L 9 U 4092/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 5 U 278/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 4092/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 24. Juli 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund eines Ereignisses vom 16.03.2009.

Der 1963 geborene Kläger war bei der D. B. F. GmbH, Niederlassung S., als Signalposten beschäftigt. Am 16.03.2009 befand sich der Kläger mit einem Arbeitskollegen und Mitarbeitern eines externen Vermessungstrupps auf dem Schienengelände, als ein Vermessungsingenieur von einem heranfahrenden Zug erfasst und tödlich verletzt wurde.

Der Kläger, der dieses Ereignis nach eigenen Angaben aus nächster Nähe beobachtete, brach daraufhin seine Arbeit ab. Am 19.03.2009 stellte er sich bei seiner Hausärztin Dr. M.-G. laut ärztlicher Unfallmeldung vom 24.03.2009 wegen Schlafstörungen, Angstgefühlen und vegetativer Beeinträchtigung vor. Diese diagnostizierte bei dem Kläger ein Psychotrauma und den Verdacht auf eine endogene reaktive Depression.

Auf Veranlassung von Dr. M.-G. suchte der Kläger am 23.03.2009 den Durchgangsarzt Dr. S. in L. auf, der die Diagnose der Hausärztin bestätigte und ihn zur ambulanten Vorstellung in die Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin des Klinikums L. überwies. Im klinischen Bericht vom 24.03.2009 ist als psychischer Befund u.a. ein reduzierter Antrieb des Klägers und eine eingeschränkte Schwingungsfähigkeit bei ruhiger Psychomotorik angegeben.

In der Folgezeit führte der Kläger über seinen Arbeitgeber psychologische Betreuungsgespräche in Einzel- und Gruppensitzungen (mit dem ebenfalls vor Ort gewesenen Arbeitskollegen) bei dem Psychologen Dr. F. durch. In seinem Abschlussbericht vom 05.08.2009 hielt dieser eine Chronifizierung der beschriebenen und erlebten Symptome bei dem Kläger fest. Ohne therapeutische Maßnahmen sei mit einer weiteren Zunahme der Symptome zu rechnen. Dr. F. fand überdies deutliche Hinweise auf das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).

Zeitgleich begab sich der Kläger bei dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. R. in ambulante Behandlung. Auf Anfrage der Beklagten führte Dr. R. in seinem Schreiben vom 16.07.2009 aus, bei dem Kläger bestehe eine PTBS und eine schwere depressive Episode prolongiert mit psychotischen Symptomen bei schwierigem Behandlungsverlauf. Er empfehle die Durchführung einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme, die der Kläger dann auch in der Klinik am R. B. O. zunächst vom 01.09.2009 bis 13.10.2009 durchführte. In der Entlassungsanzeige vom 13.10.2009 ist angegeben, er leide an einer abklingenden PTBS nach dem Unfall vom 16.03.2009. Nach einer vierwöchigen Therapiepause setzte der Kläger die stationäre Rehabilitationsmaßnahme ab dem 10.11.2009 bis zum 10.12.2009 in der Klinik am R. fort. Im Entlassungsbericht vom 05.01.2010 ist ausgeführt, durch die stationäre Behandlung habe eine Teilremission der Symptomatik erreicht werden können. Nach der Therapiepause sei versucht worden, die Therapie auf der Grundlage der erhobenen Befunde fortzusetzen. Dies habe sich sehr schwierig gestaltet, da der Kläger nunmehr wenig motiviert gewirkt habe. Eine wesentliche Besserung der Symptomatik habe daher nicht mehr erreicht werden können. Des Weiteren seien im zweiten Therapieabschnitt Hinweise auf Aggravation aufgetreten, die Zweifel an den Angaben des Klägers bezüglich des Ausmaßes der geschilderten Beeinträchtigungen aufkommen ließen. Im klinisch-psychologischen Abschlussbericht vom 10.12.2009 ist neben der Diagnose einer Anpassungsstörung unter anderem angegeben, dem Kläger ginge es nach eigenen Angaben bereits seit dem Jahr 2005 nicht mehr gut, als sein Arbeitgeber ihn aufgrund eines Sozialplans versetzt habe. Die Ehefrau des Klägers leide schon seit Jahren unter Depressionen, was ebenfalls eine Belastung für ihn darstelle.

Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Sozialmedizin Dr. H., der den Kläger einer dreitägigen teilstationären Untersuchung mit Verhaltensbeobachtung und Belastungserprobung vom 15.03.2010 bis 17.03.2010 unterzog. In seinem Gutachten vom 27.03.2010 führte er aus, bei dem Kläger liege eine PTBS, initial leicht bis mittelgradig, gegenwärtig noch leicht mit Restsymptomatik sowie eine (unfallunabhängige) Anpassungsstörung vor. Zum Unfallzeitpunkt habe eine manifeste Vorerkrankung nicht vorgelegen. Es habe zwar eine Schadensanlage mit vermehrter Vulnerabilität bestanden. Ohne das Schadensereignis wäre es aber zeitnah nicht zur Ausbildung einer gleichartigen Symptom- und Krankheitsentwicklung gekommen. Die Frage, ob ohne die interferierten störenden Einflüsse durch eine erneute Krankheitsphase der Ehefrau in der zweiten Jahreshälfte 2009 der Krankheitsverlauf möglicherweise einige Monate kürzer gewesen wäre, könne nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Insgesamt befinde sich der Krankheitsverlauf noch im üblichen zeitlichen Rahmen gleichartiger Störungsverläufe. Da die Unfallfolgen gegenwärtig noch leicht im Sinne einer Restsymptomatik seien, dürfte es sich in den nächsten vier bis sechs Wochen um eine Übergangsphase handeln. Halte danach weiter die Arbeitsunfähigkeit an, wäre die Frage einer Verschiebung der Wesensgrundlage nachhaltig zu prüfen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage vom Unfalltag an für vier Wochen 100 v.H., danach für sechs Monate 50 v.H., anschließend für drei Monate 30 v.H., in der Folge für weitere drei Monate und gegenwärtig anhaltend 20 v.H. Nach weiteren drei Monaten werde eine MdE in Höhe von 20 v.H. erwartet.

Mit Bescheid vom 01.11.2010 stellte die Beklagte die Zahlung des bewilligten Verletztengeldes mit Ablauf des 05.11.2010 ein. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.12.2010 zurück. Der Kläger erhob hiergegen vor dem Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage (S 5 U 278/11).

Auf Veranlassung der Beklagten führte Dr. H. bei dem Kläger vom 18.10.2010 bis 21.10.2010 eine viertägige teilstationäre Heilverfahrenskontrolle durch. In seinem Bericht vom 14.11.2010 stellte er bei dem Kläger eine unfallabhängige PTBS mit gegenwärtig geringer Restsymptomatik sowie als "unfallunabhängige" Gesundheitsstörungen eine Anpassungsstörung, einen Nikotinabusus, den Verdacht auf schädlichen Gebrauch von Alkohol, den Verdacht auf Medikamentenübergebrauchskopfschmerz, den Verdacht auf ein restless-legs-Syndrom sowie den Verdacht auf ein Rentenbegehren fest. Sowohl in der Testdiagnostik als auch im praktischen Verhalten habe er bei dem Kläger rasch wechselnd bewusste und unbewusste Verdeutlichungstendenzen, mangelnde Mitwirkungsbereitschaft, Aggravationstendenzen, aber auch krankheitswertig zu beurteilende affektive Störungen parallel feststellen und beobachten können. Im Vergleich zur Voruntersuchung seien sowohl die bewusstseinsnahen (bilanzierenden) als auch die möglicherweise mehr krankheitswertig zu bewertenden, unfallunabhängigen affektiven Symptome mehr in den Vordergrund getreten. Die MdE betrage bei einem medizinisch unvollständig ausgeprägten Störungsbild weiterhin 20 v.H.

Die Beklagte legte das Gutachten des Dr. H. sowie die weiteren medizinischen Unterlagen ihrem Beratungsarzt, dem Neurologen und Psychiater Dr. B., vor, der in seiner Stellungnahme vom 11.01.2011 ausführte, dass dem Gutachten grundsätzlich zu folgen sei. Inzwischen sei es zu einer Verschiebung der Wesensgrundlage gekommen. Die Symptomatologie sei aufgrund ihrer Komplexität und den erheblichen unfallunabhängigen Belastungen von Anfang an nie als reine PTBS anzusehen gewesen. Der eigentliche posttraumatische Anteil des Störungsbildes sei im Laufe der Zeit rückläufig gewesen. Ab dem 06.11.2010 bestehe keine MdE von mindestens 10 v.H. mehr. Der von Dr. H. gemachte Vorschlag, eine MdE von 20 v.H. anzuerkennen, sei nicht nachvollziehbar. Die Beklagte zog außerdem ein auf Veranlassung der D. R. K.-B.-S. im Rahmen eines Verfahrens über die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente erstattetes Gutachten des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. A. vom 23.11.2010 bei. Dr. A. stellte hierin bei dem Kläger eine Folgestörung einer PTBS sowie einen sekundären Alkoholmissbrauch fest und ging von einem Leistungsvermögen für körperlich leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von unter drei Stunden täglich mit Besserungsaussicht aus. Die D. R. gewährte dem Kläger daraufhin mit Bescheid vom 03.06.2011 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.09.2010 bis 30.06.2012. Einen Antrag auf Weitergewährung der Rente über den 30.06.2012 hinaus lehnte sie später ab.

Mit Bescheid vom 08.02.2011 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er aufgrund des Ereignisses vom 16.03.2009 bis zum 05.11.2010 Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung habe. Über diesen Zeitpunkt hinaus werde ein Anspruch auf Leistungen abgelehnt. Es bestehe insbesondere kein Anspruch auf Gewährung einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Eine messbare unfallbedingte MdE liege bei ihm zumindest ab dem 06.11.2010 nicht mehr vor.

Den hiergegen am 04.03.2011 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.06.2011 zurück.

