Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 81 KR 672/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 20/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich in der Sache gegen die Pflicht zur Benutzung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK).
Er ist Mitglied der Beklagten. Mit Schreiben vom 11. September 2012 beantragte er bei dieser, seine bisherige Krankenversicherungskarte unbefristet weiter benutzen zu dürfen bzw. ein neues Exemplar der bisherigen Krankenversicherungskarte zu erhalten. Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 15. Januar 2013 ab.
Der Kläger erhob Widerspruch. Am 29. Mai 2013 hat der Kläger ferner Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Die Beklagte hat mit Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 2013 den Widerspruch vom 6. Februar 2013 zurückgewiesen.
Der Kläger hat vor Gericht u. a. vorgebracht, die einschlägigen §§ 291a Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 bis Satz 6, Abs. 7 und 291b Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) seien verfassungswidrig. Es werde rechtswidrig in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und auch Art. 2 Abs. 2 GG eingegriffen. Es fehle insbesondere an der erforderlichen Regelungsdichte. Der Gesetzgeber habe die Regelung wichtiger Fragen nicht auf die "Gesellschaft für Telematik" und die Spitzenverbände "abschieben" dürfen. Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) zur Vorratsdatenspeicherung (Urteil vom 2. März 2010 – 1 BvR 256/08) seien nicht eingehalten. Die Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung seien unverhältnismäßig, da es weniger eingreifende Alternativen gäbe. Es sei kein ausreichendes Diskriminierungsverbot gewährleistet für diejenigen, welchen die medizinischen Anwendungen der eGK nicht nutzen wollten. Es müsse eine sorgfältige Trennung zwischen den Primärsystemen der Ärzte und Krankenhäuser und der Telematik-Infrastruktur gewährleistet sein.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt, die Beklagte zu verpflichten, ihm bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens Leistungen nach dem SGB V zur Verfügung zu stellen, ohne dass er die elektronische Gesundheitskarte benutzen müsse, den Bescheid vom 15. Januar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 2013 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm Leistungen nach dem SGB V zur Verfügung zu stellen, ohne dass er die elektronische Gesundheitskarte benutzen müsse, und festzustellen, dass er nicht zur Nutzung der elektronischen Gesundheitskarte verpflichtet sei.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 6. Dezember 2013 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, sie sei bereits unzulässig, soweit die Beklagte verpflichtet werden solle, Leistungen nach dem SGB V ohne Nutzung der eGK zur Verfügung zu stellen. Insoweit fehle es bislang an einer ablehnenden Leistungsentscheidung. In der Ablehnung, keine unbegrenzte Weiternutzung der bisherigen Karte zu gestatten, liege nämlich nicht zugleich die Weigerung, im Falle der Nichtnutzung der eGK die Leistungen für den Kläger einzustellen. Der als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Antrag auf Aufhebung des Bescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides sei zulässig, jedoch nicht begründet. Der angegriffene Bescheid sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Er habe keinen Anspruch auf unbegrenzte Nutzung der bisherigen Krankenversicherungskarte. § 291 Abs. 1 Satz 6 SGB V ermächtige die Krankenkassen zur Befristung der Gültigkeit. Dies diene der Missbrauchsabwehr und unterstütze eine wiederholende Stammdatenkontrolle im Interesse der Versichertengemeinschaft. Auch die Verkürzung der Gültigkeitsdauer sei nicht zu beanstanden. Auch der Feststellungsantrag sei unbegründet. Der Kläger sei nach § 15 Abs. 2 SGB V zur Nutzung der eGK verpflichtet.
Das Urteil ist dem Kläger am 13. Dezember 2013 zugestellt worden. Der Berufungsschriftsatz datiert vom 11. Januar 2014. Der Schriftsatz ist an das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, Försterweg 6, 14482 Potsdam, gerichtet. Das Schriftstück wurde in einem Umschlag vom SG am 13. Januar 2014 dem Hausbriefkasten entnommen und ungeöffnet an das hiesige Gericht weitergeleitet. Einen Eingangsstempel des SG enthält er nicht. Ausweislich des Eingangsstempels des hiesigen Gerichtes ist er am 15. Januar 2014 beim LSG Berlin-Brandenburg eingegangen.
