L 9 U 530/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 11 U 431/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 530/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 13. Januar 2015 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung der Folgen eines Arbeitsunfalles vom 08.11.2011.

Der 1963 geborene Kläger war als Metallarbeiter bei der Fa. H. in S. tätig. Nach seinen Angaben sowie nach der Unfallanzeige des Unternehmers vom 21.11. 2011 bekam der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit beim Kontrollieren und Nachfüllen einer alkalischen Reinigungsflüssigkeit in einem Metallreinigungstauchbecken am 08.11.2011 gegen 10.00 Uhr Atemnot bzw. einen Hustenanfall. Er musste die Arbeit abbrechen und wurde zunächst vom Hausarzt Dr. B. medizinisch versorgt, der eine Dyspnoe und Orthopnoe diagnostizierte und die Einweisung in das Krankenhaus S. anordnete. Dort wurde ein Inhalationstrauma durch den Dampf von Reinigungsmitteln festgestellt. Bei der abschließenden Untersuchung am 15.11.2011 waren die Atemgeräusche seitengleich, so dass die Behandlung durch den Chefarzt Dr. B. mit Annahme von Arbeitsfähigkeit ab 17.11.2011 abgeschlossen wurde. Die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. B.-S. stellte ab 18.11.2011 weiterhin Arbeitsunfähigkeit wegen einer venösen Embolie und einer Thrombose fest.

Wegen anhaltender Atemwegsbeschwerden stellte sich der Kläger am 28.11.2011 (erstmals) in den W.-Z.-Kliniken - Fachkliniken W., Medizinische Klinik für Atemwegserkrankungen und Allergien - vor, wo Prof. Dr. D. unter dem 06.12.2011 eine symptomatische bronchiale Überempfindlichkeit bei Zustand nach Inhalationstrauma sowie - aufgrund einer Röntgenaufnahme der Nasennebenhöhlen - einen Verdacht auf eine chronische Nasennebenhöhlenentzündung (Sinusitis maxillaris) diagnostizierte. In einem nach erneuter Vorstellung gefertigten weiteren Befundbericht vom 03.02.2012 diagnostizierte Prof. Dr. D. eine aktuell manifeste Atemwegsobstruktion bei symptomatischer bronchialer Überempfindlichkeit und Zustand nach Inhalationstrauma.

Mit Bescheid vom 10.02.2012 stellte die Beklagte fest, dass Kosten für die medizinische Behandlung des Klägers über den 16.11.2011 hinaus nicht mehr übernommen würden, weil kein Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der chronischen Sinusitis maxillaris, der Atemwegsobstruktion bei symptomatischer bronchialer Überempfindlichkeit sowie einer tiefen Beinvenenthrombose links bestehe. Die weitere Behandlung erfolge zu Lasten der Krankenkasse.

Dagegen erhob der Kläger unter dem 28.02.2012 Widerspruch unter Vorlage einer Stellungnahme des Betriebsarztes Dr. M., in welcher dieser eine weitere Vorstellung bei Prof. Dr. D. zur Überprüfung des Kausalzusammenhangs zwischen dem Unfallereignis und der Atemwegsobstruktion vorschlug. Die Beklagte zog sodann das Sicherheitsdatenblatt der verwendeten Reinigungsflüssigkeit (Hakupur 445-1) bei und veranlasste eine Unfalluntersuchung durch ihren Präventionsdienst (PD). Frau S. vom P. führte in ihrem Unfalluntersuchungsbericht vom 18.07.2012 aus, der Kläger habe an einer automatischen Reinigungsanlage gearbeitet. Im Reinigungsbecken habe sich ein ca. 2 %-iges Wasser-Hakupur 445-1-Gemisch befunden. Bei Hakupur 445-1 handle es sich nach dem Sicherheitsdatenblatt nicht um einen Gefahrstoff. Der Kläger habe aus dem Reinigungsbecken einen Teil der Flüssigkeit abgelassen und dann Konzentrat in das Becken nachgeschüttet, um die Konzentration auf ca. 3 % zu erhöhen. Dabei habe er sich mehrmals über das Becken gebeugt. Daraufhin sei es zu Beschwerden wie Übelkeit, Atemnot etc. gekommen. Ergänzend fasste Frau S. mit Schreiben vom 20.07.2012 an den Kläger den von ihm angegebenen Unfallhergang dahingehend zusammen, an einem der Becken (Fassungsvolumen: 800 Liter) seien Versuche durchgeführt worden. Mit der im Becken befindlichen Flüssigkeit - ca. 2 % Lösung von Hakupur 445-1 - sei nicht die gewünschte Reinigungswirkung erzielt worden, weshalb die Konzentration erhöht werden sollte. Hierzu habe der Kläger mit einer Tauchpumpe einen Teil der Flüssigkeit aus dem Becken entnommen und diese in Kanister abgefüllt. Zum Einsetzen der Pumpe und während des Abpumpens habe sich der Kläger über den Beckenrand gebeugt. Danach habe er aus 2 oder 3 Kanistern (der Kläger könne dies nicht mehr genau sagen) das Hakapur 445-1-Konzentrat in das Becken nachgefüllt, um eine Konzentration von 3 % zu erreichen. Die Flüssigkeit habe zu diesem Zeitpunkt eine Temperatur von 70 bis 80 Grad Celsius gehabt. Auch hierfür habe sich der Kläger mit dem Oberkörper über den Beckenrand gebeugt. Daraufhin habe er die Kanister mit der abgepumpten Flüssigkeit weggebracht. Nachdem er dies getan hatte, habe er sich nochmals über das Becken gebeugt, um den Füllstand etc. zu kontrollieren. Hierbei seien die Beschwerden aufgetreten. Ob die Beckenrandabsaugung während des gesamten Vorgangs an und in Funktion war, habe sich nicht mehr ermitteln lassen. Zum Zeitpunkt der Unfalluntersuchung seien die Absaugungen teilweise unwirksam gewesen, da auf der Oberseite der Absaugkanäle Abdeckbleche entfernt waren. In einer E-Mail vom 20.07.2012 führte Frau S. weiter aus, in Hakupur 445-1 sei mit einer Konzentration zwischen 5 und 10 % der Stoff Triethanolamin enthalten. Nach einem Informationsblatt zu Triethanolamin könnte das Verschlucken dieses Stoffes zu Gesundheitsschäden fuhren. Er könne Atemwege, Augen, Magen-Darm-Trakt und Haut reizen. Sensibilisierte Personen könnten schon auf sehr geringe Konzentrationen reagieren und sollten deshalb keinen weiteren Kontakt mit diesen Stoffen haben. Vielleicht sei dies eine Erklärung für die Beschwerden des Klägers. Demgegenüber führte Dr. S. (Facharzt für Arbeitsmedizin) in einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 01.10.2012 aus, bei Hakupur 445-1 handle es sich um ein Reinigungskonzentrat, das Fettalkoholoxylat (unter 5 %) und Triethanolamin (unter 10 %) enthalte. Nach Rücksprache mit der Diplom-Chemikerin R. sei unter Berücksichtigung der im abgesaugten Reinigungsbecken gegebenen Stoffkonzentrationen sowie des vorliegenden Dampfdruckes gerade bei einer einmaligen Inhalation keine toxikologisch relevante Exposition zu erwarten, die geeignet wäre, ein sinubronchiales Syndrom oder eine bronchiale Hyperreagibilität auszulösen. Mit dieser Begründung wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 22.01.2013 zurück.

