Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 2199/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei der Befundkonstellation B5 iSd weiterhin maßgebenden Konsensempfehlungen ist der ursächliche Zusammenhang zwischen berufsbedingten Einwirkungen und Gesundheitsstörungen an der Lendenwirbelsäule nicht wahrscheinlich.
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Rücknahmeverfahrens um die Feststellung von Gesundheitsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule als Folge einer Berufskrankheit (BK) der Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Der 1964 geborene Kläger erlernte von September 1981 bis Juli 1984 den Beruf des Blechschlossers. Anschließend war er für 2 Monate bei einer Firma im Segelflugzeugbau beschäftigt. Nach Absolvierung seines Wehrdienstes (von Juli 1985 bis Mai 1989) arbeitete der Kläger von Juni 1989 bis zum Eintritt von Arbeitsunfähigkeit im März 2011 - mit Unterbrechungen - bei einer Vielzahl verschiedener Arbeitgeber überwiegend als Kfz-Mechaniker. Seinen Angaben zufolge musste er dabei auch schwer heben und tragen.
Im Zusammenhang mit der Einleitung eines Feststellungsverfahrens zu einem vom Kläger geltend gemachten Arbeitsunfall vom März 2011 leitete die Beklagte Ermittlungen zu einer eventuell berufsbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule ein. Gestützt auf eine Stellungnahme ihres Präventionsdienstes und eine beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. E. lehnte sie die Anerkennung von BKen nach den Nrn. 2108 (Lendenwirbelsäule) und 2109 (Halswirbelsäule) der Anlage 1 zur BKV mit der Begründung ab, der Kläger erfülle zu beiden BKen bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht (Bescheid vom 19.03.2012). Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
Am 30.06.2013 stellte der Kläger bei der Beklagten den Antrag, den Bescheid vom 19.03.2012 zurück zu nehmen und seine Gesundheitsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule als BK anzuerkennen und zu entschädigen. Hierzu trug er ergänzend vor, er habe im Jahr 2012 während der Dauer seiner Arbeitsunfähigkeit einen weiteren Bandscheibenvorfall an der Lendenwirbelsäule erlitten. In Bezug auf seine Arbeitsbelastungen habe die Beklagte im früheren Verwaltungsverfahren nicht sämtliche Betriebe ermittelt und berücksichtigt. Auch habe er deutlich mehr und schwerer gehoben als der Präventionsdienst der Beklagten berücksichtigt habe. Mit Schreiben vom 11.07.2013, von der Beklagten in der Folgezeit als Ablehnung der Rücknahme des Bescheides vom 19.03.2012 gewertet, wies die Beklagte den Kläger darauf hin, ihr Präventionsdienst habe in seiner Stellungnahme vom Dezember 2011 sämtliche Beschäftigungsverhältnisse und Arbeitsbelastungen im Bereich der Lendenwirbelsäule ausreichend berücksichtigt. Danach ergebe sich eine Gesamtbelastungsdosis von lediglich 7,3 x 106 Nh. Damit erfülle der Kläger bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK der Nr. 2108 nicht.
Im nachfolgenden Widerspruchsverfahren trug der Kläger u.a. vor, er leide an ständigen Beschwerden in allen Abschnitten der Wirbelsäule. Diese führe er auf seine beruflichen Belastungen als Kfz-Mechaniker zurück. Bei diesen Tätigkeiten habe er vielfach in gebeugter Haltung und in der Hocke arbeiten und aus gebeugter Haltung heraus Gegenstände anheben müssen. Die Beklagte zog das Vorerkrankungsverzeichnis der AOK K. sowie Behandlungsunterlagen des Chirurgen Dr. Sch. (u.a. Arztbriefe der Radiologischen Gemeinschaftspraxis Xl über MRT-Aufnahmen der Lendenwirbelsäule des Klägers vom März 2012 und vom Juli 2013 sowie MRT-Aufnahmen der Halswirbelsäule des Klägers vom März und August 2013) bei. Gestützt auf eine beratungsärztliche Stellungnahme der Chirurgin Dr. H. hielt die Beklagte an der Bestandskraft des Bescheides vom 19.03.2012 fest, lehnte dessen Rücknahme ab und wies den Widerspruch des Klägers zurück: Mit einer Gesamtbelastungsdosis von 7,3 MNh erfülle der Kläger bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen der streitigen BK nicht, da der Richtwert von 12,5 MNh deutlich unterschritten sei. Unabhängig davon lägen auch die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung von Gesundheitsstörungen der Lendenwirbelsäule als Folge der BK Nr. 2108 nicht vor. Denn mit einem Bandscheibenvorfall im Segment L 4/5 und winzigen Protrusionen in den übrigen Segmenten (L1 bis L4) bestehe kein für die BK 2108 belastungskonformes Schadensbild. Überdies seien die Veränderungen an der Halswirbelsäule des Klägers deutlich stärker ausgeprägt als an der Lendenwirbelsäule. Auch dies spreche gegen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen berufsbedingten Belastungen und den radiologisch nachgewiesenen LWS-Veränderungen (Widerspruchsbescheid vom 04.06.2014).
Deswegen hat der Kläger am 01.07.2014 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Zu deren Begründung trägt er im Wesentlichen vor, er erfülle sowohl die arbeitstechnischen als auch die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für die Feststellung der streitigen BK. Während seiner 18 ½ jährigen Tätigkeit als Kfz-Mechaniker habe er ca. 1.800 Fahrzeuge repariert. Dabei habe er oft in gebückter, kniender oder hockender Haltung arbeiten und dabei schwere Werkzeuge verwenden müssen. Im Rahmen der Ermittlung der Gesamtbelastungsdosis habe der Präventionsdienst der Beklagten insbesondere die durch Unfallinstandsetzungen aufgetretenen Arbeitsbelastungen unberücksichtigt gelassen. Er habe bereits seit vielen Jahren Probleme mit der unteren Lendenwirbelsäule und entsprechenden Ausfallzeiten in den Betrieben. Von der Beklagten geforderte Begleitspondylosen seien für ein belastungskonformes Schadensbild nicht erforderlich; insoweit bestehe zwischen den Experten gerade kein Konsens.