Zur Begründung trägt der Kläger vor, er habe seine Berufung am 13. Januar 2014 fristgemäß beim SG eingereicht. Er hat in der Sache unter anderem auf die Missbrauchsanfälligkeit der geplanten Technologie hingewiesen. Gesetzlich Versicherte und privat Versicherte würden unter Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes verschieden behandelt. Personenbezogene Daten könnten durch Sicherheitsmaßnahmen bzw. Schutzmaßnahmen nicht geschützt werden. Das Foto der elektronischen Gesundheitskarte enthalte bereits jetzt den Schlüssel, um bisher bewährte Schutzmaßnahmen zu umgehen. Das Sicherheitskonzept der eGK sei veraltet, wie z. B. der Chaoscomputerclub dargelegt habe. Hacker könnten in die Netzwerke der Ärzte eindringen und dann die an sich geschützten Patientendaten auslesen.
Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. Dezember 2013 abzuändern, den Bescheid vom 15. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 2013 aufzuheben sowie festzustellen, dass der Kläger nicht zur Nutzung der elektronischen Gesundheitskarte verpflichtet ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig.
Die Berufungsfrist von einem Monat nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist eingehalten. Die Berufungsschrift ist zwar nicht, wie nach § 151 Abs. 1 SGG erforderlich, bis Montag, den 14. Januar 2014, beim hiesigen LSG eingelegt worden, sondern erst am darauffolgenden Tag. Allerdings ist nach § 151 Abs. 2 Satz 1 SGG die Berufungsfrist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist "bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt" wird. Von einem Einlegen beim Sozialgericht spätestens am 13. Januar 2014 ist hier auszugehen.
Es ist unschädlich, dass der Kläger seinen Berufungsschriftsatz nicht an das Gericht adressiert hat, bei welchem er das Schriftstück eingereicht hat. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass er die Berufung nur beim hiesigen Gericht einlegen wollte. Nur dann würde der Grundsatz eingreifen, dass die Einreichung bei einem falschen Gericht nicht fristwahrend ist, auch wenn dieses gehalten ist, den Schriftsatz im normalen Geschäftsgang weiterzuleiten (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer-Leitherer, SGG, 11. A. 2014, § 151Rdnr. 2a). Da er Berufung eingelegt hat, ist vielmehr hier davon auszugehen, dass es dem Kläger auf eine fristwahrende Einlegung ankam.
Der Berufung bleibt in der Sache Erfolg versagt.
Das Begehren des Klägers ist auf die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides gerichtet sowie auf die Feststellung, nicht zur Nutzung der eGK verpflichtet zu sein.
Die zulässige Klage ist jedoch unbegründet.
Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte in ihrer jetzigen Form und die derzeitigen Gesetze verletzen jedenfalls aktuell den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Senat folgt insoweit dem BSG im Urteil vom 18. November 2014 (B 1 KR 35/13 R; ebenso bereits Urteil des Senats vom 20. März 2015 –L 1 KR 18/14 juris).
