Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 5 VG 892/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 4039/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 19. August 2014 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen und eine höhere Beschädigtenversorgung als bewilligt.
Die Klägerin ist 1968 geboren, deutsche Staatsangehörige und im Inland wohnhaft. Sie ist seit 2005 arbeitslos und bezieht Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie lebt in einer Einliegerwohnung in einem gemeinsamen Mehrfamilienhaus mit ihren Eltern bzw. ihrem Bruder. Spätestens seit 2013 hatte sie einen neuen Lebensgefährten, den sie im Herbst 2015 geheiratet hat.
Im Oktober 2009 hatte sich die Klägerin von ihrem damaligen Ehemann räumlich getrennt, der aufgrund einer Persönlichkeitsveränderung nach Zeckenbiss seit 2007 immer aggressiver gegen sie geworden war. Sie hat zahlreiche Rechtsstreitigkeiten betrieben, die sie - auch wenn ein Bevollmächtigter eingeschaltet ist - selbst mit umfangreichen Schriftsätzen betreibt.
Am 18. September 2009 beantragte sie bei dem zuständigen Landratsamt (LRA) als Versorgungsamt eine Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Sie gab an, ihr durch ein hirnorganisches Psychosyndrom beeinträchtigter Ehemann habe sie seit 2008 mehrfach angegriffen und körperlich verletzt. Hierdurch habe sie auch schwere seelische Traumafolgen davongetragen. Sie legte ihren Schwerbehindertenausweis bei, aus dem sich ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 seit 2003 und von 60 seit April 2007 ergibt.
Der Beklagte zog die Ermittlungsakten zu zwei Vorfällen bei, auf die sich die Klägerin berufen hatte. Danach hatte ihr Ehemann die Klägerin am 14. Juni 2009 (und schon in den Tagen davor) geschlagen und am Hals gewürgt. Der Polizei waren Hämatome aufgefallen, jedoch keine Spuren im Halsbereich. Der behandelnde Arzt der Klägerin, B.-K., hatte unter dem 9. Juli 2009 auf Grund einer Untersuchung vom 23. Juni 2009 die Diagnosen: "Prellung von Brust, Bauch und Rücken, Oberarmprellung, Unterschenkel- und Oberschenkelprellungen" gestellt. Jenes Verfahren war mangels Strafantrags eingestellt worden. Das andere Verfahren betraf einen Übergriff am 25. Juli 2009. Dort hatte der Ehemann die Klägerin am Hals gepackt und gewürgt, anschließend an den Hüften gepackt und gegen eine Tür gestoßen. Arzt B.-K. hatte dazu in einem Attest vom 7. August 2009 ein Hämatom am linken Oberschenkel und linken Unterarm, eine Abschürfung am rechten Knie und abblassende Spuren (Würgemale) im Kehlkopfbereich beschrieben. Wegen dieses Vorfalls hatte die Staatsanwaltschaft die Klägerin auf den Privatklageweg verwiesen, unter anderem mit der Begründung, der Ehemann sei psychisch krank.
Sodann zog der Beklagte medizinische Unterlagen bei: Herr B.-K. teilte mit, die Klägerin klage über fortbestehende Schmerzen im Schulter-Nackenbereich, die grobe Kraft im rechten Arm sei reduziert, die Elevation eingeschränkt. Der Orthopäde Dr. E. habe insoweit eine Tendinits calcarea der Supraspinatussehne und mäßige degenerative Veränderungen im Sternoclaviculargelenk und im ersten Sternocostalgelenk rechts diagnostiziert. Im Vordergrund, so B.-K., stehe aber die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), die in diesem Zusammenhang entstanden sei. Der Psychologische Psychotherapeut Dr. K., der die Klägerin seit September 2009 behandelte, teilte dem Beklagten mit, die Klägerin zeige eine mittelgradige depressive Episode sowie beinahe vollständig alle Symptome einer PTBS. Diese Störung sei ausreichend auf die mehrjährige Traumatisierung durch den Ehemann zurückzuführen. Die Klägerin habe sich von Anfang an gut auf die therapeutische Situation einlassen können, habe sich sehr motiviert gezeigt, an ihren Symptomen zu arbeiten und habe erste erfolgversprechende Schritte, wie Trennung vom Täter und Aktivierung ihrer sozialen Kontakte, eingeleitet.
Im Auftrag des Beklagten erstellte die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Sch. das Gutachten vom 6. Mai 2010. Sie teilte darin mit, nach den Angaben der Klägerin habe der Ehemann die psychische Störung auf Grund einer Infektion (Borreliose und FSME) nach Zeckenbissen als Friedhofsmitarbeiter entwickelt, sei aber schon zuvor cholerisch gewesen. Der Ehemann beziehe eine Rente der Berufsgenossenschaft von EUR 1.400,00. In dem Strafverfahren habe sie den Eindruck gehabt, ihrem Ehemann werde viel Verständnis entgegengebracht. Sie selbst habe EUR 800,00 Schmerzensgeld zugesprochen bekommen und lebe ansonsten von Arbeitslosengeld II. Der Ehemann übe fortlaufend Psychoterror aus. Dr. Sch. hatte auch die Vorerkrankungen der Klägerin eruiert. Sie meinte, es hätten schon vor den Übergriffen eine eingeschränkte Belastbarkeit, Anpassungsstörungen mit ängstlich-depressiven Anteilen und rasche Erschöpfbarkeit mit Migräne-Anfällen bestanden. Nach den Übergriffen habe die Erkrankung eine "qualitativ andere Qualität" erhalten. Sie erfülle zwar weder qualitativ noch quantitativ das Vollbild einer PTBS, jedoch seien einzelne Symptome vorhanden. Sie sei jedoch als "psychoreaktive Störung" einzustufen. Der GdB betrage 60, der schädigungsbedingte Anteil der Erkrankung sei mit einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 30 zu bewerten.
Die Versorgungsärztin Dr. D. schlug nach einer Auswertung dieses Gutachtens vor, den Vorschlägen Dr. Sch.s zu folgen, außerdem sah sie als weitere Schädigungsfolge im Sinne der Verschlimmerung verstärkte chronische Schmerzen im Schulter-Nackenbereich an, die für drei Jahre einen GdS von 10 bedingten.
Mit Erstanerkennungsbescheid vom 17. August 2010 erkannte der Beklagte daraufhin als Schädigungsfolgen mehrfacher - mit Daten konkretisierter - Gewalttaten eine psychoreaktive Störung sowie - im Sinne der Verschlimmerung - chronische Schmerzen im Halswirbelsäulenbereich als Schädigungsfolgen an und gewährte eine Beschädigtengrundrente ab dem 01. Juni 2009 nach einem GdS von 30.
Die Klägerin erhob Widerspruch und machte unter Verweis auf ein Attest des Internisten und Chiropraktikers Dr. Th. vom 22. Juli 2010 geltend, als weitere Schädigungsfolge bestehe eine Verklebung und Verletzung der Sehne bzw. der Halsmuskulatur mit stark erhöhter Druckempfindlichkeit des Halsmuskels und Atemproblemen bei Verspannungen. Der versorgungsärztliche Dienst führte hierzu unter anderem aus, die schädigungsbedingten Beeinträchtigungen im Halsbereich seien erfasst, im Übrigen beständen ältere degenerative Veränderungen. Unter anderem gestützt hierauf wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2011 zurück.
Am 21. Februar 2011 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Unter dem 2. Dezember 2011 hat sie schriftsätzlich eine Verurteilung des Beklagten – nur – zur Gewäh¬rung einer höheren Beschädigtenversorgung beantragt. Sie hat vorgetragen, die Schädigungen im Halsbereich seien gravierender als anerkannt und beruhten nicht auf degenerativen Vorerkrankungen, ferner bestehe eine Darmentzündung mit Bluten und ständiger Temperaturerhöhung.
Nach Anhörung des nunmehr behandelnden Orthopäden Dr. L. hat das SG zunächst von Amts wegen das Gutachten vom 15. März 2013 bei dem Fachorthopäden Dr. H. erhoben. Dieser Sachverständige hat bekundet, die von der Klägerin immer wieder beschriebenen Gewalteinwirkungen des Ehemannes seien sehr vielfältiger Natur und hinsichtlich ihrer biomechanischen Wirksamkeit schwierig abzuschätzen. Ohne Kenntnis dieser Vorgeschichte handle es sich bei der Klägerin um das Bild einer normalen Verschleißsymptomatik an der Halswirbelsäule im Segment C5/6 mit Schmerzen, geringer Bewegungseinschränkung und ohne eindeutige radikuläre Ausfälle. Eine wesentliche Beeinflussung des vorbestehenden Bandscheibenschadens durch das Würgen und Drücken des Ehemannes am Hals der Klägerin sei äußerst unwahrscheinlich. Dieselben Überlegungen gälten auch für die Verschleißerkrankung der rechten Schulter im Sinne arthrotischer Veränderungen des Schulterhauptgelenks und des Schultereckgelenks. Weichteilverletzungen an Hals und Schultergürtel seien heute nicht (mehr) objektivierbar, aber durchaus möglich. Sie könnten verantwortlich sein für die Schmerzen vom rechten Hals mit Einstrahlung in den rechten Arm und die Hand sowie die anstrengungsbedingten Gefühlsstörungen und Durchblutungsstörungen des rechten Armes in der rechten Hand (Thoracic-outlet-Syndrom). Insoweit sei eine neurologische Begutachtung notwendig.
Auf Grund dieses Hinweise hat das SG ein neurologisches Gutachten bei Dr. H. in Auftrag gegeben. Die Klägerin hat jedoch nach mehrfachem Schriftwechsel mit dem SG, in dem sie auch Dr. H. bzw. sein Gutachten "wegen nachweislich falscher Begutachtung" abgelehnt hat, eine neurologische Begutachtung verweigert und stattdessen auf einer chirurgischen Begutachtung bestanden.
Daraufhin hat das SG Dr. H. entbunden und - wiederum von Amts wegen - den Facharzt für Chirurgie Dr. H. mit einer Begutachtung der Klägerin beauftragt. Dieser Sachverständige teilte unter dem 18. Juli 2013 mit, eine umfangreiche angiologische Untersuchung im Juni 2012 habe die von der Klägerin behaupteten Durchblutungsstörungen nicht bestätigen können. Eine beschriebene geringe Knickbildung des Truncus cervico brachialis rechts am Übergang zur arteria subclavia habe keinerlei negativen Einfluss auf die Durchblutungssituation der Arme. Der Druckschmerz, den die Klägerin auf den Ort des Ansatzes der Sehne des musculus sternocleidomastoideus rechts am Schlüsselbein projiziere, entspreche der anatomisch bekannten vorderen SkalenusL ... Eine verheilte Rissbildung von Muskel- oder Sehnenanteilen in diesem Bereich lasse sich nicht nachweisen. Auch die hausärztlicherseits festgestellten narbigen Verklebungen hätten im MRT nicht nachgewiesen werden können. Die häusliche Gewalt habe – auf seinem Fachgebiet – keine Schädigungsfolgen bedungen.
Auf Antrag und Kostenrisiko der Klägerin hat sodann der Facharzt für Chirurgie Dr. H. das Gutachten vom 3. Dezember 2013 erstellt. Dieser Sachverständige hat ausgeführt, es beständen - degenerative - Bandscheibenprobleme und eine Arthrose. Eine Durchblutungsstörung der Arme bestehe nicht, ein "thoracic-outlet-Syndrom" könne ausgeschlossen werden. Auffallend seien jedoch eine geringe schmerzhafte Verdickung am Sternocleidomastoideus-Sehnenansatz am Brustbein, die von der Klägerin geklagten Beschwerden beim Schlucken und ein Globusgefühl bei der Armbewegung des rechten Armes nach oben. Diese Beeinträchtigungen könnten nicht mit den Bandscheibenproblemen und der Arthrose in Zusammenhang gebracht werden. Es sei eine weitere Abklärung notwendig, insbesondere ein "Breischluck" als zusätzliche Diagnostik durchzuführen. Es könne jedoch auch wegen dieser Beeinträchtigungen "ein Mitwirkungsanteil durch die häuslichen Gewalttaten so lange Zeit nach dem Unfallereignis nicht mehr verifiziert werden".
