Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 3 KR 98/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid der Beklagten vom 07.08.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2015 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Antrag des Klägers auf Kostenübernahme für eine bariatrische Operation vom 28.10.2013 als genehmigt gilt. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme für eine bariatrische Operation.
Der 1968 geborene Kläger ist bei der Beklagten gegen Krankheit versichert. Er leidet unter u.a. an Adipositas und einer Erkrankung des Bewegungsapparates. Bei einer Körpergröße von ca. 180 cm beträgt sein Gewicht ca. 190 kg.
Mit Schreiben vom 28.10.2013 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine bariatrische Operation (Magenbypass). Er gab an, konventionelle Maßnahmen der Gewichtsreduzierung hätten bisher keinen Erfolg gehabt.
Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 05.11.2013 mit, man beabsichtige den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) einzuschalten. Vorher solle der Kläger weitere Unterlagen in Form von ausgefüllten Fragebögen einreichen.
Die geforderten Unterlagen reicht der Kläger bei der Beklagten im April bzw. Mai 2014 ein.
Am 12.05.2014 wurde der Kläger zu einer Untersuchung beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) eingeladen.
Dr. X (MDK) kam in seinem Gutachten vom 04.07.2014 nach persönlicher Untersuchung des Klägers am 27.05.2014 zu dem Ergebnis, der Kläger könne weiterhin auf konventionelle Methoden zur Gewichtsreduzierung verwiesen werden.
Mit Bescheid vom 07.08.2014 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag des Klägers ab.
Hiergegen hat der Kläger Widerspruch eingelegt und ärztliche Stellungnahmen von Prof. Dr. G (St.-G1-Hospital C) und von Dr. O vorgelegt, die die streitige Operation befürworteten.
Dr. M (MDK) bestätigte in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 23.10.2014 die Einschätzung von Dr. X vom 04.07.2014
Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.01.2015 als unbegründet zurück. Sie führt aus, der Kläger könne auf konventionelle Behandlungsmethoden zur Gewichtsreduzierung entsprechend eines Basisprogramms nach den Leitlinien der Deutschen Adipositas Gesellschaft verwiesen werden.
Am 25.02.2015 hat der Kläger Klage erhoben. Er vertritt die Auffassung, der Leistungsantrag gelte als genehmigt, da die Beklagte nicht innerhalb der gesetzlichen Fristen hierüber entschieden habe.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Bescheid der Beklagten vom 07.08.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2015 aufzuheben und festzustellen, dass sein Antrag auf Kostenübernahme für eine bariatrische Operation vom 28.10.2013 als genehmigt gilt.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung ihres Antrages bezieht sich die Beklagte auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide. Darüber hinaus macht sie geltend, eine verspätete Entscheidung über den Leistungsantrag führe nicht zu einem Anspruch auf eine nicht notwendige bariatrische Operation.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen. Die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten waren Gegenstand der Entscheidung.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.
Die Klage ist zulässig. Richtige Klageart ist gemäß §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage. Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung, dass sein Antrag auf Kostenübernahme für eine bariatrische Operation als genehmigt gilt. Als berechtigt gilt ein Interesse jeglicher wirtschaftlicher und ideeller Art. Es besteht insbesondere bei Unsicherheit über die Rechtslage. Hier bestreitet die Beklagte einen Leistungsanspruch des Klägers, was ein Feststellungsinteresse begründet.
Die Klage ist auch begründet. Durch die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) gilt der Antrag des Klägers auf Kostenübernahme für eine bariatrische Operation als genehmigt. Der dem entgegenstehende Bescheid der Beklagten vom 07.08.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger dadurch gemäß § 54 Abs. 2 SGG in seinen Rechten.