Der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmungsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 2 Abs. 1 GG, welcher in der Pflicht zur Angabe bzw. zur Verfügung Stellung von Lichtbild und Unterschriftsleistung sowie der zur Identifikation dienenden Angaben von Namen, Geburtsdatum, Geschlecht, Anschrift, und Versichertennummer nach §§ 291 Abs. 2, 291a Abs. 2 S. 1 SGB V zu sehen ist, ist gerechtfertigt. Davon ist bereits das SG zutreffend ausgegangen. Der Kläger muss es nach der Gesetzeslage auch dulden, dass die Beklagte als Krankenkasse verpflichtet ist, Dienste anzubieten, mit denen die Leistungserbringer die Gültigkeit und die Aktualität der Versichertenstammdaten (Daten nach § 291 Abs. 1 und 2 SGB V) bei den Krankenkassen online überprüfen und auf der eGK aktualisieren können. Die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte, Einrichtungen und Zahnärzte prüfen bei der erstmaligen Inanspruchnahme ihrer Leistungen durch einen Versicherten im Quartal die Leistungspflicht der KK durch Nutzung der Dienste. Dazu ermöglichen sie den Online-Abgleich und die -Aktualisierung der auf der eGK gespeicherten Daten nach § 291 Abs. 1 und 2 SGB V mit den bei der Krankenkasse vorliegenden aktuellen Daten. Die Prüfungspflicht besteht ab dem Zeitpunkt, ab dem die Dienste nach § 291 Abs. 2b S 1 SGB V sowie die Anbindung an die Telematikinfrastruktur zur Verfügung stehen und die Vereinbarungen nach § 291a Abs. 7a und 7b SGB V geschlossen sind. § 15 Abs. 5 SGB V ist entsprechend anzuwenden (Online-Versichertenstammdatendienst oder Versichertenstammdatenmanagement; so -weitgehend wörtlich- BSG, a. a. O. Rdnr. 21)
Zwar wurzelt das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Bürgers im allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Grundrecht auf Menschenwürde und gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Der Einzelne hat jedoch kein Recht im Sinne einer absoluten, uneinschränkbaren Herrschaft über "seine" Daten. Er ist vielmehr eine sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft entfaltende, auf Kommunikation angewiesene Persönlichkeit. Informationen, auch soweit sie personenbezogen sind, stellen ein Abbild sozialer Realität dar, das nicht ausschließlich den Betroffenen allein zugeordnet werden kann. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verlangt insoweit, dass die Einschränkung des Rechts von hinreichenden Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt wird, das gewählte Mittel zur Erreichung des Zwecks geeignet und erforderlich ist und bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der rechtfertigenden Gründe die Grenze des Zumutbaren noch gewahrt ist (so zutreffend weitgehend wörtlich LSG Hessen, a. a. O.-Rdnr. 26ff mit Bezugnahme auf BVerfGE 65, 1, 41 f.; 56, 37, 41 ff. u. a.; bestätigt vom BSG, a. a. O. Rdnr. 20). Hier überwiegt das Allgemeininteresse an einer Funktionsfähigkeit des Sachleistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung im Verhältnis zur rechtlichen Betroffenheit des Klägers. Die Identifikationsfunktion des Lichtbilds auf der Karte wird benötigt, um eine missbräuchliche Verwendung möglichst einzuschränken (vgl. zur Funktion und rechtlichen Wirkung der Verwendung genauer: LSG Hessen, a. a.O. Rdnr. 24). Dies kann im Rahmen der Massenverwaltung nur funktionieren, wenn die in § 15 Abs. 2 SGB V vorgesehene Verfahrensweise ("Versicherte, die ärztliche oder zahnärztliche Behandlung in Anspruch nehmen, haben dem Arzt [Zahnarzt] vor Beginn der Behandlung ihre Krankenversichertenkarte zum Nachweis der Berechtigung zur Inanspruchnahme von Leistungen [ ] auszuhändigen") auch von allen Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung befolgt wird. Entsprechendes gilt für den Onlineabgleich der Versichertenstammdaten (vgl. BSG, a. a. O Rdnr.27).