Die Klägerin hat gegen alle Gutachten verschiedene Vorwürfe erhoben. Eine weitere Diagnostik, insbesondere einen "Breischluck", hat sie verweigert. Auf ihre Schriftsätze vom 8. Januar und 10. Januar 2014 wird Bezug genommen.
Parallel beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die "Änderung der Diagnose". Es handle sich bei ihr nicht nur um eine psychoreaktive Reaktion, sondern um eine echte PTBS. Dazu legte sie Atteste der nunmehrigen Behandler, Dipl.-Psych. E. vom 10.11.2013 und des Psychiaters Dr. St. vom 27. Januar 2011, vor, in denen jeweils eine PTBS diagnostiziert war. Den Antrag und die Unterlagen hat der Beklagte direkt an das SG weitergeleitet.
In der mündlichen Verhandlung am 19. August 2014 vor dem SG hat die Klägerin beantragt, den Beklagten zur Anerkennung einer Narbe in den Halsweichteilen rechts mit Gefühls- und Durchblutungsstörungen des rechten Armes und der rechten Hand sowie Schluckbeschwerden sowie weiterer Schädigungsfolgen sowie zur Anerkennung einer PTBS an Stelle der anerkannten psychoreaktiven Störung sowie zur Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach einem GdS von wenigstens 40 zu verurteilen.
Mit Urteil vom selben Tage hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, ein Anspruch auf Anerkennung einer PTBS bestehe nicht. Es könne offen bleiben, ob ein solcher Anspruch rechtlich überhaupt bestehen könne. Jedenfalls liege bei der Klägerin keine PTBS vor. Dr. Sch. habe überzeugend dargelegt, dass das Vollbild dieser Erkrankung nicht bestehe. Auch Dr. K. habe ausgesagt, die Klägerin zeige "beinahe" das Vollbild einer PTBS. Die Verletzungen an den Halsweichteilen, so das SG weiter, seien zwar nachgewiesen, könnten aber nicht hinreichend wahrscheinlich auf die tätlichen Angriffe durch den Ehemann im Juni 2009 und zuvor zurückgeführt werden. Die Schilderungen der Klägerin über das Ausmaß der Angriffe und der Verletzungen seien mit zunehmendem Zeitabstand immer ausufernder geworden. Dies betreffe vor allem den ersten Angriff am 14. Juni 2009. Ihre Angabe, sie habe bei der Vernehmung bei der Polizei unter Schock gestanden und nicht alles berichten können, treffe nicht zu. Die Klägerin konstruiere sich hier ihre eigene Wirklichkeit. Die Vernehmung bei der Polizei habe am 3. Juli 2009, drei Wochen nach dem ersten Übergriff, stattgefunden. Dort habe sie weniger heftige Angriffe und Verletzungen berichtet, insbesondere kein Würgen. Auch der behandelnde Arzt B.-K. habe - etwa eine Woche nach den Angriffen - diverse blaue Flecken, an den Oberarmen, Druckstellen und ein abblassendes Hämatom an der Bauchdecke, diverse Oberschenkelhämatome, Druckstellen an den Rippen und Schmerzen beim Durchatmen festgestellt. Von Würgemalen habe er nichts berichtet. Auch in dem Polizeibericht vom Tag des Angriffs selbst heiße es, dass Würgemale oder Hämatome am Hals nicht hätten festgestellt werden können. Den späteren Vorfall am 26. Juni 2009 habe die Klägerin selbst für den weniger schwer wiegenden erklärt. Nach diesen Angaben könne allenfalls davon ausgegangen werden, dass die Klägerin leicht gewürgt worden sei. Es sei nicht wahrscheinlich, wenn auch nicht ausgeschlossen, dass dieser Angriff die von Dr. H. festgestellte narbige Veränderung am schlüsselbeinseitigen Sehnenansatz hervorgerufen habe. Vielmehr habe Dr. Th. später eine erhebliche chronische Entzündung der Sehnen und eine Verhärtung bzw. Verklebung der Halsmuskulatur durch einen Riss am Schlüsselbein festgestellt. Letztlich hätten die Angriffe auch nicht die vorbestehende Schädigung der Bandscheiben an der unteren HWS oder die arthrotischen Veränderungen am rechten Schultergelenk verschlimmert. Auch dies habe Dr. H. überzeugend festgestellt.
Gegen dieses Urteil, das ihrem Prozessbevollmächtigten am 25. August 2014 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 24. September 2014 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhoben. Sie verweist darauf, dass ihre behandelnden Ärzte jeweils eine PTBS diagnostiziert hätten, und sie meint, insoweit hätten diese als Zeugen vernommen werden müssen. Die Halsweichteilverletzungen seien auf das leichte Würgen, das auch das SG anerkannt habe, zurückzuführen. Insoweit verweist die Klägerin auch darauf, dass bereits im Jahre 2009 ein Knick in der Halsschlagader diagnostiziert worden sei, der vor den hier angeschuldigten Übergriffen nicht vorhanden gewesen sei. Zu ihrem Vortrag hat die Klägerin weitere Atteste Ihrer Behandler vorgelegt, darunter von der Orthopädin Dr. L. vom 3. April 2014 und von der Dipl.-Psych. E. vom 10. November 2013 und 8. Juli 2014. Mit Schriftsatz vom 8. Februar 2016 hat sie ergänzend hilfsweise einen Antrag auf Erhebung eines Wahlgutachtens gestellt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 19. August 2014 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 17. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2011 zu verurteilen, bei ihr als Schädigungsfolge auch noch eine Narbe in den Halsweichteilen rechts mit Gefühlsstörungen und Durchblutungsstörungen des rechten Armes und der rechten Hand sowie Schluckbeschwerden sowie an Stelle einer psychoreaktiven Störung ein posttraumatisches Belastungssyndrom anzuerkennen und eine Beschädigtengrundrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von wenigstens 40 zu gewähren, hilfsweise ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz bei Prof. Dr. M. R., Rottweil, zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass bei ihr eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegt.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angegriffene Urteil und seine Entscheidungen.
Der vormalige Berichterstatter des Senats hat die Rechts- und Sachlage mit den Beteiligten erörtert. Er hat dort unter anderem auf eine mögliche Klageänderung in erster Instanz hingewiesen. Ferner hat er die Klägerin darauf hingewiesen, dass ihr Verbleiben in der Gefahrensituation nach den nunmehr bekanntgewordenen Gewalttaten 1994 möglicherweise einen Ausschlussgrund gegen eine Beschädigtenversorgung darstelle. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung am 15. April 2015 verwiesen.
Zu den genannten Hinweisen des Berichterstatters hat die Klägerin unter dem 23. April 2015 und 28. Mai 2015 Stellung genommen. Sie hat darauf hingewiesen, ihr Mann habe sie ständig mit dem Tode bedroht. Ihre psychische und soziale Lage habe eine Befreiung aus der Gefahrensituation ausgeschlossen. Eine unzulässige Klageänderung habe nicht vorgelegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, weil die Klägerin Sozialleistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) und außerdem behördliche Feststellungen begehrt.
Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 151 Abs. 1 SGG). Das LSG ist auch instanziell für den gesamten in der Berufungsinstanz erhobenen Klageantrag zuständig. Die Klägerin hatte bereits in erster Instanz zuletzt neben einer höheren Beschädigtenversorgung auch die Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen und die Abänderung der Bezeichnung einer Schädigungsfolge beantragt. Über diesen erweiterten Antrag hat das SG entschieden, sodass das angegriffene Urteil die Klägerin auch in diesen Punkten beschwert. Zwischen den Instanzen hat die Klägerin ihren Antrag nicht mehr geändert.
Der Senat konnte in der Sache über die Berufung der Klägerin entscheiden, ohne zuvor das beantragte Gutachten bei Prof. Dr. R. einzuholen. Der diesbezügliche Antrag war abzulehnen.
Der Antrag ist verfristet im Sinne von § 109 Abs. 2 SGG. Der frühere Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Berufungsverfahren hatte keinen Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG gestellt, sondern zur Untermauerung des neuen Vortrags, es liege auch eine PTBS vor, auf die Atteste der behandelnden Ärzte verwiesen. Erst der jetzige Prozessbevollmächtigte hat den Antrag, Prof. Dr. R. als Wahlgutachter zu hören, in seinem Schriftsatz vom 8. Februar 2016 gestellt. Zu diesem Zeitpunkt war bereits zu der mündlichen Verhandlung am 18. Februar 2016 geladen, außerdem war der Verhandlungstermin, der ursprünglich auf den 17. Dezember 2015 anberaumt gewesen war, bereits einmal auf Antrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin verlegt worden. Vor diesem Hintergrund wäre durch eine Zulassung des Antrags die Erledigung des Rechtsstreits verzögert worden. Da der neue Prozessbevollmächtigte auch mindestens seit August 2015 mandatiert war und im September 2015 die Akten eingesehen hatte, aber auch in der mündlichen Verhandlung am 18. Februar 2016 keine Begründung für die späte Antragstellung genannt hat, war der Antrag verspätet im Sinne von § 109 Abs. 2 Halbsatz 2 Var. 2 SGG.
Da der Antrag bereits verfristet war, muss der Senat nicht entscheiden, ob das Antragsrecht der Klägerin nach § 109 Abs. 1 SGG auch verbraucht ist. Nach der Rspr. steht das Antragsrecht nach § 109 SGG allerdings grundsätzlich nur einmal in beiden Tatsacheninstanzen zur Verfügung (Urteile des Senats vom 27. August 2015 – L 6 SB 425/15 und vom 2. März 2011 - L 6 SB 4878/08 - juris Rz. 22; zu einem wiederholten Antrag auf demselben Fachgebiet: BSG, Beschluss vom 17. März 2010 - B 3 P 33/09 B - juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 1. Februar 2011 - L 11 R 221/09; Hessisches LSG, Urteil vom 13. August 2008 - L 4 V 12/07 - juris Rz. 23; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 6. Februar 2006 - L 1 U 2572/05 - juris Rz. 41; zu einem wiederholten Antrag für die Beurteilung von Schmerzen: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. Oktober 2009 - L 11 R 4832/08). Denn es entspricht dem Beweisrecht, dass das Gericht nicht verpflichtet ist, einem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis einer bestimmten Tatsache beliebig oft nachzukommen (BSG, Urteil vom 15. April 1991 - 5 RJ 32/90 - juris Rz. 16; Kolmetz, SGb 2004, S. 83, 86). Außerdem ist § 109 SGG als Ausnahmevorschrift zu der Regelung des § 103 Satz 2 SGG, wonach das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen erforscht, eng auszulegen (BSG, Beschluss vom 17. März 2010 - B 3 P 33/09 B - juris Rz. 12). Eine wiederholte Antragstellung nach § 109 SGG rechtfertigt sich - auch nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 26. Januar 1970 - 7/2 RU 64/69 - SozR Nr. 37 zu § 109 SGG; BSG, Urteil vom 6. Mai 1958 - 10 RV 813/56 - SozR Nr. 18 zu § 109 SGG; BSG, Urteil vom 29. Dezember 1957 - 2 RU 241/56 - SozR Nr. 14 zu § 109 SGG; BSG, Urteil vom 31. Juli 1957 - SozR Nr. 6 LS zu § 109 SGG) - nur bei Vorliegen besonderer Umstände. Solche besonderen Umstände sind zwar in der Literatur anerkannt, wenn für einzelne Gesundheitsstörungen mehrere Facharztgruppen zuständig sind und ein Spezialist auf einem Fachgebiet gehört werden soll, dem der zuerst gehörte Gutachter nicht angehört (Berchtold, Prozesse in Sozialsachen, S. 345, Rz. 556; Hauck in Hennig, SGG, § 109, Rz. 28; Kerber in jurisPR-MedizinR 7/2010 Anm. 1, E.; Kolmetz in Jansen, SGG, § 109, Rz. 6; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Auflage, S. 98, Rz. 94; Kummer, Das sozialgerichtliche Verfahren, 2. Auflage, S. 163, Rz. 17; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Auflage, § 109, Rz. 10b; Roller in Lüdtke, SGG, 4. Auflage, § 109, Rz 6; Udsching, NZS 1992, S. 50, 54). Vor diesem Hintergrund hätte die Klägerin zusammen mit ihrem Antrag darlegen müssen, warum nun ein Gutachten auf psychiatrischem Fachgebiet eingeholt werden solle, nachdem sie noch erstinstanzlich eine solche Begutachtung mit der Begründung abgelehnt hat, ihre Beschwerden würden hauptsächlich von der Halswirbelsäule herrühren.
