Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 44 KR 334/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 23/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 9/04 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Revision der Beklagten zurückgewiesen durch Urteil vom 17.03.2005
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 23.01.2003 geändert. Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 08.04.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2002 verurteilt, die Klägerin von den Kosten der selbstbeschafften häuslichen Krankenpflege für die Zeit vom 01.04.2002 bis zum 30.06.2002 in Höhe von 1.563,38 Euro freizustellen. Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten des Verfahrens zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für Leistungen der Behandlungspflege.
Die bei der Beklagten versicherte Klägerin ist 1921 geboren. Bei ihr liegt ein demenzielles Syndrom mit Desorientiertheit sowie ein hirnorganisches Anfallsleiden vor. Sie bezieht aus der Pflegeversicherung Leistungen nach der Pflegestufe III; nach dem Pflegegutachten vom 22.06.1999 bestand ein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 245 Minuten, wobei seinerzeit die Nahrungsaufnahme fremdhilfebedürftig und zeitintensiv war. Seit März 2002 ist die Klägerin mit einer PEG-Sonde versorgt, über die sie die Nahrung erhält. Die Klägerin lebte im streitigen Zeitraum zusammen mit ihrem Ehemann in einem Haushalt.
Die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. X verordnete am 26.03.2002 Behandlungspflege in Gestalt von zweimal täglicher Medikamentengabe für die Zeit vom 01.04. bis 30.06.2002. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 08.04.2002 die Gewährung dieser Leistung ab. Grundsätzlich stelle die Medikamentengabe eine verordnungsfähige Leistung der häuslichen Krankenpflege dar, die zusätzlich zu den Leistungen der Pflegeversicherung erfolgen könne. Das Bundessozialgericht (BSG) habe aber nunmehr im Urteil vom 30.10.2001 (SozR 3-2500 § 37 Nr. 3) entschieden, dass medizinische Hilfeleistungen bei Pflegebedürftigen, die in untrennbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Grundpflege erfolgten, von der Krankenkasse nicht mehr gesondert zu vergüten seien. Die von der Rechtsprechung genannten Voraussetzungen für den Zusammenhang beider Leistungen lägen vor, denn nach dem Pflegegutachten werde Hilfe bei der mundgerechten Nahrungszubereitung/Nahrungsaufnahme benötigt, so dass die verordnete Maßnahme der Medikamentengabe in unmittelbarem Zusammenhang mit Leistungen der Pflegeversicherung stünden. Auf den Widerspruch der Klägerin befragte die Beklagte mit einem Vordruck Dr. X, ob die Medikamente im zeitlichen Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme genommen werden sollten. Dies bejahte Dr. X (Auskunft vom 05.06.2002), wobei sie darauf hinwies, da die Klägerin über ein PEG mit Sondenkost ernährt werde, die über 12 Stunden verteilt laufe, sei die Medikamentengabe von der Nahrungsaufnahme nicht zu trennen. Mit Widerspruchsbescheid vom 03.07.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Mit der am 11.07.2002 erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, es treffe nicht zu, dass Angehörige die Medikamentengabe vornehmen könnten (mit dieser Begründung hatte die Beklagte in dem Verfahren SG Dortmund S 44 KR 263/01 eine Leistungsgewährung für das erste Halbjahr 2001 abgelehnt). Die Beklagte gehe auch zu Unrecht davon aus, dass grundsätzlich die Medikamentengabe von den Leistungen der Pflegeversicherung umfasst sei. Das genannte Urteil des BSG könne nicht zu einer Änderung der bisherigen Praxis führen. Zudem seien beide Maßnahmen nicht untrennbar miteinander verbunden.
Das Sozialgericht hat Dr. X sowie die Leiterin des die Klägerin betreuenden Pflegedienstes, die Zeugin X1, vernommen. Dr. X hat bekundet, sie sei zunächst davon ausgegangen, dass der Ehemann der Klägerin die Medikamentengabe vornehmen könne. Später habe sie bei einem Test festgestellt, dass er dazu nicht in der Lage sei. Seit der Versorgung mit der PEG-Sonde erhalte die Klägerin die Medikamente kleingestampft mittels der Sonde. Da sie inbesondere ein Arzneimittel für den Magen erhalte, sei beim Legen der Sonde auch wichtig gewesen, dass sie die Medikamente erst nach den Mahlzeiten und nicht nüchtern einnehme. Die Zeugin X1 hat ausgesagt, nach ihrer Einschätzung sei der Ehemann nicht in der Lage gewesen, für die regelmäßige Medikamentengabe bei der Ehefrau zu sorgen. Seit März 2002 würden die Medikamente gemörsert und zusammen mit der Sondenkost mit der Sonde verabreicht. Auf nüchternen Magen könnten die Medikamente nicht gegeben werden, weil die Klägerin auch an einem Magengeschwür leide. Wegen der Einzelheiten der Aussagen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 25.09.2002 Bezug genommen.
Mit Urteil vom 23.01.2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Medikamentengabe könne nicht als Leistung der häuslichen Krankenpflege beansprucht werden, da diese Maßnahme in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Verrichtung aus dem Bereich der Grundpflege erfolge. Wegen des Magenleidens dürfe die Klägerin die Medikamente nicht auf nüchternen Magen einnehmen, so dass die gleichzeitige Verabreichung von Nahrung und Medikamenten aus medizinischen Gründen erforderlich sei.
