L 1 KR 26/14

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 210 KR 354/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 26/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die 5. und 6. VO über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe sind rechtswirksam (Abgang zu OVG Berlin-Brandenburg vom 18.12.2008 - OVG 1 B 13.08)
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. November 2013 wird zurückgewiesen. Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen zu tragen, die diese selbst zu tragen haben. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist eine Beitragsnachforderung aufgrund einer Betriebsprüfung.

Die Klägerin ist eine Zweigniederlassung der D mbH mit Sitz in N. Gegenstand des Unternehmens ist nach der Eintragung im Handelsregister die Ausführung gewerblicher Bauleistungen im Bereich Hochbau und Tiefbau, speziell in den Gewerken Maurerarbeiten, Zimmererarbeiten, Malerarbeiten, Heizungstechnik, Sanitärtechnik, die Durchführung kompletter Althaussanierungen und Modernisierungen, die Durchführung von Baubetreuungen, der Erwerb von Grundstücken und Gebäuden zum Zwecke der Modernisierung mit anschließender Vermietung oder Veräußerung einschließlich des Bildung von Wohnungseigentum, sowie der Großhandel mit Baustoffen aller Art. Gegenstand des Unternehmens ist auch der Handel mit gebrauchten Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeugzubehör.

Am 23. April 2009 führte die Beklagte bei der Klägerin eine Betriebsprüfung für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2008 durch. Mit Schreiben vom 4. Mai 2009 hörte die Beklagte die Klägerin dazu an, dass sie beabsichtige, eine Nachforderung in Höhe von 835,62 EUR einschließlich Säumniszuschlägen in Höhe von 82,00 EUR festzusetzen. Die Höhe der Beitragsansprüche richte sich nach den vom Arbeitgeber geschuldeten Leistungen. Für die Beitragspflicht von laufenden Einkünften komme es nicht darauf an, ob das geschuldete Arbeitsentgelt auch tatsächlich gezahlt worden sei. Der Tarifvertrag zur Regelung eines Mindestarbeitsentgelts im Baugewerbe in dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland sei mit Wirkung vom 1. November 2003 an für allgemeinverbindlich erklärt worden. Er sehe an allen Arbeitsorten in der alten Bundesrepublik für alle beschäftigten Mitarbeiter, die unter den Tarifvertrag fallen, einen Mindeststundenlohn von 10,36 EUR (10,20 EUR ab 1. September 2005, 10,30 EUR ab 1. September 2006, 10,40 EUR ab 1. September 2007 und 10,70 EUR ab 1. September 2008) vor. Bei der Prüfung sei festgestellt worden, dass bei den Beigeladenen zu 1) und 2) der Mindestlohn unterschritten worden sei. Auf die sich ergebenden Nachforderungen seien Säumniszuschläge zu erheben, da die Klägerin Kenntnis von ihrer Zahlungspflicht gehabt habe. Der Mindestlohn habe sich aus einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag ergeben, der bei den sonstigen Beschäftigten eingehalten worden sei.

Die Klägerin entgegnete, dass sie keinem Tarifvertrag angehöre und dass deswegen die Mindestlohnforderungen für ihre Mitarbeiter nicht gelten würden.

Durch Bescheid vom 20. Mai 2009 setzte die Beklagte entsprechend ihrer Anhörung eine Nachforderung in Höhe von insgesamt 835,62 EUR fest. Für die Beigeladenen zu 1) und 2) wurden Beiträge zur Arbeitsförderung, zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung sowie Umlagebeträge aus dem Zeitraum vom 5. Februar 2007 bis 31. Dezember 2008 in Höhe von 753,62 EUR zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe von 82,00 EUR gefordert.