Soweit der Kläger sich schon heute durch die künftigen in § 291a Abs. 2 Satz 1 2. HS SGB V und § 291a Abs. 3 Satz 1 SGB V vorgesehenen Anwendungsmöglichkeiten der eGK in eigenen Rechten verletzt sieht, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Dabei handelt es sich nicht um die Pflichtangaben der eGK, sondern um eine vom Gesetz vorgesehene Möglichkeit, auf freiwilliger Basis über die rein administrative Funktion der eGK Datenanwendungsmöglichkeiten zu nutzen. Bereits das Erheben als auch das Verarbeiten und Nutzen von Daten mittels der eGK ist in den Fällen des § 291a Abs. 3 Satz 1 SGB V nur mit dem Einverständnis der Versicherten zulässig, § 291a Abs. 5 Satz 1 SGB V. Dafür, dass trotz Fehlens seines Einverständnisses mit seiner eGK fakultative Daten erhoben, verarbeitet oder genutzt werden könnten, ist nichts ersichtlich. "Eine Rechtsverletzung des Klägers ist diesbezüglich ausgeschlossen, eine verfassungsrechtliche Überprüfung erübrigt sich. Selbst wenn bei fehlender Einwilligung im Einzelfall medizinische Daten rechtswidrig gespeichert würden, könnten Ärzte oder Dritte hiervon weitgehend keinen Gebrauch machen." (so BSG, a. a. O. Rdnr. 22).
Zur Datensicherheit führt das BSG aus (a. a. O. Rdnr. 34:)
Soweit der Kläger die Datensicherheit bezweifelt, begründet dies keine Grundrechtsverletzung. Die Rechtsordnung schützt bereits die betroffenen Daten vor unbefugtem Zugriff Dritter und vor missbräuchlicher Nutzung. So regelt § 291a Abs 6 SGB V - wie dargelegt - neben der Löschung das Gebot technischer Vorkehrungen für Zwecke der Datenschutzkontrolle. Er gebietet, die Protokolldaten durch geeignete Vorkehrungen gegen zweckfremde Verwendung und sonstigen Missbrauch zu schützen (vgl. § 291a Abs 6 S 5 SGB V). Das Gesetz erlegt - als institutionelle Sicherung - den einbezogenen Verbänden die Pflicht auf, die für die Einführung und Anwendung der eGK, insbesondere des elektronischen Rezeptes und der elektronischen Patientenakte, erforderliche interoperable und kompatible Informations-, Kommunikations- und Sicherheitsinfrastruktur (Telematikinfrastruktur) zu schaffen (vgl. § 291a Abs 7 S 1 SGB V). Sie nehmen diese Aufgabe durch eine Gesellschaft für Telematik nach Maßgabe des § 291b SGB V wahr (vgl § 291a Abs 7 S 2 SGB V). Die Rechtsordnung stellt zudem unberechtigte Zugriffe auf die Sozialdaten auf der elektronischen Gesundheitskarte nach § 291a SGB V unter Strafe (§ 307b SGB V). Dies schützt zusammen mit dem Bußgeldtatbestand in § 307 Abs 1 SGB V das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Ungeachtet aller Vorkehrungen trifft den Gesetzgeber eine Beobachtungspflicht, um auf sich künftig zeigende Sicherheitslücken zu reagieren. Der Kläger macht aber selbst nicht geltend, dass die derzeit noch gar nicht voll entwickelte, über das Teststadium nicht hinausreichende Telematikinfrastruktur Sicherheitslücken zeigt. Der bisherige Stand der Einführung der eGK ("Basis-Rollout") geht - abgesehen vom Lichtbild und der Angabe des Geschlechts bei den administrativen Versichertenstammdaten und gemessen an derzeit möglichen, mangels Telematikinfrastruktur aber noch nicht realisierbaren Funktionalitäten der eGK - nicht über die Anwendungsbreite der Krankenversichertenkarte hinaus ( )Die konkrete technische Entwicklung der Telematikinfrastruktur ist derzeit noch nicht abgeschlossen. Die Online-Anwendungen befinden sich noch in der Vorbereitungsphase.
Die vom Kläger angeführten Sicherheitsdefizite durch möglichen Datenmissbrauch und mangelndes Sicherheitsverständnis führen also aktuell nicht zu einer Verletzung eigener Rechte. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich in der Sache gegen die Pflicht zur Benutzung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK).