Die Kammer hat zu Beweiszwecken aus einem Parallelrechtsstreit des Klägers beim Sozialgericht Karlsruhe (S 4 U xxx/12) die dort erstellten Gutachten der Orthopäden Dres. C. und M. sowie im Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (L 1 U 5330/13) vorgelegten Arztunterlagen beigezogen. Außerdem hat die Kammer die Allgemeinmedizinerin F. schriftlich als sachverständige Zeugin gehört. Diese hat weitere Arztunterlagen und einen Auszug aus ihrer Patientenkartei beigefügt. Weiter hat das Gericht zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen Auskünfte des Autohauses R. KG, R., der Fa. C.-Meisterwerkstatt, K.-N., des Autohauses F. GmbH, Br., und der Fa. Auto-R., G.-N., eingeholt.
Sodann hat im Auftrag des Gerichts der Orthopäde Dr. Ma. ein medizinisches Sachverständigengutachten erstattet. Dr. Ma. hat an der Lendenwirbelsäule einen verbleibenden Finger-Boden-Abstand von 10 cm bei der Rumpfbeuge nach vorn sowie einen auf 10/13 cm eingeschränkten Schober-Index erhoben. Die Rückbeuge, Seitneige und die Rumpfrotation hätten jeweils im Normbereich gelegen. Die Nervendehnzeichen nach Lasègue und Bragard seien negativ gewesen. Bei der segmentalen Untersuchung der Lendenwirbelsäule habe er eine Hypomobilität im Segment L4/5 objektiviert. Radiologisch zeige sich in diesem Segment ein Bandscheibenvorfall bei erstgradiger Chondrose; die übrigen Bandscheibensegmente wiesen keine nennenswerte Chondrose auf. Der Flüssigkeitsgehalt der Bandscheiben sei zwar etwas reduziert, eine sog. black disc sei jedoch nicht zu objektivieren. Zum Zeitpunkt seiner Untersuchung und Begutachtung habe er auch keine Hinweiszeichen auf eine Nervenwurzelreizerscheinung erhoben. Der Kläger leide an einer Funktionsstörung der Halswirbelsäule und einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule. Die Gesundheitsstörung an der Lendenwirbelsäule sei nicht mit Wahrscheinlichkeit durch berufsbedingte Belastungen verursacht. Dagegen sprächen bereits die deutlich stärker ausgeprägten Bandscheibenveränderungen an der Halswirbelsäule. Das Ausmaß der Bandscheibenerkrankung im Bereich der Lendenwirbelsäule stelle die klassische Manifestation einer schicksalhaften Genese dar. Der Stellungnahme der Beratungsärztin Dr. H. stimme er zu. An diesem Ergebnis hat Dr. Ma. in Kenntnis der Einwendungen des Klägers in einer ergänzenden Stellungnahme festgehalten.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 11. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. Juni 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Rücknahme des Bescheides vom 19. März 2012 seine Gesundheitsstörungen an der Lendenwirbelsäule als Folge einer Berufskrankheit der Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte der Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Zu Recht hat die Beklagte an der Bestandskraft ihres Bescheides vom 19.03.2012 festgehalten und dessen Rücknahme abgelehnt, denn dieser Bescheid ist nicht rechtswidrig.
1. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurück zu nehmen und durch einen zutreffenden Verwaltungsakt zu ersetzen.
2. Hier liegen diese Voraussetzungen nicht vor, denn bei Erlass des Bescheides vom 19.03.2012 hat die Beklagte weder das Recht unrichtig angewandt noch ist sie von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich im Nachhinein als unrichtig erweist.
Nach § 7 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und BKen. BKen sind die Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Eine solche Bezeichnung nimmt die BKV mit den so genannten Listenkrankheiten vor. Hierzu gehören nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
Wie bei einem Arbeitsunfall müssen auch bei einer BK die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen neben der versicherten Tätigkeit u.a. auch die Dauer und Intensität der schädigenden Einwirkung und die Krankheit gehören, erwiesen sein (vgl. BSGE 45, 1, 9; 58, 80, 83 und 60, 58 ff. sowie BSG SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2 m.w.N.), während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht aber die bloße Möglichkeit ausreicht (vgl. u.a. BSG SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2 m.w.N.; SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4104 Nr. 2 und vom 27.06.2006 - B 2 U 13/05 R - sowie LSG Baden-Württemberg vom 12.09.2006 - L 9 U 393/05 - und vom 17.09.2007 - L 1 U 733/07 - (jeweils Juris)). Die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs liegt vor, wenn nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht, d.h. wenn die für den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Gründe zumindest deutlich überwiegen (ständige Rechtsprechung, vgl. BSGE 45, 285, 286; BSG, USK 96, 98; BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 und a.a.O., § 200 Nr. 3 sowie BSG vom 15.05.2012 - B 2 U 31/11 R - (Juris)).
3. Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Gegebenheiten sowie bei Anwendung dieser Maßstäbe hat es die Beklagte zu Recht abgelehnt, die Veränderungen an der Lendenwirbelsäule des Klägers als Folge einer BK der Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen. Denn insoweit ist ein ursächlicher Zusammenhang mit beruflichen Einwirkungen durch das Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch Arbeit in extremer Rumpfbeugehaltung nicht wahrscheinlich zu machen. Dies steht auch zur Überzeugung der Kammer - wie bereits der Beklagten - fest aufgrund der wohlbegründeten, kompetenten und widerspruchsfreien Darlegungen des Sachverständigen Dr. Ma ...
a) Zur Überzeugung der Kammer erfüllt der Kläger bereits nicht die arbeitstechnischen Voraussetzungen der streitigen BK. Denn nach der Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beklagten war er während der Dauer seiner Erwerbstätigkeit insbesondere als Kfz-Mechaniker lediglich einer Gesamtbelastungsdosis von 7,3 x 106 Nh ausgesetzt. Seinen Ermittlungen hat der Präventionsdienst die Vorgaben des Mainz-Dortmunder-Dosismodells (MDD) zugrunde gelegt. Dieses ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der die Kammer folgt, jedenfalls in der aufgrund der Ergebnisse der Deutschen Wirbelsäulenstudie I modifizierten Form (vgl. hierzu BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R -, Rn. 25 (Juris)) ein geeigneter Maßstab zur Konkretisierung und Ermittlung der arbeitstechnischen und arbeitsmedizinischen Voraussetzungen der hier streitigen BK (vgl. BSG vom 23.04.2015 - B 2 U 10/14 R -, Rn. 17 m.w.N. und Rn. 20 (juris) sowie LSG Baden-Württemberg vom 19.01.2015 - L 8 U 1356/14 - (nicht veröffentlicht)). Denn es beruht auf Vorgaben, die ihrerseits wiederum medizinische Erfahrungstatsachen sind, die sich an epidemiologischen Studien über besonders belastete Berufe orientieren (vgl. BSG SozR 4-2700 § 9 Nr. 1; BSG vom 19.08.2003 - B 2 U 1/02 R - und vom 10.01.2005 - B 2 U 31/04 R - (jeweils Juris)). Mit einer Gesamtbelastungsdosis von (nur) 7,3 x 106 Nh erreicht der Kläger indes nicht einmal annähernd den nach dem modifizierten MDD erforderlichen Richtwert von 12,5 x 106 Nh. Hieran ändern auch die glaubhaften Bekundungen der vom Gericht ergänzend befragten früheren Arbeitgeber des Klägers nichts. Denn die von diesen mitgeteilten Beschäftigungszeiten wie auch die dabei angefallenen beruflichen Hebe- und Tragbelastungen hat der Präventionsdienst der Beklagten vollständig und zutreffend mitberücksichtigt.
b) Der Kläger erfüllt überdies auch nicht die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen der streitigen BK. Im Anschluss an die wohlbegründeten, kompetenten und widerspruchsfreien Darlegungen des Dr. Ma. ist das erkennende Gericht nach kritischer Würdigung der von dem gerichtlichen Sachverständigen erhobenen Befunde und Krankheitsäußerungen davon überzeugt, dass die Veränderungen an der Lendenwirbelsäule des Klägers die klassische Manifestation einer lumbalen Bandscheibenerkrankung schicksalhafter Genese darstellen. Zwar leidet der Kläger an einem Bandscheibenvorfall bei erstgradiger Chondrose im Segment L4/5. Dem gegenüber weisen die übrigen Segmente der Lendenwirbelsäule keine wesentlichen bandscheibenbedingten Veränderungen auf. So hat der Radiologe Dr. R. in seinem Arztbrief vom 08.07.2013 keine relevante Skelettläsion der Lenden- und Sakralwirbelkörper objektiviert. Die Zwischenwirbel¬räume waren insgesamt erhalten bei unwesentlichen Bandscheibenprotrusionen in den Segmenten L2 bis L4 und L5/S1. Mit Dr. Ma. sind wesentliche konkurrierende Ursachen¬faktoren und insbesondere eine Begleitspondylose, d.h. vordere und seitliche Randzackenbildungen an den Wirbelkörpern im nicht von dem Bandscheibenvorfall betroffenen Segment über wenigstens 2 weitere Segmente hinaus (vgl. hierzu "Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule" (Konsensempfehlungen) in Trauma und Berufskrankheit, Heft 3 2005, Seite 211 ff., 216 f.), nicht zu objektivieren.
Die in Betracht kommenden Fallkonstellationen für eine Zusammenhangsbeurteilung der BK 2108 sind in den Konsensempfehlungen abschließend umschrieben. Für sämtliche Befundkonstellationen wird dort vorausgesetzt, dass die (gesicherte) bandscheibenbedingte Erkrankung nach ihrer Lokalisation die Segmente L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft und eine Ausprägung als Chondrose Grad II oder höher und/oder als Vorfall hat. Sofern zusätzlich eine Begleitspondylose besteht (Befundkonstellation B1), gilt der Zusammenhang als wahrscheinlich (vgl. Konsensempfehlungen Seite 217). Liegt hingegen - wie hier - keine Begleitspondylose vor, so wird der Zusammenhang nach den Konsensempfehlungen u.a. dann als wahrscheinlich betrachtet, wenn eine Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben besteht (Befundkonstellation "B2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 1. Alt). Alternativ müssen bei nur monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 im Magnetresonanztomogramm in mindestens zwei angrenzenden Segmenten "black discs" (= Austrocknung des Gallertkerns der Bandscheiben) vorliegen (Befundkonstellation "B2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 2. Alt). Als weitere Alternativen genügt für die Konstellation B2 entweder das Bestehen einer besonders intensiven Belastung, wobei hierfür als "Anhaltspunkt" das Erreichen des "Richtwertes für die Lebensdosis" in weniger als 10 Jahren (Befundkonstellation "B2", 2. Spiegelstrich - 2. Zusatzkriterium) gilt, oder eines besonderen Gefährdungspotenzials durch hohe Belastungsspitzen, wofür als "Anhaltspunkt" das Erreichen der Hälfte des "MDD-Tagesdosis-Richtwertes" durch hohe Belastungsspitzen (Frauen ab 4 1/2 kN, Männer ab 6 kN) (Befundkonstellation "B2", 3. Spiegelstrich - 3. Zusatzkriterium) verlangt wird (vgl. Konsensempfehlungen Seite 217).