Die Klägerin legte am 8. Juni 2009 Widerspruch ein. Zu Begründung trug sie zunächst vor, dass ein rechtswidriger Eingriff in ihre Vertragsfreiheit vorliege. Die Einführung von Mindestlöhnen habe dazu geführt, dass sie alle ihre Bauhelfer entlassen musste. Später ließ sie vortragen, dass die tariflichen Mindestlöhne keine Anwendung finden würden, weil sie nicht Mitglied einer der tarifschließenden Arbeitgeberverbände sei. Eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung habe das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung nicht abgegeben. Die vierte, fünfte und sechste Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe vom 13. Dezember 2003, 29. August 2005 und 21. August 2008, in denen die Anwendung der Rechtsnormen des Tarifvertrags Mindestlohn auf alle Arbeitnehmer vorgesehen war, die in seinen Geltungsbereich fallen, seien rechtswidrig. Sie überschritten den Rahmen der ihnen zugrunde liegenden Ermächtigung, weil sie auch für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gelten sollten, die einer anderweitigen Tarifbindung unterliegen. Das verstoße gegen Art. 9 und 12 GG (Hinweis auf OVG Berlin-Brandenburg, SAE 2009, 167). Auch eine geltungserhaltende Reduktion komme nicht in Frage, weil sie dem ausdrücklichen Willen des Verordnungsgebers widerspreche.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2010 zurück. Sozialversicherungsbeträge würden mit der Entstehung des Anspruchs des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt fällig werden. Beiträge seien deswegen auch auf geschuldetes, aber nicht gezahltes Arbeitsentgelt zu zahlen. Insoweit seien auch tarifliche Regelungen zu berücksichtigen. Der Tarifvertrag zur Regelung der Mindestlöhne im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gelte zwar nicht unmittelbar für die Klägerin, da sie nicht Mitglied der maßgebenden Arbeitgeberverbände war und ist. Indessen habe, sofern ein Antrag auf Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Tarifvertrags bereits gestellt sei, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales nach § 1 Abs. 3a Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AentG) die Möglichkeit, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass die Rechtsnorm eines Tarifvertrages auf alle unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer Anwendung finde. Von dieser Möglichkeit habe das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch die vierte und fünfte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe vom 13. Dezember 2003 und 29. August 2005 Gebrauch gemacht. Es sei nicht ihre – der Beklagten – Aufgabe, über die Rechtmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage oder der erlassenen Verordnungen zu entscheiden. Nach dem Handelsregister sei Gegenstand des Unternehmens der Klägerin die Ausführung gewerblicher Bauleistungen im Bereich Hoch- und Tiefbau. Die Bauleistungen würden auch im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erbracht. Auf der Grundlage der vierten und fünften Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe würden die Tarifverträge zur Regelung der Mindestlöhne im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland auch für die Klägerin gelten. Da die beitragspflichtigen Arbeitsentgelte der Beigeladenen zu 1) und 2) tatsächlich unterschritten worden seien, sei die Nacherhebung der Beiträge auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.

Dagegen richtet sich die am 5. März 2010 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangene Klage. Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 20. November 2013 abgewiesen. Die Beitragsnachforderung und die Säumniszuschläge seien zu Recht auf der Grundlage des Tarifvertrags Mindestlohn festgesetzt worden. Zur Begründung werde zunächst auf den Widerspruchsbescheid Bezug genommen. An der Verfassungsmäßigkeit von § 1 Abs. 3a AEntG a.F. habe die Kammer keine Zweifel (Hinweis auf BVerfG v. 18. Juli 2000 – 1 BvR 948/00 und v. 26. November 2003 – 1 BvR 908/03). Die 5. und 6. Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe (BauArbbV) seien ermächtigungskonform erlassen worden. Soweit das OVG Berlin-Brandenburg bei der Festsetzung von zwingenden Arbeitsbedingungen für die Branche Briefdienstleistungen einen Verstoß gegen den Gesetzesvorbehalt darin gesehen habe, dass eine Erstreckung des Mindestlohns auch auf anderweitig tarifgebundene Arbeitnehmer und Arbeitgeber erfolgen sollte, sei dies bisher weder in der arbeitsrechtlichen noch in der sozialrechtlichen Rechtsprechung für die BauArbbV so vertreten worden. Auch das BVerwG habe die diesbezügliche Begründung des OVG nicht bestätigt. Die Neufassung des AEntG sehe eine Erstreckung auf anderweitig Tarifgebundene nunmehr ausdrücklich vor. Ob der Auffassung des OVG Berlin-Brandenburg zur alten Fassung des § 1 Abs. 3a AEntG zu folgen sei, könne letztlich dahinstehen. Da die Ersetzung von Tariflöhnen anderer Tarifpartner gerade nicht Zweck des Verordnungserlasses war, könne jedenfalls die BauArbbV so ausgelegt werden, dass eine Erstreckung nur auf anderweitig nicht tarifgebundene Arbeitnehmer und Arbeitgeber erfolge. Es sei weder ersichtlich noch geltend gemacht worden, dass auf die Klägerin andere konkurrierende Tarifverträge anwendbar seien. Deswegen falle sie unter den Tarifvertrag Mindestlohn. Verfahrensfehler bei Erlass der jeweiligen BauArbbV seien weder ersichtlich noch geltend gemacht worden.