Gemäß §§ 11 Abs. 1, 27 Abs. 1 SGB V haben gesetzlich Versicherte Anspruch auf Behandlung einer Krankheit. Nach § 12 Abs. 1 SGB V muss die Behandlung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Die beim Kläger diagnostizierte Adipositas stellt eine behandlungsbedürftige Erkrankung dar. Eine Krankheit im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht. Einigkeit besteht in der Medizin darüber, dass bei starkem Übergewicht eine Behandlung mit dem Ziel der Gewichtsreduktion erforderlich ist, weil andernfalls ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Begleit- und Folgeerkrankungen wie Stoffwechselerkrankungen, Herz- und Kreislauferkrankungen, Atemwegserkrankungen, gastrointestinale Erkrankungen, Krankheiten des Bewegungsapparates und bösartige Neubildungen besteht. Erfordert die Adipositas mithin eine ärztliche Behandlung, so belegt dies nach Auffassung der Kammer zugleich die Regelwidrigkeit des bestehenden Zustands und damit das Vorliegen einer Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der die Kammer folgt, kann die Leistungspflicht für eine chirurgische Therapie dieser Krankheit nicht mit der Erwägung verneint werden, dass für das Übergewicht das krankhafte Essverhalten des Patienten und nicht eine Funktionsstörung des Magens verantwortlich ist (vgl. BSG Urteil vom 19.02.2003, B 1 KR 1/02 R; SozR 4 - 2500 § 137 c Nr. 1). Zwar stellt die operative Verkleinerung bzw. Veränderung des Magens keine kausale Behandlung dar, vielmehr soll damit die Verhaltensstörung des Klägers durch eine zwangsweise Begrenzung der Nahrungsmenge lediglich indirekt beeinflusst werden. Eine solche mittelbare Therapie wird jedoch vom Leistungsanspruch grundsätzlich mit umfasst, wenn sie ansonsten die in §§ 2 Abs. 1 S. 3, 12 Abs. 1 SGB V aufgestellten Anforderungen erfüllt, also ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist sowie dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht. Für chirurgische Eingriffe hat das BSG diesen Grundsatz jedoch eingeschränkt, wenn durch eine Operation in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen und dieses regelwidrig verändert wird, wie das bei einer bariatrischen Operation geschieht. In diesem Fall bedarf die mittelbare Behandlung einer speziellen Rechtfertigung, wobei die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen sind (vgl. BSG, Urteil vom 06.10.1999, B 1 KR 13/97 R; SozR 3 - 2500 § 28 Nr. 4). Nachdem ein operativer Eingriff stets mit einem erheblichen Risiko (Narkose, unerwünschte Operationsfolgen) verbunden ist, darf eine chirurgische Behandlung wie die bariatrische Operation stets nur die Ultima Ratio sein. Sie kommt nur bei Erfüllung einer Reihe von Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung in Betracht. Dies bedeutet, dass vor einer Operation grundsätzlich sämtliche konservative Behandlungsalternativen durchzuführen sind.
Ob ein materiell-rechtlicher Anspruch auf eine bariatrische Operation besteht, kann im Ergebnis offen bleiben.
Der Leistungsanspruch des Klägers ergibt sich vorliegend aufgrund einer Genehmigungsfiktion. Maßgebliche Vorschrift ist hier § 13 Abs. 3a SGB V, welche mit Wirkung vom 26.02.2013 durch Art. 2 Nr. 1 i.V.m. Art. 5 des Patientenrechtegesetzes vom 20.02.2013 (Bundesgesetzblatt I, S. 277 bis 282) eingefügt worden ist. Die Sätze 1 bis 7 der Norm haben folgenden Wortlaut: "Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von 3 Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachterliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst) eingeholt wird, innerhalb von 5 Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von 3 Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von 6 Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von 4 Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies dem Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet."
Vorliegend ist der Antrag des Klägers bei der Beklagten spätestens am 05.11.2014 eingegangen. Die vom Kläger auf Aufforderung der Beklagten nachgereichten Unterlagen lagen dieser spätestens am 12.05.2014 vor. Die Entscheidungsfristen für die Krankenkassen nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V sind nach §§ 26 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1, 187, 188 und 193 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu bestimmen. Die Frist beginnt, da der sie auslösende "Antragseingang" ein Ereignis im Sinne des § 187 Abs. 1 BGB darstellt, am folgenden Tage. Nach § 188 Abs. 2 Satz 1 BGB enden die Wochenfristen grundsätzlich mit dem Ablauf des Tages, der nach seiner Benennung dem Tag des Antragseingang entspricht (vgl. Hauck/Noftz, SGB V, § 13 Rz. 50i). Der Antrag des Klägers war spätestens am 12.05.2014 vollständig, hinreichend bestimmt und bei der richtigen Krankenkasse gestellt. Die Entscheidungsfrist begann damit spätestens am 13.05.2014. Die Beklagte hat innerhalb der Fristen des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V nicht über den Leistungsantrag des Klägers entschieden. Sie hat dem Kläger auch nicht schriftlich mitgeteilt, dass sie es innerhalb der gesetzlichen Fristen nicht schafft, über den Antrag zu entscheiden. Die hinreichende Mitteilung über Gründe der Verzögerung im Sinne des § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V setzt zwingend eine ausdrückliche schriftliche Klarstellung voraus, welche gesetzliche Entscheidungsfrist einschlägig ist und warum diese ggf. nicht eingehalten werden kann (vgl. Sozialgericht Gießen, Urteil vom 26.06.2015, S 7 KR 429/14; zitiert nach www.juris.de). Die Ablehnungsentscheidung der Beklagten vom 07.08.2014 war verspätet. Der Leistungsantrag des Klägers gilt nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V als genehmigt.