Für das Erkrankungsbild des Klägers käme angesichts des nachgewiesenen Bandscheibenvorfalls im Segment L4/5 danach zwar grds. die Befundkonstellation "B2" der Konsensempfehlungen in Betracht. Jedoch liegt mit dem Sachverständigen Dr. Ma. keines der zur Bejahung eines ursächlichen Zusammenhangs mit berufsbedingten Belastungen erforderlichen Zusatzkriterien vor: Weder finden sich in den Kernspintomogrammaufnahmen der Lendenwirbelsäule des Klägers Nachweise sog. black discs noch ergibt sich aus den Bekundungen der vom Gericht gehörten ehemaligen Arbeitgeber des Klägers ein Anhalt für ein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen. Denn die früheren Arbeitgeber haben überwiegend (Firmen R. KG, C. Meisterwerkstatt und Autohaus F.) Hebe- und Tragebelastungen mit Gewichten von allenfalls 15 kg in nur geringem zeitlichen Umfang (bis etwa 8mal je Arbeitsschicht) bestätigt. Die höheren Belastungen während der Beschäftigungszeiten bei der Fa. Auto-R. erstreckten sich ersichtlich auf die zweimal jährliche Radwechselsaison und stellten deshalb ebenfalls kein besonderes Gefährdungspotential i.S.d. Konsensempfehlungen dar.
c) Im Anschluss an die auch insoweit überzeugenden Darlegungen des Dr. Ma. leidet der Kläger neben den Veränderungen an der Lendenwirbelsäule auch an Gesundheitsstörungen der Halswirbelsäule im Sinne ausgeprägter degenerativer Veränderungen bei flacher linkskonvexer Skoliose und Streckfehlhaltung, Retrospondylophytenbildungen in den Segmenten C4 bis C6 mit Einengung des Spinalkanals und multisegmentalen Bandscheibenprotrusionen in den Segmenten C3 bis C7, schwerpunktmäßig im Segment C5/6. Diese radiologisch nachgewiesenen Veränderungen sind damit stärker ausgeprägt als die Bandscheibenveränderungen an der Lendenwirbelsäule. Sie führen nach den von Dr. Ma. erhobenen klinischen Befunden überdies zu einer deutlichen Einschränkung der Beweglichkeit der Halswirbelsäule in allen Bewegungsebenen. Diese Veränderungen sind jedoch nicht Folge beruflicher Belastungen, insbesondere nicht im Sinne einer BK der Nr. 2109, wie die Beklagte durch den Bescheid vom 19.03.2012 bereits bestandskräftig entschieden hat.
d) Deshalb sind die Veränderungen der Wirbelsäule des Klägers der Befundkonstellation "B5" der Konsensempfehlungen zuzuordnen und ist ein ursächlicher Zusammenhang mit berufsbedingten Belastungen nicht wahrscheinlich zu machen (vgl. Konsensempfehlungen Seite 218). Hierauf haben Dr. Ma. und die Beratungsärztin Dr. H. - im Ergebnis - übereinstimmend und zutreffend hingewiesen.
e) Bestätigt sieht die Kammer dieses Ergebnis durch das im Verfahren S 4 U xxxx/12 erstellte Gutachten des Orthopäden Dr. C. vom 06.11.2012. Denn diesem gegenüber hat der Kläger u.a. angegeben, im März 2012 sei "ohne ersichtliche Ursache an der Lendenwirbelsäule" ein weiterer (gemeint: zusätzlich zu den Bandscheibenvorwölbungen an der Halswirbelsäule) Bandscheibenvorfall aufgetreten; außerdem leide er bereits seit seinem 25. Lebensjahr an Lendenwirbelsäulenbeschwerden. Zu diesem Zeitpunkt, d.h. im Jahr 1988/89, war der Kläger indes noch keinen - wie erforderlich - langjährigen, d.h. wenigstens 10 Jahre andauernden (vgl. hierzu Abschnitt IV des vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebenen Merkblatts zur BK Nr. 2108 vom 01.09.2006 (BArbBl. 2006, Seite 30 ff.) sowie BSG vom 23.04.2015 - B 2 U 10/14 R -, Rn. 14 m.w.N. (juris)), beruflichen Belastungen durch schweres Heben und Tragen ausgesetzt. Weiter hat der Kläger bei der Aufnahmeuntersuchung zu einem Heilverfahren in den St. Rochus-Kliniken, Bad Schönborn, im Juni 2011 u.a. angegeben, er leide bereits seit seinem 14. Lebensjahr an rezidivierenden Beschwerden im Bereich aller Abschnitte der Wirbelsäule mit allmählicher Progredienz seit 20 Jahren. Auch dies spricht gegen die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen den von Dr. Ma. objektivierten Gesundheitsstörungen an der Lendenwirbelsäule und berufsbedingten Belastungen.