Dagegen hat der Kläger am 19.02.2013 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben und zur Begründung ausgeführt, er habe mit einer Tauchpumpe einen Teil der Flüssigkeit aus dem Reinigungsbecken entnommen und diese in Kanister abgefüllt. Beim Einsetzen der Pumpe und während des Abpumpens habe er sich über den Beckenrand gebeugt, danach habe er das Reinigungskonzentrat in das Becken nachgeschüttet. Er habe sich mehrfach mit dem Oberkörper über den Beckenrand gebeugt. Dabei seien die Atembeschwerden aufgetreten. Bereits zwei bis drei Tage vor dem Vorfall sei die Reinigungsanlage mit dem Reinigungsmittel gefahren worden, allerdings mit niedriger Konzentration. Die Konzentration sei erhöht worden (auf 3 %), weil die Teile einfach nicht sauber geworden seien. Nach Akteneinsicht hat der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten ausführen lassen, in den Akten (Seite 201) befinde sich ein handschriftlicher Vermerk auf einem Sicherheitsdatenblatt, wonach Hakapur 445-1 mangels Reinigungsqualität ersetzt worden sei durch 50-706-2, so dass der tatsächlich verwendete Stoff unklar sei.

Das SG hat zunächst Dr. B. der den Kläger seit Juli 1997 hausärztlich behandelt, als sachverständigen Zeuge schriftlich befragt, der die Befunde zu den Vorbehandlungen mitgeteilt hat. Die Frage nach Behandlungen wegen Erkrankungen oder Verletzungen der Atemwege hat er verneint.

Das SG hat sodann bei Prof. Dr. D., W.-Z. Kliniken, ein Gutachten in Auftrag gegeben. Im pneumologisch-internistischen und allergologischen Gutachten vom 30.09.2013, welches gemeinsam mit dem Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie, Allergologie und Schlafmedizin N. erstellt wurde, wird ausgeführt, beim Kläger lägen subjektive Beschwerden im Sinne von Atemnot, Hustenreiz sowie phasenweise selbst empfundener bronchialer Spastik vor. Dies decke sich gut mit dem Befund einer hochgradigen bronchialen Hyperreagibilität bei bereits initial bestehender grenzwertiger manifester Obstruktion. Die entsprechenden technischen Informationen zum Reinigungspräparat Hakupur 445-1 wiesen klar auf die Möglichkeit einer Reizung der Atemwege bzw. gegebenenfalls auf die Notwendigkeit der Anwendung einer entsprechenden Schutzmaske hin. Damit seien insbesondere aufgrund der Tatsache weiterer fehlender Erreger einer bronchialen Hyperreagibilität bzw. Obstruktion (kein Nikotin-Abusus, keine Sensibilisierungen gegen Inhalationsallergene) und dem Fehlen von Vorerkrankungen (bis auf gelegentliche Erkältungserkrankungen) die vom Kläger geklagten Beschwerden mit hoher Wahrscheinlichkeit durch das Inhalationstrauma verursacht worden. Es bestehe deswegen weiterhin Behandlungsbedürftigkeit.

Die Beklagte hat gegen das Gutachten eingewandt, die bloße Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhanges genüge nicht. Auch ein möglicher in zeitlicher Hinsicht bestehender Zusammenhang und der Umstand, dass vor dem Ereignis keine chronischen pulmonalen Erkrankungen bekannt gewesen seien, reiche nicht aus. Nach den technischen Informationen zu Hakupur 445-1 sei eine Konzentration von 0,5 bis 5 % vorgegeben. Eine Mischung von 2 oder 3 % liege damit noch im Rahmen. Prof. Dr. D. habe sich auch nicht mit den Äußerungen von Dr. S. und Dipl.-Chemikerin R. auseinandergesetzt. In einer vom SG daraufhin ergänzenden Stellungnahmen hat Prof. Dr. D. unter dem 25.11.2013 daran festgehalten, dass die beim Kläger bestehende erhebliche bronchiale Hyperreagibilität mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf das Inhalationstrauma vom November 2011 zurückzuführen sei.

Die Beklagte hat daraufhin beratungsärztliche Stellungnahmen von Dr. G. (Facharzt für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde, Schwetzingen) vom 22.03.2014 und 11.12.2015 vorgelegt. Danach liege bei dem Kläger tatsächlich eine obstruktive Atemwegserkrankung im Sinne eines Asthma bronchiale vor. Da keine exogen allergische Verursachung erkennbar sei, handele es sich insofern am ehesten um ein sogenanntes intrinsisches Asthma. Die Entwicklung eines chronischen Asthma bronchiale aufgrund einer nur kurzzeitigen Exposition gegenüber einem alkalischen Tensit werde entgegen dem Gutachten nicht in der medizinischen Literatur beschrieben. Allein die Möglichkeit, dass ein Stoff bei unsachgemäßer Handhabung einen atemwegsreizenden Effekt haben könne, reiche nicht aus für die Annahme eines Kausalzusammenhangs. Auch spreche der Verlauf gegen ein Inhalationstrauma, da etwa zehn Tage nach dem angeschuldigten Ereignis eine bronchiale Hyperreagibilität nachweisbar gewesen sei und später dann eine Obstruktion. Bei einem Inhalationstrauma wäre in der Frühphase eine bronchiale Obstruktion zu erwarten gewesen. Prof. Dr. D. habe sich auch nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die bronchiale Überempfindlichkeit des Klägers eventuell auf die zu vermutende vorbestehende chronische Sinusitis zurückzuführen gewesen sei. Nach dem Sicherheitsdatenblatt lägen keine Erkenntnisse vor, dass Hakupur 445-1 - selbst bei lang andauerndem Kontakt - Gesundheitsschäden verursache.