Die Berufung ist in der Sache nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage mit den bereits in erster Instanz gestellten Anfechtungs- und Verpflichtungs- (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) bzw. Anfechtungs- und Leistungsanträgen (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) abgewiesen.
Allerdings sind alle Anträge der Klägerin zulässig.
Den Antrag wegen einer höheren Beschädigtenversorgung hatte die Klägerin von Anfang an gestellt, bereits in ihrer Klagebegründung vom 2. Dezember 2011. Im Übrigen, also hinsichtlich der Schädigungsfolgen, liegt eine zulässige Klageänderung vor. Zwar hatte die Klägerin mit diesem neuen Antrag in der mündlichen Verhandlung am 19. August 2014 einen neuen, zusätzlichen Streitgegenstand eingeführt, sodass kein Fall des § 99 Abs. 3 SGG vorlag. Der Beklagte hat jedoch in diesen Klageänderung bzw. Klageerweiterung eingewilligt (§ 99 Abs. 1 Var. 1 SGG), denn er hat sich in der mündlichen Verhandlung auf den neuen Antrag der Klägerin rügelos im Sinne von § 99 Abs. 2 SGG eingelassen, indem er – allgemein – Abweisung der Klage beantragt hat.
Die Klage ist auch insgesamt zulässig, auch mit den Anträgen auf Grund der Klageänderung. Insbesondere hat der Beklagte in dem angegriffenen Bescheid zugleich über die Schädigungsfolgen entschieden (§ 54 Abs. 1 SGG) und diese Frage war auch Gegenstand des Widerspruchsverfahrens (§§ 78 ff. SGG), weil die Klägerin ihren Widerspruch - noch - nicht auf eine höhere Versorgung beschränkt hatte.
Die Anträge sind jedoch nicht begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung der von ihr geltend gemachten PTBS als weitere Schädigungsfolge. Dabei kann der Senat dahin gestellt sein lassen, ob überhaupt ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung besteht, nachdem der Beklagte bereits "psychoreaktive Störungen" anerkannt hat (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Juni 2014 - L 6 VU 2236/13 ZVW -, Juris Rn. 76). Denn jedenfalls kann sich der Senat nicht davon überzeugen, dass die Klägerin an einer PTBS leidet.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält ein Betroffener, der infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen sich oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unterscheidet ebenso wie § 1 Abs. 1 BVG zwischen dem schädigenden Ereignis, der dadurch hervorgerufenen gesundheitlichen Schädigung und den gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung. Anders als der Ursachenzusammenhang zwischen schädigendem Vorgang, primärer gesundheitlicher Schädigung und Schädigungsfolge, der nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG schon im Falle der Wahrscheinlichkeit zu bejahen ist, bedarf es für die Annahme der primären gesundheitlichen Schädigung des Vollbeweises. Das verlangt zwar nicht, dass die Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indes ein so hoher Grad an Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch noch zweifelt, d.h. die Wahrscheinlichkeit muss an Sicherheit grenzen.
Der Senat hat sich bei der Beurteilung der Frage, ob eine PTBS vorliegt, in seiner ständigen Rechtsprechung (vgl. zuletzt Urteil vom 27. August 2015 - L 6 VS 4569/14 - Juris Rn. 34 ff.) an den gängigen Diagnosesystemen entsprechend der Nomenklatur der International Classification of Diseases (ICD-10-GM-2016 [German Modification, Version 2016]) oder des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) orientiert. Denn die konkret zu bezeichnenden Krankheiten bilden die Tatsachengrundlage, von der ausgehend die Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Leistungsvermögens zu beurteilen ist (so auch BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17; BSG SozR 4-2700 § 200 Nr. 3). Das DSM lag bis 2013 in seiner vierten Ausgabe (DSM-IV-TR) vor. Insoweit konnte es neben der ICD-10 herangezogen werden. Dagegen bestehen gegen das zwischenzeitlich seit Mai 2013 als Nachfolger des DSM-IV-TR nunmehr in deutscher Sprache vorliegende diagnostische und statistische Manual in seiner 5. Auflage (DSM-5) Bedenken hinsichtlich seiner Validität (vgl. im Einzelnen LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27. August 2015 - L 6 VS 4569/14, Juris Rn. 41 ff.).
Die PTBS wird als Gesundheitsstörung nach ICD-10 F43.1 erfasst. Hiernach entsteht eine PTBS als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, zum Beispiel zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung über.
Unter Zugrundelegung dieser, dem heutigen medizinischen Wissensstand entsprechenden Vor-aussetzungen (vgl. zu diesem Erfordernis BSG, Urteile vom 15. Mai 2012 - B 2 U 31/11 R - Juris und 27. April 2010 - B 2 U 13/09 R, Juris Rn. 27 m. w. N.) leidet die Klägerin nicht an einer PTBS. Bei dieser Einschätzung stützt sich der Senat im Wesentlichen auf das im Wege des Urkundsbeweises verwertbare Gutachten von Dr. Sch., das der Beklagte im Verwaltungsverfahren erhoben hat, und auf die Angaben der behandelnden Ärzte, ebenfalls aus dem Verwaltungsverfahren. Dr. Sch. hat überzeugend herausgearbeitet, dass bei der Klägerin nur einzelne Elemente aus dem Vollbild einer PTBS vorhanden sind. Sie hat insoweit auf Intrusionen, Körpererinnerungen und Schreckhaftigkeit hingewiesen. Bereits die Wiedererinnerungen sind aber nach den Angaben der Klägerin bei der Gutachterin nicht spontan, sondern werden durch aktuelle Ereignisse, vor allem Anrufe des früheren Ehemannes und Nachrichten von ihm auf ihrem Anrufbeantworter ausgelöst. Nicht festzustellen bei der Klägerin ist ferner das andauernde Gefühl von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit, das sich in der Regel in Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber und Freudlosigkeit äußert. Die Klägerin hat insoweit von aktiven und positiven sozialen Kontakten, insbesondere zu ihrer Familie, also zu den Eltern, dem Bruder und der Schwägerin sowie dem Patenkind berichtet. Ferner hat sie angegeben, sie freue sich durchaus auch darüber, dass sie dem Ehemann gegenüber keine Wut empfinde. Die Einschätzung, die Dr. Sch. auch auf der Grundlage dieser Angaben gemacht hat, deckt sich im Ergebnis mit der Aussage des behandelnden Psychotherapeuten Dr. K. vom 4. März 2010, der ausgeführt hatte, die Klägerin zeige "beinahe" vollständig alle Symptome der ICD-10 F43.1. Dem steht auch nicht entgegen, dass sich die Klägerin seit September 2013 in Traumatherapie bei Dipl.-Psych. E. befindet, die zwar die Diagnose einer PTBS gestellt hat, dieses aber - so ergibt es sich aus ihrer Anamneseschilderung in dem Attest vom 8. Juli 2014 - unter Zugrundelegung eines Geschehensablaufs, wonach die Klägerin im Juni 2009 die halbe Nacht geschlagen und massiv gewürgt worden sei. Das belegt hinlänglich, dass die Therapeutin die Angaben der Klägerin nicht kritisch hinterfragt hat, was auch nicht ihre Aufgabe ist, sie aber von der forensisch tätigen Sachverständigen Dr. Sch. unterscheidet.
Ferner hat die Klägerin keinen Anspruch darauf, dass zusätzlich zu der festgestellten Schädigungsfolge "chronische Schmerzen im Halswirbelsäulenbereich" noch eine Narbe in den Halsweichteilen rechts mit Gefühls- und Durchblutungsstörungen des rechten Arms und der rechten Hand sowie Schluckbeschwerden anerkannt werden.
Anders als das SG hält der Senat diese Gesundheitsstörungen bereits nur für teilweise nachgewiesen.
Aus orthopädischer Sichtweise hat Dr. H. ausgeführt, ein "Thoracic outlet syndrom" mit anstrengungsbedingten Gefühls- und Durchblutungsstörungen des rechten Arms sei zwar denkbar, aber eine Objektivierung solcher Veränderungen, z. B. durch elektrophysiologische Messungen, sei ihm nicht möglich. Er hat hierzu ein neurologisches Gutachten für notwendig gehalten. Ein solches hat die Klägerin aber verweigert. Hierin lag ein Verstoß gegen ihre prozessuale Mitwirkungsobliegenheit nach § 103 Satz 1 Halbsatz 2 SGG. In solchen Fällen ist das Gericht zu weiteren oder ggfs. anderen Ermittlungen nur eingeschränkt verpflichtet (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 103 Rn. 15 f.). Insbesondere gilt hier in besonderem Maße, dass das Gericht nicht in jede erdenkliche Richtung, quasi "ins Blaue hinein" ermitteln muss. Vielmehr muss ein Beteiligter, der eine an sich geschuldete Mitwirkung verweigert, die andere Ermittlungsmöglichkeit konkret darlegen (Leitherer, a.a.O., Rn. 16). Dies hat die Klägerin nicht getan. Eine andere Möglichkeit als die von Dr. H. genannte neurologische Begutachtung zur vollständigen Aufklärung der Ursachen der körperlichen Beschwerden stand nicht zur Verfügung, weshalb auch sonst keine Anhaltspunkte für eine weitere Sachaufklärung gegeben waren.
Das Gleiche gilt, sofern die geklagten Beschwerden nicht orthopädisch bedingt sein sollten: Dr. H. hat insoweit eine schmerzhafte tastbare geringe Verdickung am Sternocleidomastoideus-Sehnenansatz am Sternum (Brustbein) ertastet und dies in seinem Gutachten mitgeteilt. Er hat dabei von einer schmerzhaften Vernarbung bzw. einer Tendinitis am distalen Sternocleidomastoideus-Ansatz, also am schlüsselbeinwärts gelegenen Ansatz der zum musculus sternocleidomastoideus (Halsmuskel zwischen Brustbein (sternum) und Schlüsselbein (griechisch cleido) sowie dem Warzenfortsatz (processus mastoideus) des Schläfenbeins) führenden Sehnen, gesprochen. Dagegen konnte sich der Senat nicht mit der gebotenen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit davon überzeugen, dass bei der Klägerin außerdem Schluckbeschwerden und - gesondert daneben oder mit den Schluckbeschwerden einhergehend - Schmerzausstrahlungen in den rechten Arm und die rechte Hand vorliegen. Dr. H. hat - anders als Dr. H. - diese geklagten Beschwerden akzeptiert und als "Globusgefühl" bezeichnet und mit den Schluckbeschwerden in Zusammenhang gebracht, weil die Ausstrahlungsgefühle in den Arm nach seinen Feststellungen vor allem beim Schlucken und gleichzeitigem Vornüberbeugen auftraten (S. 7 seines Gutachtens). Auch er hat aber letztlich eine weitere Begutachtung zur abschließenden Verifizierung dieser Beschwerden für nötig gehalten, nämlich einen so genannten "Breischluck" mit einem kontrastmittelhaltigen Brei. Auch dies hat die Klägerin verweigert, ohne dass alternative Ermittlungsmöglichkeiten zur Feststellung der Ursachen der geklagten Beschwerden vorgetragen oder ersichtlich sind.
