L 10 U 2754/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 8 U 3625/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 2754/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 18.05.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung höherer Verletztenrente wegen einer wesentlichen Verschlechterung der Unfallfolgen.

Der am 1964 in der T. geborene Kläger war bei der Firma H. F. GmbH (im Folgenden: Fa. H. ) als Schmiedehelfer beschäftigt. Am 24.03.1998 verunglückte er als Beifahrer eines Pkws auf dem Weg zur Arbeit und zog sich eine Hüftluxation mit Acetabulumfraktur links und multiple Schnittwunden im Bereich der linken Stirn zu (vgl. Durchgangsarztbericht vom 24.03.1998, Bl. 83 Verwaltungsakte -VA-). Die Acetabulumfraktur wurde in der Unfallchirurgischen Klinik am Klinikum der Stadt V. mittels Plattenosteosynthese operativ versorgt. Der postoperative Verlauf verlief ohne Schwierigkeiten. Es schloss sich eine sechswöchige stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der Kurklinik L. an, aus der der Kläger mit noch leicht geminderter grober Kraft des linken Beines entlassen wurde (vgl. Bericht vom 06.05.1998, Bl. 9 VA).

Im September 1998 wurde eine Arbeitsplatzerprobung bei der Fa. H. durchgeführt, die der Kläger wegen Schmerzen nach zwei Tagen abbrach. Im Oktober 1998 wurde deshalb bei beschriebener beginnender posttraumatischer Coxarthrose links ein erneutes stationäres Heilverfahren in der BG-Unfallklinik T. durchgeführt (vgl. Bl. 122 f., 153 f. VA) und ein Berufshelfer eingeschaltet, der die vom Kläger gewünschte Teilqualifizierung zum Metallwerker oder im CNC-Bereich wegen der sehr eingeschränkten Deutschkenntnisse im schriftsprachlichen Bereich als problematisch beurteilte (vgl. Bl. 124 VA). Eine im November 1998 erneut begonnene Belastungserprobung bei der Fa. H. brach der Kläger wiederum wegen Schmerzen nach einer Woche ab. Im Dezember 1998 wurde eine Arbeitserprobung/Berufsfindung im Berufsförderungswerk S. durchgeführt, an dessen Ende die Tätigkeit als Schmied nicht mehr für zumutbar, die vom Kläger angestrebte Qualifizierungsmaßnahme in Richtung eines CNC-Arbeitsplatzes dann als möglich angesehen wurde, wenn sich hierbei durch besondere Ausstattung des Arbeitsplatzes ein normalerweise erforderliches ständiges Stehen vermeiden lasse, unproblematischer sei eine Qualifizierungsmaßnahme zum Fertigungsprüfer bzw. eine Tätigkeit in der Qualitätskontrolle der Fa. H. (vgl. Bericht zur Berufsfindung vom 25.01.1999 mit Arbeitsmedizinischer Stellungnahme vom 23.12.1998, Bl. 156 ff. VA). Im Februar 1999 begann eine Belastungserprobung im Bereich Qualitätswesen bei der Fa. H. , die der Kläger nach wenigen Tagen erneut wegen Schmerzen im Bereich des linken Hüftgelenkes abbrach (vgl. H-Arztbericht vom 09.02.1999, Bl. 185 VA). Eine Belastungserprobung an einem CNC-Arbeitsplatz wurde ebenfalls abgebrochen (Bl. 186, 188 VA). Eine Belastungserprobung im Bereich Qualitätswesen im März 1999 absolvierte der Kläger ohne Fehlzeiten. Eine dauerhafte Tätigkeit des Klägers in diesem Bereich bei der Fa. H. scheiterte jedoch an einem massiven Auftragseinbruch (vgl. Bl. 209 VA). Von April bis Juni 1999 erfolgte eine Belastungserprobung in der Endkontrolle, von Juni bis September 1999 fand im Berufsfindungswerk S. eine Vorförderung statt, an die sich eine Qualifizierung zur Industriefachkraft für Qualitätsmanagement und Längenprüftechnik anschließen sollte. Wegen der mangelhaften schulischen Leistungen des Klägers wurde die Vorförderungsmaßnahme jedoch bereits im September 1999 abgebrochen (vgl. Abschlussbericht vom 30.09.1999, Bl. 256 f. VA). Von November 1999 bis Mai 2000 nahm der Kläger an einem Integrationslehrgang für Schwerbehinderte bei der Arbeiterwohlfahrt T. mit Praktikum bei der Firma H. teil. Die ihm von der Firma H. nach Abschluss des Integrationslehrgangs nahtlos angebotene Stelle als Maschinenbediener nahm der Kläger trotz des aus seiner Sicht zu geringen Verdienstes und der für ihn uninteressanten Tätigkeit an (vgl. Aktenvermerk Bl. 295 f. VA), kündigte diese jedoch zum 30.04.2001 wegen Eintönigkeit der Arbeit, Normalschicht und hieraus resultierenden Depressionen sowie Differenzen mit dem Vorgesetzten (vgl. Bl. 379 VA). Seither ist der Kläger - unterbrochen durch eine dreimonatige Tätigkeit als Montagehelfer im Jahr 2003, die nach den Angaben des Klägers wegen Insolvenz des Arbeitgebers endete - arbeitslos. Ab dem 01.08.2010 erhielt er Rente wegen teilweiser, seit dem 01.02.2011 bezieht er Rente wegen voller Erwerbsminderung.

In psychiatrische Behandlung begab sich der Kläger erstmals im Februar 2001 zu dem Neurologen und Psychiater Dr. G. , der den Kläger als subdepressiv mit unterschwellig fordernder Stimmungslage beschrieb und einen Verdacht auf eine somatisierte Depression diagnostizierte (vgl. Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. F. vom Juli 2001 im Auftrag der privaten Versicherung des Klägers, unter Bezugnahme auf den Arztbrief des Dr. G. vom 01.03.2001, Bl. 388 VA). Dr. F. schilderte anlässlich der gutachterlichen Untersuchung des Klägers im Mai 2001 diesen als gedanklich fixiert auf den Untersuchungsbefund mit Verdeutlichungstendenzen, ohne hirnorganische Veränderungen, jedoch affektiv reduziert (vgl. Bl. 388 VA). In einem für das Arbeitsamt R. erstellten Gutachten wurde auf Grund Untersuchung im Mai 2001 eine depressive Erkrankung resultierend aus der fehlenden beruflichen Zukunftsperspektive diagnostiziert (vgl. Gutachten des Dr. R. vom 20.06.2001, Bl. 292 ff. - der elektronisch geführten Verwaltungsakte - eVA). Im Jahr 2002 wurde der Kläger erneut drei Mal bei Dr. G. bei im Wesentlichen unveränderten Beschwerdebild vorstellig (vgl. Auskünfte des Dr. G. vom April 2008 und April 2011, Bl. 310 ff. eVA). Im April 2004 wurde der Kläger durch den Psychiater Dr. B. untersucht, der eine psychosomatische Funktionsstörung vor dem Hintergrund von sozialen Problemen (lange Arbeitslosigkeit, Probleme mit der Ehefrau, hohe Kosten der Hochzeit der Tochter, erfolglose Bewerbungen) beschrieb (vgl. Arztbrief vom April 2004, Bl. 403 eVA). Ab November 2006 befand sich der Kläger erneut in sporadischer Behandlung bei Dr. G. (vgl. Bl. 314 ff. eVA). Im Januar und Februar 2009 wurde eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der S. Bad B. , Abteilung Psychosomatik/Psychotherapie, durchgeführt (Diagnosen auf psychiatrischem Fachgebiet: Angst und depressive Störung mit zeitweisen psychotischen Symptomen, Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung, vgl. Entlassungsbericht vom 23.02.2009, Bl. 413 ff. eVA).