Der Kläger hat Arztbriefe des behandelnden Facharztes für Lungen- und Bronchialheilkunde und Allergologie Dr. W. vom 29.04.2014 und 23.05.2014 vorgelegt. Danach ist der bei ihm vorliegende progrediente klinische Verlauf nach stattgehabtem Inhalationstrauma als reaktives Airways-Dysfunktionssyndrom (RADS) zu deuten, das durch die persistierende Exposition mit Metallstäuben am Arbeitsplatz negativ weiter beeinflusst werde.

Hierauf hat das SG nochmals ergänzend Fragen an Prof. Dr. D. gestellt, für den - aufgrund dessen Ausscheiden aus der Klinik - der Internist N. unter dem 03.08.2014 und 19.11.2014 Stellung genommen hat. Danach sei der Kläger vor dem Ereignis lungengesund gewesen. Er habe sich unmittelbar nach dem Vorfall in ärztliche Behandlung wegen schwerer Atemnot und Husten begeben müssen. Ihm könne sicherlich nicht angelastet werden, dass im Krankenhaus S. keine lungenfunktionelle Untersuchung erfolgt sei. Die Nachbefundung der Röntgenaufnahmen der Nasennebenhöhlen vom 28.11.2011 durch den Facharzt für Diagnostische Radiologie Dr. E. am 06.05.2014 (Befund: Regelrechte Belüftung der dargestellten NNH und der Felsenbeine. Kein Nachweis umschriebener Schleimhautpolster. Kein Nachweis pathologischer Verschattungen. Kein Nachweis umschriebener Osteodestruktionen. Diskrete Nasenseptumdeviation bds. Regelrechte Darstellung des Schädelskeletts, soweit dargestellt. Beurteilung: kein Anhalt für Sinusitis. Kein Nachweis umschriebener Osteodestruktionen. Diskrete Nasenseptumdeviation bds.) habe keine Hinweise auf eine Sinusitis ergeben. Bei damals blander Rhinomanometrie könne eine chronische Sinusitis keine Rolle spielen. Bei ebenfalls blanden allergologischen Testungen als auch lebenslänglichem Nichtraucherstatus müsse letztlich die bronchiale Hyperreagibilität auf das Inhalationsereignis zurückgeführt werden. Es reiche bereits eine einmalige höhergradige Exposition aus, um eine entsprechende Symptomatik bzw. Krankheitsfolgen zu entwickeln. Das von Dr. W. beschriebene RADS sei letztendlich gleichwertig mit einem chemisch irritativen bzw. toxischen Asthma. Hinsichtlich der Expositionsdauer werde auf das Positionspapier der EAACI vom 16.05.2014 im European Journal of Allergy and Clinical Immunologie verwiesen. Hiernach reiche bereits die einmalige höhergradige Exposition aus, um eine entsprechende Symptomatik bzw. Krankheitsfolgen zu entwickeln.

Das SG hat außerdem den Hausarzt Dr. B. zu den im Vorerkrankungsverzeichnis für Oktober 2007, März 2008 und Oktober 2010 dokumentierten Erkrankungen des Klägers befragt. Dieser hat unter dem 25.08.2014 angegeben, den Kläger jeweils wegen banaler Infekte (Bronchitis, Laryngobronchitis) im Rahmen von Erkältungswellen krankgeschrieben zu haben.

Durch Urteil vom 13.01.2015, welches ohne mündliche Verhandlung ergangen ist, hat das SG die Beklagte unter Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 10.02.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides um 21. (sic!) 01.2013 verpflichtet, als Folge des Arbeitsunfalls vom 08.11.2011 eine hochgradige bronchiale Hyperreagibilität mit grenzwertiger manifester Obstruktion anzuerkennen, sowie verurteilt, hierfür Heilbehandlung zu gewähren.

