länger in Kraft sei, wenn das Erlöschen vom Vollmachtgeber bzw. hier von dessen Vertreter, angezeigt werde. Zumindest sei vom SG oder vom Landessozialgericht beim Unterzeichner nachzufragen gewesen, ob auch dieser eine Rücknahme der Berufung habe erklären wollen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Berufungsverfahren fortzusetzen, das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 15.04.2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 14.09.2011 und vom 15.04.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.12.2011 zu verurteilen, Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. und weitere Heilbehandlung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

festzustellen, dass das Berufungsverfahren erledigt ist, hilfsweise, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte macht unter Bezugnahme auf den Beschluss des BGH vom 30.05.2007 – XII ZB 82/06 – mit dem Leitsatz: "Legen zwei Prozessbevollmächtigte unabhängig voneinander Berufung ein und nimmt einer von ihnen später die Berufung ohne einschränkenden Zusatz zurück, bewirkt dies den Verlust des Rechtsmittels" geltend, dass die Beweisaufnahme ergeben habe, dass Rechtsanwalt S. zum Zeitpunkt der Berufungsrücknahme noch beauftragt gewesen sei und damit eine wirksame Prozesserklärung abgegeben habe.

Den Beteiligten ist der richterliche Hinweis vom 10.12.2015 erteilt worden, auf den wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen wird.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schriftsätze des Klägerbevollmächtigten vom 14.01.2016 und der Beklagten vom 08.01.2016).

Die Akte des Berufungsverfahrens des Senats L 8 U 2425/15 ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens; auf diese und auf die angefallene Senatsakte dieses Verfahrens wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Mit Einverständnis der Beteiligten hat der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG über die Berufung ohne mündliche Verhandlung entscheiden können, denn eine mündliche Verhandlung ist nicht erforderlich gewesen.

Der Antrag des Klägers, den Rechtsstreit fortzusetzen und über seine Berufung in der Sache zu entscheiden, ist zulässig. Bei einem Streit über die Wirksamkeit einer Berufungsrücknahme wird das Verfahren vor dem Landessozialgericht weitergeführt. Das Landessozialgericht entscheidet dann durch Urteil entweder dahin, dass der Rechtsstreit durch Zurücknahme erledigt ist oder in der Sache, wobei in den Entscheidungsgründen auszuführen ist, dass die Zurücknahme nicht erklärt oder unwirksam ist (vgl. BSG SozR 1500 § 73 Nr. 6; BVerwG NVwZ 97, 1210; Keller in Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer, SGG, 11. Auflage § 156 Rn. 6).

Entgegen der Auffassung des Klägers ist die von seinem früheren Bevollmächtigten erklärte Rücknahme der Berufung unter dem Az. L 8 U 2425/15 wirksam gewesen.

Empfänger der Rücknahmeerklärung ist das Landessozialgericht (vgl. Keller a.a.O. Rn. 2b). Vor dem Sozialgericht kann lediglich fristwahrend Berufung eingelegt werden. Erklärungsempfänger der Prozesserklärung bleibt aber das Rechtsmittelgericht. Die Prozesserklärung der Berufungsrücknahme erlangt daher erst Wirksamkeit, wenn sie beim Landessozialgericht eingegangen ist. Gleiches gilt für die prozessuale Erklärung, zum Prozessbevollmächtigten des Klägers bestellt worden zu sein.

Die Zurücknahme der Berufung ist als Prozesshandlung bedingungsfeindlich. Prozesshandlungen sind grundsätzlich nicht anfechtbar oder widerrufbar (Keller a.a.O. Rn. 2a). Lediglich wenn der Widerruf gleichzeitig mit der Rücknahme des Rechtsmittels bei Gericht eingeht, ist die Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung ersichtlich (Keller a.a.O.). Ausnahmsweise können Prozesshandlungen zur Beendigung des Verfahrens auch darüber hinaus widerrufen werden, wenn Restitutionsgründe vorliegen, weil die Rechtslage hier nicht anders sein kann als bei Verfahrensbeendigung durch Urteil (herrschende Meinung, vgl. Keller a.a.O. vor § 60 Rn. 12a und § 156 Rn. 2 jeweils mit weiteren Nachweisen).