4. Damit erfüllt der Kläger weder die arbeitstechnischen noch die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für die von ihm begehrte Feststellung nicht. Der Bescheid vom 19.03.2012 ist aus eben diesen Gründen rechtmäßig, weshalb die Beklagte durch die vorliegend angefochtenen Bescheide zu Recht dessen Rücknahme abgelehnt hat. Daher musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Rücknahmeverfahrens um die Feststellung von Gesundheitsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule als Folge einer Berufskrankheit (BK) der Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Der 1964 geborene Kläger erlernte von September 1981 bis Juli 1984 den Beruf des Blechschlossers. Anschließend war er für 2 Monate bei einer Firma im Segelflugzeugbau beschäftigt. Nach Absolvierung seines Wehrdienstes (von Juli 1985 bis Mai 1989) arbeitete der Kläger von Juni 1989 bis zum Eintritt von Arbeitsunfähigkeit im März 2011 - mit Unterbrechungen - bei einer Vielzahl verschiedener Arbeitgeber überwiegend als Kfz-Mechaniker. Seinen Angaben zufolge musste er dabei auch schwer heben und tragen.
Im Zusammenhang mit der Einleitung eines Feststellungsverfahrens zu einem vom Kläger geltend gemachten Arbeitsunfall vom März 2011 leitete die Beklagte Ermittlungen zu einer eventuell berufsbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule ein. Gestützt auf eine Stellungnahme ihres Präventionsdienstes und eine beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. E. lehnte sie die Anerkennung von BKen nach den Nrn. 2108 (Lendenwirbelsäule) und 2109 (Halswirbelsäule) der Anlage 1 zur BKV mit der Begründung ab, der Kläger erfülle zu beiden BKen bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht (Bescheid vom 19.03.2012). Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
Am 30.06.2013 stellte der Kläger bei der Beklagten den Antrag, den Bescheid vom 19.03.2012 zurück zu nehmen und seine Gesundheitsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule als BK anzuerkennen und zu entschädigen. Hierzu trug er ergänzend vor, er habe im Jahr 2012 während der Dauer seiner Arbeitsunfähigkeit einen weiteren Bandscheibenvorfall an der Lendenwirbelsäule erlitten. In Bezug auf seine Arbeitsbelastungen habe die Beklagte im früheren Verwaltungsverfahren nicht sämtliche Betriebe ermittelt und berücksichtigt. Auch habe er deutlich mehr und schwerer gehoben als der Präventionsdienst der Beklagten berücksichtigt habe. Mit Schreiben vom 11.07.2013, von der Beklagten in der Folgezeit als Ablehnung der Rücknahme des Bescheides vom 19.03.2012 gewertet, wies die Beklagte den Kläger darauf hin, ihr Präventionsdienst habe in seiner Stellungnahme vom Dezember 2011 sämtliche Beschäftigungsverhältnisse und Arbeitsbelastungen im Bereich der Lendenwirbelsäule ausreichend berücksichtigt. Danach ergebe sich eine Gesamtbelastungsdosis von lediglich 7,3 x 106 Nh. Damit erfülle der Kläger bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK der Nr. 2108 nicht.
Im nachfolgenden Widerspruchsverfahren trug der Kläger u.a. vor, er leide an ständigen Beschwerden in allen Abschnitten der Wirbelsäule. Diese führe er auf seine beruflichen Belastungen als Kfz-Mechaniker zurück. Bei diesen Tätigkeiten habe er vielfach in gebeugter Haltung und in der Hocke arbeiten und aus gebeugter Haltung heraus Gegenstände anheben müssen. Die Beklagte zog das Vorerkrankungsverzeichnis der AOK K. sowie Behandlungsunterlagen des Chirurgen Dr. Sch. (u.a. Arztbriefe der Radiologischen Gemeinschaftspraxis Xl über MRT-Aufnahmen der Lendenwirbelsäule des Klägers vom März 2012 und vom Juli 2013 sowie MRT-Aufnahmen der Halswirbelsäule des Klägers vom März und August 2013) bei. Gestützt auf eine beratungsärztliche Stellungnahme der Chirurgin Dr. H. hielt die Beklagte an der Bestandskraft des Bescheides vom 19.03.2012 fest, lehnte dessen Rücknahme ab und wies den Widerspruch des Klägers zurück: Mit einer Gesamtbelastungsdosis von 7,3 MNh erfülle der Kläger bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen der streitigen BK nicht, da der Richtwert von 12,5 MNh deutlich unterschritten sei. Unabhängig davon lägen auch die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung von Gesundheitsstörungen der Lendenwirbelsäule als Folge der BK Nr. 2108 nicht vor. Denn mit einem Bandscheibenvorfall im Segment L 4/5 und winzigen Protrusionen in den übrigen Segmenten (L1 bis L4) bestehe kein für die BK 2108 belastungskonformes Schadensbild. Überdies seien die Veränderungen an der Halswirbelsäule des Klägers deutlich stärker ausgeprägt als an der Lendenwirbelsäule. Auch dies spreche gegen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen berufsbedingten Belastungen und den radiologisch nachgewiesenen LWS-Veränderungen (Widerspruchsbescheid vom 04.06.2014).
Deswegen hat der Kläger am 01.07.2014 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Zu deren Begründung trägt er im Wesentlichen vor, er erfülle sowohl die arbeitstechnischen als auch die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für die Feststellung der streitigen BK. Während seiner 18 ½ jährigen Tätigkeit als Kfz-Mechaniker habe er ca. 1.800 Fahrzeuge repariert. Dabei habe er oft in gebückter, kniender oder hockender Haltung arbeiten und dabei schwere Werkzeuge verwenden müssen. Im Rahmen der Ermittlung der Gesamtbelastungsdosis habe der Präventionsdienst der Beklagten insbesondere die durch Unfallinstandsetzungen aufgetretenen Arbeitsbelastungen unberücksichtigt gelassen. Er habe bereits seit vielen Jahren Probleme mit der unteren Lendenwirbelsäule und entsprechenden Ausfallzeiten in den Betrieben. Von der Beklagten geforderte Begleitspondylosen seien für ein belastungskonformes Schadensbild nicht erforderlich; insoweit bestehe zwischen den Experten gerade kein Konsens.