Gegen das ihr am 22.01.2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16.02.2015 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung eingelegt und zur Begründung beratungsärztliche Stellungnahmen von Dr. L. (Facharzt für Arbeitsmedizin, K.) vom 13.03.2015 und vom 11.12.2015 vorgelegt. Dieser hat ausgeführt, die Stoffe, die nach einmaliger Inhalation eine so schwerwiegende Veränderung des Bronchialepithels hervorrufen, dass darauf eine asthmatische Erkrankung oder eine bronchiale Hyperreagibilität fußen können, könne man als handverlesen betrachten. Bei Hakapur 445-1 handele es sich nach dem Sicherheitsdatenblatt um eine wässrige Lösung, die mild alkalisch reagiere. Zusätzlich sei zu berücksichtigen, dass ein Sicherheitsblatt immer ein worst-case-Szenario mitteile, also aus rein rechtlichen Gründen auch bei Substanzen, die nur entfernt toxisch-irritativ seien, immer die Empfehlung ergehe, dass man bei ungeschützter Inhalation an die frische Luft zu bringen sei und entsprechende Maßnahmen zur Behandlung der Atemwege einzuleiten seien. Darüber hinaus gehe aus den Unterlagen zwar hervor (und dies habe Prof. Dr. D. selbst eingeräumt), dass zwar eine Konzentrationsanhebung der Lösung von 2 % auf 3 % vorgenommen wurde; dies bewege sich aber noch immer in dem vom Hersteller vorgegebenen Korridor von bis zu 5 %, um die erforderliche technische Wirkung zu erlangen. Es sei also keine hochtoxische Konzentration hergestellt worden, sondern es handele sich noch immer um eine Konzentration, die industriell gebräuchlich sei. Die einmalige Exposition mit einer milde alkalisch reagierenden Lösung sei mit Wahrscheinlichkeit nicht dazu geeignet gewesen, ein überdauerndes bronchiales Krankheitsbild zu induzieren, weder im Sinne einer bronchialen Hyperreagibilität noch im Sinne eines Asthma bronchiale. Selbst wenn man aber eine so hohe toxische irritative Potenz der Lösung voraussetze, die geeignet sei, bei einmaligem Kontakt die genannten Gesundheitsstörungen hervorzurufen, dann wäre dies nicht ohne Begleiterscheinungen abgelaufen, also mit Reizerscheinungen im Nasopharyngealbereich und vor allem in den Augenbindehäuten. Solche Symptome würden aber im primären Durchgangsarztbericht nicht beschrieben. Es fehlten daher Brückensymptome einer starken Schleimhautreizung. Schließlich bestehe auch eine konkurrierende Krankheitsursache in Form der im Ambulanzbericht der Fachklinken W. vom 06.12.2011 diagnostizierten Sinusitis maxillaris. Diese sei zwar nur als Verdachtsdiagnose gestellt worden, lasse sich aber gut aus dem Untersuchungsbericht der Nasennebenhöhlen ableiten, wonach sich Schleimhautablagerungen bis zu 1 cm Dicke im Bereich beider Kieferhöhlen fanden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 13. Januar 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, weitere Ermittlungen nach Maßgabe der im Erörterungstermin am 22. Dezember 2015 übergebenen schriftlichen Beweisanträge sowie des Schriftsatzes vom 9. März 2016 durchzuführen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch (nochmalige) Befragung des Internisten N. zu den von Dr. L. aufgeworfenen Punkten. Dieser hat unter dem 08.11.2015 dahingehend Stellung genommen, die Substanz Hakupur 445-1 sei nach dem Sicherheitsdatenblatt zweifellos geeignet, eine Atemwegsreizung darzustellen. Der Hinweis von Dr. L. auf das worst case Szenario sei nicht wirklich weiterführend, da beim Kläger genau dieser worst case eingetreten zu sein scheine. Es lägen auch sog. Brückensymptome vor. Dr. L. beschreibe selbst, dass unmittelbar nach der Exposition zweifellos Brückensymptome einer starken Schleimhautreizung wie Husten und Atemnot eingetreten seien. Eine von ihm geforderte zusätzliche Reizung der oberen Atemwege mit Rhinitis oder Augentränen müsse nicht zwangsläufig auftreten. Es könne auch keine konkurrierende Ursache postuliert werden. Die initial von Prof. Dr. D. gestellte Verdachtsdiagnose Sinusitis maxillaris sei bei entsprechender Nachbefundung des maßgeblichen Röntgenbildes durch den Radiologen widerrufen worden.

Der Vorsitzende hat mit den Beteiligten am 22.12.2015 einen Termin zur Erörterung des Sach- und Streitstandes durchgeführt. Hierbei hat der Kläger bei seiner informatorischen Anhörung angegeben, der Arbeitsunfall vom 08.11.2011 sei während der Frühschicht gegen 10:00 Uhr an einer neuen Maschine passiert. Diese Maschine sei erst seit ca. 3 Wochen in der Firma aufgestellt gewesen und habe sich noch in der Erprobungsphase befunden. An der Maschine habe es keine technische Absaugeinrichtung für Dämpfe und Gerüche gegeben. Er habe vor bzw. bei dem Unfall auch keinen Atemschutz getragen, das sei in der Firma unüblich gewesen. Das Reinigungsbecken habe einen Inhalt von 800 Litern gehabt, davon habe er, da die Reinigungswirkung der neuen Maschine bei der Konzentration von 2% Hakupur 445-1 in der Wasserlösung zu gering gewesen sei, ca. 400 Liter abgelassen gehabt und das Reinigungskonzentrat aus Kanistern nachgefüllt. Er habe ca. 2 bis 3 Kanister Hakupur 445-1 in das Becken nachgefüllt, um die Konzentration auf 3 % zu erhöhen; ein Kanister habe ein Fassungsvermögen von ca. 25 bis 30 Litern gehabt. Es habe sich um das Reinigungsmittel Hakupur 445-1 - und kein anderes Reinigungsmittel - gehandelt, das sei auf den Kanistern gestanden. Nach Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit habe er vier Mal eine Wiedereingliederung an seinem Arbeitsplatz versucht. Die Wiedereingliederungsversuche seien aber gescheitert, da er immer wieder auf Dämpfe und Gerüche in der Halle mit Atemwegsschwierigkeiten reagiert habe. Er habe mit seinem Arbeitgeber eine Auflösungsvereinbarung zum 31.12.2015 geschlossen und sei derzeit schon freigestellt.

Nach telefonischer Mitteilung der Fa. K. (Herstellerfirma) gegenüber dem Gericht vom 04.01.2016 wird das Reinigungskonzentrat Hakupur 445-1 in verschiedenen Gebindegrößen vertrieben. Das kleinste Gebinde hat ein Fassungsvermögen von 25 Liter.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene und auch sonst zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das SG hat die Beklagte zu Recht verpflichtet, als Folge des Arbeitsunfalls vom 08.11.2011 eine hochgradige bronchiale Hyperreagibilität mit grenzwertiger manifester Obstruktion anzuerkennen, sowie verurteilt, hierfür Heilbehandlung zu gewähren.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 10.02.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.01.2013, durch den die Beklagte - unter konkludenter Anerkennung eines Unfallereignisses - die weitere Übernahme der Kosten der medizinischen Behandlung des Klägers über den 16.11.2011 hinaus mit der Begründung abgelehnt hat, es bestehe kein Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der chronischen Sinusitis maxillaris, der tiefen Beinvenenthrombose links und der Atemwegsobstruktion bei symptomatischer bronchialer Überempfindlichkeit.

Gegen die Ablehnung der Atemwegsobstruktion als Unfallfolge richtet sich die gemäß § 54 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage. Der Verletzte kann seinen Anspruch auf Feststellung, dass eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalls ist, nicht nur mit einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage i. S. des § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG geltend machen. Er kann wählen, ob er stattdessen sein Begehren mit einer Kombination aus einer Anfechtungsklage gegen den das Nichtbestehen des von ihm erhobenen Anspruchs feststellenden Verwaltungsakt und einer Verpflichtungsklage verfolgen will (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 05.07.2011 - B 2 U 17/10 R - SozR 4-2700 § 11 Nr. 1 m.w.N.). Zulässig ist auch der mit der Leistungsklage verfolgte Antrag, "die sich hieraus ergebenden Leistungen, insbesondere Heilbehandlung zu gewähren", soweit darin eine konkrete Leistung, nämlich die im angefochtenen Bescheid abgelehnte Heilbehandlung, begehrt wird (BSG, Urteil 07.09.2004 - B 2 U 46/03 R - SozR 4-2700 § 2 Nr. 3).