Gegen das ihr am 23. Dezember 2013 zugestellte Urteil richtet sich die am 22. Januar 2014 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangene Berufung der Klägerin. Der Tarifvertrag Mindestlohn sei nicht anwendbar, da die Klägerin nicht der Tarifbindung unterliege und der Tarifvertrag nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden sei. Seine Anwendbarkeit ergebe sich auch nicht aufgrund der nach § 1 Abs. 3a AEntgG a.F. erlassenen 5. und 6. BauArbbV, da diese rechtswidrig seien. § 1 Abs. 3a AEntgG a.F. sei schon selbst verfassungswidrig. Die Norm verletze die in Art. 9 Abs. 3 GG geschützte negative Koalitionsfreiheit und die in Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit, weil sie die Erstreckung eines Tarifvertrags auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer ohne Tarifbindung erlaube. Die 5. und 6. BauArbbV seien entsprechend dem Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg v. 18. Dezember 2008 – 1 B 13.08) rechtswidrig, weil sie die Anwendbarkeit des Tarifvertrags Mindestlohn auf alle Arbeitsverhältnisse im Geltungsbereich des Tarifvertrags ohne Rücksicht auf eine bestehende anderweitige Tarifbindung erstrecken würden. Eine geltungserhaltende Reduktion auf die nicht anderweitig tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien scheide aus, weil dies nicht dem Willen des Verordnungsgebers entspreche. Das BVerwG habe zur Frage der Tarifkonkurrenz keine andere Auffassung als das OVG Berlin-Brandenburg vertreten, sondern diese Frage ausgespart. Etwas Anderes ergebe sich auch nicht aus der durch das Sozialgericht zitierten Anmerkung vom Deiseroth zu diesem Urteil. Auch der vom Sozialgericht weiter zitierte Beschluss des BVerfG v. 18. Juli 2000 habe sich zu der hier maßgeblichen Frage nicht geäußert.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. November 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 20. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Februar 2010 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage mit Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin ist verpflichtet, Beiträge zur Sozialversicherung und Arbeitsförderung sowie Umlagebeträge für den Teil des den Beigeladenen zu 1) und 2) zustehenden Arbeitsentgelts nachzuzahlen, welcher der Differenz zwischen dem geltenden Mindestlohn und dem tatsächlich gezahlten Arbeitsentgelt entspricht.

Rechtsgrundlage für die angefochtenen Bescheide ist § 28p Abs. 1 Satz 5 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Danach erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung bei den Arbeitgebern Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Gegenstand der Prüfung bei den Arbeitgebern ist nach § 28p SGB IV, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, insbesondere die zur richtigen Beitragszahlung, ordnungsgemäß erfüllen. Nach § 28d SGB IV umfasst der Gesamtsozialversicherungsbeitrag den Beitrag nach dem Recht der Arbeitsförderung sowie die Beiträge für die Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung. Er ist nach § 28e Abs. 1 SGB IV vom Arbeitgeber zu zahlen. Zahlungsempfänger sind nach § 28h SGB IV die Krankenkassen als Einzugsstellen. Diese Vorschriften gelten nach dem im streitigen Zeitraum noch anwendbaren § 17 Lohnfortzahlungsgesetz a.F. (LFZG) entsprechend für die nach § 14 LFZG zu erhebenden Umlagebeträge.