Durch die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V gilt die Genehmigung der beantragten Leistung durch einen fingierten Verwaltungsakt als erlassen. Die Leistungsberechtigung des Antragstellers ist wirksam verfügt und die Krankenkasse ist mit allen Einwendungen, insbesondere im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V ausgeschlossen (vgl. Landessozialgericht für das Saarland, Urteil vom 17.06.2015, L 2 KR 180/14, Revision beim BSG unter dem Aktenzeichen B 1 KR 25/15 R anhängig; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.05.2014, L 5 KR 222/14 B ER; Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 20.01.2016, L 5 KR 238/15 B ER; zitiert nach www.juris.de). Der vom 16. Senat des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen im Beschluss vom 26.05.2014 (L 16 KR 154/14 B ER; zitiert nach www.juris.de) vertretenen Auffassung, wonach die Genehmigungsfiktion nur dann eingreift, wenn eine grundsätzlich von der Krankenkasse innerhalb des Leistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung geschuldete Leistung dem Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V entspricht, folgt die Kammer nicht. Der Sanktionsgrund des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V würde leerlaufen, wenn die beklagte Krankenkasse nach Nichtbeachtung der in § 13 Abs. 3a SGB V genannten Vorgehensweise im weiteren (Klage-) Verfahren mit Erfolg einwenden könnte, die beantragte Leistung hätte im konkreten Fall nicht bewilligt werden dürfen (vgl. Sozialgericht Düsseldorf, Urteil vom 02.03.2015, S 9 KR 903/14; Sozialgericht Lüneburg, Urteil vom 17.02.2015, S 16 KR 96/14; Sozialgericht Gelsenkirchen, Urteil vom 05.02.2015, S 17 KR 524/14; zitiert nach www.juris.de). Zudem hätte bei einer solchen Auslegung ein Versicherter, ungeachtet eines Verstoßes der Krankenkasse gegen die in § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V normierten Hinweispflicht, keine Gewissheit, dass die beantragte Leistung von der Krankenkasse bezahlt oder zumindest die Kosten hierfür erstattet werden. Dies kann nicht Sinn und Zweck des Patientenrechtegesetzes gewesen sein, welches gerade darauf abzielt, die Rechte der Patienten zu stärken (vgl. Sozialgericht Heilbronn, Urteil vom 10.03.2015, S 11 KR 2425/14; zitiert nach www.juris.de).
Die Genehmigungsfiktion gilt auch nicht nur für Kostenerstattungsansprüche. Nach dem klaren Wortlaut der Norm gewähren Satz 6 und Satz 7 mittels einer Genehmigungsfiktion einen Sachleistungsanspruch oder einen Kostenerstattungsanspruch. Zwar hatte der Gesetzgeber zunächst lediglich einen Kostenerstattungsanspruch für erforderliche Leistungen ins Auge gefasst, wie es sich aus dem Entwurf des Patientenrechtegesetzes ergibt (vgl. Bundesrats-Drucksache 312/12, S. 46; Bundestags-Drucksache 17/10488, S. 32). Nachdem durch den Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestags im November 2012 mit dem Satz 6 eine Genehmigungsfiktion der Leistungen bei Nichteinhaltung der Fristen neben der in Satz 7 geregelten Kostenerstattung aufgenommen worden war (vgl. Bundestags-Drucksache 17/11710, S. 30), um es dem Versicherten zu erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen, wurden Satz 6 und Satz 7 in der Gesetzesänderung aufgenommen. Beide Sätze stehen ihrem Wortlaut nach gleichberechtigt nebeneinander. Wäre der Geltungsbereich des § 13 Abs. 3a SGB V lediglich auf einen Kostenerstattungsanspruch beschränkt, käme Satz 6 kein eigener Regelungsgehalt zu. Zudem schlösse eine solche Auslegung mittellose Versicherte, die nach Ablauf der Frist nicht in der Lage sind, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, entgegen des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz praktisch aus dem Schutzbereich des § 13 Abs. 3a SGB V aus (vgl. Sozialgericht Marburg, Urteil vom 15.01.2015, S 6 KR 160/13; andere Auffassung: Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 10.12.2015, L 1 KR 413/14; zitiert nach www.juris.de).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme für eine bariatrische Operation.