Der Kläger hat hiergegen am 22.07.2011 vor dem SG Klage erhoben und die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. geltend gemacht (S 5 U 2465/11). Durch Beschluss vom 26.01.2012 hat das SG die Verfahren S 5 U 278/11 und S 5 U 2465/11 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und unter dem Aktenzeichen S 5 U 278/11 fortgeführt.

In der Zeit vom 07.11.2012 bis 11.12.2012 hat der Kläger mit Kostenträgerschaft der D. R. eine stationäre psychosomatische Rehabilitationsmaßnahme in der R.-H.-Klinik in B. D. durchgeführt. Im Entlassungsbericht vom 22.01.2013 sind als Diagnosen unter anderem eine PTBS, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, sowie psychische Störungen und Verhaltensstörungen durch Tabak genannt. Unter Berücksichtigung gewisser qualitativer Einschränkungen seien dem Kläger mittelschwere Tätigkeiten mit wechselnden Körperhaltungen vollschichtig möglich. Das SG hat den Chefarzt der Abteilung Allgemeine Psychiatrie I vom Zentrum für Psychiatrie Nordbaden Dr. S. als Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens nach einer ambulanten Untersuchung beauftragt, die an drei Tagen im Zeitraum vom 23.10.2012 bis 08.03.2013 stattgefunden hat. In seinem Gutachten vom 08.04.2013 hat Dr. S. ausgeführt, bei dem Kläger bestehe aktuell ein Residualsyndrom nach PTBS sowie eine wiederkehrende depressive Störung bei gegenwärtig leichtgradiger depressiver Episode. Der Kläger habe zum Unfallzeitpunkt weiteren nicht unerheblichen psychosozialen Belastungen unterlegen in Form einer schweren und chronischen psychischen Erkrankung der Ehefrau mit schwerer intrapartnerschaftlicher Belastung, einer hohen finanziellen Belastung durch subjektiv bewerteten Fehlkauf einer Immobilie sowie Belastungen am Arbeitsplatz durch Umsetzung und Degradierung im Rahmen eines Sozialplans. Die funktionelle Bedeutsamkeit der PTBS habe sich bis auf eine Residualsymptomatik Ende 2009 zurückgebildet. Für die später auftretenden, teils auch stärker depressiven Symptombilder der folgenden Jahre sei nicht das Ereignis vom 16.03.2009, sondern seien andere Belastungsfaktoren verantwortlich. Hinsichtlich der Residualsymptomatik nach PTBS seien die psychisch-emotionalen Beeinträchtigungen auf einen spezifischen Kontext begrenzt, nämlich auf das Vermeidungsverhalten von Gleisanlagen und Zügen. Die MdE sei somit für die Zeit ab Dezember 2009 mit 10 v.H. zu bemessen, vergleichbar bei anderer spezifischer (isolierter) Phobie.

Nachdem der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung die Klage auf Weitergewährung des Verletztengeldes zurückgenommen hatte, hat das SG mit Urteil vom 24.07.2013 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dem Kläger stehe kein Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenrente zu. Denn ab dem - vorliegend maßgeblichen - 06.11.2010 lägen keine Folgen des Arbeitsunfalls mehr vor, welche eine MdE von mindestens 20 v.H. begründeten. Zweifellos habe der Arbeitsunfall vom 16.03.2009 bei dem Kläger zunächst zu einer PTBS und einer depressiven Störung geführt. Jedenfalls ab dem 06.11.2010 habe sich die funktionelle Bedeutsamkeit der PTBS bis auf eine Restsymptomatik in Form von Vermeidungsverhaltensweisen hinsichtlich Gleisanlagen und Zügen zurückgebildet. Auch die danach aufgetretenen, teils auch stärkeren depressiven Symptombilder seien nicht mehr auf den Arbeitsunfall vom 16.03.2009, sondern wesentlich auf unfallunabhängige Faktoren, insbesondere die schwere und chronische schizophrene Erkrankung der Ehefrau, zurückzuführen. Es sei hinsichtlich der kausalen Relevanz zu einer Verschiebung der Wesensgrundlage gekommen. Dies habe Dr. S. nach sehr sorgfältigem Aktenstudium und ausführlicher Untersuchung des Klägers schlüssig dargelegt. Die gegen sein Gutachten erhobenen Einwände des Klägers seien nicht geeignet, die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen zu erschüttern. Die testpsychologischen Untersuchungen durch Dr. S. hätten teilweise massive Verdeutlichungstendenzen und die Annahme einer massiv geminderten Authentizität der Angaben des Klägers ergeben. Die ab dem 06.11.2010 noch kausal wesentlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführende Residualsymptomatik führe zu keiner MdE von 20 v.H. Die in der Literatur genannten Richtwerte sähen im Rahmen der PTBS bei einem unvollständig ausgeprägten Störungsbild eine MdE bis 20 v.H. vor. Dem Kläger seien nur Arbeitsmöglichkeiten im Zusammenhang mit Gleisanlagen und Zügen verschlossen. Es handele sich somit um einen sehr kleinen Bereich des Erwerbslebens. Zu Recht ziehe Dr. S. insoweit eine Parallele zu einer spezifischen (isolierten) Phobie, für die bei eng begrenzten und für die Arbeitswelt wenig bestimmenden Situationen in den Richtwerten eine MdE bis 10 v.H. vorgesehen sei. Ob hier nun eine MdE von genau 10 v.H. oder etwas darunter in Ansatz zu bringen sei, könne dahinstehen.