Zur Prüfung eines Anspruchs auf Verletztenrente holte die Beklagte ein Gutachten bei dem Ärztlichen Direktor der BG-Unfallklinik T. , Prof. Dr. W. , ein (vgl. Bl. 246 ff. VA), der anlässlich einer Untersuchung des Klägers im September 1999 - bei Verdacht auf Aggravation - als wesentliche Unfallfolgen eine allenfalls endgradige Bewegungseinschränkung im Bereich des linken Hüftgelenks (Streckung/Beugung rechts: 0-5-100°, links: 0-10-90°; Abspreizen/Anführen rechts und links: 40-0-30°; Drehung auswärts/einwärts bei gestrecktem Hüftgelenk rechts: 40-0-15°, links: 30-0-10°), eine Muskelminderung bis zu 2 cm im Bereich der linken unteren Extremitäten, eine verbliebene Beinverkürzung von 1,5 cm, eine röntgenologisch in anatomischer Stellung rekonstruierte ehemalige Acetabulumfraktur des dorsalen Pfeilers links mit reizlos einliegendem Implantat sowie eine reizlose, 28 cm lange Narbe beschrieb und die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ab 14.06.1999 (Beginn der Umschulung im Berufsförderungswerk Schömberg) auf 20 v.H schätzte. Hierauf gestützt bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 14.06.1999 eine Verletztenrente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 20 v.H. Als Folgen des Arbeitsunfalles wurden anerkannt: Geringe Bewegungseinschränkung des Hüftgelenks, deutliche Muskelminderung im Bereich des Oberschenkels sowie Belastungsbeschwerden nach mit 1,5 cm Beinverkürzung mit einliegendem Fremdmaterial fest verheiltem Hüftpfannenbruch, jeweils links (Bescheid vom 09.11.1999, Bl. 264 ff. VA sowie Widerspruchsbescheid vom 03.05.2000, Bl. 289 ff. VA).

In dem sich anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Reutlingen (S 4 U 1369/00) und Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (L 10 U 4714/01) machte der Kläger - unter Verweis auf das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. F. vom Juli 2001 - erstmals chronische Kopfschmerzen und eine Gedächtnisschwäche als Folgen des Arbeitsunfalls geltend und legte ein von seiner privaten Versicherung eingeholtes Gutachten des Orthopäden Dr. B. vom März 2001 vor (vgl. Bl. 372 ff. VA).

Zur Prüfung der Rentengewährung auf Dauer holte die Beklagte im Verlauf des Klageverfahrens ein Gutachten bei Prof. Dr. K. , Ärztlicher Direktor der Unfallchirurgischen Universitätsklinik U. , ein, der anlässlich der Untersuchung des Klägers im November 2000 als wesentliche Unfallfolgen eine in anatomischer Stellung knöchern konsolidierte Acetabulumfraktur links, eine endgradige passive und aktive Bewegungseinschränkung im linken Hüftgelenk (Streckung/Beugung rechts: 10-0-125°, links: 0-0-100°; Abspreizen/Anführen rechts: 60-0-30°; links: 40-0-30°; Drehung auswärts/einwärts bei 90° gebeugtem Hüftgelenk rechts: 40-0-20°, links: 30-0-10°; Drehung auswärts/einwärts bei gestrecktem Hüftgelenk rechts: 80-0-40°, links: 60-0-20°), eine geringe Verschmächtigung der Oberschenkelmuskulatur links sowie glaubhafte belastungsabhängige Schmerzen im linken Hüftgelenk beschrieb und die MdE auf 20 v.H. einschätzte (vgl. Bl. 317 ff. sowie Bl. 326 ff. VA). Die Beklagte bewilligte dem Kläger daraufhin eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 20 v.H. und anerkannte als Unfallfolgen eine geringe Bewegungseinschränkung des Hüftgelenks, eine geringe Minderung der Oberschenkelmuskulatur sowie glaubhafte Belastungsbeschwerden und noch einliegendes Fremdmaterial, jeweils links (vgl. Bescheid vom 10.01.2001, Bl. 331 ff. VA).

Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 25.10.2001 ab, der Senat wies die Berufung mit Beschluss vom 19.07.2002 zurück. Zur Begründung führte der Senat aus, dass auch die von Dr. B. angegebenen Befunde und Funktionseinschränkungen eine MdE um mehr als 20 v.H. nicht begründen würden. Neurologische oder psychiatrische Störungen, die auf den Unfall zurückzuführen seien, lägen nicht vor. In den Berichten über die erfolgten Heilbehandlungsmaßnahmen, insbesondere zeitnah nach dem Unfall, lasse sich kein Anhalt dafür finden und auch Dr. F. habe insofern Unfallfolgen verneint.

In der Folgezeit war der Kläger etwa einmal jährlich wegen Schmerzen im Hüftbereich bei Dr. B. in Behandlung mit Verordnung von Analgetika und physikalischer Therapie (vgl. Arztberichte vom 24.07.2003, Bl. 461 VA, vom 24.03.2004, Bl. 474 VA, vom 12.04.2005, Bl. 479 VA, vom 18.04.2006, Bl. 482 VA, vom 09.10.2006, Bl. 486 VA, vom 25.06.2007, Bl. 2 eVA, vom 24.01.2008, Bl. 14 eVA, vom 22.10.2010, Bl. 61 eVA).

Im November 2010 machte der Kläger eine wesentliche Änderung der Unfallfolgen und hieraus resultierend eine höhere Verletztenrente geltend (vgl. Bl. 64 eVA). Die Beklagte zog medizinische Unterlagen bei und holte ein Gutachten bei dem Ärztlichen Direktor der BG-Unfallklinik T. , Prof. Dr. S. , ein (vgl. Bl. 475 ff. eVA). Anlässlich einer Untersuchung im November 2011 diagnostizierte Prof. Dr. S. bei dem Kläger als noch bestehende Unfallfolgen einen Gelenksverschleiß der Hüfte links mit leichter Bewegungseinschränkung des linken Hüftgelenkes (Streckung/Beugung rechts: 0-10-110°, links: 0-10-100°; Abspreizen/Anführen rechts und links: 40-0-30°; Drehung auswärts/einwärts bei 90° gebeugte Hüftgelenk rechts: 40-0-15°, links: 30-0-10°) bei knöchern durchbautem Acetabulum links sowie eine Beinlängendifferenz links kürzer rechts von 1,5 cm und schätzte die daraus resultierende MdE auf 20 v.H. Unfallunabhängig bestehe eine Depression.

Mit Bescheid vom 07.02.2012 lehnte die Beklagte die Erhöhung der Verletztenrente ab. Den Widerspruch des Klägers, den dieser unter Verweis auf ein Schreiben des Psychiaters Dr. G. vom April 2011 (vgl. Bl. 517 f. eVA ) mit zusätzlichen seelischen Störungen, Depressionen und psychovegetativen Störungen begründete, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.11.2012 zurück.

Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht erhoben und u.a. das Vorliegen psychischer Unfallfolgen geltend gemacht. Das Sozialgericht hat Auskünfte der den Kläger behandelnden Ärzte - von Dr. B. (vgl. Bl. 61 ff. SG-Akte), dem Psychiater Dr. G. (vgl. Bl. 42 ff. SG-Akte), dem Mitarbeiter in der Praxis Dr. K. , dem Arzt für Allgemeinmedizin Dr. H. (vgl. Bl. 96 ff. SG-Akte) sowie von Dr. T. , Oberarzt der Allgemeinpsychiatrischen Abteilung am V. Hospital R. , (vgl. Bl. 165 ff. SG-Akte) - eingeholt und ein Gutachten bei dem Chirurgen Dr. R. in Auftrag gegeben, der auf Grund Untersuchung des Klägers im Oktober 2013 als wesentliche Unfallfolgen einen Zustand nach Acetabulumfraktur links mit regelrechter, in anatomischer Stellung knöcherner Ausheilung mit endgradiger aktiver und passiver Bewegungseinschränkung im linken Hüftgelenk (Streckung/Beugung rechts: 0-0-100°, links: 0-10-95°, Abspreizen/Anführen rechts: 30-0-20°, links: 40-0-20° sowie für Drehung auswärts/einwärts bei 90° gebeugtem Hüftgelenk rechts: 30-0-20°, links: 30-0-15°), geringer Verschmächtigung der Oberschenkelmuskulatur links und chronischen Schmerzen im Hüftgelenk und Bein links mit Gehbehinderung beschrieben und keine wesentliche Verschlimmerung bestätigt hat. Die MdE betrage nach wie vor 20 v.H.

Auf Antrag und Kosten des Klägers hat das Sozialgericht sodann ein Gutachten bei dem Orthopäden Dr. B. nach § 109 des Sozialgerichtsgesetztes (SGG) vom Juli 2014 eingeholt. Dr. B. hat anlässlich der Untersuchung des Klägers im Mai 2014 auf orthopädischem Fachgebiet als wesentliche Unfallfolgen eine schmerzhafte Funktionsbehinderung des linken Hüftgelenkes, eine geringgradige posttraumatische Gangstörung, eine geringgradige posttraumatische Coxarthrose links und eine geringgradige posttraumatische Beinlängendifferenz bei Zustand nach osteosynthetisch versorgter dorsaler Acetabulumfraktur links und Zustand nach dorsaler Hüftgelenkluxation beschrieben. Die Bewegungsmaße der Hüftgelenke hat er für Streckung/Beugung rechts mit 0-0-100° und links mit 0-10-80°, für Abspreizen und Anführen beidseits mit 30-0-20°, für Drehung auswärts/einwärts bei 90° gebeugtem Hüftgelenk mit rechts 40-0-20° und links 20-0-10° sowie für die Drehung auswärts/einwärts bei gestrecktem Hüftgelenk mit rechts 40-0-30° und links mit 40-0-10° gemessen. Die MdE hat der Sachverständige eher mit 30 als mit 20 v.H. eingeschätzt, wenngleich nicht sämtliche Kriterien für die Zuerkennung einer MdE um 30 v.H. erfüllt seien.

Nach Vorlage einer beratungsärztlichen Stellungnahme der Ärztin für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. H. durch die Beklagte und Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des Dr. B. hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 18.05.2015 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass sich eine gravierende Verschlechterung der Hüftgelenksbeweglichkeit nicht ausreichend sichern lasse und kein Anhalt dafür vorliege, dass die beim Kläger bestehenden psychischen Beeinträchtigungen mit dem angeschuldigten Unfallereignis in Zusammenhang stünden.

Gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 01.06.2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 30.06.2015 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt und - unter Bezugnahme auf die Auskunft des Dr. G. und des Allgemeinmediziners H. - geltend gemacht, auch an anhaltenden Persönlichkeitsveränderungen nach posttraumatischer Belastungsstörung sowie Anpassungsstörungen zu leiden, die auf das Unfallereignis zurückzuführen seien. Dies sei auch von Dr. B. in seinem Gutachten bestätigt worden. Aus diesem Gutachten ergebe sich im Übrigen auch, dass bereits aus orthopädischer Sicht eine Verschlimmerung der Unfallfolgen gegeben sei.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 18.05.2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 07.02.2012 in der Gestalt des Widerspruchbescheides von 22.11.2012 zu verurteilen, ihm ab 01.11.2010 Verletztenrente nach einer MdE um mehr als 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Zur Sachaufklärung hat der Senat ein Gutachten bei dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. Dr. W. eingeholt. Anlässlich der Untersuchung des Klägers im November 2015 hat Prof. Dr. Dr. W. auf psychiatrischem Fachgebiet eine chronifizierte depressive Episode mit fraglichen psychotischen Symptomen und ausgeprägtem regressiven Verhalten auf dem Boden einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung sowie eine generalisierte Angststörung beschrieben, die jedoch nicht Unfallfolge seien. Vielmehr würden die konkurrierenden Faktoren bei weitem überwiegen. Anhaltspunkte für eine posttraumatische Belastungsstörung und/oder eine noch relevante Anpassungsstörung auf die körperlichen Unfallfolgen hat der Sachverständigen nicht erkennen können.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten und der Akten beider Rechtszüge verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig, sie ist jedoch nicht begründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 07.02.2012 in der Gestalt des Widerspruchbescheides von 22.11.2012, mit dem die Beklagte es ablehnte, wegen einer wesentlichen Verschlimmerung der Unfallfolgen seit dem Bescheid vom 10.01.2001 und dem ihm zu Grunde liegenden Gutachten des Prof. Dr. K. vom November 2000 höhere Verletztenrente zu gewähren.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 07.02.2012 in der Gestalt des Widerspruchbescheides von 22.11.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht für die streitige Zeit ab 01.11.2010 keine höhere Verletztenrente zu.

Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 48 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung ergänzt § 73 Abs. 3 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) diese Regelung dahingehend, dass bei der Feststellung der MdE eine Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X nur wesentlich ist, wenn sie mehr als 5 v.H. beträgt und - bei Renten auf unbestimmte Zeit - die Veränderung der MdE länger als drei Monate dauert.

Wie das Sozialgericht und die Beklagte verneint auch der Senat den Eintritt einer wesentlichen Verschlimmerung der Unfallfolgen in diesem Sinne und damit um mehr als 5 v.H. Denn in den maßgebenden Verhältnissen, nämlich in Bezug auf die durch die Unfallfolgen verursachten funktionellen Einschränkungen bei der Verrichtung von Tätigkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens, ist keine Änderung eingetreten. Der Kläger ist seit dem Gutachten von Prof. Dr. K. vom November 2000 in gleichbleibendem Umfang von Arbeitsmöglichkeiten ausgeschlossen.

Rechtsgrundlage des klägerischen Begehrens auf höhere Verletztenrente ist § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII. Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet, bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente in Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente geleistet, der dem Grad der MdE entspricht (§ 56 Abs. 3 SGB VII).

