L 3 AS 3338/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 20 AS 5175/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 3338/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 8. Juli 2015 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung einer Bewilligung und die Rückforderung von Leistungen. Das Verfahren betrifft auch die Bestandskraft des angegriffenen Bescheids.

Der Kläger bezog Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von der beklagten zugelassenen kommunalen Trägerin der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

Mit Bescheid vom 24.07.2012 hob die Beklagte einen Bewilligungsbescheid vom 05.07.2012 für Juni und Juli 2012 auf und forderte den Kläger zur Erstattung der in diesen Monaten erhaltenen Leistungen von zusammen EUR 1.329,58 auf. Die Rechtsbehelfsbelehrung jenes Bescheids wies darauf hin, dass ein Widerspruch schriftlich oder zur Niederschrift der Beklagten einzulegen sei. Der Bescheid wurde ausweislich eines handschriftlichen Absendevermerks der Beklagten am 25.07.2012 zur Post gegeben.

Mit einfacher E-Mail vom 02.08.2012 erhob der Kläger Widerspruch. Die Beklagte teilte ihm mit E-Mail vom 03.08.2012 mit, dass Widersprüche elektronisch - nur - mit einer "der europäischen DIN-Norm entsprechenden elektronischen, fälschungssicheren Signatur" eingelegt werden könnten und dass der Widerspruch daher in Papierform vor Ablauf der Widerspruchsfrist eingelegt werden möge. Der Kläger legte am 14.09.2012 mit unterschriebenem Telefax erneut Widerspruch ein; er führte aus, er könne die Rückforderung nicht begleichen, da er die Leistungen aufgebraucht habe. Weiteres geschah zunächst nicht, nachdem bei der Beklagten unter dem 04.10.2012 eine "Widerspruchsvorlage" gefertigt worden war.

Fast zwei Jahre später, unter dem 25.08.2014, wies die Beklagte den Widerspruch als unzulässig zurück. Der am 25.07.2012 zur Post gegebene Bescheid gelte als am 28.07.2012 bekanntgegeben, die Widerspruchsfrist sei demnach am Dienstag, dem 28.08.2012 abgelaufen. Die e-mail vom 02.08.2012 erfülle mangels qualifizierter elektronischer Signatur nicht die Formanforderungen an einen Widerspruch. Ein schriftlicher und unterschriebener Widerspruch sei erst am 14.09.2012 eingegangen.

Hiergegen hat der Kläger am 23.09.2014 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben, die das SG mit Gerichtsbescheid vom 08.07.2015 zurückgewiesen hat. Die Klage sei unbegründet, weil die Beklagte den Widerspruch zu Recht als unzulässig verworfen habe. Ergänzend zu den Ausführungen der Beklagten hat das SG mitgeteilt, Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Widerspruchsfrist seien nicht erkennbar, insbesondere habe die Beklagte den Kläger noch während laufender Widerspruchsfrist auf den Formfehler hingewiesen.

Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Kläger am 06.08.2015 per Telefax, das keine Unterschrift trägt, Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben. Er trägt ergänzend vor, es sei ihm krankheitshalber nicht möglich gewesen, die gesetzte Frist einzuhalten.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 08. Juli 2015 und den Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. August 2014 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid.

Der Berichterstatter des Senats hat unter dem 02.09.2015 Hinweise zur Sach- und Rechtslage gegeben. Hierauf hat der Kläger nicht reagiert.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist nach § 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, insbesondere war sie angesichts der Beschwer des Klägers von EUR 1.329,58 und damit mehr als EUR 750,00 nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig.

Die Berufung kann auch für formgerecht im Sinne von § 151 Abs. 1 SGG gehalten werden, obwohl die eigenhändige Unterschrift des Klägers fehlt. Es kann hier aus anderen Umständen geschlossen werden, dass die Berufung mit Wissen und Wollen des Klägers dem Gericht zugeleitet worden ist (vgl. hierzu Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 151 Rn. 3a): Die Telefaxnummer, die auf der Berufung aufgedruckt ist, ist jene des Klägers; sie stand bereits auf dem Widerspruch vom 14.09.2012 an die Beklagte.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Ein durchsetzbarer Abwehranspruch gegen die Aufhebung der Leistungsbewilligung und die Erstattungsforderung steht dem Kläger nicht mehr zu, nachdem der angegriffene Bescheid bestandskräftig und damit nach § 77 SGG bindend geworden ist. Die Ausführungen des SG zum Zeitpunkt der (fiktiven) Bekanntgabe des Bescheids nach § 37 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), zur Berechnung der Widerspruchsfrist und zur Unwirksamkeit des formwidrigen Widerspruchs per e-mail vom 02.08.2012 nach § 84 Abs. 1 SGG treffen zu. Um Wiederholungen zu vermeiden, verweist der Senat nach § 153 Abs. 2 SGG auf den angegriffenen Gerichtsbescheid. Ferner sieht auch der Senat keine Möglichkeit, nach § 67 Abs. 1 SGG Wiedereinsetzung zu gewähren. Der jetzige Vortrag des Klägers in der Berufungsschrift, er habe krankheitsbedingt nicht rechtzeitig Widerspruch einlegen können, reicht dafür nicht aus. Zum einen ist er viel zu unkonkret und außerdem nicht glaubhaft gemacht (§ 67 Abs. 2 Satz 2 SGG). Zum anderen kann der Kläger jetzt, in der Berufungsschrift, keinen zulässigen Wiedereinsetzungsantrag mehr stellen, weil die Jahresfrist des § 67 Abs. 3 SGG abgelaufen ist. In dem zweiten Widerspruchsschreiben vom 14.09.2012 kann kein solcher Antrag gesehen werden, da der Kläger dort mit keinem Wort auf die - ihm ja bekannte - Fristversäumnis hingewiesen hat, zumindest hätte er, wenn er bereits damals Wiedereinsetzung hätte beantragen wollen, dort auch die Gründe für die Fristversäumnis angeben müssen (§ 67 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten beruht - für beide Instanzen - auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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