Gegen das den Klägerbevollmächtigten am 19.08.2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16.09.2013 Berufung bei dem SG eingelegt und sein Klagebegehren weiterverfolgt. Der Senat hat auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers ein Gutachten bei dem Facharzt für Psychotherapie und Psychiatrie Dr. W. nach einer ambulanten Untersuchung am 26.08.2015 eingeholt. Dr. W. ist in seinem Gutachten vom 26.08.2015 zu dem Ergebnis gekommen, dass bei dem Kläger eine PTBS und eine depressive Störung mit chronischem Verlauf vorlägen. Die PTBS stehe mit der depressiven Störung in zirkulärer Interaktion. Diese Gesundheitsstörungen seien auf das Trauma vom 16.03.2009 sowie auf das im Jahre 1999 erlebte Erdbeben in der T. zurückzuführen, wobei das Trauma im Jahr 1999 zu einer dispositionellen Persönlichkeitsänderung geführt habe. Der zu prüfende Unfall im Jahr 2009 sei somit auf eine erhöhte Bereitschaft zu einer psychoreaktiv abnormen Störung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit getroffen. Da bei dem Kläger eine (Vor-)Belastung durch die psychisch kranke Ehefrau und die Erlebnisse beim Erdbeben gegeben sei, seien die erheblichen Beschwerden und psychischen Beeinträchtigungen nur teilweise auf das Erlebnis vom 16.03.2009 zurückzuführen. Die MdE schätze er mit 20 v.H. ein. Die Exaktheitsansprüche seien wegen der Komplexität der Problematik nicht allzu hoch anzusetzen.

Der Kläger stützt sich zur Begründung auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. W. Außerdem trägt er vor, er leide nach wie vor unter der Wiedererinnerung an das schlimme Ereignis. Ihm falle es schwer, über das Unfallereignis zu sprechen, auch aufgrund von sprachlichen Barrieren. Er leide außerdem an Flashbacks, belastenden Träumen, emotionaler Taubheit und ständigem Auf-der-Hut-sein.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 24. Juli 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 8. Februar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 vom Hundert zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, die Ausführungen des Sachverständigen Dr. W. seien nicht geeignet, die nachvollziehbaren Feststellungen des Dr. S. stichhaltig zu entkräften. Zur weiteren Begründung trägt sie unter Vorlage und Bezugnahme auf eine beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. B. vom 17.09.2015 vor, Dr. W. habe sich auf die im gesetzlichen Unfallversicherungsrecht nicht anwendbaren medizinischen Anhaltspunkte gestützt. Im Übrigen habe Dr. W. keine eingehende Unfallexploration vorgenommen. Ferner sei das Vorliegen des A-Kriteriums zu bezweifeln. Auch wenn man eine PTBS annehme, sei diese prinzipiell überwindbar.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Berufungsausschließungsgründe gemäß § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor. Sie ist jedoch unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente.

Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage erhobene Klage ist gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG statthaft und auch sonst zulässig. Die Klage ist jedoch unbegründet.

Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, § 7 Abs. 1 SGB VII. Nach § 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII werden Renten an Versicherte von dem Tag an gezahlt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld endet.

Der Kläger erlitt am 16.03.2009 einen Versicherungsfall in Form eines Arbeitsunfalls, als er bei seiner Arbeit Augenzeuge eines tödlichen Unfalls wurde. Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind hierbei zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder dem Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die vom Kläger zur Zeit des Gleisunfalls ausgeübte Verrichtung ist Teil seiner versicherten Tätigkeit als Signalposten in seinem Beschäftigungsunternehmen gewesen. Wesentlich für den Begriff des Unfalls sind ein ("äußeres") Ereignis als Ursache und eine Körperschädigung als Wirkung. Die Körperschädigung kann verursacht sein durch körperlich gegenständliche Einwirkungen, aber auch durch geistig-seelische Einwirkungen in einem eng begrenzten Zeitraum (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 02.02.1999, B 2 U 6/98 R (juris)). Durch das Beobachten des Gleisunfalls erfolgte bei dem Kläger eine psychische Reaktion aufgrund eines äußeren Ereignisses. So musste er sofort nach dem Ereignis die Arbeit unterbrechen und litt unmittelbar danach an Schlafstörungen sowie einer vegetativen Entgleisung, wie sich beispielsweise aus dem Befundbericht der Hausärztin Dr. M.-G. ergibt.

Der Kläger bezog bis einschließlich 05.11.2010 Verletztengeld. Der Bescheid vom 01.11.2010 über die Begrenzung des Verletztengeldanspruchs bis 05.11.2010 ist mittlerweile bestandskräftig geworden, nachdem der Kläger seine Klage hiergegen am 24.07.2013 zurückgenommen hat. Für die Prüfung eines Anspruchs auf Verletztenrente ist somit die Höhe der MdE ab dem 06.11.2010 entscheidend.