Er ist Mitglied der Beklagten. Mit Schreiben vom 11. September 2012 beantragte er bei dieser, seine bisherige Krankenversicherungskarte unbefristet weiter benutzen zu dürfen bzw. ein neues Exemplar der bisherigen Krankenversicherungskarte zu erhalten. Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 15. Januar 2013 ab.
Der Kläger erhob Widerspruch. Am 29. Mai 2013 hat der Kläger ferner Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Die Beklagte hat mit Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 2013 den Widerspruch vom 6. Februar 2013 zurückgewiesen.
Der Kläger hat vor Gericht u. a. vorgebracht, die einschlägigen §§ 291a Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 bis Satz 6, Abs. 7 und 291b Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) seien verfassungswidrig. Es werde rechtswidrig in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und auch Art. 2 Abs. 2 GG eingegriffen. Es fehle insbesondere an der erforderlichen Regelungsdichte. Der Gesetzgeber habe die Regelung wichtiger Fragen nicht auf die "Gesellschaft für Telematik" und die Spitzenverbände "abschieben" dürfen. Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) zur Vorratsdatenspeicherung (Urteil vom 2. März 2010 – 1 BvR 256/08) seien nicht eingehalten. Die Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung seien unverhältnismäßig, da es weniger eingreifende Alternativen gäbe. Es sei kein ausreichendes Diskriminierungsverbot gewährleistet für diejenigen, welchen die medizinischen Anwendungen der eGK nicht nutzen wollten. Es müsse eine sorgfältige Trennung zwischen den Primärsystemen der Ärzte und Krankenhäuser und der Telematik-Infrastruktur gewährleistet sein.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt, die Beklagte zu verpflichten, ihm bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens Leistungen nach dem SGB V zur Verfügung zu stellen, ohne dass er die elektronische Gesundheitskarte benutzen müsse, den Bescheid vom 15. Januar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 2013 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm Leistungen nach dem SGB V zur Verfügung zu stellen, ohne dass er die elektronische Gesundheitskarte benutzen müsse, und festzustellen, dass er nicht zur Nutzung der elektronischen Gesundheitskarte verpflichtet sei.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 6. Dezember 2013 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, sie sei bereits unzulässig, soweit die Beklagte verpflichtet werden solle, Leistungen nach dem SGB V ohne Nutzung der eGK zur Verfügung zu stellen. Insoweit fehle es bislang an einer ablehnenden Leistungsentscheidung. In der Ablehnung, keine unbegrenzte Weiternutzung der bisherigen Karte zu gestatten, liege nämlich nicht zugleich die Weigerung, im Falle der Nichtnutzung der eGK die Leistungen für den Kläger einzustellen. Der als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Antrag auf Aufhebung des Bescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides sei zulässig, jedoch nicht begründet. Der angegriffene Bescheid sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Er habe keinen Anspruch auf unbegrenzte Nutzung der bisherigen Krankenversicherungskarte. § 291 Abs. 1 Satz 6 SGB V ermächtige die Krankenkassen zur Befristung der Gültigkeit. Dies diene der Missbrauchsabwehr und unterstütze eine wiederholende Stammdatenkontrolle im Interesse der Versichertengemeinschaft. Auch die Verkürzung der Gültigkeitsdauer sei nicht zu beanstanden. Auch der Feststellungsantrag sei unbegründet. Der Kläger sei nach § 15 Abs. 2 SGB V zur Nutzung der eGK verpflichtet.
Das Urteil ist dem Kläger am 13. Dezember 2013 zugestellt worden. Der Berufungsschriftsatz datiert vom 11. Januar 2014. Der Schriftsatz ist an das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, Försterweg 6, 14482 Potsdam, gerichtet. Das Schriftstück wurde in einem Umschlag vom SG am 13. Januar 2014 dem Hausbriefkasten entnommen und ungeöffnet an das hiesige Gericht weitergeleitet. Einen Eingangsstempel des SG enthält er nicht. Ausweislich des Eingangsstempels des hiesigen Gerichtes ist er am 15. Januar 2014 beim LSG Berlin-Brandenburg eingegangen.