Der 1968 geborene Kläger ist bei der Beklagten gegen Krankheit versichert. Er leidet unter u.a. an Adipositas und einer Erkrankung des Bewegungsapparates. Bei einer Körpergröße von ca. 180 cm beträgt sein Gewicht ca. 190 kg.
Mit Schreiben vom 28.10.2013 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine bariatrische Operation (Magenbypass). Er gab an, konventionelle Maßnahmen der Gewichtsreduzierung hätten bisher keinen Erfolg gehabt.
Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 05.11.2013 mit, man beabsichtige den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) einzuschalten. Vorher solle der Kläger weitere Unterlagen in Form von ausgefüllten Fragebögen einreichen.
Die geforderten Unterlagen reicht der Kläger bei der Beklagten im April bzw. Mai 2014 ein.
Am 12.05.2014 wurde der Kläger zu einer Untersuchung beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) eingeladen.
Dr. X (MDK) kam in seinem Gutachten vom 04.07.2014 nach persönlicher Untersuchung des Klägers am 27.05.2014 zu dem Ergebnis, der Kläger könne weiterhin auf konventionelle Methoden zur Gewichtsreduzierung verwiesen werden.
Mit Bescheid vom 07.08.2014 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag des Klägers ab.
Hiergegen hat der Kläger Widerspruch eingelegt und ärztliche Stellungnahmen von Prof. Dr. G (St.-G1-Hospital C) und von Dr. O vorgelegt, die die streitige Operation befürworteten.
Dr. M (MDK) bestätigte in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 23.10.2014 die Einschätzung von Dr. X vom 04.07.2014
Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.01.2015 als unbegründet zurück. Sie führt aus, der Kläger könne auf konventionelle Behandlungsmethoden zur Gewichtsreduzierung entsprechend eines Basisprogramms nach den Leitlinien der Deutschen Adipositas Gesellschaft verwiesen werden.
Am 25.02.2015 hat der Kläger Klage erhoben. Er vertritt die Auffassung, der Leistungsantrag gelte als genehmigt, da die Beklagte nicht innerhalb der gesetzlichen Fristen hierüber entschieden habe.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Bescheid der Beklagten vom 07.08.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2015 aufzuheben und festzustellen, dass sein Antrag auf Kostenübernahme für eine bariatrische Operation vom 28.10.2013 als genehmigt gilt.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung ihres Antrages bezieht sich die Beklagte auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide. Darüber hinaus macht sie geltend, eine verspätete Entscheidung über den Leistungsantrag führe nicht zu einem Anspruch auf eine nicht notwendige bariatrische Operation.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen. Die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten waren Gegenstand der Entscheidung.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.
Die Klage ist zulässig. Richtige Klageart ist gemäß §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage. Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung, dass sein Antrag auf Kostenübernahme für eine bariatrische Operation als genehmigt gilt. Als berechtigt gilt ein Interesse jeglicher wirtschaftlicher und ideeller Art. Es besteht insbesondere bei Unsicherheit über die Rechtslage. Hier bestreitet die Beklagte einen Leistungsanspruch des Klägers, was ein Feststellungsinteresse begründet.
Die Klage ist auch begründet. Durch die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) gilt der Antrag des Klägers auf Kostenübernahme für eine bariatrische Operation als genehmigt. Der dem entgegenstehende Bescheid der Beklagten vom 07.08.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger dadurch gemäß § 54 Abs. 2 SGG in seinen Rechten.