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Vergleichsgrundlage für die Prüfung einer wesentlichen Änderung ist der Zustand, auf dem die letzte verbindliche Leistungsfeststellung der Beklagten beruht, hier also das Gutachten von Prof. Dr. K. vom November 2000, auf dem die Bewilligung der Verletztenrente (auf Dauer) nach einer MdE um 20 v.H. beruht. Das Sozialgericht hat zutreffend dargelegt, dass zwar eine leichte Verschlechterung der einerseits von Prof. Dr. K. im November 2000 und andererseits von Dr. R. im Oktober 2013 und Dr. B. im Mai 2014 dokumentierten Hüftgelenksbeweglichkeit eingetreten ist, diese jedoch keine Änderung der MdE um mehr als 5 v.H. rechtfertigt.

Prof. Dr. K. schilderte anlässlich der Untersuchung des Klägers im November 2000 eine endgradige passive und aktive Bewegungseinschränkung im linken Hüftgelenk mit Streckung/Beugung rechts: 10-0-125°, links: 0-0-100°, Abspreizen/Anführen rechts: 60-0-30°; links: 40-0-30°, Drehung auswärts/einwärts bei 90° gebeugtem Hüftgelenk rechts: 40-0-20°, links: 30-0-10° und Drehung auswärts/einwärts bei gestrecktem Hüftgelenk rechts: 80-0-40°, links: 60-0-20°, eine geringe Verschmächtigung der Oberschenkelmuskulatur links sowie glaubhafte belastungsabhängige Schmerzen im linken Hüftgelenk (Schmerzen beim Gehen und Sitzen, schmerzbedingte Schlafstörungen, Wetterfühligkeit - so die Angaben des Klägers gegenüber Prof. Dr. K. , vgl. Bl. 317 f. eVA). Es bestand ein freier und sicherer Gang auf ebener Erde mit leichtem Verkürzungshinken rechts. Ausgehend von diesem Befund schätzte Prof. Dr. K. die MdE auf 20 v.H. ein.

Zur Überzeugung des Senats lässt sich eine wesentliche Verschlechterung der Unfallfolgen betreffend das linke Hüftgelenk nicht nachweisen. Hierbei stützt sich der Senat auf die von Prof. Dr. S. im Verwaltungsverfahren und dem Sachverständigen Dr. R. im sozialgerichtlichen Verfahren erhobenen Befunde. Auch Dr. B. hat insoweit keine wesentlich abweichenden Befunde beschrieben.

Anlässlich der Untersuchung im November 2011 beschrieb Prof. Dr. S. bei dem Kläger eine leichte Bewegungseinschränkung des linken Hüftgelenkes (Streckung/Beugung rechts: 0-10-110°, links: 0-10-100°; Abspreizen/Anführen rechts und links: 40-0-30°; Drehung auswärts/einwärts bei 90° gebeugtem Hüftgelenk rechts: 40-0-15°, links: 30-0-10°) sowie eine Beinlängendifferenz links kürzer rechts von 1,5 cm. Auch hier gab der Kläger Schmerzen im Bereich der linken Hüfte nach längerem Stehen, Sitzen und Gehen, sowie schmerzbedingtes nächtliches Aufwachen und Wetterfühligkeit an. Es zeigte sich ein Schonhinken links, die Muskulatur der unteren Extremitäten war im Wesentlichen seitengleich ausgebildet.

Dr. R. hat auf Grund Untersuchung des Klägers im Oktober 2013 endgradige aktive und passive Bewegungseinschränkungen im linken Hüftgelenk (Streckung/Beugung rechts: 0-0-100°, links: 0-10-95°, Abspreizen/Anführen rechts: 30-0-20°, links: 40-0-20° sowie für Drehung auswärts/einwärts bei 90° gebeugtem Hüftgelenk rechts: 30-0-20°, links: 30-0-15°), eine geringe Verschmächtigung der Oberschenkelmuskulatur links um 1 cm (10 cm oberhalb des inneren Kniegelenkspalts, i.Ü. seitengleich) und chronische Schmerzen im Hüftgelenk und Bein links mit Gehbehinderung beschrieben. Auch gegenüber Dr. R. hat der Kläger Schmerzen in der linken Hüfte nach einer Laufstrecke von 30 Minuten und nach langem Sitzen, schmerzbedingten Durchschlafstörungen und Wetterfühligkeit geklagt. Dr. R. hat ein Schonhinken linksseitig geschildert.

Anlässlich der Untersuchung durch Dr. B. im Mai 2014 hat der Kläger erneut über Schmerzen in der linken Hüfte insbesondere bei Feuchtigkeit, Kälte oder bei Erschütterungen sowie über Durchschlafstörungen geklagt. Dr. B. hat ein linksseitiges Schonhinken beschrieben. Die Bewegungsmaße der Hüftgelenke hat er für Streckung/Beugung rechts mit 0-0-100° und links mit 0-10-80°, für Abspreizen und Anführen beidseits mit 30-0-20°, für Drehung auswärts/einwärts bei 90° gebeugtem Hüftgelenk mit rechts 40-0-20° und links 20-0-10° sowie für die Drehung auswärts/einwärts bei gestrecktem Hüftgelenk mit rechts 40-0-30° und links mit 40-0-10° gemessen. Bei der seitenvergleichen Umfangsmessung ergab sich eine gering bis mäßig ausgeprägte "Muskelminderung" am linken Ober- und Unterschenkel (10 cm oberhalb innerer Kniegelenksspalt 0,5 cm, 20 cm darüber 2 cm, allerdings links identisch mit dem von Dr. R. gemessenen Umfang: 49 cm) bei sonst fehlender klinisch relevanter Seitendifferenz. Er hat eine Beinlängendifferenz zu Ungunsten des linken Beines von knapp 1 cm beschrieben.

Zutreffend hat das Sozialgericht insoweit darauf hingewiesen, dass sowohl die von Dr. R. als auch von Dr. B. erhobenen Befunde eine MdE um 30 v.H. nicht rechtfertigen. Unter Bezugnahme auf die gängige unfallmedizinische Literatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl.) hat das Sozialgericht zutreffend dargelegt, dass nach stattgehabter Luxation die Versteifung eines Hüftgelenks in Funktionsstellung mit einer MdE um 30 v.H. und eine Bewegungseinschränkung eines Hüftgelenks in Streckung/Beugung auf 0-30-90° mit einer MdE um 20 v.H. zu bewerten ist (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 581). Im Falle einer leichten Coxarthrose mit geringer Verschmälerung des Gelenkspaltes und subchondraler Sklerosierung des Pfannendaches ohne Bewegungseinschränkung und ohne Muskelminderung des Beines ist die MdE mit 0 v.H., bei deutlicher Coxarthrose mit Bewegungseinschränkung im Hüftgelenk von 30 bis 50°, Muskelminderung von mehr als 2 cm und leichter Gangbehinderung mit 20 v.H. zu bewerten. Erst eine deutliche Verschmälerung des Gelenkspaltes mit Randwulstbildungen am Oberschenkelkopf, Bewegungseinschränkung um die Hälfte, Muskelminderung des Beines um mehr als 3 cm, Gangbehinderung und Verkürzung des Beines um 1 bis 1,5 cm rechtfertigt eine MdE um 30 v.H. (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 584).