Die Klägerin hat die ihr im Hinblick auf die Beigeladenen zu 1) und 2) obliegenden Beitragspflichten und Pflichten zur Entrichtung von Umlagebeträgen nicht vollständig erfüllt. Die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1) und 2) ergibt sich aus § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III, § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 1 Nr. 1 SGB VI und § 20 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI. Sie hat eine Beitragspflicht zur Folge, die von der Klägerin durch Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags zu erfüllen war. Die Verpflichtung zur Beitragszahlung wird dem Grunde nach von der Klägerin zu Recht nicht in Frage gestellt, ebenso wenig wie ihre Pflicht zur Entrichtung von Umlagebeträgen, die aus § 14 Abs. 2 LFZG folgt.

Bemessungsgrundlage für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag ist das Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung (§§ 342 SGB III, 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V, 162 Nr. 1 SGB VI, 57 Abs. 1 SGB XI). Dabei gilt für die Bestimmung des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts das Entstehungsprinzip und nicht das Zuflussprinzip. Entscheidend für die Beitragshöhe ist demnach das geschuldete Arbeitsentgelt und nicht das tatsächlich ausgezahlte (zuletzt BSG v. 7. Mai 2014 – B 12 R 18/11 R – juris Rn 30 mit weit. Nachw.). Das ergibt sich aus den §§ 22, 23 SGB IV. Entsprechendes gilt nach § 14 Abs. 2 LFZG für die Bemessung der Umlagebeträge.

Die Höhe des von der Klägerin den Beigeladenen zu 1) und 2) während des streitigen Zeitraums geschuldeten Arbeitslohns ergibt sich aus dem Tarifvertrag zur Regelung der Mindestlöhne im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland v. 29. Juli 2005 (TV-Mindestlohn). Dieser Tarifvertrag ist zwar nicht unmittelbar für die Klägerin anwendbar, da sie – nach ihrem eigenen Bekunden, an dessen Wahrheitsgehalt zu zweifeln der Senat keine Veranlassung hat – nicht Mitglied eines der tarifschließenden Arbeitgeberverbände ist. Die Vorschriften des TV-Mindestlohn sind aber nach der 5. und 6. Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe vom 29. August 2005 (BAnz 2005, 13199) und vom 21. August 2008 (BAnz 2008, 3145) für die Berechnung der den Beigeladenen zu 1) und 2) zustehenden Lohnansprüche maßgeblich geworden. Nach § 1 dieser vom 1. September 2005 bis 31. August 2008 und vom 1. September 2008 bis zum 31. August 2009 geltenden Verordnungen finden die in der jeweiligen Anlage 1 aufgeführten Rechtsnormen des TV-Mindestlohn auf alle nicht an ihn gebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Anwendung, wenn der Betrieb überwiegend Bauleistungen im Sinne des § 175 Abs. 2 SGB III erbringt. § 175 Abs. 2 SGB III definiert einen Betrieb des Baugewerbes als Betrieb, der gewerblich überwiegend Bauleistungen auf dem Baumarkt erbringt. Dabei sind Bauleistungen alle Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen. Baubetriebe sind indessen nicht Betriebe, die überwiegend Bauvorrichtungen, Baumaschinen, Baugeräte oder sonstige Baubetriebsmittel ohne Personal anderen Betrieben des Baugewerbes gewerblich zur Verfügung stellen oder überwiegend Baustoffe oder Bauteile für den Markt herstellen, sowie Betriebe, die Betonentladegeräte gewerblich zur Verfügung stellen. Dass die Klägerin überwiegend ein Baubetrieb im Sinne des § 175 Abs. 2 Satz 1 SGB III ist, ergibt sich bereits aus den Eintragungen über den Gegenstand ihres Unternehmens in das Handelsregister. Dass sie ergänzend noch andere Unternehmenszwecke verfolgt, ändert daran nichts. Die Zugehörigkeit zu den Baubetrieben wird zusätzlich dadurch belegt, dass die Klägerin ausweislich der vorhandenen Lohnunterlagen von den Beigeladenen zu 1) und 2) Arbeitnehmeranteile zur "Winterbauumlage" einbehielt. Voraussetzung für den Einbehalt von Anteilen zur Winterbauumlage war nach §§ 354ff SGB III a.F. aber, dass ein Betrieb des Baugewerbes vorliegt.