Die Klage ist auch im vom SG tenorierten Umfang begründet. Der Kläger hat Anspruch auf die Feststellung, dass die Gesundheitsstörung der hochgradigen bronchialen Hyperreagibilität mit grenzwertiger manifester Obstruktion anzuerkennen ist als Folge des Arbeitsunfalls vom 08.11.2011, dessen Vorliegen von der Beklagten im angefochtenen Bescheid vom 10.02.2012 ohne Weiteres zugrunde gelegt wurde. Voraussetzung für die Berücksichtigung einer Gesundheitsstörung bzw. Funktionseinschränkung als Unfallfolge ist grundsätzlich u. a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis bzw. dem dadurch eingetretenen Gesundheitserstschaden und der fortdauernden Gesundheitsstörung (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen - neben der versicherten Tätigkeit - der Gesundheitserstschaden und die eingetretenen fortdauernden Gesundheitsstörungen gehören, mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein. Für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen dem Gesundheitserstschaden und den fortdauernden Gesundheitsstörungen gilt in der gesetzlichen Unfallversicherung die Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung". Diese hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob das Ereignis nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Auf Grund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden (vgl. die zusammenfassende Darstellung der Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung im Urteil des BSG vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 = BSGE 96, 196-209 und juris).

Bei mehreren konkurrierenden Ursachen muss die rechtlich wesentliche Bedingung nach dem Urteil des BSG vom 09.05.2006 (a.a.O.) nicht "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig" sein. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Kommt einer der Ursachen gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist sie allein wesentliche Ursache und damit allein Ursache im Rechtssinn.

Unter Berücksichtigung dessen stellt der Senat fest, dass der Kläger im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit als Beschäftigter (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII) am 08.11.2011 im Rahmen von insgesamt 2 bis 2 ½ Stunden dauernden Arbeiten an einem Reinigungsbecken Dämpfen der mit dem Reinigungskonzentrat Hakupur 445-1 versetzten Reinigungslösung ausgesetzt war und dabei einen Arbeitsunfall erlitten hat, der einen Gesundheitserstschaden in Form eines Inhalationstraumas zur Folge hatte, welcher unmittelbar zu einer pulmonalen Symptomatik mit starker Atemnot (Orthopnoe), Husten und Übelkeit, führte. Dies folgt aus dem Durchgangsarztbericht von Dr. B. (Krankenhaus S.) vom Unfalltag, dessen Abschlussbericht vom 21.11.2011 sowie dem Bericht des am Unfalltag erstbehandelnden Hausarztes Dr. B. vom 04.04.2003.

Der Senat stellt weiter fest, dass beim Kläger im Rahmen der Erstvorstellung in der pneumologischen Ambulanz der Fachkliniken W. am 28.11.2011 eine symptomatische bronchiale Überempfindlichkeit bei Zustand nach Inhalationstrauma diagnostiziert wurde, die sich bei erneuter Vorstellung in der pneumologischen Ambulanz am 24.01.2012 als (mittlerweile) manifeste Atemwegsobstruktion bei symptomatischer bronchialer Überempfindlichkeit und Zustand nach Inhalationstrauma darstellte und die nach den Diagnosestellungen von Prof. Dr. D. im Rahmen der ambulanten Untersuchungen vom 16.07. und 14.08.2013 nunmehr dauerhaft als Zustand einer bronchialen Hyperreagibilität wechselnder Intensität mit phasenhaft manifester bronchialer Obstruktion fortbesteht.

Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass das Unfallereignis vom 08.11.2011 mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zumindest wesentlich (mit-)ursächlich war für die festgestellte Gesundheitsstörung der bronchialen Hyperreagibilität mit manifester bronchialer Obstruktion. Dies ergibt sich nach Auffassung des Senats aus dem überzeugenden, auf mehrfachen persönlichen Untersuchungen des Klägers beruhenden Gutachten von Prof. Dr. D. und des Internisten und Pneumologen N. in Verbindung mit dessen ergänzenden Aussagen im Rahmen mehrerer Befragungen. Die Feststellungen und Schlussfolgerungen sind nachvollziehbar und schlüssig, weswegen der Senat diesen trotz der von der Beklagten bzw. deren beratungsärztlichem Dienst dagegen erhobenen Einwendungen folgt.

Zur Überzeugung des Senats ist eine geeignete Exposition als nachgewiesen anzusehen. Der Kläger verrichtete nach eigenem Vorbringen und den Feststellungen der Frau S. vom P. der Beklagten Arbeiten, bei denen er in unmittelbaren Kontakt zum Reinigungskonzentrat Hakupur 445-1 kam. Dass tatsächlich dieses und kein anderes Konzentrat zum Einsatz kam, wie dies in der Klagebegründung gemutmaßt worden war, hat der Kläger im Rahmen des vorliegenden Berufungsverfahrens im Rahmen seiner informatorischen Anhörung ausdrücklich bestätigt. Nach dem Sicherheitsdatenblatt und den technischen Informationen zum Reinigungspräparat Hakupur 445-1 bzw. dem darin mit einem Anteil von 5 bis 10 % enthaltenen Triethanolamin kann hierdurch eine Reizung der Atemwege eintreten, wobei sensibilisierte Personen schon auf sehr geringe Konzentrationen reagieren können und deshalb keinen weiteren Kontakt mit diesen Stoffen haben sollten. Es sollten daher das Einatmen von Dämpfen vermieden und Atemschutzmaßnahmen getroffen werden. Im Sicherheitsdatenblatt von Hakupur 445-1 wird außerdem verlangt, dass für eine gute Belüftung zu sorgen ist durch eine lokale Absaugung oder allgemeine Abluft. Falls dies nicht ausreicht, um die Lösemitteldampfkonzentration unter den Arbeitsplatzgrenzwerten zu halten, muss ein geeignetes Atemschutzgerät getragen werden. Von einer potentiellen Gefährlichkeit einer - auch einmaligen Exposition - mit diesem Stoff ist, worauf bereits das SG hingewiesen hat, auch Frau S. vom P. ausgegangen. Frau S. hat auch in ihrem Untersuchungsbericht des Unfalles ausgeführt, dass die nach dem Sicherheitsdatenblatt vorgeschriebenen Sicherheitsvorkehrungen bei dem Vorfall nicht eingehalten wurden. Danach waren (noch) im Zeitpunkt der Unfalluntersuchungen die Absaugungen am Reinigungsbecken teilweise unwirksam, nachdem dort Abdeckbleche entfernt worden waren. Dass entsprechende Absaugungen am Unfalltag in Betrieb waren, vermochte Frau S. nicht mehr zu ermitteln. Hiervon ist allerdings nach den Angaben des Klägers gegenüber dem Senat nicht auszugehen, wonach an der Maschine, die sich im Unfallzeitpunkt erst seit drei Wochen im Betrieb befand und noch in der Erprobung war, überhaupt keine technische Absaugeinrichtung für Dämpfe und Gerüche vorhanden war. Da der Kläger auch kein individuelle Atemschutzmaske beim Umgang mit dem Reinigungskonzentrat bzw. bei den Verrichtungen im Zusammenhang mit dem Unfallereignis trug, ist eine geeignete Exposition nachgewiesen.