Unter Berücksichtigung dieser Erfahrungswerte rechtfertigen die beim Kläger von Seiten des linken Hüftgelenks bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen auch zur Überzeugung des Senats nach wie vor keine MdE um mehr als 20 v.H. Weder Prof. Dr. S. noch Dr. R. haben eine wesentliche Verschlechterung der Unfallfolgen erkennen können und die MdE daher auch unverändert mit 20 v.H. beurteilt. Die von den beiden Gutachtern erhobenen Bewegungsmaße für Streckung und Beugung des linken Hüftgelenks (Prof. Dr. S.: 0-10-100°; Dr. Rieth: 0-10-95°) rechtfertigen unter dem Gesichtspunkt der Luxation auch nach der bereits dargelegten Literatur keine MdE um mehr als 20 v.H., sondern - für sich betrachtet - gerade einmal eine MdE um 10 v.H. Auch die von Prof. Dr. S. beschriebene posttraumatische Arthrose des linken Hüftgelenks mit Gelenkspaltverschmälerung und subchondraler Sklerosierung sowie beginnenden osteophytären Randanbauten bedingen - so der Sachverständige nachvollziehbar - lediglich eine MdE um 20 v.H. Auch dies steht im Einklang mit der gängigen Literatur, die für eine deutliche Coxarthrose mit Bewegungseinschränkung im Hüftgelenk von 30 bis 50°, Muskelminderung von mehr als 2 cm und leichter Gangbehinderung eine MdE um 20 v.H. für angemessen, aber auch ausreichend erachtet. Prof. Dr. S. beschrieb bei dem Kläger eine Bewegungseinschränkung im linken Hüftgelenk von insgesamt 25°, eine Muskelminderung von 1 cm im Oberschenkelbereich sowie ein Schonhinken links, sodass sich hier anhand der Erfahrungswerte keine MdE um mehr als 20 v.H. begründen lässt. Gleichfalls lassen die von Dr. R. erhobenen Befunde - geringe Verschmächtigung der Oberschenkelmuskulatur links um 1 cm, Schonhinken linksseitig, Bewegungseinschränkung im linken Hüftgelenk von insgesamt 30° - keine höhere MdE als 20 v.H. zu.

Entgegen der Auffassung des Klägers belegt auch das Gutachten des Dr. B. keine Unfallfolgen, die eine höhere MdE als 20 v.H. rechtfertigen. Soweit Dr. B. aus dem von ihm beschriebenen Befund der Unfallfolgen eine MdE um 30 v.H. ableiten will, überzeugt dies nicht.

Die vom ihm erhobenen Bewegungsmaße für Streckung und Beugung des linken Hüftgelenks (0-10-80°) haben nach der zitierten Literatur unter dem Aspekt der stattgehabten Luxation keine MdE um mehr als 20 v.H. zur Folge. Vielmehr rechtfertigt erst - wie bereits dargelegt - eine Versteifung eines Hüftgelenks in Funktionsstellung eine MdE um 30 v.H. Der Befund am linken Hüftgelenk des Klägers mit allenfalls mäßigen Bewegungseinschränkungen stellt sich hingegen deutlich besser dar als eine Versteifung des Hüftgelenks in Funktionsstellung. Soweit Dr. B. auf den Aspekt verweist, dass bei einer Versteifung üblicherweise keine Schmerzen (mehr) bestehen, anders als u.U. bei einer Bewegungseinschränkung, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Denn dies - Schmerzfreiheit bei Versteifung - ist in den Tabellenwerten als medizinische Tatsache berücksichtigt. Im Übrigen fließen vorhandene und die Bewegung limitierende Schmerzen im Rahmen der Erhebung der Bewegungsmaße regelmäßig automatisch in die Bewertung ein. Dass dies bei der Funktionsprüfung durch Dr. B. anders gewesen sein soll, lässt sich seinem Gutachten nicht entnehmen. Insbesondere hat Dr. B. auch nicht dargelegt, dass bei dem Kläger das übliche Maß übersteigende Schmerzen vorliegen, die ausnahmsweise nicht in den für die aus einer Bewegungseinschränkung für Streckung und Beugung des Hüftgelenks von 0-30-90° vorgesehenen Erfahrungswerten (hier: MdE um 20 v.H.) berücksichtigt sind. Auch der Kläger selbst behauptet dies nicht. Zum anderen hat Dr. B. selbst - wie zuvor bereits Prof. Dr. W. (vgl. Bl. 248 VA), Prof. Dr. K. (vgl. Bl. 321 VA) und Dr. R. (vgl. Bl. 137 SG-Akte) - auf die vorhandenen Inkonsistenzen und Hinweise auf Verdeutlichungstendenzen des Klägers auch bei der Funktionsprüfung hingewiesen (vgl. Bl. 196 SG-Akte), sodass sich alleine anhand der Schmerzangaben des Klägers in der Begutachtungssituation keine valide Aussage zu den tatsächlich vorhandenen Schmerzen treffen lässt.

Soweit Dr. B. aus der beim Kläger vorhandenen Coxarthrose eine MdE um 30 v.H. ableiten will, überzeugt auch dies nicht. Wie bereits dargelegt und auch von Dr. B. aufgezeigt, ist erst eine deutliche Verschmälerung des Gelenkspaltes mit Randwulstbildungen am Oberschenkelkopf, Bewegungseinschränkung um die Hälfte, Muskelminderung des Beines um mehr als 3 cm, Gangbehinderung und Verkürzung des Beines um 1 bis 1,5 cm mit einer MdE um 30 v.H. zu bewerten (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 584). Einen damit vergleichbaren Befund hat auch Dr. B. nicht erhoben, worauf auch bereits Dr. H. in ihrer beratungsärztlichen Stellungnahme vom Oktober 2014 zutreffend hingewiesen hat. Dr. B. hat weder eine Bewegungseinschränkung um die Hälfte noch eine Muskelminderung um mehr als 3 cm beschrieben. Ferner hat er selbst eingeräumt, dass der Gelenkspalt nicht - wie für eine MdE um 30 v.H. gefordert - deutlich, sondern vielmehr nur marginal verschmälert ist (vgl. Bl. 226 SG-Akte). Dem Kläger ist zwar insoweit zuzustimmen, als dass sich die von Dr. B. erhobene Bewegungseinschränkung im linken Hüftgelenk schlechter darstellt, als die Erfahrungswerte für eine MdE um 20 v.H. (Bewegungseinschränkung um 30 bis 50°) vorsehen. Dies allein rechtfertigt jedoch - wie bereits dargelegt - keine MdE um 30 v.H. Denn die darüber hinaus geforderten Beeinträchtigungen hat auch Dr. B. nicht beschrieben, sodass das Gesamtbild der Unfallfolgen nicht mit der von den Erfahrungswerten beschriebenen Situation, die eine MdE um 30 v.H. rechtfertigt, vergleichbar ist. Auch Dr. B. hat letztlich selbst eingeräumt, dass die Kriterien für eine MdE um 30 V.H. damit nicht erfüllt sind (vgl. Bl. 229 SG-Akte). Lediglich am Rande weist der Senat darauf hin, dass sich aus den von Dr. B. dokumentierten Umfangmaßen keine - wie von ihm angenommen - Muskelminderung um 2 cm entnehmen lässt. Auffällig ist insoweit, dass Dr. B. denselben Umfang am linken Bein gemessen hat (20 cm oberhalb des inneren Kniegelenksspaltes: 49 cm) wie Dr. R. und Prof. Dr. S ... Damit kann nicht von einer zunehmenden Muskelminderung seit der Untersuchung durch Dr. R. bzw. Prof. Dr. S. ausgegangen werden. Die Umfangdifferenz im Gutachten von Dr. B. beruht vielmehr auf dem am rechten Bein gemessenen Umfang von 51 cm (im Gutachten von Dr. R. 49 cm). Aus einer Muskelvermehrung am gesunden Bein kann aber eine MdE-Relevanz nicht, zumindest nicht ohne weiteres und nähere Begründung, abgeleitet werden. Besondere Umstände insoweit hat auch Dr. B. nicht angeführt.