Nach den von der 5. und 6. Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe in Bezug genommenen Vorschriften des TV-Mindestlohn war vom 1. September 2006 an ein tariflicher Mindeststundenlohn von 10,30 EUR, vom 1. September 2007 an von 10,40 EUR und vom 1. September 2008 an von 10,70 EUR zu zahlen. Tatsächlich gezahlt und verbeitragt hat die Klägerin aber nur den in den Arbeitsverträgen mit den Beigeladenen zu 1) und 2) jeweils vereinbarten Stundenlohn von 10,00 EUR. Für die sich ergebende Lohndifferenz muss die Klägerin demnach Beiträge zur Sozialversicherung und Umlagebeträge nachzahlen. Fehler der Beklagten bei der Berechnung der auf der Grundlage der Lohndifferenz noch geschuldeten Beiträge und Umlagebeträge sind nicht ersichtlich und werden von der Klägerin auch nicht geltend gemacht.

Der Senat ist entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin nicht der Überzeugung, dass die 5. und 6. Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe rechtswidrig und nichtig sind. Dazu weist er zunächst darauf hin, dass die Rechtsprechung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg die auf der Grundlage von § 1 Abs. 3a AEntG a.F. erlassenen Rechtsverordnungen bislang stets für wirksam gehalten und sie auch als eine taugliche Grundlage für Beitragsnachforderungen angesehen hat (LSG Berlin-Brandenburg v. 7. Mai 2014 – L 9 KR 384/12 - juris Rn 42/43; v. 24. März 2010 – L 9 KR 4/08 – juris Rn 50). Dies gilt insbesondere für die 1. und 2. Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe als Vorläufer der hier streitigen 5. und 6 Verordnung (LSG Berlin-Brandenburg v. 24. März 2010 – L 9 KR 4/08 –).

Anzeichen dafür, dass dem Verordnungsgeber beim Erlass dieser Rechtsverordnungen Verfahrensfehler unterlaufen sein könnten, sind nicht vorhanden. Im Gegensatz zu der vom OVG Berlin-Brandenburg (Urt. v. 18. Dezember 2008 – OVG 1 B 13.08) und anschließend vom BVerwG (Urt. v. 18. Januar 2010 – 8 C 19/09) entschiedenen Konstellation bei dem Erlass der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Branche Briefdienstleistungen ist der TV Mindestlohn nicht während des Verordnungsverfahrens geändert oder aufgehoben worden, so dass keine Veranlassung für eine erneute Anhörung der Betroffenen bestand. Auch die Klägerin hat zum Vorliegen eines Verfahrensfehlers nichts vorgetragen.