Gemäß §§ 11 Abs. 1, 27 Abs. 1 SGB V haben gesetzlich Versicherte Anspruch auf Behandlung einer Krankheit. Nach § 12 Abs. 1 SGB V muss die Behandlung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Die beim Kläger diagnostizierte Adipositas stellt eine behandlungsbedürftige Erkrankung dar. Eine Krankheit im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht. Einigkeit besteht in der Medizin darüber, dass bei starkem Übergewicht eine Behandlung mit dem Ziel der Gewichtsreduktion erforderlich ist, weil andernfalls ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Begleit- und Folgeerkrankungen wie Stoffwechselerkrankungen, Herz- und Kreislauferkrankungen, Atemwegserkrankungen, gastrointestinale Erkrankungen, Krankheiten des Bewegungsapparates und bösartige Neubildungen besteht. Erfordert die Adipositas mithin eine ärztliche Behandlung, so belegt dies nach Auffassung der Kammer zugleich die Regelwidrigkeit des bestehenden Zustands und damit das Vorliegen einer Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der die Kammer folgt, kann die Leistungspflicht für eine chirurgische Therapie dieser Krankheit nicht mit der Erwägung verneint werden, dass für das Übergewicht das krankhafte Essverhalten des Patienten und nicht eine Funktionsstörung des Magens verantwortlich ist (vgl. BSG Urteil vom 19.02.2003, B 1 KR 1/02 R; SozR 4 - 2500 § 137 c Nr. 1). Zwar stellt die operative Verkleinerung bzw. Veränderung des Magens keine kausale Behandlung dar, vielmehr soll damit die Verhaltensstörung des Klägers durch eine zwangsweise Begrenzung der Nahrungsmenge lediglich indirekt beeinflusst werden. Eine solche mittelbare Therapie wird jedoch vom Leistungsanspruch grundsätzlich mit umfasst, wenn sie ansonsten die in §§ 2 Abs. 1 S. 3, 12 Abs. 1 SGB V aufgestellten Anforderungen erfüllt, also ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist sowie dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht. Für chirurgische Eingriffe hat das BSG diesen Grundsatz jedoch eingeschränkt, wenn durch eine Operation in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen und dieses regelwidrig verändert wird, wie das bei einer bariatrischen Operation geschieht. In diesem Fall bedarf die mittelbare Behandlung einer speziellen Rechtfertigung, wobei die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen sind (vgl. BSG, Urteil vom 06.10.1999, B 1 KR 13/97 R; SozR 3 - 2500 § 28 Nr. 4). Nachdem ein operativer Eingriff stets mit einem erheblichen Risiko (Narkose, unerwünschte Operationsfolgen) verbunden ist, darf eine chirurgische Behandlung wie die bariatrische Operation stets nur die Ultima Ratio sein. Sie kommt nur bei Erfüllung einer Reihe von Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung in Betracht. Dies bedeutet, dass vor einer Operation grundsätzlich sämtliche konservative Behandlungsalternativen durchzuführen sind.
Ob ein materiell-rechtlicher Anspruch auf eine bariatrische Operation besteht, kann im Ergebnis offen bleiben.
Der Leistungsanspruch des Klägers ergibt sich vorliegend aufgrund einer Genehmigungsfiktion. Maßgebliche Vorschrift ist hier § 13 Abs. 3a SGB V, welche mit Wirkung vom 26.02.2013 durch Art. 2 Nr. 1 i.V.m. Art. 5 des Patientenrechtegesetzes vom 20.02.2013 (Bundesgesetzblatt I, S. 277 bis 282) eingefügt worden ist. Die Sätze 1 bis 7 der Norm haben folgenden Wortlaut: "Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von 3 Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachterliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst) eingeholt wird, innerhalb von 5 Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von 3 Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von 6 Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von 4 Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies dem Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet."
Vorliegend ist der Antrag des Klägers bei der Beklagten spätestens am 05.11.2014 eingegangen. Die vom Kläger auf Aufforderung der Beklagten nachgereichten Unterlagen lagen dieser spätestens am 12.05.2014 vor. Die Entscheidungsfristen für die Krankenkassen nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V sind nach §§ 26 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1, 187, 188 und 193 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu bestimmen. Die Frist beginnt, da der sie auslösende "Antragseingang" ein Ereignis im Sinne des § 187 Abs. 1 BGB darstellt, am folgenden Tage. Nach § 188 Abs. 2 Satz 1 BGB enden die Wochenfristen grundsätzlich mit dem Ablauf des Tages, der nach seiner Benennung dem Tag des Antragseingang entspricht (vgl. Hauck/Noftz, SGB V, § 13 Rz. 50i). Der Antrag des Klägers war spätestens am 12.05.2014 vollständig, hinreichend bestimmt und bei der richtigen Krankenkasse gestellt. Die Entscheidungsfrist begann damit spätestens am 13.05.2014. Die Beklagte hat innerhalb der Fristen des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V nicht über den Leistungsantrag des Klägers entschieden. Sie hat dem Kläger auch nicht schriftlich mitgeteilt, dass sie es innerhalb der gesetzlichen Fristen nicht schafft, über den Antrag zu entscheiden. Die hinreichende Mitteilung über Gründe der Verzögerung im Sinne des § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V setzt zwingend eine ausdrückliche schriftliche Klarstellung voraus, welche gesetzliche Entscheidungsfrist einschlägig ist und warum diese ggf. nicht eingehalten werden kann (vgl. Sozialgericht Gießen, Urteil vom 26.06.2015, S 7 KR 429/14; zitiert nach www.juris.de). Die Ablehnungsentscheidung der Beklagten vom 07.08.2014 war verspätet. Der Leistungsantrag des Klägers gilt nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V als genehmigt.