Zur Begründung trägt der Kläger vor, er habe seine Berufung am 13. Januar 2014 fristgemäß beim SG eingereicht. Er hat in der Sache unter anderem auf die Missbrauchsanfälligkeit der geplanten Technologie hingewiesen. Gesetzlich Versicherte und privat Versicherte würden unter Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes verschieden behandelt. Personenbezogene Daten könnten durch Sicherheitsmaßnahmen bzw. Schutzmaßnahmen nicht geschützt werden. Das Foto der elektronischen Gesundheitskarte enthalte bereits jetzt den Schlüssel, um bisher bewährte Schutzmaßnahmen zu umgehen. Das Sicherheitskonzept der eGK sei veraltet, wie z. B. der Chaoscomputerclub dargelegt habe. Hacker könnten in die Netzwerke der Ärzte eindringen und dann die an sich geschützten Patientendaten auslesen.
Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. Dezember 2013 abzuändern, den Bescheid vom 15. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 2013 aufzuheben sowie festzustellen, dass der Kläger nicht zur Nutzung der elektronischen Gesundheitskarte verpflichtet ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig.
Die Berufungsfrist von einem Monat nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist eingehalten. Die Berufungsschrift ist zwar nicht, wie nach § 151 Abs. 1 SGG erforderlich, bis Montag, den 14. Januar 2014, beim hiesigen LSG eingelegt worden, sondern erst am darauffolgenden Tag. Allerdings ist nach § 151 Abs. 2 Satz 1 SGG die Berufungsfrist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist "bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt" wird. Von einem Einlegen beim Sozialgericht spätestens am 13. Januar 2014 ist hier auszugehen.
Es ist unschädlich, dass der Kläger seinen Berufungsschriftsatz nicht an das Gericht adressiert hat, bei welchem er das Schriftstück eingereicht hat. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass er die Berufung nur beim hiesigen Gericht einlegen wollte. Nur dann würde der Grundsatz eingreifen, dass die Einreichung bei einem falschen Gericht nicht fristwahrend ist, auch wenn dieses gehalten ist, den Schriftsatz im normalen Geschäftsgang weiterzuleiten (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer-Leitherer, SGG, 11. A. 2014, § 151Rdnr. 2a). Da er Berufung eingelegt hat, ist vielmehr hier davon auszugehen, dass es dem Kläger auf eine fristwahrende Einlegung ankam.
Der Berufung bleibt in der Sache Erfolg versagt.
Das Begehren des Klägers ist auf die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides gerichtet sowie auf die Feststellung, nicht zur Nutzung der eGK verpflichtet zu sein.
Die zulässige Klage ist jedoch unbegründet.
Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte in ihrer jetzigen Form und die derzeitigen Gesetze verletzen jedenfalls aktuell den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Senat folgt insoweit dem BSG im Urteil vom 18. November 2014 (B 1 KR 35/13 R; ebenso bereits Urteil des Senats vom 20. März 2015 –L 1 KR 18/14 juris).