Die Klägerin bezweifelt im Berufungsverfahren das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen beiden Maßnahmen. Sie weist insoweit darauf hin, die Medikamente würden nicht auf einmal über die Sonde, sondern dosiert verabreicht. Der Pflegedienst habe für die Monate April und Juni 2002 Kosten in Höhe von 515,58 Euro und für den Mai 2002 in Höhe von 532,58 Euro berechnet; eine Zahlung sei bisher nicht erfolgt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 23.01.2003 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 08.04.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2002 zu verurteilen, sie von den Kosten der häuslichen Krankenpflege für die Zeit vom 01.04. bis 30.06.2002 in Höhe von 1.563,38 Euro freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält unter Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Vortrag an ihrer Auffassung fest, dass die streitige Maßnahme der Behandlungspflege in einem untrennbaren Zusammenhang mit der Grundpflege stehe, so dass eine Leistungsgewährung aus der Krankenversicherung ausscheide.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet, denn das Sozialgericht hat zu Unrecht die Ablehnung des Antrags auf Behandlungspflege durch die Beklagte bestätigt. Die Klägerin hatte vielmehr einen Anspruch auf diese Leistung, so dass sie die Freistellung von den ihr durch die rechtswidrige Ablehnung entstandenen Kosten verlangen kann.
I. 1. Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) erhalten Versicherte in ihrem Haushalt als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (sog. Behandlungssicherungspflege). Dieser Anspruch auf häusliche Krankenpflege besteht, was auch die Beklagte grundsätzlich nicht in Frage stellt, neben den Leistungen bei häuslicher Pflege aus der gesetzlichen Pflegeversicherung. Die von Dr. X verordnete Medikamentengabe zählt zu den im Rahmen der Behandlungspflege verordnungsfähigen Leistungen (Nr. 26 der Anlage der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 vom 16.02.2000 (BAnz Nr. 91 vom 13.05.2000)). Die medizinische Notwendigkeit der Medikamentengabe steht unabhängig von der Ernährung der Klägerin über eine Sonde angesichts ihrer Desorientiertheit außer Zweifel. Ebensowenig ist der Anspruch nach § 37 Abs. 3 SGB V ausgeschlossen, weil der im Haushalt lebende Ehemann nach den eindeutigen Bekundungen der Zeuginnen Dr. X und X1 die Medikamente nicht verabreichen kann.
2. Die Leistungspflicht der Beklagten entfällt auch nicht deshalb, weil die benötigte Maßnahme der Behandlungspflege in die Hilfeleistung bei Verrichtungen der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) einbezogen und damit Gegenstand der Leistungspflicht der Pflegekasse ist.
a) Nach der Rechtsprechung des BSG zählen krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen zum Grundpflegebedarf nach § 14 Abs. 4 SGB XI, wenn eine solche Maßnahme entweder (a) untrennbarer Bestandteil einer Katalogverrichtung des § 14 Abs. 4 SGB XI ist oder (b) mit einer solchen Verrichtung objektiv notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang steht (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 9 S. 60; SozR 3-2500 § 37 Nr. 3 S. 26; "in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dieser Hilfe erforderlich wird", so die Formulierung zu (b) in BSGE 82, 276, 279; SozR 3-3300 § 14 Nr. 11 S. 80). Bei Erfüllung einer dieser Voraussetzungen ist der zeitliche Aufwand für die Maßnahme der Behandlungspflege bei der Ermittlung des Gesamtbedarfs für die Grundpflege bei der jeweiligen Verrichtung aus dem Katalog des § 14 Abs. 4 SGB XI mit einzubeziehen und kann sich somit auf die Stufe der Pflegebedürftigkeit (§ 15 Abs. 1, 3 SGB XI) auswirken.
b) Wird die Maßnahme der Behandlungspflege insoweit in die Leistungen der Pflegeversicherung einbezogen, soll nach der Entscheidung des BSG vom 30.10.2001 (a.a.O. S. 23) grundsätzlich ein dieselbe Maßnahme betreffender Anspruch auf häusliche Krankenpflege als Sachleistung der Krankenversicherung ausscheiden, weil sie nicht mehr i.S.d. § 12 Abs. 1 SGB V notwendig sei. Unabhängig davon, ob hier wegen der zeitgleichen Medikamentengabe mit der Verabreichung der Sondenkost die genannten Voraussetzungen für eine Einbeziehung der Maßnahme zu der Nahrungsaufnahme (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) gegeben ist, hat der Senat Bedenken, der Rechtsprechung des BSG in diesem Punkt zu folgen.
