L 4 R 3006/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 3350/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 3006/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 2. Juli 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Rechtsstreit betrifft die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung ab dem 1. Februar 2014.

Der Kläger ist am 1966 geboren und bei der Beklagten rentenversichert.

Ärztin B. vom Medizinischen Dienst der Agentur für Arbeit H. erstellte aufgrund einer Untersuchung des Klägers vom 25. Juni 2012 unter dem 4. Juli 2012 ein ärztliches Gutachten und diagnostizierte eine Angststörung (ICD-10: F 41.9), eine soziale Phobie (ICD-10: F40.1) sowie eine vermeidende Persönlichkeitsstörung. Der Kläger sei derzeit nicht leistungsfähig. Er gebe an, sportliche Betätigungen, z.B. Fahrradfahren und Wandern, nur allein durchzuführen.

Der Kläger beantragte am 11. Februar 2014 Rente wegen Erwerbsminderung. Es begründete dies mit einer schweren Psychose seit 1995, Angstzuständen, Panikattacken in geschlossenen Räumen, Herzrasen, flacher Atmung, Schwindelgefühlen sowie Schwächeanfällen.

Im Auftrag der Beklagten erstellte Facharzt für Neurologie und Psychiatrie M. auf Grund einer Untersuchung des Klägers vom 7. April 2014 unter dem 10. April 2014 ein nervenärztliches Gutachten. Er diagnostizierte eine Agoraphobie (ICD-10: F40.00G) sowie eine Angabe belastungsabhängiger Rückenschmerzen (ICD-10: M54.9V). Bei der körperlichen Untersuchung habe sich ein unauffälliger Befund ergeben. Hinweise auf eine Nervenwurzelirritation im Zusammenhang mit angegebenen belastungsabhängigen Rückenschmerzen, die wohl eher selten aufträten, bestünden nicht, ebenso keine Hinweise auf eine Nervenwurzelkompression oder Nervenwurzelirritation. Zum Untersuchungszeitpunkt selbst hätten auch diesbezüglich keine Beschwerden bestanden. Beim Kläger bestünden seinen Angaben zufolge seit Ende der 1980er Jahre eine Agoraphobie. Dabei würden in Menschenansammlungen, zum Beispiel wenn er im Supermarkt in der Schlange stehen müsse und er alleine im Supermarkt sei, Panikattacken auftreten. Spontane Panikattacken in der häuslichen Umgebung würden nicht auftreten. Ängste bezögen sich ausschließlich auf Menschenansammlungen. Es habe sich damit ausschließlich die Diagnose einer Agoraphobie stellen lassen. Eine wesentliche depressive Stimmungsauslenkung bestehe nicht. Der Kläger lebe mit seiner Mutter im Elternhaus eher zurückgezogen. Einen guten Bekannten habe er, den er einmal im Monat zu Hause besuche. Der Kläger beschäftige sich regelmäßig mit dem Komponieren und Aufnehmen elektronischer Musik und nach seinen Angaben mit dem Erstellen von Homepages, was er allerdings nur zu Übungszwecken mache. Ansonsten sehe er fern und surfe im Internet. Er begleite seine Mutter zu Einkäufen und bei Spaziergängen. Er gebe an, zeitweise fünf Milligramm Cipralex pro Tag einzunehmen. Diese Dosierung sei bei einer Behandlung einer Agoraphobie als unwirksam zu betrachten. Eine aussichtsreiche Verhaltenstherapie der Agoraphobie habe bisher im ambulanten Rahmen nicht stattgefunden. Zwei stationäre Behandlungen in den 1990er Jahren hätten mit teilweisem Erfolg stattgefunden. Die Behandlungsmöglichkeiten seien weder medikamentös noch psychotherapeutisch ausgeschöpft. Auch wenn die Agoraphobie schon Jahren bestehe, so bestehe dennoch bei motivierter Mitarbeit im Rahmen einer Verhaltenstherapie eine gute Behandlungsaussicht. Die Therapiemotivation halte sich wohl in Grenzen. Grundsätzlich sei der Kläger weiterhin in der Lage, eine mindestens sechsstündige körperlich leichte Tätigkeit ohne Zeitdruck und ohne emotionale Belastungen zu verrichten.

Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers daraufhin mit Bescheid vom 6. Mai 2014 ab. Dieser könne noch mindestens sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sei.

Hiergegen erhob der Kläger am 23. Mai 2014 Widerspruch. Die Schwere seiner psychischen Erkrankung sei nicht ausreichend berücksichtigt worden. Er legte ein fachärztliches Attest seines behandelndes Arztes für Neurologie und Psychiatrie S. vom 17. Juli 2014 vor. Darin führt dieser aus, dass ihm der Kläger durch wiederholte Untersuchungen und Behandlungen seit dem 21. Februar 2013 bekannt sei. Eine vorläufig letzte Untersuchung habe am 3. Juli 2014 stattgefunden. Weitere Behandlungstermine seien vereinbart. Diagnostisch handele es sich beim Kläger um eine generalisierte Angststörung, Panikattacken, eine soziale Phobie, eine Persönlichkeitsstörung, um Herzrasen und um eine Dysthymia. Der Kläger lebe bei seiner 72jährigen Mutter, die ihn quasi versorge. Der Kläger sei alleine nicht lebensfähig, er meide Gesellschaften und Menschenansammlungen und müsse als kauziger, introvertierter Sonderling eingestuft werden. Es erschließe sich ihm nicht, wie der Kläger unter den beschriebenen Umständen eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben können solle. Eine sechsstündige Belastbarkeit sei aus seiner Sicht ganz sicher nicht gegeben. Zu diesem Attest führte Arzt für Neurologie und Psychiatrie Schwalbach, ärztliche Untersuchungsstelle der Beklagten, in seiner Stellungnahme vom 25. August 2014 aus, es könne bei den schlüssigen Ausführungen im Gutachten des Arztes M. verbleiben.

Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 30. September 2014 zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 31. Oktober 2014 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG). Sein Leistungsvermögen für eine leichte Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes sei auf unter sechs Stunden herabgesunken. Er verwies auf das Gutachten der Ärztin B. vom 4. Juli 2012, wonach bei ihm ein unter dreistündiges Leistungsvermögen vorliege. Zudem legte er ein fachärztliches Attest des Arztes S. vom 15. Januar 2015 vor. Darin wiederholte dieser seine Angaben aus dem Attest vom 17. Juli 2014. Ergänzend führte er aus, dass der Kläger seit 1993 nicht mehr beruflich tätig gewesen sei, lediglich eine Umschulung zum Mediengestalter von 2000 bis 2003 habe er erfolgreich abgeschlossen. Gearbeitet habe er aber danach nicht mehr. Eine sechsstündige Belastbarkeit sei aus seiner Sicht aus den genannten Gründen ganz sicher nicht mehr gegeben.

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 2. Juli 2015 ab. Eine zeitliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit auf arbeitstäglich unter sechs oder gar drei Stunden lasse sich nicht feststellen. Es folge den Ausführungen des Arztes M ... Im Blick auf die vom Kläger angegebenen belastungsabhängigen Rückenschmerzen bestünden keine Einschränkungen der zeitlichen Leistungsfähigkeit. Aus psychischer Hinsicht bestünde beim Kläger lediglich eine Agoraphobie. Die hieraus resultierenden Panikattacken schlössen nur in qualitativer Hinsicht Tätigkeiten mit Kontakt zu mehreren Menschen gleichzeitig aus. Eine zeitlich limitierte oder gar aufgehobene Leistungsfähigkeit habe dies nicht zur Folge. Der Einschätzung der Ärztin B. im Gutachten vom 4. Juli 2012 stehe dem Ergebnis nicht entgegen. Denn sie berücksichtige den Umstand, dass sich die Einschränkung der Leistungsfähigkeit des Klägers nicht auf Tätigkeiten ohne Kontakt zu mehreren Menschen erstrecke, erkennbar nicht. Die Diagnose einer Dysthymie durch den Arzt S. sei nicht durch Befunde belegt. Im Übrigen ergäbe sich auch aus einer bloßen Dysthymie, also einer bloßen depressiven Verstimmung, keine zeitliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit.