Die Exposition mit dem Reinigungskonzentrat Hakupur 445-1 ist zur Überzeugung des Senats auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentliche Ursache für die eingetretenen Gesundheitsstörungen des Klägers. Der Senat teilt die Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. D., der unter Hinweis auf die genannten technischen Hinweise zu diesem Stoff bzw. dessen Inhaltsstoff Triethanolamin und die Umstände der Exposition (mehrfaches Beugen über den Rand des Reinigungsbeckens ohne Atemschutzgerät bei fehlender technischer Absaugung der Anlage) und in Ermangelung konkurrierender Ursachen die Gesundheitsstörungen des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das unfallbedingt erlittene Inhalationstrauma zurückgeführt hat.

Dass eine einmalige höhergradige Exposition ausreichen kann, um eine bronchiale Symptomatik bzw. entsprechende Krankheitsfolgen herbeizuführen und von einem solchen Kausalverlauf beim Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auszugehen ist, haben die Sachverständigen Prof. Dr. D. und N., letzterer unter Hinweis auf die aktuelle medizinische Fachliteratur, schlüssig dargelegt. Soweit Dr. S. vom P. der Beklagten (unter Berufung auf die Diplom-Chemikerin R.) sowie die Beratungsärzte Dr. G. und Dr. L. dem entgegen getreten sind mit dem Einwand, die vorliegende einmalige Exposition mit dem mild alkalischen Reinigungskonzentrat Hakupur sei nicht geeignet, ein dauerhaftes bronchiales Krankheitsbild in Form einer bronchialen Hyperreagibilität zu induzieren, vermag dies mit Blick auf die schlüssigen Ausführungen der Pneumologen Prof. Dr. D. und N. nicht zu überzeugen. Dies umso mehr, als den beratungsärztlichen Stellungnahmen der Beklagten jeweils die - nach den Feststellungen des Senats nicht zutreffende - Annahme zugrunde liegt, dass vorliegend tatsächlich eine Konzentrationsanhebung der Lösung von 2 % auf 3 % erfolgte. So führt der Beratungsarzt Dr. L. aus, diese Konzentrationserhöhung bewege sich immer noch in dem vom Hersteller vorgegebenen Korridor von 0,5 % bis zu 5 % (je nach Verschmutzungsgrad und erforderlichem Korrosionsschutz). Es sei also keine hochtoxische Konzentration hergestellt worden, sondern ein industriell gebräuchliche.

Auf der Grundlage der widerspruchsfreien Angaben des Klägers, wie sie schon im Untersuchungsbericht der Frau S. vom P. dokumentiert sind und wie er sie im Erörterungstermin und in der mündlichen Verhandlung wiederholt hat, stellt der Senat jedoch fest, dass sich die Stoffkonzentration im Reinigungsbecken im Unfallzeitpunkt gerade nicht innerhalb des vom Hersteller vorgegebenen zulässigen Rahmens hielt. Vielmehr ist von einer deutlich höhergradigen Exposition auszugehen. Der Kläger hatte im Rahmen der Unfalluntersuchung gegenüber Frau S. am 06.07.2012 angegeben, "aus 2 oder 3 Kanistern", genau wisse er das nicht mehr, Hakupur 445-1 nachgeschüttet zu haben, nachdem er zuvor Flüssigkeit aus dem gefüllten Becken - das bis dahin eine Konzentration von 2 % enthielt - entnommen hatte. Im Erörterungstermin vom 22.12.2015 hat der Kläger diese Angaben dahingehend präzisiert, er habe ca. 400 Liter aus dem 800 Liter fassenden Reinigungsbecken abgelassen und 2 bis 3 Kanister mit Hakapur in das Becken nachgefüllt, um die Stoffkonzentration auf 3 % zu erhöhen; ein Kanister habe ein Fassungsvermögen von ca. 25 bis 30 Litern gehabt. Diese Angaben des Klägers konnten insoweit objektiviert werden, als nach Mitteilung der Herstellerfirma K. Hakupur in Verkaufsgebinden (Kanistern) von 25 Litern (außerdem in 200- und 1000-Literfässern) vertrieben wird. Legt man also zugrunde, dass ausgehend von einer Stoffkonzentration von 2 % im 800 Literbecken (= 16 Liter Hakupur) zunächst ungefähr 400 Liter abgelassen wurden, so hätte es zur Konzentrationsanhebung des Hakupur-Wassergemisches von 2 % auf 3 % genügt, weitere 8 Liter des Reinigungskonzentrats hinzuzugeben, um nach Wiederauffüllen des Beckens mit Wasser eine entsprechende Lösung zu erhalten. Wurden stattdessen, wie vom Kläger angegeben, "2 oder 3 Kanister", also mindestens 2 Kanister, d. h. 50 Liter Konzentrat, in das halbvolle Reinigungsbecken nachgefüllt, so enthielt dieses bei einem Füllstand von (zunächst) 450 Liter und einem Anteil von 58 Liter Hakupur im Gemisch (2 % aus 400 Liter = 8 Liter + 50 Liter Nachfüllmenge) eine Konzentration von 12,88 %, was weit oberhalb der nach dem Sicherheitsdatenblatt zulässigen Konzentration liegt. Eine Lösung oberhalb der zulässigen Konzentration würde sich rechnerisch selbst dann noch ergeben, wenn - was sich nicht mehr genau feststellen lässt - tatsächlich (deutlich) weniger Lösung abgelassen und dann Hakupur nachgefüllt wurde. Selbst wenn - fiktiv - nur 50 Liter Hakupur-Wassergemisch aus der ursprünglichen Lösung von 2 % abgelassen und durch die gleiche Menge Hakupur ersetzt wurden, würde sich bei einem Füllstand von wieder 800 Liter und einem Anteil von 65 Litern Hakupur im Gemisch (2 % aus 750 Liter = 15 Liter + 50 Liter Nachfüllmenge) eine Konzentration von 8,12 % ergeben, was ebenfalls noch als höhergradige Exposition anzusehen ist. Hinzu kommt - und dies berücksichtigen die Beklagte bzw. deren beratungsärztliche Stellungnahmen nicht -, dass der Kläger während seiner Arbeiten nicht nur den Emissionen einer "fertigen", möglicherweise gesundheitlich unbedenklichen Lösung mit 2 oder 3 % Hakupur-Anteil ausgesetzt war, sondern mit Kanistern, die dieses Konzentrat in unverdünnter Form enthielten, hantierte und dieses - ohne Atemschutz - an bestimmter Stelle in das auf 70 bis 80 Grad erhitzte Reinigungsbad eingoss und entsprechenden Dämpfen ausgesetzt war. Mit diesem aktenkundigen Ablauf der Arbeiten des Klägers am Reinigungsbecken und der dadurch eingetretenen, oberhalb des nach dem Sicherheitsdatenblatt Zulässigen liegenden schädigenden Exposition haben sich weder die Beklagte noch deren Beratungsärzte Dr. G. und Dr. L. näher auseinandergesetzt, obwohl der Ablauf der Arbeiten und die Örtlichkeiten bereits im Kern im Bericht des P.vom 20.07.2012 beschrieben sind.