aa) Ausgangspunkt der Rechtsprechung des BSG für die Einbeziehung krankheitsspezifischer Hilfeleistungen in die Verrichtungen der Grundpflege war es, eine (begrenzte) Ausweitung des Grundpflegebedarfs im Rahmen der Pflegeversicherung zu ermöglichen. Im Urteil vom 19.02.1998 (BSGE 82, 27, 30 ff.) wird darauf hingewiesen, dass die volle Einbeziehung krankheitsspezifischer Pflegemaßnahmen zum pflegerelevanten Hilfebedarf sogar eher dem Ziel der Pflegeversicherung, die häusliche Pflege zu fördern, entspreche. Die Versicherten müssten entweder aus der Pflegeversicherung oder der Krankenversicherung die erforderlichen Leistungen erhalten, um die elementare Lebensführung zu Hause sicherzustellen. Wegen der Regelung in § 37 Abs. 3 SGB V entlasteten sich aber die Krankenversicherungsträger vielfach zu Lasten der pflegenden Angehörigen, so dass eigentlich konsequenterweise diese krankheitsspezifischen Maßnahmen bei der Bemessung des Pflegebedarfs berücksichtigt werden müssten. Dabei hat das BSG zugleich ausgeführt, dass der Begriff der Behandlungspflege ohnehin inhaltlich nicht eindeutig zu definieren sei. Es hat insoweit gemeint, eine "sachgerechte Gesetzesauslegung" erlaube es jedenfalls, Maßnahmen der Behandlungspflege im weitesten Sinne bei der Ermittlung des Pflegebedarfs zu berücksichtigen, wobei die in der Entscheidung zunächst genannten Kriterien für die Einbeziehung (zeitlicher Zusammenhang zwischen den Maßnahmen und Nichterforderlichkeit von Fachkunde, a.a.O. S. 34) in der weiteren Rechtsprechung im oben dargestellten Sinne präzisiert worden sind. Ziel der Entscheidung (und der weiteren Rechtsprechung) war es also, den Bereich der Grundpflege zu erweitern und Versicherten dadurch Leistungen aus der Pflegeversicherung einzuräumen.
bb) Soweit ersichtlich hat das Urteil vom 30.10.2001 (a.a.O.) erstmals dazu geführt, dass wegen dieser Erweiterung des Bereichs der Grundpflege eine Leistung der Krankenversicherung versagt worden ist. Zwar erscheint es auf den ersten Blick konsequent, dass eine krankheitsspezifische Pflegemaßnahme, die Bestandteil einer Pflegeverrichtung nach § 14 Abs. 4 SGB XI ist, als Behandlungspflege nach § 37 SGB V nicht in Betracht kommt (so Mrozynski in: Wannagat, Sozialgesetzbuch, § 37 SGB V Rdn. 26). Jedoch muss in diesem Zusammenhang der begrenzte Leistungsumfang der Pflegeversicherung berücksichtigt werden. Die Aussage, eine gesetzliche Leistung der Krankenversicherung sei i.S.d. § 12 Abs. 1 SGB V nicht notwendig, wenn sie bei den Leistungen der Pflegeversicherung berücksichtigt worden sei, trifft nur zu, wenn tatsächlich in der Pflegeversicherung unabhängig vom sonstigen Hilfebedarf bei den Katalogverrichtungen dieser medizinische "Mehraufwand" ausgeglichen wird. Dies ist jedoch in vielen Fällen nicht so. Das Gesetz sieht für die ambulanten Leistungen der Pflegeversicherung einen nach Pflegestufen (§ 15 Abs. 1, 3 SGB XI) gestaffelten Leistungsumfang vor (§§ 36 Abs. 3, 37 Abs. 1 Satz 3 SGB XI). Nach den festgelegten Obergrenzen für die einzelnen Pflegestufen können die Leistungen den Pflegebedarf allenfalls "in der Regel" (so die Begründung in BT-Drucksache 12/5262, 111 f.; kritisch dazu Kass.Komm. - Leitherer, § 36 SGB XI Rdn. 48) abdecken. Innerhalb der Pflegestufen ist es für den Leistungsumfang auch irrelevant, ob der Grundpflegebedarf am unteren oder am oberen Rand der in § 15 Abs. 3 SGB XI genannten weitgespannten Zeitgrenzen liegt. Somit wird vielfach die Berücksichtigung der krankheitsspezifischen Pflegemaßnahme bei einer Katalogverrichtung nicht zu einer Zuordnung zu einer höheren Pflegestufe und damit zu einer Erweiterung der Leistungen der Pflegeversicherung führen. Zudem wird angesichts der Obergrenzen für ambulante Leistungen schon der "reine" grundpflegerische Bedarf vielfach nicht vollständig durch die Leistungen der Pflegeversicherung gedeckt. Damit führt die Rechtsprechung des BSG in den meisten Fällen durch den generellen Ausschluss eines gesetzlich eingeräumten Leistungsanspruchs zu einer Belastung der Versicherten, denn die Versicherten müssten aus den begrenzten ambulanten Leistungen der Pflegeversicherung zusätzlich den medizinischen Hilfebedarf, der "eigentlich" über § 37 Abs. 2 SGB V abgedeckt werden soll, finanzieren. Dies macht der vorliegende Fall deutlich: Die Klägerin ist in die Pflegestufe III eingestuft, wobei nach dem letzten Pflegegutachten vom 22.06.1999 der Grundpflegebedarf ohne Berücksichtigung der Medikamentengabe (die damals offensichtlich schon zusätzlich durch den Pflegedienst erfolgte) 245 Minuten erreichte. Die Klägerin hat auch im Zeitraum von April bis Juni 2002 nicht nur von der Pflegekasse Pflegesachleistungen bis zum Höchstwert von 1.432,- Euro (§ 36 Abs. 3 Nr. 3 SGB XI) erhalten, sondern sogar insoweit zusätzlich Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz benötigt. Es ist somit offenkundig, dass hier eine im Zusammenhang mit einer Verrichtung der Grundpflege stehende medizinisch notwendige Medikamentengabe nicht von den Leistungen der Pflegeversicherung abgedeckt wird.