Gegen den ihm am 7. Juli 2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 20. Juli 2015 Berufung eingelegt. Er hält unter Hinweis auf die Einschätzung seines behandelnden Arztes S. sowie der Gutachterin der Bundesagentur für Arbeit B. an seinem Begehren fest. Arzt S. hätte vom SG zu den von ihm erhobenen Befunden und den daraus resultierenden Leistungseinschränkungen befragt werden müssen. Er könne nicht einmal ein oder zwei Stunden von zu Hause weg sei. Er bekomme sonst Panikanfälle. Diesem Umstand sei im Gutachten von Arzt M. nicht ausreichend nachgegangen. Das Komponieren von Musik, das der Gutachter M. erwähne, könne er seit etwa fünf Jahren nicht mehr machen. Hierzu fehle ihm die Konzentration. Auch gehe er höchstens einmal im Monat in die Videothek. Auch zu McDonalds fahre er lediglich einmal im halben Jahr, da ihm das dortige Essen nicht schmecke. Er habe auf Grund der Panikanfälle auch seit etwa 2001 keine Reise mehr gemacht. Er könne nicht im Flugzeug oder im Zug sein.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 2. Juli 2015 sowie den Bescheid vom 6. Mai 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 1. Februar 2014 Rente wegen voller bzw. wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Zeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält an ihrer Entscheidung fest.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, die nicht der Zulassung bedarf, weil der Kläger Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG), ist auch im Übrigen zulässig. Der Senat konnte über die Berufung gemäß § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.

2. Die Berufung ist aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 6. Mai 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2014 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. Februar 2014 (vgl. § 99 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch [SGB VI]).

a) Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

b) Diese Voraussetzungen für die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung liegen beim Kläger nicht vor. Der Senat ist überzeugt, dass der Kläger zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden pro Tag verrichten kann.

(1) Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger auf nervenärztlichem Gebiet (nur) unter einer Agoraphobie leidet. Dies entnimmt der Senat dem im Verwaltungsverfahren erstellten Gutachten des Facharztes M. vom 12. März 2014, das das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerten konnte (vgl. etwa Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – juris, Rn. 51). Andere Erkrankungen auf nervenärztlichem Gebiet konnte der Gutachter nicht feststellen.

Der Senat geht zu Gunsten des Klägers aufgrund des vorgelegten Attestes seines behandelnden Facharztes S. vom 15. Januar 2015 weiter davon aus, dass der Kläger unter einer generalisierten Angststörung, unter Panikattacken, einer sozialen Phobie, einer Persönlichkeitsstörung, unter Herzrasen und einer Dysthymie leidet.

(2) Die festgestellten Gesundheitsstörungen schränken das berufliche Leistungsvermögen des Klägers nur in qualitativer, nicht aber in zeitlicher Hinsicht ein.

Ausgeschlossen sind Tätigkeiten mit Zeitdruck und mit hoher emotionaler Belastung sowie Tätigkeit in Menschenansammlungen. Dies ergibt sich ebenfalls aus dem Gutachten des Facharztes M. und der von ihm gestellten Diagnose. Mit diesen qualitativen Leistungseinschränkungen ist den Gesundheitsstörungen des Klägers auch dann hinreichend Rechnung getragen, wenn man zusätzlich noch zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass er – wie dies Facharzt S. wiederholt attestiert hat – unter einer generalisierten Angststörung, unter Panikattacken, einer sozialen Phobie, einer Persönlichkeitsstörung, unter Herzrasen und einer Dysthymie leidet. Dies gilt auch und insbesondere für die Dysthymie. Bei einer Dysthymie handelt es sich nach ihrer Definition nach dem ICD-10 (F34.1) (lediglich) um eine chronische, wenigstens mehrere Jahre andauernde depressive Verstimmung, die weder schwer noch hinsichtlich einzelner Episoden anhaltend genug ist, um die Kriterien einer schweren, mittelgradigen oder rezidivierenden depressiven Störung zu erfüllen. Eine Dysthymie ist in der Regel nicht geeignet, eine zeitliche Leistungseinschränkung herbeizuführen (Beschluss des Senats vom 7. April 2015 – L 4 R 5183/14 –, Urteil des Senats vom 19. Juni 2015 – L 4 R 4233/14 –, Urteil des Senats vom 18. September 2015 – L 4 R 864/15 – und Urteil des Senats vom 11. Dezember 2015 – L 4 R 4616/14 – alle nicht veröffentlicht).