Der Sachverständige Prof. Dr. D. hat auch nachvollziehbar dargelegt, dass sich die unmittelbar nach dem Inhalationstrauma vom Kläger vorgebrachten, noch am Unfalltag hausärztlich sowie im Krankenhaus S. dokumentierten Beschwerden und Gesundheitsstörungen gut mit dem Befund einer hochgradigen bronchialen Hyperreagibilität mit grenzwertiger manifester Obstruktion decken. Soweit der Beratungsarzt Dr. L. unmittelbar nach dem Vorfall auftretende Brückensymptome einer starken Schleimhautreizung vermisst, ist mit dem Internisten N. darauf hinzuweisen, dass nachweislich Brückensymptome in Form von Husten und Atemnot vorlagen. Eine zusätzliche Reizung der oberen Atemwege mit Rhinitis oder Augentränen muss nicht zwingend vorliegen.

Für diese Gesundheitsstörungen ist zur Überzeugung des Senats das Unfallereignis vom 08.11.2011 mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zumindest (mit-)ursächlich. Zwar kann nicht automatisch im Sinne z. B. eines Anscheinsbeweises aus dem Vorliegen einer bestimmten Einwirkung auf die berufliche Verursachung einer Erkrankung geschlossen werden. Vielmehr muss über den bloßen zeitlichen Zusammenhang zwischen schädigendem Ereignis und erstmaligem Auftreten der Krankheitssymptome hinaus eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine (wesentliche) berufliche Verursachung festgestellt werden, wobei es keine automatische Bejahung des Ursachenzusammenhangs nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zwischen Einwirkung und Erkrankung beim Fehlen konkurrierender Ursachen gibt (BSG, Urteil vom 07.09.2004 - B 2 U 34/03 R - (juris)). Allerdings fehlen vorliegend hinreichende Anhaltspunkte für eine außerberufliche (Mit-)Verursachung der bronchialen Hyperreagibilität bzw. Obstruktion durch konkurrierende Risikofaktoren (kein Nikotinabusus, keine Sensibilisierungen gegen bestimmte Inhalationsallergene, Fehlen einschlägiger Vorerkrankungen), worauf Prof. Dr. D. und der Internist N. zutreffend hingewiesen haben. Insbesondere ergeben sich keine greifbaren Anhaltspunkte für eine diesbezügliche Vorerkrankung bzw. gesundheitliche Disposition. Der befragte Hausarzt Dr. B. hat bestätigt, dass die Krankschreibungen im Oktober 2007, März 2008 und Oktober 2010 wegen banaler Infekte (Bronchitis, Larynbronchitis) erfolgten; sonstige vorbestehende Atemwegserkrankungen sind nicht dokumentiert. Vor dem Hintergrund dieser blanden Krankheitsanamnese führt zur Überzeugung des Senats auch die bei der Erstuntersuchung des Klägers in den Fachkliniken Wangen am 28.11.2011 aufgrund einer Röntgenaufnahme der Nasennebenhöhlen gestellte Verdachtsdiagnose einer chronischen Sinusitis maxillaris (Befundbericht vom 06.12.2011) zu keiner abweichenden Beurteilung, zumal diese im Weiteren nicht bestätigt wurde. Eine Nachbefundung der genannten Röntgenaufnahme der Nasennebenhöhlen durch den Radiologen Dr. E. am 06.05.2014 ergab keinen Anhalt für eine tatsächliche Sinusitis. Zudem findet sich bereits im Befundbericht vom 06.12.2011 die Aussage, dass auch die - verdachtsweise angenommene - Sinusitis im Zusammenhang mit dem Inhalationstrauma vom 08.11.2011 stehen könnte, so dass auch insoweit nichts Greifbares für ein Vorbestehen der Sinusitis schon vor dem Unfallereignis spricht. Es ist somit davon auszugehen, dass der Kläger vor dem Unfall lungengesund war und auch eine vorbestehende chronische Sinusitis als konkurrierende Krankheitsursache ausscheidet.