Nicht nachgewiesen sind zur Überzeugung des Senats ferner Durchblutungsstörungen im rechten Arm. Hierzu hat die Klägerin, erneut in der Berufungsinstanz, vorgetragen, bereits 2009 sei im Herzzentrum Bad Krozingen ein Knick in der Aorta carotis diagnostiziert, der auf den Übergriff zurückgeführt werden müsse. Dass dieser Knick vorliegt, kann zu Gunsten der Klägerin unterstellt werden. Auch hat ihre behandelnde Orthopädin Dr. L. in dem Attest vom 3. April 2014, das die Klägerin in der Berufungsinstanz eingereicht hat, auf diesen Umstand hingewiesen. Bei einem solchen Knick handelt es sich nicht per se um einen Gesundheitsschaden. Funktionsbeeinträchtigungen aus diesem ungewöhnlichen Verlauf der A. carotis resultieren nämlich nicht. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten von Dr. H., der unter 18. Juli 2013 mitgeteilt hatte, eine umfangreiche angiologische Untersuchung im Juni 2012 habe die von der Klägerin behaupteten Durchblutungsstörungen nicht bestätigen können, ferner habe die beschriebene geringe Knickbildung des Truncus cervico brachialis rechts am Übergang zur arteria subclavia keinerlei negativen Einfluss auf die Durchblutungssituation der Arme.
Unabhängig hiervon können die Beeinträchtigungen im Halsbereich, auch jene, die tatsächlich vorliegen, nicht mit der gebotenen hinreichenden Wahrscheinlichkeit auf die Angriffe durch den Ehemann zurückgeführt werden. Allenfalls bestand zeitweise die auch vom Beklagten anerkannte Verschlimmerung vorbestehender chronische Schmerzen im Halswirbelsäulenbereich nach 2006 erlittenen Bandscheibenprotusionen C5/C6 nach Autounfall.
Diese Einschätzung hat auch Dr. H., der von der Existenz der geklagten Beschwerden ausgegangen ist, so angenommen. Er hat darauf hingewiesen, dass ein Zusammenhang zwischen den Angriffen und den lange danach erstmals geklagten Beschwerden unwahrscheinlich ist. Dass die Schilderungen der Klägerin über das Ausmaß der Angriffe im Laufe der Zeit immer ausufernder geworden sind, hat das SG überzeugend dargelegt. Auch der Senat geht davon aus, dass die ersten, unmittelbar nach einem Vorfall abgegebenen Erklärungen eines Opfers am glaubhaftesten sind, weil hier noch bessere Erinnerungen bestehen und das Opfer unter dem unmittelbaren Eindruck des Angriffs steht. Bei ihrer ersten Vernehmung am 3. Juli 2009 hat die Klägerin nach den konkreten Schilderungen der Angriffe am 13. und 14. Juni 2009 angegeben, sie habe Schmerzen am rechten Arm und an der rechten Wange. Sowohl der behandelnde Arzt B.-K. am 23. Juni 2009 als auch die Polizisten bei dem Einsatz am 14. Juni 2009 hatten bei der Klägerin Prellungen an Bach, an den Rippen und am Oberarm festgestellt, aber am Hals keine Hämatome und keine Würgemale. Bei dem weiteren Angriff am 25. Juli 2009 hat der Ehemann - nach den Angaben der Klägerin bei der Vernehmung am 5. August 2009 - "leicht" gewürgt und sie mit der Hüfte gegen die Tür gestoßen. Als Verletzungen hat sie dort eine Prellung oder Quetschung oder einen Kratzer an der rechten Hüfte erlitten. Dies deckt sich mit den Feststellungen der Polizeibeamten bei dem Einsatz am 25. Juli 2009, die von einer Rötung an der Hüfte sprachen. Auch nach diesem Angriff konnten daher bei der Klägerin keine Verletzungen im Halsbereich festgestellt werden.
Auf Grund dieser Feststellungen nach den Taten geht auch der Senat davon aus, dass das Würgen keine Gesundheitsbeeinträchtigungen ausgelöst hat, die über die anerkannte Schädigungsfolge hinausgehen. Insbesondere kann der Senat nicht mit Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die tätlichen Einwirkungen die von Dr. H. festgestellte narbige Veränderung im Bereich des schlüsselbeinseitigen Sehnenansatzes des musculus sternocleidomastoideus hervorgerufen haben, auch wenn dies nicht ausgeschlossen werden kann. Schädigungsbedingt war dann allenfalls die phasenweise Verschlimmerung der vorbestehenden Bandscheibenschädigung im Bereich der unteren Halswirbelsäule, die der Beklagte anerkannt hat. Diese Einschätzung lässt sich damit rechtfertigen, dass der Arzt B.-Klaffe in dem Attest vom 9. Juli 2009 auch auf eine Rotationsempfindlichkeit im Bereich der - blockierten - WS-Segmente C6 und C7 hingewiesen hat. Insoweit besteht aber auch eine Überschneidung mit den psychischen Beschwerden (dazu siehe unten).
An dieser Einschätzung ändern auch die im Berufungsverfahren eingereichten Atteste über die körperlichen Schädigungen der Klägerin nichts. Die radiologische Gemeinschaftspraxis Dr. L. hat bei der kernspintomografischen Untersuchung am 18.11.2014 ein mäßiges Impingementsyndrom und eine leichte Arthrose im AC-Gelenk und eine ebenfalls als chronisch bezeichnete Ansatztendinose beider großer Sehnen im Schulterbereich beschrieben, aber keine Spuren einer Ruptur oder eines Ergusses feststellen können.
Die anerkannten Schädigungsfolgen bedingen keinen höheren GdS als 30 (§ 30 Abs. 1 Satz 1 BVG), sodass die Klägerin insbesondere keine höhere Grundrente als zuerkannt (§ 31 Abs. 1 BVG) verlangen kann.
Der Senat orientiert sich bei der Prüfung des GdS an der seit 1. Januar 2009 an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23. Juni 1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29. August 1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" (AHP) 2008 getretene Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG), der Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV).
Die psychoreaktive Störung bedingt nach wie vor den zuerkannten GdS von 30.
Nach Teil B Nr. 3.7 VG beträgt der GdS für Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen im Falle leichterer psychovegetativer oder psychischer Störungen 0 bis 20. Bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägteren depressiven, hypochondrischen, asthenischen oder phobischen Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoformen Störungen) liegt er bei 30 bis 40. Bei schweren Störungen (z. B. schweren Zwangskrankheiten) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten beträgt der GdS 50 bis 70, mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten 80 bis 100 (Urteil des Senats vom 27. August 2015 - L 6 VG 2141/13 - Rn. 48, juris).
Vor diesem Hintergrund folgt der Senat der Einschätzung der Gutachterin Dr. Sch., für die psychische Erkrankung einen GdS von 30 anzunehmen. Danach sind bereits stärker behindernde Störungen mit wesentlichen Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit begründet, aber noch keine solchen schweren mit mittelgradigen sozialen Anpassungsstörungen. Auf der psychischen Leidensebene stehen nachvollziehbare Ängste der Klägerin im Vordergrund, insbesondere wenn der Ehemann Nachrichten auf dem Anrufbeantworter hinterlässt. In diesem Zusammenhang ist es zu sehen, dass die Klägerin nachts oft aufwacht und dann über physische Symptome wie Herzrasen klagt. Die geklagten Durchfälle, die in solchen Situationen auftreten, sind hier zu verorten und nicht auf eine gesonderte organische Darmerkrankung zurückzuführen. Letztlich kreisen die Gedanken der Klägerin weiterhin oft um die erlittenen Demütigungen, auch heute noch. Auf originär physischer Ebene sind die Folgen der psychischen Erkrankung aber nicht schwer ausgeprägt. Teile der Schmerzen, die die Klägerin angibt, haben organische Ursachen und sind auch vom Beklagten gesondert anerkannt. Bei der Begutachtung durch Dr. Sch. hat die Klägerin, nach Schmerzen befragt, im Wesentlichen die bekannten Probleme an der Schulter und am rechten Arm angegeben (S. 11 f. des Gutachtens). Die soziale Leidensdimension letztlich sieht der Senat ebenfalls nicht als übermäßig stark ausgeprägt an. Die Klägerin war bereits seit 2004 nicht mehr berufstätig, sodass ihr Ausscheiden aus dem Arbeitsleben nicht den hier relevanten Angriffen im Jahre 2009 zugeordnet werden kann. Der Tagesablauf, wie sie ihn bei Dr. Sch. (S. 9 f. des Gutachtens) geschildert hat, ist noch strukturiert, insbesondere führt die Klägerin ihren Haushalt noch selbst und pflegt einen dazu gehörenden Gemüsegarten allein, verlässt regelmäßig das Haus, überwiegend mit ihrem Hund - der allerdings nach der Begutachtung verstorben ist -, aber auch, um schwimmen zu gehen und - in größeren Abständen - eine Freundin zu treffen. An anderer Stelle (S. 14 f.) hat die Klägerin noch angegeben, auch zu den Eltern, dem Bruder und seiner Ehefrau sowie vor allem zu dem Patenkind habe sie eine gute Verbindung, sodass kein sozialer Rückzug in nennenswertem Umfang zu verzeichnen ist. Dagegen spricht auch, dass die Klägerin eine neue Beziehung aufbauen konnte, wozu die zunächst sehr erfolgreiche Therapie bei Psychotherapeut Dr. K. beigetragen haben dürfte, was der Senat seinem Zwischenbericht 2010 entnimmt. Zu einem erneuten behandlungsbedürftigen Einbruch ist es dann durch den plötzlichen Tod ihrer Mutter gekommen, was Dipl.-Psych. E. in ihrem Attest vom 8. Juli 2014 insoweit nachvollziehbar für den Senat dargelegt hat, ohne dass die Klägerin selbst eine Verschlimmerung ihrer psychischen Beschwerden in der Zwischenzeit geltend gemacht hatte, vielmehr im Vordergrund die organischen - in diesem Fall chirurgischen - Einschränkungen gesehen hat. Soweit die jetzt vorhandenen psychischen Beschwerden auf den Tod der Mutter im Oktober 2013 zurückzuführen sind, können sie den GdS, der ja nur die schädigungsbedingten Auswirkungen erfasst, nicht erhöhen. Darüber hinaus belegt auch das Prozessverhalten der Klägerin, nicht zuletzt ihre verschiedenen Anträge und vielen Schriftsätze, dass sie durchaus noch in ihrer Gestaltungsfähigkeit nicht krankheitswertig stark beeinträchtigt ist.
Die chronischen Schmerzen im Halswirbelbereich im Sinne der Verschlimmerung können, wie Dr. D. vom sozialmedizinischen Dienst des Beklagten vorgeschlagen hat, anfangs mit einem GdS von 10 bewertet werden. Hierbei kann offen bleiben, ob der Wirbelsäulenschaden an der HWS insgesamt bereits zu mittelgradigen Auswirkungen geführt hat, die nach Teil B Nr. 18.9 VG ggfs. einen GdS von 20 bedingen können. Die Klägerin hat bei Dr. Sch. insoweit nur von Schmerzen und von Problemen beim Tragen von über 5 kg berichtet. OMR’in Mutter hat diese zutreffend, nach dem sich im zeitnahen CT von Dezember 2009 keine Frakturen oder Verletzungsfolgen fanden, auf die vorbestehenden degenerativen Veränderungen zurückgeführt, die schädigungsunabhängig sind, aber andererseits auch negativ durch psychosomatische Beschwerden beeinflusst werden können, so dass insoweit eine Überschneidung zur anerkannten psychoreaktiven Reaktion besteht. Jedenfalls hatte die Schädigung lediglich eine Verschlimmerung bedingt, die - isoliert betrachtet - nur als geringfügige funktionelle Auswirkung und damit mit einem GdS von 10 einzustufen ist.
Der danach anzuerkennende GdS von 10 erhöht den Gesamt-GdS aber nicht, vgl. Teil A Nr. 3 Buchstabe d Doppelbuchstabe ee Satz 2 VG.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen und eine höhere Beschädigtenversorgung als bewilligt.