Die Kammer hat zu Beweiszwecken aus einem Parallelrechtsstreit des Klägers beim Sozialgericht Karlsruhe (S 4 U xxx/12) die dort erstellten Gutachten der Orthopäden Dres. C. und M. sowie im Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (L 1 U 5330/13) vorgelegten Arztunterlagen beigezogen. Außerdem hat die Kammer die Allgemeinmedizinerin F. schriftlich als sachverständige Zeugin gehört. Diese hat weitere Arztunterlagen und einen Auszug aus ihrer Patientenkartei beigefügt. Weiter hat das Gericht zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen Auskünfte des Autohauses R. KG, R., der Fa. C.-Meisterwerkstatt, K.-N., des Autohauses F. GmbH, Br., und der Fa. Auto-R., G.-N., eingeholt.
Sodann hat im Auftrag des Gerichts der Orthopäde Dr. Ma. ein medizinisches Sachverständigengutachten erstattet. Dr. Ma. hat an der Lendenwirbelsäule einen verbleibenden Finger-Boden-Abstand von 10 cm bei der Rumpfbeuge nach vorn sowie einen auf 10/13 cm eingeschränkten Schober-Index erhoben. Die Rückbeuge, Seitneige und die Rumpfrotation hätten jeweils im Normbereich gelegen. Die Nervendehnzeichen nach Lasègue und Bragard seien negativ gewesen. Bei der segmentalen Untersuchung der Lendenwirbelsäule habe er eine Hypomobilität im Segment L4/5 objektiviert. Radiologisch zeige sich in diesem Segment ein Bandscheibenvorfall bei erstgradiger Chondrose; die übrigen Bandscheibensegmente wiesen keine nennenswerte Chondrose auf. Der Flüssigkeitsgehalt der Bandscheiben sei zwar etwas reduziert, eine sog. black disc sei jedoch nicht zu objektivieren. Zum Zeitpunkt seiner Untersuchung und Begutachtung habe er auch keine Hinweiszeichen auf eine Nervenwurzelreizerscheinung erhoben. Der Kläger leide an einer Funktionsstörung der Halswirbelsäule und einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule. Die Gesundheitsstörung an der Lendenwirbelsäule sei nicht mit Wahrscheinlichkeit durch berufsbedingte Belastungen verursacht. Dagegen sprächen bereits die deutlich stärker ausgeprägten Bandscheibenveränderungen an der Halswirbelsäule. Das Ausmaß der Bandscheibenerkrankung im Bereich der Lendenwirbelsäule stelle die klassische Manifestation einer schicksalhaften Genese dar. Der Stellungnahme der Beratungsärztin Dr. H. stimme er zu. An diesem Ergebnis hat Dr. Ma. in Kenntnis der Einwendungen des Klägers in einer ergänzenden Stellungnahme festgehalten.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 11. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. Juni 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Rücknahme des Bescheides vom 19. März 2012 seine Gesundheitsstörungen an der Lendenwirbelsäule als Folge einer Berufskrankheit der Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte der Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Zu Recht hat die Beklagte an der Bestandskraft ihres Bescheides vom 19.03.2012 festgehalten und dessen Rücknahme abgelehnt, denn dieser Bescheid ist nicht rechtswidrig.
1. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurück zu nehmen und durch einen zutreffenden Verwaltungsakt zu ersetzen.
2. Hier liegen diese Voraussetzungen nicht vor, denn bei Erlass des Bescheides vom 19.03.2012 hat die Beklagte weder das Recht unrichtig angewandt noch ist sie von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich im Nachhinein als unrichtig erweist.
Nach § 7 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und BKen. BKen sind die Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Eine solche Bezeichnung nimmt die BKV mit den so genannten Listenkrankheiten vor. Hierzu gehören nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
Wie bei einem Arbeitsunfall müssen auch bei einer BK die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen neben der versicherten Tätigkeit u.a. auch die Dauer und Intensität der schädigenden Einwirkung und die Krankheit gehören, erwiesen sein (vgl. BSGE 45, 1, 9; 58, 80, 83 und 60, 58 ff. sowie BSG SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2 m.w.N.), während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht aber die bloße Möglichkeit ausreicht (vgl. u.a. BSG SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2 m.w.N.; SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4104 Nr. 2 und vom 27.06.2006 - B 2 U 13/05 R - sowie LSG Baden-Württemberg vom 12.09.2006 - L 9 U 393/05 - und vom 17.09.2007 - L 1 U 733/07 - (jeweils Juris)). Die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs liegt vor, wenn nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht, d.h. wenn die für den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Gründe zumindest deutlich überwiegen (ständige Rechtsprechung, vgl. BSGE 45, 285, 286; BSG, USK 96, 98; BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 und a.a.O., § 200 Nr. 3 sowie BSG vom 15.05.2012 - B 2 U 31/11 R - (Juris)).
3. Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Gegebenheiten sowie bei Anwendung dieser Maßstäbe hat es die Beklagte zu Recht abgelehnt, die Veränderungen an der Lendenwirbelsäule des Klägers als Folge einer BK der Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen. Denn insoweit ist ein ursächlicher Zusammenhang mit beruflichen Einwirkungen durch das Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch Arbeit in extremer Rumpfbeugehaltung nicht wahrscheinlich zu machen. Dies steht auch zur Überzeugung der Kammer - wie bereits der Beklagten - fest aufgrund der wohlbegründeten, kompetenten und widerspruchsfreien Darlegungen des Sachverständigen Dr. Ma ...
a) Zur Überzeugung der Kammer erfüllt der Kläger bereits nicht die arbeitstechnischen Voraussetzungen der streitigen BK. Denn nach der Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beklagten war er während der Dauer seiner Erwerbstätigkeit insbesondere als Kfz-Mechaniker lediglich einer Gesamtbelastungsdosis von 7,3 x 106 Nh ausgesetzt. Seinen Ermittlungen hat der Präventionsdienst die Vorgaben des Mainz-Dortmunder-Dosismodells (MDD) zugrunde gelegt. Dieses ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der die Kammer folgt, jedenfalls in der aufgrund der Ergebnisse der Deutschen Wirbelsäulenstudie I modifizierten Form (vgl. hierzu BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R -, Rn. 25 (Juris)) ein geeigneter Maßstab zur Konkretisierung und Ermittlung der arbeitstechnischen und arbeitsmedizinischen Voraussetzungen der hier streitigen BK (vgl. BSG vom 23.04.2015 - B 2 U 10/14 R -, Rn. 17 m.w.N. und Rn. 20 (juris) sowie LSG Baden-Württemberg vom 19.01.2015 - L 8 U 1356/14 - (nicht veröffentlicht)). Denn es beruht auf Vorgaben, die ihrerseits wiederum medizinische Erfahrungstatsachen sind, die sich an epidemiologischen Studien über besonders belastete Berufe orientieren (vgl. BSG SozR 4-2700 § 9 Nr. 1; BSG vom 19.08.2003 - B 2 U 1/02 R - und vom 10.01.2005 - B 2 U 31/04 R - (jeweils Juris)). Mit einer Gesamtbelastungsdosis von (nur) 7,3 x 106 Nh erreicht der Kläger indes nicht einmal annähernd den nach dem modifizierten MDD erforderlichen Richtwert von 12,5 x 106 Nh. Hieran ändern auch die glaubhaften Bekundungen der vom Gericht ergänzend befragten früheren Arbeitgeber des Klägers nichts. Denn die von diesen mitgeteilten Beschäftigungszeiten wie auch die dabei angefallenen beruflichen Hebe- und Tragbelastungen hat der Präventionsdienst der Beklagten vollständig und zutreffend mitberücksichtigt.
b) Der Kläger erfüllt überdies auch nicht die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen der streitigen BK. Im Anschluss an die wohlbegründeten, kompetenten und widerspruchsfreien Darlegungen des Dr. Ma. ist das erkennende Gericht nach kritischer Würdigung der von dem gerichtlichen Sachverständigen erhobenen Befunde und Krankheitsäußerungen davon überzeugt, dass die Veränderungen an der Lendenwirbelsäule des Klägers die klassische Manifestation einer lumbalen Bandscheibenerkrankung schicksalhafter Genese darstellen. Zwar leidet der Kläger an einem Bandscheibenvorfall bei erstgradiger Chondrose im Segment L4/5. Dem gegenüber weisen die übrigen Segmente der Lendenwirbelsäule keine wesentlichen bandscheibenbedingten Veränderungen auf. So hat der Radiologe Dr. R. in seinem Arztbrief vom 08.07.2013 keine relevante Skelettläsion der Lenden- und Sakralwirbelkörper objektiviert. Die Zwischenwirbel¬räume waren insgesamt erhalten bei unwesentlichen Bandscheibenprotrusionen in den Segmenten L2 bis L4 und L5/S1. Mit Dr. Ma. sind wesentliche konkurrierende Ursachen¬faktoren und insbesondere eine Begleitspondylose, d.h. vordere und seitliche Randzackenbildungen an den Wirbelkörpern im nicht von dem Bandscheibenvorfall betroffenen Segment über wenigstens 2 weitere Segmente hinaus (vgl. hierzu "Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule" (Konsensempfehlungen) in Trauma und Berufskrankheit, Heft 3 2005, Seite 211 ff., 216 f.), nicht zu objektivieren.
Die in Betracht kommenden Fallkonstellationen für eine Zusammenhangsbeurteilung der BK 2108 sind in den Konsensempfehlungen abschließend umschrieben. Für sämtliche Befundkonstellationen wird dort vorausgesetzt, dass die (gesicherte) bandscheibenbedingte Erkrankung nach ihrer Lokalisation die Segmente L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft und eine Ausprägung als Chondrose Grad II oder höher und/oder als Vorfall hat. Sofern zusätzlich eine Begleitspondylose besteht (Befundkonstellation B1), gilt der Zusammenhang als wahrscheinlich (vgl. Konsensempfehlungen Seite 217). Liegt hingegen - wie hier - keine Begleitspondylose vor, so wird der Zusammenhang nach den Konsensempfehlungen u.a. dann als wahrscheinlich betrachtet, wenn eine Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben besteht (Befundkonstellation "B2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 1. Alt). Alternativ müssen bei nur monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 im Magnetresonanztomogramm in mindestens zwei angrenzenden Segmenten "black discs" (= Austrocknung des Gallertkerns der Bandscheiben) vorliegen (Befundkonstellation "B2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 2. Alt). Als weitere Alternativen genügt für die Konstellation B2 entweder das Bestehen einer besonders intensiven Belastung, wobei hierfür als "Anhaltspunkt" das Erreichen des "Richtwertes für die Lebensdosis" in weniger als 10 Jahren (Befundkonstellation "B2", 2. Spiegelstrich - 2. Zusatzkriterium) gilt, oder eines besonderen Gefährdungspotenzials durch hohe Belastungsspitzen, wofür als "Anhaltspunkt" das Erreichen der Hälfte des "MDD-Tagesdosis-Richtwertes" durch hohe Belastungsspitzen (Frauen ab 4 1/2 kN, Männer ab 6 kN) (Befundkonstellation "B2", 3. Spiegelstrich - 3. Zusatzkriterium) verlangt wird (vgl. Konsensempfehlungen Seite 217).