cc) Vor diesem Hintergrund kann die Notwendigkeit i.S.d. § 12 Abs. 1 SGB V für eine Leistung der häuslichen Krankenpflege nur dann verneint werden, wenn - was hier nicht der Fall ist - gleichzeitig durch die Einbeziehung der krankheitsspezifischen Maßnahme in die Grundpflege ein weitergehender Leistungsanspruch aus der Pflegeversicherung begründet wird. Andernfalls wird ohne gesetzliche Grundlage ein Rechtsanspruch auf die Leistungen nach § 37 Abs. 2 SGB V ausgeschlossen. Für eine solche Einschränkung spricht auch, dass ohnehin diese Rechtsprechung auf Grund der jetzt vom Gesetzgeber im GKV- Modernisierungsgesetz (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl. I, 2190) vorgenommenen Einfügung eines 2. Halbsatzes in § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V (Art. 1 Nr. 27 Buchst. a Doppelbuchst. aa) für die Zukunft aufgegeben werden muss. Das Gesetz zählt ab dem 01.01.2004 in Korrektur des Urteils des BSG vom 30.10.2001 (a.a.O.) ausdrücklich das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ab der Kompressionsklasse 2 auch dann zur Behandlungspflege, wenn der Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit berücksichtigt worden ist. Diese Ergänzung ist in den Ausschussberatungen vorgenommen worden (vgl. BT-Drucksache 15/1584, S. 6), in der Begründung (BT-Druckssache 15/1600, S. 13) heißt es dazu, die Krankenkassen könnten nunmehr nicht unter Hinweis auf die Berücksichtigung dieses Hilfebedarfs bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI ihre Leistungspflicht ablehnen. Mit der Regelung würden die Zweifelsfragen, die in der Praxis nach der Entscheidung des BSG von Oktober 2001 aufgetreten seien und die zu teilweise erheblichen finanziellen Belastungen der Pflegebedürftigen in häuslicher Pflege geführt hätten, zugunsten der Betroffenen geklärt. Wenn nunmehr der Gesetzgeber für eine bestimmte medizinische Hilfeleistung gleichzeitig Ansprüche sowohl gegen die Krankenkasse wie die Pflegekasse einräumt, kann für andere medizinische Hilfeleistungen nichts anderes gelten. Aus der gesetzlichen Regelung kann nicht gefolgert werden, dass in anderen Fällen des Zusammentreffens von krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen und Grundpflegeverrichtungen ein gleichzeitiger Anspruch ausgeschlossen sei. Der Umstand, dass (erstaunlich genug) eine gesetzliche Regelung für eine bestimmte Behandlungsmaßnahme erfolgt ist, erklärt sich offensichtlich allein daraus, dass der Gesetzgeber auf eine bestimmte gerichtliche Entscheidung reagiert hat (ohne - wie dies eigentlich von einem abstrakt-generellen Gesetz zu erwarten gewesen wäre - eine allgemeine Regelung zu treffen). Es wäre jedenfalls im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz angesichts der gesetzlichen Entscheidung kein sachlicher Grund für die Andersbehandlung anderer krankheitsspezifischer Pflegemaßnahmen ersichtlich.
dd) Ob tatsächlich, wie das Sozialgericht gemeint hat, die oben genannten Voraussetzungen für eine Zurechnung der Medikamentengabe zur Nahrungsaufnahme vorliegen, kann somit dahinstehen. Der bloße Umstand, dass die Medikamente wegen des Magenleidens der Klägerin nicht auf nüchternen Magen genommen werden dürfen, kann allerdings insoweit nicht entscheidend sein, da sich daraus noch nicht der medizinisch notwendige unmittelbare zeitliche Zusammenhang zur Nahrungsaufnahme ergibt (s. insoweit das Senatsurteil vom heutigen Tage in der Sache L 5 KR 139/03). Ob im Hinblick auf die Sondenernährung eine andere Beurteilung angezeigt ist, weil nach der Auskunft von Dr. X im Widerspruchsverfahren die Sondennahrung über 12 Stunden verteilt läuft, also die Medikamente rein faktisch im Zusammenhang mit der Nahrung gegeben werden müssen, braucht der Senat nicht zu entscheiden.
II. Wegen der rechtswidrigen Ablehnung der Leistung steht der Klägerin somit nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V für die selbstbeschaffte Leistung ein von dem Kostenerstattungsanspruch mit umfasster Freistellungsanspruch (s. insoweit BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 14) in Höhe des vom Pflegedienst berechneten Vergütungsanspruchs zu. Selbst wenn die vom Pflegedienst angegebenen Beträge über den "Vertragssätzen" der Beklagten liegen würden, hätte die Klägerin Anspruch auf Erstattung der ihr tatsächlich entstandenen Kosten (vgl. Kass.Komm. - Höfler, § 13 SGB V Rdn. 12). Die Beklagte hat auch eingeräumt, dass der Pflegedienst nach dem angewandten Vertrag nach § 132a SGB V ungeachtet der Abrechnungen nach Leistungsmodulen nicht gehindert ist, für Leistungen der Behandlungspflege eine gesonderte Vergütung zu fordern, auch wenn er gleichzeitig von der Pflegekasse vergütete Pflegesachleistungen erbringt. Somit hat der Pflegedienst selbst bei Anwendung dieses Vertrages im Verhältnis zwischen Klägerin und Pflegedienst zusätzlich einen Vergütungsanspruch gegen die Klägerin wegen der Medikamentengabe erworben, von dem die Beklagte die Klägerin freizustellen hat.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Senat hat die Revision zugelassen, da er von einer Entscheidung des BSG abweicht und er zudem dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG).