Die Klägerin ist 1968 geboren, deutsche Staatsangehörige und im Inland wohnhaft. Sie ist seit 2005 arbeitslos und bezieht Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie lebt in einer Einliegerwohnung in einem gemeinsamen Mehrfamilienhaus mit ihren Eltern bzw. ihrem Bruder. Spätestens seit 2013 hatte sie einen neuen Lebensgefährten, den sie im Herbst 2015 geheiratet hat.
Im Oktober 2009 hatte sich die Klägerin von ihrem damaligen Ehemann räumlich getrennt, der aufgrund einer Persönlichkeitsveränderung nach Zeckenbiss seit 2007 immer aggressiver gegen sie geworden war. Sie hat zahlreiche Rechtsstreitigkeiten betrieben, die sie - auch wenn ein Bevollmächtigter eingeschaltet ist - selbst mit umfangreichen Schriftsätzen betreibt.
Am 18. September 2009 beantragte sie bei dem zuständigen Landratsamt (LRA) als Versorgungsamt eine Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Sie gab an, ihr durch ein hirnorganisches Psychosyndrom beeinträchtigter Ehemann habe sie seit 2008 mehrfach angegriffen und körperlich verletzt. Hierdurch habe sie auch schwere seelische Traumafolgen davongetragen. Sie legte ihren Schwerbehindertenausweis bei, aus dem sich ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 seit 2003 und von 60 seit April 2007 ergibt.
Der Beklagte zog die Ermittlungsakten zu zwei Vorfällen bei, auf die sich die Klägerin berufen hatte. Danach hatte ihr Ehemann die Klägerin am 14. Juni 2009 (und schon in den Tagen davor) geschlagen und am Hals gewürgt. Der Polizei waren Hämatome aufgefallen, jedoch keine Spuren im Halsbereich. Der behandelnde Arzt der Klägerin, B.-K., hatte unter dem 9. Juli 2009 auf Grund einer Untersuchung vom 23. Juni 2009 die Diagnosen: "Prellung von Brust, Bauch und Rücken, Oberarmprellung, Unterschenkel- und Oberschenkelprellungen" gestellt. Jenes Verfahren war mangels Strafantrags eingestellt worden. Das andere Verfahren betraf einen Übergriff am 25. Juli 2009. Dort hatte der Ehemann die Klägerin am Hals gepackt und gewürgt, anschließend an den Hüften gepackt und gegen eine Tür gestoßen. Arzt B.-K. hatte dazu in einem Attest vom 7. August 2009 ein Hämatom am linken Oberschenkel und linken Unterarm, eine Abschürfung am rechten Knie und abblassende Spuren (Würgemale) im Kehlkopfbereich beschrieben. Wegen dieses Vorfalls hatte die Staatsanwaltschaft die Klägerin auf den Privatklageweg verwiesen, unter anderem mit der Begründung, der Ehemann sei psychisch krank.
Sodann zog der Beklagte medizinische Unterlagen bei: Herr B.-K. teilte mit, die Klägerin klage über fortbestehende Schmerzen im Schulter-Nackenbereich, die grobe Kraft im rechten Arm sei reduziert, die Elevation eingeschränkt. Der Orthopäde Dr. E. habe insoweit eine Tendinits calcarea der Supraspinatussehne und mäßige degenerative Veränderungen im Sternoclaviculargelenk und im ersten Sternocostalgelenk rechts diagnostiziert. Im Vordergrund, so B.-K., stehe aber die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), die in diesem Zusammenhang entstanden sei. Der Psychologische Psychotherapeut Dr. K., der die Klägerin seit September 2009 behandelte, teilte dem Beklagten mit, die Klägerin zeige eine mittelgradige depressive Episode sowie beinahe vollständig alle Symptome einer PTBS. Diese Störung sei ausreichend auf die mehrjährige Traumatisierung durch den Ehemann zurückzuführen. Die Klägerin habe sich von Anfang an gut auf die therapeutische Situation einlassen können, habe sich sehr motiviert gezeigt, an ihren Symptomen zu arbeiten und habe erste erfolgversprechende Schritte, wie Trennung vom Täter und Aktivierung ihrer sozialen Kontakte, eingeleitet.
Im Auftrag des Beklagten erstellte die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Sch. das Gutachten vom 6. Mai 2010. Sie teilte darin mit, nach den Angaben der Klägerin habe der Ehemann die psychische Störung auf Grund einer Infektion (Borreliose und FSME) nach Zeckenbissen als Friedhofsmitarbeiter entwickelt, sei aber schon zuvor cholerisch gewesen. Der Ehemann beziehe eine Rente der Berufsgenossenschaft von EUR 1.400,00. In dem Strafverfahren habe sie den Eindruck gehabt, ihrem Ehemann werde viel Verständnis entgegengebracht. Sie selbst habe EUR 800,00 Schmerzensgeld zugesprochen bekommen und lebe ansonsten von Arbeitslosengeld II. Der Ehemann übe fortlaufend Psychoterror aus. Dr. Sch. hatte auch die Vorerkrankungen der Klägerin eruiert. Sie meinte, es hätten schon vor den Übergriffen eine eingeschränkte Belastbarkeit, Anpassungsstörungen mit ängstlich-depressiven Anteilen und rasche Erschöpfbarkeit mit Migräne-Anfällen bestanden. Nach den Übergriffen habe die Erkrankung eine "qualitativ andere Qualität" erhalten. Sie erfülle zwar weder qualitativ noch quantitativ das Vollbild einer PTBS, jedoch seien einzelne Symptome vorhanden. Sie sei jedoch als "psychoreaktive Störung" einzustufen. Der GdB betrage 60, der schädigungsbedingte Anteil der Erkrankung sei mit einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 30 zu bewerten.
Die Versorgungsärztin Dr. D. schlug nach einer Auswertung dieses Gutachtens vor, den Vorschlägen Dr. Sch.s zu folgen, außerdem sah sie als weitere Schädigungsfolge im Sinne der Verschlimmerung verstärkte chronische Schmerzen im Schulter-Nackenbereich an, die für drei Jahre einen GdS von 10 bedingten.
Mit Erstanerkennungsbescheid vom 17. August 2010 erkannte der Beklagte daraufhin als Schädigungsfolgen mehrfacher - mit Daten konkretisierter - Gewalttaten eine psychoreaktive Störung sowie - im Sinne der Verschlimmerung - chronische Schmerzen im Halswirbelsäulenbereich als Schädigungsfolgen an und gewährte eine Beschädigtengrundrente ab dem 01. Juni 2009 nach einem GdS von 30.
Die Klägerin erhob Widerspruch und machte unter Verweis auf ein Attest des Internisten und Chiropraktikers Dr. Th. vom 22. Juli 2010 geltend, als weitere Schädigungsfolge bestehe eine Verklebung und Verletzung der Sehne bzw. der Halsmuskulatur mit stark erhöhter Druckempfindlichkeit des Halsmuskels und Atemproblemen bei Verspannungen. Der versorgungsärztliche Dienst führte hierzu unter anderem aus, die schädigungsbedingten Beeinträchtigungen im Halsbereich seien erfasst, im Übrigen beständen ältere degenerative Veränderungen. Unter anderem gestützt hierauf wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2011 zurück.
Am 21. Februar 2011 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Unter dem 2. Dezember 2011 hat sie schriftsätzlich eine Verurteilung des Beklagten – nur – zur Gewäh¬rung einer höheren Beschädigtenversorgung beantragt. Sie hat vorgetragen, die Schädigungen im Halsbereich seien gravierender als anerkannt und beruhten nicht auf degenerativen Vorerkrankungen, ferner bestehe eine Darmentzündung mit Bluten und ständiger Temperaturerhöhung.
Nach Anhörung des nunmehr behandelnden Orthopäden Dr. L. hat das SG zunächst von Amts wegen das Gutachten vom 15. März 2013 bei dem Fachorthopäden Dr. H. erhoben. Dieser Sachverständige hat bekundet, die von der Klägerin immer wieder beschriebenen Gewalteinwirkungen des Ehemannes seien sehr vielfältiger Natur und hinsichtlich ihrer biomechanischen Wirksamkeit schwierig abzuschätzen. Ohne Kenntnis dieser Vorgeschichte handle es sich bei der Klägerin um das Bild einer normalen Verschleißsymptomatik an der Halswirbelsäule im Segment C5/6 mit Schmerzen, geringer Bewegungseinschränkung und ohne eindeutige radikuläre Ausfälle. Eine wesentliche Beeinflussung des vorbestehenden Bandscheibenschadens durch das Würgen und Drücken des Ehemannes am Hals der Klägerin sei äußerst unwahrscheinlich. Dieselben Überlegungen gälten auch für die Verschleißerkrankung der rechten Schulter im Sinne arthrotischer Veränderungen des Schulterhauptgelenks und des Schultereckgelenks. Weichteilverletzungen an Hals und Schultergürtel seien heute nicht (mehr) objektivierbar, aber durchaus möglich. Sie könnten verantwortlich sein für die Schmerzen vom rechten Hals mit Einstrahlung in den rechten Arm und die Hand sowie die anstrengungsbedingten Gefühlsstörungen und Durchblutungsstörungen des rechten Armes in der rechten Hand (Thoracic-outlet-Syndrom). Insoweit sei eine neurologische Begutachtung notwendig.
Auf Grund dieses Hinweise hat das SG ein neurologisches Gutachten bei Dr. H. in Auftrag gegeben. Die Klägerin hat jedoch nach mehrfachem Schriftwechsel mit dem SG, in dem sie auch Dr. H. bzw. sein Gutachten "wegen nachweislich falscher Begutachtung" abgelehnt hat, eine neurologische Begutachtung verweigert und stattdessen auf einer chirurgischen Begutachtung bestanden.
Daraufhin hat das SG Dr. H. entbunden und - wiederum von Amts wegen - den Facharzt für Chirurgie Dr. H. mit einer Begutachtung der Klägerin beauftragt. Dieser Sachverständige teilte unter dem 18. Juli 2013 mit, eine umfangreiche angiologische Untersuchung im Juni 2012 habe die von der Klägerin behaupteten Durchblutungsstörungen nicht bestätigen können. Eine beschriebene geringe Knickbildung des Truncus cervico brachialis rechts am Übergang zur arteria subclavia habe keinerlei negativen Einfluss auf die Durchblutungssituation der Arme. Der Druckschmerz, den die Klägerin auf den Ort des Ansatzes der Sehne des musculus sternocleidomastoideus rechts am Schlüsselbein projiziere, entspreche der anatomisch bekannten vorderen SkalenusL ... Eine verheilte Rissbildung von Muskel- oder Sehnenanteilen in diesem Bereich lasse sich nicht nachweisen. Auch die hausärztlicherseits festgestellten narbigen Verklebungen hätten im MRT nicht nachgewiesen werden können. Die häusliche Gewalt habe – auf seinem Fachgebiet – keine Schädigungsfolgen bedungen.
Auf Antrag und Kostenrisiko der Klägerin hat sodann der Facharzt für Chirurgie Dr. H. das Gutachten vom 3. Dezember 2013 erstellt. Dieser Sachverständige hat ausgeführt, es beständen - degenerative - Bandscheibenprobleme und eine Arthrose. Eine Durchblutungsstörung der Arme bestehe nicht, ein "thoracic-outlet-Syndrom" könne ausgeschlossen werden. Auffallend seien jedoch eine geringe schmerzhafte Verdickung am Sternocleidomastoideus-Sehnenansatz am Brustbein, die von der Klägerin geklagten Beschwerden beim Schlucken und ein Globusgefühl bei der Armbewegung des rechten Armes nach oben. Diese Beeinträchtigungen könnten nicht mit den Bandscheibenproblemen und der Arthrose in Zusammenhang gebracht werden. Es sei eine weitere Abklärung notwendig, insbesondere ein "Breischluck" als zusätzliche Diagnostik durchzuführen. Es könne jedoch auch wegen dieser Beeinträchtigungen "ein Mitwirkungsanteil durch die häuslichen Gewalttaten so lange Zeit nach dem Unfallereignis nicht mehr verifiziert werden".