Die bei dem Kläger zu diesem Zeitpunkt und später vorliegenden Gesundheitsstörungen sind nur teilweise auf den Arbeitsunfall vom 16.03.2009 zurückzuführen. Die sich hieraus ergebende MdE beträgt nicht mehr als 10 v.H.

Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein. Dies bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden kann (BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 (juris)). Dagegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung, sogenannte haftungsbegründende Kausalität, sowie zwischen der Einwirkung und der Erkrankung, sog. haftungsausfüllende Kausalität, eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil vom 18.01.2011, B 2 U 5/10 R (juris)). Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ist dann anzunehmen, wenn bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (BSG, Urteil vom 18.01.2011, a.a.O.). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte ableitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen somit zu Lasten des jeweiligen Klägers (BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 (juris)).

Für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung. Diese setzt zunächst die Verursachung der weiteren Schädigung durch den Gesundheitserstschaden im naturwissenschaftlich-naturphilosophischen Sinne voraus. Ob die Ursache-Wirkung-Beziehung besteht, beurteilt sich nach der Bedingungstheorie. Nach ihr ist eine Bedingung dann notwendige Ursache einer Wirkung, wenn sie aus dem konkret vorliegenden Geschehensablauf nach dem jeweiligen Stand der einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse (Erfahrungssätze) nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Auf dieser ersten Stufe sind alle derartigen notwendigen Bedingungen grundsätzlich rechtlich gleichwertig (äquivalent). Alle festgestellten anderen Bedingungen, die in diesem Sinn nicht notwendig sind, dürfen hingegen bei der nachfolgenden Zurechnungsprüfung nicht berücksichtigt werden (BSG, Urteil vom 05.07.2011, B 2 U 17/10 R (juris)).

Ist der Gesundheitserstschaden in diesem Sinne eine notwendige Bedingung des weiteren Gesundheitsschadens, wird dieser ihm aber nur dann zugerechnet, wenn er ihn wesentlich (ausreichend: mit-) verursacht hat. Wesentlich ist der Gesundheitserstschaden für den weiteren Gesundheitsschaden nach der in der Rechtsprechung gebräuchlichen Formel, wenn er eine besondere Beziehung zum Eintritt dieses Schadens hatte (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R (juris)).

Ab dem 06.11.2010 litt der Kläger an einer Residualsymptomatik nach posttraumatischer Belastungsstörung sowie an wiederkehrenden depressiven Verstimmungen, die teilweise eine leichtgradige Ausprägung erfuhren (März 2013), teilweise auch mittelgradig ausgeprägt waren (November 2012). Das Vollbild einer PTBS bestand zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht mehr. Dr. S. hat in seinem Gutachten vom 08.04.2013 nachvollziehbar dargelegt, dass die Kriterien für das Vorliegen einer PTBS, orientiert an den Vorgaben des ICD-10 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, Version 2013), spätestens ab dem Jahr 2010 nicht mehr hinreichend erfüllt waren.

Voraussetzung für die Anerkennung von psychischen Gesundheitsstörungen als Unfallfolge und die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund von ihnen ist zunächst die Feststellung der konkreten Gesundheitsstörungen, die bei dem Verletzten vorliegen und seine Erwerbsfähigkeit mindern und die aufgrund eines der üblichen Diagnosesysteme und unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen erfolgen soll (BSG, Urteil vom 09.05.2006, a.a.O.). Dies sind namentlich die Diagnosesysteme ICD-10 sowie DSM V (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Stand Mai 2013).

Laut ICD-10 F 43.1 entsteht die PTBS als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde (A). Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten (B). Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten (C). Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf (D). Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann (E). Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung über.

Dr. S. konnte bei dem Kläger zwar die sogenannten A-, C- und E-Kriterien (Trauma, Vermeidung und Zeit) bejahen, fand aber keine hinreichenden Hinweise auf das Vorliegen des B- und des D-Kriteriums (Wiedererinnerung, Hypersensitivität). Im Einzelnen führte Dr. S. hierzu aus, dass der Kläger bei dem in Rede stehenden Ereignis eine psychische Massivbelastung erfuhr, indem er einem plötzlichen intensiven Unfallgeschehen gegenüberstand, welches nicht abwendbar war und das er hilflos miterlebte (A-Kriterium). Zudem weist Dr. S. überzeugend darauf hin, dass bei dem Kläger nach wie vor ein traumaassoziiertes Vermeidungsverhalten vorliegt, das sich auf Gleisanlagen und Züge bezieht (C-Kriterium). Zudem traten bei dem Kläger die ersten Hypersensitivitätsanzeichen (Schlafstörungen, Angstzustände) bereits unmittelbar nach dem Unfallereignis und somit innerhalb von sechs Monaten auf, so dass auch das E-Kriterium als erfüllt anzusehen ist. Nachvollziehbar hat der Sachverständige Dr. S. allerdings auch festgehalten, dass die bei dem Kläger zunächst aufgetretenen Wiedererinnerungen an das Unfallgeschehen, die z.B. in dem Befundbericht des Dr. R. und im Entlassungsbericht vom 05.01.2010 unter Aufnahmebefund dokumentiert sind, zum Zeitpunkt der ambulanten Begutachtung nicht mehr nachweisbar waren. Zwar gab der Kläger gegenüber dem Sachverständigen traumaassoziierte belastende Wiedererinnerungen an. Dr. S. vermerkte jedoch hierzu, dass der Kläger über diese Erinnerungen differenziert und mit Detailangaben berichten konnte, ohne irgendwelche psychovegetative Anspannungszeichen zu zeigen. Es bestehen somit gewichtige Zweifel, dass bei dem Kläger solche assoziierten Symptome tatsächlich über den 05.11.2010 hinaus vorlagen. Ein Nachweis ist somit nicht erbracht. Die Einschätzung des Sachverständigen Dr. S. wird auch dadurch bestätigt, dass im Entlassungsbericht der Klinik am R. vom 05.01.2010 als Entlassungsbefund aufgrund der dort erfolgten intensiven einzelpsychologischen Behandlung eine Reduzierung der traumaassozierten Symptomatik vermerkt ist. Das Vorliegen des B-Kriteriums hat Dr. S. somit schlüssig verneint.