Die Erkrankungen des Klägers auf psychiatrischem Fachgebiet sind nicht wesentlich ursächlich auf den Arbeitsunfall vom 24.03.1998 zurückzuführen. Die vom Senat insoweit durchgeführte Sachaufklärung hat kein für den Kläger günstiges Ergebnis erbracht.

Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbe-gründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung gilt wie allgemein im Sozialrecht für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 27/04 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 15). Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus. Es ist daher in einem ersten Schritt zu klären, ob der Gesundheitsschaden auch ohne das Unfallereignis eingetreten wäre. Ist dies der Fall, war das Unfallereignis für den Gesundheitsschaden schon aus diesem Grund nicht ursächlich. Andernfalls ist in einem zweiten, wertenden Schritt zu prüfen, ob das versicherte Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war. Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Gab es neben der versicherten Ursache noch andere, konkurrierende Ursachen (im naturwissenschaftlichen Sinn), z.B. Krankheitsanlagen, so war die versicherte Ursache wesentlich, sofern die unversicherte Ursache nicht von überragender Bedeutung war. Eine überwiegende oder auch nur gleichwertige Bedeutung der versicherten gegenüber der konkurrierenden Ursache ist damit für die Annahme des ursächlichen Zusammenhangs nicht Voraussetzung.

Prof. Dr. Dr. W. hat für den Senat überzeugend eine chronifizierte depressive Episode mit fraglichen psychotischen Symptomen und ausgeprägtem regressiven Verhalten auf dem Boden einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung sowie eine generalisierte Angststörung diagnostiziert.

Gegenüber Prof. Dr. Dr. W. hat der Kläger zum einen über Ängste vor Menschen, zum anderen über Albträume (über Unfälle von ihm oder seiner Familie), die jedoch - so die Angaben des Klägers gegenüber Prof. Dr. Dr. W. (vgl. Bl. 44 LSG-Akte) - erst mehrere Jahre nach dem Arbeitsunfall begonnen hätten (etwa 2004/2005), geklagt und Halluzinationen, bei denen er tote Menschen sehe, die ihn auslachen würden, angegeben. In psychopathologischer Hinsicht hat Prof. Dr. Dr. W. ein wechselndes Bild beschrieben mit zum Teil psychomotorischer Unruhe einerseits und Antriebsminderung andererseits. Beeinträchtigungen der Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit hat Prof. Dr. Dr. W. während der zweistündigen Exploration nicht beobachten können. Zwar habe der Kläger immer wieder den Eindruck vermittelt, gerade durch psychotische Denkinhalt abgelenkt zu sein, sobald Prof. Dr. Dr. W. ihn jedoch angesprochen habe, habe er sich sofort wieder aufmerksam gezeigt. Bei der Beschreibung der Trennung von seiner ersten Ehefrau habe - so Prof. Dr. Dr. W. - eine erhebliche Kränkung mitgeschwungen. Das von Prof. Dr. Dr. W. beobachtete, ausgeprägt direktive Verhalten des Klägers gegenüber seiner Ehefrau beim An- und Auskleiden, welches die Ehefrau vollständig nach dessen Vorgaben übernommen hat (vgl. Bl. 40 LSG-Akte), spricht gegen das Vorliegen einer psychotisch gefärbten Depression und gegen eine wesentliche Antriebsstörung, so Prof. Dr. Dr. W. nachvollziehbar.

Überzeugend hat Prof. Dr. Dr. W. dargelegt, dass die von Dr. G. gestellte Diagnose einer Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung hingegen nicht nachvollziehbar ist, weil hierunter definitionsgemäß "katastrophale" oder "verheerende" traumatische Erfahrungen und/oder anhaltende Traumatisierung z.B. im Rahmen von Konzentrationslagererfahrungen oder Folter fallen, einmalige PKW-Unfälle hingegen nicht.

Auch das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung hat Prof. Dr. Dr. W. überzeugend verneint. Zwar kann - so Prof. Dr. Dr. W. - das Erleben eines Unfallereignisses, selbst wenn es nicht "katastrophal" ist und daher die Kriterien für die Diagnose einer Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung - wie soeben dargelegt - nicht erfüllt, zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führen. Voraussetzung für deren Anerkennung ist, dass sich - so Prof. Dr. Dr. W. - zum einen psychopathologische Symptome hinreichend zeitnah zu dem Ereignis und zum anderen eine aktuell bestehende Symptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung objektivieren lassen. Maßgeblich hierfür sind körperliche Reaktionen sowie eine erkennbare psychische Belastung in Form verstärkter Anspannung oder auch dissoziative Symptome bei der Konfrontation mit Reizen, die an das Ereignis erinnern. Diese Voraussetzungen liegen hier zur Überzeugung des Senats nicht vor. Prof. Dr. Dr. W. hat zutreffend darauf hingewiesen, dass über das erste Jahr nach dem Unfallereignis hinweg keinerlei psychische Symptome dokumentiert sind. Die später beschriebenen psychischen Probleme beziehen sich auf die Arbeitssituation des Klägers und nicht auf das Erleben des Unfallereignisses. Auch ein Vermeidungsverhalten lag zu keiner Zeit vor. So hatte der Kläger nach eigenen Angaben auch nach dem Unfall keine wesentlichen Probleme gehabt, selbst mit dem PKW zu fahren, was laut Prof. Dr. Dr. W. gegen eine Autofahrphobie spricht. Letztlich hat der Kläger auch im Rahmen der Begutachtung durch den Sachverständigen bei dem Gespräch über das Unfallereignis keinerlei Reaktionen, z.B. vegetative Begleitsymptome, erkennen lassen, die auf eine Traumafolgestörung hinweisen könnten. Für das Unfallereignis selbst hat der Kläger gegenüber Prof. Dr. Dr. W. zunächst eine vollständige Amnesie geltend gemacht, später aber erklärt, sich daran erinnern zu können, durch die Windschutzscheibe geflogen zu seien, wobei eine genauere Beschreibung nicht zur erlangen und konkrete Erinnerungen an das Unfallereignis nicht zu eruieren gewesen sind. Vegetative Begleitsymptome oder Vermeidungsverhalten seien hierbei, so der Sachverständige, nicht ersichtlich gewesen.

Unter Berücksichtigung der oben dargelegten Ausführungen sind die beim Kläger vorliegenden psychischen Erkrankungen - eine chronifizierte depressive Episode mit fraglichen psychotischen Symptomen und ausgeprägtem regressiven Verhalten auf dem Boden einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung sowie eine generalisierte Angststörung - nicht wesentlich ursächlich auf den Arbeitsunfall vom 24.03.1998 zurückzuführen. Dies entnimmt der Senat ebenfalls dem Gutachten des Prof. Dr. Dr. W ...