Die Klägerin hat gegen alle Gutachten verschiedene Vorwürfe erhoben. Eine weitere Diagnostik, insbesondere einen "Breischluck", hat sie verweigert. Auf ihre Schriftsätze vom 8. Januar und 10. Januar 2014 wird Bezug genommen.
Parallel beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die "Änderung der Diagnose". Es handle sich bei ihr nicht nur um eine psychoreaktive Reaktion, sondern um eine echte PTBS. Dazu legte sie Atteste der nunmehrigen Behandler, Dipl.-Psych. E. vom 10.11.2013 und des Psychiaters Dr. St. vom 27. Januar 2011, vor, in denen jeweils eine PTBS diagnostiziert war. Den Antrag und die Unterlagen hat der Beklagte direkt an das SG weitergeleitet.
In der mündlichen Verhandlung am 19. August 2014 vor dem SG hat die Klägerin beantragt, den Beklagten zur Anerkennung einer Narbe in den Halsweichteilen rechts mit Gefühls- und Durchblutungsstörungen des rechten Armes und der rechten Hand sowie Schluckbeschwerden sowie weiterer Schädigungsfolgen sowie zur Anerkennung einer PTBS an Stelle der anerkannten psychoreaktiven Störung sowie zur Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach einem GdS von wenigstens 40 zu verurteilen.
Mit Urteil vom selben Tage hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, ein Anspruch auf Anerkennung einer PTBS bestehe nicht. Es könne offen bleiben, ob ein solcher Anspruch rechtlich überhaupt bestehen könne. Jedenfalls liege bei der Klägerin keine PTBS vor. Dr. Sch. habe überzeugend dargelegt, dass das Vollbild dieser Erkrankung nicht bestehe. Auch Dr. K. habe ausgesagt, die Klägerin zeige "beinahe" das Vollbild einer PTBS. Die Verletzungen an den Halsweichteilen, so das SG weiter, seien zwar nachgewiesen, könnten aber nicht hinreichend wahrscheinlich auf die tätlichen Angriffe durch den Ehemann im Juni 2009 und zuvor zurückgeführt werden. Die Schilderungen der Klägerin über das Ausmaß der Angriffe und der Verletzungen seien mit zunehmendem Zeitabstand immer ausufernder geworden. Dies betreffe vor allem den ersten Angriff am 14. Juni 2009. Ihre Angabe, sie habe bei der Vernehmung bei der Polizei unter Schock gestanden und nicht alles berichten können, treffe nicht zu. Die Klägerin konstruiere sich hier ihre eigene Wirklichkeit. Die Vernehmung bei der Polizei habe am 3. Juli 2009, drei Wochen nach dem ersten Übergriff, stattgefunden. Dort habe sie weniger heftige Angriffe und Verletzungen berichtet, insbesondere kein Würgen. Auch der behandelnde Arzt B.-K. habe - etwa eine Woche nach den Angriffen - diverse blaue Flecken, an den Oberarmen, Druckstellen und ein abblassendes Hämatom an der Bauchdecke, diverse Oberschenkelhämatome, Druckstellen an den Rippen und Schmerzen beim Durchatmen festgestellt. Von Würgemalen habe er nichts berichtet. Auch in dem Polizeibericht vom Tag des Angriffs selbst heiße es, dass Würgemale oder Hämatome am Hals nicht hätten festgestellt werden können. Den späteren Vorfall am 26. Juni 2009 habe die Klägerin selbst für den weniger schwer wiegenden erklärt. Nach diesen Angaben könne allenfalls davon ausgegangen werden, dass die Klägerin leicht gewürgt worden sei. Es sei nicht wahrscheinlich, wenn auch nicht ausgeschlossen, dass dieser Angriff die von Dr. H. festgestellte narbige Veränderung am schlüsselbeinseitigen Sehnenansatz hervorgerufen habe. Vielmehr habe Dr. Th. später eine erhebliche chronische Entzündung der Sehnen und eine Verhärtung bzw. Verklebung der Halsmuskulatur durch einen Riss am Schlüsselbein festgestellt. Letztlich hätten die Angriffe auch nicht die vorbestehende Schädigung der Bandscheiben an der unteren HWS oder die arthrotischen Veränderungen am rechten Schultergelenk verschlimmert. Auch dies habe Dr. H. überzeugend festgestellt.
Gegen dieses Urteil, das ihrem Prozessbevollmächtigten am 25. August 2014 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 24. September 2014 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhoben. Sie verweist darauf, dass ihre behandelnden Ärzte jeweils eine PTBS diagnostiziert hätten, und sie meint, insoweit hätten diese als Zeugen vernommen werden müssen. Die Halsweichteilverletzungen seien auf das leichte Würgen, das auch das SG anerkannt habe, zurückzuführen. Insoweit verweist die Klägerin auch darauf, dass bereits im Jahre 2009 ein Knick in der Halsschlagader diagnostiziert worden sei, der vor den hier angeschuldigten Übergriffen nicht vorhanden gewesen sei. Zu ihrem Vortrag hat die Klägerin weitere Atteste Ihrer Behandler vorgelegt, darunter von der Orthopädin Dr. L. vom 3. April 2014 und von der Dipl.-Psych. E. vom 10. November 2013 und 8. Juli 2014. Mit Schriftsatz vom 8. Februar 2016 hat sie ergänzend hilfsweise einen Antrag auf Erhebung eines Wahlgutachtens gestellt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 19. August 2014 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 17. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2011 zu verurteilen, bei ihr als Schädigungsfolge auch noch eine Narbe in den Halsweichteilen rechts mit Gefühlsstörungen und Durchblutungsstörungen des rechten Armes und der rechten Hand sowie Schluckbeschwerden sowie an Stelle einer psychoreaktiven Störung ein posttraumatisches Belastungssyndrom anzuerkennen und eine Beschädigtengrundrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von wenigstens 40 zu gewähren, hilfsweise ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz bei Prof. Dr. M. R., Rottweil, zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass bei ihr eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegt.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angegriffene Urteil und seine Entscheidungen.
Der vormalige Berichterstatter des Senats hat die Rechts- und Sachlage mit den Beteiligten erörtert. Er hat dort unter anderem auf eine mögliche Klageänderung in erster Instanz hingewiesen. Ferner hat er die Klägerin darauf hingewiesen, dass ihr Verbleiben in der Gefahrensituation nach den nunmehr bekanntgewordenen Gewalttaten 1994 möglicherweise einen Ausschlussgrund gegen eine Beschädigtenversorgung darstelle. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung am 15. April 2015 verwiesen.
Zu den genannten Hinweisen des Berichterstatters hat die Klägerin unter dem 23. April 2015 und 28. Mai 2015 Stellung genommen. Sie hat darauf hingewiesen, ihr Mann habe sie ständig mit dem Tode bedroht. Ihre psychische und soziale Lage habe eine Befreiung aus der Gefahrensituation ausgeschlossen. Eine unzulässige Klageänderung habe nicht vorgelegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, weil die Klägerin Sozialleistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) und außerdem behördliche Feststellungen begehrt.
Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 151 Abs. 1 SGG). Das LSG ist auch instanziell für den gesamten in der Berufungsinstanz erhobenen Klageantrag zuständig. Die Klägerin hatte bereits in erster Instanz zuletzt neben einer höheren Beschädigtenversorgung auch die Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen und die Abänderung der Bezeichnung einer Schädigungsfolge beantragt. Über diesen erweiterten Antrag hat das SG entschieden, sodass das angegriffene Urteil die Klägerin auch in diesen Punkten beschwert. Zwischen den Instanzen hat die Klägerin ihren Antrag nicht mehr geändert.
Der Senat konnte in der Sache über die Berufung der Klägerin entscheiden, ohne zuvor das beantragte Gutachten bei Prof. Dr. R. einzuholen. Der diesbezügliche Antrag war abzulehnen.
Der Antrag ist verfristet im Sinne von § 109 Abs. 2 SGG. Der frühere Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Berufungsverfahren hatte keinen Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG gestellt, sondern zur Untermauerung des neuen Vortrags, es liege auch eine PTBS vor, auf die Atteste der behandelnden Ärzte verwiesen. Erst der jetzige Prozessbevollmächtigte hat den Antrag, Prof. Dr. R. als Wahlgutachter zu hören, in seinem Schriftsatz vom 8. Februar 2016 gestellt. Zu diesem Zeitpunkt war bereits zu der mündlichen Verhandlung am 18. Februar 2016 geladen, außerdem war der Verhandlungstermin, der ursprünglich auf den 17. Dezember 2015 anberaumt gewesen war, bereits einmal auf Antrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin verlegt worden. Vor diesem Hintergrund wäre durch eine Zulassung des Antrags die Erledigung des Rechtsstreits verzögert worden. Da der neue Prozessbevollmächtigte auch mindestens seit August 2015 mandatiert war und im September 2015 die Akten eingesehen hatte, aber auch in der mündlichen Verhandlung am 18. Februar 2016 keine Begründung für die späte Antragstellung genannt hat, war der Antrag verspätet im Sinne von § 109 Abs. 2 Halbsatz 2 Var. 2 SGG.
Da der Antrag bereits verfristet war, muss der Senat nicht entscheiden, ob das Antragsrecht der Klägerin nach § 109 Abs. 1 SGG auch verbraucht ist. Nach der Rspr. steht das Antragsrecht nach § 109 SGG allerdings grundsätzlich nur einmal in beiden Tatsacheninstanzen zur Verfügung (Urteile des Senats vom 27. August 2015 – L 6 SB 425/15 und vom 2. März 2011 - L 6 SB 4878/08 - juris Rz. 22; zu einem wiederholten Antrag auf demselben Fachgebiet: BSG, Beschluss vom 17. März 2010 - B 3 P 33/09 B - juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 1. Februar 2011 - L 11 R 221/09; Hessisches LSG, Urteil vom 13. August 2008 - L 4 V 12/07 - juris Rz. 23; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 6. Februar 2006 - L 1 U 2572/05 - juris Rz. 41; zu einem wiederholten Antrag für die Beurteilung von Schmerzen: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. Oktober 2009 - L 11 R 4832/08). Denn es entspricht dem Beweisrecht, dass das Gericht nicht verpflichtet ist, einem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis einer bestimmten Tatsache beliebig oft nachzukommen (BSG, Urteil vom 15. April 1991 - 5 RJ 32/90 - juris Rz. 16; Kolmetz, SGb 2004, S. 83, 86). Außerdem ist § 109 SGG als Ausnahmevorschrift zu der Regelung des § 103 Satz 2 SGG, wonach das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen erforscht, eng auszulegen (BSG, Beschluss vom 17. März 2010 - B 3 P 33/09 B - juris Rz. 12). Eine wiederholte Antragstellung nach § 109 SGG rechtfertigt sich - auch nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 26. Januar 1970 - 7/2 RU 64/69 - SozR Nr. 37 zu § 109 SGG; BSG, Urteil vom 6. Mai 1958 - 10 RV 813/56 - SozR Nr. 18 zu § 109 SGG; BSG, Urteil vom 29. Dezember 1957 - 2 RU 241/56 - SozR Nr. 14 zu § 109 SGG; BSG, Urteil vom 31. Juli 1957 - SozR Nr. 6 LS zu § 109 SGG) - nur bei Vorliegen besonderer Umstände. Solche besonderen Umstände sind zwar in der Literatur anerkannt, wenn für einzelne Gesundheitsstörungen mehrere Facharztgruppen zuständig sind und ein Spezialist auf einem Fachgebiet gehört werden soll, dem der zuerst gehörte Gutachter nicht angehört (Berchtold, Prozesse in Sozialsachen, S. 345, Rz. 556; Hauck in Hennig, SGG, § 109, Rz. 28; Kerber in jurisPR-MedizinR 7/2010 Anm. 1, E.; Kolmetz in Jansen, SGG, § 109, Rz. 6; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Auflage, S. 98, Rz. 94; Kummer, Das sozialgerichtliche Verfahren, 2. Auflage, S. 163, Rz. 17; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Auflage, § 109, Rz. 10b; Roller in Lüdtke, SGG, 4. Auflage, § 109, Rz 6; Udsching, NZS 1992, S. 50, 54). Vor diesem Hintergrund hätte die Klägerin zusammen mit ihrem Antrag darlegen müssen, warum nun ein Gutachten auf psychiatrischem Fachgebiet eingeholt werden solle, nachdem sie noch erstinstanzlich eine solche Begutachtung mit der Begründung abgelehnt hat, ihre Beschwerden würden hauptsächlich von der Halswirbelsäule herrühren.