Auch konnte der Sachverständige Dr. S. bei dem Kläger keinen vom D-Kriterium umfassten Erregungszustand erkennen. Der Kläger gibt zwar das Vorliegen von Schlafstörungen an. Reine Schilderungen der Beschwerden sind jedoch keine tragfähige Grundlage für die Feststellung einer psychischen Störung oder Teilkriterien derselben. Das tatsächliche Vorliegen dieser Beschwerden über den 05.11.2010 hinaus ließ sich nicht objektivieren. Dr. S. beobachtete bei seiner Untersuchung keine Anzeichen für eine erhöhte Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen, Hypervigilanz oder eine erhöhte Schreckhaftigkeit. Auch im klinisch-psychologischen Abschlussbericht vom 10.12.2009 wird die depressive Symptomatik als remittiert angesehen und ausgeführt, dass im Zusammenhang mit weiteren von dem Kläger vorgetragenen Symptomen (über das Vermeidungsverhalten hinaus) im Behandlungsverlauf Hinweise auf Aggravation aufgetreten sind, die Zweifel an den Angaben des Klägers in Bezug auf das Ausmaß der geschilderten Beeinträchtigungen aufkommen ließen. Der Kläger erschien dann schließlich nicht mehr zu den letzten Einzelterminen in der Klinik. Die Aggravationstendenzen konnten auch von Dr. S. bestätigt werden. Die Ergebnisse in den von ihm durchgeführten testpsychologischen Beschwerdevalidierungsverfahren, beispielsweise im Verfahren SFSS, bei dem der Kläger mit 48 erreichten Punkten deutlich über dem Cut-off-Wert von 16 Punkten lag, sprachen klar für massive Verdeutlichungstendenzen. Auch die Ergebnisse im Beschwerdevalidierungstest WMT (bei welchem dem Kläger Wortpaare in seiner Muttersprache vorgelesen wurden), lagen weit unter dem Ergebnis kooperationswilliger dementer Personen oder von mittelgradig bis schwer hirnverletzten Personen. Zudem stellte Dr. S. widersprüchliche Beschwerdeangaben sowie ungewöhnliche und nicht nachvollziehbare Angaben zu Beschwerdeentwicklungen fest. Auch Dr. H. beobachtete bei dem Kläger anhand eines nonverbalen Tests zur Prüfung der Anstrengungsbereitschaft und Mitwirkung (DMS 48) derart schlechte Ergebnisse, dass er in seinem Bericht vom 14.11.2010 den Verdacht auf ein Rentenbegehren äußerte.

In seinem Gutachten vom 27.03.2010, das im Wege des Urkundsbeweis Verwertung findet, geht Dr. H. zwar aus, dass zum Zeitpunkt seiner Untersuchung im März 2010 das Vollbild einer PTBS gegeben war. Er differenziert hierbei jedoch nicht hinreichend mit dem Vorliegen der Kriterien wenige Monate nach dem Unfallereignis und der (damals) aktuellen Situation. Zudem geht er in seinem Bericht über die Heilverlaufskontrolle vom 14.11.2010 ebenfalls nur noch von einem unvollständig ausgeprägten Krankheitsbild aus.

Ebenso wenig ist der Feststellung des Sachverständigen Dr. W. über das Vorliegen einer PTBS zu folgen. Dr. W. hat zum einen die einzelnen Diagnosekriterien nicht mit jeweils korrespondierenden Befunden belegt. Ferner setzt sich der Sachverständige nicht hinreichend kritisch mit den teilweise entgegengesetzten Ausführungen des Dr. S. auseinander. Zwar ist einzuräumen, dass Dr. W. aufgrund einer bei der Untersuchungssituation aufgetretenen Unruhe und Aufgeregtheit des Klägers die Exploration beenden musste. Ein Auseinandersetzen seinerseits mit den durch Dr. S. erhobenen Befunden wäre dennoch erforderlich gewesen.