Durch die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V gilt die Genehmigung der beantragten Leistung durch einen fingierten Verwaltungsakt als erlassen. Die Leistungsberechtigung des Antragstellers ist wirksam verfügt und die Krankenkasse ist mit allen Einwendungen, insbesondere im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V ausgeschlossen (vgl. Landessozialgericht für das Saarland, Urteil vom 17.06.2015, L 2 KR 180/14, Revision beim BSG unter dem Aktenzeichen B 1 KR 25/15 R anhängig; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.05.2014, L 5 KR 222/14 B ER; Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 20.01.2016, L 5 KR 238/15 B ER; zitiert nach www.juris.de). Der vom 16. Senat des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen im Beschluss vom 26.05.2014 (L 16 KR 154/14 B ER; zitiert nach www.juris.de) vertretenen Auffassung, wonach die Genehmigungsfiktion nur dann eingreift, wenn eine grundsätzlich von der Krankenkasse innerhalb des Leistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung geschuldete Leistung dem Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V entspricht, folgt die Kammer nicht. Der Sanktionsgrund des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V würde leerlaufen, wenn die beklagte Krankenkasse nach Nichtbeachtung der in § 13 Abs. 3a SGB V genannten Vorgehensweise im weiteren (Klage-) Verfahren mit Erfolg einwenden könnte, die beantragte Leistung hätte im konkreten Fall nicht bewilligt werden dürfen (vgl. Sozialgericht Düsseldorf, Urteil vom 02.03.2015, S 9 KR 903/14; Sozialgericht Lüneburg, Urteil vom 17.02.2015, S 16 KR 96/14; Sozialgericht Gelsenkirchen, Urteil vom 05.02.2015, S 17 KR 524/14; zitiert nach www.juris.de). Zudem hätte bei einer solchen Auslegung ein Versicherter, ungeachtet eines Verstoßes der Krankenkasse gegen die in § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V normierten Hinweispflicht, keine Gewissheit, dass die beantragte Leistung von der Krankenkasse bezahlt oder zumindest die Kosten hierfür erstattet werden. Dies kann nicht Sinn und Zweck des Patientenrechtegesetzes gewesen sein, welches gerade darauf abzielt, die Rechte der Patienten zu stärken (vgl. Sozialgericht Heilbronn, Urteil vom 10.03.2015, S 11 KR 2425/14; zitiert nach www.juris.de).
Die Genehmigungsfiktion gilt auch nicht nur für Kostenerstattungsansprüche. Nach dem klaren Wortlaut der Norm gewähren Satz 6 und Satz 7 mittels einer Genehmigungsfiktion einen Sachleistungsanspruch oder einen Kostenerstattungsanspruch. Zwar hatte der Gesetzgeber zunächst lediglich einen Kostenerstattungsanspruch für erforderliche Leistungen ins Auge gefasst, wie es sich aus dem Entwurf des Patientenrechtegesetzes ergibt (vgl. Bundesrats-Drucksache 312/12, S. 46; Bundestags-Drucksache 17/10488, S. 32). Nachdem durch den Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestags im November 2012 mit dem Satz 6 eine Genehmigungsfiktion der Leistungen bei Nichteinhaltung der Fristen neben der in Satz 7 geregelten Kostenerstattung aufgenommen worden war (vgl. Bundestags-Drucksache 17/11710, S. 30), um es dem Versicherten zu erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen, wurden Satz 6 und Satz 7 in der Gesetzesänderung aufgenommen. Beide Sätze stehen ihrem Wortlaut nach gleichberechtigt nebeneinander. Wäre der Geltungsbereich des § 13 Abs. 3a SGB V lediglich auf einen Kostenerstattungsanspruch beschränkt, käme Satz 6 kein eigener Regelungsgehalt zu. Zudem schlösse eine solche Auslegung mittellose Versicherte, die nach Ablauf der Frist nicht in der Lage sind, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, entgegen des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz praktisch aus dem Schutzbereich des § 13 Abs. 3a SGB V aus (vgl. Sozialgericht Marburg, Urteil vom 15.01.2015, S 6 KR 160/13; andere Auffassung: Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 10.12.2015, L 1 KR 413/14; zitiert nach www.juris.de).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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