Der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmungsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 2 Abs. 1 GG, welcher in der Pflicht zur Angabe bzw. zur Verfügung Stellung von Lichtbild und Unterschriftsleistung sowie der zur Identifikation dienenden Angaben von Namen, Geburtsdatum, Geschlecht, Anschrift, und Versichertennummer nach §§ 291 Abs. 2, 291a Abs. 2 S. 1 SGB V zu sehen ist, ist gerechtfertigt. Davon ist bereits das SG zutreffend ausgegangen. Der Kläger muss es nach der Gesetzeslage auch dulden, dass die Beklagte als Krankenkasse verpflichtet ist, Dienste anzubieten, mit denen die Leistungserbringer die Gültigkeit und die Aktualität der Versichertenstammdaten (Daten nach § 291 Abs. 1 und 2 SGB V) bei den Krankenkassen online überprüfen und auf der eGK aktualisieren können. Die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte, Einrichtungen und Zahnärzte prüfen bei der erstmaligen Inanspruchnahme ihrer Leistungen durch einen Versicherten im Quartal die Leistungspflicht der KK durch Nutzung der Dienste. Dazu ermöglichen sie den Online-Abgleich und die -Aktualisierung der auf der eGK gespeicherten Daten nach § 291 Abs. 1 und 2 SGB V mit den bei der Krankenkasse vorliegenden aktuellen Daten. Die Prüfungspflicht besteht ab dem Zeitpunkt, ab dem die Dienste nach § 291 Abs. 2b S 1 SGB V sowie die Anbindung an die Telematikinfrastruktur zur Verfügung stehen und die Vereinbarungen nach § 291a Abs. 7a und 7b SGB V geschlossen sind. § 15 Abs. 5 SGB V ist entsprechend anzuwenden (Online-Versichertenstammdatendienst oder Versichertenstammdatenmanagement; so -weitgehend wörtlich- BSG, a. a. O. Rdnr. 21)
Zwar wurzelt das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Bürgers im allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Grundrecht auf Menschenwürde und gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Der Einzelne hat jedoch kein Recht im Sinne einer absoluten, uneinschränkbaren Herrschaft über "seine" Daten. Er ist vielmehr eine sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft entfaltende, auf Kommunikation angewiesene Persönlichkeit. Informationen, auch soweit sie personenbezogen sind, stellen ein Abbild sozialer Realität dar, das nicht ausschließlich den Betroffenen allein zugeordnet werden kann. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verlangt insoweit, dass die Einschränkung des Rechts von hinreichenden Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt wird, das gewählte Mittel zur Erreichung des Zwecks geeignet und erforderlich ist und bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der rechtfertigenden Gründe die Grenze des Zumutbaren noch gewahrt ist (so zutreffend weitgehend wörtlich LSG Hessen, a. a. O.-Rdnr. 26ff mit Bezugnahme auf BVerfGE 65, 1, 41 f.; 56, 37, 41 ff. u. a.; bestätigt vom BSG, a. a. O. Rdnr. 20). Hier überwiegt das Allgemeininteresse an einer Funktionsfähigkeit des Sachleistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung im Verhältnis zur rechtlichen Betroffenheit des Klägers. Die Identifikationsfunktion des Lichtbilds auf der Karte wird benötigt, um eine missbräuchliche Verwendung möglichst einzuschränken (vgl. zur Funktion und rechtlichen Wirkung der Verwendung genauer: LSG Hessen, a. a.O. Rdnr. 24). Dies kann im Rahmen der Massenverwaltung nur funktionieren, wenn die in § 15 Abs. 2 SGB V vorgesehene Verfahrensweise ("Versicherte, die ärztliche oder zahnärztliche Behandlung in Anspruch nehmen, haben dem Arzt [Zahnarzt] vor Beginn der Behandlung ihre Krankenversichertenkarte zum Nachweis der Berechtigung zur Inanspruchnahme von Leistungen [ ] auszuhändigen") auch von allen Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung befolgt wird. Entsprechendes gilt für den Onlineabgleich der Versichertenstammdaten (vgl. BSG, a. a. O Rdnr.27).