Auch die Feststellung im Entlassungsbericht der R.-H.-Klinik vom 22.01.2013 über das Vorliegen einer PTBS führt zu keinem anderen Ergebnis. Vielmehr ist auch hier ausgeführt, dass der Kläger über den Unfall im kleinsten Detail berichtete, ohne dass bei ihm eine vegetative Erregung beobachtet werden konnte. Die Beschwerdeangaben des Klägers werden im Entlassungsbericht als unplastisch bezeichnet und ein Aggravationsverhalten wird angenommen.

Offen bleiben kann, ob bei der Feststellung einer PTBS allein auf die Diagnosekriterien des ICD-10 abzustellen ist, oder ob auch die Merkmale des DSM V ausreichend sind (ablehnend Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2015, L 6 VS 4569/14; offen gelassen ebenso LSG Hamburg, Urteil vom 18.08.2015, L 3 U 106/10; beide (juris)). Denn auch im DSM-V wird als B-Kriterium das Vorliegen traumaassoziierter Symptome vorausgesetzt, was - wie bereits ausgeführt - bei dem Kläger nicht nachgewiesen werden konnte.

Daneben litt der Kläger in der Folgezeit an wiederkehrenden depressiven Störungen, wie sowohl dem Gutachten des Sachverständigen Dr. S. als auch dem Entlassungsbericht der R.-H.-Klinik vom 22.01.2013 zu entnehmen ist.

Allerdings ist nur das von Dr. S. festgestellte Residualsyndrom mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall vom 16.03.2009 zurückzuführen. Aus sämtlichen medizinischen Unterlagen ergibt sich übereinstimmend, dass der Kläger zeitnah nach dem Unfallereignis an einer PTBS erkrankte. Dies wird im Übrigen auch von der Beklagten nicht bestritten. Für das nach dem 05.11.2010 noch vorliegende Residualsyndrom nach abgelaufener PTBS liegen keine Anhaltspunkte vor, dass es nicht auf das Unfallereignis vom 16.03.2009 zurückzuführen ist. Zwar erlebte der Kläger im Jahre 1999 ein Erdbeben in der T., bei dem er nach eigenen Angaben seinem Freund behilflich war, dessen verschütteten und verstorbenen Vater zu bergen. Dr. S. hat aber darauf aufmerksam gemacht, dass dieses Ereignis in keinem der ärztlichen Berichte Erwähnung gefunden hat. Auch Dr. W. vermerkte, dass das Erleben des Erdbebens allenfalls zu einer Persönlichkeitsveränderung des Klägers im Sinne einer erhöhten Vulnerabilität geführt hat. Zudem beziehen sich die Angaben des Klägers zum Vermeidungsverhalten lediglich auf den Schienen- bzw. Zugverkehr.

Für die wiederkehrenden depressiven Störungen ist dagegen ein Ursachenzusammenhang nicht hinreichend wahrscheinlich gemacht. Dr. Sch. hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die objektivierbare Symptomatik zum Zeitpunkt des Abschlusses der Behandlung in der Klinik am R. im Dezember 2009 bis auf ein Vermeidungsverhalten in Bezug auf die Konfrontation mit Gleisen und Zügen rückläufig gewesen war und hinsichtlich der weiteren psychischen Belastung nicht mehr das Schädigungsereignis, sondern die innerfamiliäre Dynamik im Vordergrund stand. So vermerkt der Entlassungsbericht der Klinik am Rosengarten eine leichte Verbesserung der psychischen Symptomatik und das Erlangen einer teilweisen Kontrolle über aufdringliche Bilder zum Abschluss des ersten Therapieabschnitts. Für eine weiterführende Behandlung war der Kläger im zweiten Therapieabschnitt nicht mehr hinreichend motiviert. Der Entlassungsbericht gibt an, der Kläger habe "ausgesprochen passiv" in Bezug auf die Bearbeitung des Unfallgeschehens gewirkt. Der Entlassungsbericht nennt auch konkurrierende Faktoren: Im Zusammenhang mit einer betrieblichen Umsetzung im Jahr 2005 wird ein Kränkungserleben beschrieben. Des Weiteren ist festgehalten, der Kläger habe die im ersten Therapieabschnitt erlernten Copingstrategien während der Therapiepause nicht umsetzen können, da er familiäre Probleme aufgrund der schweren psychischen Erkrankung seiner Ehefrau gehabt habe. Er sei ständig in Anspannung und mache sich Gedanken über seine Ehefrau, wann diese gesund werde. Zudem gab der Kläger finanzielle Sorgen an. Außerdem wurde der Kläger vorzeitig auf eigenen Wunsch aus der Behandlung entlassen, nachdem er nicht mehr zu den Einzelterminen erschienen ist. Somit traten weitere nunmehr chronifizierte Beschwerden genau zu einem Zeitpunkt auf, als die Verletzungsfolgen gerade am Abheilen waren. Es bestehen daher deutliche Hinweise dafür, dass den oben genannten unfallunabhängigen Faktoren für die weitere Symptomatologie ab November 2009 eine prägende Bedeutung zukommt. Vor diesem Hintergrund kann nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die neben dem Residualsyndrom bestehenden Erkrankungen ohne den Arbeitsunfall vom 16.03.2009 nicht eingetreten wären. Dies wird auch bestätigt durch die Ausführungen des Dr. H., der die weiteren durch ihn festgestellten Gesundheitsstörungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet in seinem Bericht über die Heilverlaufskontrolle vom 14.11.2010 als unfallunabhängig einstuft. Auch er ist der Überzeugung, dass die Beschwerdechronifizierung, die sich auf vom Unfallgeschehen unabhängige Lebensbereiche erstreckt, durch unfallfremde Faktoren (ambivalenter Erwerbsstatus, Kränkungserleben, familiärer und sozialer Bereich) ausgelöst und aufrechterhalten worden ist.