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für Leistungen der Behandlungspflege.
Die bei der Beklagten versicherte Klägerin ist 1921 geboren. Bei ihr liegt ein demenzielles Syndrom mit Desorientiertheit sowie ein hirnorganisches Anfallsleiden vor. Sie bezieht aus der Pflegeversicherung Leistungen nach der Pflegestufe III; nach dem Pflegegutachten vom 22.06.1999 bestand ein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 245 Minuten, wobei seinerzeit die Nahrungsaufnahme fremdhilfebedürftig und zeitintensiv war. Seit März 2002 ist die Klägerin mit einer PEG-Sonde versorgt, über die sie die Nahrung erhält. Die Klägerin lebte im streitigen Zeitraum zusammen mit ihrem Ehemann in einem Haushalt.
Die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. X verordnete am 26.03.2002 Behandlungspflege in Gestalt von zweimal täglicher Medikamentengabe für die Zeit vom 01.04. bis 30.06.2002. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 08.04.2002 die Gewährung dieser Leistung ab. Grundsätzlich stelle die Medikamentengabe eine verordnungsfähige Leistung der häuslichen Krankenpflege dar, die zusätzlich zu den Leistungen der Pflegeversicherung erfolgen könne. Das Bundessozialgericht (BSG) habe aber nunmehr im Urteil vom 30.10.2001 (SozR 3-2500 § 37 Nr. 3) entschieden, dass medizinische Hilfeleistungen bei Pflegebedürftigen, die in untrennbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Grundpflege erfolgten, von der Krankenkasse nicht mehr gesondert zu vergüten seien. Die von der Rechtsprechung genannten Voraussetzungen für den Zusammenhang beider Leistungen lägen vor, denn nach dem Pflegegutachten werde Hilfe bei der mundgerechten Nahrungszubereitung/Nahrungsaufnahme benötigt, so dass die verordnete Maßnahme der Medikamentengabe in unmittelbarem Zusammenhang mit Leistungen der Pflegeversicherung stünden. Auf den Widerspruch der Klägerin befragte die Beklagte mit einem Vordruck Dr. X, ob die Medikamente im zeitlichen Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme genommen werden sollten. Dies bejahte Dr. X (Auskunft vom 05.06.2002), wobei sie darauf hinwies, da die Klägerin über ein PEG mit Sondenkost ernährt werde, die über 12 Stunden verteilt laufe, sei die Medikamentengabe von der Nahrungsaufnahme nicht zu trennen. Mit Widerspruchsbescheid vom 03.07.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Mit der am 11.07.2002 erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, es treffe nicht zu, dass Angehörige die Medikamentengabe vornehmen könnten (mit dieser Begründung hatte die Beklagte in dem Verfahren SG Dortmund S 44 KR 263/01 eine Leistungsgewährung für das erste Halbjahr 2001 abgelehnt). Die Beklagte gehe auch zu Unrecht davon aus, dass grundsätzlich die Medikamentengabe von den Leistungen der Pflegeversicherung umfasst sei. Das genannte Urteil des BSG könne nicht zu einer Änderung der bisherigen Praxis führen. Zudem seien beide Maßnahmen nicht untrennbar miteinander verbunden.
Das Sozialgericht hat Dr. X sowie die Leiterin des die Klägerin betreuenden Pflegedienstes, die Zeugin X1, vernommen. Dr. X hat bekundet, sie sei zunächst davon ausgegangen, dass der Ehemann der Klägerin die Medikamentengabe vornehmen könne. Später habe sie bei einem Test festgestellt, dass er dazu nicht in der Lage sei. Seit der Versorgung mit der PEG-Sonde erhalte die Klägerin die Medikamente kleingestampft mittels der Sonde. Da sie inbesondere ein Arzneimittel für den Magen erhalte, sei beim Legen der Sonde auch wichtig gewesen, dass sie die Medikamente erst nach den Mahlzeiten und nicht nüchtern einnehme. Die Zeugin X1 hat ausgesagt, nach ihrer Einschätzung sei der Ehemann nicht in der Lage gewesen, für die regelmäßige Medikamentengabe bei der Ehefrau zu sorgen. Seit März 2002 würden die Medikamente gemörsert und zusammen mit der Sondenkost mit der Sonde verabreicht. Auf nüchternen Magen könnten die Medikamente nicht gegeben werden, weil die Klägerin auch an einem Magengeschwür leide. Wegen der Einzelheiten der Aussagen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 25.09.2002 Bezug genommen.
Mit Urteil vom 23.01.2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Medikamentengabe könne nicht als Leistung der häuslichen Krankenpflege beansprucht werden, da diese Maßnahme in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Verrichtung aus dem Bereich der Grundpflege erfolge. Wegen des Magenleidens dürfe die Klägerin die Medikamente nicht auf nüchternen Magen einnehmen, so dass die gleichzeitige Verabreichung von Nahrung und Medikamenten aus medizinischen Gründen erforderlich sei.