Die Berufung ist in der Sache nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage mit den bereits in erster Instanz gestellten Anfechtungs- und Verpflichtungs- (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) bzw. Anfechtungs- und Leistungsanträgen (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) abgewiesen.
Allerdings sind alle Anträge der Klägerin zulässig.
Den Antrag wegen einer höheren Beschädigtenversorgung hatte die Klägerin von Anfang an gestellt, bereits in ihrer Klagebegründung vom 2. Dezember 2011. Im Übrigen, also hinsichtlich der Schädigungsfolgen, liegt eine zulässige Klageänderung vor. Zwar hatte die Klägerin mit diesem neuen Antrag in der mündlichen Verhandlung am 19. August 2014 einen neuen, zusätzlichen Streitgegenstand eingeführt, sodass kein Fall des § 99 Abs. 3 SGG vorlag. Der Beklagte hat jedoch in diesen Klageänderung bzw. Klageerweiterung eingewilligt (§ 99 Abs. 1 Var. 1 SGG), denn er hat sich in der mündlichen Verhandlung auf den neuen Antrag der Klägerin rügelos im Sinne von § 99 Abs. 2 SGG eingelassen, indem er – allgemein – Abweisung der Klage beantragt hat.
Die Klage ist auch insgesamt zulässig, auch mit den Anträgen auf Grund der Klageänderung. Insbesondere hat der Beklagte in dem angegriffenen Bescheid zugleich über die Schädigungsfolgen entschieden (§ 54 Abs. 1 SGG) und diese Frage war auch Gegenstand des Widerspruchsverfahrens (§§ 78 ff. SGG), weil die Klägerin ihren Widerspruch - noch - nicht auf eine höhere Versorgung beschränkt hatte.
Die Anträge sind jedoch nicht begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung der von ihr geltend gemachten PTBS als weitere Schädigungsfolge. Dabei kann der Senat dahin gestellt sein lassen, ob überhaupt ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung besteht, nachdem der Beklagte bereits "psychoreaktive Störungen" anerkannt hat (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Juni 2014 - L 6 VU 2236/13 ZVW -, Juris Rn. 76). Denn jedenfalls kann sich der Senat nicht davon überzeugen, dass die Klägerin an einer PTBS leidet.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält ein Betroffener, der infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen sich oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unterscheidet ebenso wie § 1 Abs. 1 BVG zwischen dem schädigenden Ereignis, der dadurch hervorgerufenen gesundheitlichen Schädigung und den gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung. Anders als der Ursachenzusammenhang zwischen schädigendem Vorgang, primärer gesundheitlicher Schädigung und Schädigungsfolge, der nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG schon im Falle der Wahrscheinlichkeit zu bejahen ist, bedarf es für die Annahme der primären gesundheitlichen Schädigung des Vollbeweises. Das verlangt zwar nicht, dass die Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indes ein so hoher Grad an Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch noch zweifelt, d.h. die Wahrscheinlichkeit muss an Sicherheit grenzen.
Der Senat hat sich bei der Beurteilung der Frage, ob eine PTBS vorliegt, in seiner ständigen Rechtsprechung (vgl. zuletzt Urteil vom 27. August 2015 - L 6 VS 4569/14 - Juris Rn. 34 ff.) an den gängigen Diagnosesystemen entsprechend der Nomenklatur der International Classification of Diseases (ICD-10-GM-2016 [German Modification, Version 2016]) oder des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) orientiert. Denn die konkret zu bezeichnenden Krankheiten bilden die Tatsachengrundlage, von der ausgehend die Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Leistungsvermögens zu beurteilen ist (so auch BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17; BSG SozR 4-2700 § 200 Nr. 3). Das DSM lag bis 2013 in seiner vierten Ausgabe (DSM-IV-TR) vor. Insoweit konnte es neben der ICD-10 herangezogen werden. Dagegen bestehen gegen das zwischenzeitlich seit Mai 2013 als Nachfolger des DSM-IV-TR nunmehr in deutscher Sprache vorliegende diagnostische und statistische Manual in seiner 5. Auflage (DSM-5) Bedenken hinsichtlich seiner Validität (vgl. im Einzelnen LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27. August 2015 - L 6 VS 4569/14, Juris Rn. 41 ff.).
Die PTBS wird als Gesundheitsstörung nach ICD-10 F43.1 erfasst. Hiernach entsteht eine PTBS als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, zum Beispiel zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung über.
Unter Zugrundelegung dieser, dem heutigen medizinischen Wissensstand entsprechenden Vor-aussetzungen (vgl. zu diesem Erfordernis BSG, Urteile vom 15. Mai 2012 - B 2 U 31/11 R - Juris und 27. April 2010 - B 2 U 13/09 R, Juris Rn. 27 m. w. N.) leidet die Klägerin nicht an einer PTBS. Bei dieser Einschätzung stützt sich der Senat im Wesentlichen auf das im Wege des Urkundsbeweises verwertbare Gutachten von Dr. Sch., das der Beklagte im Verwaltungsverfahren erhoben hat, und auf die Angaben der behandelnden Ärzte, ebenfalls aus dem Verwaltungsverfahren. Dr. Sch. hat überzeugend herausgearbeitet, dass bei der Klägerin nur einzelne Elemente aus dem Vollbild einer PTBS vorhanden sind. Sie hat insoweit auf Intrusionen, Körpererinnerungen und Schreckhaftigkeit hingewiesen. Bereits die Wiedererinnerungen sind aber nach den Angaben der Klägerin bei der Gutachterin nicht spontan, sondern werden durch aktuelle Ereignisse, vor allem Anrufe des früheren Ehemannes und Nachrichten von ihm auf ihrem Anrufbeantworter ausgelöst. Nicht festzustellen bei der Klägerin ist ferner das andauernde Gefühl von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit, das sich in der Regel in Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber und Freudlosigkeit äußert. Die Klägerin hat insoweit von aktiven und positiven sozialen Kontakten, insbesondere zu ihrer Familie, also zu den Eltern, dem Bruder und der Schwägerin sowie dem Patenkind berichtet. Ferner hat sie angegeben, sie freue sich durchaus auch darüber, dass sie dem Ehemann gegenüber keine Wut empfinde. Die Einschätzung, die Dr. Sch. auch auf der Grundlage dieser Angaben gemacht hat, deckt sich im Ergebnis mit der Aussage des behandelnden Psychotherapeuten Dr. K. vom 4. März 2010, der ausgeführt hatte, die Klägerin zeige "beinahe" vollständig alle Symptome der ICD-10 F43.1. Dem steht auch nicht entgegen, dass sich die Klägerin seit September 2013 in Traumatherapie bei Dipl.-Psych. E. befindet, die zwar die Diagnose einer PTBS gestellt hat, dieses aber - so ergibt es sich aus ihrer Anamneseschilderung in dem Attest vom 8. Juli 2014 - unter Zugrundelegung eines Geschehensablaufs, wonach die Klägerin im Juni 2009 die halbe Nacht geschlagen und massiv gewürgt worden sei. Das belegt hinlänglich, dass die Therapeutin die Angaben der Klägerin nicht kritisch hinterfragt hat, was auch nicht ihre Aufgabe ist, sie aber von der forensisch tätigen Sachverständigen Dr. Sch. unterscheidet.
Ferner hat die Klägerin keinen Anspruch darauf, dass zusätzlich zu der festgestellten Schädigungsfolge "chronische Schmerzen im Halswirbelsäulenbereich" noch eine Narbe in den Halsweichteilen rechts mit Gefühls- und Durchblutungsstörungen des rechten Arms und der rechten Hand sowie Schluckbeschwerden anerkannt werden.
Anders als das SG hält der Senat diese Gesundheitsstörungen bereits nur für teilweise nachgewiesen.
Aus orthopädischer Sichtweise hat Dr. H. ausgeführt, ein "Thoracic outlet syndrom" mit anstrengungsbedingten Gefühls- und Durchblutungsstörungen des rechten Arms sei zwar denkbar, aber eine Objektivierung solcher Veränderungen, z. B. durch elektrophysiologische Messungen, sei ihm nicht möglich. Er hat hierzu ein neurologisches Gutachten für notwendig gehalten. Ein solches hat die Klägerin aber verweigert. Hierin lag ein Verstoß gegen ihre prozessuale Mitwirkungsobliegenheit nach § 103 Satz 1 Halbsatz 2 SGG. In solchen Fällen ist das Gericht zu weiteren oder ggfs. anderen Ermittlungen nur eingeschränkt verpflichtet (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 103 Rn. 15 f.). Insbesondere gilt hier in besonderem Maße, dass das Gericht nicht in jede erdenkliche Richtung, quasi "ins Blaue hinein" ermitteln muss. Vielmehr muss ein Beteiligter, der eine an sich geschuldete Mitwirkung verweigert, die andere Ermittlungsmöglichkeit konkret darlegen (Leitherer, a.a.O., Rn. 16). Dies hat die Klägerin nicht getan. Eine andere Möglichkeit als die von Dr. H. genannte neurologische Begutachtung zur vollständigen Aufklärung der Ursachen der körperlichen Beschwerden stand nicht zur Verfügung, weshalb auch sonst keine Anhaltspunkte für eine weitere Sachaufklärung gegeben waren.
Das Gleiche gilt, sofern die geklagten Beschwerden nicht orthopädisch bedingt sein sollten: Dr. H. hat insoweit eine schmerzhafte tastbare geringe Verdickung am Sternocleidomastoideus-Sehnenansatz am Sternum (Brustbein) ertastet und dies in seinem Gutachten mitgeteilt. Er hat dabei von einer schmerzhaften Vernarbung bzw. einer Tendinitis am distalen Sternocleidomastoideus-Ansatz, also am schlüsselbeinwärts gelegenen Ansatz der zum musculus sternocleidomastoideus (Halsmuskel zwischen Brustbein (sternum) und Schlüsselbein (griechisch cleido) sowie dem Warzenfortsatz (processus mastoideus) des Schläfenbeins) führenden Sehnen, gesprochen. Dagegen konnte sich der Senat nicht mit der gebotenen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit davon überzeugen, dass bei der Klägerin außerdem Schluckbeschwerden und - gesondert daneben oder mit den Schluckbeschwerden einhergehend - Schmerzausstrahlungen in den rechten Arm und die rechte Hand vorliegen. Dr. H. hat - anders als Dr. H. - diese geklagten Beschwerden akzeptiert und als "Globusgefühl" bezeichnet und mit den Schluckbeschwerden in Zusammenhang gebracht, weil die Ausstrahlungsgefühle in den Arm nach seinen Feststellungen vor allem beim Schlucken und gleichzeitigem Vornüberbeugen auftraten (S. 7 seines Gutachtens). Auch er hat aber letztlich eine weitere Begutachtung zur abschließenden Verifizierung dieser Beschwerden für nötig gehalten, nämlich einen so genannten "Breischluck" mit einem kontrastmittelhaltigen Brei. Auch dies hat die Klägerin verweigert, ohne dass alternative Ermittlungsmöglichkeiten zur Feststellung der Ursachen der geklagten Beschwerden vorgetragen oder ersichtlich sind.