Für die generalisierte Angststörung lässt sich bereits kein naturwissenschaftlicher Ursachenzusammenhang mit dem Arbeitsunfall vom 24.03.1998 feststellen. Insoweit hat Prof. Dr. Dr. W. zutreffend dargelegt, dass der Kläger an unspezifischen Ängsten vor Menschen leidet. Diese Ängste begannen nach eigenen Angaben des Klägers (vgl. Bl. 44 LSG-Akte) erst mehrere Jahre nach dem Arbeitsunfall, etwa 2004/2005. Diese Angststörung entwickelte sich damit - worauf Prof. Dr. Dr. W. zutreffend hingewiesen hat - nicht in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfallereignis sondern erst mehrere Jahre danach, was gegen einen ursächlichen Zusammenhang mit dem Autounfall spricht. Zudem liegen diffuse Zukunfts- und Todesängste des Klägers vor, so dass auch hier - so Prof. Dr. Dr. W. wiederum nachvollziehbar - bereits kein Zusammenhang mit dem konkreten Unfallereignis und dessen Folgen herzustellen ist, der Arbeitsunfall mithin zur Überzeugung des Senats nicht ursächlich für die Angststörung war.

Demgegenüber bejaht der Senat einen naturwissenschaftlichen Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und der chronifizierten depressiven Episode. Die körperlichen Folgen des Arbeitsunfalls in Form einer Minderbelastungsfähigkeit des linken Beines führten dazu, dass der Kläger seine bisherige Tätigkeit bei der Fa. H. nicht mehr ausüben konnte. Eine innerbetriebliche Umsetzung scheiterte, in Bezug auf eine in Betracht gezogene Tätigkeit im Qualitätswesen an wirtschaftlichen Schwierigkeiten (Auftragseinbruch), in Bezug auf Tätigkeiten in der Fertigung (CNC-Fräser) schon an der fehlenden (jedenfalls körperlichen) Eignung des Klägers für stehende Tätigkeiten. Deshalb nahm der Kläger schließlich eine Tätigkeit bei der Fa. H. an, die er später aus Unzufriedenheit mit der Arbeit - er habe den ganzen Tag Metallstücke feilen müssen, was ihn fertig gemacht habe, so die Angaben gegenüber Prof. Dr. Dr. W. - und nach Differenzen mit dem Vorgesetzten (Bl. 379 VA) im Frühjahr 2001 kündigte. In diesem zeitlichen Zusammenhang finden sich dann - so Prof. Dr. Dr. W. zutreffend - erstmals Behandlungen wegen einer depressiven Erkrankung. Auch Dr. R. diagnostizierte zum damaligen Zeitpunkt, im Juni 2001, eine depressive Erkrankung (vgl. Bl. 392 ff. VA). Im Ergebnis lässt sich somit das Unfallereignis für den Beginn der depressiven Erkrankung nicht hinwegdenken, so dass diese, bis heute bestehende und zwischenzeitlich chronifizierte Erkrankung im naturwissenschaftlichen Sinn auf den Arbeitsunfall zurückzuführen ist

Allerdings genügt - wie bereits dargelegt - ein bloßer naturwissenschaftlicher Ursachenzusammenhang zwischen Unfall und Gesundheitsstörung nicht zur Bejahung einer Unfallfolge und damit zur Begründung eines Entschädigungsanspruches. Die in Rede stehende Gesundheitsstörung muss auch wesentlich auf den Unfall zurückzuführen sein. Dies verneint der Senat. Neben dem Arbeitsunfall sind weitere - unfallabhängige, aber unversicherte sowie völlig unfallunabhängige und daher unversicherte - Ursachen (Versorgungswünsche in Bezug auf die Entschädigung des Arbeitsunfalls, Streitigkeiten und letztlich Trennung und Scheidung von der Ehefrau, Herztod des Bruders, finanzielle Belastungen durch die Hochzeit der Tochter) für die depressive Erkrankung des Klägers hinzugetreten, die - so Prof. Dr. Dr. W. - bei Weitem überwiegend das Beschwerdebild bestimmen und somit von überragender Bedeutung sind.

Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, auch zum gesamten Nachfolgenden). Sozialrechtlich ist allein relevant, ob (auch) das Unfallereignis wesentlich war. Wesentlich ist nicht gleichzusetzen mit gleichwertig oder annähernd gleichwertig. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange keine andere Ursache überragende Bedeutung hat. Ist jedoch eine Ursache gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist nur die erstgenannte Ursache wesentlich und damit Ursache im Sinne des Sozialrechts.

Wie bereits dargelegt entwickelte sich die psychische Störung im Zusammenhang den Problemen des Klägers, wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Allerdings wurden diese Probleme maßgeblich durch die unrealistischen Vorstellungen des Klägers geprägt, eine Stelle als CNC-Maschinenbediener bzw. im Werkzeugbau zu bekommen. Diese Vorstellung entwickelte der Kläger bereits zeitnah nach dem Unfall (s. Aktenvermerk vom Oktober 1998, Bl. 120 VA). Auch nach Scheitern der entsprechenden Versuche wegen nicht ausreichender Eignung des Klägers hielt er hieran fest. So dokumentierte Dr. R. in seinem Gutachten vom Juni 2001 - nach der Kündigung seiner Arbeitsstelle bei der Fa. H. -, der Kläger wolle als CNC-Maschinenbediener arbeiten und wegen der fehlenden beruflichen Zukunftsperspektive seien nun depressive Störungen aufgetreten (Bl. 394 VA). Damit traten zu den anfangs unmittelbar auf die Verletzungsfolgen zurückzuführenden Problemen (Verlust der Arbeitsstelle bei der Fa. H. nach fehlgeschlagenen Umsetzungsversuchen wegen der Unfallfolgen mit anfänglicher Arbeitslosigkeit) im Jahre 2001 nach Eigenkündigung enttäuschte Erwartungen in Bezug auf die Wiedereingliederung in das Arbeitsleben hinzu. Insoweit spielten bereits konkurrierende Ursachen in Bezug auf die damals, insbesondere von Dr. R. beschriebene depressive Störung eine Rolle. Denn diese Enttäuschung führte nach den Ausführungen von Prof. Dr. Dr. W. auf dem Boden einer - anlagebedingten - narzisstischen Persönlichkeit zu einer ausgeprägten Kränkung und einer entsprechenden neurotischen Reaktionsbildung. Allerdings fand damals nur eine sporadische Behandlung statt. So berichtete Dr. G. für den Zeitraum von Mai 2001 bis ins Jahr 2008 nur über insgesamt fünf Konsultationen (Bl. 310 eVA), so dass von keinem schwerer wiegenden Krankheitsbild auszugehen ist.

Im damaligen Zeitraum war der Kläger auch privaten Belastungen in Form eines Todesfalles, familiären Streitigkeiten und familiär veranlassten finanziellen Belastungen ausgesetzt, die - wie Prof. Dr. Dr. W. zutreffend ausgeführt hat - ebenfalls als konkurrierende Lebensereignisse für die depressive Störung anzusehen sind. So kam es wegen ihm von der damaligen Ehefrau unterstellten außerehelichen Kontakten zu erheblichen Konflikten mit der Ehefrau, was in der Trennung von seiner Ehefrau im Jahr 2004 und der Scheidung im Jahr 2006 mündete (vgl. Bl. 42 LSG-Akte). Im Jahr 2004 heiratete die Tochter des Klägers, was zu einer erheblichen finanziellen Belastung des Klägers führte, weil er die Verlobung und das Mobiliar bezahlte und hierzu sein gesamtes wegen des Arbeitsunfalls erhaltenes Schmerzensgeld verwendete (vgl. Bl. 36 LSG-Akte). Im Jahr 2006 verstarb der Bruder des Klägers überraschend an einem Herzinfarkt.