Die Klägerin bezweifelt im Berufungsverfahren das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen beiden Maßnahmen. Sie weist insoweit darauf hin, die Medikamente würden nicht auf einmal über die Sonde, sondern dosiert verabreicht. Der Pflegedienst habe für die Monate April und Juni 2002 Kosten in Höhe von 515,58 Euro und für den Mai 2002 in Höhe von 532,58 Euro berechnet; eine Zahlung sei bisher nicht erfolgt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 23.01.2003 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 08.04.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2002 zu verurteilen, sie von den Kosten der häuslichen Krankenpflege für die Zeit vom 01.04. bis 30.06.2002 in Höhe von 1.563,38 Euro freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält unter Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Vortrag an ihrer Auffassung fest, dass die streitige Maßnahme der Behandlungspflege in einem untrennbaren Zusammenhang mit der Grundpflege stehe, so dass eine Leistungsgewährung aus der Krankenversicherung ausscheide.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet, denn das Sozialgericht hat zu Unrecht die Ablehnung des Antrags auf Behandlungspflege durch die Beklagte bestätigt. Die Klägerin hatte vielmehr einen Anspruch auf diese Leistung, so dass sie die Freistellung von den ihr durch die rechtswidrige Ablehnung entstandenen Kosten verlangen kann.
I. 1. Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) erhalten Versicherte in ihrem Haushalt als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (sog. Behandlungssicherungspflege). Dieser Anspruch auf häusliche Krankenpflege besteht, was auch die Beklagte grundsätzlich nicht in Frage stellt, neben den Leistungen bei häuslicher Pflege aus der gesetzlichen Pflegeversicherung. Die von Dr. X verordnete Medikamentengabe zählt zu den im Rahmen der Behandlungspflege verordnungsfähigen Leistungen (Nr. 26 der Anlage der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 vom 16.02.2000 (BAnz Nr. 91 vom 13.05.2000)). Die medizinische Notwendigkeit der Medikamentengabe steht unabhängig von der Ernährung der Klägerin über eine Sonde angesichts ihrer Desorientiertheit außer Zweifel. Ebensowenig ist der Anspruch nach § 37 Abs. 3 SGB V ausgeschlossen, weil der im Haushalt lebende Ehemann nach den eindeutigen Bekundungen der Zeuginnen Dr. X und X1 die Medikamente nicht verabreichen kann.
2. Die Leistungspflicht der Beklagten entfällt auch nicht deshalb, weil die benötigte Maßnahme der Behandlungspflege in die Hilfeleistung bei Verrichtungen der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) einbezogen und damit Gegenstand der Leistungspflicht der Pflegekasse ist.
a) Nach der Rechtsprechung des BSG zählen krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen zum Grundpflegebedarf nach § 14 Abs. 4 SGB XI, wenn eine solche Maßnahme entweder (a) untrennbarer Bestandteil einer Katalogverrichtung des § 14 Abs. 4 SGB XI ist oder (b) mit einer solchen Verrichtung objektiv notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang steht (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 9 S. 60; SozR 3-2500 § 37 Nr. 3 S. 26; "in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dieser Hilfe erforderlich wird", so die Formulierung zu (b) in BSGE 82, 276, 279; SozR 3-3300 § 14 Nr. 11 S. 80). Bei Erfüllung einer dieser Voraussetzungen ist der zeitliche Aufwand für die Maßnahme der Behandlungspflege bei der Ermittlung des Gesamtbedarfs für die Grundpflege bei der jeweiligen Verrichtung aus dem Katalog des § 14 Abs. 4 SGB XI mit einzubeziehen und kann sich somit auf die Stufe der Pflegebedürftigkeit (§ 15 Abs. 1, 3 SGB XI) auswirken.
b) Wird die Maßnahme der Behandlungspflege insoweit in die Leistungen der Pflegeversicherung einbezogen, soll nach der Entscheidung des BSG vom 30.10.2001 (a.a.O. S. 23) grundsätzlich ein dieselbe Maßnahme betreffender Anspruch auf häusliche Krankenpflege als Sachleistung der Krankenversicherung ausscheiden, weil sie nicht mehr i.S.d. § 12 Abs. 1 SGB V notwendig sei. Unabhängig davon, ob hier wegen der zeitgleichen Medikamentengabe mit der Verabreichung der Sondenkost die genannten Voraussetzungen für eine Einbeziehung der Maßnahme zu der Nahrungsaufnahme (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) gegeben ist, hat der Senat Bedenken, der Rechtsprechung des BSG in diesem Punkt zu folgen.