§ 1 Abs. 3a AEntG a.F. ist auch vor dem verfassungsrechtlichen, durch Art 80 GG vorgegebenen Hintergrund eine ausreichende Rechtsrundlage für den Erlass der 5. und 6 Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe Rechtsverordnungen gewesen. Der gegenteiligen Rechtsauffassung, die das OVG Berlin-Brandenburg in seinem Urteil v. 18. Dezember 2008 – OVG 1 B 13.08 – zur Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Branche Briefdienstleistungen vertreten hat, folgt der Senat nicht. Zwar konnte nach § 1 Abs. 3a AEntG a.F. durch Rechtsverordnung nur bestimmt werden, dass die Rechtsnormen eines Tarifvertrags auf alle unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden und nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Anwendung finden. Tatsächlich bestimmen die hier streitigen Verordnungen über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe, dass der TV Mindestlohn auf alle nicht an ihn gebundenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber Anwendung findet. Die Verordnungen gehen damit jedoch nicht deswegen über ihre Ermächtigungsgrundlage hinaus, weil sie den TV Mindestlohn auch für den Fall für anwendbar erklären, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch einen anderen Tarifvertrag gebunden sind. § 1 Abs. 3a AEntG a.F. enthält insoweit – entgegen dem OVG Berlin-Brandenburg (Urt. v. 18. Dezember 2008 – OVG 1 B 13.08) - keine Einschränkung. Nach dem Wortlaut der Vorschrift können unter dem Begriff der nichttarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nämlich (auch) alle diejenigen Arbeitgeber und Arbeitnehmer verstanden werden, die nicht durch den Tarifvertrag erfasst werden, dessen Erstreckung durch Rechtsverordnung angeordnet wird. Dafür sprechen insbesondere Sinn und Zweck der Vorschrift (Preis/Greiner, ZfA 2008, 845-853). Effektiv wird die Einführung eines Mindestlohns als Mindeststandard für eine bestimmte Branche nämlich nur, wenn den Arbeitgebern im sachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags auch die Möglichkeit genommen wird, durch den Beitritt zu einem anderen Tarifvertrag die vom Verordnungsgeber für angemessen gehaltenen Bedingungen zu unterbieten. Dies setzt voraus, dass die Möglichkeit zur Erstreckung des Tarifvertrages auf nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch besteht, wenn eine anderweitige Tarifbindung eingegangen worden ist oder wird. Seit der Neufassung des Arbeitnehmer-Entsendegesetz v. 20. April 2009 (BGBl. I, S. 799) ist in §§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 2 AEntG nunmehr auch gesetzlich ausdrücklich vorgesehen, dass durch Rechtsverordnung die Erstreckung eines Tarifvertrags auf alle nicht an ihn gebundenen und damit auch auf anderweitig tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer angeordnet werden kann. Das belegt ebenfalls für die Sachangemessenheit dieser Lösung. Im Übrigen weist das OVG Berlin-Brandenburg selbst darauf hin, dass der Gesetzgeber bei der Einführung der Vorschrift des § 1 Abs. 3a AEntG gerade das Baugewerbe mit seinen Einheitstarifverträgen vor Augen hatte (Urt. v. 18. Dezember 2008 – OVG 1 B 13.08 juris Rn 48). Dem entspricht es, dass es jedenfalls in diesem Bereich auf die (theoretische) Möglichkeit einer Tarifkonkurrenz nicht ankommen kann.

Die Erstreckung eines Tarifvertrags durch Rechtsverordnung auf nicht am Abschluss des Tarifvertrages beteiligte Arbeitgeber und Arbeitnehmer verstößt nicht gegen Art 9 Abs. 3 GG. Insbesondere wird die negative Koalitionsfreiheit des Arbeitgebers nicht verletzt. Die Verordnungsermächtigung in § 1 Abs. 3a AEntG besteht auch vor den Bestimmtheitsanforderungen des Art 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Diese Fragen sind sämtlich durch das BVerfG bereits geklärt (BVerfG vom 18.7.2000 - 1 BvR 948/00).

Nicht zu beanstanden ist auch die Festsetzung von Säumniszuschlägen. Diese findet ihre Rechtsgrundlage in § 24 SGB IV. Die Klägerin hatte nicht im Sinne des § 24 Abs. 2 SGB IV unverschuldet keine Kenntnis von ihrer Zahlungspflicht. Ein Nichtwissen von dem Erlass der ihre Branche betreffenden Rechtsverordnungen wird von der Klägerin selbst nicht behauptet. Dass sie die Festsetzung von Mindestlöhnen in der geschehenen Höhe für sozialpolitisch fehlerhaft hält, entbindet sie nicht von ihrer Pflicht zur Beachtung der gegebenen Rechtslage.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG iVm §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache mehr erkennbar. Soweit der Senat von der Entscheidung des OVG Berlin-Brandenburg v. 18. Dezember 2008 – OVG 1 B 13.08 abweicht, betrifft das eine gesetzliche Vorschrift, die mittlerweile aufgehoben worden ist. Von den tragenden Gründen der auf das Urteil des OVG Berlin-Brandenburg hin ergangenen Revisionsentscheidung des BVerwG (v. 18. Januar 2010 – 8 C 19/09) weicht der Senat nicht ab.
Rechtskraft
Aus
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