In der Folge traten dann weitere Ursachen - Versorgungs- und Wiedergutmachungswünsche und ein so genannter sekundärer Krankheitsgewinn - in den Vordergrund, die zur Aufrechterhaltung der depressiven Störung führten. In diesem Zusammenhang suchte der Kläger Dr. G. ab 2008 häufiger auf, wobei alle diese Kontakte dann im Zusammenhang mit versicherungsrechtlichen Auseinandersetzungen (mit der Beklagten, dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen, der Deutschen Rentenversicherung, so Dr. G. Bl. 310 eVA) standen und damit nicht mehr mit den früheren Enttäuschungen über die fehlgeschlagene berufliche Eingliederung. Der Kläger sah sich - so Dr. G. (Bl. 310 eVA) - als Opfer und erwartete Wiedergutmachung. Korrespondierend hierzu ging Dr. Großmann in seinem Gutachten vom September 2011 ebenfalls von Versorgungswünschen des Klägers aus. Schließlich beschrieb Dr. G. in seiner Auskunft gegenüber dem Sozialgericht (Bl. 42 ff. SG-Akte) einen sekundären Krankheitsgewinn des Klägers aus dem Arbeitsunfall. Er hat angegeben, dass das Beschwerdevorbringen des Klägers seit Jahren absolut unverändert sei, die Beschreibungen des Beschwerdebildes sich fast aufs Wort gleichen würden. Dabei hat er darauf hingewiesen, dass eigenartigerweise keine der durchgeführten Behandlungen, mit verschiedenen Medikamenten und auch eine stationäre Rehabilitation, irgendeine positive Wirkung gezeigt hätten. Er hat hieraus - für den Senat überzeugend - geschlossen, dass sich dies nur mit dem Krankheitsgewinn erklären lasse, den der Kläger aus seiner mittlerweile viele Jahre andauernden Berentung zieht.

Damit traten ab 2008 Enttäuschungen über die ihm infolge des Arbeitsunfalls zustehende Wiedergutmachung in Form von versicherungsrechtlichen Auseinandersetzungen (vgl. die Auskunft von Dr. G. Bl. 310 eVA) sowie schließlich die Ausgleichsleistungen als Krankheitsgewinn (so die Formulierung von Dr. G. , Bl. 44 SG-Akte) bzw. Versorgungswünsche, die die Symptombildung aufrecht erhielten (so die Formulierung von Dr. Großmann), als Ursache der depressiven Entwicklung als gleichermaßen naturwissenschaftliche Ursache dieser Gesundheitsstörung hinzu und beherrschten die Konsultationen mit Dr. G ... Diese Ursachen traten somit in den Vordergrund der psychischen Problematik. Solche "wunschbedingten Vorstellungen" sind deshalb als konkurrierende Ursache anzusehen (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Allerdings können derartige wunschbedingte Vorstellungen des Versicherten nach einem Arbeitsunfall keinen wesentlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und nun bestehenden psychischen Gesundheitsstörungen begründen (BSG, a.a.O.; BSG, Beschluss vom 19.05.2000, B 2 U 138/00 B). Sie stehen vielmehr der Bejahung eines wesentlichen Ursachenzusammenhangs zwischen versichertem Arbeitsunfall und der psychischen Störung entgegen. Denn die sich entwickelnde psychische Störungen beruhte wesentlich auf diesen Wunschvorstellungen, sodass eine Entschädigung hierfür ausgeschlossen ist (BSG, Beschluss vom 19.05.2000, B 2 U 138/00 B).

Wenn Prof. Dr. Dr. W. vor dem Hintergrund all dieser konkurrierenden Faktoren zu dem Ergebnis gelangt, dass die aktuelle Situation und damit auch die depressive Erkrankung des Klägers zwar durch das Unfallereignis ausgelöst wurde, konkurrierende Faktoren aber bei Weitem überwiegend das Bild bestimmen, überzeugt dies den Senat. Damit kommt den dargestellten konkurrierenden Faktoren überragende Bedeutung zu. Das Unfallereignis ist nicht wesentliche Ursache der Störungen des Klägers, eine MdE wird daher durch dies Störungen auch nicht verursacht.

Entgegen der Auffassung des Klägers lassen auch die Auskünfte des Psychiaters Dr. G. und des Arztes für Allgemeinmedizin H. und die Ausführungen des Dr. B. keine für ihn günstige Beurteilung des Ursachenzusammenhangs zu.

Soweit der Allgemeinmediziner H. in seiner Stellungnahme vom Juni 2013 als entscheidende Ursache für die derzeitige psycho-somatische Zustandsverschlechterung den erlittenen Unfall ansieht, überzeugt dies nicht. Zum einen hat er seine Einschätzung - insbesondere vor dem Hintergrund der von ihm selbst angeführten Zerwürfnisse in der Familie, Verlust der Arbeitsstelle und sozialen Komplikationen - nicht begründet. Zum anderen steht diese Einschätzung im Widerspruch zu seinem Schreiben vom April 2012 (vgl. Bl. 116 SG-Akte). Hierin hat er mitgeteilt, dass hinsichtlich der chronifizierten Depression eine psychiatrische Beurteilung notwendig sei, sich also zu einer Kausalitätsbeurteilung gerade nicht in der Lage gesehen.

Dr. G. hat in seiner Auskunft vom März 2013 keine für den Kläger günstige Kausalitätsbeurteilung getroffen, ihr ist gerade nicht zu entnehmen, dass dieser den Arbeitsunfall als wesentliche Ursache für die psychischen Erkrankungen des Klägers erachtet. So hat er ausgeführt, dass der Kläger den Unfall zum Sündenbock des Scheiterns in seinem Leben mache. Durch den Kampf um Wiedergutmachung und die Rente stabilisiere er sein Selbstbild und verharre in der Opferrolle. Zu der vom Sozialgericht gestellten Frage hinsichtlich der Ursache der psychischen Beschwerden hat Dr. G. explizit darauf hingewiesen, dass er als behandelnder Arzt nicht zu einer gutachterlichen Äußerung verpflichtet sei (vgl. Bl. 43 SG-Akte). Er hat also gerade keinen für den Kläger positiven Ursachenzusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und den psychischen Erkrankungen hergestellt.

Soweit Dr. B. eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür gesehen hat, dass die psychopathologische Situation des Klägers wesentlich durch die Unfallfolgen mitgeprägt sei, sodass zumindest eine Verschlimmerung anzunehmen sei (vgl. Bl. 227 SG-Akte), folgt auch hieraus keine für den Kläger günstige Kausalitätsbeurteilung. Denn Dr. B. hat selbst eingeräumt, dass er insoweit keine ausreichende gutachterliche Kompetenz besitzt, um dies abschließend zu bewerten und hat deshalb eine Begutachtung auf psychiatrischem Fachgebiet empfohlen (vgl. Bl. 227 SG-Akte). Dieser Empfehlung ist der Senat mit dem - das prozessuale Begehren des Klägers allerding nicht stützenden - Gutachten des Prof. Dr. Dr. W. nachgekommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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