aa) Ausgangspunkt der Rechtsprechung des BSG für die Einbeziehung krankheitsspezifischer Hilfeleistungen in die Verrichtungen der Grundpflege war es, eine (begrenzte) Ausweitung des Grundpflegebedarfs im Rahmen der Pflegeversicherung zu ermöglichen. Im Urteil vom 19.02.1998 (BSGE 82, 27, 30 ff.) wird darauf hingewiesen, dass die volle Einbeziehung krankheitsspezifischer Pflegemaßnahmen zum pflegerelevanten Hilfebedarf sogar eher dem Ziel der Pflegeversicherung, die häusliche Pflege zu fördern, entspreche. Die Versicherten müssten entweder aus der Pflegeversicherung oder der Krankenversicherung die erforderlichen Leistungen erhalten, um die elementare Lebensführung zu Hause sicherzustellen. Wegen der Regelung in § 37 Abs. 3 SGB V entlasteten sich aber die Krankenversicherungsträger vielfach zu Lasten der pflegenden Angehörigen, so dass eigentlich konsequenterweise diese krankheitsspezifischen Maßnahmen bei der Bemessung des Pflegebedarfs berücksichtigt werden müssten. Dabei hat das BSG zugleich ausgeführt, dass der Begriff der Behandlungspflege ohnehin inhaltlich nicht eindeutig zu definieren sei. Es hat insoweit gemeint, eine "sachgerechte Gesetzesauslegung" erlaube es jedenfalls, Maßnahmen der Behandlungspflege im weitesten Sinne bei der Ermittlung des Pflegebedarfs zu berücksichtigen, wobei die in der Entscheidung zunächst genannten Kriterien für die Einbeziehung (zeitlicher Zusammenhang zwischen den Maßnahmen und Nichterforderlichkeit von Fachkunde, a.a.O. S. 34) in der weiteren Rechtsprechung im oben dargestellten Sinne präzisiert worden sind. Ziel der Entscheidung (und der weiteren Rechtsprechung) war es also, den Bereich der Grundpflege zu erweitern und Versicherten dadurch Leistungen aus der Pflegeversicherung einzuräumen.
bb) Soweit ersichtlich hat das Urteil vom 30.10.2001 (a.a.O.) erstmals dazu geführt, dass wegen dieser Erweiterung des Bereichs der Grundpflege eine Leistung der Krankenversicherung versagt worden ist. Zwar erscheint es auf den ersten Blick konsequent, dass eine krankheitsspezifische Pflegemaßnahme, die Bestandteil einer Pflegeverrichtung nach § 14 Abs. 4 SGB XI ist, als Behandlungspflege nach § 37 SGB V nicht in Betracht kommt (so Mrozynski in: Wannagat, Sozialgesetzbuch, § 37 SGB V Rdn. 26). Jedoch muss in diesem Zusammenhang der begrenzte Leistungsumfang der Pflegeversicherung berücksichtigt werden. Die Aussage, eine gesetzliche Leistung der Krankenversicherung sei i.S.d. § 12 Abs. 1 SGB V nicht notwendig, wenn sie bei den Leistungen der Pflegeversicherung berücksichtigt worden sei, trifft nur zu, wenn tatsächlich in der Pflegeversicherung unabhängig vom sonstigen Hilfebedarf bei den Katalogverrichtungen dieser medizinische "Mehraufwand" ausgeglichen wird. Dies ist jedoch in vielen Fällen nicht so. Das Gesetz sieht für die ambulanten Leistungen der Pflegeversicherung einen nach Pflegestufen (§ 15 Abs. 1, 3 SGB XI) gestaffelten Leistungsumfang vor (§§ 36 Abs. 3, 37 Abs. 1 Satz 3 SGB XI). Nach den festgelegten Obergrenzen für die einzelnen Pflegestufen können die Leistungen den Pflegebedarf allenfalls "in der Regel" (so die Begründung in BT-Drucksache 12/5262, 111 f.; kritisch dazu Kass.Komm. - Leitherer, § 36 SGB XI Rdn. 48) abdecken. Innerhalb der Pflegestufen ist es für den Leistungsumfang auch irrelevant, ob der Grundpflegebedarf am unteren oder am oberen Rand der in § 15 Abs. 3 SGB XI genannten weitgespannten Zeitgrenzen liegt. Somit wird vielfach die Berücksichtigung der krankheitsspezifischen Pflegemaßnahme bei einer Katalogverrichtung nicht zu einer Zuordnung zu einer höheren Pflegestufe und damit zu einer Erweiterung der Leistungen der Pflegeversicherung führen. Zudem wird angesichts der Obergrenzen für ambulante Leistungen schon der "reine" grundpflegerische Bedarf vielfach nicht vollständig durch die Leistungen der Pflegeversicherung gedeckt. Damit führt die Rechtsprechung des BSG in den meisten Fällen durch den generellen Ausschluss eines gesetzlich eingeräumten Leistungsanspruchs zu einer Belastung der Versicherten, denn die Versicherten müssten aus den begrenzten ambulanten Leistungen der Pflegeversicherung zusätzlich den medizinischen Hilfebedarf, der "eigentlich" über § 37 Abs. 2 SGB V abgedeckt werden soll, finanzieren. Dies macht der vorliegende Fall deutlich: Die Klägerin ist in die Pflegestufe III eingestuft, wobei nach dem letzten Pflegegutachten vom 22.06.1999 der Grundpflegebedarf ohne Berücksichtigung der Medikamentengabe (die damals offensichtlich schon zusätzlich durch den Pflegedienst erfolgte) 245 Minuten erreichte. Die Klägerin hat auch im Zeitraum von April bis Juni 2002 nicht nur von der Pflegekasse Pflegesachleistungen bis zum Höchstwert von 1.432,- Euro (§ 36 Abs. 3 Nr. 3 SGB XI) erhalten, sondern sogar insoweit zusätzlich Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz benötigt. Es ist somit offenkundig, dass hier eine im Zusammenhang mit einer Verrichtung der Grundpflege stehende medizinisch notwendige Medikamentengabe nicht von den Leistungen der Pflegeversicherung abgedeckt wird.