Nicht nachgewiesen sind zur Überzeugung des Senats ferner Durchblutungsstörungen im rechten Arm. Hierzu hat die Klägerin, erneut in der Berufungsinstanz, vorgetragen, bereits 2009 sei im Herzzentrum Bad Krozingen ein Knick in der Aorta carotis diagnostiziert, der auf den Übergriff zurückgeführt werden müsse. Dass dieser Knick vorliegt, kann zu Gunsten der Klägerin unterstellt werden. Auch hat ihre behandelnde Orthopädin Dr. L. in dem Attest vom 3. April 2014, das die Klägerin in der Berufungsinstanz eingereicht hat, auf diesen Umstand hingewiesen. Bei einem solchen Knick handelt es sich nicht per se um einen Gesundheitsschaden. Funktionsbeeinträchtigungen aus diesem ungewöhnlichen Verlauf der A. carotis resultieren nämlich nicht. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten von Dr. H., der unter 18. Juli 2013 mitgeteilt hatte, eine umfangreiche angiologische Untersuchung im Juni 2012 habe die von der Klägerin behaupteten Durchblutungsstörungen nicht bestätigen können, ferner habe die beschriebene geringe Knickbildung des Truncus cervico brachialis rechts am Übergang zur arteria subclavia keinerlei negativen Einfluss auf die Durchblutungssituation der Arme.
Unabhängig hiervon können die Beeinträchtigungen im Halsbereich, auch jene, die tatsächlich vorliegen, nicht mit der gebotenen hinreichenden Wahrscheinlichkeit auf die Angriffe durch den Ehemann zurückgeführt werden. Allenfalls bestand zeitweise die auch vom Beklagten anerkannte Verschlimmerung vorbestehender chronische Schmerzen im Halswirbelsäulenbereich nach 2006 erlittenen Bandscheibenprotusionen C5/C6 nach Autounfall.
Diese Einschätzung hat auch Dr. H., der von der Existenz der geklagten Beschwerden ausgegangen ist, so angenommen. Er hat darauf hingewiesen, dass ein Zusammenhang zwischen den Angriffen und den lange danach erstmals geklagten Beschwerden unwahrscheinlich ist. Dass die Schilderungen der Klägerin über das Ausmaß der Angriffe im Laufe der Zeit immer ausufernder geworden sind, hat das SG überzeugend dargelegt. Auch der Senat geht davon aus, dass die ersten, unmittelbar nach einem Vorfall abgegebenen Erklärungen eines Opfers am glaubhaftesten sind, weil hier noch bessere Erinnerungen bestehen und das Opfer unter dem unmittelbaren Eindruck des Angriffs steht. Bei ihrer ersten Vernehmung am 3. Juli 2009 hat die Klägerin nach den konkreten Schilderungen der Angriffe am 13. und 14. Juni 2009 angegeben, sie habe Schmerzen am rechten Arm und an der rechten Wange. Sowohl der behandelnde Arzt B.-K. am 23. Juni 2009 als auch die Polizisten bei dem Einsatz am 14. Juni 2009 hatten bei der Klägerin Prellungen an Bach, an den Rippen und am Oberarm festgestellt, aber am Hals keine Hämatome und keine Würgemale. Bei dem weiteren Angriff am 25. Juli 2009 hat der Ehemann - nach den Angaben der Klägerin bei der Vernehmung am 5. August 2009 - "leicht" gewürgt und sie mit der Hüfte gegen die Tür gestoßen. Als Verletzungen hat sie dort eine Prellung oder Quetschung oder einen Kratzer an der rechten Hüfte erlitten. Dies deckt sich mit den Feststellungen der Polizeibeamten bei dem Einsatz am 25. Juli 2009, die von einer Rötung an der Hüfte sprachen. Auch nach diesem Angriff konnten daher bei der Klägerin keine Verletzungen im Halsbereich festgestellt werden.
Auf Grund dieser Feststellungen nach den Taten geht auch der Senat davon aus, dass das Würgen keine Gesundheitsbeeinträchtigungen ausgelöst hat, die über die anerkannte Schädigungsfolge hinausgehen. Insbesondere kann der Senat nicht mit Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die tätlichen Einwirkungen die von Dr. H. festgestellte narbige Veränderung im Bereich des schlüsselbeinseitigen Sehnenansatzes des musculus sternocleidomastoideus hervorgerufen haben, auch wenn dies nicht ausgeschlossen werden kann. Schädigungsbedingt war dann allenfalls die phasenweise Verschlimmerung der vorbestehenden Bandscheibenschädigung im Bereich der unteren Halswirbelsäule, die der Beklagte anerkannt hat. Diese Einschätzung lässt sich damit rechtfertigen, dass der Arzt B.-Klaffe in dem Attest vom 9. Juli 2009 auch auf eine Rotationsempfindlichkeit im Bereich der - blockierten - WS-Segmente C6 und C7 hingewiesen hat. Insoweit besteht aber auch eine Überschneidung mit den psychischen Beschwerden (dazu siehe unten).
An dieser Einschätzung ändern auch die im Berufungsverfahren eingereichten Atteste über die körperlichen Schädigungen der Klägerin nichts. Die radiologische Gemeinschaftspraxis Dr. L. hat bei der kernspintomografischen Untersuchung am 18.11.2014 ein mäßiges Impingementsyndrom und eine leichte Arthrose im AC-Gelenk und eine ebenfalls als chronisch bezeichnete Ansatztendinose beider großer Sehnen im Schulterbereich beschrieben, aber keine Spuren einer Ruptur oder eines Ergusses feststellen können.
Die anerkannten Schädigungsfolgen bedingen keinen höheren GdS als 30 (§ 30 Abs. 1 Satz 1 BVG), sodass die Klägerin insbesondere keine höhere Grundrente als zuerkannt (§ 31 Abs. 1 BVG) verlangen kann.
Der Senat orientiert sich bei der Prüfung des GdS an der seit 1. Januar 2009 an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23. Juni 1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 9. April 1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29. August 1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" (AHP) 2008 getretene Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG), der Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV).
Die psychoreaktive Störung bedingt nach wie vor den zuerkannten GdS von 30.
Nach Teil B Nr. 3.7 VG beträgt der GdS für Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen im Falle leichterer psychovegetativer oder psychischer Störungen 0 bis 20. Bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägteren depressiven, hypochondrischen, asthenischen oder phobischen Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoformen Störungen) liegt er bei 30 bis 40. Bei schweren Störungen (z. B. schweren Zwangskrankheiten) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten beträgt der GdS 50 bis 70, mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten 80 bis 100 (Urteil des Senats vom 27. August 2015 - L 6 VG 2141/13 - Rn. 48, juris).
Vor diesem Hintergrund folgt der Senat der Einschätzung der Gutachterin Dr. Sch., für die psychische Erkrankung einen GdS von 30 anzunehmen. Danach sind bereits stärker behindernde Störungen mit wesentlichen Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit begründet, aber noch keine solchen schweren mit mittelgradigen sozialen Anpassungsstörungen. Auf der psychischen Leidensebene stehen nachvollziehbare Ängste der Klägerin im Vordergrund, insbesondere wenn der Ehemann Nachrichten auf dem Anrufbeantworter hinterlässt. In diesem Zusammenhang ist es zu sehen, dass die Klägerin nachts oft aufwacht und dann über physische Symptome wie Herzrasen klagt. Die geklagten Durchfälle, die in solchen Situationen auftreten, sind hier zu verorten und nicht auf eine gesonderte organische Darmerkrankung zurückzuführen. Letztlich kreisen die Gedanken der Klägerin weiterhin oft um die erlittenen Demütigungen, auch heute noch. Auf originär physischer Ebene sind die Folgen der psychischen Erkrankung aber nicht schwer ausgeprägt. Teile der Schmerzen, die die Klägerin angibt, haben organische Ursachen und sind auch vom Beklagten gesondert anerkannt. Bei der Begutachtung durch Dr. Sch. hat die Klägerin, nach Schmerzen befragt, im Wesentlichen die bekannten Probleme an der Schulter und am rechten Arm angegeben (S. 11 f. des Gutachtens). Die soziale Leidensdimension letztlich sieht der Senat ebenfalls nicht als übermäßig stark ausgeprägt an. Die Klägerin war bereits seit 2004 nicht mehr berufstätig, sodass ihr Ausscheiden aus dem Arbeitsleben nicht den hier relevanten Angriffen im Jahre 2009 zugeordnet werden kann. Der Tagesablauf, wie sie ihn bei Dr. Sch. (S. 9 f. des Gutachtens) geschildert hat, ist noch strukturiert, insbesondere führt die Klägerin ihren Haushalt noch selbst und pflegt einen dazu gehörenden Gemüsegarten allein, verlässt regelmäßig das Haus, überwiegend mit ihrem Hund - der allerdings nach der Begutachtung verstorben ist -, aber auch, um schwimmen zu gehen und - in größeren Abständen - eine Freundin zu treffen. An anderer Stelle (S. 14 f.) hat die Klägerin noch angegeben, auch zu den Eltern, dem Bruder und seiner Ehefrau sowie vor allem zu dem Patenkind habe sie eine gute Verbindung, sodass kein sozialer Rückzug in nennenswertem Umfang zu verzeichnen ist. Dagegen spricht auch, dass die Klägerin eine neue Beziehung aufbauen konnte, wozu die zunächst sehr erfolgreiche Therapie bei Psychotherapeut Dr. K. beigetragen haben dürfte, was der Senat seinem Zwischenbericht 2010 entnimmt. Zu einem erneuten behandlungsbedürftigen Einbruch ist es dann durch den plötzlichen Tod ihrer Mutter gekommen, was Dipl.-Psych. E. in ihrem Attest vom 8. Juli 2014 insoweit nachvollziehbar für den Senat dargelegt hat, ohne dass die Klägerin selbst eine Verschlimmerung ihrer psychischen Beschwerden in der Zwischenzeit geltend gemacht hatte, vielmehr im Vordergrund die organischen - in diesem Fall chirurgischen - Einschränkungen gesehen hat. Soweit die jetzt vorhandenen psychischen Beschwerden auf den Tod der Mutter im Oktober 2013 zurückzuführen sind, können sie den GdS, der ja nur die schädigungsbedingten Auswirkungen erfasst, nicht erhöhen. Darüber hinaus belegt auch das Prozessverhalten der Klägerin, nicht zuletzt ihre verschiedenen Anträge und vielen Schriftsätze, dass sie durchaus noch in ihrer Gestaltungsfähigkeit nicht krankheitswertig stark beeinträchtigt ist.
Die chronischen Schmerzen im Halswirbelbereich im Sinne der Verschlimmerung können, wie Dr. D. vom sozialmedizinischen Dienst des Beklagten vorgeschlagen hat, anfangs mit einem GdS von 10 bewertet werden. Hierbei kann offen bleiben, ob der Wirbelsäulenschaden an der HWS insgesamt bereits zu mittelgradigen Auswirkungen geführt hat, die nach Teil B Nr. 18.9 VG ggfs. einen GdS von 20 bedingen können. Die Klägerin hat bei Dr. Sch. insoweit nur von Schmerzen und von Problemen beim Tragen von über 5 kg berichtet. OMR’in Mutter hat diese zutreffend, nach dem sich im zeitnahen CT von Dezember 2009 keine Frakturen oder Verletzungsfolgen fanden, auf die vorbestehenden degenerativen Veränderungen zurückgeführt, die schädigungsunabhängig sind, aber andererseits auch negativ durch psychosomatische Beschwerden beeinflusst werden können, so dass insoweit eine Überschneidung zur anerkannten psychoreaktiven Reaktion besteht. Jedenfalls hatte die Schädigung lediglich eine Verschlimmerung bedingt, die - isoliert betrachtet - nur als geringfügige funktionelle Auswirkung und damit mit einem GdS von 10 einzustufen ist.
Der danach anzuerkennende GdS von 10 erhöht den Gesamt-GdS aber nicht, vgl. Teil A Nr. 3 Buchstabe d Doppelbuchstabe ee Satz 2 VG.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
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