Die Rücknahmeerklärung des bisherigen Prozessbevollmächtigten und die Mandatsanzeige des jetzigen Prozessbevollmächtigten mit dem Hinweis, dass das bisherige Mandat beendet ist, sind gleichzeitig beim Landessozialgericht mit dem zuleitenden Schreiben des SG am 15.06.2015 eingegangen.

Grundsätzlich sind daher beide Erklärungen gleichzeitig wirksam geworden. Ein Vorrang der Anzeige der Mandatsbeendigung zum Zeitpunkt der Bekanntgabe gegenüber dem Senat ist nicht ersichtlich und somit auch nicht festzustellen. Das Ende der Vollmacht des bisherigen Bevollmächtigten trat allenfalls zum Zeitpunkt der Bekanntgabe beim LSG gleichzeitig mit der wirksamen Berufungsrücknahmeerklärung ein. Die Anzeige der Beendigung des Mandats von Rechtsanwalt S. durch den jetzigen Bevollmächtigten, d.h. das Erlöschen der Außenvollmacht, beinhaltet auch nicht sinngemäß und schon gar nicht ausdrücklich den Widerruf der abgegebenen Rücknahmeerklärung, die zu diesem Zeitpunkt dem Prozessbevollmächtigten wohl auch nicht bekannt war. Restitutionsgründe im Sinne von § 179 SGG i.V.m. § 580 ZPO werden ersichtlich nicht geltend gemacht.

Rechtsanwalt S. hat die Berufungsrücknahme auch nicht als vollmachtloser Vertreter abgegeben, weil sein Mandat durch den Kläger selbst bereits vorher gekündigt worden ist (Erlöschen der Innenvollmacht). Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hatte Rechtsanwalt S. als der bis dahin noch beauftragte Klägerbevollmächtigte vorsorglich fristwahrend Berufung eingelegt, diese nach vorangegangener Besprechung mit dem Kläger nach seinem Verständnis auftragsgemäß zurückgenommen, weil der Kläger der Kanzlei, wie mit Schriftsatz des jetzigen Bevollmächtigten vom 02.12.2015 vorgetragen, telefonisch mitgeteilt hatte, das Verfahren nicht weiter betreiben zu wollen. Diese Erklärung ist zwanglos als Einverständnis mit der Rücknahme der vorsorglich eingelegten Berufung zu verstehen, insbesondere auch im Hinblick darauf, dass nach der Aussage von Rechtsanwalt S. bei einer Besprechung mit dem Kläger die Aussichten der Berufung als eher gering angesehen worden sind, weshalb es auf die vom Klägerbevollmächtigten angeregte Zeugenvernehmung der Anwaltsgehilfin von Rechtsanwalt S. nicht ankommt. Dieses unter Beweis gestellte Vorbringen kann als wahr unterstellt werden. An der Beweisanregung hat der Klägerbevollmächtigte nach dem richterlichen Hinweis vom 10.12.2015 auch nicht festgehalten, denn er hat uneingeschränkt sein Einverständnis mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt. Daraus ergibt sich, dass zwar das Mandatsverhältnis zwischen Kläger und Rechtsanwalt S. gekündigt worden ist, denn mit Erledigung des Geschäfts, für das die Vollmacht erteilt worden ist, ergibt sich auch die Beendigung der Vollmacht, jedoch die Berufungsrücknahme noch die gewollte Geschäftsbesorgung darstellt, für die Vollmacht erteilt worden war. Dass ihm vom Kläger oder seiner Ehefrau als nachgehender Auftrag der Widerruf der Berufungsrücknahme noch vor Vorlage durch das SG beim LSG aufgegeben worden ist, ist von Rechtsanwalt S. weder dargelegt worden noch ist ein Widerruf von einem der beiden Bevollmächtigten gegenüber dem Senat erklärt worden.