cc) Vor diesem Hintergrund kann die Notwendigkeit i.S.d. § 12 Abs. 1 SGB V für eine Leistung der häuslichen Krankenpflege nur dann verneint werden, wenn - was hier nicht der Fall ist - gleichzeitig durch die Einbeziehung der krankheitsspezifischen Maßnahme in die Grundpflege ein weitergehender Leistungsanspruch aus der Pflegeversicherung begründet wird. Andernfalls wird ohne gesetzliche Grundlage ein Rechtsanspruch auf die Leistungen nach § 37 Abs. 2 SGB V ausgeschlossen. Für eine solche Einschränkung spricht auch, dass ohnehin diese Rechtsprechung auf Grund der jetzt vom Gesetzgeber im GKV- Modernisierungsgesetz (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl. I, 2190) vorgenommenen Einfügung eines 2. Halbsatzes in § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V (Art. 1 Nr. 27 Buchst. a Doppelbuchst. aa) für die Zukunft aufgegeben werden muss. Das Gesetz zählt ab dem 01.01.2004 in Korrektur des Urteils des BSG vom 30.10.2001 (a.a.O.) ausdrücklich das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ab der Kompressionsklasse 2 auch dann zur Behandlungspflege, wenn der Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit berücksichtigt worden ist. Diese Ergänzung ist in den Ausschussberatungen vorgenommen worden (vgl. BT-Drucksache 15/1584, S. 6), in der Begründung (BT-Druckssache 15/1600, S. 13) heißt es dazu, die Krankenkassen könnten nunmehr nicht unter Hinweis auf die Berücksichtigung dieses Hilfebedarfs bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI ihre Leistungspflicht ablehnen. Mit der Regelung würden die Zweifelsfragen, die in der Praxis nach der Entscheidung des BSG von Oktober 2001 aufgetreten seien und die zu teilweise erheblichen finanziellen Belastungen der Pflegebedürftigen in häuslicher Pflege geführt hätten, zugunsten der Betroffenen geklärt. Wenn nunmehr der Gesetzgeber für eine bestimmte medizinische Hilfeleistung gleichzeitig Ansprüche sowohl gegen die Krankenkasse wie die Pflegekasse einräumt, kann für andere medizinische Hilfeleistungen nichts anderes gelten. Aus der gesetzlichen Regelung kann nicht gefolgert werden, dass in anderen Fällen des Zusammentreffens von krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen und Grundpflegeverrichtungen ein gleichzeitiger Anspruch ausgeschlossen sei. Der Umstand, dass (erstaunlich genug) eine gesetzliche Regelung für eine bestimmte Behandlungsmaßnahme erfolgt ist, erklärt sich offensichtlich allein daraus, dass der Gesetzgeber auf eine bestimmte gerichtliche Entscheidung reagiert hat (ohne - wie dies eigentlich von einem abstrakt-generellen Gesetz zu erwarten gewesen wäre - eine allgemeine Regelung zu treffen). Es wäre jedenfalls im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz angesichts der gesetzlichen Entscheidung kein sachlicher Grund für die Andersbehandlung anderer krankheitsspezifischer Pflegemaßnahmen ersichtlich.
dd) Ob tatsächlich, wie das Sozialgericht gemeint hat, die oben genannten Voraussetzungen für eine Zurechnung der Medikamentengabe zur Nahrungsaufnahme vorliegen, kann somit dahinstehen. Der bloße Umstand, dass die Medikamente wegen des Magenleidens der Klägerin nicht auf nüchternen Magen genommen werden dürfen, kann allerdings insoweit nicht entscheidend sein, da sich daraus noch nicht der medizinisch notwendige unmittelbare zeitliche Zusammenhang zur Nahrungsaufnahme ergibt (s. insoweit das Senatsurteil vom heutigen Tage in der Sache L 5 KR 139/03). Ob im Hinblick auf die Sondenernährung eine andere Beurteilung angezeigt ist, weil nach der Auskunft von Dr. X im Widerspruchsverfahren die Sondennahrung über 12 Stunden verteilt läuft, also die Medikamente rein faktisch im Zusammenhang mit der Nahrung gegeben werden müssen, braucht der Senat nicht zu entscheiden.
II. Wegen der rechtswidrigen Ablehnung der Leistung steht der Klägerin somit nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V für die selbstbeschaffte Leistung ein von dem Kostenerstattungsanspruch mit umfasster Freistellungsanspruch (s. insoweit BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 14) in Höhe des vom Pflegedienst berechneten Vergütungsanspruchs zu. Selbst wenn die vom Pflegedienst angegebenen Beträge über den "Vertragssätzen" der Beklagten liegen würden, hätte die Klägerin Anspruch auf Erstattung der ihr tatsächlich entstandenen Kosten (vgl. Kass.Komm. - Höfler, § 13 SGB V Rdn. 12). Die Beklagte hat auch eingeräumt, dass der Pflegedienst nach dem angewandten Vertrag nach § 132a SGB V ungeachtet der Abrechnungen nach Leistungsmodulen nicht gehindert ist, für Leistungen der Behandlungspflege eine gesonderte Vergütung zu fordern, auch wenn er gleichzeitig von der Pflegekasse vergütete Pflegesachleistungen erbringt. Somit hat der Pflegedienst selbst bei Anwendung dieses Vertrages im Verhältnis zwischen Klägerin und Pflegedienst zusätzlich einen Vergütungsanspruch gegen die Klägerin wegen der Medikamentengabe erworben, von dem die Beklagte die Klägerin freizustellen hat.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Senat hat die Revision zugelassen, da er von einer Entscheidung des BSG abweicht und er zudem dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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