Die gegenteilige Auffassung des Facharztes S. überzeugt nicht. Er stützt seine Einschätzung ersichtlich nicht zuletzt darauf, dass der Kläger bereits seit 1993 – abgesehen von einer erfolgreichen Umschulung – nicht mehr berufstätig gewesen sei. Eine bloße langjährige Entwöhnung von der aktiven Teilnahme am Arbeitsmarkt führt aber nicht zu einer medizinisch begründeten Erwerbsminderung.

Aus dem (kurzen) Gutachten der Ärztin B. vom 4. Juli 2012 folgt für das vorliegende Verfahren schon deswegen nichts, weil es 19 Monate vor Beginn des hier streitgegenständlichen Zeitraums erstellt wurde und damit für die hier erhebliche gesundheitliche Situation des Klägers keine Aussage enthalten kann. Im Übrigen wird auch in diesem Gutachten als eigene Angabe des Klägers vermerkt, dass er Fahrrad fahre und wandere. Die Annahme einer völlig aufgehobenen Leistungsfähigkeit ist schon deswegen nicht schlüssig.

(3) Ob dem Kläger ein Arbeitsplatz vermittelt werden kann oder nicht, ist für den geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht erheblich. Die jeweilige Arbeitsmarktlage ist nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Maßgebend ist, ob der Kläger mit dem ihm verbliebenen Restleistungsvermögen – wenn auch mit qualitativen Einschränkungen – in der Lage ist, zumindest körperlich leichte Tätigkeiten arbeitstäglich für mindestens sechs Stunden zu verrichten, er also in diesem zeitlichen Umfang unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein kann, wovon im Regelfall ausgegangen werden kann (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 13 R 78/09 R – juris, Rn. 31). Dies bejaht der Senat wie zuvor dargelegt.

(4) Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegen nicht vor. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten (siehe – auch zum Folgenden – etwa Urteil des Senats vom 21. November 2014 – L 4 R 4797/13 – nicht veröffentlicht). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten.

Dies ist hier nicht der Fall. Die qualitativen Leistungseinschränkungen des Klägers (siehe oben) sind nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin ist weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu sehen. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können – unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände – beispielsweise Einäugigkeit, Einarmigkeit und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 – B 5 R 68/11 R – juris, Rn. 28 m.w.N.). Keine dieser Fallkonstellationen ist bei dem Kläger vorhanden.

(5) Auch die Wegefähigkeit des Klägers war und ist gegeben. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit eines Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit aufsuchen zu können. Das BSG hat dieses Vermögen nur dann für gegeben erachtet, wenn es dem Versicherten möglich ist, Entfernungen von über 500 Metern zu Fuß zurückzulegen, weil davon auszugehen ist, dass derartige Wegstrecken üblicherweise erforderlich sind, um Arbeitsstellen oder Haltestellen eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen (zum Ganzen z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 73/90 – juris, Rn. 16 ff.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 21/10 R – juris, Rn. 21 f.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 79/11 R – juris, Rn. 19 f.). Der Kläger ist in der Lage, eine Gehstrecke von 500 Metern viermal in weniger als 20 Minuten täglich zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Aus den ärztlichen Äußerungen ergeben sich keine Befunde, die für eine unter den genannten Maßstäben eingeschränkte Gehfähigkeit des Klägers sprechen.

c) Weitere Ermittlungen von Amts wegen waren nicht erforderlich. Insbesondere musste der Senat nicht den Facharzt S. als sachverständigen Zeugen befragen. Über die in dessen Attesten vom 17. Juli 2014 und vom 15. Januar 2015 enthaltenen Angaben hinaus hätte auch eine Befragung seitens des Senats keine weiteren Erkenntnisse erbringen können.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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