Soweit der Kläger sich schon heute durch die künftigen in § 291a Abs. 2 Satz 1 2. HS SGB V und § 291a Abs. 3 Satz 1 SGB V vorgesehenen Anwendungsmöglichkeiten der eGK in eigenen Rechten verletzt sieht, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Dabei handelt es sich nicht um die Pflichtangaben der eGK, sondern um eine vom Gesetz vorgesehene Möglichkeit, auf freiwilliger Basis über die rein administrative Funktion der eGK Datenanwendungsmöglichkeiten zu nutzen. Bereits das Erheben als auch das Verarbeiten und Nutzen von Daten mittels der eGK ist in den Fällen des § 291a Abs. 3 Satz 1 SGB V nur mit dem Einverständnis der Versicherten zulässig, § 291a Abs. 5 Satz 1 SGB V. Dafür, dass trotz Fehlens seines Einverständnisses mit seiner eGK fakultative Daten erhoben, verarbeitet oder genutzt werden könnten, ist nichts ersichtlich. "Eine Rechtsverletzung des Klägers ist diesbezüglich ausgeschlossen, eine verfassungsrechtliche Überprüfung erübrigt sich. Selbst wenn bei fehlender Einwilligung im Einzelfall medizinische Daten rechtswidrig gespeichert würden, könnten Ärzte oder Dritte hiervon weitgehend keinen Gebrauch machen." (so BSG, a. a. O. Rdnr. 22).
Zur Datensicherheit führt das BSG aus (a. a. O. Rdnr. 34:)
Soweit der Kläger die Datensicherheit bezweifelt, begründet dies keine Grundrechtsverletzung. Die Rechtsordnung schützt bereits die betroffenen Daten vor unbefugtem Zugriff Dritter und vor missbräuchlicher Nutzung. So regelt § 291a Abs 6 SGB V - wie dargelegt - neben der Löschung das Gebot technischer Vorkehrungen für Zwecke der Datenschutzkontrolle. Er gebietet, die Protokolldaten durch geeignete Vorkehrungen gegen zweckfremde Verwendung und sonstigen Missbrauch zu schützen (vgl. § 291a Abs 6 S 5 SGB V). Das Gesetz erlegt - als institutionelle Sicherung - den einbezogenen Verbänden die Pflicht auf, die für die Einführung und Anwendung der eGK, insbesondere des elektronischen Rezeptes und der elektronischen Patientenakte, erforderliche interoperable und kompatible Informations-, Kommunikations- und Sicherheitsinfrastruktur (Telematikinfrastruktur) zu schaffen (vgl. § 291a Abs 7 S 1 SGB V). Sie nehmen diese Aufgabe durch eine Gesellschaft für Telematik nach Maßgabe des § 291b SGB V wahr (vgl § 291a Abs 7 S 2 SGB V). Die Rechtsordnung stellt zudem unberechtigte Zugriffe auf die Sozialdaten auf der elektronischen Gesundheitskarte nach § 291a SGB V unter Strafe (§ 307b SGB V). Dies schützt zusammen mit dem Bußgeldtatbestand in § 307 Abs 1 SGB V das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Ungeachtet aller Vorkehrungen trifft den Gesetzgeber eine Beobachtungspflicht, um auf sich künftig zeigende Sicherheitslücken zu reagieren. Der Kläger macht aber selbst nicht geltend, dass die derzeit noch gar nicht voll entwickelte, über das Teststadium nicht hinausreichende Telematikinfrastruktur Sicherheitslücken zeigt. Der bisherige Stand der Einführung der eGK ("Basis-Rollout") geht - abgesehen vom Lichtbild und der Angabe des Geschlechts bei den administrativen Versichertenstammdaten und gemessen an derzeit möglichen, mangels Telematikinfrastruktur aber noch nicht realisierbaren Funktionalitäten der eGK - nicht über die Anwendungsbreite der Krankenversichertenkarte hinaus ( )Die konkrete technische Entwicklung der Telematikinfrastruktur ist derzeit noch nicht abgeschlossen. Die Online-Anwendungen befinden sich noch in der Vorbereitungsphase.
Die vom Kläger angeführten Sicherheitsdefizite durch möglichen Datenmissbrauch und mangelndes Sicherheitsverständnis führen also aktuell nicht zu einer Verletzung eigener Rechte. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
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