Den Ausführungen des Sachverständigen Dr. W., der die depressive Erkrankung in zirkulärer Interaktion mit der PTBS sieht, ist darüber hinaus entgegenzuhalten, dass die von ihm beschriebene erregte Verstimmung des Klägers während der Exploration wohl im Zusammenhang mit den Ausführungen zu dem im Jahre 1999 erlebten unfallunabhängigen Erdbeben in der T. aufgetreten ist, und zwar gleichermaßen bei dem Kläger wie auch bei seinem bei der Untersuchung anwesenden und befragten Freund, der von dem in Rede stehenden Erdbeben mindestens genauso betroffen war. Zudem diskutiert er in seinem Gutachten nicht, inwieweit die neben der PTBS vorliegenden Erkrankungen auf den Arbeitsunfall vom 16.03.2009 zurückzuführen sind. Schließlich sind seine Ausführungen im Hinblick auf den Unfallzusammenhang widersprüchlich, wenn er an anderer Stelle seines Gutachtens ausführt, dass die bei dem Kläger bestehenden erheblichen Beschwerden und psychischen Beeinträchtigungen nur teilweise auf das Erlebnis vom 16.03.2009 zurückzuführen sind, ohne im Übrigen näher anzugeben, welcher Beschwerdeanteil nicht unfallabhängig sein soll.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Um das Vorliegen einer MdE beurteilen zu können, ist zunächst zu fragen, ob das aktuelle körperliche oder geistige Leistungsvermögen beeinträchtigt ist. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang dadurch die Arbeitsmöglichkeiten der versicherten Person auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert werden. Die Bemessung des Grades der MdE erfolgt als Tatsachenfeststellung des Gerichts, die dieses gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSG, Urteil vom 18.01.2011, B 2 U 5/10 R, (juris)). Die zur Bemessung der MdE in Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind dabei zu beachten. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis (BSG, Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R (juris)). Die Einschätzung der MdE setzt voraus, dass der Arbeitsunfall beim Kläger eine Beeinträchtigung des Leistungsvermögens hervorgerufen hat. Das Bestehen einer Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens muss ausgehend von konkreten Funktionseinbußen beurteilt werden.

Im vorliegenden Fall ist die Bewertung der sich aus dem Residualsyndrom ergebenden Funktionseinschränkungen mit einer MdE von unter 20 v.H. gerechtfertigt. Ein Stützrententatbestand (§ 56 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 SGB VII) liegt nicht vor. Bei einer PTBS mit unvollständig ausgeprägtem Störungsbild im Sinne einer Teil- oder Restsymptomatik, wovon im vorliegenden Fall auszugehen ist, wird nach den allgemeinen Erfahrungssätzen eine MdE bis 20 v.H. angenommen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, S. 157). Bei der Einstufung sind die Auswirkungen der Funktionsstörungen auf das Leistungsvermögen im gesamten Erwerbsleben zu berücksichtigen. Dr. Sch. hat zutreffend darauf hingewiesen, dass das aktuell bei dem Kläger noch bestehende Vermeidungsverhalten nur einen sehr spezifischen Bereich, nämlich die Arbeit an Schienen und mit Zügen, umfasst. Dem Kläger ist es nach wie vor nicht oder nur erschwert möglich, einen Zug zu besteigen bzw. sich dem Gleisbereich zu nähern. Dies betrifft jedoch nur einen sehr geringen Teil aller am Markt vorhandenen Arbeitsbereiche. Die Anlehnung des Sachverständigen an die Bewertung der MdE bei einer isolierten Phobie, die nach den einschlägigen Erfahrungswerten mit einer MdE bis zu 10 v.H. eingestuft wird, ist somit überzeugend. Zwar kann auch die Wegstrecke, um zu einer Arbeitsstelle zu gelangen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln und somit auch mit der Bahn zurückgelegt werden. Dies betrifft jedoch nicht den Kernbereich einer Tätigkeit. Zudem stehen dem Kläger auch zahlreiche alternative Anreisemöglichkeiten zu Arbeitsstellen zur Verfügung (bspw. durch Bus, Pkw oder zu Fuß), so dass der gesamte Arbeitsmarkt bis auf die oben erwähnten Nischenbereiche dem Kläger weiterhin offen steht.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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