Für das Erkrankungsbild des Klägers käme angesichts des nachgewiesenen Bandscheibenvorfalls im Segment L4/5 danach zwar grds. die Befundkonstellation "B2" der Konsensempfehlungen in Betracht. Jedoch liegt mit dem Sachverständigen Dr. Ma. keines der zur Bejahung eines ursächlichen Zusammenhangs mit berufsbedingten Belastungen erforderlichen Zusatzkriterien vor: Weder finden sich in den Kernspintomogrammaufnahmen der Lendenwirbelsäule des Klägers Nachweise sog. black discs noch ergibt sich aus den Bekundungen der vom Gericht gehörten ehemaligen Arbeitgeber des Klägers ein Anhalt für ein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen. Denn die früheren Arbeitgeber haben überwiegend (Firmen R. KG, C. Meisterwerkstatt und Autohaus F.) Hebe- und Tragebelastungen mit Gewichten von allenfalls 15 kg in nur geringem zeitlichen Umfang (bis etwa 8mal je Arbeitsschicht) bestätigt. Die höheren Belastungen während der Beschäftigungszeiten bei der Fa. Auto-R. erstreckten sich ersichtlich auf die zweimal jährliche Radwechselsaison und stellten deshalb ebenfalls kein besonderes Gefährdungspotential i.S.d. Konsensempfehlungen dar.
c) Im Anschluss an die auch insoweit überzeugenden Darlegungen des Dr. Ma. leidet der Kläger neben den Veränderungen an der Lendenwirbelsäule auch an Gesundheitsstörungen der Halswirbelsäule im Sinne ausgeprägter degenerativer Veränderungen bei flacher linkskonvexer Skoliose und Streckfehlhaltung, Retrospondylophytenbildungen in den Segmenten C4 bis C6 mit Einengung des Spinalkanals und multisegmentalen Bandscheibenprotrusionen in den Segmenten C3 bis C7, schwerpunktmäßig im Segment C5/6. Diese radiologisch nachgewiesenen Veränderungen sind damit stärker ausgeprägt als die Bandscheibenveränderungen an der Lendenwirbelsäule. Sie führen nach den von Dr. Ma. erhobenen klinischen Befunden überdies zu einer deutlichen Einschränkung der Beweglichkeit der Halswirbelsäule in allen Bewegungsebenen. Diese Veränderungen sind jedoch nicht Folge beruflicher Belastungen, insbesondere nicht im Sinne einer BK der Nr. 2109, wie die Beklagte durch den Bescheid vom 19.03.2012 bereits bestandskräftig entschieden hat.
d) Deshalb sind die Veränderungen der Wirbelsäule des Klägers der Befundkonstellation "B5" der Konsensempfehlungen zuzuordnen und ist ein ursächlicher Zusammenhang mit berufsbedingten Belastungen nicht wahrscheinlich zu machen (vgl. Konsensempfehlungen Seite 218). Hierauf haben Dr. Ma. und die Beratungsärztin Dr. H. - im Ergebnis - übereinstimmend und zutreffend hingewiesen.
e) Bestätigt sieht die Kammer dieses Ergebnis durch das im Verfahren S 4 U xxxx/12 erstellte Gutachten des Orthopäden Dr. C. vom 06.11.2012. Denn diesem gegenüber hat der Kläger u.a. angegeben, im März 2012 sei "ohne ersichtliche Ursache an der Lendenwirbelsäule" ein weiterer (gemeint: zusätzlich zu den Bandscheibenvorwölbungen an der Halswirbelsäule) Bandscheibenvorfall aufgetreten; außerdem leide er bereits seit seinem 25. Lebensjahr an Lendenwirbelsäulenbeschwerden. Zu diesem Zeitpunkt, d.h. im Jahr 1988/89, war der Kläger indes noch keinen - wie erforderlich - langjährigen, d.h. wenigstens 10 Jahre andauernden (vgl. hierzu Abschnitt IV des vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebenen Merkblatts zur BK Nr. 2108 vom 01.09.2006 (BArbBl. 2006, Seite 30 ff.) sowie BSG vom 23.04.2015 - B 2 U 10/14 R -, Rn. 14 m.w.N. (juris)), beruflichen Belastungen durch schweres Heben und Tragen ausgesetzt. Weiter hat der Kläger bei der Aufnahmeuntersuchung zu einem Heilverfahren in den St. Rochus-Kliniken, Bad Schönborn, im Juni 2011 u.a. angegeben, er leide bereits seit seinem 14. Lebensjahr an rezidivierenden Beschwerden im Bereich aller Abschnitte der Wirbelsäule mit allmählicher Progredienz seit 20 Jahren. Auch dies spricht gegen die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen den von Dr. Ma. objektivierten Gesundheitsstörungen an der Lendenwirbelsäule und berufsbedingten Belastungen.
4. Damit erfüllt der Kläger weder die arbeitstechnischen noch die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für die von ihm begehrte Feststellung nicht. Der Bescheid vom 19.03.2012 ist aus eben diesen Gründen rechtmäßig, weshalb die Beklagte durch die vorliegend angefochtenen Bescheide zu Recht dessen Rücknahme abgelehnt hat. Daher musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 und 4 SGG.
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