Dass die bronchiale Hyperreagibilität nicht bereits direkt nach dem Unfallereignis im Krankenhaus S., sondern erst am 28.11.2011 in den Fachkliniken W. diagnostiziert wurde, lässt sich damit erklären, dass im Krankenhaus S. lediglich eine symptomatische Therapie und keine lungenfunktionelle Untersuchung erfolgte, zumal - wie der Sachverständige Prof. Dr. D. nachvollziehbar dargelegt hat - unmittelbar nach erfolgtem Inhalationstrauma bei schwergradigem Hustenreiz und Atemnot eine solche Untersuchung auch nur eingeschränkt durchführbar wäre, und das Krankenhaus S. wahrscheinlich auch nicht über die notwendige Logistik verfügt. Zudem liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass zeitlich nach dem Unfallereignis liegende Umstände (mit-)ursächlich geworden sein könnten für die am 28.11.2011 festgestellten Gesundheitsstörungen.

In Ermangelung greifbarer Anhaltspunkte für konkurrierende Ursachen ist zur Überzeugung des Senats somit davon auszugehen, dass das Unfallereignis mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zumindest wesentlich (mit-)ursächlich war für die Krankheitsfolgen, und sich insoweit mit den festgestellten Beschwerden und Befunden die Risiken manifestiert haben, die im Sicherheitsdatenblatt und den technischen Informationen beschrieben und damit typischerweise mit dem verwendeten Reinigungskonzentrat verbunden sind, zumal dann, wenn - wie ausgeführt - die Stoffkonzentration im Reinigungsbecken nach den Feststellungen des Senats (weit) oberhalb des nach dem Sicherheitsdatenblatt zulässigen Rahmens lag und daher umso wahrscheinlicher ist, dass sich die dort beschriebenen, von den Dämpfen der Lösung ausgehenden Gesundheitsgefährdungen realisiert haben.

Für weitere Ermittlungen bzw. Beweiserhebungen sah der Senat keine Veranlassung, weder von Amts wegen noch mit Blick auf die Hilfsbeweisanträge der Beklagten. Soweit im schriftlichen Beweisantrag vom 22.12.2015 unter Ziff. 1 Ermittlungen zur Frage beantragt werden, "ob Fälle mit chronischen Atemwegserkrankungen verursacht durch Hakapur bekannt sind ", handelt es sich - mangels Benennung einer bestimmten Beweistatsache - um keinen Beweisantrag, sondern um einen Beweisermittlungsantrag, dem nachzugehen der Senat keine Veranlassung sah, zumal es vorliegend nicht um die empirische Erhebung von Krankheitsfällen aufgrund von Einwirkungen eines bestimmten Reinigungskonzentrats geht, sondern um die Feststellung von Unfallfolgen im konkreten Einzelfall. Der Senat sah sich auch nicht mit Blick auf Ziffer 2 dieses Antrages bzw. des Schriftsatzes vom 09.03.2016 zur Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens veranlasst. Auch insoweit handelt es sich um keinen zulässigen Beweisantrag. Ein solcher muss das Beweisthema möglichst konkret angeben, er muss im Sinne einer konkreten Beweisbehauptung demnach angeben, welche Beweistatsache durch das benannte Beweismittel belegt werden soll (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 11. Aufl., § 160 Rn. 18a m.w.N.; vgl. auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27.03.2013 - L 7 KA 45/10 KL - (juris)). Hierfür genügt es nicht, wenn wie hier nur Fragen aufgelistet werden, die einem (weiteren) Sachverständigen zur Beantwortung vorgelegt werden sollen. Unabhängig davon sah der Senat mit Blick auf das umfassende internistische Gutachten von Prof. Dr. D. in Verbindung mit den ergänzenden Angaben des Facharztes für Inneres, Pneumologie, Allergologie und Schlafmedizin N., der auf sämtliche unter Ziff. 2 des Antrages aufgeworfenen Fragen eingeht und unter Benennung aktueller medizinischer Fachliteratur nachvollziehbar darlegt, dass (auch) eine einmalige höhergradige Exposition ausreichen kann, um eine bronchiale Symptomatik bzw. entsprechende Krankheitsfolgen hervorzurufen, im Rahmen des ihm insoweit eingeräumten Ermessens keine Veranlassung zur Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens. Dies umso mehr, als nach den Feststellungen des Senats von einer nach dem Sicherheitsdatenblatt unzulässig hohen Konzentration von Hakupur 445-1 und des darin enthaltenen gefährlichen Inhaltsstoffes Triethanolamin und damit von einer erhöhten toxischen Belastung bei fehlendem Atemschutz auszugehen ist, weshalb die nachvollziehbaren fachärztlichen Ausführungen der Internisten/Pneumologen Prof. Dr. D. und N. unter diesen Umständen auch und erst Recht überzeugen, ohne dass Veranlassung für eine nochmalige Begutachtung, etwa durch einen Arbeitsmediziner bzw. Toxikologen, bestünde. Zudem ist weder von der Beklagten vorgetragen noch sonst erkennbar, dass die von den Sachverständigen vertretene, mit Literaturnachweisen untermauerte Auffassung, dass auch die einmalige höhergradige Exposition mit diesem Inhaltsstoff zur Hervorrufung der beschriebenen Atemwegsschädigungen geeignet ist, der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung widerspricht.

Zu Recht hat das SG die Beklagte auch dazu verurteilt, wegen der festgestellten Unfallfolgen Heilbehandlung (dem Grunde nach) zu gewähren. Eine solche war, wie Prof. Dr. D. im Gutachten ausgeführt hat, auch über den 16.11.2011 hinaus erforderlich. Nach § 26 SGB VII haben Versicherte nach Maßgabe der folgenden Vorschriften und unter Beachtung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) Anspruch auf u.a. Heilbehandlung einschließlich Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Diese Leistungen sind nach Abs. 4 Satz 2 als Sach- und Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen und daher als "Naturalleistung" zu gewähren (vgl. BSGE 73, 271, 274 = SozR 3-2500 § 13 Nr. 4 m.w.N.); Ausnahmen sollen nur dann gelten, wenn dies im SGB VII oder SGB IX ausdrücklich vorgesehen ist. Eine Kostenerstattung für selbst beschaffte Leistungen zur Heilbehandlung und Rehabilitation findet allein unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) statt; diese Vorschrift ist in der gesetzlichen Unfallversicherung entsprechend anwendbar, da hier eine Regelungslücke hinsichtlich der Kostenerstattung besteht, die diese Vorschrift sachgerecht ausfüllt (vgl. BSG SozR 3-2200 § 557 Nr. 1 m.w.N. und Urteil vom 20.03.2007 - B 2 U 38/05 R - SozR 4-1300 § 48 Nr. 10).

Die Berufung der Beklagten war daher zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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