Die beiden Erklärungen der Prozessbevollmächtigten, nämlich die Anzeige der Beendigung des Mandatsverhältnisses mit dem bisherigen Prozessbevollmächtigten einerseits und die Berufungsrücknahmeerklärung andererseits, zwingen auch nicht wegen ihres Erklärungsgehalts zur deutenden Auslegung als unwirksam. Sie heben sich nicht inhaltlich gegeneinander auf (s. hierzu unten), was bei sich vollkommen widersprechenden Erklärungen zur Unwirksamkeit der Erklärung selbst führt und gegebenenfalls das Rechtsinstitut der Umdeutung erfordert (vgl. Keller a.a.O. vor § 60 Rn. 11b). Bei bloßen Unklarheiten des Gewollten ist eine sachgerechte Auslegung nach dem zu beachtenden Meistbegünstigungsgrundsatz vorzunehmen (vgl. Keller a.a.O. vor § 60 Rn. 11a), vorliegend ist aber der Erklärungsgehalt der Prozesshandlungen eindeutig (s. hierzu unten).

In eng begrenzten Ausnahmefällen ist es bei einem offensichtlich zu Tage getretenen Versehen mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbar, die Prozesspartei an der versehentlich vorgenommenen Prozesshandlung festzuhalten (Keller a.a.O. § 60 Rn 12a). Eine solches offensichtliches Versehen kann der Senat jedoch nicht feststellen. Eine nur versehentlich vorgenommene Prozesshandlung hat sich bei Eingang der Prozesserklärungen gerade nicht aufgedrängt. Vielmehr sind nach dem objektiven Empfängerhorizont die Prozesshandlungen zum Zeitpunkt des Eingangs bei Gericht so zu verstehen gewesen, dass der Kläger zwei Prozessbevollmächtigte beauftragt hat, die bei ungenügender mandatsinterner Absprache Prozesshandlungen vorgenommen haben. Der Rücknahmeerklärung von Rechtsanwalt S. vom 08.06.2015 war ausdrücklich zu entnehmen, dass er namens und mit Vollmacht des Klägers die Berufung zurücknimmt, was die Beweisaufnahme auch ergeben hat. Für den Senat war nach objektivem Verständnis der Erklärungen beider Prozessbevollmächtigten davon auszugehen, dass der Kläger zunächst sich mit der Rücknahme einverstanden erklärt hat, sich dann aber eines anderen besonnen hat und den jetzigen Klägervertreter mit seiner Rechtsangelegenheit betraut hat, ohne rechtzeitig die in die Wege geleitete Berufungsrücknahme zu stoppen, was nach der glaubhaften Aussage von Rechtsanwalt S. sich als zutreffend erwiesen hat. Zum Zeitpunkt des Eingangs der Erklärungen war überdies die Erklärung des jetzigen Prozessbevollmächtigten unter Umständen auch so zu verstehen, dass er lediglich zur Berechtigung der beantragten Akteneinsicht seine Mandatsübernahme angezeigt hat, was wiederum auch in dieser Sachverhaltskonstellation die Wirksamkeit der Berufungsrücknahme unberührt lässt. Weder in der vorgelegten Vollmachtsurkunde noch in seinem Schriftsatz vom 03.06.2015 ist ausdrücklich ausgeführt, das Berufungsverfahren fortsetzen zu wollen. Fehlende mandatsinterne Absprachen unter mehreren vom Prozessbeteiligten in Anspruch genommenen Prozessbevollmächtigten ergeben jedoch grundsätzlich keine Umstände, die ein Festhalten an einer auch so gemeinten Prozesserklärung als treuwidrig erscheinen lassen.

Nach alledem war die Beendigung des Berufungsverfahrens durch Berufungsrücknahme festzustellen.

Außergerichtliche Kosten sind in diesem Verfahren nicht zu erstatten.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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